Beziehungen schätzen

Wenn wir älter werden, lernen wir besser schätzen, was wir an unseren Beziehungen haben. Da scheinen viele Themen auf: Große Dankbarkeit kann sich zeigen in der Partnerschaft, wenn meine Ehe sich auch über Krisen hinweg als stabil erwiesen hat und Vertrauen nicht zerstört wurde, sondern wächst. Da kann aber auch der Schmerz sein, eine Partnerschaft oder Ehe zu beenden, weil sie nicht lebbar ist, weil zwei nicht mehr aneinander wachsen, sondern sich gegenseitig nur kleiner machen. In der Mitte des Lebens geht es darum, alte Freundschaften zu feiern, weil wir besser wissen: Es ist gar nicht so einfach, neue Freundschaften zu schließen, mit all dem Gepäck, das wir in unserem Leben mitschleppen. Und da sind das Glück und die Freude, wenn wir neue Menschen finden auf unserem Weg, wenn wir so mittendrin in unserem Leben auf Seelenverwandte treffen, mit denen wir weiter unterwegs sein können.

Die Partnerschaft pflegen

Isaak brachte sie in sein Zelt. Er nahm Rebekka

und sie wurde seine Frau. Isaak gewann sie lieb.40

Mich rührt oft an, wie die biblischen Geschichten, die ja alle in einem patriarchalen Umfeld spielen, von Liebesgeschichten erzählen. Ein Knecht erhält den Auftrag, Isaak eine Frau zu suchen. Er findet Rebekka. Ihre Familie zögert, aber sie hat den Mut, in ein fremdes Land zu einem fremden Mann zu gehen, weil die Geschichte, die der Knecht erzählt, sie anrührt. Und dann gewinnt Isaak »sie lieb«. Die beiden werden zwei Söhne haben, Zwillinge, jeder der Liebling eines Elternteils; aber das ist eine spätere Geschichte. Isaak und Rebekka sind ein Paar, das bis ins hohe Alter auch über Spannungen hinweg zusammenbleibt.

Als sich kürzlich ein Mann einem Gremium zur Wahl stellte, sagte er im Hinblick auf seine biografischen Daten, er sei seit 31 Jahren mit derselben Frau verheiratet. »Das muss kein Vorteil sein«, raunte mein Sitznachbar. Fast zynisch klang das, und ich erschrak darüber, weil er sonst nicht zu solchen Bemerkungen neigt. In der Tat: Für viele ist die eigene Partnerschaft das zentrale Spannungs- und Konfliktfeld der Lebensmitte. Wenn zwei sich jung gefunden haben, dann ist in der Lebensmitte eine Krise nahezu normal. In der Regel funktioniert eine Partnerschaft oder Ehe heute weitestgehend partnerschaftlich bis zur Geburt des ersten Kindes. Sobald aber das erste Kind geboren ist, folgt oft ein Rückfall in traditionelle Geschlechtsrollenmuster, der die Partnerschaft massiv belasten kann. Eine Studie aus Allensbach hat herausgefunden, dass die Bereitschaft von Männern, ihren Anteil an der Hausarbeit zu übernehmen, schon bei der Eheschließung um die Hälfte sinkt. Sobald ein Kind geboren ist, reduziert sich die partnerschaftliche Beteiligung der Männer auf jeden Zehnten, bei der Geburt des zweiten Kindes auf jeden Vierzehnten! Kinder sind bei allem Glück, das sie bedeuten, auch Krisenfaktoren für die Partnerschaft. Elternsein, das ist eine ganz besondere Herausforderung! Und zwar eine lebenslängliche … Das Elternsein ist eine zentrale »Ortsbeschreibung« für viele in der Lebensmitte: Sie sind nicht mehr jung und ungebunden und noch nicht alt und ungebunden. Mir scheint, dass die Erziehungsnöte und -fragen, die Konflikte in der Erziehung, die Menschen in diesem Alter so existenziell beschäftigen, oft unterschätzt werden. Seit ich einen persönlichen Beitrag geschrieben habe, welche Konflikte und Freuden, Anfechtungen und Überraschungen ich selbst mit meinen vier Kindern erlebe und durchstehe, erreichen mich immer wieder Briefe, in denen Eltern ihre Zerrissenheit, ihre Versagensängste und auch Demütigungen beschreiben. Das ist wahrhaftig ein weites Feld. Dabei sind Alleinerziehende einer besonderen Belastung ausgesetzt. Wer Kinder erzieht, wird mit den großen Fragen des Lebens konfrontiert. Kinder können tiefschürfend fragen, Jugendliche erbarmungslos kritisieren. Da müssen sich die Erziehenden ihrer Fundamente schon sehr sicher sein. Und wie die erste Partnerkrise mit dem ersten Kind fast schon normal ist, so folgt spätestens eine weitere mit dem Weggang des oder der Kinder. Plötzlich wird aus der Familie wieder ein Paar.

