7.


Ich über­prüf­te so­eben die läng­li­che Strom­bank mei­ner elek­tri­schen Schock­waf­fe, als der Bild­schirm auf­flamm­te. Gleich­zei­tig er­tön­te ein hel­les Klin­gel­zei­chen.

Drau­ßen auf dem wei­ten, hel­ler­leuch­te­ten Gang stand ein bul­li­ger Elek­tro­kar­ren mit La­de­flä­che. Auf dem of­fe­nen Fah­rer­sitz er­kann­te ich Pon­ti, den po­si­ti­ven Mu­tan­ten mit dem vo­ge­l­ähn­li­chen Kopf.

Sei­ne win­zi­gen Knopfau­gen glit­zer­ten auf dem Schirm des Fern­bild­ge­rä­tes. Dann hör­te ich sei­ne schril­le Stim­me.

»Hal­lo, Es­sen, ich brin­ge das Fut­ter, öff­ne!«

Han­ni­bal rich­te­te sich im Hin­ter­grund des klei­nen Wach­rau­mes vom Schaum­stoff­la­ger auf. Er hat­te ei­ni­ge Stun­den ge­ruht, da wir ei­ne an­stren­gen­de Nacht­pe­ri­ode hin­ter uns hat­ten. Wir hat­ten un­se­re ein­zel­nen Schich­ten als un­ver­bes­ser­li­che Er­den­men­schen in 24-Stun­den-Pe­ri­oden ein­ge­teilt, ob­wohl sich Ta­ges- und Nacht­glei­che des Mon­des durch­aus nicht um un­se­re ur­al­ten Ge­wohn­hei­ten küm­mer­ten.

Vor zwei Ta­gen ir­di­scher Zeit­rech­nung war drau­ßen die glü­hen­de Son­ne un­ter­ge­gan­gen. Nun hat­ten wir schon Tem­pe­ra­tu­ren, die weit un­ter mi­nus hun­dert Grad Cel­si­us la­gen. Der tags­über stark er­wärm­te Bo­den strahl­te sei­ne Hit­ze sehr schnell ab.

Ge­nau seit sie­ben Ta­gen wa­ren wir nun in den un­ter­lu­na­ren Mons­ter­höh­len. Un­weit der ge­pan­zer­ten Wach­stu­be, viel­leicht drei­ßig Me­ter ent­fernt, heul­ten wie­der die un­be­lehr­ba­ren Ne­ga­ti­ven. Sie hat­ten Hun­ger. Es war kurz nach elf Uhr vor­mit­tags. Die Bur­schen wuß­ten sehr ge­nau, wann sie ih­re Ver­pfle­gung be­ka­men.

»In Ord­nung, Pon­ti, ich öff­ne. Fah­re gleich zum Lauf­band. Wir la­den zu­sam­men ab.«

»Gut. Hast du die Wil­den auch si­cher ein­ge­sperrt? Ich ha­be ge­hört, bei euch hät­te es wäh­rend der letz­ten Schlaf­pe­ri­ode einen bö­sen Krach ge­ge­ben. Du hast ge­schos­sen, wie?«

Ich nick­te un­will­kür­lich, ob­wohl er mich nicht se­hen konn­te. Nur ich konn­te ihn auf dem Bild­schirm be­ob­ach­ten.

»Ja, drei gin­gen in der Frei­zeit­hal­le auf­ein­an­der los und zer­ris­sen sich. Wir konn­ten es nicht ver­hin­dern. Da die an­de­ren blut­gie­rig wur­den, muß­ten wir da­zwi­schen­hal­ten. Nun komm schon.«

Ich leg­te den Schal­ter der Stark­strom­sper­re um und ließ die schwe­re Git­ter­tür auf­glei­ten. Nach­dem der Wa­gen durch­ge­fah­ren war, ver­schloß ich wie­der das De­cken­git­ter. Pon­ti war nun im fünf­ten Block, Sta­ti­on zwölf.

Han­ni­bal blick­te mit ge­run­zel­ter Stirn auf den au­to­ma­ti­schen Wand­ka­len­der. Er lief nach Erd­zeit.

»Heu­te sind es sie­ben Ta­ge«, sag­te er. »Ge­nau sie­ben Ta­ge, und wir sind im­mer noch am An­fang. Ich dach­te, der Kom­man­deur lie­ße sich je­den neu­en Wäch­ter vor­füh­ren?«

Ich zuck­te mit den Schul­tern und sah mich wie­der miß­trau­isch um. Bis­her hat­ten wir von Ab­hör­mi­kro­pho­nen nichts ent­de­cken kön­nen, doch war es gut mög­lich, daß die zahl­rei­chen Schalt­ge­rä­te der Wach­sta­ti­on un­will­kom­me­ne Zu­sät­ze ent­hiel­ten.

