II.
Vogue und Vanity Fair
Die 1892 gegründete Vogue ist bis heute eines der wichtigsten Organe der Modeindustrie. Was ihre Redakteure schreiben, entscheidet über Wohl und Weh ganzer Imperien. Die heutige Chefredakteurin der amerikanischen Vogue Anna Wintour ist die einflussreichste Frau im Modezirkus und spätestens seit der Hollywoodkomödie »Der Teufel trägt Prada« selbst Modemuffeln ein Begriff.
Anna Wintour steht in der Tradition einer sagenhaften Vorgängerin, die aus Vogue die einflussreichste Modezeitschrift der Welt machte. Als Dorothy bei Vogue anfängt, steht an der Spitze der Zeitschrift eine Frau, die gefürchtet ist wie keine zweite: Edna Woolman Chase. Das strenge Regiment der von 1914 bis 1952 als Chefredakteurin fungierenden Woolman Chase ist legendär. »Mode kann man kaufen«, pflegt sie zu sagen, »Stil hat man.« Diesem Diktum sind nicht nur die Büroräume der Vogue unterworfen, die den Ausstellungsräumen eines eleganten Einrichtungshauses gleichen, sondern auch die Mitarbeiterinnen. Pflicht sind Hüte, weiße Handschuhe und schwarze Seidenstrümpfe. Verboten sind offene Schuhe, Untätigkeit und Privatgespräche. Für Vogue zu schreiben, ist eine Ehre, der man sich stets bewusst sein sollte. Einmal hatte eine Redakteurin versucht, sich das Leben zu nehmen, indem sie sich vor die U-Bahn warf. Nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand wurde sie von Edna Woolman Chase in ihr Büro gebeten und dort darüber aufgeklärt, dass eine Mitarbeiterin der Vogue niemals so instinktlos sein dürfte, der New Yorker Stadtreinigung derartige Mühe zu bereiten, sondern im Fall der Fälle diskret auf Schlaftabletten zurückgreifen würde.56
Anfang 1915 betritt Dorothy zum ersten Mal die üppig dekorierten Empfangsräume der Vogue, die sie unwillkürlich an den Eingang in ein Bordell erinnern. Die versnobte Atmosphäre ist wie geschaffen, um ihren Widerspruchsgeist zu wecken: »Die Redakteure waren comme il faut: elegant und weltmännisch; die meisten Mannequins aber waren genauso, wie sie sich Bram Stokers Phantasie ausmalte. Und die Texter – mein alter Job also –, die empfahlen Nerzkappen für Golfschläger, 75 Dollar das Stück. ›Für den Freund, der sonst alles schon hat.‹ Ein zivilisatorischer Höhepunkt, nicht wahr?«57
Ihre literarischen Ambitionen werden hier auf eine harte Probe gestellt. Die Zeitung ist eher ein Bildband, es dominieren Fotos und Anzeigen – der Text ist Nebensache. Dorothy ist dazu auserkoren, Bildunterschriften zu verfassen, die das jeweilige Produkt bewerben. Dies tut sie in der ihr eigenen Art, geistreich und mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. So schreibt sie unter eine Fotostrecke mit Damenwäsche, in Anlehnung an Polonius’ berühmte Worte aus Shakespeares »Hamlet«: »Die Wäsche zur diesjährigen Herbstmode beweist, in der Kürze liegt die Würze – wie schon der Unterrock zum Unterkleid sagte.«58 Vielen ihrer Bildunterschriften ist deutlich anzumerken, wie albern sie den oberflächlichen Modemarkt findet. Die elegante Leserin der Vogue sieht sich von nun an mit Sätzen konfrontiert wie: »Das absolut richtige Kleid für Miladys Spritztour!« oder: »Dieses rosa Kleidchen wird Ihnen ganz sicher einen Verehrer bescheren!«59 Edna Woolman Chase erinnert sich mit gemischten Gefühlen an ihre neue Mitarbeiterin: »1915 verstärkte eine kleine, dunkelhaarige Elfe, mit honigsüßer Stimme, aber beißendem Spott unser Team. Ihr Name war Dorothy Rothschild, und sie war eingestellt worden, um Bildunterschriften und Artikel zu schreiben. Sie verfasste einen Text, betitelt ›Interior Desecration‹, und mehr als ein Inneneinrichter musste tief durchatmen und bis zehn zählen, ehe er seine Gefühle darüber zum Ausdruck bringen konnte.«60 Niemand hatte bemerkt, dass Dorothy in der Überschrift ihres Textes »Interior Desecration«, in dem sie das überladene und geschmacklose Interieur einer Villa samt extravagantem homosexuellen Innenausstatter beschreibt, anstelle des Wortes »Decoration« für Dekoration, »Desecration« für Schändung benutzt hatte.61 Für die Redakteure der Zeitschriften, für die sie im Laufe ihres Lebens schreiben wird, bleibt es eine stete Herausforderung, ihre Artikel zu redigieren und die hintergründigen Gemeinheiten herauszustreichen.
Unter das Foto eines leicht bekleideten Mannequins in einem sündhaft teuren Negligé schreibt Dorothy voll Vergnügen: »Es war einmal ein kleines Mädchen, dem fiel ein kleines Löckchen mitten in die Stirn. Wenn sie artig war, war sie sehr sehr artig, und wenn sie unartig war, dann trug sie dieses göttliche rosa Seidennachthemd, besetzt mit duftiger Valenciennesspitze.«62 Allein schon die zarte Andeutung, dass die Vogue-Leserin Sex hat, genügt 1915, um Ohnmachtsanfälle zu verursachen. Nur in letzter Minute entdeckt der verantwortliche Redakteur diese Ungeheuerlichkeit und verhindert so das Schlimmste.
