KEVIN J. ANDERSON

Sonnenstürme

Roman

Aus dem Amerikanischen von

ANDREAS BRANDHORST

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

HEYNE SCIENCE FICTION 06/8313

Titel der amerikanischen Originalausgabe HORIZON STORMS

Deutsche Übersetzung von ANDREAS BRANDHORST

2. Auflage

Deutsche Erstausgabe 4/05

Redaktion: Rainer Michael Rahn

Copyright © 2004 by WordFire, Inc.

Copyright © 2005 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Printed in Germany 2005

Umschlagbild: Paul Youll

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Schaber, Satz- und Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 3-453-52020-3

Das Buch

Als die Menschen zu Beginn des 22. Jahrhunderts mit Generationenschiffen unser Sonnensystem verlassen, stoßen sie auf das technisch hoch entwickelte Reich der Ildiraner, von dem sie den überlichtschnellen Sternenantrieb übernehmen.

Sie besiedeln etliche Welten im Spiralarm der Galaxis und gründen den auf Handel und militärischer Macht beruhenden Bund der Hanse. Als sie, ohne es zu wissen, den Lebensraum der in den Tiefen riesiger Gasplaneten existierenden Hydroger zerstören, provozieren sie einen höchst aggressiven Gegner, der schon Jahrtausende zuvor gegen die Ildiraner verheerende Kriege geführt hat.

Unter den Nachkommen dieser Menschen brechen nun heftige Verteilungskämpfe aus. Und jede Machtgruppierung versucht, eigene Waffen im verzweifelten Kampf gegen die Hydroger zu entwickeln. Hoffnung keimt erst auf, als in den Ruinen der Klikiss, einer geheimnisvollen, untergegangenen Zivilisation, Portale entdeckt werden, mit deren Hilfe man andere Welten ohne Zeitverlust erreichen kann. Doch plötzlich wenden sich die Überbleibsel dieser Kultur, die bislang kooperativen Klikiss-Roboter, gegen Menschen und Ildiraner. Offenbar haben sie sich mit den Hydrogern verbündet. Menschen und Ildiraner werden in einen gigantischen, galaxisweiten Konflikt verwickelt, der das Ende allen zivilisierten Lebens bedeuten könnte…

Der Autor

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Die Auflage seiner Bücher, darunter zahlreiche

»Star Wars«- und »Akte X«-Romane, beträgt weltweit über 15

Millionen Exemplare. Gemeinsam mit Brian Herbert schrieb Anderson auch die »Frühen Wüstenplanet-Chroniken« sowie die »Legenden des Wüstenplaneten«, die faszinierende Vorgeschichte zu Frank Herberts großem Epos »Der Wüstenplanet«. Weitere Informationen zum Autor und seiner

»Saga der Sieben Sonnen«

finden Sie unter:

www.wordfire.com.

Für DEAN KOONTZ,

der mir seit dem Beginn

meiner Karriere mit Rat, Ideen und

Ansporn geholfen hat.

Vor langer Zeit forderte er mich auf, bei

meinen Geschichten »in großen Maßstäben«

zu denken. Inzwischen ist die

»Saga der Sieben Sonnen« schon

länger als Tolstois »Krieg und Frieden« –

ich hoffe, er hat dies gemeint!

DANKSAGUNG

Während diese Serie länger und komplexer wird, muss ich auf die Hilfe von immer mehr Personen zurückgreifen. Jaime Levine und Devi Pillai von Warner Aspect haben mit ihren redaktionellen Anregungen an der Gestaltung der »Saga«

mitgewirkt, sowohl im großen Maßstab als auch auf subtile Weise. John Jarrold, Darren Nash und Melissa Weatherill gebührt das gleiche Verdienst bei der britischen Ausgabe dieser Bücher.

Geoffrey Girard durchforstete mit scharfen Augen die Serie und half dabei, die Widersprüche bei den Details im Verlauf der breit angelegten Handlung so gering wie möglich zu halten.

Catherine Sidor und Diane Jones von Wordfire, Inc. boten beim Brainstorming viele Meinungen und Ideen an. Catherine bekam fast wunde Fingerspitzen, als sie versuchte, den Text so schnell zu tippen, wie sie die besprochenen Mikrokassetten von mir bekam.

Viele Orte und Ereignisse gingen auf die Bilder von Rob Teranishi und Igor Kordey zurück, die das visuelle Universum für Veiled Alliances schufen, den Sieben-Sonnen-Comic.

Darüber hinaus bin ich den Visionen der erstklassigen Coverzeichner Stephen Youll und Chris Moore zu Dank verpflichtet.

Meine Agenten John Silbersack, Robert Gottlieb und Kim Whalen von der Trident Media Group haben mir sehr dabei geholfen, diese Serie nicht nur auf dem amerikanischen Markt zum Erfolg zu führen, sondern auch in vielen anderen Sprachen.

Vor allem aber möchte ich meiner Frau Rebecca Moesta danken, die sich viel Zeit nahm und mich mit erheblicher geistiger Energie bei der Arbeit an Sonnenstürme unterstützte, beim Konzept ebenso wie bei den Entwürfen bis hin zur endgültigen Fassung. Mit Verständnis, Geduld und Liebe hat sie Sonnenstürme zum bestmöglichen Buch gemacht.

WAS BISHER GESCHAH

Beim ersten Test einer Klikiss-Fackel – eines Apparats, der in den Ruinen der uralten Klikiss-Zivilisation gefunden worden war – brachte die Terranische Hanse einen Gasplaneten zur Explosion und verwandelte ihn in eine kleine Sonne. Basil Wenzeslas, Vorsitzender der Hanse, wollte die kalten Monde des Gasriesen terraformen und in Kolonien verwandeln. Die Menschheit hatte sich auf vielen Welten ausgebreitet, beobachtet vom wohlwollenden, aber zurückhaltenden alten Ildiranischen Reich und seinem gottartigen Oberhaupt, dem Weisen Imperator.

Beneto, ein »grüner Priester« vom Waldplaneten Theroc, dessen Bewohner in Symbiose mit den halbintelligenten

»Weltbäumen« leben, berichtete den vielen Welten in der Galaxis vom Test. Grüne Priester sind wie lebendige Telegrafenstationen und bieten mithilfe des Netzwerks der Weltbäume die einzige Möglichkeit der direkten, unmittelbaren Kommunikation über interstellare Distanzen hinweg.

Doch was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste: Der betreffende Gasriese und viele andere Gasplaneten waren bewohnt. Die Hanse hatte gerade eine Welt der mächtigen Hydroger zerstört und damit einem verborgenen Imperium unabsichtlich den Krieg erklärt.

Auf Ildira empfing der Erstdesignierte Jora’h, erstgeborener Sohn des Weisen Imperators, den Menschen Reynald, Benetos Bruder und Erbe des Throns von Theroc. Um ihre Freundschaft zu besiegeln, bot Jora’h Reynald an, zwei grüne Priester nach Ildira zu entsenden, auf dass sie sich mit dem großen ildiranischen Epos befassten, der Saga der Sieben Sonnen.

Die Händlerin Rlinda Kett beabsichtigte,

Handelsbeziehungen zwischen Theroc und der Hanse aufzubauen. Die ehrgeizige Sarein, Schwester von Reynald und Beneto, unterstützte sie, doch Mutter Alexa und Vater Idriss wollten Therocs Isolation nicht aufgeben. Rlinda erklärte sich bereit, auf der Grundlage von Jora’hs Einladung zwei grüne Priester – die alte Otema und die neugierige junge Nira –nach Ildira zu bringen.

Auf der Erde begann der Vorsitzende Wenzeslas insgeheim mit der Suche nach Ersatz für den alten König Frederick. Seine Beauftragten entführten Raymond Aguerra, veränderten das Aussehen des Jungen, nannte ihn »Prinz Peter« und unterzogen ihn einer Gehirnwäsche.

Nach dem erfolgreichen Einsatz der Klikiss-Fackel, begannen ihre Entdecker, Margaret und Louis Colicos, mit neuen archäologischen Ausgrabungen auf dem Wüstenplaneten Rheindic Co, wo es uralte Klikiss-Städte gab. Angeblich um mehr über ihre eigene Vergangenheit zu erfahren, begleiteten drei Klikiss-Roboter, Überbleibsel jener Zivilisation, das Archäologenpaar zur neuen Ausgrabungsstätte.

Unterdessen begannen die Hydroger Vergeltung zu üben für die Zerstörung einer ihrer Welten – sie griffen von Menschen erbaute Anlagen in der Atmosphäre von Gasriesen an. Eins ihrer ersten Ziele war eine Himmelsmine, eine gewaltige Anlage, die das Gas des Riesenplaneten für die Produktion von Ekti nutzte, Treibstoff für den Sternenantrieb. Roamer, auf ihre Unabhängigkeit bedachte Weltraumzigeuner, und ihre Himmelsminen sind die Hauptlieferanten von Ekti für die Hanse und das Ildiranische Reich. Die draufgängerische Roamerin Tasia Tamblyn entschied sich für den Dienst in der Terranischen Verteidigungsflotte (TVF) und überließ es ihrem Bruder Jess, sich um die Wasserminen der Familie zu kümmern.

Auf Ildira wurde die grüne Priesterin Nira vom Erstdesignierten Jora’h, der die Nachfolge seines Vaters als Oberhaupt des ganzen ildiranischen Volkes antreten würde, schwanger. Ein anderer Sohn des Weisen Imperators, der düstere Dobro-Designierte Udru’h, glaubte, dass Nira die richtige DNS besaß, die für die geheimen ildiranischen Zuchtexperimente gebraucht wurde.

Ein ildiranischer Historiker beschäftigte sich mit alten Aufzeichnungen und entdeckte dabei Dokumente, die bewiesen, dass die Hydroger schon einmal erschienen waren, in einem früheren Krieg, aber die Hinweise auf jenen Konflikt waren aus der Saga der Sieben Sonnen entfernt worden. Bevor er seine schockierende Entdeckung bekannt machen konnte, tötete ihn der Weise Imperator, um das Geheimnis zu wahren.

Doch Adar Kori’nh, Kommandeur der Solaren Marine, musste in einer Schlacht gegen die Hydroger die erste demütigende Niederlage der Ildiraner seit Jahrtausenden hinnehmen.

Auf der Erde baute die TVF neue Schiffe und requirierte zivile Raumschiffe, um sich gegen die Hydroger zur Wehr setzen zu können. Nach wiederholten Angriffen der Hydroger gaben viele Roamer ihre Himmelsminen auf, doch Jess Tamblyn beschloss, dem Feind eine Lektion zu erteilen. Mit einigen loyalen Arbeitern brach er auf und flog dorthin, wo die Hydroger die Himmelsmine seines Bruders Ross zerstört hatten. Sie änderten die Flugbahn von Kometen und verwandelten sie in kosmische Geschosse, die mit der Zerstörungskraft von Atomraketen auf den Gasplaneten stürzten.

Als der Vorsitzende Wenzeslas erfuhr, dass auch die Ildiraner von den Hydrogern angegriffen worden waren, machte er sich auf den Weg nach Ildira, um dem Weisen Imperator ein Bündnis vorzuschlagen. Währenddessen erschien ein Gesandter der Hydroger auf der Erde, übermittelte ein Ultimatum und tötete sich selbst und König Frederick durch die Explosion seiner Druckkapsel.

Basil kehrte rasch zur Erde zurück und inthronisierte Raymond als den neuen »König Peter«. Peter hielt eine sorgfältig vorbereitete Rede, wies das Ultimatum der Hydroger zurück und erklärte, dass sich die Menschheit den für ihr Überleben notwendigen Treibstoff Ekti nehmen würde. In einem Kampf gegen die Hydroger beim Jupiter musste die Terranische Verteidigungsflotte eine verheerende Niederlage hinnehmen.

Auf Ildira entführten ildiranische Wächter Nira und übergaben sie dem Dobro-Designierten, der genetische Experimente mit ihr durchführen ließ.

In Rendezvous, dem Zentrum der Roamer-Gemeinschaft, forderte Sprecherin Okiah die Clans auf, Alternativen für die Himmelsminen zu finden, und anschließend dankte sie zugunsten von Cesca Peroni ab. Die Frau, die Jess Tamblyn liebte, nahm nun Okiahs Platz als Oberhaupt der Roamer ein.

Auf dem Planeten Rheindic Co entdeckte das Colicos-Team ein geheimnisvolles Transportsystem, eine von komplexen Maschinen kontrollierte Dimensionstür. Zwar behaupteten die Klikiss-Roboter weiterhin, nichts zu wissen, aber es gelang Margaret trotzdem, alte Aufzeichnungen zu übersetzen. Daraus ging hervor, dass die Roboter selbst für das Verschwinden ihrer Schöpfer verantwortlich und zudem vor langer Zeit an einem Krieg gegen die Hydroger beteiligt gewesen waren! Als die Roboter nun das Archäologenteam angriffen, gelang es Louis, das »Transportal« zu aktivieren und ein Tor zu einer fremden Welt zu öffnen, durch das Margaret entkommen konnte.

Fünf Jahre lang ging der Hydroger-Krieg weiter. Menschheit und Ildiraner litten schwer unter dem Mangel an Treibstoff für den Sternenantrieb. König Peter veranlasste eine strenge Rationierung und übernahm dafür die Verantwortung, während in Wirklichkeit Basil Wenzeslas alle Entscheidungen traf. Von Jess Tamblyn angeführte Roamer unternahmen waghalsige Vorstöße in die Atmosphären von Gasriesen, um Ekti zu gewinnen, bevor die Hydroger zuschlagen konnten. Viele Unternehmen dieser Art fanden ein tragisches Ende.

Man teilte dem Erstdesignierten Jora’h mit, seine geliebte Nira wäre bei einem Feuer ums Leben gekommen. Der Weise Imperator hielt das Zuchtprojekt auf Dobro ebenso vor ihm geheim wie den Umstand, dass Nira lebte und als Untersuchungsobjekt verwendet wurde. Nach der Geburt von Osira’h, Jora’hs Tochter, brachte sie einige weitere Halbblutkinder zur Welt. Ihr blieb keine andere Wahl, als die Sklavenarbeit zu verrichten, zu der sie und die anderen gefangenen Menschen gezwungen waren, Nachkommen des vor Generationen verloren gegangenen Kolonistenschiffes Burton. Um sicherzustellen, dass die Hanse das Zuchtlager nicht entdeckte, ordnete der Dobro-Designierte die Zerstörung des Burton- Wracks an.

Da sich mit Himmelsminen keine Geschäfte mehr machen ließen, entwickelten die Roamer neue Methoden für die Gewinnung von Treibstoff. Sie verwendeten das Eis von Kometen und konstruierten gewaltige Segel, um den Wasserstoff interstellarer Gaswolken einzufangen.

Anton Colicos, Sohn des vermissten Archäologen-Ehepaars, bekam eine Einladung von einem ildiranischen Historiker: Der Erinnerer Vao’sh bot ihm an, sich auf Ildira mit der Saga der Sieben Sonnen zu befassen. Anton willigte fasziniert ein.

DD, der Kompi (kompetenter computerisierter Helfer) des Ehepaars Colicos, wurde von Klikiss-Robotern entführt und beobachtete, wie diese an gefangenen Kompis schreckliche Experimente durchführten, um sie von der Programmierung zu

»befreien«, die sie zwangen, Menschen zu gehorchen. DD

stellte auch fest, dass tausende von Klikiss-Robotern, die bisher in einer Art Hibernation geruht hatten, geweckt wurden.

Die Roboter brachten den kleinen DD zu den bizarren Hochdruckstädten der Hydroger in einem Gasriesen. Dort erfuhr DD, dass die Klikiss-Roboter ein Bündnis mit den Hydrogern gegen die Menschen anstrebten, aber der kleine, hilflose Kompi konnte diese Pläne nicht vereiteln.

Auf der Erde waren König Peter und Basil Wenzeslas überrascht, als der Klikiss-Roboter Jorax anbot, sich um der Wissenschaft willen demontieren zu lassen. Jorax behauptete, die Klikiss-Roboter wollten den Menschen bei ihrem Krieg gegen die Hydroger helfen; die Technologie der Roboter sollte für den Bau sehr leistungsfähiger Soldaten-Kompis verwendet werden.

Sarein schlug Basil vor, dass ihre Schwester Estarra König Peter heiraten sollte. Als sie Reynalds Krönungszeremonie auf dem Waldplaneten beiwohnten, unterbreiteten Basil und Sarein dem neuen Oberhaupt von Theroc ihr Anliegen, und Reynald willigte ein. Nach der Verlobung seiner kleinen Schwester mit dem König übermittelte Reynald Cesca Peroni einen Heiratsantrag. Als der Weise Imperator Selbstmord beging, trat Jora’h seine Nachfolge an. Auf Dobro bildete der Designierte Udru’h Niras Tochter Osira’h dazu aus, ihre geistigen Kräfte zu verstärken, um im Kampf gegen die Hydroger das ildiranische Volk zu retten.

Nach einer vernichtenden Niederlage der terranischen Flotte bei Osquivel machte sich Cesca mit einigen Roamer-Schiffen auf den Weg nach Theroc, um Reynalds Heiratsantrag offiziell anzunehmen. Jess durchstreifte mit einem Nebelsegler den interstellaren Raum und sammelte Wasserstoff, andere Gase und Wassermoleküle. Nach und nach spürte er, dass er nicht mehr allein war. Er hatte eins der übernatürlichen Wasserwesen aufgenommen, einen Wental, und das Geschöpf erzählte ihm vom alten Krieg gegen die Hydroger. Daraufhin hatte Jess eine neue Mission: Wenn er dem Wental Gelegenheit gab, sich auf verschiedenen Wasserplaneten auszubreiten und wieder stark zu werden, so bekam die Menschheit vielleicht einen mächtigen Verbündeten gegen die Hydroger. Als diese sein Schiff angriffen, ging er eine Symbiose mit den Wentals ein und entwickelte übermenschliche Kräfte.