Die christlichen Kirchen betonen, dass sie am Leitbild von Ehe und Familie festhalten, das sie aus der Schöpfungsgeschichte ableiten. Die Bibel erzählt auf ihren ersten Seiten, wie Gott den Menschen als Paar geschaffen hat, als Beziehungswesen, als aufeinander bezogen. Um Familien zu unterstützen, gibt es im Bereich der Kindererziehung ein großes kirchliches Engagement von Kindergottesdienst und Krabbelgruppen in Kirchengemeinden bis zu evangelischen Kindergärten. Das ist gut so. Auch vonseiten des Staates passiert hier zurzeit einiges an Förderung, und es besteht in der Tat ein lange verschleppter Nachholbedarf. Politisch gehandelt wird aber sicher nicht zuallererst, um Väter zu fördern, sondern weil die Öffentlichkeit alarmiert ist über den Rückgang der Geburtenzahlen.

Eine neue Studie41 stellt nun fest, dass eine Veränderung im Gange ist, die sich auf das Zusammenleben von Männern und Frauen in Partnerschaften auswirkt. Vier unterschiedliche »Männertypen« identifiziert sie: 27 Prozent der Befragten lassen sich dem »teiltraditionellen« Typus zuordnen. Er galt vor zehn Jahren noch als traditionell und hat sich mittlerweile in seinen Einstellungen modernisiert. Außerdem wird diese Gruppe stetig kleiner (1998: 30 Prozent). Sah sich dieser Männertyp vor zehn Jahren noch als alleinigen Ernährer der Familie, erkennt er jetzt die Berufstätigkeit von Frauen und Müttern stärker an und betrachtet sie nicht als etwas Negatives. Der »moderne« Mann, der für eine gleichberechtigte partnerschaftliche Arbeitsteilung von beruflichem und familiärem Leben ist, engagiert sich auch besonders in seiner Vaterrolle. Dieser Typus stellt nach wie vor die kleinste Gruppe (19 Prozent) dar, er ist im Vergleich zu 1998 um zwei Prozentpunkte gewachsen. Außerdem gibt es einen »balancierenden« Männertyp (24 Prozent), der sich aus den traditionellen und modernen Werten herausfiltert, was in sein Lebenskonzept passt. Die größte Gruppe (30 Prozent) bildet schließlich der sogenannte »suchende« Mann: Er hat seinen festen Platz in der Gesellschaft, in Familie und Beruf noch nicht gefunden, ist unsicher, ob er eher traditionellen oder modernen Vorstellungen zustimmen soll. Nur noch 54 Prozent der Männer sind der Meinung, dass Frauen von Natur aus besser geeignet sind, Kinder zu erziehen, 1998 waren es noch 65 Prozent. Außerdem befürworten mittlerweile 58 Prozent der Männer, dass Mann und Frau zum Haushaltseinkommen beitragen, 1998 waren es noch 54 Prozent. Gerade die Männer mit modernem Familienbild halten die Ehe für eine Institution mit Zukunft. So sind nur 13 Prozent des modernen Männertyps der Meinung, dass die Ehe eine überholte Einrichtung ist. Dagegen glauben 35 Prozent der teiltraditionellen Männer nicht an die Zukunftsfähigkeit der Ehe. Die Aussage »Für einen Mann ist es eine Zumutung, zur Betreuung seines kleinen Kindes zu Haus zu bleiben«, fand 1998 bei 27 Prozent aller Männer Zustimmung, zehn Jahre später sind es noch 25 Prozent.