Obwohl Dorothy alles tut, um sich unbeliebt zu machen, verkennt Edna Woolman Chase ihr Talent nicht. 1916 veröffentlicht die Vogue das Gedicht »The Lady in Back«. Darin beschreibt Dorothy, dass sie in Kino, Theater oder Oper immer eine Sitznachbarin hat, die nicht nur alles bereits im Voraus weiß, sondern dies freundlicherweise auch ungefragt lautstark mitteilt. Und sie fragt sich, warum diese Frau nie hinter jemand anderem sitzen kann.63
Doch auch wenn ihr Woolman Chase sogar die Veröffentlichung von Aufsätzen anbietet, geht Dorothy die gespreizte Affektiertheit der Vogue-Redakteurinnen samt Leserinnen gehörig auf die Nerven. Sätze wie jener, den sie im Waschraum aufschnappt, sind Wasser auf ihre Mühlen: »Wie konnte Mrs. Astor nur glauben, dass Chinchilla passend sei für eine Beerdigung?«64
In den insgesamt sechs Artikeln, die sie für Vogue verfasst, nimmt sie dieses Getue meisterhaft auf die Schippe: »Wenn eine Frau einen Schrank vollgestopft mit Bulldoggen hat und plötzlich kommen Scottish Terrier in Mode, was soll sie dann tun? Bedauerlicherweise kann man sie ja nicht umarbeiten lassen. Vielleicht könnte sie sie für die sprichwörtlichen sieben Jahre beiseite legen, bis sie wieder in Mode kommen. Oder sie könnte sie zusammen mit ihren abgelegten Kleidern an eine bedürftige Familie weitergeben. Oder aber sie könnte sie aufs Land schicken, wo sie nach der Saison ihre angeschlagenen Nerven kurieren können.«65
Ihre Abneigung gegen die Damen der High Society wächst mit jeder neuen Bildunterschrift. Sie mündet schließlich in einer Solidaritätserklärung für deren Ehemänner, die am Tage ihrer Hochzeit gar nicht wüssten, welch tragisches Los sie wählten: »In dieser traurigen Welt gibt es keinen traurigeren Anblick als den des Bräutigams, der am Altar steht, mehr verheiratet werdend als heiratend. Man gestattet ihm gnädig, den Hochzeitsgästen den Rücken zuzukehren. Diese betrachten ihn mit demselben Glitzern in den Augen wie die Zuschauer eines Stierkampfes den Stier. Er sieht sie nicht, weil er da steht und auf das Stichwort für sein dramatisches ›Ich will‹ wartet und Angst davor hat, den Einsatz zu verpassen. Doch in seinen hochroten Ohren klingen leise ihre reizenden kleinen Kommentare:
›Was zur Hölle sieht sie in ihm?‹
›Ich versteh Ethel nicht – vor allem nach all den tollen Typen, die sie hatte.‹
›Es muss sein Geld sein.‹
›Ich schätze, sie dachte, sie sollte lieber in jungen Jahren heiraten. Sie ist der Typ Frau, der schnell verblüht.‹
›Na ja, du wirst sehen. Das hält höchstens sechs Monate.‹«66
Die gelangweilten Ladies der Upperclass bleiben ihre bevorzugte Zielscheibe. Um sich jedoch in einer Modezeitschrift, deren Klientel zu fast 100 Prozent aus ebendiesen Frauen besteht, darüber auszulassen, dass diese nichts außer ihrer eigenen Schönheit im Kopf haben, braucht es eine Menge Chuzpe, wie sie mit »When You Have Come to the End of a Perfect Day« beweist: »Zehn böse kleine Folterinstrumente aus glänzendem Stahl, die man sich über die Finger stülpt, um sie anmutig schlank zu bekommen. Jedes dieser Folterinstrumente ist mit einer Schraube versehen. Sie müssen das Gerät auf Ihrem ahnungslosen Finger anbringen und dann festziehen. Wenn der Druck so groß ist, dass Sie es gerade noch aushalten, ohne loszubrüllen, dann geben Sie der Schraube noch ein paar Umdrehungen. Tragen Sie das Ganze über Nacht. (…) Die Welt ist voll von Frauen, die diese Prozedur jede Nacht über sich ergehen lassen, [aber] solch unerschrockene Kreaturen schaffen es nicht, das Wahlrecht zu bekommen.«67
Interessanterweise ist es jedoch ausgerechnet sie, die bei Vogue dafür sorgt, dass den Damen immer wieder Neues für ihre Schönheit zur Verfügung steht. Sie ist das Versuchskaninchen für die allerneuesten Entwicklungen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Für ihren Artikel »Life on a Permanent Wave«68 testet sie todesmutig im Selbstversuch die neu entwickelte Dauerwelle. Und das in einer Zeit, als die Dauerwelle eine echte gesundheitliche Gefahr darstellt und das einzig Dauernde an ihr die Tatsache ist, dass man einen ganzen Tag braucht, um sie wieder loszuwerden.
Trotz ihres zwiespältigen Verhältnisses zu Vogue sind die Jahre dort für ihr literarisches Schaffen von immenser Bedeutung. Hier lernt sie, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen, den Leser mit ein paar gezielten Aussagen zu fesseln. Ihre Bildunterschriften sind Übung und Vorgeplänkel für die Bonmots, mit denen sie unsterblich werden wird. Hier bei Vogue vervollkommnet sie ihr Talent, später mit wenigen Worten ein Buch oder ein Theaterstück zu vernichten, mit einem Satz ein ganzes Leben zu zerstören. Dazu kommt, dass sie zwar über die Vogue und ihre Leserinnen die Nase rümpft, insgeheim aber doch stolz darauf ist, für diese bedeutende Modezeitschrift zu arbeiten. Schließlich ist sie selbst immer nach der neuesten Mode gekleidet und sieht sich durchaus als Repräsentantin der schicken Großstädterin: »Junge, Junge, hielt ich mich für klasse!«69 Und liest man Frank Crowninshields Beschreibung der jungen Dorothy Parker, dann passte sie tatsächlich perfekt zu Vogue: »Sie war schlank und ihre Augen mit diesem gedankenverlorenen Ausdruck waren eine sonderbare Mischung aus Braun und Grün. Ihr kastanienfarbenes Haar trug sie mit einem Pony und oft mit einem Haarknoten im Nacken. Sie war nicht sehr gesprächig, zurückhaltend und außergewöhnlich scheu. (…) Meist trug sie eine Hornbrille, die sie sofort abnahm, sobald irgendjemand sie ansprach. Sie hatte die Angewohnheit zu zwinkern, vielleicht weil sie so nervös war. Ihre Augenlider flatterten. (…) Sie ging, gleich welche Schuhe sie trug, immer mit kurzen, schnellen Schritten. Ihre Kleidung, vor allem im Winter, war maßgeschneidert. Ihre Hüte waren groß mit ausgestellter Hutkrempe. Grün stand ihr besonders gut, ob als Kleid, Hut oder Schal.«70
Weil sie nicht zuletzt aufgrund ihrer Vorliebe für die neueste Mode mit den 10 Dollar, die sie bei Vogue verdient, nicht über die Runden kommt, spielt sie weiterhin Klavier an der Tanzschule. Sie führt ein bescheidenes, aber durchaus zufriedenes Leben, zu dem nicht zuletzt ihr Zimmernachbar und zeitweiliger Bettgenosse Thorne Smith beiträgt. Auch dieser ist auf dem besten Weg, ein berühmter Schriftsteller zu werden. Seine Romanserie Topper über einen respektablen Banker, der von einem lebenslustigen Geisterehepaar an den Rand des Wahnsinns getrieben wird, wird einer der größten Buchverkaufserfolge der 1920er Jahre werden. Die Verfilmung mit den Hollywoodstars Cary Grant und Constance Bennett als Gespensterpaar George und Marion Kerby wird 1937 gar für zwei Oscars nominiert. 1915 aber sind Parker und Smith nichts weiter als zwei völlig unbekannte Schreiberlinge mit hochfliegenden Plänen und großem Gefallen aneinander: »Abends saßen wir zusammen und redeten. Geld hatten wir keins, aber, Herrgott, wir hatten eine Menge Spaß.«71
Während ihrer Zeit bei Vogue lässt sie nichts unversucht, ihre Gedichte in der Vanity Fair unterzubringen. Da sich die jeweiligen Redaktionsräume auf derselben Etage befinden, ist es ein Leichtes für sie, Frank Crowninshield ein ums andere Mal persönlich ihr neuestes Werk auf den Schreibtisch zu legen. Doch er veröffentlicht nur zwei, und eines davon bringt sie gleich in Teufels Küche. In einem harmlosen Vierzeiler über den populären Travestiesänger Julian Eltinge entdeckt der Literaturpapst der Ostküste Franklin Pierce Adams, genannt F.P.A., ein Plagiat. Der Kolumnist der New York Tribune ist einer der Meinungsführer der Kulturszene vor Ort. In seiner Kolumne »The Conning Tower« (Der Kommandoturm) druckt er Lyrik von Autoren und Lesern ab. Die Ehre, dort publiziert zu werden, ist so groß, dass F.P.A. den Autoren weder ein Honorar bezahlen noch ihren Namen nennen muss. Berühmte Literaten wie James Thurber oder Eugene O’Neill veröffentlichen ihre ersten Werke im »The Conning Tower«. Die goldene Uhr, die F.P.A. jedes Jahr an den Dichter überreicht, der am meisten hier veröffentlicht hat, gilt als wichtigster Literaturpreis New Yorks. Auf die Frage, warum als Kriterium der Preisverleihung nicht das beste Gedicht gelte, pflegte F.P.A. zu antworten: »So etwas wie das beste Gedicht gibt es nicht. Die Tatsache, dass jeder dieser Beiträge von mir akzeptiert wurde, bedeutet, dass er unvergleichlich ist.«72 F.P.A.s Einfluss auf die amerikanische Kultur ist immens. Seine Buchempfehlungen werden Bestseller, Broadwayshows, die er goutiert, werden ausnahmslos Kassenschlager. Allerdings ist er ob seiner harten Urteile auch gefürchtet. F. Scott Fitzgerald nennt ihn zeitlebens nur Blödmann, nachdem sich F.P.A. über die vielen Rechtschreibfehler in seinem Roman Diesseits vom Paradies lustig gemacht hat. Wie Dorothy auf seinen Plagiatsvorwurf reagiert, ist nicht bekannt, doch sie dürfte nicht allzu erfreut gewesen sein, diesem wichtigen Kritiker gleich bei ihrer ersten Begegnung negativ aufgefallen zu sein. Dummerweise passiert ihr dasselbe später noch einmal. Da wird sie gar einen Ausdruck von F.P.A. selbst abkupfern. Zum Glück sind beide da schon längst eng befreundet, und er hat zahlreiche ihrer Verse in seiner Kolumne abgedruckt.