Wir konn­ten auch da­mit rech­nen, ge­gen un­ir­di­sche Mit­tel be­ste­hen zu müs­sen. Was wuß­ten wir, wie die hoch­qua­li­fi­zier­te Tech­nik ei­nes fer­nen Ster­nen­vol­kes Mi­kro­pho­ne her­stell­te! Das konn­ten Kris­tal­le sein, die ir­gend­wo staub­fein her­um­la­gen und je­des Wort auf­nah­men. Sie konn­ten uns so­gar bei der lan­gen Un­ter­su­chung am An­kunfts­tag di­rekt die Ab­horch­ge­rä­te in den Kör­per ge­pflanzt ha­ben. Die­sen Teu­feln trau­te ich al­les zu.

Han­ni­bal rea­gier­te auf mei­nen war­nen­den Blick. Sei­ne Lip­pen ver­schlos­sen sich.

Drau­ßen auf dem lan­gen Rund­gang war­te­te Pon­ti be­reits. Er war zu­sam­men mit uns an­ge­kom­men. Wäh­rend wir schon einen Tag spä­ter zu Wäch­tern der zwölf­ten Sta­ti­on er­nannt wur­den, hat­te er die Ver­pfle­gung im fünf­ten Block zu ver­tei­len. Bis­her hat­te ich nur ein­mal ei­ne mensch­li­che Wa­che in den Mons­ter­höh­len ge­se­hen.

Fern­bild­lich er­schie­nen die Of­fi­zie­re und we­ni­ge Sol­da­ten al­le Au­gen­bli­cke. An­schei­nend leg­ten sie aber kei­nen Wert dar­auf, das rie­sen­haf­te La­by­rinth öf­ter als un­be­dingt er­for­der­lich zu be­tre­ten.

Das Pan­zer­schott ras­sel­te zu­rück. Ein Spalt wur­de frei.

Trotz der gu­ten Kli­ma­an­la­ge in den Mons­ter­höh­len schlug uns der fau­li­ge Bro­dem aus der Tie­fe ent­ge­gen.

Die Wach­sta­ti­on lag drei­ßig Me­ter über dem Bo­den der großen Frei­zeit­hal­le, wie wir sie nann­ten. Sämt­li­che Hal­len wa­ren so ein­ge­rich­tet; und das hat­te sei­nen Grund. Es soll­te ein­mal vor­ge­kom­men sein, daß ein sprung­ge­wal­ti­ges Mon­s­trum bis zu dem Lauf­gang vor­ge­drun­gen war. Ich konn­te mir das kaum vor­stel­len, aber bei den ge­rin­gen Schwe­re­ver­hält­nis­sen des Mon­des moch­te es schon mög­lich sein.

»Na end­lich«, at­me­te der Mu­tant mit dem Vo­gel­kopf auf. »Braucht ihr im­mer so lan­ge? Hal­ten sich al­le in den Kä­fi­gen auf?«

Er schwang sich von sei­nem Sitz her­un­ter und trat an die me­tal­li­sche Brüs­tung.

Tief un­ter uns lag der Bo­den des Hal­len­doms. Der Lauf­gang zog sich in un­se­rer be­acht­li­chen Hö­he rund­um, so daß wir bei den In­spek­ti­ons­gän­gen je­den Fleck ein­se­hen konn­ten.

Rings­um an den Wän­den wa­ren Git­ter­kä­fi­ge ein­ge­baut. Die gan­ze An­la­ge war sehr sorg­fäl­tig und mit ei­nem enor­men Kos­ten­auf­wand an­ge­legt wor­den.

Nur we­ni­ge ne­ga­ti­ve Mu­tan­ten konn­te man ge­mein­sam ein­sper­ren. Es wa­ren die, die noch als ei­ni­ger­ma­ßen ver­träg­lich gal­ten.

Die meis­ten Mons­tren muß­ten in Ein­zel­zel­len un­ter­ge­bracht wer­den, da sie im­mer wie­der da­zu neig­ten, den an­de­ren an die Keh­le zu ge­hen. Wir hat­ten ge­nau achtund­sech­zig sol­che ne­ga­ti­ven Erb­ge­schä­dig­ten zu be­wa­chen und sie mit Nah­rungs­mit­teln zu ver­sor­gen.

