Drei
Auf dem Weg zurück ins Büro ließ ich mir Mrs Shadleys Fall noch einmal durch den Kopf gehen. Ich stieg die Treppe hinauf und befand mich nur noch wenige Meter von meiner Tür entfernt, als ich plötzlich einen Schatten hinter dem Milchglas vorbeihuschen sah.
Ich blieb sofort stehen und wartete ab, ob sich die Bewegung wiederholen würde. Und tatsächlich – da rührte sich etwas. Vorsichtig ging ich neben der Tür in die Hocke und lauschte. Mein Herz pochte wie verrückt. Es war jemand -sogar zwei Jemands – in meinem Büro, und es hörte sich so an, als ob der Raum gründlich durchsucht wurde. Ohne nachzudenken, zückte ich meine Pistole.
Und hielt inne.
Was tat ich hier eigentlich? Auf der anderen Seite der Wand waren zwei Leute damit beschäftigt, mein Büro auf den Kopf zu stellen, und ich war gerade im Begriff, sie mit einer Pistole zu überraschen. War ich durch mein Todeserlebnis lebensmüde geworden? Ich hatte schon einmal eine Ratte in die Enge getrieben und als Erinnerung daran waren mir eine Reihe hübscher Narben an Händen und am Bein geblieben. Hatte ich jetzt etwa vor, mich zwischen diese beiden Ratten und den einzigen Ausgang zu stellen, den es gab? Nein, verdammt noch mal, natürlich nicht! Einmal im Monat ins Jenseits befördert zu werden reichte mir vollkommen.
Ich steckte also die Pistole wieder ein und schlich den Korridor entlang, bis ich zum Büro der Buchhalter Flasch und Ikenabi kam. Die Sekretärin starrte mich verblüfft an, als ich geduckt durch die Tür huschte – mit einem engen Rock und hohen Absätzen keine leichte Aufgabe.
»Kann ich Ihnen helfen?«, zwitscherte sie unsicher.
Ich schloss die Tür hinter mir und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. »Äh … ja«, flüsterte ich heiser. »Ich bin Harper Blaine. Mein Büro befindet sich hier auf dem Gang, und zwei Leute sind gerade dabei, es ohne meine Erlaubnis zu durchsuchen. Ich würde gerne Ihr Telefon benutzen und die Polizei rufen.«
Sie starrte mich weiterhin aus großen Augen an, nahm jedoch den Hörer ab und wählte eine Nummer. Wortlos reichte sie mir das Telefon.
Ich erklärte also der Polizei, was los war, und warnte sie davor, nicht mit Sirene und Blaulicht aufzutauchen, da mein Büro direkt auf die Straße blickte. Dann legte ich auf und blieb im Wartezimmer der Buchhalter, um auf das Eintreffen der Polizei zu warten.
Nach wenigen Minuten hörte ich, wie eine Streife mit heulender Sirene vorfuhr, um mit quietschenden Reifen genau vor dem Gebäude zu halten. Natürlich stürzten sogleich zwei Männer aus meinem Büro und rannten zur Treppe. Sie rempelten die verblüfften Polizisten, die gerade hoch kamen, an und mit einem lauten Schrei wurde die Verfolgung aufgenommen. Aber bald schon waren die Einbrecher über alle Berge.
Kurz darauf tauchten die beiden Polizisten wieder vor meinem Büro auf, wo ich sie begrüßte. Die Tür stand offen und drinnen herrschte ein wildes Durcheinander. Aktenordner und lose Papiere lagen auf Schreibtisch und Boden verstreut; mein Aktenschrank war mitten ins Zimmer gezerrt worden, die zwei Schubladen waren herausgerissen worden. Mein Computer war angeschaltet worden und der Tresor unter dem Schreibtisch stand offen. Entweder waren die Einbrecher bereits länger hier gewesen als ich angenommen hatte, oder sie waren von der wirklich schnellen Sorte.
Die Polizisten sahen sich das Chaos an, nahmen das aufgebohrte Türschloss ins Visier und riefen dann die Spurensicherung, damit diese eventuell hinterlassene Fingerabdrücke sicherstellen konnte. Man fand allerdings keinen einzigen im ganzen Büro, obwohl ich hätte schwören können, dass keiner der beiden Männer Handschuhe getragen hatte.
Während die Spurensicherung ihre Arbeit tat, verhörten mich die beiden Polizisten. »Können Sie die Einbrecher identifizieren?«
»Wenn Sie die Kerle geschnappt hätten – wer weiß? Der eine sah wie ein Obdachloser aus, der mich heute Morgen auf der Straße belästigt hat. Der typische Penner oder auch Junkie vom Pioneer-Square – er hat irgendetwas Unverständliches gemurmelt –, aber zuvor hatte ich ihn noch nie gesehen. Der andere Typ hatte nichts Besonderes an sich, den habe ich bestimmt noch nie gesehen.«
»Na toll«, spöttelte der Kleinere der beiden.
Ich schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe Ihren Kollegen am Telefon ausdrücklich davor gewarnt, dass eine Sirene sie verscheuchen würde. Wurde Ihnen das denn nicht ausgerichtet?«
Die beiden liefen rot an und ich musste mich ziemlich zusammenreißen, um ihnen nicht vor die Füße zu spucken.
»Könnte einer der beiden als Stalker hinter Ihnen her sein?«, wollte der Größere wissen.