Im August 1916 legt sie Frank Crowninshield endlich ein Gedicht auf den Schreibtisch, das ihm so gut gefällt, dass er es nicht nur abdruckt, sondern sie auffordert, im selben Stil weiterzuschreiben. Ihr erstes »Hass-Gedicht«, »Women. A Hate Song«, das mit den Zeilen »Ich hasse Frauen. Sie gehen mir auf die Nerven«73 beginnt, verschafft ihr den Durchbruch bei Vanity Fair. Die Frauen, die an ihren Nerven zerren, sind vor allem die perfekten Hausfrauen, die ihre Kleider selbst nähen und Kochrezepte aus der Tageszeitung ausschneiden. Eine Aversion, die nicht von ungefähr kommt. Dorothy selbst würde lieber hungers sterben als zu kochen. Aber auch die permanent Betroffenen, welche die Last der Welt auf ihren Schultern tragen, die ewig Jammernden und Unverstandenen, diejenigen, die überall ihre Nase hineinstecken, und nicht zuletzt die Übriggebliebenen, die verzweifelt auf der Suche nach einem Mann sind, finden sich in ihren Zeilen wieder: »Manchmal sehne ich mich danach, sie umzubringen. Jedes Gericht würde mich freisprechen.«74 Da sie damit nicht nur 1916 viele Frauen charakterisiert, zeigt das Gedicht deutlich, dass Dorothy innerhalb ihres Geschlechts nur wenige Freundinnen hat. Tatsächlich fühlt sie sich in der Gesellschaft von Männern viel wohler. Möglicherweise rührt ihre Abneigung aber auch aus einer insgeheim verspürten Unzulänglichkeit her, eben nicht so zu sein wie diese Frauen, die sie einerseits verachtet, andererseits aber auch um ihre Bürgerlichkeit beneidet. Sie zeichnet dieses erste Gedicht mit dem Pseudonym Henriette Rousseau, unter dem sie weitere Veröffentlichungen für Vanity Fair verfasst. Diesem ersten Hass-Gedicht werden in den nächsten acht Jahren weitere folgen. Zunächst in Vanity Fair: »Ich hasse Männer; sie verwirren mich«, »Ich hasse Schauspielerinnen; sie gehen mir auf die Nerven«, »Ich hasse Verwandte; sie sind mir hinderlich«, »Ich hasse Faulpelze; sie gehen mir auf die Nerven«, »Ich hasse Bohemiens; sie untergraben meine Moral«, »Ich hasse das Büro; es unterbricht mein Sozialleben«, »Ich hasse Schauspieler; sie ruinieren meine Abende«, und später im Life Magazine: »Ich hasse Langweiler; sie nehmen mir die Freude am Leben«, »Ich hasse das Theater; es unterbricht meinen Schlaf«, »Ich hasse Partys; sie bringen das Schlimmste in mir zum Vorschein«, »Ich hasse Filme, sie senken meine Vitalität«, »Ich hasse Bücher; sie ermüden meine Augen«, »Ich hasse Sommerresorts; sie ruinieren meinen Urlaub«, »Ich hasse Ehefrauen; zu viele Menschen haben eine«, »Ich hasse Ehemänner; sie engen mich ein«.75
Doch auch wenn es fast so scheinen könnte, sind diese Jahre keineswegs Jahre des Hasses für Dorothy, sondern Jahre der ersten großen Liebe. Sie lernt ihren ersten Mann kennen: Eddie Parker. Wie so viele Frauen fühlt sich Dorothy angezogen von gutaussehenden Männern, die ihr intellektuell nicht das Wasser reichen können, ja zum Teil ausgesprochen dumm sind. 1916 veröffentlicht sie in Vanity Fair den Text »Why I Haven’t Married«. Darin entwirft sie ein ganzes Kaleidoskop an Männern. Es ist die ganze Bandbreite von Typen, mit denen sich Frauen auch 95 Jahre später noch herumschlagen: Chauvinisten, Weltverbesserer, Intellektuelle und Schürzenjäger. In wahrer Prophetie beschreibt sie darin auch einen Säufer, bei dem die Frau erst nach dem Whiskey von Haig & Haig kommt. Nach einem halben Dutzend völlig indiskutabler Männer kommt sie schließlich auf ihr Ideal zu sprechen: den griechischen Gott im englischen Tuch, »brillant genug, um unterhaltsam zu sein, böse genug, um aufregend zu sein, und clever genug, um ein guter Zuhörer zu sein«.76 Bedauerlicherweise würden just diese Traummänner in Momenten geistiger Umnachtung immer dralle blonde Showgirls heiraten und nicht sie. Das reale Vorbild dieses Adonis heiratet zwar kein Showgirl, aber eben auch nicht Dorothy. Dennoch bleibt sie ihrem Männertyp treu und heiratet schließlich einen griechischen Gott im englischen Tuch, der säuft.
