IX.

Ladies im Hotel und
Marilyn Monroe

oder Mrs. Parkers letzte Chance

Im September 1952 kehrt Dorothy Parker nach New York zurück, das FBI immer auf den Fersen. Sie bezieht ein Apartmenthotel in der 74. Straße an der Upper East Side. Eine ungewöhnliche Wahl für eine Frau, die mittlerweile so sehr in Midtown Manhattan verwurzelt ist, dass sie zu sagen pflegt: »Oberhalb der 72. Straße bekomme ich Nasenbluten.«493 Das Volney ist ein vornehmes Boutiquehotel, beliebt bei Theatermachern, Schriftstellern und Hunden. Ihrem neuen Pudel Misty gefällt es hier ganz besonders, mehr als 40 seiner Artgenossen toben über die Flure. Dorothy ist überglücklich, wieder in New York zu sein: »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie ich es genieße. Wenn ich morgens aufstehe, würde ich am liebsten den Boden küssen«, gesteht sie der New York World Telegram and Sun.494

Das Volney wird ihr letztes Zuhause in New York werden, ein Zuhause, das alles bietet, was sie schätzt: Zimmerservice, der rund um die Uhr für Ordnung und frische Wäsche sorgt, eine Hotelbar, die regelmäßige Mahlzeiten und eine unbegrenzte Menge Hochprozentiges garantiert, ein hilfsbereiter Concierge, der Post und Nachrichten entgegennimmt und gelegentlich auch Misty spazieren führt – kurzum, ein Leben, in dem die Probleme des Alltags für 275 Dollar im Monat delegiert werden können. Das Volney ist eine Residenz für ältere vermögende Frauen, die, zumeist verwitwet, hier einen komfortablen Lebensabend verbringen. Es ist kein Hotel für eine Nacht, sondern für einen bestimmten Lebensabschnitt, bevölkert nicht von Gästen, sondern von Bewohnern.

Auf die wenigen Besucher wirkt ein Nachmittag bei Dorothy wie eine Reise in die Vergangenheit. Edmund Wilson scheint es, als ob die Zeit stehen geblieben sei: »Es war schön zu sehen, dass alles so war wie früher: ihre Schreibmaschine, neben der ein halbfertiges Manuskript lag, stapelweise Bücher, die sie besprechen sollte. (…) Es war genau dasselbe Leben, das sie früher schon in New York geführt hatte, ehe sie nach Hollywood ging. Es war, als ob ihre Zeit in Hollywood und ihre zwei Ehen mit Alan Campbell gar nicht zählen würden – sie hätte ebensogut inzwischen im Märchenland sein können. (…) Sie bot mir ein paar Drinks an, was in dieser Zwanziger-Jahre-Atmosphäre einfach unvermeidlich war.«495

Die Rückkehr nach New York beflügelt Dorothy: »Das ist das Besondere an New York. Es gibt dir immer ein bisschen mehr, als du erhofft hast. Jeder neue Tag hier ist definitiv ein neuer Tag. Jeder neue Morgen scheint zu sagen: ›Na los, wir packen’s noch mal an.‹«496 Noch einmal versucht sie sich an ihrem großen Traum: dem Broadwayerfolg: »Stücke schreibe ich viel lieber als alles andere. Es gibt nichts Spannenderes auf der Welt als eine Premiere. Herrlich, wenn man seinen eigenen Worten lauschen kann«, gesteht sie in einem Interview.497 Wie immer arbeitet sie nicht alleine. Diesmal versucht sie ihre Ideen mit dem erfolgreichen Broadwayautor Arnaud d’Usseau, den sie in Hollywood kennengelernt hat, umzusetzen. Obwohl sie ursprünglich eine Kriminalgeschichte im Sinn haben, geben sie den Plan auf, als sie feststellen, dass sie beide zu viel Sympathie für ihre Mörder entwickeln. Eingedenk dessen, dass Dorothy immer dann am besten ist, wenn sie ihre eigene Welt abbildet, schwenken sie auf ein Thema ein, das ihr vertraut ist: einsame Frauen im Hotel. In einer Einführung schreibt sie: »›Ladies im Hotel‹ handelt vom vergeudeten Leben jener Frauen, die überall in den Vereinigten Staaten in diesen kleinen Apartmenthotels leben. Sie haben genug Geld und noch mehr Zeit, und ihre einzige Beschäftigung besteht darin, das eine auszugeben und das andere totzuschlagen. Sie sind nicht mehr ganz jung. Aber sie achten sehr auf sich und können sich gut und gerne auf weitere 20 Jahre freuen, in denen sie genau dasselbe tun werden wie im Augenblick, nämlich gar nichts.«498 Das Volney wird zum Vorbild für das Hotel Marlow, in dem die titelgebenden »Ladies im Hotel« leben: »Die meisten Apartments und Einzelzimmer sind von alleinstehenden Damen bewohnt. Das sind meist Witwen (es gibt siebeneinhalb Millionen Witwen in den USA); im weniger günstigen Fall sind sie geschieden, und ein Häufchen Undefinierbarer lebt einfach nur getrennt.«499 Den Titel des Stücks entlehnen sie dem Gedicht »Sweeney Erect« von T. S. Eliot aus dem Jahre 1920.

Ein ganzes Jahr lang schreiben Dorothy und d’Usseau an ihrem Stück über Alkohol und Selbstmord, zerplatzte Träume und Galgenhumor, Einsamkeit und die verzweifelte Suche nach dem Sinn im Leben. Arnaud d’Usseaus Frau Susan, Designerin, Malerin und eine begnadete Köchin, sorgt für einen reibungslosen Tagesablauf. Sie stellt strenge Regeln auf: Tagsüber kein Alkohol! Erst nach Ende des angestrebten Tagespensums, wenn Dorothy und Misty zu den d’Usseaus zum Abendessen fahren, bekommt sie einen Drink – von Susan höchstpersönlich gemixt. Bei Dorothys üblichem Quantum stellt das fast einen Entzug dar. Um sie vom Trinken abzulenken, laden die d’Usseaus tagtäglich Freunde ein, die nach dem Essen mit Dorothy ihre geliebten Gesellschaftsspiele spielen. Dabei darf Dorothy unter Susans wachsamen Augen so geringe Mengen Alkohol zu sich nehmen, dass sie am nächsten Tag voll einsatzfähig ist. Sie lässt dies alles ohne Murren über sich ergehen. Ein paar Jahre später wird sie sich jedoch – wie immer – literarisch rächen und Susan d’Usseau in einer ihrer Kurzgeschichten als böse alte Schachtel porträtieren.

Mrs. d’Usseau übernimmt Alans Aufgaben. Sie setzt Dorothy auf Diät, sorgt für einen gesunden Lebenswandel und kleidet sie neu ein. Dies ist bitter nötig, denn seit Alan fort ist, hat Dorothy nicht nur die Wohnung, sondern auch sich selbst arg vernachlässigt. Wieder in Form, erinnert sie wieder an die schicke Mrs. Parker aus dem Algonquin, wenn auch mit etwas mehr Speck auf den Hüften. Susan d’Usseau meint es sicher gut, doch ihr langer Arm reicht nur bis zu den Arbeitstagen. Am Wochenende entzieht sich Dorothy ihrer Kontrolle und läuft zu Hochform auf, wenn es darum geht, das verpasste Quantum Alkohol nachzuholen. An diesen Tagen erscheint sie bei Freunden manchmal in einem derart derangierten Zustand, dass diese nicht nur um ihre Abendgesellschaften, sondern um Dorothys Leben fürchten.

Bei den d’Usseaus lernt sie Kate und Zero Mostel kennen, mit denen sie bald eine enge Freundschaft verbindet. Die hübsche Kate war vor ihrer Ehe Mitglied der legendären »Rockettes« der Radio City Music Hall. Ihr Mann, der in der Uraufführung von »Anatevka – Der Fiedler auf dem Dach« den Milchmann Tevje geben wird, ist als Hollywoodschauspieler auf der Schwarzen Liste gelandet, nachdem er sich geweigert hat, gegen Kollegen auszusagen. Am Broadway gibt es keine Schwarze Liste, und so ist Zero Mostel nach New York zurückgekehrt. Hier wird er, ausgezeichnet mit drei Tony Awards, einer der größten Broadwaystars aller Zeiten. Als Dorothy ihn kennenlernt, ist er davon jedoch noch weit entfernt und bringt seine Familie mit dem Verkauf von Bildern durch. Ob aus Mitleid oder Solidarität, den Mostels gegenüber benimmt sich Dorothy anders, als man es von ihr gewohnt ist. Sie, die im Leben nicht daran denkt, einer Gastgeberin Hilfe zu offerieren, deckt bei den Mostels freiwillig den Tisch und hilft beim Abwasch. Beides führt jedoch, wie bereits im Zusammenleben mit Alan, zu mehr oder minder kleinen Katastrophen und zu Kate Mostels Feststellung: »Sie war süß, aber vom Haushalt hatte sie keine Ahnung.«500 Dennoch ist ihr Benehmen so hervorragend, dass Kate Mostel viele Jahre später in ihren Erinnerungen schreibt: »Als ich sie zum ersten Mal traf, hatte ich etwas Angst. Wenn man all die vernichtenden Dinge gelesen hat, die Dorothy Parker zu oder über jemanden gesagt hat, dann hätte man verrückt sein müssen, um nicht Angst zu haben. Ich trat ein, in der Erwartung, eine Amazone anzutreffen (…), stattdessen begegnete ich einer Lady.«501 Wie sehr Dorothy Kate und Zero Mostel zugetan ist, zeigt nichts deutlicher als jener Spieleabend, an dem die Spieler Personen benennen sollen, die sie zu einer Dinnerparty einladen würden. Dorothy wählt nur berühmte, ihr völlig unbekannte Persönlichkeiten aus. Aufgefordert, doch zumindest einen Menschen aus ihrem Bekanntenkreis zu wählen, nennt sie ohne zu zögern Kate und Zero Mostel.