Un­se­re Schütz­lin­ge wa­ren schon lan­ge hier. Sie wuß­ten ge­nau, daß sie sich beim Es­sen­emp­fang in ih­re Zel­len zu be­ge­ben hat­ten. An­sons­ten konn­ten sie sich in der großen Hal­le frei be­we­gen. Sie hat­ten ge­nü­gend Platz, und für Un­ter­hal­tung war ge­sorgt. Sie konn­ten sprin­gen und klet­tern. Die künst­li­chen Son­nen spen­de­ten das ge­wohn­te Licht, und auf dem im­por­tier­ten Hu­mus­bo­den wu­cher­ten so­gar Pflan­zen.

Kurz vor Pon­tis Ein­tref­fen hat­te ich das Si­gnal ge­ge­ben. In­fol­ge­des­sen hock­ten sie al­le in ih­ren Zel­len, de­ren Git­ter­tü­ren sich zehn Mi­nu­ten nach dem Si­gnal au­to­ma­tisch ge­schlos­sen hat­ten. Nur die Fut­ter­klap­pen stan­den of­fen.

»Wie die Tie­re.« Han­ni­bal schüt­tel­te den Kopf. »Ei­ne Ide­al­lö­sung ist die­se Un­ter­brin­gung ge­ra­de nicht.«

»Aber si­cher!« lach­te Pon­ti so schrill, daß ich mir die Oh­ren zu­hielt.

Ich sah ihn for­schend an. Mit ihm hat­te ich einen be­son­de­ren Plan.

Un­ten brüll­te das schup­pen­ge­pan­zer­te Mon­s­trum, ein ne­ga­ti­ver Mu­tant, der nicht ein­mal spre­chen konn­te. Er war der Wil­des­te un­ter al­len. Je­der duck­te sich vor ihm.

Sei­ne bei­den Ar­me ga­bel­ten sich in je zwei hand­ähn­li­che Werk­zeu­ge. Wahr­schein­lich ge­hör­te er schon zu der zwei­ten Ge­ne­ra­ti­on, stamm­te al­so be­reits aus ei­ner Ver­bin­dung zwi­schen Mu­tan­ten. Das war auf der Er­de tat­säch­lich die große Ge­fahr. Die Le­bens­for­men wur­den da­mit im­mer schlim­mer.

Er schlug die stahl­har­ten Kral­len ge­gen sei­ne Git­ter­tür und brüll­te er­neut. Er war nur noch Bes­tie, fast aus­schließ­lich von In­stink­ten be­herrscht. Au­ßer­dem be­saß er aber ei­ne In­tel­li­genz, die die ei­nes je­den wirk­li­chen Tie­res weit über­traf.

Ich nahm das Me­ga­phon vor die Lip­pen und schal­te­te die ein­ge­bau­te Ver­stär­ke­r­an­la­ge ein.

»Ru­he da un­ten, Sau­ri­er. Ich muß dir wohl den Schock zei­gen, wie?«

Als ich die Mün­dung der schwe­ren Waf­fe über die Brüs­tung leg­te, zog er den mäch­ti­gen Ku­gel­kopf in die Schul­tern ein. Nur ein wil­des Knur­ren klang nach.

»Wi­der­li­che Be­schäf­ti­gung«, murr­te der Klei­ne.

Pon­ti lach­te, als er den Fut­ter­wa­gen zum Auf­zug fuhr. Der di­cke Brei aus Syn­t­hofleisch wog­te in dem La­de­kas­ten um­her. Die­ser An­blick ver­stärk­te noch mei­ne Übel­keit. Al­lein die ro­sa-blaue Fär­bung reich­te schon aus, um mei­ne Ma­gen­ner­ven re­bel­lie­ren zu las­sen. Das Füt­tern war im­mer am schlimms­ten.

Wir fuh­ren mit dem großen Lift nach un­ten. Ehe ich die Git­ter­tür öff­ne­te, sah ich mich noch­mals in der Hal­le um. Von hier aus war sie durch die großen Stein­blö­cke und Pflan­zen nicht mehr so über­sicht­lich. Die Kon­trol­len in der Wach­stu­be hat­ten je­doch an­ge­zeigt, daß sie sich al­le in ih­re Zel­len be­ge­ben hat­ten.

»In Ord­nung. Kommt schon, da­mit wir es bald hin­ter uns ha­ben.«

»Ja, et­was schnel­ler«, dräng­te der Vo­gel­köp­fi­ge. »Ich ha­be noch zwei Sta­tio­nen zu be­lie­fern. Heu­te schmeckt das Fleisch nach Rind, ha!«

Er lach­te in sei­ner schril­len Art.