Am 30. Juni 1917 ehelicht sie den 26-jährigen Wallstreet-Börsenmakler Edwin Pond Parker II. und das, obwohl sie noch ein Jahr zuvor über die Ehe geschrieben hatte: »Wenn sie doch nur ein Zeitlimit für all dieses Lieben und Hegen und allen anderen Entsagen festlegen würden; das ist das Problem bei diesem ganzen Arrangement – es ist so schrecklich dauerhaft.«77 Auch wenn sie verschiedene Geschichten zum Besten gibt, wo und wann sie sich zum ersten Mal treffen, ist es wahrscheinlich, dass sie ihn während eines Sommeraufenthaltes in Connecticut kennenlernt. Edwin Parker stammt aus Hartford und blickt auf einen beeindruckenden Stammbaum zurück, der fast bis zur »Mayflower« zurückreicht. So ist sein Urahn William Parker 1636 kurz nach Thomas Hooker, dem Gründer des Staates Connecticut, in die USA gekommen. Die Parkers sind eine angesehene Ostküstenfamilie mit gelebter protestantischer Tradition. Eine Tatsache, die Edwin schon früh zum Atheisten gemacht hat. Dorothys Geständnis, Jüdin zu sein, ist ihm herzlich egal. Er ist eine blendende Erscheinung, groß und blond, genau der Typ Mann, auf den Dorothy fliegt. Gerne ist sie bereit, über das allzu Offensichtliche hinwegzusehen – er ist keine Geistesgröße. Später wird sie sagen: »Er soll an der Wallstreet gewesen sein, aber das bedeutet gar nichts.«78 Jetzt aber verliebt sie sich leidenschaftlich in Edwin, der ihre Gefühle erwidert. Gemeinsam ziehen sie durch die angesagten Restaurants und Bars der Stadt, die sie sich aufgrund von Edwins finanziellem Background leisten können. Edwin sieht man dort stets trinken, Dorothy stets essen. Dass er weitaus mehr trinkt, als er verträgt, stört sie nicht. Noch halten sich seine Ausfallerscheinungen in Grenzen. Je mehr er trinkt, umso amüsanter wird er. Dorothy liebt seinen Humor und genießt seine Gesellschaft, auch wenn sie selbst keinen Tropfen Alkohol anrührt – sie mag den Geschmack nicht. Was sie an Edwin, den sie zärtlich Eddie nennt, besonders schätzt, ist die Tatsache, dass er keine Probleme mit einer selbstständigen, unabhängigen Frau hat. Die arbeitende, allein lebende Singlefrau ist selbst in einer Metropole wie New York nicht die Norm.
Als das Verhältnis zu Eddie enger wird, beginnen sie die nächtlichen Gespräche mit ihren Zimmernachbarn zu langweilen. Eine nie gekannte Sehnsucht nach einem Zuhause, einem gutbürgerlichen Glück als Ehefrau und Mutter steigt in ihr auf. Als die USA am 6. April 1917 in den Ersten Weltkrieg eintreten, meldet sich Eddie Parker freiwillig. Zeitgleich bittet er Dorothy um ihre Hand. Diese willigt freudig ein. Es wird eine kleine intime Hochzeitsfeier, ohne Freunde und Familie. Während Dorothys Familie vermutlich nicht einmal informiert wurde, lehnt Eddies Familie die moderne New Yorker Jüdin schlichtweg ab. Bei ihrem Antrittsbesuch in Hartford hatte Eddies Großvater beim Tischgebet für die »Ungläubige in unserer Mitte« gebetet, »damit sie den Fehler in ihrem Tun erkenne«.79 Damit ist für Dorothy die Beziehung zu den Parkers ein für alle Mal beendet. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man ihr feierlich erklärt, man hätte Mark Twain noch persönlich gekannt.
Dorothy ist, wie sie selbst sagt, gefühlte fünf Minuten eine Braut, dann wird Eddie zum 33. Sanitätskorps eingezogen, einer Einheit, die vorwiegend aus Yale-, Harvard- und Princeton-Absolventen besteht. Als er nach New Jersey beordert wird, verlässt sie ihr Einzimmerapartment und bezieht eine Wohnung an der Upper West Side. Einrichten wird sie diese nicht, sie hat fest vor, nach Eddies Rückkehr gemeinsam mit ihm eine neue Wohnung zu suchen. Die Küche bleibt jungfräulich, sie zieht es weiterhin vor, im Restaurant zu essen. Aus Mangel an Kochkenntnissen verzehrt sie ihren Frühstücksschinken zeitlebens roh. Sie hat keine Ahnung von Haushaltsführung – was sie keineswegs als Defizit betrachtet. Wenn sie ihre Unterwäsche wechselt, wirft sie die getragene in die Schublade mit der frischen und hofft auf Sortierung durch eine kompetente Haushaltshilfe. Kaum jemand in New York ist so sehr auf Personal angewiesen wie Dorothy Parker. Dabei macht sie es ihrer jeweiligen Perle nicht leicht. Einmal bringt sie zwei Babykrokodile mit nach Hause, die im Taxi liegengeblieben sind. Mangels Alternative steckt sie die beiden in die Badewanne, doch bei ihrer Rückkehr findet sie folgende Notiz ihres Hausmädchens: »Ich komme nicht wieder. Ich kann nicht in einem Haushalt arbeiten, in dem es Krokodile gibt. Ich hätte Ihnen das gleich sagen müssen, aber ich dachte nicht, dass sich diese Frage jemals stellen würde.«80
Eddies Einheit bleibt zunächst in den USA. Sie wird zur Ausbildung von New Jersey nach Pennsylvania und dann nach North Carolina verlegt, um schließlich wieder nach New Jersey zurückzukehren. Dorothy schreibt ihrem Mann täglich lange Briefe und versucht ihn so oft als möglich zu besuchen. Doch bei diesen Treffen kommt er ihr seltsam fremd vor, es kommt zu ersten Auseinandersetzungen, bei denen Tränen fließen. In ihren heiteren Briefen verbirgt sie ihre Einsamkeit und die Sehnsucht nach Eddie hinter geschliffenen Formulierungen. Doch Eddie schickt ihr statt der erhofften Liebesbriefe nur unpersönliche Postkarten. Sein Alkoholkonsum verstärkt sich jetzt, in seiner Einheit gilt er als starker Trinker. Weil er nach den vielen durchzechten Nächten eine äußerst ungesunde Gesichtsfarbe aufweist, erhält er von seinen Kameraden den Spitznamen »Geist«.
Während Eddie auf seine Verlegung nach Europa wartet, schickt sich Dorothy an, beruflich durchzustarten. Sie hat sich Frank Crowninshield mittlerweile so empfohlen, dass dieser sie im Herbst 1917 von Vogue zu Vanity Fair holt. Edna Woolman Chase ist über diesen Transfer nicht traurig, Dorothys pikante Zeilen haben ihr mehr als eine schlaflose Nacht bereitet. Für Dorothy hingegen erfüllt sich damit ein lang gehegter Wunsch, auch wenn es nicht einfach ist, Frank Crowninshields Anforderungen zu genügen.