Ende 1952 ist »Ladies im Hotel« abgeschlossen. Wie immer hat Dorothy die Charaktere nach realen Vorbildern geformt. Die böse alte Mutter mit dem latent homosexuellen Sohn erinnern frappant an Hortense und Alan Campbell, die einsame Frau mit dem jüngeren Liebhaber könnte gut und gerne sie selbst sein, und die Alkoholikerin, die sich das Leben nimmt, ist ihr genauso wenig fremd wie die verbitterten Frauen, die sich gegenseitig das kleine Glück nicht gönnen. Es ist, so sagt Dorothy in einem Interview, ein Stück über Frauen und deren Abhängigkeit von Männern: »Man sollte ihnen viel besser beibringen, ohne Mann zu leben.«502 Etwas, worin sie selbst gar nicht gut ist.

Das Stück wird für Herbst 1953 am Broadway auf den Spielplan gesetzt. Die Rolle des jugendlichen Liebhabers Paul Osgood übernimmt ein noch unbekannter Schauspieler, der zum Weltstar aufsteigen wird: Walter Matthau. Noch während der Proben versucht der Intendant Dorothy davon zu überzeugen, den Schluss zu ändern. Ein Hit würde das Stück nur, wenn es einen versöhnlichen Schluss hätte. Für Dorothy, die nicht zuletzt im wahren Leben eine Spezialistin für tragische Schlüsse ist, eine schwierige Entscheidung. Leben wie die von ihr geschilderten haben nun mal kein Happy End. Auf der anderen Seite will sie den Erfolg. Es wird eine Gratwanderung zwischen diesen beiden Ansprüchen. Am Ende lässt sie ihre Hauptfigur Lulu gegen ihre innere Überzeugung sagen: »Es geht mir recht gut. Ich habe auch keine Angst. Wissen Sie, ich habe mich umgesehen und dabei gemerkt, dass es noch etwas Schlimmeres als Einsamkeit gibt – und das ist die Angst vor der Einsamkeit.«503

Am 21. Oktober 1953 findet im Longrace Theater die Premiere statt. Nach Ende der Vorstellung warten alle Beteiligten nervös und voller Spannung auf die Kritiken. Kurz nach Mitternacht werden am Times Square die ersten Zeitungen ausgeliefert. Die Kritiken sind durchwachsen. Während Amerikas einflussreichster Theaterkritiker George Jean Nathan »Ladies im Hotel« das beste Stück der Saison nennt, lässt die New York Times kein gutes Haar daran: »Alleinstehende Frauen in den mittleren Jahren sind pathetische und einsame Figuren. Das weiß jeder, dazu muss man nicht ins Theater gehen.«504 Das Stück sei eine Aneinanderreihung von Episoden, ohne roten Faden. Dorothy sei unbestritten eine großartige Dialogschreiberin und verfüge noch immer über den besten Witz in ganz Amerika, doch für ein Theaterstück fehle ihr einfach die Phantasie. Nach sechs Wochen wird das Stück mangels Zuschauern abgesetzt. Zurück bleibt eine enttäuschte Dorothy, die dennoch hinter ihrem Stück steht: »Ich habe an diesem Stück sehr gern gearbeitet, einmal, weil die Mitarbeit von Mr. d’Usseau so anregend war, aber auch deshalb, weil dieses Schauspiel die einzige Leistung ist, auf die ich richtig stolz bin.«505 Abgesehen von den herrlichen Dialogen ist das Stück angesichts Millionen alter Menschen in Seniorenresidenzen und Altenheimen, die versuchen, einem letzten Lebensabschnitt Würde und Sinn zu verleihen, von bestechender Aktualität.

Der große Erfolg ist wieder einmal ausgeblieben. Doch Dorothy versucht schon gemeinsam mit d’Usseau ein neues Stück zu entwickeln. »The Ice Age« handelt von einem schwachen jungen Mann, der, unglücklich verheiratet, von seiner Mutter dominiert wird. Wieder einmal ganz unzweifelhafte Reminiszenzen an Hortense und Alan Campbell. Die Hauptfigur des Stückes, Gordon Corey, arbeitet in einem Kunstmuseum und wird von seinem sadistischen homosexuellen Chef verführt. Als die Ehefrau die Affäre entdeckt, verlässt sie ihn mitsamt den Kindern. Als Gordon kurz darauf das wahre Gesicht seines Geliebten erkennt, erschlägt er diesen mit einer Marmorstatue. Es fällt auf, wie häufig Homosexualität in ihren Texten thematisiert wird und wie unsicher und oft auch unsensibel Dorothy dabei ist. Die Tatsache, dass nicht zuletzt durch ihre eigenen Verdächtigungen Alan im Ruf steht, schwul zu sein, scheint sie mehr zu beschäftigen, als sie sich eingesteht. Ihr Selbstwertgefühl als Frau scheint tief verletzt zu sein. Obwohl sie viele schwule Freunde hat, werden und wurden diese immer wieder Zielscheibe ihres Spotts. In Geschichten wie »Aus dem Tagebuch einer New Yorker Lady« macht sie sich seitenlang über tuntenhafte Männer lustig. Entnervt von der hohen Präsenz Homosexueller in Künstlerkreisen, schreibt sie in ihrem Gedicht »From a Letter From Lesbia«: »Nimm dir jeden Lover, den du willst, außer einen Dichter. Die sind alle schwul.«506 Doch auch wenn sie selbst durchaus ambivalente Gefühle gegenüber Homosexuellen hat, hatte und hat sie unter ihnen viele Freunde.

Parker und d’Usseau beweisen mit dieser Stoffauswahl durchaus Mut. Ein derart provokantes Stück ist Ende der 1950er Jahre kaum bühnentauglich. Dennoch erwirbt im Herbst 1955 der Produzent Robert Whitehead für 1500 Dollar eine Option auf »The Ice Age«. Dorothy ist hoch erfreut. Doch die Option ist mehr seiner Verehrung für Dorothy geschuldet als seinem Vertrauen in das Stück. Es wird weder von Whitehead noch von sonst irgendjemandem jemals produziert. Dies ist das Ende ihrer Zeit mit d’Usseau. Die Zusammenarbeit endet ebenso wie die Ehe von Susan und Arnaud. Der politische Druck, der auf der Ehe der d’Usseaus lastet, nachdem beide vor dem HUAC ihre Aussage verweigern, ist zu groß. Sie gehen auseinander, und damit trennen sich auch die Wege von Dorothy Parker und Susan und Arnaud d’Usseau.