Dann be­gan­nen wir, vor den ein­zel­nen Wand­kä­fi­gen die her­aus­ge­reich­ten Trö­ge zu fül­len. Han­ni­bal war heu­te als Wach­pos­ten ein­ge­teilt. Wäh­rend ich mit der Kel­le die mehr oder we­ni­ger großen Näp­fe füll­te, lau­er­te er mit schuß­be­rei­ter Schock­waf­fe.

Ich sah ei­ni­ger­ma­ßen nor­ma­le Hän­de, dann wie­der fin­ger­lo­se Tat­zen mit be­weg­li­chen Bal­len und – im schlimms­ten Fal­le – mör­de­ri­sche Kral­len, die kaum die Näp­fe hal­ten konn­ten.

Je­der be­kam so­viel, wie er ver­lang­te. Das war auch er­for­der­lich, da es er­heb­li­che Grö­ßen­un­ter­schie­de gab. Ei­ne ein­heit­li­che Ka­lo­ri­en­be­rech­nung konn­te hier nicht zu­grun­de ge­legt wer­den.

Sie stürz­ten sich gie­rig über die hoch­wer­ti­ge Nah­rung. Je­der er­hielt heu­te noch einen Beu­tel Hart­ge­bäck. Ei­ni­ge wuß­ten nichts da­mit an­zu­fan­gen und be­war­fen die Mons­tren in den Nach­bar­kä­fi­gen da­mit.

Als es ei­ner zu wild trieb, setz­te Han­ni­bal die Schock­waf­fe ein. Auf­schrei­end brach das völ­lig be­haar­te Le­be­we­sen zu­sam­men, ehe die Be­täu­bung ein­setz­te. In den an­de­ren Kä­fi­gen wur­de es to­ten­still. Der Schock soll­te sehr schmerz­haft sein, hat­te man uns ge­sagt.

»Im­mer schön mit der Ru­he«, sag­te ich. Mei­ne Ge­sichts­zü­ge wa­ren ver­zerrt. Ich fühl­te, daß mei­ne Ner­ven die­se Si­tua­ti­on nicht mehr lan­ge aus­hiel­ten. Das konn­te nur ein wirk­li­cher Mu­tant er­tra­gen, der seit Be­ginn sei­nes Le­bens mit die­sen Un­ge­heu­ern in engs­ter Be­rüh­rung ge­stan­den hat­te. Wäh­rend un­se­res fünf­tä­gi­gen Auf­ent­hal­tes im Ur­wald hat­ten wir nur einen win­zi­gen Vor­ge­schmack be­kom­men.

Pon­ti teil­te die rest­li­chen Beu­tel mit dem Ge­bäck aus. Es han­del­te sich um ein Mais­kon­zen­trat und war recht wohl­schme­ckend.

»Sau­ri­er«, wie un­ser schlimms­ter Zög­ling ge­nannt wur­de, stieß knur­ren­de Lau­te aus dem gei­fern­den Ra­chen her­vor. Er wies kei­ne Men­schen­ähn­lich­keit mehr auf, ob­wohl er zwei Bei­ne hat­te und auf­ge­rich­tet ging. Man hät­te ihn für ein nich­tir­di­sches Ech­sen­we­sen von ge­wal­ti­gen For­men hal­ten kön­nen.

Ihm reich­ten wir die Näp­fe mit ei­ner Stan­ge. Er war je­doch ei­ni­ger­ma­ßen ver­nünf­tig und ver­zich­te­te dar­auf, mir das Werk­zeug aus den Hän­den zu rei­ßen. Am ers­ten Tag un­se­res Wär­ter­diens­tes hat­te er es mit der Ab­sicht ver­sucht, mir an­schlie­ßend den Schä­del ein­zu­schla­gen. Han­ni­bal hat­te zwei Strom­schüs­se ab­ge­ben müs­sen, um ihn zu be­täu­ben.

Die Füt­te­rung dau­er­te fast ei­ne Stun­de. Dann hat­ten wir die Pro­ze­dur über­stan­den. Hier und da muß­ten wir noch ein­mal die Näp­fe nach­fül­len. An­schlie­ßend brach die Zeit der Mit­tags­ru­he an.

Das war auf je­der Block­sta­ti­on ver­schie­den, da auch die Es­sen­aus­ga­be nicht ge­nau zum glei­chen Zeit­punkt er­folg­te.

Pon­ti be­schwer­te sich, er hät­te zu vie­le Sta­tio­nen zu be­lie­fern. Er woll­te noch ei­ne Hilfs­kraft an­for­dern.