Zunächst arbeitet sie als Redaktionsassistentin, doch im Frühjahr 1918 ernennt Crowninshield sie zur ersten weiblichen Theaterkritikerin New Yorks, als der bisherige Kritiker P. G. Wodehouse sich eine Auszeit nimmt. Die Bezahlung ist nicht überwältigend, aber für Dorothy ist das nicht ausschlaggebend: »Das Gehalt ist Nebensache. Ich brauche nur genug, um Leib und Seele auseinanderzuhalten.«81
In ihrer ersten Kolumne im April 1918 verreißt sie ganze vier Stücke, nur eines findet Gnade vor ihren Augen. Eine Quote, die sie beibehalten wird. Eines der Stücke empfiehlt sie allen Ernstes, weil sich dabei so gut stricken lässt: »Und wenn Sie nicht stricken können, bringen Sie ein Buch mit.«82 Von Objektivität keine Spur, sie wirft sich immer mitten ins Gewühl, ist absolut persönlich und parteiisch. Die weise Kritikerstimme aus dem Off liegt ihr ganz und gar nicht. Vor allem die so beliebten Kriegsdramen gehen ihr gehörig auf die Nerven: »Ich schreibe diese Zeilen von meinem Bett im Sanatorium aus. Es geht mir schon etwas besser. Man hat mir gesagt, dass ich bei guter Pflege durchkommen werde. Allerdings dürfe niemand die Worte ›Hierher‹ oder ›Einer von uns‹ in meiner Nähe benutzen. Nur dann habe ich noch mal eine Chance.«83 Sie schreibt Kritiken, in denen sie weder den Namen des Autors noch der Darsteller nennt, weil sie nicht über sie sprechen möchte, oder beschreibt einen Theaterabend, indem sie kein einziges Wort über die Show verliert, um stattdessen ausführlich die Suche ihrer Sitznachbarin nach einem verlorenen Handschuh zu beschreiben. Niemand bleibt von ihrem beißenden Spott verschont: »Manchmal denke ich, das kann einfach nicht wahr sein. Es kann keine Stücke geben, die so schlecht sind. Erstens würde sie niemand schreiben und zweitens würde sie niemand produzieren.«84 Ihre bitterbösen Kritiken werden rasch Kult. Die Leser der Vanity Fair lieben sie, die Produzenten lernen sie zu hassen.
Im Mai 1918 wird Eddies Einheit nach Frankreich verlegt. Bei der letzten, kriegsentscheidenden Großoffensive der Alliierten im Juli 1918 erlebt er die Schrecken des Krieges hautnah. Er holt als Ambulanzfahrer Verwundete hinter den Linien heraus, transportiert Schwerverletzte, die bei der Ankunft im Lazarett schon tot sind. Als er auf eine Mine auffährt, kommen alle seine Mitfahrer ums Leben, er selbst harrt zwei Tage lang neben den Toten aus, bis Hilfe kommt. Doch Eddie findet bald eine Methode, die Schrecken des Krieges zu überstehen. Während es schwer ist, an der Front Alkohol zu bekommen, ist es für einen Sanitäter ein Leichtes, an Morphium zu gelangen. Wie viele Soldaten wird auch Eddie morphinsüchig aus dem Krieg nach Hause zurückkehren.
Am anderen Ende der Welt macht sich Dorothy große Sorgen um ihren Mann. Europa ist so weit weg, doch für sie als unmittelbar Betroffene ist der Schrecken des Krieges ganz nah. Umso mehr ärgert sie sich über die vielen Amerikaner, die die Schlachten des Ersten Weltkrieges nicht an der Front, sondern in ihren vornehmen Apartments ausfechten. Unter dem Pseudonym Helen Wells macht sie sich lustig über die Damen der Gesellschaft, welche die Soldaten, die nach Europa beordert werden, mit ihren Limousinen zum Flughafen chauffieren und ihnen gute Ratschläge zum Umgang mit französischen Mädchen mit auf den Weg geben. Sie ist sich sicher, dass diese Frauen entscheidend dazu beitragen, den Krieg zu beenden, da sich die Soldaten nichts sehnlicher wünschten, als »so schnell wie möglich an die Front zu kommen – mit so wenig Verspätung als möglich«.85 Über die USA ergießt sich ein ungeheuerlicher Patriotismus. Deutsch wird aus den Lehrplänen verbannt, und die Stadt Berlin in Ohio wird in Canton umgetauft. Die Krönung des Ganzen ist jedoch sicher die Umbenennung von Sauerkraut in »liberty cabbage«.
Albert Lee, rechte Hand von Verleger Condé Nast, bekommt Dorothy Parkers Unmut am eigenen Leib zu spüren. Lee ist ein begeisterter Soldat der Heimatfront, der von seinem sicheren Bürostuhl aus das Vaterland verteidigt. Über seinem Schreibtisch hat er eine große Landkarte hängen, auf der er mit Fähnchen die Bewegungen der Alliierten in Europa nachvollzieht. Tag für Tag bringt er mit großem Enthusiasmus die Frontkarte anhand der neuesten Nachrichten auf den aktuellen Stand. Bald fühlt Dorothy sich bemüßigt, ihm ein wenig unter die Arme zu greifen: »Ich war verheiratet, mein Mann war in Europa, und da ich nichts anderes zu tun hatte, stand ich einmal eine halbe Stunde früher auf, schlich mich in sein Zimmer und versetzte die Fähnchen. Später kam dann Lee, sah auf seine Karte, fiel in einen Zustand sorgenvollen Grübelns, Thema: ›Spionage im Büro‹ – brüllte schließlich los und verbrachte den ganzen Morgen damit, den Fähnchen ihren richtigen Platz zurückzuerobern.«86
Ihre Verachtung für sein Benehmen paart sich mit dem Neid auf die glücklichen Paare, die ihr in der Stadt über den Weg laufen. Bei Theaterpremieren wird sie so oft mit fremdem Glück konfrontiert, dass sie schließlich dafür plädiert, Verliebte vom Broadway zu verbannen.
Da ihr Privatleben stagniert, stürzt sie sich in die Arbeit. Am Saisonbeginn im Herbst kommt sie auf bis zu zehn Premieren pro Woche. Ihr Leben ist »eine lange Folge von dürftigen Abenden«.87 Das meiste, was sie sieht, gefällt ihr ganz und gar nicht: »Es könnte sein, dass ein Leben voller Mühsal meine Wahrnehmung dessen, was amüsant ist, abgestumpft hat.«88 Einzige Abwechslung bieten die Besuche bei ihrer Schwester Helen. Das nach dem Tod des Vaters etwas abgekühlte Verhältnis wird besser, seit sich das Scheitern von Helens Ehe abzeichnet.
Als am 11. November 1918 mit dem Waffenstillstand von Compiègne der Erste Weltkrieg endet, hofft sie auf die Rückkehr ihres Mannes. Doch sie wird bitter enttäuscht. Eddies Einheit wird ins besetzte Deutschland abgestellt. Statt Eddie kommen Postkarten, unromantisch wie jene aus Cochem an der Mosel: »Wenn du mir ein Stück Seife schickst, könnte ich diese Burg kaufen.«89 Kein Wort davon, wie sehr er sie liebt und vermisst. Dorothy hegt schlimmste Befürchtungen, ihn an ein »German Fraulein« und Unmengen von Moselwein zu verlieren.