Auf Rheindic Co entdeckte der nach Margaret Colicos suchende Davlin Lotze durch Zufall, wie man die Transportale der Klikiss aktivierte – Rlinda Kett beobachtete, wie er zu einer anderen Welt transferiert wurde. Davlin experimentierte und schaffte es, das Transportsystem erneut zu aktivieren.

Tagelang sprang er von einem Planeten zum nächsten, bis er schließlich zu Rlinda zurückfand, die ihn fast aufgegeben hatte. Davlin war erschöpft und halb verhungert, aber auch begeistert: Er hatte eine neue Art der interplanetaren Reise entdeckt, die kein kostbares Ekti erforderte!

Während zwischen König Peter und dem Vorsitzenden die Spannungen wuchsen, kamen sich der König und Estarra immer näher. Peter schickte eine Erkundungsflotte aus TVF-Schlachtschiffen in den Einsatz – an Bord befanden sich hauptsächlich Soldaten-Kompis und nur wenige Menschen.

Die Schiffe sollten einen Planeten der Hydroger beobachten…

und verschwanden spurlos.

Als sich der Lehrer-Kompi OX mit den Soldaten-Kompis befasste, entdeckte er genug beunruhigende Details, um den König in seinem Argwohn zu bestärken. Mit einer königlichen Anweisung legte Peter die Kompi-Fabriken still, bis es möglich war, die kopierte Klikiss-Technik besser zu verstehen.

Der zornige Basil entwickelte einen Plan, um König Peter und Königin Estarra zu ermorden, wobei alles so aussehen sollte, als wären die unabhängigen Roamer schuld daran. Mithilfe von OX und Estarra vereitelte Peter den Plan, doch jetzt wussten König und Vorsitzender, dass sie sich gegenseitig genau beobachten mussten.

Die Hydroger entdeckten schließlich den Weltwald, und eine große Flotte aus Kugelschiffen griff Theroc an. Angeführt von Reynald versuchten die Theronen, sich zu wehren. Die hohen Bäume griffen ihrerseits die Kugelschiffe an und zerstörten einige von ihnen, doch letztendlich hatten sie keine Chance.

Doch dann erschienen plötzlich Feuerbälle der Faeros –

Wesen, die im Inneren von Sonnen lebten, und alte Feinde der Hydroger – und halfen dem Wald im Kampf. Die gewaltige Schlacht brachte vielen Hydrogern und Faeros Vernichtung, und große Teile des Weltwaldes wurden zerstört. Reynald starb, doch schließlich vertrieben die Faeros die Hydroger.

Dort, wo die Klikiss-Fackel getestet worden war, beobachtete Tasia einen titanischen Kampf zwischen Hydrogern und Faeros in der neuen Sonne. Schließlich brachten die Hydroger das nukleare Feuer der Sonne zum Erlöschen und töteten die Faeros…

Davlin und Rlinda berichteten Basil von dem auf Rheindic Co entdeckten Transportalsystem der Klikiss. Die Dimensionstore benötigten kein teures, rationiertes Ekti. Basil nutzte die gute Gelegenheit und verkündete ein neues Kolonisierungsprogramm, das Menschen durch Transportale zu verlassenen Klikiss-Welten bringen sollte.

Nachdem Jora’h die Nachfolge seines Vaters als Weiser Imperator angetreten und die Kastrationszeremonie hinter sich gebracht hatte, die ihm Zugang zum Thism und der ganzen Wahrheit gab, erfuhr er von den schrecklichen Plänen seiner Vorgänger.

In der Galaxis hatte ein neuer Krieg zwischen Hydrogern und Faeros begonnen, in dem eine Sonne nach der anderen erlosch…

SONNENSTÜRME

1

CELLI

Geschwärzt von den Flammen reckten sich die überlebenden Weltbäume nach dem Albtraum, der sie heimgesucht hatte, trotzig dem Himmel entgegen. Halb verkohlte Äste, in Agonie erstarrt, streckten sich nach oben, als wollten sie einen weiteren Schlag abwehren. Verbrannte Rinde löste sich wie lepröse Haut von den Stämmen. Viele der Bäume waren tödlich verletzt. Der Wald hatte sich in ein riesiges Durcheinander aus toten Zweigen und halb umgestürzten Bäumen verwandelt.

Celli, das jüngste Kind von Mutter Alexa und Vater Idriss, spürte, wie ihr Tränen in die großen braunen Augen stiegen, als sie das Chaos sah. Sie war achtzehn, hatte zottiges, korkenzieherartiges, kastanienbraunes Haar, das sie nur dann schnitt, wenn es sie störte. Ruß und Asche klebten an ihrem Top, das einen Teil des Bauches unbedeckt ließ, und auch an dem kurzen, weiten Rock. Normalerweise zeigte sich immer ein Lächeln unter der nach oben gerichteten Nase, doch seit einiger Zeit gab es kaum mehr Grund zu lächeln.

Nach dem Rückzug der Hydroger waren die letzte Kraft des Weltwaldes, eine gewaltige Anstrengung der Theronen und die Hilfe der zu spät eingetroffenen terranischen Flotte nötig gewesen, um die vielen Feuer unter Kontrolle zu bringen.

Trotzdem waren ganze Kontinente verheert. Hier und dort brannte es noch, und Rauch stieg auf, bildete Flecken am blauen Himmel, wie von blutigen Fingern hinterlassene Striemen. Grüne Priester und theronische Arbeiter versammelten sich täglich an zentralen Orten für die schier überwältigende Aufgabe, Ordnung zu schaffen.

Celli gesellte sich ihnen jeden Tag hinzu. Wenn sie lief, kam ihr bei jedem Atemzug der Gestank von verbrannten fleischigen Blättern in die Nase. Sie wusste, dass sie den Geruch von bratendem Fleisch und verbrennendem Holz für den Rest ihres Lebens ekelhaft finden würde.

Als sie zum ersten Mal die Überreste einer Pilzriff-Stadt erreicht hatte – eines riesigen, aus einzelnen Lagen bestehenden Pilzes, im Lauf von Jahrhunderten entstanden –, war sie schockiert gewesen. Der Wirtsbaum war verbrannt, das Pilzriff halb zerstört, und die herausgeschnittenen Räume waren unbewohnbar.

Auf einer zertrampelten Lichtung unter dem beschädigten Pilzriff gaben sich Cellis Eltern alle Mühe, die Anstrengungen der müden Arbeiter zu organisieren. Idriss und Alexa hatten sich offiziell in den Ruhestand zurückgezogen und die Regierungsgeschäfte Cellis ältestem Bruder Reynald überlassen, aber Reynald war beim Angriff der Hydroger ums Leben gekommen. Vor dem inneren Auge sah sie ihn noch einmal, wie er herausfordernd auf dem Blätterdach des Weltwaldes stand, als Hydroger und Faeros am Himmel gegeneinander kämpften…

Doch heute, wie an jedem Tag nach dem Angriff der Hydroger, nahm sich niemand die Zeit, zu trauern und an die zu denken, die gestorben waren. Unter den gegenwärtigen Umständen die Arbeit zu unterbrechen, selbst aus Kummer, wäre unangebracht gewesen. Zahllose Bäume und Menschen konnten noch gerettet werden, wenn sämtliche Überlebende mithalfen. Deshalb stellten sich alle Theronen, die nicht zu schwer verletzt waren, klaglos den Aufgaben, die erledigt werden mussten. Wie die anderen Bewohner Therocs trauerte Celli bei der Arbeit.

Nicht nur ihr Bruder zählte zu den vielen Opfern, sondern auch drei von Cellis besten Freunden. Und ihr anderer Bruder, Beneto, ein grüner Priester, der beim Angriff der Hydroger auf Corvus Landing ums Leben gekommen war. Jeden Tag arbeitete Celli bis zur Erschöpfung und versuchte, den schlimmsten Schmerzen zu entrinnen. Sie wagte es nicht, zu lange an Lica, Kari und Ren zu denken, aus Furcht davor, dass der Kummer sie lähmte.

Vor dem Angriff der Hydroger hatten Celli und ihre Freunde die Zeit damit verbracht, sich im Wald zu vergnügen, ohne groß an das zu denken, was der nächste Tag bringen mochte.

Celli übte den Baumtanz, und Ren verstand sich gut darauf, Kondorfliegen zu fangen. Lica und Kari mochten den gleichen Jungen, der davon jedoch gar nichts wusste. Wie oft hatten sie gelacht und zusammen gespielt, ohne zu ahnen, dass einmal alles ganz anders sein würde…

Niemand von ihnen hatte mit Feinden jenseits des Himmels gerechnet.

Celli befand sich jetzt als einziges Kind der Familie auf Theroc, denn ihre Schwestern Sarein und Estarra lebten beide im Flüsterpalast auf der Erde. Früher hatten die Schwestern ihr vorgeworfen, sich zu oft zu beklagen; jetzt erschienen ihr die Sorgen und Misslichkeiten ihrer Jugend banal. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte Celli sowohl einen Hauch Unabhängigkeit als auch das Gewicht echter Verantwortung.

Und sie war entschlossen, ihrem Volk dabei zu helfen, diese Tragödie zu überwinden. Das Problem schien immens groß zu sein, doch sie hob das Kinn und biss die Zähne zusammen.

Auch die anderen theronischen Überlebenden verfügten über eine neue Entschlossenheit, die es ihnen erlaubte, ihre Verzweiflung beiseite zu schieben. Auf eine derartige Katastrophe waren sie nicht vorbereitet gewesen, aber sie entdeckten nun in sich eine neue Entschlossenheit, als sie versuchten, so viel wie möglich vom Weltwald zu retten und gleichzeitig Trost in diesem Bemühen fanden.

»Wir sind nicht allein. Wir kümmern uns um die Bäume, und sie kümmern sich um uns. Wir lassen uns gegenseitig nicht im Stich. Dies ist die Quelle unserer Kraft, und zusammen überstehen wir alles«, hatte Vater Idriss bei der Versammlung der Überlebenden kurz nach dem Angriff gesagt.

Leitern, Flaschenzüge, Rampen und Stege verschafften am zentralen Baum Zugang zum Pilzriff, und die Theronen versuchten zu retten, was noch zu retten war. Erwachsene entfernten Trümmer und verbranntes Pilzfleisch aus den unteren Bereichen, während Kinder vorsichtig nach oben kletterten und sichere Routen für die schwereren Erwachsenen fanden. Celli erinnerte sich daran, als Estarra und sie ganz oben auf dem riesigen Pilz herumgeklettert waren, um dort das zarte weiße Fleisch zu ernten, das Beneto so sehr gemocht hatte…

Zum Glück waren die Hydroger nach ihrem ersten Angriff mit dem Kampf gegen die Faeros beschäftigt gewesen und deshalb nicht zum Weltwald zurückgekehrt. Doch das tröstete Celli kaum. Es gab zu viel Tod und Zerstörung um sie herum.

Ein überraschender Ruf kam von oben, gefolgt von kummervollem Stöhnen. In einem Raum des Pilzriffs hatte ein Kind gerade eine erstickte Frau gefunden. Weitere Theronen kletterten über die harten Außenflächen des Pilzes und begannen damit, das Opfer zu bergen. Celli hatte die Frau gekannt: eine Freundin der Familie, bekannt für ihre köstlichen Pasteten aus Waldbeeren. Für mehr Kummer gab es keinen Platz in Celli – jeder neue Tropfen der kalten Tragödie rann wie Wasser über einen bereits nassen Mantel. Reynald, Beneto, Lica, Kari, Ren… Die Namen hallten durch ihr Bewusstsein, einer nach dem anderen. Alle verdienten es, dass man sich an sie erinnerte. Jeder Einzelne.

Celli wollte nicht zugegen sein, wenn die Arbeiter die Leiche der Frau herunterbrachten, und deshalb wandte sie sich an ihre Großeltern. »Ich möchte dorthin gehen, wo ich mich besonders nützlich machen kann, Großmutter. Bitte schick mich fort.«

»Ich weiß, dass du ungeduldig bist, meine Liebe.« Die wässrigen Augen der alten Lia wirkten sehr müde. »Wir versuchen zunächst zu entscheiden, welche Arbeiten am wichtigsten sind.«

Cellis Großvater kratzte sich an der zerschrammten Wange.

»Wir sind noch immer damit beschäftigt, einen Überblick darüber zu gewinnen, welchen Schaden der Wald genommen hat.«

Uthair und Lia verfolgten den Weg von Erkundungsgruppen, kritzelten Notizen und fertigten Aufzeichnungen an, die nur für sie einen Sinn ergaben. Normalerweise konnten die grünen Priester einen mentalen Kontakt mit den Weltbäumen herstellen, um den ganzen Wald zu sehen, aber das Ausmaß der Verwüstung war so gewaltig, dass viele von ihnen die fragmentarischen visuellen Informationen nicht zu einem einheitlichen Bild zusammensetzen konnten.

Das alte Paar breitete detaillierte Satellitenbilder aus, die von den TVF-Schiffen stammten und deutlich die von Feuer und Kälte verheerten Waldbereiche zeigten. Grüne Priester hatten diese Informationen durch den Telkontakt mit den Bäumen geteilt, aber der Weltwald wusste bereits von seinen enormen Verletzungen, die eine direkte, klare Kommunikation erschwerten. Cellis Großmutter deutete auf eine nicht gekennzeichnete Stelle, wo hunderte Morgen geborstener und geknickter Bäume auf dem Boden lagen, wie ein riesiges Kornfeld, über das ein Orkan hinweggezogen war. »Da ist noch niemand gewesen.«

»Ich sehe mich dort um.« Celli war froh über die nützliche Aufgabe, die sie ganz allein erledigen konnte. Sie hieß die Verantwortung willkommen. Immerhin war sie inzwischen so alt wie Estarra, als sie König Peter geheiratet hatte. Alle Bewohner von Theroc, bis hin zum kleinsten Kind, waren gezwungen, zu schnell erwachsen zu werden.

Sie lief los und suchte sich einen Weg durch den Wald. Der Brand hatte das Unterholz verschwinden lassen, doch die Kältewellen der Hydroger hatten wie Sprengstoff gewirkt und ganze Bäume zerfetzt. Hier und dort bildeten ihre Splitter ein wirres Durcheinander.

Celli eilte leichtfüßig durch den Wald, mit Beinen, die vom Klettern, Laufen und Tanzen muskulös waren. Sie stellte sich vor, erneut zu üben, um eines Tages Baumtänzerin zu werden, was sie sich seit vielen Jahren wünschte. Sie hatte fleißig geübt und sah sich selbst als eine Mischung aus Ballerina und Marathonläuferin.

Während sie lief, sah sie weitere Tote, von Kältewellen getötet, oder schrecklich verbrannte Leichen, die in der Fötusposition dalagen – Muskeln und Sehnen hatten sich in der Hitze zusammengezogen. Viel zu viele waren gestorben, sowohl Bäume als auch Menschen.

Celli setzte den Weg fort, und ihre Füße wirbelten Aschewolken auf. Jeder lebende Baum, den sie melden konnte, war ein kleiner Sieg für Theroc. Jeder einzelne Triumph dieser Art tilgte ein wenig von der Verzweiflung, die die Hydroger gebracht hatten.

Als sie den verheerten Wald in einem langsamen, breiten Zickzack erforschte, entdeckte sie nur wenige überlebende Bäume, doch jeden von ihnen berührte sie kurz, murmelte dabei ermutigende und hoffnungsvolle Worte. Auf Händen und Knien kroch sie durch ein Gewirr aus umgestürzten Bäumen so breit wie ein Haus. Geborstene Zweige kratzten ihr über die Haut, aber Celli achtete nicht darauf, kroch weiter und erreichte eine Lichtung, wo alle Bäume auf dem Boden lagen.

Etwas Großes schien hier explodiert zu sein und in der Mitte einen offenen Bereich geschaffen zu haben.

Celli schnappte überrascht nach Luft. Im Zentrum des Kreises der Zerstörung sah sie gewölbte Trümmer aus rußgeschwärztem Kristall, die geborstenen Fragmente eines Kugelschiffs. Pyramidenförmige Vorsprünge ragten wie Dorne durch die sphärischen Rumpfsegmente.

Die Reste eines Hydroger-Schiffes.

Sie hatte die Kugelschiffe am Himmel gesehen, doch dies war ein auseinander gebrochenes Wrack – die einzelnen Teile lagen auf der Lichtung verstreut. Aus einem Reflex heraus ballte Celli die Fäuste, und ein leises, zorniges Knurren entrang sich ihrer Kehle.

Bisher hatte die TVF trotz ihrer modernen Waffen kaum etwas gegen die diamantene Panzerung der Hydroger ausrichten können. Celli wusste: Das terranische Militär wäre sicher sehr daran interessiert, Teile eines Kugelschiffes untersuchen zu können. Und eine derartige Möglichkeit sollte es bekommen, wenn das beim Kampf gegen den Feind half.

Voller Aufregung angesichts der Entdeckung lief Celli zur Pilzriff-Stadt zurück, froh darüber, eine gute Nachricht zu bringen.

2

WEISER IMPERATOR JORA’H

Nur wenige Tage nachdem er zum Weisen Imperator geworden war, beobachtete Jora’h, wie Salber den korpulenten Leib seines toten Vaters auf die feierliche Kremation vorbereiteten.

Er hatte nicht erwartet, unter solchen Umständen Oberhaupt seines Volkes zu werden, aber er musste das Ildiranische Reich jetzt regieren. Jora’h wollte Dinge verändern, das Leben der Ildiraner erleichtern und jenen helfen, die gelitten hatten, doch er trug die Fesseln alter Verpflichtungen und musste Pläne weiterführen, von denen er bisher gar nichts gewusst hatte. Er fühlte sich wie in einem Netz aus tausenden von klebrigen Fäden gefangen, und bisher sah er keine Möglichkeit, sich daraus zu befreien.