Als wir mit dem Auf­zug wie­der oben an­ka­men, sag­te er wie ne­ben­säch­lich:

»Oh, da fällt mir et­was ein. Habt ihr schon ge­hört, daß wir heu­te noch zum Kom­man­dan­ten kom­men sol­len? Man­zo hat es ge­sagt. Ich war vor­hin bei ihm. Er weiß es von ei­nem Of­fi­zier.«

Mir fuhr es wie ein elek­tri­scher Schlag in die Glie­der. Man­zo war un­ser mu­tier­ter GWA-Kol­le­ge. Er hat­te die zehn­te Sta­ti­on, die eben­falls im fünf­ten Block lag. Es war nicht schwie­rig, an ihn her­an­zu­kom­men. Da­zu brauch­te ich nur an­zu­ru­fen oder den Haupt­gang zu be­nut­zen. Die ein­zel­nen Hal­len zweig­ten rechts und links da­von ab.

Wir wa­ren ihm schon we­ni­ge Stun­den nach un­se­rem Dienst­an­tritt be­geg­net. Von da an sa­hen wir uns prak­tisch täg­lich im Spei­se­raum der Wär­ter.

»Wer soll zum Kom­man­dan­ten? Al­le?«

»Nein, nur wir Neu­en. Man­zo sag­te, der Kom­man­deur wä­re wahr­schein­lich nicht hier ge­we­sen.«

Er wink­te mir zu und woll­te wei­ter­fah­ren. Ich hielt ihn mit ei­nem kur­z­en Ruf zu­rück.

Sei­ne Knopfau­gen wei­te­ten sich et­was, als ich dicht vor ihn trat.

»Was ist denn?« frag­te er ängst­lich. »Du siehst mich so ko­misch an.«

»Pon­ti, willst du mir einen Ge­fal­len tun? Es ist nicht schwer. Ich ge­be dir da­für von mei­nen Ra­tio­nen ab.«

»Äh, warum nicht. Was ist es denn?«

»Wenn wir zu dem Oberst­leut­nant ge­bracht wer­den, möch­te ich ger­ne, daß du ein­mal so hell und so hoch lachst, wie es dir mög­lich ist. Du rufst doch al­les im Ul­tra­schall­be­reich, oder?«

»Si­cher, ich hö­re auch Ul­tra­schall. Das war in den Wäl­dern mein Glück. Mehr willst du nicht? Nur la­chen?«

»Nur das. Tue es, wenn ich eben­falls la­che. Wir wer­den ge­mein­sam zu ihm kom­men, den­ke ich. Du mußt aber un­be­dingt den Mund hal­ten und nicht ver­ra­ten, daß ich dich dar­um ge­be­ten ha­be. Den­ke an die Ra­tio­nen. Du kriegst die gan­ze Scho­ko­la­de.«

Er pfiff ver­gnügt und so schrill, daß ich die Schwin­gun­gen nicht mehr auf­neh­men konn­te. Dann fuhr er los. Han­ni­bal öff­ne­te das Sperr­git­ter zum all­ge­mei­nen Ver­bin­dungs­gang.

Ich sah dem Mu­tan­ten lan­ge nach.

Al­so der Kom­man­deur woll­te uns heu­te noch se­hen! Das war in­ter­essant. Noch ver­blüf­fen­der aber war Man­zos Nach­richt, wo­nach der Oberst­leut­nant ei­ni­ge Ta­ge nicht im Mons­ter­la­ger ge­we­sen war. Wo hat­te er sich auf­ge­hal­ten? In der rus­si­schen Groß­sta­ti­on auf dem Süd­pol? Das muß­te fest­ge­stellt wer­den.

Han­ni­bal schi­en die glei­chen Ge­dan­ken zu ha­ben. Sein haa­ri­ges Ge­sicht war wie­der ge­spannt. Sei­ne großen Au­gen glänz­ten.

»In ei­ner knap­pen Stun­de ge­hen wir in den Spei­se­raum.«

Ich nick­te ihm kurz zu. Wir wa­ren uns ei­nig. Wie­der sah ich mich ver­geb­lich nach Ab­hör­vor­rich­tun­gen um. Es wa­ren tat­säch­lich kei­ne zu ent­de­cken. Das war der ein­zi­ge Punkt, der uns be­un­ru­hig­te. Wir muß­ten uns je­doch mit der Un­ge­wiß­heit ab­fin­den.

Man­zos schau­fel­ar­ti­ge Pran­ken wur­den mit dem Löf­fel nicht fer­tig. Er ver­bog das Me­tall zur Spi­ra­le, die er dann mit zwei Fin­gern wie­der sorg­fäl­tig glät­te­te.