Es verändert sich also etwas bei den Männern, wenn auch nur langsam. Es gibt offenbar eine grundsätzliche Verunsicherung darüber, wie ein gelingender Lebensentwurf aussieht, weil diese Bilder im Wandel begriffen sind. Wir brauchen Mut, neue Wege zu gehen, neue Verbindlichkeiten zu finden, die Ehe zu wagen, aber auch das Single-Leben zu respektieren; Menschen zu ermutigen, Kinder zu kriegen, und Menschen ohne Kinder nicht herabzustufen, das gehört zum Ausbalancieren in der Mitte des Lebens. Das Zusammenleben von Menschen und die Familienformen verändern sich, auch das ist deutlich. Das muss gar nicht gleich Anlass für Verfallstheorien sein – solche Veränderungen sind auf die zurückliegenden Jahrhunderte betrachtet ein normales Phänomen.

In der Mitte des Lebens müssen wir uns auch dem möglichen Scheitern von Beziehungen stellen. Ich selbst wollte das mit Blick auf meine eigene Ehe lange nicht wahr haben und habe viele Jahre gebraucht, mir einzugestehen, dass mein damaliger Mann und ich nicht zusammen alt werden können. Es war ein schmerzhafter Prozess, bis ich zu der inneren Überzeugung gelangte: Ich kann so nicht leben, und ich habe auch nicht mehr die Kraft, nach außen die Fassade einer gelingenden Beziehung aufrecht zu erhalten. Nach der inneren Klärung hatte ich den Mut, die äußere durchzustehen. Aber das war keine leichte Zeit, zumal die massive Verurteilung durch andere sofort folgte. Die Gründe für das Scheitern einer Ehe können vielfältig sein. Ich finde, sie gehen nur das Paar selbst etwas an, das sich mit seiner Krise auseinandersetzen muss. Niemand lässt sich leichtfertig scheiden, das jedenfalls ist meine Erfahrung. Mit einem solchen Weg sind für alle Schmerz, Enttäuschung und der Verlust eines Lebensentwurfes verbunden.

Mir geht es dabei auch um die Frage, wie Trennungen begleitet werden. Das gilt einerseits in der Seelsorge: Oft wird die Kirche, werden Gemeinde oder der Pastor beziehungsweise die Pastorin nicht als Gesprächspartner für Ehe- oder Partnerschaftskrisen angesehen. Da ist die Angst vor dem erhobenen Zeigefinger: »Was ist mit eurem Versprechen – ›bis dass der Tod euch scheidet‹?!« Ganz neu fängt unsere Kirche an, Jesus ernst zu nehmen, der angesichts der drohenden Steinigung einer Ehebrecherin erklärte: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« Es gibt Trennungsbegleitung und auch Gottesdienste für Menschen, die in Trennung leben oder unter Trennung leiden, bis hin zu Vorschlägen für Rituale, wenn Paare für ihre Trennung oder Scheidung eine Form suchen, die das Ende der Beziehung angemessener würdigt als ein 10-Minuten-Termin im Amtsgericht.

Bei alledem ist es ja nach wie vor so, dass viele Ehen auch lebenslang Bestand haben. Das Gelingen der Beziehung bedeutet dann auch, dass Krisen bewältigt und Konflikte ausgesprochen werden, dass Menschen an Auseinandersetzungen wachsen, dass sie sich Freiräume zur eigenen Entwicklung einräumen. Jeden Monat gratuliere ich etlichen Paaren zur Goldenen, Diamantenen oder Eisernen Hochzeit und erhalte darauf oft bewegende Briefe, die meist sehr ehrlich beschreiben, welche Höhen und Tiefen das Zusammenleben mit sich gebracht hat – und die große Dankbarkeit ausstrahlen. Eine langjährige Ehe kann zermürbend sein; aber sie kann auch ein großes Geschenk, eine Gnade, ein Glück sein.