Erneut bleibt ihr nur die Arbeit. Doch diese verbessert ihre Laune nicht, ganz im Gegenteil: »Das Stück beinhaltete zwei der unangenehmsten jungen Liebenden, die man jemals gesehen hat – sie sprudelten schier über, jagten einander um die Tische herum und waren so überschwänglich, dass ich darum betete – leider vergeblich –, dass die Kulissen auf sie stürzen und sie zum Schweigen bringen mögen.«90 Einen Produzenten bittet sie um Verzeihung, nachdem sie sein Stück verrissen hat: »Falls Mr. Samuel Shipman heute Abend anwesend ist, würde ich mich freuen, wenn er sehen könnte, wie ich demütig auf Knien den Boden entlangkrieche und Abbitte leiste für alles, was ich über sein Stück ›East is West‹ gesagt habe. In der letzten Saison dachte ich, im Überschwang der Jugend, dass kein Stück je schlechter sein könnte; doch das war, bevor uns das ausklingende Jahr ›The Son Daughter‹ brachte.«91 Nie hält sie mit ihrer Meinung hinterm Berg: »Dieses Stück hält den Rekord der Saison, insofern, als es nur vier Abendvorstellungen und eine Matinee erlebte. Durch eine wunderbare Fügung wurde es nur fünf Mal zu oft aufgeführt.«92 Zum Schutz des Publikums spricht sie Empfehlungen aus, wie man sich in den entsprechenden Stücken verhalten sollte: »Wenn Sie das Beste aus diesem Abend herausholen wollen, dann verlassen Sie das Theater nach dem ersten Akt, machen einen erfrischenden Spaziergang durch die Gegend und kommen erst dann zurück, wenn der Vorhang zum letzten Akt aufgeht. Sie werden überhaupt nichts verpassen.«93 Selbst die großen Dramatiker sind nicht vor ihrer spitzen Feder gefeit. Zu Henrik Ibsen schreibt sie: »Schüsse kennzeichnen fast immer das Ende von Mr. Ibsens Heldinnen. Ich wünschte wirklich, dass er ab und zu die Damen Quecksilberdichlorid nehmen lassen würde, oder das Gas aufdrehen, oder irgendetwas anderes Ruhiges und Ordentliches. Ich verpasse stets den Großteil des Gesagten im letzten Akt, weil ich immer die Finger in den Ohren habe und auf den lauten Knall warte, der anzeigt, dass die Heldin soeben von uns gegangen ist.«94 Doch wenn ihr ein Stück gefällt, dann ergreift sie leidenschaftlich dafür Partei, wie für Leo Tolstois »Der lebende Leichnam«: »Es wird Sie nicht fröhlich stimmen und es ist auch nicht die Art Stück, in das man seine Kinder mitnimmt, aber bitte schauen Sie es sich an; auch wenn Sie eine Hypothek auf Ihr Auto aufnehmen, Ihr Apartment untervermieten oder alles verkaufen müssen bis auf Ihre Kriegsanleihen, um eine Eintrittskarte kaufen zu können.«95 Das Einzige, was sie hier zu kritisieren hat, sind die russischen Namen. Niemand könne sich die merken und deshalb bitte sie herzlich darum, bei der nächsten englischen Übersetzung aus Fjodor Wassiljewitsch Protossow, Sergei Dmitrijewitsch Abreskow und Iwan Petrowitsch Alexandrow schlicht Joe, Harry und Fred zu machen.
Im Mai 1919 erfährt Dorothy, dass sie sich ihr Büro von nun an mit dem neuen leitenden Redakteur Robert Benchley teilen muss. Das erste Zusammentreffen von Mrs. Parker und Mr. Benchley verläuft unspektakulär. Nichts deutet darauf hin, dass der 29-jährige Harvard-Absolvent der wichtigste Mensch in ihrem Leben wird. So wie er ihr gegenübertritt, groß, schlaksig und blass, ist er überhaupt nicht Dorothys Typ. Er ist ungeheuer um seine Gesundheit besorgt, trägt lange wollene Unterhosen und Galoschen. Dazu kaut er an den Nägeln, raucht nicht, trinkt nicht und flucht nicht. Seiner Frau Gertrude, die soeben ihr zweites Kind erwartet, ist er treu ergeben. Alle Ausgaben, selbst den Kauf einer Briefmarke, notiert er penibel in ein kleines Buch. Robert Benchley ist genau das, was Dorothy Parker als Spießer bezeichnen würde. Es ist ihr ein vollkommenes Rätsel, warum Frank Crowninshield ausgerechnet den früheren Herausgeber der Studentenzeitschrift Harvard Lampoon zum Redaktionsleiter mit einem Wochengehalt von 100 Dollar bestimmt hat, und ein noch größeres Rätsel ist ihr, wie dieser Langweiler im Lampoon jene herrlich skurrilen Texte verfassen konnte, die ihr so gut gefallen haben.
Als sie sich eben an den Gedanken gewöhnt, mit diesem Pedanten eine Büro teilen zu müssen, setzt Fank Crowninshield ihnen einen weiteren Kollegen ins Zimmer: den 23-jährigen Robert Sherwood. Ohne genaue Aufgabenzuteilung beginnt der ehemalige Freiwillige einer schottisch-kanadischen Einheit seine dreimonatige Probezeit als Mädchen für alles – mit einem Wochengehalt, das nur wenig über dem seiner Sekretärin liegt: 25 Dollar. Bei einem Giftgasangriff ist Sherwood im Krieg schwer verwundet worden, sein Schnappen nach Luft ist im ganzen Büro laut und deutlich vernehmbar. Er ist ungeheuer schüchtern und spricht mit den beiden anderen kein Wort. Als die Sekretärin zum Diktat erscheint, wendet er ihr den Rücken zu. Noch irritierender als sein Verhalten ist jedoch seine Gestalt. Robert Sherwood ist über zwei Meter groß, spindeldürr und geht nach vornüber gebeugt. Er ist Dorothy Parker und Robert Benchley so suspekt, dass sie von nun an gemeinsam zum Lunch gehen, um ungestört über ihn zu lästern. Sie fragen sich ernsthaft, wie es den Deutschen gelungen sei, Sherwood in beide Beine zu schießen, nachdem so viel von Sherwood da gewesen sei, um es zu treffen. Benchley geht davon aus, dass Sherwood auf dem Rücken liegend beide Beine in die Luft gereckt haben müsse.96 Bei diesen Gesprächen entdecken Dorothy Parker und Robert Benchley ihre Seelenverwandtschaft. Sie sprechen dieselbe Sprache und haben denselben spöttischen Humor. Dazu hat Benchley einen Charme, dem sich niemand entziehen kann. Der gemeinsame Lunch wird zum Beginn einer lebenslangen Verbindung.
Als sie sich eines Tages gerade anschicken, erneut zum Lunch zu gehen, passt Robert Sherwood sie vor dem Haus ab und bittet sie inständig darum, ihn zu begleiten. Nach der ersten Verwunderung erfahren Dorothy und Robert Benchley den Grund dafür: »Unser Büro lag dem Hippodrom genau gegenüber. Oft kamen die Liliputaner auf die Straße und versetzten Mr. Sherwood in Furcht und Zittern. Er war nämlich ungefähr zwei Meter hoch, weshalb sie sich von hinten an ihn heranschlichen, um ihn zu fragen, was für ein Wetter denn dort oben sei. (…) Mr. Benchley und ich ließen unsere Arbeit im Stich und gaben ihm Geleitschutz die Straße hinunter. Etwas Lustigeres konnte es kaum geben.«97
Von nun an marschieren sie jeden Tag zu dritt die Straße hinunter: Robert Sherwood in der Mitte, flankiert von seinen Beschützern Dorothy Parker und Robert Benchley. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: »Mr. Sherwood und Mrs. Parker und Mr. Benchley waren ein unzertrennliches Trio. Sie arbeiteten, spielten und redeten stundenlang miteinander, und dabei nannten sie sich fast ausnahmslos immer Mr. Sherwood, Mrs. Parker and Mr. Benchley«, schreibt Benchleys Sohn Nat in der Biografie seines Vaters.98 Tatsächlich werden sich Dorothy Parker und Robert Benchley zeitlebens mit »Mrs. Parker« und »Mr. Benchley« ansprechen, nur in Ausnahmefällen wird sie ihn »Fred« nennen.