Ich schnaubte. »Ich und ein Stalker? Ja, klar, eine Privatdetektivin ist doch die Traumfrau eines jeden Cracksüchtigen.«
»Vielleicht hat ja auch jemand die beiden beauftragt. Könnten Sie sich das vorstellen?«
»Nein.«
Und das war die reine Wahrheit. Mein Angreifer hatte sich inzwischen reumütig gezeigt – wohl in der Hoffnung, so mit einem milden Urteil davonzukommen. Ich wusste von keinen wütenden Klienten oder frustrierten Bösewichten, die mir in dunklen Ecken auflauern würden. Der Großteil meiner Arbeit bestand aus langweiligen, banalen Aufträgen, für die manche Leute lieber jemanden bezahlten, als sie selbst zu erledigen. Wer konnte also dahinter stecken? Langsam verlor ich die Geduld mit diesen beiden Komikern, die noch immer vor mir standen und mir sinnlos Löcher in den Bauch fragten.
Die Männer starrten mich an, als ob das alles meine Schuld wäre. »Sie haben also keine Ahnung? Ihnen fällt niemand ein, dem Sie auf die Füße getreten sind?«
»Nein.«
Der Größere rollte mit den Augen. »Dann lassen Sie das Schloss reparieren und schaffen Sie sich eine Alarmanlage an, bevor Ihre Verehrer wieder hier auftauchen. Mehr können wir nicht tun.«
Nun reichte es mir endgültig. Ich fauchte ihn an: »Sie hätten sehr wohl mehr tun können! Nämlich erst einmal nachdenken, ehe Sie hier wie eine Horde Elefanten reingetrampelt sind.«
Der Polizist kniff die Augen zusammen und starrte mich an, antwortete aber nicht. Die beiden drehten sich um und verließen brummend das Büro.
Es war schon kurz vor eins, und ich musste mich mit überwältigendem Chaos und einem kaputten Schloss auseinandersetzen. Ich unterdrückte das Verlangen einige Aktenordner durch den Raum zu kicken, holte stattdessen tief Luft und rief einen Schlosser an. Dann fing ich notgedrungen an aufzuräumen.
Nichts schien zu fehlen, obwohl alles genauestens durchsucht worden war. Sogar im offenen Tresor befand sich noch alles an seinem Platz. Es machte keinen Sinn – und das gab mir zu denken.
Ich versuchte meine Sorgen zu ignorieren, indem ich einen meiner Kontaktleute bei der Polizei anrief und nachfragte, ob Cameron Shadleys Auto abgeschleppt worden war. Das war nicht der Fall, aber mein Bekannter versprach, mir Bescheid zu sagen, sobald er etwas über das Auto in Erfahrung bringen würde.
Ich widmete mich also wieder dem Büro.
Nach einer Stunde harter Arbeit gönnte ich mir eine kleine Pause. Ich war inzwischen nassgeschwitzt, aber dafür befand sich wenigstens alles wieder an seinem Platz. Gerade wollte ich mich hinsetzen, als der Schlosser kam. Er hatte schon des Öfteren für mich oder meine Klienten einen Auftrag übernommen, sodass ich jetzt nur auf die Tür zeigen musste. Der Mann nickte und machte sich an die Arbeit.
»Einbruch**«, grummelte er noch einer Weile und steckte das neue Schloss in die Tür.
»Ja. Die Polizei meint, ich brauchte einen Alarm … Als ob ich einfach nur um die Ecke gehen musste und dort einen vernünftigen finden würde.«
»Hm … Das Büro ist nicht groß. Eine kleine Anlage würde sicher reichen.«
»Das glaube ich nicht. Ich brauche eine richtige Anlage, und zwar am besten sofort. Und billig sollte sie auch noch sein.«
»Von nichts kommt nichts. Ein bisschen muss man schon investieren.«
»Und manchmal investiert man für nichts und wieder nichts«, schnappte ich und trat frustriert gegen den Mülleimer.
Er arretierte den Zylinder. »Da fällt mir gerade etwas ein. Ich kenne da jemanden, der Ihnen vielleicht helfen könnte. Und er ist billig.«
»Wirklich?«
»Ja. Ein komischer Kauz, der sich aber gut mit Elektrokram auskennt – ein Bastler, der alles Mögliche macht. Vielleicht wäre er der Richtige. Ich wette, er könnte Ihnen eine billige Anlage zusammenschrauben. Und wie gesagt, er ist gut.«
»Und wie heißt er?«
»Quinton. Um diese Zeit findet man ihn normalerweise in der Bücherei um die Ecke … falls Sie es eilig haben.«
»Können Sie mir nicht einfach seine Telefonnummer geben?«
»Nein. Es wäre besser, wenn Sie in der Bücherei vorbeischauen würden. Quinton ist ein Typ, den man einfach … na ja, über den man stolpern muss. Verstehen Sie? So, das Schloss ist fertig.«
Er stand auf und drückte mir zwei glänzende Schlüssel in die Hand. »Hier, bitte schön. Besser als das alte, aber diese lahme Tür erfüllt ihre Funktion auch nur noch mehr schlecht als recht.«
Ich seufzte. »Also gut, ich werde mir den Typ in der Bücherei mal ansehen. Wie heißt er gleich noch mal?«
»Quinton. Gehen Sie in den Lesesaal und fragen Sie die Bibliothekarin nach ihm. Die weiß garantiert, wo er gerade ist.«
Einen Versuch war es wert; außerdem hatte mich der Schlosser noch nie falsch beraten. Ich dankte ihm und bezahlte das neue Schloss. Sicher würde es wieder verdammt schwierig werden, das Geld von meinem Vermieter zurück zu bekommen.