Ich finde wichtig, Paare zu ermutigen, über ihre Ehe, ihre Wünsche und Erwartungen miteinander im Gespräch zu bleiben. Dabei spielt in der Lebensmitte sicher auch die Sexualität eine Rolle. Manche neue Belastungen können auf Paare zukommen, die sich seit Langem kennen. Dass »Viagra« in den ersten zehn Jahren seiner Existenz dem Pharmakonzern Pfizer 1,8 Milliarden Euro Gewinn einbrachte und angeblich von 35 Millionen Männern ausprobiert wurde, ist ein Symptom dafür, wie sehr Erektionsstörungen oder die Angst vor sexuellem »Versagen« Männer in der Mitte des Lebens umtreibt. Frauen dagegen scheinen eher von der Angst geplagt zu werden, nicht mehr attraktiv zu sein. Der Film »Wolke 9«, eine Liebesgeschichte zwischen einer alten Frau und einem alten Mann, die auch nackt zu sehen waren, hat große Debatten ausgelöst: Gibt es das überhaupt, dass sich zwei Menschen im Alter noch ineinander verlieben? Sexuelles Verlangen im Alter – das scheint geradezu tabuisiert. Mir sagte jemand nach dem Film: Sie mögen es ja tun, aber ich will es weder sehen, noch daran denken. Interessant, wird Sexualität damit doch in eine Zeit des jugendlichen Ungestüms verbannt. Sexualität in der Mitte und in der zweiten Hälfte des Lebens – ein Tabu. Für Männer vielleicht, weil sie Angst haben, sich nicht »beweisen« zu können. Für Frauen, weil sie Angst haben, körperlich nicht mehr attraktiv zu sein. Hier können Paare, die einander lange vertraut sind, sicher einen Vorteil haben. Sie haben im besten Falle eine Intimität aufgebaut, die auch solche Ängste trägt. Im schlechtesten Fall haben sie das Interesse aneinander verloren und verdrängen ihre Sehnsüchte oder richten sie nach außen.



Bei Menschen, die sich in der Mitte des Lebens neu verlieben, erlebe ich oft ein tiefes Erstaunen, dass nicht nur die stürmischen Gefühle, sondern auch das körperliche Zusammensein, nicht nur das Begehren, sondern auch seine Erfüllung noch möglich ist – das ist eine große Freude, da ist viel Dankbarkeit. Beides ist schön: dass es gelingt, wenn langjährige Paare ihre Partnerschaft auch körperlich so gestalten können, dass beide froh damit leben können, und dass andere neu entdecken, was möglich ist.



Und gleichzeitig gilt: Auch wer keinen (neuen) Partner findet, darf dazu stehen, dass es sexuelle Sehnsüchte gibt, einen Wunsch nach Nähe. Körperlichkeit ist ein Teil des Lebens! Mich hat unendlich traurig gemacht, was eine Physiotherapeutin mir kürzlich erzählte: Eine ihrer Patientinnen habe während der Massage geweint; es sei so viele Jahre her, dass jemand sie angefasst habe, über ihre Haut strich. Sich umarmen und berühren, zärtlich zueinander sein, das gehört zum Leben. Mir ist bewusst, dass das Christentum diese Dimension oft verachtet, ja sie geradezu als »sündig« angesehen und manche Menschen damit schwer belastet hat. Biblisch gesehen kann ich das nicht nachvollziehen, da ja Körperlichkeit und Sinnlichkeit durchaus biblische Dimensionen sind – das vorne erwähnte Hohelied (s. S. 36f) ist ein sprechendes Beispiel!