Er saß vor mir wie ein Ko­loß. Sei­ne sehr brei­ten Schul­tern wirk­ten noch mas­si­ger, da sein mäch­ti­ger Kopf oh­ne hals­ar­ti­gen Ober­gang auf dem Kör­per saß. Sei­ne Haut schim­mer­te noch im­mer grün­lich, als wä­re sie mit Sma­ragd­staub über­sät. Wir wuß­ten, daß die­ses selt­sa­me Ge­we­be so­gar har­te Gam­ma­strah­len re­flek­tier­te.

Er grins­te mich mit sei­nem brei­ten Ra­chen an. An­statt der Zäh­ne ver­füg­te er nur über schar­fe Kno­chen­rei­hen. Die faust­großen Au­gen ver­rie­ten In­tel­li­genz. Er ge­hör­te zu den selt­sa­men Aus­nah­men po­si­ti­ver Mu­tan­ten, die trotz ho­her Geis­tes­fä­hig­kei­ten einen Mons­ter­kör­per be­sa­ßen.

So­gar der Zwei­köp­fi­ge – er saß al­lein am über­nächs­ten Tisch – wirk­te mensch­li­cher als un­ser mu­tier­ter Kol­le­ge aus dem Ama­zo­nas-Ge­biet. Dort hat­te sich vor mehr als zwan­zig Jah­ren auch ei­ne Atom­ka­ta­stro­phe er­eig­net, nur war sie längst nicht so hef­tig ab­ge­lau­fen wie in Si­bi­ri­en.

Man­zos ton­nen­ar­ti­ge Brust be­rühr­te die Tisch­kan­te. Wenn er nicht auf­paß­te, ge­riet der gan­ze Tisch in Be­we­gung.

Han­ni­bal saß ihm schräg ge­gen­über. Er wirk­te ge­gen den 2,50 Me­ter ho­hen Gi­gan­ten wie ein Gnom. Un­se­re gu­te Be­kannt­schaft re­sul­tier­te an­geb­lich aus den Wäl­dern. Man­zo war vor­her ent­spre­chend in­for­miert wor­den.

Als wir zum ers­ten­mal den Spei­se­raum der Wär­ter be­tre­ten hat­ten, war er so­fort in ein Freu­den­ge­brüll aus­ge­bro­chen. Von da an sa­ßen wir bei den Mahl­zei­ten zu­sam­men. Die lo­gi­sche Er­klä­rung war ge­schaf­fen.

Er war be­reits sechs Wo­chen vor uns an­ge­kom­men und hat­te schon we­sent­li­che Din­ge aus­ge­kund­schaf­tet. Nur konn­te er uns nicht sa­gen, was hier ei­gent­lich ge­spielt wur­de.

Ich führ­te den Löf­fel mit der di­cken Grau­pen­sup­pe zum Mund. Da­bei mur­mel­te ich:

»Neue Nach­rich­ten, Klei­ner?«

»Ja«, kam es so ver­hal­ten aus dem mäch­ti­gen Mund, wie ich es nie­mals für mög­lich ge­hal­ten hät­te. Frü­her hat­te er im­mer ge­brüllt, daß Wän­de und Fens­ter­schei­ben wa­ckel­ten. Man schi­en ihn im HQ her­vor­ra­gend ge­schult zu ha­ben.

»Fun­knach­rich­ten auch über Sup-Ul­tra-Wel­le un­be­dingt un­ter­las­sen. Ab so­fort Funk­ver­bot, es sei denn bei drin­gen­den Not­fäl­len.«

»Warum?«

»Neue Ent­de­ckun­gen in den un­ter­lu­na­ren Mar­s­städ­ten. Den Mar­sia­nern war die über­kur­ze Funk­wel­le be­kannt. Sie ar­bei­te­ten da­mit. Es ist an­zu­neh­men, daß auch die De­ne­ber in­for­miert sind. Wenn es hier ei­ne sol­che Sta­ti­on ge­ben soll­te, sind wir ver­ra­ten. Nur über mich Nach­rich­ten ab­strah­len. Die An­wei­sung kommt vom Chef.«

Han­ni­bal fluch­te fast laut­los. Drü­ben be­gan­nen sich schon wie­der die Köp­fe Ralph und Tor­by zu strei­ten. Es ging dar­um, wer zu­erst die bei­den Ar­me be­nut­zen durf­te. Sie hat­ten bei­de Hun­ger, und mit ei­ner Hand schi­en es schlecht zu ge­hen. Ih­re Sup­pe hat­ten sie schon ge­ges­sen.

»Ru­he da hin­ten«, schrie der Vo­gel­köp­fi­ge her­über. »Dies­mal kommt zu­erst Tor­by an die Rei­he. Ver­tragt euch!«

Man­zo lach­te dröh­nend, tief aus der Ton­nen­brust her­aus. Der rech­te Kopf schimpf­te in al­len Ton­ar­ten, gab je­doch die Blo­ckie­rung des Kör­pers auf. Tor­by be­gann ver­gnügt zu es­sen.