Noch während ihrer Arbeit an »The Ice Age« ist eine neue Kurzgeschichte entstanden, die im Januar 1955 im New Yorker erscheint: »I Live on Your Visits«. Es ist ihre erste Kurzgeschichte seit sieben Jahren, und sie verarbeitet darin einmal mehr ihr Schwiegermuttertrauma. Die Geschichte erzählt von einer geschiedenen Alkoholikerin, deren einziger Lebensinhalt die Besuche ihres Sohnes sind.507 Von der Thematik her entspringt »I Live on Your Visits« ebenso wie ihre nächste Geschichte »Lolita« den »Ladies im Hotel«. Es scheint, als wären ihre Protagonistinnen mit ihr gealtert. Aus den jungen Stenotypistinnen mit den falschen Erwartungen sind verbitterte ältere Frauen geworden, die ihre Einsamkeit mit ihren Kindern zu kompensieren versuchen und in ihrem Egoismus so weit gehen, das Glück ihrer Kinder zu zerstören. So gönnt in »Lolita« eine Mutter ihrer unscheinbaren Tochter das Glück nicht, einen reichen gutaussehenden Mann zu heiraten.508 Für »Lolita« wählt Dorothy zum ersten Mal eine narrative Erzählform, nimmt Abstand davon, eine Geschichte über den Dialog zu entwickeln: »Ihre Bauart soll ausschließlich kommentierenden Charakter haben. Ich halte die kommentierenden Stories für besser, obwohl ich in meinen eigenen Stories früher auch immer nur die Leute habe reden lassen. Mir geht jegliches optische Talent ab. Ich kann viel besser akustisch auffassen. Aber ich werde mich nicht mehr auf ›Er sagte‹ und ›Sie sagte‹ einlassen, das ist vorbei, ein für allemal vorbei. Ich möchte eine Story schreiben, deren Effekt mit puren erzählerischen Mitteln erzielt wird, und wenn ich dabei auch riskiere, dass man mich wegen Mietverzugs aus der Wohnung schmeißt – diese Story werde ich schreiben.«509

Sie tut es – ein einziges Mal. Treu bleibt sie dieser Erzählform nicht. Bereits ihre nächste Geschichte, »The Banquet of Crow«, folgt wieder dem alten bewährten Muster des Dialoges. Zwei Jahre werden dafür ins Land gehen. Im Dezember 1957 wird die Geschichte im New Yorker erscheinen und von einer verlassenen Ehefrau handeln, die sich daran klammert, dass der Auszug ihres Mannes Symbol einer männlichen Menopause ist und er nach Ablauf derselben reumütig zurückkehren wird.510 Als Vorbild für Maida und Guy Allen dienen ihr die d’Usseaus. Susan d’Usseaus Alter Ego wird als unverbesserliche Heulsuse geschildert, die völlig realitätsfremd durchs Leben tappt und ob ihrer Jammerorgien von allen Freunden gemieden wird. Keine besonders nette Beschreibung für jene Frau, von der sie einst in ihrem Haus bekocht wurde – wohl eher eine späte Rache dafür, dass Susan d’Usseau ihr einst den Alkohol verweigert hat.

Dass sie so lange braucht, um eine neue Kurzgeschichte zu schreiben, hängt mit den vielen Projekten zusammen, die sie in der Zwischenzeit annimmt. Lillian Hellman hat ein Libretto für eine komische Operette verfasst, basierend auf Voltaires Roman Candide oder der Optimismus. Die Musik stammt von Leonard Bernstein. Autoren wie Richard Wilbur, James Agee und John Latouche haben Liedtexte beigesteuert, und nun soll auch Dorothy ran. Betrachtet man die prominenten Namen, die hier zusammenarbeiten, muss »Candide« ein Riesenerfolg werden. Doch zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Hellman schreibt mehrere Librettoversionen, ehe sie zufrieden ist, und Leonard Bernstein mischt sich in alles ein. In Dorothys Erinnerung glaubte er, »alles selber tun zu müssen und alles besser zu können als alle anderen, was sicher der Fall war, nur eben nicht bei den Liedtexten. Die Idee dahinter war, so glaube ich zumindest, Voltaire irgendwie zu belassen, aber das hat nicht geklappt. Zum Schluss wurden wir aber doch noch alle gute Freunde, außer John Latouche, der ist gestorben.«511

Am Ende wird Dorothys ganzer Beitrag zu »Candide« der Text zu einem einzigen Lied sein, »The Venice Gavotte«:

Old Lady: I’ve got troubles, as I said:

Mother’s dying, Father’s dead.

All my uncles are in jail.

Candide:   It’s a very moving tale.512

»Candide« wird am 1. Dezember 1956 im Martin Beck Theater in New York auf die Bühne gebracht und schließt bereits nach 73 Vorstellungen. Immerhin erobert Bernsteins Musik zu »Candide« die Konzertsäle dieser Welt. Zwanzig Jahre später läuft eine überarbeitete Musicalversion am Broadway an. Sie wird zum Publikumsrenner und mit drei Tony Awards ausgezeichnet.

Nach der Aufregung um »Candide« gönnt sich Dorothy eine kleine Auszeit. Erst im Januar 1957 erscheint in der New York Times wieder einmal eine Buchrezension. Sie bespricht Sid Perelmans neues Buch The Road to Miltown. Unmittelbar nach Erscheinen des Textes wird sie vom Männermagazin Esquire unter Vertrag genommen. Sie kennt Arnold Gingrich, Gründer und Herausgeber des Esquire, seit Langem und schätzt ihn sehr. War er doch einer der wenigen, die bis zuletzt Geschichten von F. Scott Fitzgerald veröffentlicht hatten. Das rechnet sie ihm hoch an. Mit Freuden übernimmt sie die dortige Literaturkolumne. Für das Magazin, das vor allem berühmt ist für seine Pin-up-Bilder, die während des Zweiten Weltkrieges sogar die Spitzen der amerikanischen Jagdbomber zierten, ist die Verpflichtung einer so angesehenen Autorin wie Dorothy Parker ein riesiger Imagegewinn. Allerdings gibt es auch Leser, die sich darüber mokieren, dass Gingrich eine Kommunistin in seiner Zeitung schreiben lässt. Die Redaktion erhält bitterböse Leserbriefe, doch Gingrich stellt sich ohne Zögern hinter seine neue Kolumnistin. Für Dorothy bedeutet dies zum ersten Mal seit Langem wieder ein festes Einkommen. Sie startet mit 600 Dollar im Monat und steigert sich im Laufe der Zeit auf 750 Dollar. Dabei ist sie bemüht, ihrem Ruf nicht zu entsprechen und fleißig zu arbeiten, doch ihre schlechten Angewohnheiten legt sie auch im Alter nicht mehr ab. Abgabetermine bereiten ihr nach wie vor schlaflose Nächte, können und wollen von ihr einfach nicht eingehalten werden. Mehr als einmal schickt die Redaktion einen Laufburschen ins Volney, um Mrs. Parker an ihre Pflichten zu erinnern. Ihre hartnäckige Weigerung, Fristen einzuhalten, amüsiert ganz New York, nur nicht Arnold Gingrich.

Dennoch wird sie es im Laufe ihrer fünfjährigen Tätigkeit beim Esquire auf 46 Kolumnen bringen – ein enormes Arbeitspensum für jemanden, dessen Arbeitseinsatz so sehr von der Tagesform abhängig ist. Gingrich hingegen würde gern noch viel mehr von ihr drucken: Kurzgeschichten, Gedichte, Essays. Er ist dankbar für alles, was sie ihm liefert. Doch er macht dieselben Erfahrungen wie all ihre Verleger: außer blumigen Versprechungen – nichts. Je mehr sie schreiben soll, umso weniger fällt ihr ein. Dann sitzt sie stundenlang vor ihrer Schreibmaschine, ohne ein einziges Wort zu schreiben. Der Beruf wird ihr zur Qual, sie wird von wochenlangen Schreibblockaden gequält. Wenn sie es allerdings schafft, ihre Schreibmaschine in Gang zu bringen, dann entstehen Kritiken, die denen des »Constant Reader« im New Yorker in nichts nachstehen. Noch immer sind sie höchst subjektiv, manchmal sogar ungeheuer wütend, wie im Fall von Sheilah Grahams Buch F. Scott Fitzgerald – meine große Liebe, in dem sie Dinge über Scott und Zelda schreibt, die Dorothy so empören, dass sie ihre Leser auffordert, »sich zu setzen und daran zu denken, wie Miss Graham und ihr Co-Autor [Gerald Frank] freudig den Judaslohn von 30 Silberlingen unter sich aufteilen«.513 Doch selbst in der größten Entrüstung versucht sie gewichtige Argumente für ihr Urteil zu finden. Jedes Wort ist wohl überlegt, sie fühlt sich den Autoren ebenso verpflichtet wie den Lesern.