Doch bevor er sich seinen vielen neuen Pflichten zuwenden konnte, musste er bei der Totenfeier seines Vaters präsidieren, der sich mit Gift umgebracht hatte.

Angehörige des Bediensteten-Geschlechts trugen den Chrysalissessel in den Raum, wo die letzten Vorbereitungen stattfanden. Stumm saß Jora’h auf seinem schwebenden Thron und blickte auf das erschlaffte Gesicht seines Vaters hinab.

Dumpfer Zorn brodelte in ihm.

Verrat, Komplotte, Lügen… Wie konnte er all die Dinge ertragen, über die er Bescheid wusste? Jora’h war jetzt Geist, Seele und Galionsfigur des ildiranischen Volkes. Es stand ihm nicht zu, seinen Vater zu verwünschen, aber das hinderte ihn nicht daran…

Der frühere Weise Imperator hatte Selbstmord begangen, im eigenen Tod die einzige Möglichkeit gesehen, seinen Sohn zu zwingen, die grausamen Geheimnisse des Reiches zu erben.

Jora’h stand den schrecklichen Offenbarungen noch immer fassungslos gegenüber. So sehr er auch verabscheute, was er erfahren hatte – er verstand die erbarmungslose Logik hinter jenen grässlichen Maßnahmen. Er hatte nichts von der verborgenen Gefahr geahnt, die dem Ildiranischen Reich drohte, auch nichts von der kleinen Chance, dem winzigen Hoffnungsschimmer, den es nur gab, wenn die Experimente auf Dobro fortgesetzt wurden.

Der attraktive Jora’h hatte ein glattes Gesicht und goldenes Haar, zu einem Zopf geflochten, der irgendwann einmal ebenso lang sein würde wie der seines Vaters. Im Lauf der Zeit mochten sich auch seine klassischen Züge verändern, wenn er in die Rolle des gutmütigen, im Chrysalissessel thronenden Herrschers hineinwuchs. Das behütete Leben als Erstdesignierter hatte ihn nicht auf die schrecklichen Geheimnisse vorbereitet. Doch jetzt, durch das Thism, wusste er alles. Es war genau so, wie es sein Vater beschrieben hatte: ein Segen und ein Fluch.

Und jetzt war er gezwungen, den gleichen Weg zu beschreiten, obwohl er sich am liebsten sofort auf den Weg gemacht hätte, um seine geliebte, gefangene Nira wieder zu sehen. An der Entschlossenheit, sie zu befreien, hielt er fest.

Wenigstens das war möglich – sobald der Machtwechsel ganz vollzogen war und er eine Möglichkeit fand, den Prismapalast zu verlassen.

Ganz vorsichtig wuschen die Salber die schwere Leiche des früheren Weisen Imperators. Cyroc’hs Fleisch wirkte wie gummiartiger Stoff, der sich leicht von den Knochen lösen ließ.

Bedienstete schnatterten wie verzweifelt und drängten nach vorn, um zu helfen, aber diese Phase der Zeremonie betraf sie nicht, und Jora’h schickte sie fort. Einige von ihnen würden sich vielleicht aus Kummer von einem hohen Turm des Prismapalastes stürzen, doch Jora’hs Elend angesichts der Dinge, von denen er wusste, war noch viel größer. Niemand konnte ihm dabei helfen zu entscheiden, wie er am besten regieren und was er in Hinsicht auf Dobro unternehmen sollte…

»Wie lange dauert es?«, fragte er die Salber.

Die Männer mit den steinernen Mienen sahen auf. »Bei einer so wichtigen Angelegenheit müssen wir besonders gute Arbeit leisten, Herr«, sagte ihr Oberhaupt. »Es ist die bedeutendste Pflicht, die wir jemals erfüllen werden.«

»Natürlich.« Jora’h sah ihnen weiter schweigend zu.

Die Salber trugen spezielle Handschuhe, als sie in Töpfe griffen und ihnen silbergraue Paste entnahmen, die sie liebevoll auf den Leichnam des toten Weisen Imperators strichen. Sie achteten darauf, die ganze Haut damit zu bedecken.

Schon in der Düsternis des Vorbereitungszimmers begann die Paste zu sieden, und Rauch stieg auf. Die Salber arbeiteten schneller, ohne dabei nachlässig zu werden. Als der ganze Körper eingerieben war, hüllten sie ihn in ein undurchsichtiges Tuch und verkündeten ihre Bereitschaft.

»Zum Dach«, sagte Jora’h. »Und gebt den Designierten Bescheid.«

Die Söhne des toten Weisen Imperators und Jora’hs eigene Kinder versammelten sich auf der höchsten transparenten Plattform über den Kuppeln des Prismapalastes. Das Licht multipler Sonnen gleißte auf sie herab.

Während Jora’h im hellen Sonnenschein wartete, dazu bereit, seinen Teil zur Zeremonie beizutragen, musterte er seine Brüder, die früheren Designierten, die von den Splitter-Kolonien des Reiches gekommen waren, trotz des Mangels an Treibstoff für den Sternenantrieb. Jora’hs Söhne – die nächste Designierten-Generation – standen ernst und respektvoll neben ihrem ältesten adligen Bruder Thor’h, der jetzt zum Erstdesignierten geworden war. Pery’h, der Designierte-in-Bereitschaft für den Planeten Hyrillka, stand neben seinem Bruder Daro’h, dem Dobro-Designierten-in-Bereitschaft.

Andere warteten bei ihren Onkeln, die sie bald ersetzen würden.

Die Tatsache, dass der Hyrillka-Designierte nicht anwesend war und noch immer bewusstlos im medizinischen Zentrum des Prismapalastes lag, warf einen Schatten auf die Zeremonie.

Seine körperlichen Verletzungen waren geheilt, aber Rusa’h verharrte in einem tiefen Subthism- Schlaf, in dem ihn vermutlich Albträume vom Angriff der Hydroger auf seinen Zitadellenpalast plagten. Es musste bezweifelt werden, ob er jemals wieder erwachte, was bedeutete, dass Hyrillka bald ein neues Oberhaupt brauchte. Pery’h war noch nicht vorbereitet, doch er würde seinen Platz ohne Rusa’h als Mentor einnehmen müssen…

Angehörige des Salber-Geschlechts trugen Cyroc’hs Leiche zur Plattform und brachten Linsen und Spiegel in Position.

Alles spielte sich in feierlicher Stille ab. Stumme Träger positionierten den Chrysalissessel neben Cyroc’h, der noch immer vom undurchsichtigen Tuch umhüllt war.

Jora’h hob den Blick zu seinen Brüdern und Söhnen, als er mit der linken Hand nach dem dicken Stoff griff. »Mein Vater diente als Weiser Imperator während eines Jahrhunderts des Friedens und auch in der jüngsten Krise. Seine Seele ist bereits den Fäden des Thism in die Sphäre der Lichtquelle gefolgt.

Jetzt wird sich auch sein Leib dem Licht hinzugesellen.«

Mit einem plötzlichen Ruck zog Jora’h das Tuch von der Leiche seines Vaters. Das Licht von sieben Sonnen fiel auf ihn und aktivierte die schimmernde metallische Paste auf der Haut des Toten. Sofort umgaben weiße Flammen den massigen Leib. Die photothermische Paste verbrannte den Körper nicht, sondern löste ihn auf. Haut, Muskeln und Fettgewebe verwandelten sich in Gas, das aufstieg und funkelte…

Der tote Weise Imperator verschwand in einer Wolke aus wogendem Dampf und Rauch. Als sie sich verzogen hatte, blieben nur Cyroc’hs glühende Knochen übrig, von biolumineszenten Verbindungen durchsetzt. Sein sauberer, leerer Schädel war ein Symbol für die großartigen Taten, die er vollbracht hatte – und auch für die schrecklichen Dinge, zu denen er gezwungen gewesen war, um das Ildiranische Reich zu erhalten.

Als neuer Weiser Imperator bestand Jora’hs unmittelbare Pflicht darin, die Designierten-in-Bereitschaft loszuschicken, um den Herrschaftswechsel zu besiegeln. Anschließend konnte er nach einer Möglichkeit suchen, Nira zu befreien. Er sah seine Söhne und Brüder an. »Und nun müssen wir uns wieder dem Reich zuwenden.«

3

BASIL WENZESLAS

König Peter war gut in Form, als er auf dem Balkon des Flüsterpalastes stand, um zum Volk zu sprechen. Die wichtigste Rede der letzten Jahre stand bevor.

Der Vorsitzende Basil Wenzeslas strich über seinen teuren Anzug und hob die Hand zum stahlgrauen Haar, als er vom Beobachtungsfenster aus den jungen König im Auge behielt.

Verborgene Kameras im Flüsterpalast boten verschiedene Ansichten und erlaubten es ihm, Peters Körpersprache zu studieren, die subtilen Veränderungen in seinem glatten Gesicht, den Glanz der blauen Augen. Gut. Bisher…

Diesmal hatte der König keine Einwände gegen die vorbereitete Rede erhoben. Stattdessen hatte er dem Vorsitzenden in die grauen Augen gesehen und geschluckt.

»Sind Sie sicher, dass eine solche Maßnahme angebracht ist?«

Es erklang kein Sarkasmus in seiner Stimme, kein Spott in seinen Worten. Das blond gefärbte Haar war perfekt, und es lag aufrichtige Sorge in den ebenfalls gefärbten blauen Augen.

»Wir haben alle Alternativen geprüft. Das Volk muss begreifen, dass uns keine andere Wahl bleibt.«

Peter hatte geseufzt und das Display mit dem Text der Rede sinken lassen. Er fuhr sich mit der einen Hand durchs Haar.

Assistenten würden es wieder in Ordnung bringen, bevor er an die Öffentlichkeit trat. »Ich werde dafür sorgen, dass meine Zuhörer alles verstehen.«

Als Basil nun auf den Beginn der Rede wartete, tippte er sich anerkennend mit der Spitze des Zeigefingers an die Lippen.

Derzeit wirkte der König sehr majestätisch. Erst vor einem Monat hatte sich der Vorsitzende durch Peters wiederholte Insubordination gezwungen gesehen, den Tod des Königs und der Königin zu planen. Es hatte nach einem Anschlag der Roamer aussehen sollen, damit die TVF Gelegenheit bekam, die Weltraumzigeuner – und alle ihre Ressourcen – unter die direkte Kontrolle der Hanse zu bringen. Pläne innerhalb von Plänen. Für die Erde wäre das alles sehr vorteilhaft gewesen.

Aber Peter und Estarra hatten den Mordanschlag irgendwie vereitelt. Basil Wenzeslas zweifelte nicht daran, dass ihm Peter nun mit einem kalten Hass begegnete, der vermutlich nie nachlassen würde, aber wenigstens wusste er jetzt, wozu der Vorsitzende bereit war, wenn man seine Befehle nicht befolgte. Wenn Peter seine Lektion wirklich gelernt hatte, so wäre das für den Vorsitzenden und die anderen Repräsentanten der Hanse eine große Erleichterung – und dann würden sie dem König und seiner hübschen Gemahlin auch erlauben, den Kopf auf den Schultern zu behalten. Die Regierungsgeschäfte verlangten Aufmerksamkeit, und ein Krieg musste geführt werden. Die Umstände erforderten, dass alle kooperierten…

Zur vorgesehenen Zeit trat König Peter ins helle Tageslicht, wo ihn alle sehen konnten, und hob die Hände. Basil kniff die Augen zusammen, beugte sich vor und stützte das Kinn auf die Fingerknöchel. Die Menge begrüßte Peter mit Jubelrufen, die schnell erwartungsvoller Stille wichen. Manchmal dienten die Ansprachen des Königs nur dazu, die Moral der Öffentlichkeit zu heben. Bei anderen Gelegenheiten verkündete er schlechte Nachrichten, berichtete von gefallenen Helden und vernichteten Kolonien.

Peter sprach mit volltönender, geübter Stimme. »Vor acht Jahren begannen die Hydroger mit ihren Angriffen auf uns.

Acht Jahre lang wurde grundlos Blut vergossen, verwüstet und gemordet! Wie machen wir dieser Sache ein Ende? Wie soll der Konflikt mit einem Feind beendet werden, den wir nicht einmal verstehen? Es gibt einen Weg!«

Der König hatte nun die volle Aufmerksamkeit der Menge.

»Bei diesem schrecklichen Kampf bleibt uns nichts anderes übrig, als Gebrauch von jedem Werkzeug zu machen, von jeder Waffe, die wir besitzen, wie abscheulich sie auch sein mag. Wir dürfen nicht zögern. Dies ist die Zeit des Handelns.«

Peter lächelte, und es war das Lächeln eines wahren Staatsoberhaupts. Basil stellte überrascht fest, dass er selbst emotional zu reagieren begann.

»Bei Beratungen mit dem Vorsitzenden der Hanse und dem Kommandeur der Terranischen Verteidigungsflotte bin ich zu dem Schluss gelangt, dass wir unsere letzte Möglichkeit nutzen müssen. Nach den Verheerungen auf dem friedlichen Planeten Theroc, der Heimat meiner Königin Estarra…«

Peter schauderte. Basils Blick huschte zu den Bildschirmen.

Waren das echte Tränen in den Augen des Königs?

Ausgezeichnet.

»Nach der Zerstörung von Hanse-Kolonien wie Corvus Landing und Boone’s Crossing, nach der Vertreibung von den Gasriesen, die uns daran hindert, dringend benötigten Treibstoff für den Sternenantrieb zu produzieren, nach der Ermordung meines Vorgängers, König Frederick…« Peter atmete tief durch und hob dann die Stimme, weckte mit seinen Worten Stolz und Trotz bei den Zuhörern. »… ist die Zeit des bloßen Reagierens und der Verteidigung zu Ende. Wir müssen damit beginnen, einen offensiven Krieg zu führen.«

Der donnernde Applaus war so laut, dass Peter einen Schritt zurückwich. Basil wandte sich an die beiden uniformierten militärischen Berater, die ihm Gesellschaft leisteten, General Kurt Lanyan und Admiral Lev Stromo. Beide Männer nickten.

Eldred Cain, der blasse stellvertretende Vorsitzende der Hanse

– ein möglicher Kandidat für Basils Nachfolge – schrieb Anmerkungen in seine Kopie von Peters Rede. Alle schienen mit der Ansprache des Königs zufrieden zu sein.

Bisher.

Peter senkte die Stimme, was sein Publikum veranlasste, genauer hinzuhören. »Ich habe lange darüber nachgedacht und sehe keine andere Möglichkeit.« Er zögerte, ließ die Menge warten und die Spannung steigen. Als er erneut sprach, klang es wie ein Schlag. »Wir müssen die Klikiss-Fackel noch einmal einsetzen. Ganz bewusst.«

Die Menge murmelte, begann dann zu klatschen.

»Wir werden die Planeten der Hydroger vernichten, einen nach dem anderen, bis unser Feind kapituliert. Soll er selbst spüren, wie es ist, Verluste zu erleiden!«

Peter verbeugte sich, und die Menge jubelte, ohne an die Konsequenzen zu denken. Diese Entscheidung würde den Krieg drastisch verschärfen. Vielleicht war es ganz gut, dass die Leute nicht darüber nachdachten, denn die Klikiss-Fackel war die einzige wirkungsvolle Waffe der Menschheit gegen die Hydroger. Peter wirkte stoisch und entschlossen, wie ein Mann, der mit einer schweren Entscheidung gerungen und sie schließlich getroffen hatte.

Basil glaubte, dass es eine der besten Reden war, die der König je gehalten hatte. Vielleicht ließ sich der junge Mann doch noch gebrauchen.

4

TASIA TAMBLYN

Die Gitter-7-Kampfgruppe war zu den Werften zwischen Jupiter und Mars zurückgekehrt, wo die Schiffe repariert und überholt wurden und neues Personal bekamen. Fünfzehn vor kurzer Zeit fertig gestellte Moloch-Schlachtschiffe und Manta-Kreuzer erweiterten die Flotte, doch das reichte bei weitem nicht aus, um die bei der Osquivel-Katastrophe verlorenen Schiffe zu ersetzen.

Tasia Tamblyn war nach Oncier geflogen, dem Ort des ersten Tests der Klikiss-Fackel, und hatte dort den titanischen Kampf zwischen Hydrogern und Faeros beobachtet, der mit der Vernichtung der Sonne endete, zu der der Gasriese Oncier durch den Einsatz der Fackel geworden war. Einen Krieg zu sehen, bei dem ganze Welten und Sterne auf der Strecke blieben… Tasia fragte sich, wie die kleinen Menschen hoffen konnten, etwas gegen den Feind auszurichten…

Aber das würde sie nicht vom Kampf gegen die Hydroger abhalten. Sie hatten ihren Bruder Ross getötet, auch ihren Freund Robb Brindle, als er mit einem Verhandlungsangebot in die Tiefen eines Gasriesen hinabgesunken war. Wenn es in ihrer Macht lag, Rache zu üben, so wollte Tasia die verdammten Droger nicht ungeschoren davonkommen lassen.

Der grimmige Ernst in ihrem herzförmigen Gesicht hatte dort einst fehl am Platz gewirkt, aber jetzt nicht mehr.

Tasia Tamblyn hatte blasse Haut, weil sie unter dem Eishimmel der Wasserminen ihres Clans auf Plumas aufgewachsen war, und während ihres Dienstes an Bord von TVF-Schiffen hatte sie kaum Farbe bekommen. Ihre hellblauen Augen erinnerten an die gefrorenen Wände der Familiensiedlung unter dem Eis des isolierten Mondes.