Die Ge­räusche wa­ren so laut­stark, daß wir gut mit­ein­an­der spre­chen konn­ten.

»Sonst noch et­was?« flüs­ter­te ich.

»Ki­ny hat es vor ei­ner hal­b­en Stun­de durch­ge­ge­ben. Dei­ne An­fra­gen ha­ben end­lich die Lö­sung er­bracht. Das Ab­schuß­ver­bot für die 8. Ar­mee ist vom Mi­nis­ter­prä­si­den­ten per­sön­lich er­las­sen wor­den. Der Ge­heim­dienst hat ihn dar­auf­hin ge­tes­tet. Er ver­trägt kei­nen Ul­tra­schall. Der höchs­te Mann im Staat ist ei­ne Nach­ah­mung.«

Mir fiel fast der Löf­fel aus der Hand. So war das al­so! Han­ni­bal blick­te mich ent­setzt an. Si­cher­lich dach­te er an die fürch­ter­li­chen Fol­gen ei­nes sol­chen Schach­zu­ges.

»Und jetzt? Was ha­ben die Rus­sen ver­an­laßt?« frag­te ich be­bend. »Das ›Ding‹ kann un­ter Um­stän­den einen Welt­krieg pro­vo­zie­ren. Wo ist der ech­te Mi­nis­ter­prä­si­dent?«

»Spur­los ver­schwun­den, wie al­le an­de­ren auch. Nie­mand kann sich er­klä­ren, wie die De­ne­ber das an­ge­stellt ha­ben. Die Gar­de ist ge­tes­tet wor­den. Un­ter den Sol­da­ten be­fin­det sich kei­ne Nach­ah­mung. Gre­gor Gor­ss­kij hat zu ei­nem Not­mit­tel ge­grif­fen. Die Nach­ah­mung des Staats­chefs ist mit mu­tier­ten Vi­ren in­fi­ziert wor­den. Da der Trä­ger­kör­per echt ist und Or­ga­ne hat, liegt das Mon­s­trum nun schwer er­krankt in der Kli­nik. Ärz­te des Ge­heim­diens­tes ha­ben die Be­treu­ung über­nom­men. Das Ding kann nicht eher un­schäd­lich ge­macht wer­den, bis wir die Mar­s­sta­ti­on der De­ne­ber aus­fin­dig ge­macht ha­ben. Ist das ge­sche­hen, lau­fen auf der Er­de die Schall­prü­fun­gen an.«

Ich be­ru­hig­te mich bei dem Ge­dan­ken an die ge­schick­te Maß­nah­me der rus­si­schen Ab­wehr. Die Er­kran­kung wirk­te un­ver­fäng­lich.

»Die Schock­waf­fen sind von ei­nem Dok­tor Bor­si­low ent­wi­ckelt wor­den. Seit drei Mo­na­ten im Ein­satz. Bor­si­low ist wis­sen­schaft­li­cher Chef der staat­li­chen Wer­ke für All­ge­mei­ne Elek­tro­nik. Er wur­de un­auf­fäl­lig über­prüft. Er kann auch kei­ne ho­hen Schwin­gun­gen ver­tra­gen und steht jetzt schon auf der Lis­te. Das ›Ge­dächt­nis‹ hat er­mit­telt, daß die Schock­waf­fen nur des­halb von dem ver­kapp­ten De­ne­ber ent­wi­ckelt wur­den, weil sie zum Mu­tan­ten­ein­fang be­nö­tigt wer­den. Dar­aus hat der Ro­bot wie­der­um er­rech­net, daß es hier bei uns sehr bald los­ge­hen muß. Er­höh­te Alarm­be­reit­schaft. Es wird mit hun­dert­pro­zen­ti­ger Ge­wiß­heit an­ge­nom­men, daß re­gel­mä­ßig Mu­tan­ten­trans­por­ter zum Mars ab­ge­hen. Ich ha­be den Be­fehl er­hal­ten, den Hö­cker zu fül­len.«

Ich blick­te un­will­kür­lich auf sei­nen un­ge­heu­er­lich brei­ten Rücken, auf dem sich ein mäch­ti­ger Hö­cker er­hob. Das Ge­bil­de war ein Hohl­be­häl­ter, sonst nichts. Man­zo hat­te ei­ne gut­ge­wach­se­ne Wir­bel­säu­le.