Es fällt ihr jetzt noch schwerer, ihren eigenen Ansprüchen zu genügen, als früher. Ihre Kräfte schwinden. Sie ist 65 Jahre alt, alt genug, um sich zur Ruhe zu setzen. Doch das kann sie sich nicht leisten. Das viele Geld, das sie verdient hat, ist ihr unter den Fingern zerronnen, draufgegangen für Reisen, Kleidung, Alkohol und Männer. Und eine gute Geschäftsfrau ist Dorothy nie gewesen. Die geschäftstüchtigste Entscheidung ihres Lebens ist es, Leah Salisbury als Agentin einzustellen. Diese sorgt nun dafür, dass Geld in die Kasse kommt. Jeder, der Dorothy Parker von nun an zitiert – und das sind nicht wenige –, muss Tantiemen abführen oder zumindest eine Abdruckgenehmigung einholen. Es gelingt ihr sogar, dem berühmten französischen Regisseur René Clair für 4000 Dollar die Filmrechte an der Kurzgeschichte »Here We Are« zu verkaufen. Andere Verträge scheitern jedoch schon im Vorfeld. So zum Beispiel die Mitarbeit an einer Biografie von Schauspielerin Ethel Barrymore, die Dorothy noch vom Round Table kennt. Der Vertrag für eine Autobiografie bei Doubleday kommt zwar zustande, enthält aber eine Klausel, wonach das Honorar nur nach der Ablieferung von Manuskriptseiten ausbezahlt wird. Kein Verleger, der rechnen kann, zahlt noch Vorschüsse an Dorothy Parker. Zu Recht, wie sich zeigt: Sie wird niemals auch nur eine Seite ihrer Autobiografie abliefern. Ihre Unzuverlässigkeit übertrifft ihren Ruhm bei Weitem. Die Zeiten, in denen Verleger um der Ehre willen, mit der berühmten Dorothy Parker ein Buch zu machen, großzügig darüber hinwegsahen, sind vorbei. Geprellte Verleger raten ihren Kollegen dringend von einer Zusammenarbeit mit ihr ab.

Sie wird den »Ladies im Hotel« nun immer ähnlicher, lebt sehr zurückgezogen, einzig Bea Stewart, die seit ihrer Scheidung an der Upper East Side lebt und nun wieder Bea Ames heißt, schaut manchmal auf einen Drink herein. Sie muss haushalten, die Zeiten, in denen sie auf großem Fuß leben konnte, sind vorüber. Doch auch in dieser Situation bleibt sie ganz Dame und erklärt ihrer Freundin Kate Mostel, wie wichtig gerade in Notzeiten ein Kredit bei Tiffany’s sei. »Sobald du etwas Geld hast, musst du dir sofort eine Kundenkarte von Tiffany’s besorgen, dann kriegst du auch in allen anderen Geschäften Kredit.«514

Ihre engste Vertraute in diesen Jahren ist Lillian Hellman, die sich mit Dashiell Hammett auf Martha’s Vineyard niedergelassen hat und Dorothy ab und an mit dem Wagen abholt. So zum Beispiel am St. Patrick’s Day 1957. An diesem Tag unterhält sie Hellman aus gegebenem Anlass mit bösen Witzen über die Iren: »Dorothy war ja halb irisch und halb jüdisch, und manchmal war sie sehr anti-jüdisch und manchmal sehr anti-irisch. Heute war sie anti-irisch. Die Flüche, die aus ihrem Mund kamen, hatten eine erstaunliche Bandbreite und einen erstaunlichen Umfang. Man kann schlecht fahren, wenn man die ganze Zeit lachen muss, und je mehr ich lachte, umso zorniger wurde sie auf die Iren. Als wir auf den Parkplatz fuhren, waren diese sogar für Hitlers Holocaust verantwortlich.«515 In Martha’s Vineyard angekommen, ist Dorothys Abneigung gegen die Iren so gestiegen, dass Hellman statt eines St. Patrick’s Dinners ein St. Justin’s Dinner kochen muss, um sie zu besänftigen.

Dashiell Hammetts Abneigung gegen Dorothy bleibt unverändert. Wann immer sie das Haus betritt, verschwindet der Schriftsteller und kehrt erst zurück, wenn sie weg ist. Als er schwer an Lungenkrebs erkrankt und das Haus nicht mehr verlassen kann, wird Dorothy bei ihren Besuchen in einem nahe gelegenen Gasthaus einquartiert. Sobald Hammett zu Bett gegangen ist, kommt sie zum Abendessen rüber. Für Lillian Hellman bedeutet dies zwei Abendessen pro Abend und eine Menge Aufwand. Erst nach Hammetts Tod 1960 kann Dorothy das Haus wieder uneingeschränkt betreten.

Dorothy Parker ist nun in einem Alter, in dem man Preise für sein Lebenswerk erhält. Am 30. April 1958 wird ihr vom National Institute of Arts and Letters der Marjorie Peabody Waite Award verliehen. Zu ihrem großen Vergnügen ist der Preis mit 1000 Dollar dotiert. Ansonsten bewegt sie die Ehre wohl nicht allzu sehr, sie vergisst sogar, die Annahme des Preises schriftlich zu bestätigen. Erst als Freunde sie diskret darauf hinweisen, dass dies durchaus Usus sei, schreibt sie an den Vorsitzenden des Institutes, Malcolm Cowley: »Seit ich durch Ihren Brief erfahren habe, dass ich den Marjorie Peabody Waite Award erhalten werde, befinde ich mich in einem Zustand glückseliger Apathie und bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, mich bei Ihnen zu melden. Liebe Freunde haben mich nun darauf hingewiesen, dass man in so einem Fall zurückschreiben muss, ob man den Preis annimmt. Mr. Cowley – guter Gott, ja!«516

Die Preisverleihung wird ein unvergesslicher Abend. Als sie auf die Bühne geht, um den Preis entgegenzunehmen, erheben sich die Anwesenden zu Standing Ovations. Noch nie zuvor in der Geschichte des Instituts hatte es das gegeben. Bei der Preisverleihung lernt Dorothy Elizabeth Ames kennen, die den Marjorie Peabody Waite Award zum Gedenken an ihre Schwester gestiftet hat. Elizabeth Ames ist die Geschäftsführerin der berühmten Künstlerkolonie Yaddo in der Nähe von Saratoga Springs. Seit 1926 steht das 1,6 km2 große Gelände amerikanischen Künstlern für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung, um ihnen innerhalb eines sozial und atmosphärisch unterstützenden Umfeldes ungestörtes kreatives Arbeiten zu ermöglichen. Die Finanzierung der Aufenthalte erfolgt durch eine von einem reichen New Yorker Wallstreet-Magnaten ins Leben gerufene Stiftung. Zu den Stipendiaten gehören im Laufe der Jahre Künstler aus den verschiedensten Sparten wie Robert de Niro, Silvia Plath, Leonard Bernstein, Philip Roth oder Jonathan Franzen. Truman Capote hatte hier seinen ersten Roman Andere Stimmen, andere Räume geschrieben und Patricia Highsmith 1948 mit Zwei Fremde im Zug den Grundstock zu ihrem Weltruhm gelegt. Aus Dankbarkeit setzt sie später die Yaddo-Stiftung als Haupterbin ihres Vermögens ein.

Elizabeth Ames lädt Dorothy nach Yaddo ein. Diese ist zunächst begeistert, doch bald kommen ihr Zweifel. Saratoga Springs ist nicht New York City und Yaddo nicht das Volney. Zudem sind Hunde dort nicht erlaubt, und von ihrem neuen Pudel Cliche trennt sie sich nur ungern. Ihr ist nicht ganz wohl bei der Sache, aber sie fährt. Im September 1958 bezieht sie für zwei Monate ein Zimmer in der Künstlerkolonie. Schon bei ihrer Ankunft stellt sie fest, dass das große viktorianische Haus zwar wunderschön idyllisch gelegen und von intellektueller Atmosphäre geprägt ist, aber ebenso wie seine Bewohner stinklangweilig. Die berühmten Gärten von Yaddo, angelegt nach klassisch italienischem Vorbild, deprimieren Dorothy total. Und die vier Seen, die das Stifterehepaar Trask zum Gedenken an ihre vier verstorbenen Kinder anlegen ließ, heitern sie auch nicht auf. Einziger Lichtblick ist Morton Zabel, Literaturprofessor der Universität Michigan, mit dem sie über die übrigen Gäste lästert. Als Zabel nach einigen Wochen abreist, fühlt sie sich vollkommen allein. Sie schließt sich in ihr Zimmer ein und vermeidet es tunlichst, die anderen Bewohner zu treffen. An Zabel aber schreibt sie: »Bezüglich Yaddo – nun, hier steht es wahrlich nicht zum Besten. Es regnet Tag und Nacht und das macht es keineswegs angenehmer hier. (…) Es gibt zwei Neuzugänge, die vom Boden der Tonne abgekratzt worden sind, und ich befürchte, dass meine Krankheit, die mich dazu veranlasst, auf dem Zimmer zu bleiben, nicht allein auf Bakterien zurückzuführen ist.«517 Als sie im November 1958 nach Hause fahren kann, ist sie überglücklich.