Während sich ihr Manta-Kreuzer im Dock der Werft befand, erhielt die Crew eine Woche Urlaub auf dem Mars oder in der Mondbasis. Tasia verzichtete auf die Möglichkeit, der Erde einen neuerlichen Besuch abzustatten. Sie war nur einmal dort gewesen, um Robbs Eltern zu besuchen und ihnen zu erzählen, unter welchen Umständen ihr Sohn gestorben war.

Tasia hatte den optimistischen, gutherzigen jungen Mann geliebt, und gleichzeitig war er ihr bester Freund gewesen.

Von den Rekruten in der TVF – viele von ihnen schrecklich bigott – hatte nur Robb Tasia beim Wort genommen, ihr die Chance gegeben, sie selbst zu sein, und sie dafür geliebt. In den dunklen Tagen des Krieges vermisste sie ihn noch immer sehr. Robb hatte geglaubt, etwas Wichtiges und Bedeutungsvolles zu tun, als er sich bereit erklärte, den Hydrogern in den Tiefen des Gasriesen eine Botschaft zu bringen, doch letztendlich hatte er auf dumme Weise sein Leben vergeudet. Ein talentierter junger Mann war gestorben, hatte ein kleines Loch in der Terranischen Verteidigungsflotte und eine große Leere in Tasias Herzen hinterlassen.

Hinzu kam, dass ihr Kompi EA kurz nach der Warnung der Roamer bei Osquivel verschwunden war. Tasia hatte vergeblich nach Spuren des Zuhörer-Kompi gesucht. EA war nicht nur ein wertvolles »Ausrüstungsstück«, sondern auch ein Freund und seit vielen Jahren im Besitz des Tamblyn-Clans.

Tasia hoffte noch immer, dass er irgendwann ins Hauptquartier der TVF zurückfand, vielleicht auf Umwegen.

Auch wenn es ihr Gefühl der Isoliertheit verstärkte, verbrachte Tasia die Woche an Bord ihres Schiffes; sie sah sich aufgezeichnete Unterhaltungssendungen an oder vertrieb sich die Zeit mit Spielen. Sie war mittelgroß, gut in Form und kräftig, was man ihr allerdings nicht ansah. Robb verdankte sie es, dass sie gut Tischtennis spielen konnte, so gut, dass sich die meisten Besatzungsmitglieder drückten, wenn Tasia sie zu einem Spiel aufforderte. Ungeduldig wartete sie darauf, dass die Instandsetzungen, Erneuerungen und Inspektionen endlich fertig waren, damit sie wieder aufbrechen und gegen den unmenschlichen Feind kämpfen konnte.

Überraschenderweise wurde sie zum Flaggschiff der Gitter-7-Kampfgruppe gerufen. Mit einem Shuttle flog Tasia zur Jupiter, um dort Admiral Sheila Willis zu begegnen. Bevor sie ihr gegenübertrat, vergewisserte sie sich, dass ihre Uniform richtig saß und das schulterlange hellbraune Haar den Vorschriften entsprechend unter der Mütze

zusammengebunden war.

Als Tasia das Quartier der Admiralin betrat, stellte sie erstaunt fest, dass der stämmige, dunkelhaarige TVF-Kommandeur General Kurt Lanyan in einem Besuchersessel saß. Sie nahm Haltung an. »General Lanyan, Sir. Und Admiral Willis. Sie haben mich gerufen?«

Sie war dem General schon einmal begegnet, bei der Einsatzbesprechung, als Robb sich freiwillig für den Versuch gemeldet hatte, mit den Hydrogern zu kommunizieren.

»Commander Tamblyn, wir wissen von Ihren beispielhaften Leistungen im Dienst.« Die Stimme des Generals klang schroff. »Mit Ihrer Idee, auf Boone’s Crossing Flöße zu improvisieren, haben Sie tausenden von Kolonisten das Leben gerettet. Nach Überprüfung der Logbuch-Aufzeichnungen Ihres Schiffes bin ich zu dem Schluss gelangt, dass auch Ihr Verhalten bei der Schlacht von Osquivel sehr lobenswert gewesen ist. Darüber hinaus haben Sie bei Oncier wichtige Informationen über die Faeros und ihren Kampf gegen die Hydroger gewonnen.«

»Ja, Sir.« Tasia wusste nicht, was der General sonst von ihr hören wollte. Ihr klopfte das Herz. Erwartete sie eine Beförderung? Bei der Schlacht von Osquivel waren viele Offiziere ums Leben gekommen, und die TVF musste sie ersetzen…

Admiral Willis faltete die Hände. Sie war eine schlanke, umgängliche Frau, die manchmal seltsame Gemeinplätze benutzte, aber sie hatte einen messerscharfen Verstand.

»Commander Tamblyn, wären Sie daran interessiert, mit Ihrem Schiff den Hydrogern eine scheußliche kleine Überraschung zu bringen? König Peter hat endlich beschlossen, uns von der Leine zu lassen.«

»Welche scheußliche kleine Überraschung meinen Sie, Ma’am?«

Die großmütterliche Frau lächelte. »Wie würde es Ihnen gefallen, dem Feind eine Klikiss-Fackel in den Hals zu stopfen und einen ganzen Droger-Planeten zu vernichten?«

Tasia antwortete sofort. »Admiral, General, ich würde mich über jede Gelegenheit freuen, es den Drogern heimzuzahlen.

Wir alle haben jede Menge Gründe, einen Groll zu hegen.«

Lanyan lachte leise. »Mir gefällt Ihre Einstellung, Commander Tamblyn.« Er reichte Tasia Dokumente und Karten, die das Ziel für den Einsatz der Klikiss-Fackel angaben: ein Gasriese namens Ptoro.

Tasia konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Der Roamer-Clan Tylar hatte eine große Himmelsmine in der Atmosphäre von Ptoro betrieben, die Anlage nach dem Ultimatum der Hydroger aber zurückgezogen. Soweit sie wusste, war seit Jahren niemand mehr in der Nähe jenes Gasriesen gewesen. »Ptoro? Warum möchten Sie…« Sie unterbrach sich, und der General richtete einen fragenden Blick auf sie.

»Sie haben von dem Planeten gehört? Er scheint recht unbedeutend zu sein.«

»Das stimmt, Sir. Er befindet sich… mitten im Nichts.«

»Wir haben dort Droger-Aktivität festgestellt. Nur darauf kommt es an.«

»Eine ganze Kampfgruppe wird Sie begleiten, damit Sie Gesellschaft haben«, fügte Admiral Willis hinzu. »Aber die Überraschung befindet sich an Bord Ihres Manta.«

»Sobald wir das Raumdock verlassen haben, stehen Ihnen meine Crew und ich zur Verfügung.« Auf dem Weg zurück zum Shuttle tanzte Tasia fast.

Roamer maßen die Reife nicht nach dem Alter, sondern nach Fähigkeiten. Die Clans hielten jemanden nur dann für erwachsen, wenn er oder sie praktisch jeden Apparat auseinander nehmen und wieder zusammensetzen konnte und außerdem imstande war, erfolgreich mithilfe der Sterne und der alten ildiranischen Datenbanken zu navigieren. Tasia hatte sich von ihren Brüdern alles zeigen lassen und war sehr stolz gewesen, als sie im Alter von zwölf Jahren einen Raumanzug anziehen und zehnmal hintereinander alle Siegel richtig schließen konnte.

Den gleichen Stolz empfand sie, als sie im Frachtraum ihres Manta stand. Ganze Schwärme von Ingenieuren und Technikern installierten Gerüste, Monitore und für den Einsatz der Klikiss-Fackel erforderliche Peripheriegeräte. Tasia freute sich bereits darauf zu sehen, wie eine Welt der Hydroger zur Sonne wurde.

Der grüne Priester Rossia, Tasias

Kommunikationsverbindung mit dem Rest des Spiralarms, trat neben sie und hinkte dabei – er hatte sich vor vielen Jahren auf Theroc verletzt. Seine Augen waren übergroß und traten aus den Höhlen, wirkten wie aus dem Freizeitraum entkommene Tischtennisbälle.

»Aufruhr, immer Aufruhr«, sagte er. »Der TVF scheint es sehr zu gefallen, Krach zu machen und dauernd irgendwelche Dinge zu rekonfigurieren.«

Zusammen beobachteten sie, wie Ingenieure vorn abgeplattete Torpedos verluden, die zur Apparatur der Klikiss-Fackel gehörten. Die Crew hatte bereits ein schnelles Frachtschiff an Bord genommen, das den Wurmlochgenerator zu einem Neutronenstern bringen würde, der wie eine stellare Bombe in Ptoros Kern geschickt werden sollte.

»Wir müssen uns schon bemühen, wenn wir den Drogern ein Ding verpassen wollen«, sagte sie. »Nach dem Angriff auf Theroc möchten Sie es ihnen doch sicher heimzahlen, oder?«

Der Priester mit den großen Augen nickte. »Es ist natürlich der Wunsch des Weltwaldes, dass die Hydroger besiegt oder zumindest neutralisiert werden. Aber mehr als alles andere möchte ich nach Hause. Der Weltwald hat schreckliche Verletzungen erlitten, und wie alle grünen Priester höre ich seinen Ruf. Ich sollte auf Theroc sein und dabei helfen, neue Bäume zu pflanzen.«

»Aber Sie haben sich bereit erklärt, der TVF zu helfen, und Sie sind ein wichtiges Element in unserer Kommunikation«, sagte Tasia. »Wir brauchen Sie.«

Rossia kratzte sich an der grünen Wange. »Wenn man von allen gebraucht wird, Commander, muss man entscheiden, wo am dringendsten Hilfe erforderlich ist.«

»Eigentlich liegt die Entscheidung darüber nicht mehr bei Ihnen, nachdem Sie sich dem Militär angeschlossen und Ihr Wort gegeben haben.« Tasia hatte sich oft gewünscht, nach Hause zurückzukehren, zu den Wasserminen ihres Clans auf Plumas, aber diese Möglichkeit stand ihr ebenso wenig offen wie Rossia.

»Ich sollte Sie auf etwas hinweisen: Durch den Telkontakt habe ich erfahren, dass andere grüne Priester gemurrt haben, auf anderen Welten und anderen Schiffen«, sagte Rossia. »Sie alle hören den Ruf des Weltwaldes. Und nicht alle können ihm widerstehen. Wir haben nur unsere Dienste zur Verfügung gestellt, Commander – wir sind keine Soldaten.«

Tasia runzelte die Stirn, während um sie herum die Installation der Klikiss-Fackel andauerte. »Auch ich wäre lieber woanders, aber wir alle müssen den Kampf fortsetzen.

Es gilt, unserem Leitstern zu folgen, ohne uns von anderen Lichtern ablenken zu lassen.«

Rossia nickte erneut. »Ein wahrer grüner Priester schlägt Wurzeln der Überzeugung und lässt sich nicht wie Federsamen vom Wind hin und her wehen.«

»Nehmen Sie die Metapher, die Ihnen am liebsten ist. Aber Sie wissen, dass die Hydroger nicht damit aufhören werden, uns anzugreifen. Wahrscheinlich kehren sie irgendwann nach Theroc zurück, um das zu Ende zu bringen, was sie begonnen haben.«

»Ein Grund mehr für die grünen Priester, heimzukehren und dabei zu helfen, den Weltwald zu schützen.«

Die Falten gruben sich tiefer in Tasias Stirn. »Ganz im Gegenteil. Ein Grund mehr, bei der TVF zu bleiben und zu hoffen, dass es uns gelingt, ihnen einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu geben. Wie wollen Sie die Bäume schützen, wenn der Planet von den Drogern angegriffen wird? Das Militär hat eine größere Chance gegen den Feind als eine Hand voll grüner Priester.«

Nachdenklich berührte Rossia den Schössling, den er immer bei sich trug. »Vielleicht. Ich beabsichtige nicht zu gehen, Commander Tamblyn. Viele grüne Priester haben vergessen, dass der Wald uns gebeten hat, Ihnen zu helfen. Wir alle haben bei diesem Krieg Verluste erlitten.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Und wir alle müssen Opfer bringen.«

5

DD

Zwar enthielt sein Speicherkern Dienstmodule, spezielle Aufgabenprogramme und die Erfahrungsdaten von Jahrzehnten, aber DD war trotzdem nicht imstande, sich von unangenehmen Erinnerungen zu trennen. Er wünschte sich eine Möglichkeit, sie zu löschen, doch die entsprechenden Daten blieben Teil seines Computergehirns.

Der Modell-Freundlich-Kompi war seit Jahren Gefangener der hinterlistigen Klikiss-Roboter, und jetzt hatten sie ihn tief ins Innere eines Gasriesen namens Ptoro gebracht. Einen Tag nach dem anderen musste der kleine Kompi in den Stadtsphären verbringen, die viel, viel größer waren als die größten Kugelschiffe der Hydroger.

Die Klikiss-Roboter setzten ihren heimlichen Verrat gegen die Menschen fort und führten sonderbare Vibrationsgespräche mit den Flüssigkristallwesen, eine komplexe und ungewöhnliche Art der Kommunikation, die aus Musik, lyrischen visuellen Mustern und noch etwas anderem bestand, das sich DDs Verständnis entzog – es war viel zu kompliziert für ihn.

Während er beim archäologischen Team von Margaret und Louis Colicos gewesen war, hatte er seinen Platz und seine Pflichten gekannt, doch die alten Roboter bestanden darauf, alle kompetenten computerisierten Helfer zu »befreien«. Mit ihrer unbegründeten Vendetta wollten die Klikiss-Roboter die gesamte Menschheit auslöschen. Das Bündnis mit den Hydrogern erweiterte ihre Macht und gab ihnen Möglichkeiten, die sie sonst nicht gehabt hätten.

Konglomerate aus exotischen geometrischen Formen, die unter extrem hohem Druck wuchsen, umgaben DD im Innern der phantastischen Stadtsphäre. Die besonderen physikalischen Bedingungen so tief im Gasriesen beeinträchtigten die Sensorwahrnehmungen des Kompi. Ganze Gebäude bestanden aus Elementen, die DD normalerweise nur als Gas kannte.

Quanteneffekte machten sich bemerkbar. Feste Substanzen konnten in unvorhersehbare Bewegung geraten, mit seltsamen Nebenwirkungen.

DD wollte Ptoro verlassen und einen Ort aufsuchen, der ihm Sicherheit bot. Als er von einigen Menschen erfuhr, die in speziellen Räumen der Stadtsphäre gefangen gehalten wurden, bat er Sirix um mehr Informationen. Der Klikiss-Roboter dachte nach und antwortete mit einem summenden Signal.

»Desorientierung und Furcht bewirken interessante Reaktionen. Unserer Meinung nach gibt es kaum nützliche Dinge, die sich von Menschen in Erfahrung bringen lassen, aber die Hydroger stimmen uns nicht zu. Deshalb halten sie die Untersuchungsobjekte gefangen.«

DD bemitleidete die hilflosen Menschen, die während der letzten Jahre in die Gewalt der Hydroger geraten waren. »Ich würde die menschlichen Gefangenen gern besuchen, Sirix.

Wäre das möglich?«

»Interaktionen deinerseits mit den Gefangenen haben keinen Sinn.«

DD dachte über mehrere mögliche Antworten nach und wählte die, die sich am besten dafür eignete, Sirix umzustimmen. »Wenn ich die Menschen unter den hiesigen, für sie sehr ungünstigen Bedingungen beobachte, wenn ich sie voller Furcht und Hoffnungslosigkeit sehe… Vielleicht überzeugt mich das von den Mängeln, die du ihrer ganzen Spezies zuschreibst.«

Sirix bewegte seine segmentierten, insektenartigen Beine und faltete den runden Rückenschild zusammen. »Eine akzeptable Analyse. Folge mir.«

Die schwarze Maschine führte DD hinab und wieder hinauf, über verwirrende Rampen, die der Schwerkraft trotzten, und schließlich erreichten sie eine schimmernde Wand, hinter der sich mehrere kristallartige Druckkammern befanden – sie sahen aus wie facettierte Seifenblasen. Hydroger flossen um sie herum, rätselhafte Geschöpfe, die gasförmig oder flüssig sein konnten, gelegentlich menschliche Gestalt annahmen.

Sirix gab einige klimpernde Geräusche von sich, und seine Sensoren und Indikatoren glühten. Die schimmernde Wand wurde transparent. »Du kannst eintreten.«

»Besteht keine Gefahr, wenn sich eine Öffnung in der Barriere bildet? Die Ambientalmodule dahinter erscheinen mir fragil.«

»Druckkammern schützen die Untersuchungsobjekte vor der Umgebung. Derzeit sind die Gefangenen in Sicherheit. Wenn es der Wunsch der Hydroger gewesen wäre, sie zu töten, so hätten sie sie sofort umgebracht.«

Sirix sendete ein Zeitsignal, mit dem er DD mitteilte, wann er zurückkehren würde. DD trat vor, dankbar dafür, zumindest vorübergehend der Aufsicht der Klikiss-Roboter zu entkommen. Er drückte sich an die Wand, als er Widerstand spürte, glitt dann hindurch. Als er seine Systeme an die neuen ambientalen Bedingungen anpasste, reagierte er mit dem Äquivalent von Erleichterung darauf, wieder »normalem«

Luftdruck ausgesetzt zu sein.

Der Kompi bemerkte ungewöhnliche Farben im wässrigen Licht. Sein Körper dampfte und knackte nach dem Wechsel aus der Hochdruckumgebung der Hydroger in ein für Menschen geeignetes Ambiente. DD drehte den Kopf und beobachtete die sechzehn Gefangenen, die sich hier im Druckraum in relativer Sicherheit befanden.