Die drei Unzertrennlichen werden zum Schrecken ihrer Vorgesetzten. Vor allem Frank Crowninshield hat unter ihnen zu leiden. Dorothy und Robert Benchley sind große Fans der Bestatterfachmagazine Der Sarg und Sonnenschein. Mit allergrößtem Vergnügen betrachten sie die Fotos der darin abgebildeten Leichen und schütteln sich aus über die Kolumne »Vom Grab zur Heiterkeit«: »Aus dieser Zeitung schnippelte ich mir eine farbige Zeichnung heraus. Auf dieser Zeichnung war detailliert dargestellt, wie und wo man die Flüssigkeit beim Einbalsamieren einzuführen habe, und dieses Prachtstück hängte ich über meinem Schreibtisch auf, bis Mr. Crowninshield mich bat, doch die Möglichkeit einer Entfernung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Mr. Crowninshield war ein netter Mensch, nur etwas schüchtern. Ich muss zugeben, wir haben uns sehr schlecht benommen«, meint Dorothy selbstkritisch.99 Folgt man Frank Crowninshield, dann hatte sie allerdings nicht eine einzelne, sondern eine ganze Palette von farbigen Abbildungen über ihrem Schreibtisch hängen. Angeregt durch die Lektüre verfassen Dorothy und Benchley schon mal vorsorglich ihre eigenen Grabinschriften: »Das geht auf meine Rechnung«, »Entschuldigen Sie meinen Staub« und »Wenn Sie das lesen können, stehen Sie zu nahe«.100
Die drei rauben Frank Crowninshield den letzten Nerv. Eingedenk der Tatsache, dass Vanity Fair für jedes Thema offen ist, liefert ihm Robert Benchley eines Tages einen Artikel zum Thema »Das Sozialverhalten der Molche« ab. In einem Absatz schildert er darin detailliert das Paarungsverhalten der Tiere. Als Crowninshield ihn daraufhin bittet, das Ganze doch etwas neutraler zu formulieren, da die Leserschaft der Vanity Fair durch eine derartige Beschreibung indigniert sein könnte, legt ihm Benchley Minuten später folgenden Text auf den Schreibtisch: »Das Sonderbare am Balzverhalten der Molche ist ihre Zurückhaltung. Es wird dabei stets ein Abstand von mindestens 50 Schritten (Molcheinheit) zwischen Männchen und Weibchen eingehalten. Einige der kühneren Molchmännchen versuchen zwar hie und da, die Grenzen des Anstands zu überschreiten und in den 45-Schritte-Abstand einzudringen, aber solche Manöver werden vom Komitee zur Überwachung der Regeln schwer geahndet.«101
Fassungslos muss Crowninshield dem Treiben der drei Verrückten in seinen Redaktionsräumen zusehen: »Ich glaube wirklich, dass die drei in keinem Abschnitt ihres Lebens mehr Spaß hatten, mehr Freunde gewonnen haben und sich so leicht getan haben wie damals.«102 Der Arbeitseifer der drei lässt allerdings zu wünschen übrig. Obwohl ihr Arbeitsbeginn mit 9 Uhr nicht allzu früh angesetzt ist, kommen sie meistens zu spät und verbringen den Morgen mit ausgiebigen Gesprächen statt mit konzentrierter Arbeit. Gegen 12 Uhr gönnen sie sich eine extralange Mittagspause – stets zu dritt, selbst nachdem die Liliputaner die Stadt längst verlassen haben und Robert Sherwood keinerlei Gefahr mehr droht. Um den Abend zu genießen, beenden sie ihren Arbeitstag mit einem frühen Feierabend. Nachdem er diesem Treiben eine Weile zugesehen hat, verfügt Herausgeber Condé Nast, dass bei Verspätung von nun an eine schriftliche Begründung eingereicht werden müsse. Der Erste, den diese neue Verordnung trifft, ist Robert Benchley. Auf einem Blatt Papier in Spielkartengröße erklärt er sich. Demnach war er absolut pünktlich, als ihn auf dem Weg von der Grand Central Station zur 44. Straße die Nachricht ereilte, dass die Elefanten des Hippodroms ausgebrochen seien. Selbstverständlich habe er sich sofort bereit erklärt, diese einzufangen, bevor sie hilflose Frauen und Kinder zertrampelten. Er habe sie mit einigen mutigen Zeitgenossen die 5th Avenue hinauf bis zum Plaza Hotel verfolgt. Nachdem sie den Central Park durchquert hatten, sei es ihm auf Höhe der 72. Straße gelungen, die Elefanten über die West End Avenue hinunter zum Hafen zu treiben. Dort hätten die Tiere versucht, ein Schiff in Richtung Boston zu besteigen, doch dank seines tapferen Einsatzes sei es ihm gelungen, sie davon abzuhalten und die Herde mit dem fließenden Verkehr über die 44. Straße zurück ins Hippodrom zu treiben. Dadurch habe er zwar eine größere Schiffskatastrophe verhindert, sei aber leider exakt 11 Minuten zu spät an seinem Schreibtisch erschienen.103 Es bleibt das einzige Mal, dass Condé Nast von seinen Redakteuren eine schriftliche Erklärung fürs Zuspätkommen fordert. Dorothy bringt die ganze Sache in der ihr eigenen Art zur Sprache: »[Der Boss] hat dich noch nie gesehen, wenn du um 8.45 Uhr ins Büro gekommen bist, aber komm einmal um viertel nach zehn, dann wird er mit dir im Lift hochfahren.«104
Ende Juni 1919 gehen Frank Crowninshield und Condé Nast auf eine zweimonatige Promotiontour durch die USA. Die Leitung von Vanity Fair übertragen sie Robert Benchley. Er soll mit Unterstützung von Dorothy und Robert Sherwood die nächsten zwei Ausgaben verantworten. Was Crowninshield und Condé Nast reitet, ausgerechnet diesem Trio infernale die Verantwortung für die Zeitung zu übertragen, ist ein Rätsel. Am Tag der Abreise stehen Benchley, Sherwood und Dorothy mit einem Blumengebinde am Kai und wünschen ihren beiden Vorgesetzten lauthals eine gute Reise. Dann kehren sie ins Büro zurück und beginnen ihr Werk der Zerstörung. Als Erstes befördern sie Robert Sherwood und schanzen ihm mehr Gehalt zu. Benchley betraut ihn mit dem Verfassen von mehreren Artikeln, die so schlecht sind, dass sie eher für eine Studentenzeitschrift geeignet sind als für das geistreichste Magazin des Landes. Nichtsdestotrotz wird er mit 75 Dollar pro Artikel fürstlich honoriert. Als der Redakteur für Männermode seinen Urlaub antritt, ohne einen wichtigen Artikel fertigzustellen, übernimmt Sherwood diese Aufgabe und propagiert als Renner der kommenden Saison eine Mode, die nicht einmal der wagemutigste Mann tragen würde. Dass es den dreien nicht gelingt, Vanity Fair zu ruinieren, ist einzig und allein der Tatsache zu verdanken, dass Condé Nast und Frank Crowninshield bereits Ende August wieder in der Stadt sind. Um ihren Chefredakteur gebührend zu empfangen, behängen die drei sein von einem noblen Inneneinrichter durchgestyltes Büro mit Girlanden aus Krepppapier und einem riesigen Willkommensschild aus Pappkarton.