Zumindest aber hat sie die Zeit genutzt, um eine neue Geschichte zu schreiben. Es ist die Geschichte einer alleinstehenden armen Sekretärin, die von einer reichen Dame ab und an zur Cocktailstunde gebeten wird. Während sich die Sekretärin vordergründig dankbar und bescheiden gibt, lässt sich die Hausherrin bewundern. Später zeigt sich, dass die Sekretärin voller Hass ist und die reiche Dame schrecklich einsam. Sie würde liebend gerne mit ihrer armen Freundin tauschen, während diese das sinnentlehrte Leben ihrer reichen Gönnerin nicht geschenkt möchte.518 Es ist ihre letzte Kurzgeschichte. Mit »The Bolt Behind the Blue« beendet sie 1958 ihre Karriere als Schriftstellerin. Der New York Times erzählt sie: »Mir fällt nichts mehr ein. Vor Kurzem habe ich versucht, eine Geschichte zu schreiben. Ich setzte meinen Namen und meine Adresse auf ein Blatt Papier, dann schrieb ich einen völlig blöden Titel und den ersten Satz: ›Der Fremde erschien in der Tür.‹ Dann musste ich mich hinlegen, mit einem nassen Lappen auf meinem Gesicht.«519

Unmittelbar nach ihrer Rückkehr nimmt sie an einem zweitägigen Symposion im Writers Club der Columbia Universität in New York teil – 1500 Dollar Gage sind ein gutes Argument, um zwei Tage zu arbeiten. Erwartet wird von ihr dafür eine Rede über die Rolle der Schriftsteller in Amerika. Neben ihr sitzen drei junge Intellektuelle auf dem Podium: der Schriftsteller Saul Bellow, der Fotograf und Autor Wright Morris und der Literaturkritiker Leslie Fiedler. Besonders Morris und Fiedler sind Polemiker, deren Kritik sich vor allem gegen die etablierte Kulturszene richtet, die Schriftsteller durch Preise und Stipendien zu korrumpieren und vereinnahmen sucht. Sie üben scharfe Kritik daran, wie ein auf Profit getrimmtes konsumorientiertes Amerika mit seinen Autoren umgeht. Auch wenn Dorothy über Jahre hinweg oft selbst heftig Kritik an der amerikanischen Gesellschaft geübt und die Situation ihrer Kollegen oftmals als prekär erkannt hat, stört sie dieses Wehgeschrei der Jungen. Dies hat weniger damit zu tun, dass sie als preisgekrönte Autorin selbst Teil des etablierten Kulturbetriebes ist, als mit ihrer Auffassung vom Schreiben. Zu Beginn ihrer Rede entschuldigt sie sich deshalb bei den Anwesenden dafür, leider nicht ganz so intellektuell zu sein wie ihre Mitstreiter. Im Gegensatz zu den echten Künstlern hier auf dem Podium sei sie nur eine einfache Arbeiterin, deren Arbeit eben das Schreiben sei: »In meinen Augen ist die Aufgabe eines Schriftstellers ganz einfach das Schreiben. Ich finde, ein Schriftsteller ist in erster Linie ein Arbeiter, und da gibt es keinen Unterschied zu anderen Arbeitern. Deshalb, denke ich, hat er kein Recht, auf irgendjemanden herabzuschauen, genauso wenig wie er zu irgendjemandem hinaufschauen muss. Ein Schriftsteller muss immer um sich herum blicken.«520 Schreiben als Verpflichtung, nicht zur reinen Selbstverwicklichung: »Für mich gibt es nur zwei Arten von Schriftstellern – schlechte und gute.«521 Nachdem sie dies in ihrer unnachahmlichen Art hat verlauten lassen, lehnt sie sich zurück und schweigt für den Rest des Abends beharrlich. Das Publikum liegt ihr zu Füßen. Mit nur wenigen Worten hat sie den zornigen Jungen die Schau gestohlen. Am Ende des Abends ist sie umringt von Autogrammjägern. Dass Saul Bellow 1976 den Literaturnobelpreis bekommen wird, hätte an diesem Abend wohl viele überrascht.

Im Februar 1959 absolviert sie ihren ersten Fernsehauftritt. Zusammen mit Norman Mailer und Truman Capote tritt sie in der Sendung »Open End« auf. Sie mag Mailer nicht, und auch er begegnet ihr durchaus mit Vorsicht: »Sie konnte ganz sanft sein, dich über den grünen Klee loben und war dennoch so heimtückisch wie ein Skorpion.«522 Einige Jahre zuvor hatten die beiden in Hollywood ein eher unschönes Aufeinandertreffen. Dorothy hatte damals einen neuen Hund namens Flic, ein scheuer und ängstlicher Boxer. Norman Mailer, der es mit nur 26 Jahren durch seinen 1948 veröffentlichten Roman Die Nackten und die Toten zu Weltruhm gebracht hatte, schlug ihr damals vor, Flic mit seinem deutschen Schäferhund Karl zu konfrontieren. Sollte Flic dieser Begegnung standhalten und sollten die beiden Freunde werden, würde dies Flic Selbstvertrauen geben. Dorothy war skeptisch, ließ sich aber darauf ein. Das Zusammentreffen der beiden Hunde wurde zum Fiasko. Karl stürzte sich mit vollem Körpereinsatz auf Flic und war nur durch allergrößte Kraftanstrengung seitens Mailers davon abzuhalten, den Boxer in der Luft zu zerreißen. Flic stand völlig unter Schock und war von da an noch nervöser als zuvor. Dorothy war schrecklich wütend auf Mailer, und als sie ihn jetzt nach all den Jahren zum ersten Mal wiedersieht, kommt sie nicht umhin, ihn daran zu erinnern, dass er ihren Hund einst zu Tode erschreckt hat.

Truman Capote hingegen schätzt sie sehr, und so ist sie gespannt auf diesen Fernsehauftritt. Doch es wird kein Erfolg. Die Sendung, die keiner begrenzten Sendezeit unterliegt, sondern so lange läuft, bis entweder der Moderator oder seine Gäste müde sind, dauert zwei Stunden, von denen Dorothy die meiste Zeit schweigt. Sie fühlt sich sichtlich unwohl, ist für einen Fernsehauftritt falsch gekleidet und viel zu stark geschminkt. Als sie sich später selbst auf dem Bildschirm sieht, ist sie entsetzt. Telegen ist sie bei ihrem ersten Auftritt wirklich nicht, dennoch hinterlässt sie einen starken Eindruck. Denn auf die Frage des Moderators David Susskind, was sie an den USA am meisten störe, nennt sie ohne zu zögern Ungerechtigkeit, Intoleranz, Dummheit und allem voran die Rassentrennung.523 Damit rennt sie bei David Susskind, der sich nicht scheut, in seiner Sendung brisante politische Themen anzupacken und in den 1960er Jahren zur besten Sendezeit Nikita Chruschtschow interviewt, offene Türen ein.

Kurz darauf wird sie zum Mitglied des National Institute of Arts and Letters ernannt. Eine Mitgliedschaft, um die man sich nicht bewerben kann, sondern die verliehen wird. Es ist eine große Ehre, hier dabei zu sein. Zusammen mit ihr werden zwei weitere Schriftstellerinnen aufgenommen, die sie seit Jahren bewundert: Janet Flanner und Djuna Barnes. Beide hatten in Paris zu den Frauen der Left Bank um Gertrude Stein gehört und genießen einen legendären Ruf. Dass Dorothy Parker zwei schreibende Frauen bewundert, ist eher die Ausnahme. Außer von Carson McCullers hält sie nicht gerade viel von ihren schreibenden Geschlechtsgenossinnen: »Für junge Damen, welche die Phantasie bemühen – die Damen Baldwin, Ferber und Norris beispielsweise –, für diese Damen bringe ich keinerlei Sympathie auf, nein, nicht für zwei Pfennige Sympathie. Was sie fabrizieren, das ist – unter künstlerischem Aspekt – Schund, und dabei sind sie produktiv wie eine Ölquelle; ein Erguss nach dem anderen. (…) Ich bin gewiss für das Frauenrecht; ich bin bestimmt nicht ungerecht gegen die Mitglieder meines Geschlechts. Bitte denken Sie daran, dass ich schon zu der Zeit, als die Stadt hier noch vor Büffelherden zitterte, die Gleichberechtigung der Frau proklamiert habe. Aber damals, als wir, vom Pfeifkonzert der Männer begleitet, losmarschierten und an Laternenmasten hochkletterten, um die Emanzipation zu erzwingen, da rechneten wir nicht mit dieser Sorte von Schreibtischlerinnen.«524

Das National Institute of Arts and Letters führt sie unter der Rubrik Satirikerin, eine Bezeichnung, die sie eigentlich nicht mag: »Hätte man mich auch noch ›Satiriker‹ getauft, also das hätte mir den Rest gegeben«, hat sie einmal gesagt. »Unter Satirikern verstehe ich unsere Freunde aus den vergangenen Jahrhunderten. Wer sich heute Satiriker nennt, macht witzige Bemerkungen zu Tagesereignissen und hält sich dann für etwas, was er nicht ist: für einen Satiriker nämlich.«525 Doch sie hält sich zurück, lässt kein Wort der Kritik verlauten, sondern freut sich wie eine Schneekönigin über ihre Ernennung. Was sie den Verantwortlichen diesmal auch umgehend mitteilt: »Meine Schreibmaschine kann es gar nicht erwarten, Ihnen zu schreiben, wie geehrt ich mich fühle, ein Mitglied des National Institute of Arts and Letters zu werden. Damit hätte ich niemals gerechnet. Jetzt, da mir diese Ehre zuteil wird, ist alles Leben aus mir gewichen. Ich kann nur sagen – ich werde mein Bestes tun, eine gute Königin zu sein.«526