»Meine Güte, das ist ein Kompi!«, sagte einer der Menschen, ein junger Mann mit kaffeebrauner Haut, der die zerknitterte Uniform eines TVF-Offiziers trug. DD griff auf seine Datenbank zu und stellte fest, dass es sich um einen Wing Commander handelte.

»Großartig, jetzt üben schon unsere eigenen Kompis Verrat«, erwiderte eine Frau, deren verhärmtes Gesicht einen bitteren Ausdruck trug. Das ID-Abzeichen an der halb aufgerissenen Tasche ihrer einfachen grauen Uniform gab den Nachnamen mit »Telton« an.

»Nicht unbedingt«, erwiderte der erste Gefangene.

»Vielleicht kann er uns dabei helfen, hier herauszukommen!

Wir müssen immer nach Möglichkeiten Ausschau halten, so verrückt sie auch sein mögen.«

»Verrückt ist der richtige Ausdruck.«

»Ich bin gegen meinen Willen hier, so wie Sie«, sagte DD.

»Die Klikiss-Roboter möchten mich für ihre Sache gewinnen.

Bisher ist ihnen das nicht gelungen.«

»Was geht hier vor?«, fragte ein dritter Gefangener. »Was wollen die Hydroger von uns?«

»Glaubt dem Kompi kein Wort«, warf die Frau ein.

»Vielleicht ist dies ein Trick.«

»He, gib ihm eine Chance, Anjea«, sagte der dunkelhäutige TVF-Offizier. »Erzähl uns, was du weißt, Kompi. Ich bin Robb Brindle. Nenn mir deinen Namen, damit wir ein ordentliches Gespräch führen können.«

»Meine verkürzte Serienbezeichnung lautet DD. Bitte nennen Sie mich so.«

Brindle rieb sich die Hände. »Eine Freundin von mir in der TVF hatte einen Kompi. Wir können bestimmt Freunde werden, nicht wahr?«

»Das würde mir gefallen, Robb Brindle.«

Brindles honigbraune Augen schienen zu leuchten. »Wir sitzen hier ziemlich in der Klemme, DD. Einige von uns sind bereits gestorben, und wir haben noch immer keinen ausführbaren Fluchtplan.«

»Wir befinden uns im Kern eines Gasriesen!«, sagte Anjea Telton scharf. »Glaubst du, wir könnten einfach so hinausspazieren?«

»Nein«, entgegnete Brindle, sah die Frau an und runzelte die Stirn. »Aber ich erwarte Kooperation bei der Nutzung einer Chance, wenn sich eine ergibt. Wie DD hier. He, Kumpel, kannst du uns helfen, diesen Ort zu verlassen?«

»Mir stehen keine Mittel für die Rettung zur Verfügung.

Mein Körper wurde modifiziert, damit er dem draußen herrschenden Druck standhält, aber Sie würden außerhalb dieses Raums sofort zerquetscht werden. Ich glaube, im Innern eines Gasriesen können Sie nur in Druckkammern dieser Art überleben.«

Für einen Moment ließ Brindle die Schulter hängen, doch dann straffte er sie wieder – er wollte den anderen Gefangenen seine Enttäuschung nicht zeigen. »Das haben wir bereits vermutet. Aber ich musste dich fragen.«

»Tut mir Leid. Wenn ich Möglichkeiten finde, werde ich versuchen, Ihnen zu helfen.« DD trat noch einen Schritt vor.

»Bitte berichten Sie, wie Sie in Gefangenschaft gerieten. Mir fehlen Informationen, ebenso wie Ihnen. Haben Klikiss-Roboter Sie überwältigt, oder wurden Sie bei Angriffen der Hydroger gefangen genommen?«

»Die verdammten schwarzen Roboter sind schlimmer als die Droger! Sie gaben vor, unsere Freunde zu sein!«

»Robotern darf man nicht trauen!«

»Stimmt!«

»Aber dir können wir trauen, nicht wahr, DD?« Brindle schilderte, wie er bei seinem Versuch, mit den Hydrogern Kontakt aufzunehmen, gefangen genommen worden war.

Andere Gefangene waren bei der Schlacht von Osquivel aus Rettungskapseln geholt worden oder stammten aus Schiffen im Transit zwischen Sonnensystemen. Ein Mann namens Charles Gomez war aus dem Wald von Boone’s Crossing entführt worden.

DD hörte sich alles an und fand kaum Gemeinsamkeiten.

»Ich werde über Ihre Situation nachdenken. Vielleicht kann ich dabei eine Lösung finden.«

»Spar dir die Mühe«, brummte Gomez niedergeschlagen.

»Wir sind schon so gut wie tot. Fünf von uns haben die Droger bei ihren Experimenten umgebracht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch wir dran glauben müssen.«

»So dürfen wir nicht denken«, sagte Brindle und legte dem Mann die Hand auf die Schulter.

DD sah die menschlichen Gefangenen der Reihe nach an.

»Sie haben bis jetzt überlebt. Mein Herr Louis Colicos riet mir immer, optimistisch zu sein, während meine Herrin Margaret Colicos betonte, dass ich praktisch denken soll. Ich werde versuchen, beides miteinander zu verbinden.«

»Mach das. Wir versuchen es ebenfalls.« Brindle lächelte hoffnungsvoll. »Was auch immer du für uns tun kannst, wir wissen es zu schätzen, DD. Und danke für den Besuch. Er hat mir wieder Hoffnung gegeben, und das ist immerhin etwas, wenn man bedenkt, dass mich vermutlich alle für tot halten.«

Das Zeitsignal zeigte DD, dass der Besuch zu Ende ging –

Sirix würde gleich zurückkehren. »Vielleicht können wir das Gegenteil beweisen.«

6

JESS TAMBLYN

»Vermutlich halten mich alle für tot.« Jess saß allein am Ufer eines vom Wind gepeitschten fremden Meeres, nackt und sauber, aber ohne zu frieren. Nie zuvor hatte er sich so isoliert gefühlt, und auch so… anders. Unnatürliche, explosive Energie prickelte unter seiner Haut, wie zu Entladungen bereit. Die Haare auf seiner Brust sahen normal aus, doch angesichts des veränderten Körpers wirkten sie völlig fehl am Platz.

Er lebte, obwohl sein Schiff von Hydrogern zerstört worden war. Jess erinnerte sich vage daran, nach dem Angriff durch die Wolken gefallen und in den Ozean gestürzt zu sein… Und dann war er wieder aufgetaucht und hatte sich von den Wellen schaukeln lassen, während er zum grauen Horizont sah. Er war nackt, die Kleidung verbrannt, aber er war unverletzt. Er schwamm in einem endlosen Meer, ohne Land in Sicht, ohne Nahrung, ohne eine Möglichkeit zu überleben, und allmählich wurde ihm klar, dass er all das in seiner neuen Existenz gar nicht brauchte. Die Wentals hielten ihn am Leben und gaben ihm Kraft. Er hätte für immer im Meer treiben können.

Sein veränderter Körper enthielt unermessliche Energie, ein Potenzial, das er niemals für möglich gehalten hätte. Doch er saß an einem leeren Ort fest, nicht dazu in der Lage, zu den Roamer-Clans heimzukehren oder andere Menschenwelten zu erreichen. Gespenstisches Wasserleben pulsierte in ihm und dem Ozean dieses unerforschten Planeten.

Die Hydroger hatten ihn dem Tod überlassen – und die Wentals hatten ihn gerettet.

An jenem ersten Tag, allein im Meer, hatte Jess große schwimmende Wesen in der Nähe gefühlt, den Plesiosauriern oder Seeschlangen aus den Legenden der Erde ähnlich. Einmal kam eins der hungrigen Ungeheuer aus der Tiefe empor, und Jess sah ein großes Maul, spitze Zähne und dornige Tentakel.

Das grässliche Wesen näherte sich, um ihn zu verschlingen, doch die Wentals schützten ihn. Sie schickten eine Botschaft durchs Wasser und wiesen darauf hin, dass diesem Mann nichts geschehen durfte.

Ein Koloss war aufgetaucht, damit sich Jess an den knotigen Flossen auf dem schlüpfrigen, schleimigen Rücken festhalten konnte. Mit großer Geschwindigkeit sauste das Geschöpf durchs Wasser und brach durch Wellen, bis Jess schließlich eine dünne Linie aus Felsen und Brandung sah. Ein Meeresungeheuer brachte ihn an Land…

Zahllose Tage hatte er zwischen Gestrüpp und kargem Buschwerk gelebt, ohne essen zu müssen, und er sehnte sich nach menschlicher Gesellschaft, obwohl die Wentals immer in seinem Bewusstsein präsent waren. Lange Zeit beobachtete er gepanzerte, trilobitenartige Kreaturen, die endlos umherkrochen, einen Gezeitentümpel verließen und in den nächsten tauchten. Die Tage vergingen qualvoll langsam. Mit ausgestreckten Armen stand Jess da, wenn ein Gewitter über ihn hinwegzog, und dann badete er im Regen. Selbst die Blitze konnten ihm nichts anhaben.

Während des Flugs mit dem Nebelsegler hatte sich Jess nicht oft rasiert. Er hatte schulterlanges, welliges braunes Haar und einen Bart, der den Spalt in seinem Kinn bedeckte. Inzwischen wären Haareschneiden und Rasur gar nicht mehr nötig gewesen – seit der Verbindung mit den Wentals wuchsen weder Haare noch Bart.

»Ich wollte euch Wentals zu den Roamern bringen, damit ihr euch ausbreiten und wachsen könnt«, sagte Jess laut. »Und jetzt bin ich hier gestrandet. Wir sind besiegt, noch bevor wir anfangen konnten.«

Nicht besiegt. Wir sind jetzt stärker als vorher. Die summende Stimme erklang in seinem Kopf, die widerhallende Präsenz zahlreicher verschiedener Wentals. Wir haben zehntausend Jahre gewartet, um diesen Punkt zu erreichen.

Wir können auch noch länger warten.

Am Rande des gewaltigen Ozeans saß Jess auf den schroffen Felsen und beobachtete, wie das blaugrüne Wasser am Riff Schaum bildete. Die verblüffende Macht, über die er nun verfügte, und die Rückkehr der Wentals – unter den gegenwärtigen Umständen nützte ihm das nichts. »Ich warte nicht gern.«

Am Horizont sah er dunkle Gewitterwolken, in denen es immer wieder flackerte. Er konnte enorm weit sehen und begriff, dass sein Blick der Wölbung des Planeten folgte. Er spürte, dass er dabei auf die visuelle Wahrnehmung aller Wental-Entitäten im globalen Ozean zurückgriff.

Es war wundervoll. Jess bedauerte nur, dass er mit niemandem darüber sprechen konnte.

Auf der ersten Welt, zu der er die Wasserwesen gebracht hatte, war das Meer steril gewesen, ohne einen einzigen Organismus. Dort hatten die Wentals sofort vom ganzen Ozean Besitz ergriffen, sich rasend schnell in ihm ausgebreitet und jedes einzelne Molekül ihrer Essenz hinzugefügt – ein ganzer Planet war dadurch lebendig geworden.

Doch auf dieser Welt gab es bereits ein wenn auch primitives Ökosystem. Dieser Ozean enthielt Plankton, Pflanzen, Schalentiere und große Wesen. Auch hier hatten sich die Wentals ausgebreitet, aber vorsichtiger und zurückhaltender, ohne Einfluss auf die anderen Geschöpfe zu nehmen – sah man einmal von dem Ungetüm ab, das Jess zur Küste gebracht hatte.

Die Veränderungen in Jess waren irreversibel. Die Wental-Energie gehörte nun für immer zu seiner Physiologie.

Vielleicht konnte er jene Kraft sogar dazu nutzen, seinem Volk zu helfen – wenn es ihm gelang, den Planeten zu verlassen.

Fast zwei Jahrhunderte lang hatten Roamer-Clans ihr Leben selbst unter den ungünstigsten Umständen bewältigt. Sie lösten Probleme, kamen mit innovativen Ideen und neuer Technik dort weiter, wo die Hanse aufgab.

Jess war sicher, dass es irgendwie möglich war, den Planeten zu verlassen.

Zwar konnten die Wasserentitäten seine Gedanken »hören«, aber trotzdem rief er übers Meer: »Wenn ihr Wentals so mächtig seid, warum dann warten? Es gibt viel zu tun!« Dort draußen, in den enormen Weiten des Spiralarms, setzten die Hydroger weiterhin den Außenposten der Roamer zu. »Im Spiralarm findet ein Krieg statt. Wollt ihr aufgeben, obwohl ihr eine zweite Chance bekommen habt?«

Wir fließen von Möglichkeit zu Möglichkeit. Das entspricht unserer Natur.

»Dann fließt zu einer anderen. Wie komme ich fort von hier?

Ihr wolltet euch noch weiter ausbreiten, nicht wahr? Warum sollten wir einfach nur hoffen, dass irgendwann jemand hierher kommt? Vermutlich ist es Jahrhunderte her, seit zum letzten Mal jemand diesen Planeten besucht hat, wenn überhaupt jemals jemand hier war.« Jess nahm einen Stein und warf ihn ins Meer. Er verschwand darin, und das Wasser kräuselte sich nicht einmal.

Die Wentals antworteten: Alle Ressourcen dieser Welt stehen dir zur Verfügung, von den Felsen unter dir über die im Wasser gelösten Metalle und Mineralien bis hin zu den Lebewesen.

»Wie soll mir das dabei helfen, ein Raumschiff zu bauen? Ich habe keine Werkzeuge, nur meine bloßen Hände.«

Du hast uns.

Jess sprang auf. »Was soll das heißen?«

Unterschätze deine neuen Energien und Fähigkeiten nicht.

Mit der Kraft der Wentals in dir kann es vergleichsweise…

einfach sein, ein Raumschiff zu konstruieren.

Jess empfing geistige Bilder, und ein plötzliches Verstehen der Möglichkeiten ließ ihn aufgeregt nach Luft schnappen.

So primitiv das Ökosystem im Ozean auch sein mochte, es bestand aus Milliarden von lebenden Geschöpfen, von riesigen Ungeheuern bis hin zu mikroskopisch kleinen Organismen.

Eine gewaltige Arbeiterschaft. Unter Anleitung der Wentals konnten sie alle zusammenarbeiten und ein Raumschiff bauen, Molekül für Molekül.

Die Wentals zeigten Jess, wie es sich bewerkstelligen ließ.

7

CESCA PERONI

Jess Tamblyn war verschwunden. Cesca saß in ihrem Büro im Rendezvous-Asteroiden und konnte sich kaum auf ihre Aufgaben als Oberhaupt der Roamer konzentrieren.

Die miteinander verbundenen Asteroiden in der Umlaufbahn eines Zwergsterns symbolisierten die Roamer-Clans: jeder unabhängig, doch von unsichtbaren Banden

zusammengehalten. Seit Jahrhunderten lebten Roamer in diesem Außenposten, und während dieser Zeit hatten sie die Asteroiden mit Trägern, Stegen und Kabeln verbunden. Doch derartige Verbindungen konnten auch wieder gelöst werden, und dann wären die Asteroiden von Rendezvous verstreut gewesen wie zu Anfang.

Als Sprecherin musste Cesca dafür sorgen, dass so etwas nicht bei den Clans geschah.

Umgeben von dicken Wänden sichtete sie Berichte von Roamer-Händlern und sah sich Listen der Waren, Rohstoffe und Ressourcen an, die unter den Außenposten verteilt wurden.

Die traditionellen Himmelsminen konnten nicht mehr betrieben werden. Tollkühne Roamer versuchten, mit schnellen Vorstößen in die Atmosphäre von Gasriesen Ekti zu produzieren, während andere, wie die ehrgeizigen Roamer bei Osquivels Extraktionsanlagen, Kometen einfingen, um aus ihrem Wasserstoff ein wenig Treibstoff für den Sternenantrieb zu gewinnen. Die TVF und die Hanse – die »Große Gans« –verlangten das gesamte Ekti der Clans. Anstatt dankbar zu sein für das, wofür die Roamer ihr Leben riskierten, forderten sie mehr und mehr, obwohl es einfach nicht mehr gab.

Cesca sah auf, als ein Besucher ihr Büro betrat, ein dunkelhaariger junger Mann mit asiatischen Zügen und schmalem Kinn. »Ich bringe Neuigkeiten, Sprecherin Peroni!«

Jhy Okiah hatte es immer für sehr wichtig gehalten, dass sich die Sprecherin Namen und Gesichter merkte, und Cesca war sehr bemüht gewesen, sich diese Fähigkeit – neben anderen –anzueignen. Sie erinnerte sich daran, dass dieser junge Mann ein Schiff des Tylar-Clans flog und als Kurier zwischen Außenposten der Roamer fungierte. Er stand auch in dem Ruf, sich leicht zu verirren… oder sich ablenken zu lassen.

»Es gehört zu meinen Aufgaben, Nachrichten

entgegenzunehmen, Nikko Chan. Allerdings würde ich mich freuen, wenn es zur Abwechselung einmal gute Nachrichten wären.« Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes deutete jedoch darauf hin, dass damit nicht zu rechnen war. Cesca schob die Dokumente und Listen beiseite. »Ich bin ganz Ohr.«

Nikko wirkte nervös und wischte sich die schweißfeuchten Hände an einer Hose mit vielen Taschen ab. »Vor vier Tagen kehrte ich vom Hurricane-Depot zurück, um Ersatzteile und leistungsfähige thermische Generatoren nach Jonah 12 zu bringen. Das ist der kalte Mond, auf dem Kotto Okiah…«

»Ja, ich weiß, Nikko. Ich habe die Pläne selbst genehmigt.«

Nikko blinzelte, schien durch die Unterbrechung den Faden verloren zu haben. »Nun, manchmal fliege ich ein bisschen im Zickzack, absichtlich.« Es klang so, als müsste er sich rechtfertigen. »Es kostet nicht viel Ekti, und wer weiß, was ich finden könnte? Eine neue Siedlung, vielleicht sogar die Burton!«

»Und was haben Sie diesmal gefunden?«

»Sie wissen bestimmt, dass mein Onkel Raven Kamarow vor einer Weile verschwand. Er beförderte Ekti von und zum Hurricane-Depot, aber eines Tages erreichte er nicht mehr sein Ziel. Wir haben Suchgruppen losgeschickt, ohne Erfolg.«

Cesca nickte. Während der letzten Jahre waren viele Roamer-Schiffe verschwunden, nicht nur Jess Tamblyns Nebelsegler.