Vielleicht ist es in der Mitte des Lebens besser möglich, bewusster und auch offener mit dem eigenen Körper, den eigenen Wünschen umzugehen, als das in jungen Jahren der Fall war. Jeder Mensch hat doch ein Grundbedürfnis nach Berührung, Zärtlichkeit, Hautkontakt. Eine Umarmung kann so gut tun, eine nahe, warme Geste auch weit weg von jeder sexuellen Konnotation. Bei der Austeilung des Abendmahls in einem Gottesdienst kürzlich kam eine Frau zu mir, die Tränen in den Augen hatte. Ich habe sie einfach kurz in den Arm genommen, und da hat sie geweint. Ich weiß nicht, was ihr Kummer war, aber sie brauchte einen Menschen, der sie berührte. Auch ein Händedruck kann das ausdrücken oder eine andere liebe Geste. In der Kirche und ihrer liturgischen Tradition gibt es dafür Ansätze, die ich gern neu entdecken würde. Die Salbung beispielsweise, bei der Menschen auf Stirn und Hand mit Öl gesalbt werden, und bei der ihnen ein Segenswort zugesprochen wird. Oder die Geste bei der Tauferinnerung, bei der ein Kreuzeszeichen mit Taufwasser auf die Stirn gezeichnet wird. Geradezu intim ist die Fußwaschung, die in vielen Kirchen am Gründonnerstag oder Karfreitag praktiziert wird. Als ich dies das erste Mal gemacht habe, war ich erstaunt, wie nahe man einem Menschen kommt, dem man die Füße wäscht. Solche Nähe, wie Nähe überhaupt, will gesucht, aber auch ausgehalten werden. Es gibt auch Angst vor Nähe, das Sich-Abschotten, die Erfahrung, besser mit mir allein klarzukommen, denn alle Nähe, und gerade körperliche Nähe, macht verletzbar. Und doch ist die Freude an Beziehung, die Lust an Körperlichkeit auch in der Mitte des Lebens schlicht eine wunderbare Erfahrung.

Freundschaften stärken

Maria aus Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus,

und die übrigen, die bei ihnen waren, erzählten es den Aposteln.42

Im Neuen Testament ist immer wieder von Frauen die Rede, die einander eng verbunden waren. Mich berührt das. Sie waren einander vertraut, haben Freude und Angst, Leid und Mut miteinander geteilt. Sie waren mit Jesus unterwegs, haben tapfer sein Sterben begleitet unter dem Kreuz, hatten gemeinsam die Kraft, am Ostermorgen zum Grab des Hingerichteten zu gehen und schließlich auch noch den Mut, den Jüngern zu sagen, dass sie glaubten, er sei auferstanden! Tapfere, treue, starke, mutige Frauen!

Im Sommer 2008 hatte ich zum 50. Geburtstag auf ein großes offizielles Fest mit geladenen Gästen und Grußworten keine Lust. Deshalb habe ich einfach einen fröhlichen Sektempfang im bischöflichen Garten gegeben, zu dem zwischen 11 und 15 Uhr kommen konnte, wer gratulieren mochte, vom Präsidenten des Landeskirchenamtes über meinen Friseur bis zur Kollegin. Abends habe ich dann mit meiner engsten Familie nett auf dem Balkon gegessen.

Einen Monat später habe ich 26 Frauen eingeladen, die auf meinem Lebensweg eine Rolle gespielt haben. Sechs weitere waren leider verhindert und konnten nicht dabei sein. Zwanzig waren Frauen »in der Mitte des Lebens«, mit denen ich manche Strecke geteilt habe. Sechs gehörten zur jüngeren Generation: meine Töchter und die Töchter einer Freundin. Mir haben die Abwesenden gefehlt, aber insgesamt war es für mich ein bewegender Abend. Das Wetter spielte mit, wir saßen im großen Kreis im Garten, haben gegessen, getrunken, geredet, getanzt. Irgendwann gegen zwei Uhr morgens dachte ich: Das ist wie ein Bild aus einem französischen Film. Jetzt könnte die Kamera auf jedem einzelnen Gesicht verweilen, der Film würde in einer Rückblende jede Geschichte erzählen, und dann wäre der Blick wieder auf den gegenwärtigen Moment gerichtet und die Gemeinschaft.