Am Tage ihrer Aufnahme, dem 21. Mai 1959, ist Dorothy so nervös, dass sie Zuflucht bei ihren alten Freunden sucht: Haig & Haig Whiskey. Sie tankt dermaßen, dass sie sich nur mit Mühe von ihrem Platz erheben und ihre Dankesrede sprechen kann, die aus nur einem einzigen Satz besteht. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe.« Dann wankt sie von der Bühne und fällt komatös in ihren Sitz. Lange Zeit wirkt sie völlig weggetreten, erst während des Hauptvortrags des Kunsthistorikers Meyer Schapiro über abstrakte Malerei kehren ihre Lebensgeister zurück. Erneut versucht sie sich aufzurichten, um ihre bewegenden Dankesworte noch einmal zu sprechen. Sitznachbarn wie Thornton Wilder haben alle Hände voll zu tun, sie davon zu überzeugen, dass es übertrieben wäre, noch einmal auf die Bühne zu marschieren und zu sagen: »Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe.« Zur allgemeinen Erleichterung richtet sich bald alle Aufmerksamkeit auf Marilyn Monroe, die am Arm ihres Ehemanns, des Dramatikers Arthur Miller, erscheint.527

Ihren Noch-Ehemann sieht sie in jenen Jahren selten. Wahrlich kein Fehler, denn sobald die beiden aufeinandertreffen, beginnen die Streitereien von Neuem. Alan ist in Hollywood geblieben und lebt bescheiden, unterstützt von Freunden und seiner Mutter Hortense, die noch immer in Bucks County lebt. Seine Hoffnung, nach Ende der McCarthy-Ära wieder als Drehbuchautor Fuß zu fassen, hat sich nicht erfüllt. Ohne Dorothy ist er für die Filmindustrie nicht interessant. Wenn er in New York ist, schaut er manchmal auf einen Sprung im Volney vorbei. Bei einem dieser Besuche wird er von einem jungen Kollegen begleitet: Wyatt Cooper. Dieser schreibt nach seiner ersten Begegnung mit Dorothy: »Es war schmerzlich, diese Entfremdung zwischen zwei Menschen, die auf ewig miteinander verbunden schienen, zu beobachten. Die Einsamkeit und Schuldgefühle, die zwischen ihnen herrschten, waren fast physisch spürbar. Sie sprachen in kurzen, gekünstelten, aber höflichen Worten miteinander. Dazwischen herrschte peinliches Schweigen. Und dennoch war eine Zärtlichkeit spürbar, die Trauer um alte Gefühle und der Widerwille, einander loszulassen.«528

Um der Karriere willen raufen sie sich kurz darauf noch einmal zusammen. Im Frühjahr 1961 erhält Dorothy von ihrem alten Freund Charles Brackett, dem neuen Chef von 20th Century Fox, das Angebot, an einem Drehbuch über das französische Theaterstück »The Good Soup« mitzuwirken. Sie kennt Brackett noch aus seiner Zeit als Theaterkritiker beim New Yorker. Inzwischen hat er als Co-Autor von Billy Wilder und Autor von Kassenknüllern wie »Ninotschka« und »Sunset Boulevard« in Hollywood Karriere gemacht und ist ein mit vier Oscars ausgezeichneter Drehbuchautor. Dass Brackett ausgerechnet sie bittet, für ihn zu schreiben, ist eine große Ehre. Ihr Partner soll, ganz wie in alten Zeiten, Alan sein. Dieser braucht den Job dringend und bekniet Dorothy, zurück nach Hollywood zu kommen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Vertrag mit 20th Century Fox entweder mit Dorothy zustande kommt oder gar nicht. Die Entscheidung, Dorothy und Alan zu engagieren, ist mutig von Brackett. Zum einen engagiert er damit zwei Autoren von der Schwarzen Liste, zum anderen ist Dorothys Unzuverlässigkeit legendär. Dazu kommt, dass viele sich noch gut an die lautstarken Auseinandersetzungen des Ehepaars Campbell erinnern können.

Ausschlaggebend für Dorothys Zusage, noch mal in das verhasste Hollywood zu ziehen, ist schließlich, dass die Hauptrolle des Films mit Marilyn Monroe besetzt werden soll. Dorothy bewundert den größten Hollywoodstar dieser Jahre über die Maßen und sieht es als Herausforderung an, dieser unglaublichen Frau eine Rolle auf den Leib zu schreiben. Diesmal soll der Umzug nach Hollywood allerdings kein Abschied von New York sein. Sie behält ihr Apartment im Volney.

Als Dorothy Ende März 1961 in Los Angeles eintrifft, zieht sie in Alans Bungalow 8983 Norma Place, West Hollywood. Norma Place ist eine schicke Wohngegend. Benannt ist sie nach dem ehemaligen Stummfilmstar Norma Talmadge, die hier lebte und die Billy Wilder als Vorbild für seinen abgehalfterten Star Norma Desmond in »Sunset Boulevard« diente. Heute nahezu vergessen, war Norma Talmadge neben Mary Pickford einer der größten US-Stummfilmstars. Als sie 1957 starb, hinterließ sie ein Vermögen von mehr als 1 Million US-Dollar. In Norma Place kennen sich die Nachbarn, man hilft sich und trifft sich zur Cocktailstunde. Dass verhältnismäßig viele Homosexuelle hier leben, bestärkt nicht nur Dorothy in ihrem alten Verdacht gegen Alan. Obwohl die Gegend von berühmten Zeitgenossen wie Dorothy Dandridge und Judy Garland frequentiert wird, ist Dorothy Parker die berühmteste Bewohnerin von Norma Place. Zu ihrer Begrüßung stehen die Nachbarn mit Blumensträußen bereit, was in ihr die Vermutung aufkeimen lässt, Alan habe ihre Rückkehr als private Wiedervereinigung des ehemaligen Traumpaares verkauft. Sie ärgert sich so darüber, dass sie die Blumensträuße umgehend in die Mülltonne feuert.

Dorothy, die sich mittlerweile an ihr Singleleben gewöhnt hat, bezieht mit ihrer Schreibmaschine ein eigenes Zimmer. Obwohl sie ihre Privatsphäre vermisst, kommen die beiden sowohl beruflich als auch privat erstaunlich gut miteinander klar. In Wyatt Cooper, der ganz in der Nähe wohnt, finden sie einen neuen Freund, der im Notfall vieles ausgleichen kann und der sie jeden Morgen im Wagen mit zur Arbeit nimmt. Er tut sein Bestes, um ihr merkwürdiges Verhältnis zu verstehen: »Man sagt ja oft über Ehepaare, dass sie weder miteinander noch ohne einander können, und auf Dottie und Alan traf das zweifellos zu. Sie waren zwei der bezauberndsten Menschen der Welt und passten so gut zueinander. Vielleicht zu gut. Ihre Verbindung war außergewöhnlich und unglaublich eng. Sie identifizierten sich stark miteinander, aber sie standen sich eben auch feindlich, ängstlich und bitter gegenüber.«529

Im Juli 1961 erfährt sie, dass Ernest Hemingway sich erschossen hat. Wieder einer weniger. Jahre später wird sie, kurz vor ihrem eigenen Tod, ihre Freundin Bea Ames fragen: »Ich möchte, dass du mir die Wahrheit sagst. Mochte mich Ernest wirklich?« Und Bea Ames wird, obgleich sie sich gut an jenen Abend in Paris erinnern kann, an dem Hemingway Dorothy geschmäht hatte, antworten: »Ja.«530

Kurz nach ihrer Ankunft in Los Angeles erhält sie erneut das Angebot, ihre Autobiografie zu verfassen. Der legendäre amerikanische Verleger Bernard Geis zahlt ihr sogar einen Vorschuss. Prinzipiell wäre Dorothy auch durchaus daran interessiert, ihr Leben aufzuschreiben, doch sie weiß, dass sie das niemals schaffen wird: »So was könnte ich nie schreiben, auch wenn ich bei Gott wünschte, ich könnte es. Ich möchte dieses verdammte Ding schreiben, einfach nur, um es dann ›Bastard‹ zu nennen«, gesteht sie Cooper.531 An den Schriftsteller Quentin Reynolds allerdings schreibt sie: »Ehe ich meine Autobiografie schreibe, schneide ich mir lieber mit einem stumpfen Messer die Kehle durch.«532 Es dauert einige Zeit, bis sie den Mut findet, Bernard Geis reinen Wein einzuschenken und ihm zu gestehen, dass sie dieses Buch niemals schreiben wird. Ihrem Brief legt sie aus schlechtem Gewissen einen Scheck über zehn Prozent ihres Vorschusses bei. Geis trägt es mit Fassung und schreibt die restlichen 90 Prozent ab, »für das Privileg, sagen zu können, dass ich einmal fast ein Buch von Dorothy Parker publiziert habe«.533 Das Angebot von Columbia Pictures, ihr Leben zu verfilmen, zieht sie nicht einmal mehr in Betracht.