Es war leicht, den Hydrogern die Schuld dafür zu geben, aber bei den Clans nahm der Verdacht zu, dass die Terranische Verteidigungsflotte dahinter steckte. Cesca ahnte, in welche Richtung Nikkos Geschichte führte. »Sie haben das Schiff gefunden?«

»Nicht viel davon.« Nikko runzelte die Stirn. »Aber genug Rumpffragmente mit Seriennummern, um das Schiff zu identifizieren. Es handelt sich um die Reste von Kamarows Frachter, so viel steht fest.«

Cesca hatte plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengrube.

»Halten Sie einen Meteoreinschlag oder die Überladung des Triebwerks für möglich?«

Nikko ließ die Schultern hängen. »Nein. Die Spuren sind eindeutig, Sprecherin. Einige Fragmente sind groß genug, damit sich feststellen lässt, was zur Zerstörung des Schiffes führte. Jazer-Strahlen. Direkte Treffer. Ein absichtlicher Angriff.«

»Jazer? Nur die Tiwis verwenden solche Waffen.«

Der junge Mann nickte. »Ich habe die Trümmer mitgebracht.

Sie befinden sich im Frachtraum.« Die energetischen Spuren an den Resten von Kamarows Schiff kamen einem schlagenden Beweis gleich.

Zornig schob Cesca ihren Sessel ein wenig zu schnell zurück, und in der niedrigen Schwerkraft von Rendezvous knallte er an die Wand. »Soll das heißen, dass die Tiwis ein unbewaffnetes Roamer-Schiff absichtlich angegriffen und zerstört haben?«

»Darauf deutet alles hin. Eine vollständige Analyse muss erst noch durchgeführt werden, aber ich bin sicher, dass sie zu einem solchen Ergebnis kommt.«

»Dadurch ändert sich alles, Nikko Chan. Ekti ist unsere Ware, und wir verkaufen sie nicht unter Zwang, sondern unter von uns festgelegten Bedingungen, ob es der Gans gefällt oder nicht.« Cesca stand auf. »Ich muss sofort mit den Clanrepräsentanten sprechen.«

8

DAVLIN LOTZE

Mit seinem Rucksack, der Verpflegung für mehrere Tage enthielt, trat Davlin Lotze vor den flachen Stein des Transportals. Hunderte von Koordinatenkacheln mit seltsamen Symbolen umgaben den Apparat und wiesen auf einst von Klikiss bewohnte Welten hin. Die meisten von ihnen waren noch unerforscht.

»Ihre Rückkehr ist in weniger als einem Tag vorgesehen, Mr.

Lotze«, sagte der Techniker an der Kontrollstation. Bekannte Klikiss-Transportale wie dies in den Ruinen von Rheindic Co dienten als Sprungpunkte für jene, die mutig genug waren, aufs Geratewohl fremde Welten zu besuchen. Davlin Lotze gehörte zu diesen Leuten.

Er schwang sich den Rucksack auf den Rücken. Seine Kleidung bestand aus einem khakifarbenen Overall, dessen Stoff besonders belastungsfähig und für unterschiedliche Temperaturen geeignet war. Lotze verzichtete auf schreiende Farben, Schmuck und andere Dinge, die vielleicht Aufmerksamkeit geweckt hätten. »Die Parameter meiner Mission erlauben mir einen gewissen Ermessensspielraum.«

Nach seinen langen Dienstjahren – ganz zu schweigen davon, dass er und Rlinda Kett dieses Transportalnetz entdeckt und der Hanse davon berichtet hatten – wollte er sich nicht an die Regeln und Zeitpläne anderer Leute halten.

Die insektenartigen Klikiss waren vor langer Zeit aus dem Spiralarm verschwunden, aber sie hatten mysteriöse Ruinen hinterlassen. Da jene Wesen die gleiche Luft geatmet hatten und sich durch ähnliche

biologische Erfordernisse

auszeichneten wie Menschen, ging die Hanse davon aus, dass sich die von ihnen verlassenen Welten für die Kolonisierung eigneten. Sie waren wie kleine Siege im Chaos des Hydroger-Kriegs.

Doch zuerst mussten die Klikiss-Welten identifiziert, katalogisiert und ansatzweise erforscht werden. Davlin glaubte, dass sich seine Fähigkeiten für diese Aufgabe eigneten. Ohne zu zögern trat er durch das trapezförmige Steinfenster, fiel durchs Universum und landete auf einer anderen Klikiss-Welt.

Es war ein seltsames Gefühl, allein auf einem fremden Planeten zu sein. Davlin lächelte, als ihm trockener Wind übers Gesicht strich. Er war während des Skalen Morgens eingetroffen, hatte also einen ganzen Tag Zeit, Bilder von den termitenhügelartigen Gebäuden und den eisenharten Klikiss-Strukturen anzufertigen. Auf dieser Welt gab es sonderbare Bäume mit federartigen Wedeln, umgeben von Pflanzen mit langen, stacheligen Blättern, die wie Nadelkissen aussahen.

Davlin wanderte zwischen den Ruinen umher, installierte Sensoren und meteorologische Aufzeichnungsmodule. Er maß die Menge des Grundwassers und schätzte den

durchschnittlichen Niederschlag. Wenn die Hanse eine groß angelegte Kolonisierung dieser Welt beschloss, brachten Forscher automatische Satelliten mit, die eine genauere Bestimmung der Landmassen und des Wetters ermöglichten.

Von Davlin erwartete man nur einen ersten allgemeinen Bericht.

Als es dunkel wurde, stellte er die Imager auf und begann mit einem umfassenden astronomischen Scan, der die Spektren der hellsten Sterne am Himmel erfasste. Nach der Rückkehr durchs Portal würden Astronomen und Navigatoren der Hanse die Position des Planeten berechnen und sie den Klikiss-Symbolen der betreffenden Koordinatenkachel zuordnen.

Nach dem Scan hätte Davlin eigentlich zurückkehren können, aber er genoss die Stille. Das geschäftige Treiben der Zivilisation hatte ihm nie gefallen. Selbst in der Hanse-Station auf Rheindic Co, die neugierigen Forschern als Ausgangspunkt diente, fühlte er sich zu bedrängt. Er sehnte sich nach friedlichen Tagen und dachte an die stillen, produktiven Jahre auf Crenna, wo er die Rolle eines einfachen Kolonisten gespielt hatte.

Er holte ein warmes Schlaftuch hervor, einen dünnen Film, in den er sich hüllte und der zu einem weichen Bett anschwoll, verbrachte eine friedliche, einsame Nacht auf einer leeren Welt. Am nächsten Morgen sammelte er seine Instrumente ein, kehrte zum trapezförmigen Steinfenster zurück, aktivierte das Transportal und trat hindurch…

Im Kontrollraum von Rheindic Co fiel ihm sofort die düstere Atmosphäre auf. Seine dunkelbraunen Augen musterten die Gesichter der anderen Personen und stellten dann fest, dass eine der vielen Koordinatenkacheln schwarz markiert war.

»Wen haben wir verloren?«

Der Techniker sah ihn an. »Jenna Refo«, antwortete er. »Seit drei Tagen überfällig.«

Davlin seufzte schwer und fühlte plötzliche Kälte. Damit waren es insgesamt fünf – fünf Forscher wie er, die auf gut Glück Klikiss-Koordinaten gewählt hatten, in der Hoffnung, ressourcenreiche Welten zu finden, die einen enormen Profit für die Hanse bedeuteten.

Aber manchmal waren die Koordinaten schlecht. Vielleicht hatte ein Erdbeben oder dergleichen das Transportal auf der anderen Seite zerstört, oder die betreffenden Welten waren extrem lebensfeindlich.

»Verdammt.« Die Hanse bezahlte so viel, dass einige Leute bereit waren, ein Risiko einzugehen, aber die Transportalforscher setzten jedes Mal ihr Leben aufs Spiel, wenn sie einen unbekannten Planeten aufsuchten.

Normalerweise wurde gejubelt, wenn Davlin von einer erfolgreichen Mission zurückkehrte. Diesmal aber lieferte er nur seinen Bericht ab und ging dann duschen.

Am nächsten Tag kehrte ein alter Forscher namens Hud Steinman voller Freude zurück und schien die Schatten in den Mienen der Techniker überhaupt nicht zu bemerken.

»Dafür erwarte ich einen Bonus!«, rief er begeistert. »Diese Koordinaten…« Er deutete auf eine der Kacheln. »… bringen uns dorthin, wo alles begann, beziehungsweise endete, wie man’s nimmt. Ich habe die Koordinatenkachel für Corribus gefunden.«

Die Techniker schnappten nach Luft; einige wenige applaudierten. Davlin nickte anerkennend.

Auf Corribus hatten Margaret und Louis Colicos die Pläne der Klikiss-Fackel entziffert: eine leere, zernarbte Welt, vielleicht das letzte Bollwerk der Klikiss gegen den Feind, der sie ausgelöscht hatte. Für alle, die sich mit Xeno-Archäologie befassten, war Corribus wie ein Stein von Rosette, ein Ort mit Nachrichten aus der Vergangenheit. Die bestätigten Daten von Corribus bedeuteten, dass verschiedene Routen durch das Transportalnetz miteinander verbunden werden konnten – der Beginn einer Karte.

Davlin schob sich am dürren Hud Steinman vorbei und aktivierte die Koordinatenkachel von Corribus. Einige Techniker der Hanse sahen auf, und einer hob die Hand, als wollte er Lotze zurückhalten. Davlin achtete nicht darauf – er empfing seine Anweisungen nur vom Vorsitzenden Wenzeslas.

Er trat durch das Steinfenster in windige Stille.

Die Klikiss-Stadt auf Corribus sah genauso aus wie in den vom Colicos-Team übermittelten Bildern. Hohe Schluchtwände aus Granit formten ein geschütztes Tal mit termitenhügelartigen Gebäuden auf dem Boden und Höhlen in den Felswänden, an denen sich große, kantige Kristalle zeigten. Steinman hatte Recht, das Terrain war unverkennbar.

Davlin ließ den Blick über die geisterhafte Welt schweifen, auf der matter Sonnenschein über Kristallblöcke an Klippen glitt. Die Klikiss mussten die steilen Granitwände für einen Schutz gehalten haben, wie die Barrikaden einer Festung. Das Gestein glänzte wie halb geschmolzen, als wäre es einer unvorstellbaren Zerstörungskraft ausgesetzt gewesen.

Davlin fragte sich, was damals mit dem insektoiden Volk geschehen war. Welcher mächtige Feind hatte die Klikiss veranlasst, ihre Fackel zu entwickeln? Die Hydroger?

Letztendlich hatten sie sich nicht einmal mit der Fackel verteidigen können und waren vernichtet worden.

Davlin wusste, dass die Hanse Kolonisten nach Corribus schicken würde. Er hoffte nur, dass sich das, was hier geschehen war, nicht wiederholte.

9

WEISER IMPERATOR JORA’H

Im Ossarium unter dem Prismapalast, wo ihn niemand sehen konnte, trat Jora’h vor den Totenkopf seines Vaters. »Du zwingst mich, den unehrenhaftesten aller Pläne fortzusetzen.«

Das offene, lebendige Haar zuckte hin und her, wie Bänder voll statischer Elektrizität, und in der gespenstischen Stille kehrten seine Worte als verspottende Echos zu ihm zurück.

»Bekh! Nicht einmal die Menschen haben passende Schimpfwörter, mit denen sich mein Zorn darauf ausdrücken ließe, was du warst – und was ich geworden bin.«

Nur ein Tag war seit der Kremation vergangen, und der Totenkopf seines Vaters befand sich bereits im kalten Ossarium, einem privaten, stillen Ort, wo ein Weiser Imperator über seine Herrschaft nachdenken konnte. Am liebsten hätte sich Jora’h in einen tiefen Subthism-Schlaf geflüchtet, wie der Hyrillka-Designierte.

Der perlweiß glühende Totenkopf blieb stumm, die Augenhöhlen leer. Der tote Weise Imperator schien zu grinsen und über die Situation seines Sohns zu lachen.

Vor fast hundert Jahren war Cyroc’h mit dem gleichen Wissen konfrontiert worden, als er vom Zuchtprogramm und den gefangenen Menschen erfahren hatte. Jora’h fragte sich, ob sein Vater sich schuldig gefühlt oder die neuen »Ressourcen«

einfach akzeptiert hatte, um sie zum Wohle des Reiches zu nutzen.

Jora’h betrachtete die glühenden Knochen seines Großvaters, der Weiser Imperator gewesen war, als man das terranische Generationenschiff Burton gefunden hatte. Jahrtausendelang war es den Ildiranern nicht gelungen, einen Interspezies-Telepathen zu schaffen, der eine Kommunikation mit den Hydrogern herstellen konnte. Jora’hs Großvater hatte damals beschlossen, die Experimente auf Dobro in eine ganz neue Richtung zu lenken und die Gene der Burton-Nachkommen mit denen begabter Ildiraner zu vermischen: Menschliche Frauen wurden von ildiranischen Männern aus verschiedenen Geschlechtern geschwängert.

Jora’h nahm sich erneut vor, so bald wie möglich nach Dobro zu fliegen und seine geliebte Nira zu finden. Als Weiser Imperator hatte er die Macht, sie aus der Gefangenschaft zu befreien, und er wollte auch seine Tochter Osira’h sehen. Er würde alles wieder gutmachen, auch in Hinsicht auf die übrigen menschlichen Gefangenen…

Er schauderte, als er an all die Geheimnisse dachte, die sein Vater gehütet hatte, wohl wissend, dass sein naiver Sohn erst dann alles verstehen würde, wenn er selbst zum Weisen Imperator wurde. Er wusste jetzt, welche Rolle die Ildiraner beim vorherigen Krieg gegen die Hydroger gespielt hatten, und er verstand, warum das friedliche Reich – das angeblich seit tausend Jahren auf keinen äußeren Feind gestoßen war – eine so mächtige Solare Marine unterhielt und einen so großen Vorrat an Ekti hortete. Alles war Teil der langfristigen Vorbereitungen auf die Rückkehr der Hydroger.

»Warum hast du den Menschen gestattet, bei Oncier die Klikiss-Fackel zu testen, wenn du wusstest, was geschehen würde?« Trotz des vollen Zugangs zum Thism verstand Jora’h seinen Vater nicht. »Warum bist du ein Risiko eingegangen und hast das Schicksal herausgefordert?« Eins verstand er: Der frühere Weise Imperator – und alle Ildiraner – hatten die Ambitionen der Menschheit oft unterschätzt und falsch beurteilt. War Cyroc’h bis zum Schluss davon überzeugt gewesen, dass die Wissenschaftler der Hanse letztendlich auf den Einsatz der Klikiss-Fackel verzichten würden? Vielleicht hatte Cyroc’h kein klares Bild vom Ausmaß des menschlichen Wahns gewonnen…

Jora’h runzelte die Stirn, als er den phosphoreszierenden Totenkopf betrachtete, dazu entschlossen, sich aus seiner verfahrenen Situation zu befreien. Er spürte einen plötzlichen kalten Hauch und hörte fernes Flüstern, wandte sich den Knochen seiner Vorgänger zu. »Ja, Vater, ich werde meinem Volk dienen und es durch alle Krisen führen, wie es meine Pflicht gebietet. Aber dein Weg ist nicht der einzige. Wenn ich eine andere Lösung finde, verlasse ich diesen Pfad.«

Sein Sohn Zan’nh, der jetzt die Aufgaben des Adar wahrnahm, hatte eine Analyse in Hinsicht auf die gegenwärtigen Ekti-Vorräte übermittelt, und es betrübte den Weisen Imperator festzustellen, wie schnell sie zur Neige gingen. Das Reich brauchte Treibstoff für den Sternenantrieb.

Die Vorräte mussten erneuert werden.

Zan’nh würde das Kommando über die Solare Marine bald offiziell übernehmen. Sein Vorgänger und Mentor Adar Kori’nh war zusammen mit vielen anderen bei einem selbstmörderischen Angriff auf Qronha 3 ums Leben gekommen. Alles deutete darauf hin, dass die Hydroger von jenem Planeten vertrieben worden waren, und wenn das stimmte, konnte in der Atmosphäre von Qronha 3 Ekti produziert werden – bis die Hydroger zurückkehrten.

Wenigstens diese Maßnahme konnte er ergreifen. Das Reich sah sich Herausforderungen gegenüber, die Jora’h zwangen, große Risiken einzugehen. Aber noch schlimmer wäre es gewesen, überhaupt nichts zu versuchen.

Als er sich von den leuchtenden Knochen abwandte und den wenig hilfreichen Totenköpfen seiner Vorgänger keine Beachtung mehr schenkte, fühlte Jora’h Zuversicht angesichts der getroffenen Entscheidung. Wenn die Hydroger aus den Tiefen von Qronha 3 verschwunden waren, konnte er Zan’nh anweisen, eine der großen Himmelsminen zusammenzubauen und mit einer vollen Crew aus Ildiranern des Ektisammler-Geschlechts zum Gasriesen zu fliegen. Das war ein positiver Schritt – ein weiterer Sieg, ermöglicht durch den heldenhaften Tod von Adar Kori’nh.