Freundschaften haben mir immer viel bedeutet, aber je älter ich werde, desto wichtiger werden sie. Ich fühle mich einigen Männern sehr freundschaftlich verbunden, ich vertraue ihnen, arbeite gern mit ihnen zusammen. Da gibt es über Jahre gewachsenes Vertrauen, das bei allen beruflichen Belangen auch eine scherzhafte Ebene einschließt, genauso wie ein tiefgründiges Gespräch über persönliche Fragen. Die Freundschaften mit Frauen sind noch einmal anders, es wird eher über Persönliches gesprochen. Ich will Frauenfreundschaft keinesfalls glorifizieren. Denn natürlich gibt es Streit, Auseinandersetzungen, Abgrenzungen und manches Mal sogar Brüche und Abbrüche, wenn deutlich wird: Das Maß an Gemeinsamkeit, das wir über Jahre hatten, ist kleiner geworden, es trägt nicht mehr. Das können sehr schmerzliche Prozesse sein. Ich erinnere mich an eine Freundschaft, die ich selbst beendet habe, weil ich gemerkt habe: Wir teilen nichts mehr, wir sehen die Wege der je anderen nur noch mit Zynismus. Es ist besser, auseinanderzugehen, als sich wirklich zu verletzen. Das tut weh, ist aber manchmal notwendig.

In der Mitte des Lebens lernen wir, alte Freundschaften besonders zu schätzen. Da sind Menschen Wegstrecken mit uns gegangen, die kennen uns in unterschiedlichen Konstellationen, wir vertrauen ihnen. Es ist in diesem Alter ja gar nicht so einfach, neue Freundschaften wachsen zu lassen. Und deshalb ist es ein besonderes Glücksgefühl, eine tiefe innere Freude, wenn spürbar wird: Da keimt eine neue Beziehung heran, was zwischen uns wächst, könnte ein neues Vertrauensverhältnis werden. Ich habe das in den letzten Jahren immer wieder erlebt und sehe solche Freundschaften als besonderes Geschenk an. Gerade weil das Alleinsein und die Einsamkeit in der Mitte des Lebens ein zentrales Thema sind – für Menschen in einer Paarbeziehung, die ja auch nicht das ganze Leben ausfüllt und alle Aspekte eines Menschen umfasst, wie von allein Lebenden –, ist mir deutlich, wie wichtig die Freundschaft ist.

In der Bibel sind als reine Frauenfreundschaften Noomi mit ihrer Schwiegertochter Ruth (s. S. 100f) zu nennen und Elisabeth und ihre Cousine Maria, die beide gleichzeitig schwanger sind mit ihren Söhnen Johannes und Jesus und sich in dieser Zeit der Erwartung austauschen. Aber da sind eben auch die eingangs genannten Frauen, die gemeinsam am frühen Morgen losgehen, um den toten Jesus zu salben. Sie gehen zusammen. Sie haben davor den Sabbat der Trauer und der Angst, den Freitag der Hinrichtung und des Grauens miteinander erlebt. Und ich kann mir vorstellen, dass sie sich gegenseitig Mut gemacht haben: Doch, wir müssen ihn salben. Wir können ihn doch nicht ungesalbt daliegen und verrotten lassen! Das ist unsere Aufgabe, wir haben ihn schließlich alle gemeinsam die letzten Jahre begleitet. Und so gehen sie: mutige Frauen, denn Angehörige und Unterstützer von Gekreuzigten konnten nach römischem Recht selbst zum Kreuzestod verurteilt werden, da gab es keine Schonung für Frauen.

Diese Frauen, die sich gegenseitig ermutigen, die ihren Weg, der nicht leicht ist, in Freundschaft gehen und angesichts einer gemeinsamen Aufgabe: Das ist ein schönes Bild für Frauen in der Mitte des Lebens, die angstfreier werden und weniger miteinander konkurrieren. Mir wird Freundschaft immer wichtiger. Hat sich eine Freundschaft früher eher nebenher eingestellt, so sind Freundschaften heute für mich essenziell, sie tragen und halten mich besonders in Krisenzeiten. Es gibt dieses unnachahmliche Lied, das die Comedian Harmonists sangen und auch Heinz Rühmann in dem Film »Die Drei von der Tankstelle«43 1930:



Ein Freund, ein guter Freund,/ das ist das Schönste was es gibt auf der Welt!/ Ein Freund bleibt immer Freund/ und wenn die ganze Welt zusammenfällt.

Drum sei auch nicht betrübt,/ wenn dein Schatz dich nicht mehr liebt:/ ein Freund, ein guter Freund,/ das ist das Beste, was es gibt!