Dabei ist schon wieder einmal Ebbe in der Kasse, der neue Jaguar vor dem Haus will bezahlt werden. Nach dem Ende von »The Good Soup« warten Alan und Dorothy vergebens auf ein Anschlussprojekt. Wyatt Cooper überredet sie schließlich, Arbeitslosenhilfe zu beantragen. 75 Dollar pro Woche seien nicht zu verachten, abgesehen davon hatte ja gerade Dorothy für die Absicherung von Drehbuchautoren und Schauspielern gekämpft. Diese ist skeptisch. Die Tatsache, dass selbst Stars wie Marlon Brando auf dem Amt gesichtet werden, überzeugt sie nicht wirklich. Abgesehen davon erhält sie ja noch Tantiemen von ihren Büchern und die 750 Dollar vom Esquire, die jeden Monat pünktlich überwiesen werden, auch wenn sie nicht schreibt. Cooper begleitet die beiden Neulinge zur Antragstellung. Dorothy, die niemals gelernt hat, um Geld zu bitten, ist das Ganze schrecklich peinlich. Sie fühlt sich wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Dort angekommen, läuft sie von einem Schalter zum anderen, nicht in der Lage, sich anzustellen und ihr Recht in Anspruch zu nehmen. Just in dem Moment, da Cooper ihr zu Hilfe eilen will, tritt Dorothy an den Schalter eines bebrillten Mädchens. Nachdem sie ihren Namen genannt hat, geht ein Raunen durch den Raum, das Brillen-Mädchen springt auf und zitiert die berühmten Verse »News Item«. Alle kommen, um Dorothy Parker zu begrüßen. Diese ist zutiefst gerührt. Alles weitere ist nur mehr eine Frage von Minuten.

Das Leben spielt sich langsam wieder ein. Wie in alten Zeiten übernimmt Alan Dorothys Angelegenheiten. Er kümmert sich um alles, während Dorothy vor allem berühmt ist. Es ist mehr als deutlich, dass Alan auf einen Neubeginn hofft. Vor allem, als Dorothy im Herbst ihr Apartment im Volney aufgibt. Nachdem sie ihre Miete nicht pünktlich überwiesen hat, hat das Management ihren alten Vertrag gekündigt und die Miete erhöht. 600 Dollar im Monat für ein leerstehendes Apartment ist ihr nun doch zu viel. Fährt sie jetzt an die Ostküste, dann wohnt sie bei Lillian Hellman in Martha’s Vineyard. Im März 1962 sind die beiden gemeinsam mit Thornton Wilder zu Gast im Haus des ehemaligen Yale-Präsidenten Alfred Whitney Griswold. Als der Gastgeber ankündigt, dass Thornton Wilder nach dem Essen etwas aus seinem neuen Buch vorlesen wird, droht Dorothy, das Haus zu verlassen. So ein großer Thornton-Wilder-Fan ist sie nun auch wieder nicht.534

Los Angeles beginnt ihr wieder Spaß zu machen. Dazu tragen nicht zuletzt ihre Nachbarn bei, eine Ansammlung von Celebrities, Verrückten und Lebenskünstlern, wie zum Beispiel die Schauspielerin Bathsheba Glyn, die sich zum Fernsehen nackt auf ihr Bett legt. Dabei ist ihr Fenster so einsehbar, dass sämtliche Nachbarn auf dem Heimweg immer kurz mal durchs Fenster schauen. Oder jener stolze Hausherr, der alle Nachbarn zu sich einlädt, um ein riesiges Porträt von sich zu enthüllen. Es zeigt ihn nackt, in Lebensgröße, mit einem gestochen scharfen Penis, was dem Hausherrn sehr schmeichelt. Dorothy steht wie alle anderen fassungslos vor dem Bild und sagt dann in die Stille hinein: »Er sieht so echt aus, du hast das Gefühl, gleich spricht er mit dir.«535

Doch so angenehm der Alltag auch ist, die Arbeit fällt ihr schwerer als früher. Ihre Augen werden schlechter, sie befürchtet zu erblinden. Dazu kommen Probleme mit den Zähnen, sie sitzt stundenlang beim Zahnarzt herum. Schleimbeutelentzündungen in den Armen machen das tägliche Tippen zur Qual. Die Rezensionsexemplare türmen sich meterhoch in der Wohnung. Wenn kein Platz mehr zum Sitzen da ist, fliegen sie einfach raus. Auf Nachfragen vom Esquire behauptet sie ungeniert, fehlende Artikel seien die Schuld der Post. Einmal legt Alan ein Haar auf ihre Schreibmaschine, um zu testen, ob sie sich überhaupt noch dransetzt. Nach fünf Tagen liegt das Haar noch immer an Ort und Stelle, auch wenn sie steif und fest behauptet, mit ihrem Artikel inzwischen fertig zu sein.536

So eng aufeinanderhockend beginnen die Campbells wieder zu streiten – und zu trinken. Jeder Besuch bei ihnen wird zum Tanz auf dem Vulkan. Als hätte man die Zeit zurückgedreht, häufen sich peinliche Szenen, bei denen mal der eine, mal der andere so betrunken ist, dass er ausfällig wird. Bei einem Besuch von Wyatt Cooper und der britischen Schauspielerin Cathleen Nesbitt, der Verlobten des früh verstorbenen englischen Dichters Rupert Brooke, ist Alan so betrunken, dass er das Essen verdirbt, während Dorothy die Liebenswürdigkeit in Person ist. Ein anderes Mal ist sie ein Totalausfall. Nachdem sie wochenlang lamentiert, wie gerne sie Igor Strawinsky kennenlernen möchte, erscheint sie zum Treffen mit dem großen Komponisten sturzbetrunken und ist kaum in der Lage, ein Wort mit Strawinsky wechseln. Es spielt sich ein: Einer der beiden ist immer betrunken, einer der beiden schmeißt jedes Fest und einer der beiden fühlt sich stets durch den anderen blamiert. Es ist kaum zu glauben, dass es dennoch gemütliche, friedvolle Abende gibt. Abende, an denen Alan kocht und Dorothy lesend auf dem Sofa liegt, die Asche auf den Boden fallen lässt, weil sie niemals einen Aschenbecher benutzt, und genüsslich vor sich hin trinkt – Stunden der vollkommenen Idylle.

Im Mai 1962 werden drei ihrer Kurzgeschichten fürs Fernsehen verfilmt: »The Lovely Leave«, »A Telephone Call« und »Dusk Before Fireworks«. 32 000 Dollar werden für die Rechte bezahlt. Geld, das ihr im Rahmen der üblichen Honorarvereinbarungen von Viking Press später ausbezahlt wird. Dennoch beschwert sie sich bei einer Zeitung, als die Stücke gesendet werden: »Ich bin so stolz und glücklich, auch wenn ich kein Geld dafür gesehen habe.«537 Alan schreibt böse Briefe an Viking, beide sind der Ansicht, das Geld hätte direkt an Dorothy überwiesen werden müssen, noch dazu, wo diese wieder einmal knapp bei Kasse ist. Ansonsten ist sie allerdings der Meinung: »Ich glaube nicht, dass man meine Geschichten verfilmen kann. Es passiert einfach zu wenig darin.«538

Einstweilen bleiben den beiden nur der monatliche Unterstützungsscheck der Arbeitslosenhilfe und die Hoffnung auf weitere Aufträge von Fox. Doch die Verfilmung von »The Good Soup« wird auf Eis gelegt, nachdem die Monroe für zwei weitere Filme bei Fox unterschreibt. Zu dieser Zeit bereits in schwieriger psychischer Verfassung, gestalten sich die Dreharbeiten mit dem Star so schwierig, dass Fox Marilyn Monroe schließlich feuert. Dorothy ist sehr traurig darüber: »Es wäre unheimlich kompliziert geworden mit Marilyn, auch wenn ich ganz verrückt nach ihr bin. Das Studio fängt an, sie mit denselben Augen zu betrachten wie Marat Charlotte Corday, kurz bevor sie ihn umgebracht hat. Aber Marilyn kann nichts dafür. Sie hat einfach Angst. Sie ist mir ziemlich ähnlich, nur viel, viel hübscher!« 539 Im August 1962 stirbt Marilyn Monroe unter niemals ganz geklärten Umständen. »The Good Soup« verschwindet in der Versenkung und wird niemals produziert. Unter künstlerischen Gesichtspunkten ist Dorothy nicht traurig darüber, denn es ist geschehen, was so oft geschieht: Ihr Drehbuch wurde ohne Rücksprache verändert: »Wir sind so angepisst durch das, was das Studio aus unserer wunderbar frivolen Farce für Marilyn Monroe gemacht hat. (…) Irgendein gedungenes Schwein hat alles kaputt gemacht, das Ganze in einen kitschigen Mischmasch verwandelt.«540 Damit endet ihre Zusammenarbeit mit Fox.