Mit einem grimmigen Lächeln verließ Jora’h das Ossarium und rief nach seinem Sohn Zan’nh.

10

SULLIVAN GOLD

Man sagt, das Schicksal winke. Manchmal kratzt es auch leise oder hämmert wie ein Betrunkener an die Tür.

Als die Hanse von der Niederlage der Hydroger bei Qronha 3

erfuhr, beschloss sie sofort, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Gewaltige Wasserstoffwolken standen zumindest vorübergehend für die Ekti-Produktion zur Verfügung, und diese Möglichkeit konnte nicht ignoriert werden.

Riesige Transporter brachten Komponenten von orbitalen Industriezentren zum ildiranischen Gasriesen, wo sie am Rand der Atmosphäre zu einer großen Himmelsmine verbunden wurden. Hochbezahlte Freiwillige unterzeichneten Arbeitsverträge. Nur Irre oder unheilbare Optimisten waren bereit, einen solchen Job anzunehmen.

Sullivan Gold nahm das Angebot an, Verwalter der neuen Himmelsmine zu werden. Er war sich sehr wohl der Risiken bewusst, traf eine geschäftliche Entscheidung, die ihm durchaus sinnvoll erschien. Das Ergebnis bestand entweder aus etwas, auf das er stolz sein konnte, oder einer angemessenen Grabinschrift.

Als die ersten Transporter der Hanse Qronha 3 erreichten, beobachtete Sullivan, wie ganze Schwärme von Arbeitern mit der Montage der großen Bauteile begannen. Schwere Tanks, Ekti-Reaktoren, Lebenserhaltungssysteme und technische Module wurden Stück für Stück zu einem größeren Ganzen zusammengesetzt, wie die Teile eines Puzzles. Sullivan überprüfte jeden einzelnen Schritt des Vorgangs und kontrollierte die Arbeiten immer wieder.

Hunderte von Männern und Frauen kamen nach Qronha 3, um die große Himmelsfabrik zu bauen, aber nur einige Dutzend würden nach Inbetriebnahme der Anlage bleiben. Die Elite. Leichte Beute für die Hydroger. Sullivan überlegte, ob er seine Leute veranlassen sollte, ein Logo oder Maskottchen an die Seite der Himmelsmine zu malen. Eine Zielscheibe wäre vielleicht geeignet gewesen…

Er hatte eine praktisch veranlagte Frau namens Lydia, drei Söhne, eine Tochter und bisher zehn Enkel, alle intelligent und ehrgeizig – eines Tages würden sie echte Macher sein. Als bekannt geworden war, dass die Hanse einen Verwalter für die große Himmelsmine suchte, hatte Sullivan seine Familie zum Essen versammelt und ihr seinen Vorschlag unterbreitet. »Die von der Hanse angebotenen Bedingungen bedeuten für uns, dass wir praktisch nicht verlieren können!«

»Ich glaube, da irrst du dich, Schatz«, sagte Lydia und nahm ein Blatt Papier. Auf die eine Seite schrieb sie die Pros und auf die andere die Kontras. Bis spät in die Nacht sprachen sie über die Angelegenheit, kehrten dabei immer wieder zu Lydias strengem Finger zurück, der auf die Vor- und Nachteile hinwies.

Was die Vorteile betraf: Die Hanse bot der Familie Gold wichtige industrielle Konzessionen an, zinsfreie Darlehen und garantierte Aufträge für eine Vielzahl von Produkten – genug, um aus einfachen Geschäftsleuten eine Dynastie zu machen.

Die Konstruktion der Himmelsmine sah die Möglichkeit einer schnellen Evakuierung vor. Es gab die Chance (wenn auch keine besonders gute), dass sich Sullivan und seine Crew in Sicherheit bringen konnten, wenn die Hydroger angriffen. Das schien zumindest auf dem Papier möglich zu sein.

Die Nachteile lagen auf der Hand…

Als Sullivan nun in der verglasten vorderen Kuppel des größten Hanse-Schiffes stand und die Montage beobachtete, trat der diesem Unternehmen zugewiesene grüne Priester an seine Seite. Im Gegensatz zu den meisten anderen grünen Priestern arbeitete Kolker als selbständiger Telkontakt-Kommunikator und bot seine Dienste verschiedenen Schiffen der Hanse an. Er gehörte nicht zu den neunzehn Freiwilligen, die der TVF halfen; er hatte schon viele Jahre im Reich der Hanse verbracht.

Zwar stand Kolker immer zur Verfügung, wenn Sullivan der Hanse wichtige Statusberichte übermitteln oder Lydia eine freundliche Nachricht schicken wollte, doch den größten Teil seiner Zeit verbrachte der grüne Priester damit, neben seinem Schössling zu sitzen, ihn mit einer Hand zu berühren und vage zu lächeln. Der geschwätzige Kolker schien es nie satt zu haben, durch das Telkontakt-Netzwerk mit anderen grünen Priestern zu sprechen. Dauernd tauschte er Mitteilungen aus, sprach manchmal dabei oder lauschte stumm, selbst wenn es gar keine Nachrichten gab.

Sullivan erinnerte sich daran, dass er vor langer Zeit eine Truhe seines Vaters gefunden hatte, und darin ein Bündel mit altmodischen Postkarten. Wenn er Kolker bei seinen unentwegten Kontakten mit dem Weltwald sah, fielen ihm jene Postkarten ein. Der Telkontakt verlangte von Kolker wenigstens kein Extraporto.

»Ich habe den Weltbäumen und den anderen grünen Priestern alles beschrieben, Sullivan.« Kolker lächelte und zeigte dabei grünes Zahnfleisch. »Neue Informationen und Erfahrungen helfen dabei, sie von dem Schaden abzulenken, den die Hydroger angerichtet haben. Aber… ich fühle mich schuldig, weil ich hier bin, anstatt im verbrannten Wald zu helfen.«

Sullivan schürzte die Lippen und beobachtete, wie mit Levitatoren ausgestattete Techniker die letzten Komponenten der Himmelsmine miteinander verbanden. »Sie wollen uns doch nicht verlassen, Kolker, oder? Ich brauche Ihre Dienste.

Brieftauben kann ich von hier nicht entsenden.«

»Sie verlassen? Auf keinen Fall, Sullivan Gold. Ich finde die Umgebung faszinierend und beschreibe den neugierigen Bäumen die Details. Sie hatten nicht oft Gelegenheit, einen Gasriesen aus der Nähe zu sehen. Außerdem…« Er blickte auf den Schössling im verzierten Topf hinab. »Es tut dem Weltwald gut, einen Ort zu sehen, an dem unsere Feinde eine Niederlage hinnehmen mussten.«

Sullivan blickte in die Atmosphäre des gewaltigen Planeten.

»Wir haben keine Garantie dafür, dass die Hydroger tatsächlich von hier verschwunden sind. Wir können nur hoffen.« Unmittelbar nach Fertigstellung der Himmelsfabrik wollte der Cheftechniker Tiefensonden konstruieren, die nach eventuellen Hydrogern Ausschau halten sollten. Nur für den Fall – obgleich Sullivan daran zweifelte, dass es ihnen etwas nützte.

Die Montagearbeiten hoch über Qronha 3 wurden im Eiltempo fortgesetzt. Sullivan warf einen neuerlichen Blick auf die Zeittabelle und stellte voller Stolz fest, dass jede Phase planmäßig abgeschlossen worden war. In wenigen Tagen konnte die Fabrik ihren Betrieb aufnehmen und mit der Produktion von Ekti für die Hanse beginnen. Dann ging der Spaß los.

Der Knoten in Sullivans Brust löste sich ein wenig. Kein Grund zu Besorgnis…

11

TASIA TAMBLYN

Tasias Kreuzer erreichte Ptoro mit der apokalyptischen Waffe an Bord. Wir sind da, ihr Mistkerle. Jetzt geht es euch an den Kragen.

Die Bildschirme zeigten Ptoro als kalten Ball ohne die pastellfarbenen Wolkenbänder von Jupiter und Golgen, ohne die majestätischen Ringe von Osquivel. Eine leblose, graue Welt – in der bald das Feuer einer Sonne brennen würde.

Die TVF-Kampfschiffe der Eskorte kamen näher und meldeten ihre Positionen. Tasia sprach durchs Interkom ihres Manta, wies die Techniker und ihre Assistenten an, die Klikiss-Fackel zu installieren.

Tasias Kampfgruppe hatte zwei der grünen Priester mitgenommen, um den Einsatz der Fackel zu koordinieren.

Yarrod, älter und in sich gekehrter als Rossia, hatte zu verstehen gegeben, dass er seinen Dienst für das terranische Militär vielleicht beenden würde, da ihn der Weltwald dringender brauchte. Tasia hoffte, dass er es sich nach einem Erfolg dieser Mission anders überlegte.

Rossia berührte seinen Schössling, schloss die Augen, schickte Gedanken durch den Telkontakt und formulierte dann einen Bericht für Tasia. »Yarrod lässt mitteilen, dass er und die Techniker beim Neutronenstern in Position sind. Die Wurmlochgeneratoren befinden sich außerhalb des Gravitationsfeldes.« Er öffnete die Augen. »So lauten die von ihm übermittelten Worte. Ich weiß nicht, was sie bedeuten.«

Tasia beugte sich mit einem grimmigen Lächeln vor. »Es bedeutet dies: Wenn wir unsere Torpedos in Ptoros Wolken feuern, schaffen wir einen Ankerpunkt für das Ende des Wurmlochs. Die Techniker bei Yarrod werden den Mund des Wurmlochs öffnen und den Neutronenstern hineinstopfen, der dann hierher transferiert wird und den Hydrogern direkt in den Schoß fällt. Die zusätzliche Masse reicht aus, um Ptoro implodieren zu lassen und in eine Sonne zu verwandeln.«

Rossia strich über die dünne goldene Rinde des Schösslings.

»Oh, das wird den Hydrogern nicht gefallen.«

»Sie können uns nicht daran hindern, ihre Welt zu zerstören.«

Tasia hörte den Vorbereitungen zu, gab Bestätigungen und kontrollierte mehrmals die Systeme, für die Bereitschaft gemeldet wurde. TVF-Scoutschiffe brachen auf, sondierten die eisengrauen Wolken, näherten sich dem Rand der Atmosphäre und zogen sich dann in die Sicherheit des hohen Orbits zurück.

Exometeorologen dokumentierten die Windmuster und Temperaturschichten im Innern des Gasriesen.

Wie immer bei Missionen, die zu einer Konfrontation mit den Hydrogern führten, dachte Tasia an all die Verluste, zu denen es bisher durch diesen unnötigen Krieg gekommen war. Der Tod ihres Bruders in der Blauen Himmelsmine hatte Tasia veranlasst, Soldatin in der Terranischen Verteidigungsflotte zu werden. In den Wolken von Jupiter hatte sie gegen die Fremden gekämpft, nach der Ermordung des alten Königs Frederick durch den Gesandten der Droger. Sie war auch bei Osquivel gewesen, wo die größte Kampfgruppe der TVF eine verheerende Niederlage erlitten hatte. Außerdem dachte Tasia an einen Verlust ganz besonderer Art, der Robb Brindle hieß.

Diesmal, durch Ptoros Verwandlung in eine Sonne, sollte es die verdammten Droger treffen. Tasia beugte sich vor. »Shizz, wir entzünden das größte Lagerfeuer, das es jemals gegeben hat.«

»Ich hoffe, jemand hat Marshmallows mitgebracht«, sagte die Navigatorin Elly Ramirez.

»Sie sind zu selbstgefällig«, meinte Anwar Zizu. Der Waffenoffizier betrachtete die Anzeigen der taktischen Schirme. »Wenn ich ein Hydroger wäre, ließe ich die TVF-Schiffe nicht so nahe herankommen.«

»Wenn Sie ein Hydroger wären, Sergeant, hätten Sie von mir längst einen Tritt in den Hintern bekommen.« Tasia lehnte sich zurück und gab den Schmetterlingen in ihrer Magengrube den stummen Befehl, mit dem Flattern aufzuhören. »Schluss mit dem Tratsch. Die Torpedos abfeuern. Wir sollten dem Feind nicht noch mehr Zeit geben, seine Koffer zu packen.«

Die modifizierten Waffensysteme des Manta-Kreuzers schleuderten eine Gruppe von silbrigen Zylindern ins All, konstruiert auf der Grundlage der Klikiss-Pläne, die Margaret und Louis Colicos auf Corribus gefunden hatten. Jetzt geht’s los. Auf den Sensorschirmen war zu sehen, wie torpedoartige Generatoren in den Tiefen der Atmosphäre von Ptoro verschwanden.

»Teilen Sie Yarrod mit, dass sich die Techniker an Bord des Scoutschiffs bereithalten sollen. Wenn unsere Anker in Position sind, soll sofort der Neutronenstern hierher transferiert werden.«

Rossia gab die Informationen durchs Weltbaumnetz weiter.

Die an den Navigationsschirmen sitzende Elly Ramirez runzelte die Stirn. »Inzwischen sollten die Hydroger eigentlich aufgescheucht sein.«

»Beklagen Sie sich?« Tasia faltete die Hände, und Entschlossenheit funkelte in ihren Augen. »Gleich haben die Droger andere Dinge zu tun, als hinter uns herzujagen.«

Ptoro wirkte so harmlos und uninteressant. Tasia bedauerte, dass dies nicht Osquivel war – sie hätte sich gern für die Niederlage der Flotte gerächt. Tief in sich fühlte sie eine vertraute Leere, als sie an Robbs Tod und all die anderen TVF-Opfer dachte. Sogar den grässlichen Patrick Fitzpatrick III.

vermisste sie. Sie hatte sich immer gewünscht, dass der eingebildete Mistkerl seine wohlverdiente Strafe bekam, aber von ihr, nicht von den Drogern.

»Ankerpunkte in Position, Commander Tamblyn«, meldete Zizu.

»Transfer einleiten. Sollen die Droger ihr Geschenk bekommen.«

Rossia gab die Anweisung mithilfe des Schösslings weiter. Er hielt die großen Augen geschlossen, als wollte er nicht sehen, was geschah. Auf der Brücke des Manta-Kreuzers herrschte angespannte Stille. Die Schiffe der Eskorte sendeten Anfragen, aber Tasia beantwortete sie nicht. Noch nicht.

Der grüne Priester sah auf. »Es ist vollbracht. Yarrod bestätigt die Öffnung des Wurmlochs und den Transfer des Neutronensterns.«

Tasias Miene erhellte sich. »Er hat begonnen.«

Sie beobachteten den riesigen grauen Planeten, sah jedoch keine Veränderung. Unmittelbar nach dem Eintreffen des Neutronensterns würde die Kernfusion beginnen und eine Schockwelle durch den Gasgiganten rasen.

»Ich hoffe, dass ihr alle verbrennt!«, zischte Tasia voller Zorn und Rachsucht.

12

PATRICK FITZPATRICK III.

Er wurde nicht müde, seinen Ärger zum Ausdruck zu bringen.

»Verdammte Kakerlaken!«, brummte Patrick Fitzpatrick zum wiederholten Mal, seit er sich von seinen Verletzungen durch den Hydroger-Angriff erholt hatte.

»Ja«, sagte der untersetzte Bill Stanna in dem großen Raum im Innern des Asteroiden. »Ich bin Soldat geworden, um gegen die Droger zu kämpfen, nicht um meine Zeit damit zu vergeuden, von Weltraum-Abschaum gefangen gehalten zu werden.« Die Ausbilder hatten bei Stanna keine besonderen Fähigkeiten oder Talente entdeckt. Er war nur ein einfacher Soldat, dazu bereit, Anweisungen auszuführen und zu kämpfen. »Ich habe keine Lust, noch länger für sie zu arbeiten.«

Fitzpatrick setzte sich trotzig auf den steinernen Boden und kämmte sein rotblondes Haar in dem unentwegten Versuch, es selbst unter diesen Bedingungen in Ordnung zu halten. »Ja, verdammt! Und ich glaube, du brauchst auch gar nicht zu arbeiten, Bill.«

Fitzpatrick war groß; er sah recht gut aus, trotz der ein wenig zu spitzen Nase. In der Stirn über den nussbraunen Augen zeigten sich permanente Falten, was seinem Gesicht etwas Missbilligendes gab.

»Sie können uns nicht zur Arbeit zwingen«, sagte Shelia Andez, eine Waffenspezialistin, die nach der Zerstörung ihres Moloch über Osquivel in einer Rettungskapsel überlebt hatte.

Sie ging in dem Raum umher, und ihr Blick galt den aufeinander gestapelten Vorratsbehältern. Die übrigen TVF-

Gefangenen waren anderen Arbeitsgruppen zugeteilt worden, und die meisten von ihnen verweigerten ebenfalls die Kooperation. »Gibt es nicht so etwas wie Gefangenenrechte?

Wenn wir Kriegsgefangene sind, müssen die Kakerlaken bestimmte Regeln beachten.«

Fitzpatrick fühlte Abscheu. »Selbst wenn es eine solche Übereinkunft gäbe, die Kakerlaken könnten sie wahrscheinlich nicht lesen.« Stanna lachte laut, als hätte er seit langer Zeit nichts Komischeres gehört.

»Wenn wir die Arbeit nicht erledigen, greifen die Roamer auf ihre Kompis zurück«, sagte Kiro Yamane, ein Kybernetik-Spezialist. Im Gegensatz zu den anderen gehörte er nicht direkt zur Terranischen Verteidigungsflotte. Er galt als Genie mit einem intuitiven Verständnis für Robotik; auf der Erde hatte er unter Swendsen und Palawu in Kompi-Fabriken gearbeitet. Er war mit der Kampfgruppe nach Osquivel aufgebrochen, um die Leistungsfähigkeit der neuen Soldatenmodelle besser beurteilen zu können. »Es ärgert mich sehr zu sehen, wie sie unsere modernen Kompis für… einfache Arbeit verwenden.«

»Besser sie als wir.« Stanna ließ sich neben Fitzpatrick auf den Boden sinken. Die beiden Männer sahen zu den Behältern, die sie sortieren sollten.