Die gute Stimmung im Büro setzt sich fort, als Robert Benchleys Frau am 26. August ihren zweiten Sohn zur Welt bringt. An Arbeit ist wieder einmal nicht zu denken. Die Kollegen müssen dem frischgebackenen Vater beistehen. Wobei die Geburt des Kindes Dorothy klarmacht, dass ihr Mr. Benchley auch noch ein anderes Leben hat. Eines, das ihr nicht zugänglich ist, das sie ausschließt. Neben dem Seelenverwandten und besten Freund gibt es den Familienvater mit Frau und Kindern. Dass er dieses Leben freiwillig gewählt hat, liegt für Dorothy außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Zeitlebens wird sie ihn als Opfer unglücklicher Umstände sehen, vor allem aber als Opfer einer besitzergreifenden Dame. Ihr Verhältnis zu Gertrude Benchley ist denkbar schlecht. In der Kurzgschichte »Nur ein kleines« thematisiert sie nicht nur ihre Freundschaft mit »Fred«, sondern beschreibt darin auch eine Frau, die ohne Zweifel Gertrude Benchley ist: »Abgesehen von einem Bergwerk untertags kann ich mir keinen Ort vorstellen, wo das Licht schmeichelhafter wäre für ihre Visage. Kennst du wirklich viele Leute, die behaupten, dass sie gut aussieht? Du suchst dir deine Bekannten wohl unter den Hornhautgeschädigten, was, Freddie-Schatz? (…) Also für mich sieht [sie] aus wie ein Etwas, das seine Jungen frisst. Gut gekleidet? (…) Willst du mich veräppeln, Fred? (…) Du meinst im Ernst, was sie anhat, ist Absicht? Du lieber Himmel, ich dachte immer, sie kommt gerade aus einem brennenden Haus herausgerannt.«105
Im August 1919 kehrt Eddie Parker zurück. Der Krieg hat ihn verändert. Das Grauen, das er erlebt hat, hat sich in sein Gesicht eingeprägt, das Jungenhafte darin ist verschwunden, ein neuer harter Zug ist hinzugekommen. Seine unbekümmerte Fröhlichkeit ist dem Krieg zum Opfer gefallen. Rastlos und ziellos streift er durch New York. Für Dorothy, die von einer Veranstaltung zur nächsten hetzt, ist seine Unruhe schwer zu ertragen. Sie wünscht sich eine Schulter zum Anlehnen, einen Hafen, um sich auszuweinen, wenn sie eine ihrer dunklen Stunden hat, die Kreative ab und an überfallen. Doch Eddies Verständnis für ihre Nöte hält sich, angesichts des erlebten Grauens in Europa, in Grenzen. Dass sie manchmal einfach nur weint, weil ihr danach ist, kann und will er nicht verstehen. Sein schlechter Allgemeinzustand zerrt an ihrer beider Nerven. Um seine Morphinsucht zu bekämpfen, willigt er schließlich in eine Entziehungskur ein. Dass ihr unbeschwerter Eddie als Wrack aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, ist für Dorothy ein schwerer Schlag.
Im Sommer 1919 wird die Redaktion von Vanity Fair erneut erweitert. Edmund Wilson stößt dazu, ein 24-jähriger Kriegsheimkehrer und Princeton-Absolvent, der von der aparten Dorothy in ihren maßgeschneiderten Kostümen und schicken Designerhüten äußerst angetan ist, bis auf eine Kleinigkeit: »Als ich Dorothy zum ersten Mal im Büro traf, hatte sie meinem Empfinden nach zu viel Parfüm aufgelegt, und meine Hand, mit der ich die ihre geschüttelt hatte, roch den ganzen Tag nach ihrem Parfüm. Obwohl sie ziemlich hübsch war und ich durchaus eine Freundin wollte, stieß mich diese Parfümwolke ab und hielt mich davon ab, ihr den Hof zu machen.«106 Dorothy liebt Coty’s Chypre-Parfüm, den modischen Renner der 1920er Jahre. Ohne diesen Duft würde sie niemals das Haus verlassen. Ihre Freunde gewöhnen sich bald daran, dass Mrs. Parker immer von einer Parfümwolke umgeben ist. Wie fast alle ihre Weggefährten wird auch Edmund Wilson berühmt – als Literaturkritiker und als Herausgeber der Werke vor allem von F. Scott Fitzgerald, der seinen Studienfreund als sein intellektuelles Gewissen bezeichnet. Der Womenizer Wilson wird dreimal heiraten, einzig Anaïs Nin weist ihn zurück.
Um die Enttäuschung über Eddies Rückkehr zu verdrängen, stürzt sich Dorothy exzessiv in die Arbeit. Sie arbeitet mehr, als die Redaktion der Vanity Fair ihrer Ansicht nach von ihr erwarten kann. Dasselbe gilt für die beiden Roberts. Alle drei halten sich angesichts ihres Fleißes für unterbezahlt und fordern eine satte Gehaltserhöhung. Als diese zurückgewiesen wird, beginnen sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit lautstark über ihre schlechte Bezahlung zu jammern. Als dies Condé Nast zu Ohren kommt, verbietet er über ein Memorandum, im Büro über Gehaltsfragen zu diskutieren. Keine zwei Stunden später zirkuliert ein Gegen-Memorandum, verfasst von Dorothy, Benchley und Sherwood: »Betreffend das Diskussionsverbot unter Angestellten«: »Mit aller Schärfe weisen wir sowohl die neue Richtlinie als auch die Formulierungen Ihres Memorandums vom 14. Oktober zurück. Wir weigern uns, uns vorschreiben zu lassen, was wir besprechen dürfen und was nicht, und wir protestieren gegen den Geist einer kleinlichen Dienstvorschrift, die es ermöglicht, eine derartige Anordnung auszusprechen. Wir möchten Ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Formulierung des letzten Paragraphen richten, der die ›sofortige‹ Entlassung von Angestellten beinhaltet, die gegen diese neue Regel verstoßen. Wir würden gerne wissen, ob unsere Verpflichtungen in unseren Arbeitsverträgen ebenso dehnbar sind wie diejenigen des Managements.«107 Um den Hals tragen die drei große Schilder, auf denen ihre Gehälter stehen. Mehrere Tage laufen sie so durchs Büro und setzen sich schlussendlich durch. Das Verbot wird nicht aufrechterhalten.
Sie feiern ihren gloriosen Sieg mit einem ausgiebigen Lunch. Dabei zieht es sie, wie in letzter Zeit häufiger, ins nur zwei Minuten Fußmarsch entfernte Hotel Algonquin. Hier in der Lobby verbringen Dorothy Parker und Robert Benchley ohnehin den größten Teil des Tages, seit sie beschlossen haben, ein Theaterstück zu schreiben, mit dem bahnbrechenden Plot über einen Mann, der mit einer glamourösen Frau verheiratet ist und dennoch eine Affäre mit einem Hausmütterchen anfängt. Das Stück wird nie das Licht der Welt erblicken, doch das Algonquin wird schon bald zur Bühne für ein ganz anderes Theater werden.