Das gilt sicher auch heute und natürlich auch für eine Freundin. Denn eine Freundin, ein Freund sind auch heute die Ersten, die bei Liebeskummer, Eheproblemen, eigener Verzagtheit, tiefen Lebensfragen, beruflichen Weichenstellungen gefragt und gehört werden. Ich habe Freundinnen erlebt, die mir in den schwersten Zeiten meines Lebens zur Seite gestanden haben wie Felsen in der Brandung. Und ich habe erlebt, wie ich selbst für Freundinnen in schwierigster Lage solche »Felsenfunktion« übernehmen konnte. Wirkliche Freundschaft ist nie einseitig belastet, sondern gleicht sich aus im Geben und Nehmen über die Jahre.

In der Mitte des Lebens gilt es deshalb, die Freundschaft zu pflegen, einander zu begleiten und gemeinsame Pläne zu schmieden. Dabei können sich auch lustige Zusammenhänge ergeben: Ich war 2007 auf der Documenta in Kassel und in die Ausstellung vertieft, als mich eine Journalistin auf dem Handy anrief und ziemlich direkt fragte, ob es einen »neuen Mann in meinem Leben« gebe? Ich war ziemlich perplex und sagte wahrheitsgemäß: »Nein!« Daraufhin sagte sie: »Wie wollen Sie denn dann alt werden?« – Da ich kurz zuvor aus New York zurückgekommen war, wo ich drei wunderbare Tage mit zwei amerikanischen Freundinnen verbracht hatte, sagte ich spontan: »Wahrscheinlich in einer Frauen-WG in New York.« Dieser Satz wurde danach immer wieder zitiert. Inzwischen kann ich darüber lachen. Warum eigentlich nicht? Vielleicht wird es so sein. Lange Jahre habe ich gedacht, in einer Ehe alt zu werden; aber warum nun keine Frauen-WG? Ich finde diese Vorstellung gar nicht abwegig – es steckt in ihr eine ausgewogene Mischung aus Nähe und Distanz.

Vorstellen kann ich mir aber zum Beispiel auch, in einem Haus in Hannover zu leben, andere Frauen in umliegenden Wohnungen, mit denen ich manches teile, Kino und Kummer, Kaffee und die Kanarischen Inseln als Urlaubsort. Jedenfalls finde ich großartig, dass es solche Vorstellungen vom gemeinsamen Altwerden gibt, die nicht als zweitklassig betrachtet werden, sondern als kreative Möglichkeiten, das Eigene zu bewahren und – in aller Freundschaft – Gemeinsames zu wagen und zu gestalten. Vielleicht werde ich auch in einer neuen Beziehung zu einem Mann leben, die offene Türen kennt, die das Miteinander feiern kann. Überraschungen sind immer möglich, aber ich finde gut, offen zu sein für alternative Formen.

Für gemeinsame Perspektiven im Alter mit Freundinnen und Freunden ist es nötig, die Freundschaften auch zu pflegen. Zeit zu investieren ist wichtig, gemeinsame Zeiten planen, Feste feiern, zusammen eine Ausstellung besuchen, einen Kurzurlaub miteinander verbringen. Wir müssen oft aufholen und einander auf den Stand bringen, was sich im Leben ereignet – oft bleibt im Alltag gar keine Zeit, das zu erzählen. Freundschaften brauchen Hege und Pflege. Je älter wir werden, desto besser begreifen wir das. Desto mehr wissen wir wirkliche Freundschaft auch zu schätzen und was wir aneinander haben. Das kann in so mancher Lebensphase weit tragen.

40 1. Mose/Genesis 24,67.

41 Vgl. die Studie »Männer in Bewegung – 10 Jahre Männerentwicklung in Deutschland«, die der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Rainer Volz und der Wiener Pastoraltheologe und -soziologe Prof. Dr. Paul Michael Zulehner im Auftrag der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) durchgeführt haben.

42 Lukas 24,10.

43 Zu diesem Film habe ich eine besondere Verbindung, weil mein Vater ihn sehr mochte und meine beiden älteren Schwestern und ich in Anspielung darauf öfter als die »drei Mädels von der Tankstelle« bezeichnet wurden.