Dafür gibt es gute Nachrichten vom Broadway. Die erfolgreiche Produzentin Haila Stoddard, die auch James Thurber und Harold Pinter an den Broadway bringt, stellt eine Collage aus ihren Geschichten für eine Broadwayshow zusammen, aufgepeppt mit unveröffentlichten Liedern des verstorbenen Vincent Youmans. Als Dorothy das Skript erhält, fällt sie aus allen Wolken. Sie verbietet die Aufführung des Stückes umgehend. Sie ist so empört, dass sie nicht einmal in der Lage ist, selbst zu antworten, sondern Alan in seine Schreibmaschine diktiert, wie sehr sie das Stück hasst. Die Veränderungen, die man an ihren Geschichten vorgenommen habe, verfälschten deren Ausage, sie selbst fühle sich vorgeführt. Nichts, was ihr am Herzen läge, sei von den Produzenten und Autoren erkannt worden. Damit stirbt ihre letzte Hoffnung, ihre Texte auf der Bühne zu sehen.

Den beiden geht langsam das Geld aus. Sie verkaufen Rezensionsexemplare an umliegende Buchläden und steigen von Haig & Haig auf billigen Fusel um. Den Jaguar behalten sie. In dieser angespannten finanziellen Situation erhält Dorothy von der California State University in Los Angeles das Angebot, an der Fakultät für Anglistik zu lehren. Es besteht sogar Aussicht, den vor Kurzem verwaisten Lehrstuhl von Christopher Isherwood zu übernehmen. Zunächst soll sie jedoch für zwei Semester als Gastprofessorin amerikanische und englische Literatur des 20. Jahrhunderts unterrichten. Stolze 20 000 Dollar wird ihr Salär dafür betragen.

Dorothy und Alan sind überglücklich, endlich scheint es aufwärts zu gehen. Und nun kommen auch von anderer Seite lukrative Angebote. Auf eine neue Anthologie mit Kurzgeschichten wird ein Vorschuss von mehreren tausend Dollars ausbezahlt. Für Lesungen kassiert sie jetzt mehrere hundert Dollar pro Abend. Mit ihrem Job als Dozentin kann sie sich endlich aus der leidigen Verpflichtung gegenüber dem Esquire lösen. Nach einem für alle Beteiligten quälenden Hin und Her und falschen Versprechungen auf beiden Seiten erscheint im Dezember 1962 ihre letzte Buchrezension. 208 Bücher hat sie in den vergangenen Jahren für das Magazin besprochen. Dabei hat sie Autoren wie Richard Yates und William Golding entdeckt und Jahrhundertromane und Skandalbücher wie Nabokovs Lolita besprochen. Manche Heroen ihrer Zeit fanden jedoch keine Gnade vor ihren Augen, zum Beispiel Jack Kerouac: »Auf dem Umschlag von Bebop, Bars und weißes Pulver heißt es, dass die Beatjugend glaubt, dass die Frage, ›wie‹ man leben soll, viel schwieriger zu beantworten sei als die Frage ›warum‹. (Ich weiß nicht, was an dieser Erkenntnis so neu sein soll. Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, glauben das alle Generationen.) Allerdings ist das ›Wie‹ der Beatjugend von einer beängstigenden Monotonie.«541 Auch die in jener Zeit den Markt überschwemmenden Biografien von Hollywoodstars gingen ihr gewaltig auf die Nerven. Über Errol Flynns Autobiografie schrieb sie unter der Überschrift: »Flynn-Flam«: »Weder glaube ich, dass irgendwer so grob sein muss, noch glaube ich auch nur die Hälfte von dem, was in diesem Buch steht.«542 Und über Zsa Zsa Gábors Werk sagte sie nur: »Für mich ist die ganze Frau ein pures Fantasiegebilde.«543

Sie ist heilfroh, dass die Beschäftigung mit derartigen Ergüssen nun für immer hinter ihr liegt, und geht mit großen Erwartungen in ihre Vorlesung an der California State University. Neu eingekleidet, perfekt frisiert und geschminkt taucht sie auf dem Campus auf und findet zu ihrer großen Enttäuschung nichts als 18 000 Studenten und 150 Parkplätze vor.544 Für die jungen Leute hier ist sie nicht die große Dorothy Parker, die Freundin von Fitzgerald und Hemingway, sondern eine aufgedonnerte ältere Dame, ein Geist aus der Vergangenheit, beschäftigt mit Themen von Vorgestern. Sie ist ein Symbol für die Roaring Twenties, doch das hier sind die 1960er Jahre. Zwar ist ihr Kurs gut besucht, der prominente Name zieht viele Neugierige an, doch die meisten wollen hier einfach nur einen Schein erwerben und nicht tiefer in die amerikanische Literaturgeschichte eintauchen als nötig. Das Niveau des Kurses ist miserabel. Später erzählt sie, dass nur drei ihrer Studenten überhaupt in der Lage gewesen seien, einen vollständigen Satz zu bilden. Die jungen Leute haben keine Ahnung von der Literatur, die sie mit ihnen besprechen will. Sie ist entsetzt über so viel Stupidität und Naivität. Als sie über John Steinbecks Früchte des Zorns spricht, erklärt ihr eine Studentin, dass Buch sei so obszön, dass ihre Mutter es nicht im Hause haben wolle. Dorothy ist erschüttert. Nur allzu gut kann sie sich noch an die Hasstiraden der politischen Rechten gegen Steinbeck und die stattgefundenen Bücherverbrennungen erinnern. Doch spätestens seit Steinbeck den Literaturnobelpreis erhalten hat, hatte sie geglaubt, dies sei vorrüber. Doch weit gefehlt. Sie kommt nun sogar in die absurde Situation, Theodor Dreiser verteidigen zu müssen, über den sie 1931 in einer Buchkritik geschrieben hatte: »Theodore Dreiser should ought to write nicer«. 545 Für sie sind die Studenten zu limitiert in ihren Interessen und zu vorschnell mit ihren Urteilen.

Das Klima zwischen ihr und den jungen Leuten könnte schlechter nicht sein. Angesichts der offenen Ablehnung ist sie völlig überfordert. Um die Studenten zu gewinnen, geht Dorothy dazu über, gute Noten zu verteilen und keinen durchfallen zu lassen. Damit sie ihnen nicht allzu oft begegnen muss, lässt sie etwa ein Drittel der Stunden ausfallen. Am Ende des Semesters gibt sie der Los Angeles Times ein Interview, in dem sie die Dummheit der Studenten beklagt, die im Roman stets ein Happy End wollen – wie im Fernsehen. Auf die Frage, ob man sie denn erkannt hätte, schüttelt sie resigniert den Kopf: »Sie kannten Joyce nicht und hatten kaum etwas von Hemingway, Salinger oder Faulkner gelesen. Wie sollten sie da mich kennen?«546 Sie seien ungebildet und borniert, einzig und allein an ihrem Collegeabschluss interessiert. Kein einziger von ihnen könnte ein guter Schriftsteller werden. Ihr Lehrauftrag ist eine Erfahrung, über die sie nicht einmal eine Satire schreiben möchte: »Das Ganze ist viel zu traurig.« Zwar gibt sie in dem Interview auch zu, eine schlechte Lehrerin zu sein, aber das macht die Sache kaum besser.547 Als sie am nächsten Tag im Seminarraum erscheint, ist die Zeitung längst herumgegangen. Viele machen ihrem Ärger lautstark Luft. Am schwarzen Brett hängt eine Liste, in der die Studenten alles aufgelistet haben, was gegen Dorothy Parker spricht. Ganz oben steht ihre Affinität zur Kommunistischen Partei. Damit ist nicht nur der Bruch zwischen Lehrender und Lernenden, sondern auch das offizielle Ende von Dorothys Universitätskarriere besiegelt. War ihre Hoffnung in die Jugend bisher nicht besonders ausgeprägt, so ist sie nun vollkommen dahin. Diese Generation wird die Welt sicher nicht mehr verändern: »Na ja«, sagt sie, »inzwischen sollte ich immun sein – was macht schon eine Enttäuschung mehr oder weniger.«548