Zweiunddreißig Überlebende der TVF hatten die Weltraumzigeuner gerettet, als sie wie Parasiten über die Wracks bei Osquivel hergefallen waren. Seit über einem Monat wurden die Männer und Frauen in einer geheimen Werft der Roamer gefangen gehalten.

Fitzpatricks Gedanken rasten, als er an die Ungerechtigkeit der aktuellen Situation dachte. Seine Eltern, beide Botschafter, hätten längst offiziell protestieren und seine unverzügliche Freilassung verlangen sollen. Seine Großmutter, die über erheblichen politischen Einfluss verfügte, hätte längst ein Untersuchungskomitee oder einen Rettungstrupp schicken sollen. In seiner ganzen Familie hätte Aufruhr herrschen müssen wegen der Dinge, die ihm zugestoßen waren.

Fitzpatrick ließ die Schultern hängen, als er begriff, dass er sich selbst etwas vormachte. Ja, bestimmt herrschte Aufruhr in seiner Familie, nachdem sie von der Niederlage der Flotte bei Osquivel erfahren hatte, aber vermutlich hielten ihn alle für tot.

Niemand wusste, dass sich TVF-Angehörige in der Gefangenschaft der Roamer befanden.

Als Patrick Fitzpatrick im Lauf der Wochen die Aktivitäten beobachtet hatte, war er sehr von den großen Raumdocks überrascht gewesen, in denen Schiffe aller Größen gebaut wurden. Der Clan Kellum verfügte über Schmelzöfen, Fabriken und Produktionsanlagen, eine komplette Infrastruktur; über tausend Menschen lebten und arbeiteten hier. Als die terranische Kampfflotte eingetroffen war, um die Hydroger anzugreifen, hatte niemand etwas von den Anlagen in Osquivels Ringen bemerkt. Die Kakerlaken waren hinterlistig und verschlagen, wie ein Krebsgeschwür, das insgeheim zwischen den Sternen wuchs.

Das rechteckige Schott der Luftschleuse zischte und glitt dann beiseite. Stanna stand so rasch auf, als hätte man ihn beim Schlafen im Dienst ertappt, doch Fitzpatrick und Andez blieben demonstrativ auf dem Boden sitzen. »Du brauchst nicht so tun, als ob du gearbeitet hättest, Bill«, sagte Fitzpatrick. »Sie sollen ruhig wissen, dass wir keinen Finger mehr rühren.«

Eine schlanke junge Frau mit langem schwarzem Haar kam mit einer Eleganz herein, die darauf hinwies, dass sie an ein Leben in geringer Schwerkraft gewöhnt war. Zhett Kellum, der sie alle bereits begegnet waren, hatte große grüne Augen, in denen Heiterkeit oder auch Missfallen glänzen konnten.

Fitzpatrick hatte gesehen, wie sie die vollen Lippen in einer Mischung aus verärgerter Enttäuschung und schelmischem Humor verzog. »Ich weiß nicht, wie es bei den Tiwis ist, aber in Roamer-Clans arbeiten wir normalerweise für unser Essen.

Erwarten Sie nicht von uns, dass wir Sie Monat für Monat durchfüttern.«

»In der Hanse nehmen die Familien keine Gefangenen und hindern sie an der Heimkehr«, erwiderte Fitzpatrick scharf.

»Wenn Ihnen die Qualität unserer Arbeit nicht gefällt, können Sie uns jederzeit nach Hause schicken«, fügte Andez hinzu.

Zhett wölbte die Brauen und deutete zum großen Schott der Luftschleuse. Ihr Körper schien so flexibel zu sein wie der Stahl einer Feder. »Dort geht’s nach draußen. Sie können sich jederzeit auf den Weg machen – der allerdings ziemlich lang ist.«

»Könnten Sie uns nicht wenigstens ein Schiff geben?«, fragte Stanna.

Fitzpatrick gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Sie hat es nicht ernst gemeint, Bill.«

Zhett trat den vier TVF-Gefangenen entgegen. »An Ihrer Stelle würde ich nicht von voreiligen Annahmen ausgehen, Fitzie.«

»Nennen Sie mich nicht so.«

»Oh, es ist nur ein Spitzname.« Zhett lächelte, und Fitzpatrick biss die Zähne zusammen. »Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, dass wir von Ihnen erwarten, sich ins Zeug zu legen. Mein Vater hält Sie nur für eine Last, und ich bin allmählich geneigt, ihm zuzustimmen.«

»Erwarten Sie etwa von uns, dass wir uns fügen und kooperieren?«, fragte Yamane. »Man hält uns gegen unseren Willen hier fest.«

»Wir haben Ihnen allen das Leben gerettet.« Zhett schüttelte das lange Haar, das in der niedrigen Schwerkraft wie unter Wasser schwebte. Fitzpatrick bemerkte, dass der eng anliegende Roamer-Overall lange, wohlgeformte Beine zeigte.

»Ihre Tiwi-Freunde haben sich aus dem Staub gemacht und Sie den Drogern überlassen – ich verstehe gar nicht, warum Sie unbedingt zurückkehren wollen. Sie alle sind viel besser dran, wenn Sie sich an das Leben unter Roamern gewöhnen.«

»Niemals!«, riefen die vier Gefangenen gleichzeitig.

Zhett seufzte nur und schüttelte den Kopf. »Das ist das Problem mit euch Tiwis. Ihr scheint nicht fähig zu sein, euch Veränderungen anzupassen. Glauben Sie mir: Wenn wir Sie zur Großen Gans zurückschicken könnten, ohne unsere Handelsgeheimnisse preiszugeben, so würden wir eine solche Möglichkeit sofort nutzen.«

»›Sofort‹ wäre für mich gerade schnell genug«, sagte Fitzpatrick und schnitt eine finstere Miene.

Zhett wies einige Kompis an, die Vorratsbehälter zu sortieren und zu stapeln, und anschließend fasste sie selbst mit an, während die Gefangenen einfach nur dasaßen und zusahen.

Die junge Roamerin schenkte ihnen keine Beachtung. Sie schien immun gegen die mürrischen Blicke zu sein und sich darüber zu freuen, die eigene Überlegenheit zu zeigen.

Fitzpatrick versuchte, sich nicht zu sehr darüber zu ärgern.

13

CESCA PERONI

Die alte Frau schwebte in einem Schlaufensessel, der mit der Felswand verbunden war. Die frühere Sprecherin sah aus wie ein Haufen alter Knochen, den Sehnen, ledrige Haut und reine Willenskraft zusammenhielten. Vor sechs Jahren hatte sie sich in den Ruhestand zurückgezogen und die Rendezvous-Asteroiden seitdem nicht mehr verlassen. Ihre Augen glänzten noch immer wie schwarze Himmelsperlen.

»Du hast jetzt einen klaren Beweis dafür, dass die TVF

dahinter steckt«, wandte sich Jhy Okiah an Cesca. »Was teilt dir dein Leitstern mit?«

Cesca schloss die Augen. Sie hatte sich beigebracht, nie Hilflosigkeit oder Unschlüssigkeit zu zeigen, aber hier, hinter geschlossenen Türen und in Gesellschaft der einzigen Person, die ihre Situation verstand, ließ sie die Maske fallen. »Wie soll ich den Leitstern sehen, wenn ich tief im Innern eines Felsen stecke?«

Jhy Okiah lächelte mit pergamentartigen Lippen. »Du musst deine Entscheidungen selbst treffen, Kind.«

Das Sprecherbüro war von den Kolonisten der Kanaka als einer der ersten Räume aus dem Asteroiden geschlagen worden. Als das alte Generationenschiff eine Gruppe der Siedler hier zurückgelassen hatte, war ihr Überleben keineswegs garantiert gewesen. Doch jene Vorgänger der Roamer-Clans hatten sich durch Hartnäckigkeit und großen Einfallsreichtum ausgezeichnet. Die Kolonie hatte überlebt, war gewachsen und schließlich zu einem wichtigen Stützpunkt geworden.

Roamer trafen ihre eigenen Entscheidungen und überlebten.

Sie verließen sich nicht auf Hilfe und Geschenke von anderen, nur auf ihre eigene Findigkeit. Kotto Okiah – bot ein gutes Beispiel dafür. Nach der Zerstörung seiner riskanten, Metall verarbeitenden Basis auf einem extrem heißen, halb geschmolzenen Planeten hatte er sofort mit der Arbeit auf einer superkalten Welt begonnen, davon überzeugt, dort wichtige Ressourcen gewinnen zu können.

Das rief sich Cesca immer wieder ins Gedächtnis, und manchmal erinnerte sie auch andere Clanmitglieder daran. »Ich frage mich, wie viele unserer Vorfahren an diesem Ort über schwierige Entscheidungen nachdachten. Hast du so viel Rat gebraucht, als du Sprecherin geworden bist?«

»Natürlich. Das war bei uns allen der Fall.«

Cesca schüttelte den Kopf und konnte sich kaum vorstellen, dass diese starke, entschlossene Frau jemals Selbstzweifel kennen gelernt hatte. »Wie bist du zurechtgekommen? Verrate mir das Geheimnis.«

»Das Geheimnis besteht in der Erkenntnis, dass du trotz deiner Zweifel die am besten qualifizierte Person für das Treffen jener Entscheidungen bist. Die Roamer-Clans haben dich gewählt. Sie glauben an dich. Und wenn du dein Bestes gibst, so ist es das Beste, was die Roamer anzubieten haben.«

Cesca verzog das Gesicht. »Dann sind die Roamer-Clans vielleicht in Schwierigkeiten.« Sie sah die frühere Sprecherin an, und ihre Züge verhärteten sich. »Die Große Gans hat unsere Fracht gestohlen, unsere Leute umgebracht und dann so getan, als wäre überhaupt nichts passiert. Wir haben etwas, das sie will, und offenbar glaubt sie, der Krieg gäbe ihr das Recht, es sich einfach zu nehmen.«

»Die Hanse ist ein mächtiger Gegner – sollten die Clans ihn provozieren?«

»Wir können die Piraterie der Hanse nicht einfach so hinnehmen.«

»Nein. Seit Jahren begegnet uns die Große Gans mit Verachtung. Dies ist nichts Neues, abgesehen vom Ausmaß der Gewalt. Denke daran: Was auch immer du beschließt, es wird weit reichende Folgen haben.«

»Einige der hitzköpfigen Clanoberhäupter könnten so zornig werden, dass sie das vergessen. Sie sind imstande, mich zu überstimmen. Ich kann nur für sie sprechen, sie aber zu nichts zwingen.«

»Schlimmer noch, die meisten von ihnen sind Männer mit der Tendenz, sich beweisen zu müssen.« Die alte Frau schüttelte langsam den Kopf.

Cesca zögerte kurz. »Wenn sie sich für das Nächstliegende entscheiden, fürchte ich die Konsequenzen, die sich daraus für uns alle ergeben.«

»Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen. Du stehst über den Clans. Deine Aufgabe besteht darin, den anderen Weisheit zu zeigen, damit sie die beste Entscheidung treffen, und dafür zu sorgen, dass anschließend alle an einem Strang ziehen. Wir sind alle Roamer.«

»Ja«, sagte Cesca. »Wir dürfen nicht vergessen, wer wir sind.«

14

DD

In der Stadtsphäre der Hydroger unter den Wolken von Ptoro hallten brummende Alarmsignale wie Hammerschläge durch die extrem dichte Atmosphäre. DD wusste nicht, wohin er fliehen sollte.

Die fremden Wesen schimmerten wie Quecksilber, als sie durch die chaotischen Skulpturen glitten, aus denen ihre Metropolis bestand. Die geometrischen Gebäude waberten und veränderten ihre Form, wie dreidimensionale kristallene Mosaike, die sich miteinander verbanden. Farben strahlten heller.

Der Modell-Freundlich-Kompi verstand nicht, was die überaus fremdartigen Hydroger taten oder sagten, aber er bemerkte ihre Unruhe. Um was für eine Art von Notfall handelte es sich? Die schwarzen Klikiss-Roboter – DD

verstand sie ein wenig besser, aber sie waren genauso monströs für ihn – hasteten voller Aufregung umher. Schließlich gelang es ihm, einen der käferartigen Roboter anzuhalten. »Bitte sag mir, was vor sich geht.«

Der Roboter drehte seinen kantigen Kopf und richtete blitzende optische Sensoren auf den Kompi. »Das terranische Militär hat Ptoro erreicht. Scouts in den oberen Schichten der Atmosphäre beobachten es. Die Menschen haben den vorbereitenden Apparat der von meinen verfluchten Schöpfern entwickelten Fackel-Waffe eingesetzt. Einige Hydroger übernehmen die Verteidigung, während die Stadtsphären Transtore öffnen und diese Welt evakuieren. Wir Roboter brechen mit unseren Schiffen auf.«

Die brummenden Alarmsignale ließen die Metall- und Polymerkomponenten von DDs Körper vibrieren. »Was ist mit mir? Soll ich ebenfalls mitkommen?«

»Darum kümmert sich Sirix. Wir müssen wichtige Vorbereitungen treffen. Misch dich nicht ein.« Der große Roboter stapfte durch die dichte Atmosphäre fort und trat durch eine segmentierte kristallene Wand. Hinter ihm rückten die Facetten wieder an ihren Platz.

DD blickte nach oben und beobachtete, wie mehrere Kampfschiffe der Hydroger von der Stadtsphäre aufstiegen.

Die großen Kugeln mit der diamantenen Außenhülle sausten wie dornige Kanonenkugeln nach oben.

Die tapferen TVF-Soldaten dort draußen würden es bald mit einer übermächtigen Streitmacht zu tun bekommen.

Beim Zünden der ersten Klikiss-Fackel hatten DDs Eigentümer Margaret und Louis Colicos niemandem schaden wollen und nicht einmal etwas von der Existenz der Hydroger gewusst. Diesmal aber setzte die TVF die Klikiss-Fackel ganz bewusst als Vernichtungswaffe im Krieg ein. Diplomaten der Hanse und Offiziere der Flotte hatten mehrmals versucht, Frieden zu schließen, aber die Hydroger wollten nicht verhandeln. Die Flüssigkristallwesen hielten Menschen als Spielzeuge bei ihren sonderbaren Untersuchungen und Experimenten für einigermaßen interessant, ansonsten aber für unwichtig – im Spiralarm gab es weitaus bedeutungsvollere Gegner.

DD hingegen hielt nichts für wichtiger, als jenen ambientalen Raum aufzusuchen, in dem Robb Brindle und die anderen Menschen gefangen waren. Auf dem Weg dorthin stellte sich dem kleinen Kompi niemand entgegen. Die Hydroger und Klikiss-Roboter waren viel zu sehr mit der Evakuierung beschäftigt, um ihm Beachtung zu schenken.

Als er den Raum betrat, standen die ausgemergelt wirkenden Gefangenen auf. »DD!«, sagte Brindle. »Hoffentlich bringst du gute Nachrichten.«

»Das ist leider nicht der Fall. Haben Sie den Aufruhr in der Stadtsphäre der Hydroger bemerkt?«

Einige Gefangene traten an die gallertartigen Wände und blickten durch die transparenten Membranen. »Wir sehen, dass es dort recht hektisch zugeht, aber wer weiß schon, was dahinter steckt«, sagte Brindle.

»Die Terranische Verteidigungsflotte ist eingetroffen und hat bereits den Ankerpunkt für ein Wurmloch gestartet. Ptoro soll mithilfe einer zweiten Klikiss-Fackel gezündet werden.«

Mehrere Gefangene hoben die Fäuste und jubelten. »Wurde auch Zeit!«

»Eine zweite Fackel!«

»Dagegen sind die Droger machtlos!«

Anjea war am lautesten. »Das wird den verdammten Fremden eine Lektion sein. Legt euch mit der TVF an, und ihr verbrennt euch.«

»Äh, ich möchte euch nicht die Freude verderben«, warf Brindle ein. »Aber es dürfe auch für uns ziemlich heiß werden.«

Einige Gefangene stöhnten kummervoll; andere schien es nicht zu kümmern.

»Gibt es eine Möglichkeit, diesen Ort zu verlassen?« Brindle sah sich fragend um. »Können wir den Einsatz der Fackel irgendwie verhindern?«

»Und den Drogern damit helfen? Auf keinen Fall!«

»Unser Tod bedeutet auch das Ende der Droger«, sagte ein verdreckter Charles Gomez. »Das ist es wert.«

»Ich glaube, die Hydroger wollen die Stadtsphären durch Transtore zu anderen Gasriesen bringen«, warf DD ein. »Ich vermute, sie nehmen Sie mit. Sie bleiben also in Sicherheit.«

»Wenn dies sicher ist, Kumpel, dann möchte ich nicht wissen, was du für gefährlich hältst.« Anjea Telton schnaufte.

Als der verwirrte Kompi nach einer passenden Antwort suchte, sagte Brindle in einem vermittelnden Tonfall: »Schon gut, DD. Ich weiß, dass du dir alle Mühe gibst. He, begleitest du uns? Nehmen die Hydroger auch dich mit?«

»Ich habe nur wenige Informationen, und leider reichen sie nicht aus, um diese Frage zu beantworten.«

Der mürrische Gomez wandte sich von der gewölbten, durchsichtigen Wand ab. Neben ihm riefen zwei Männer eine Warnung. DD sah auf und bemerkte mehrere mit Gelenken ausgestattete Gliedmaßen. Ein gepanzertes, käferartiges Etwas schob sich in den Ambientalraum, und als die Gefangenen zurückwichen, erkannte DD seinen Hauptpeiniger Sirix.