Der Hö­cker war ei­ne or­ga­ni­sche Züch­tung und mit sei­nem Kör­per ver­wach­sen wor­den. Er be­saß Mus­kel­strän­ge, einen Kreis­lauf und ei­ne gleich­ar­ti­ge Ober­flä­chen­schicht wie der nor­ma­le Kör­per. Wir wuß­ten, wie wir ihn zu öff­nen hat­ten. Zur Zeit war er noch leer.

»Die Spe­zi­al­bom­be ist ges­tern an­ge­kom­men. Ki­ny hat im Auf­trag von TS-19 Be­scheid ge­ge­ben. Wir müs­sen da­für sor­gen, daß wir beim nächs­ten Trans­port da­bei sind. Egal wie – wir müs­sen da­bei sein.«

»Dann ist Fei­er­abend«, sag­te Han­ni­bal.

»Zwei neue Fern­raum­schif­fe sind auf die Kreis­bahn ge­bracht wor­den. Sie star­ten, so­bald wir von hier ver­schwin­den. Un­ter Um­stän­den kön­nen wir uns auf dem Mars so lan­ge hal­ten, bis wir ab­ge­holt wer­den. Es sind neu­ar­ti­ge Plas­ma­kreu­zer, schwer be­waff­net. Sie kön­nen bei größ­ter Ener­gie­ver­schwen­dung in zwölf Ta­gen den Mars er­rei­chen. Spe­zi­al­trup­pen sind an Bord.«

Ich woll­te nicht an un­se­re letz­te Auf­ga­be den­ken, denn das muß­te ein­fach die letz­te sein!

Wenn wir durch einen Mu­tan­ten­trans­port zum ge­heim­nis­vol­len Mar­s­stütz­punkt der De­ne­ber ka­men, muß­ten wir schlag­ar­tig han­deln. Kei­ne Se­kun­de durf­ten wir zö­gern, das stand fest. Da­mit war die Auf­ga­be end­lich ge­löst, auch das war si­cher.

Was aber wür­de mit uns ge­sche­hen? Wenn wir den Frem­den ei­ne ato­ma­re Bom­be in den Bau leg­ten, dann war die Ent­schei­dung ge­fal­len.

Ich zwang mich zur Ru­he.

»Wel­che La­dung hast du er­hal­ten?«

Sei­ne mäch­ti­gen Lip­pen zit­ter­ten. Ehe er ant­wor­te­te, sah er sich si­chernd um. Nie­mand ach­te­te auf uns.

»Ein Höl­len­ding, Ma­jor! So et­was hat es im Klein­for­mat noch nie ge­ge­ben. Ei­ne Spon­tan­bom­be auf der Koh­len­stoff­ba­sis, al­so ei­ne ka­ta­ly­tisch wirk­sa­me Kern­ver­schmel­zung. Ener­gie­ent­wick­lung trotz des Klein­for­ma­tes drei­hun­dert Mil­lio­nen Ton­nen TNT. Die Ker­ne wer­den zu fünf­und­neun­zig Pro­zent in den Pro­zeß ge­zwun­gen. Da­her die ho­he Leis­tung trotz der ge­rin­gen Ab­mes­sun­gen. Da­mit kann man einen klei­nen Kon­ti­nent aus­lö­schen. Mit der Strah­lung al­le­mal. Die Strahl­schutz­hül­le ist so ge­ar­bei­tet, daß die Bom­be ge­nau in mei­nen Hö­cker paßt. Die sons­ti­gen Aus­rüs­tun­gen sind auch vor­han­den. Für euch Ein­satz­pis­to­len, Kör­per­sen­der, Raum­an­zü­ge und zer­leg­te Mas­ken mit Ver­dich­tungs­an­la­ge. Wenn wir auf dem Mars den Dru­ckun­ter­schied oh­ne Raum­an­zug gut über­ste­hen, wird die Ener­gie der Strom­spei­cher für acht­zehn Ta­ge aus­rei­chen. Die Mas­ken­ver­dich­ter sau­gen den auf dem Mars vor­han­de­nen Sau­er­stoff an, ver­dich­ten ihn auf un­se­re Lun­gen­norm und ge­ben das Gas in kom­pri­mier­ter Form für un­se­re At­mung frei. So könn­ten wir aus­hal­ten. Wir müs­sen nur zu­se­hen, daß wir vor der Ex­plo­si­on aus dem De­ne­ber-Bau her­aus­kom­men. Das ist al­les!«

Das ist al­les! Ich sah ihn spöt­tisch an und dach­te mir mei­nen Teil. Selbst wenn die Sau­er­stoff­ver­sor­gung da­mit ge­si­chert war, muß­ten wir da oben er­frie­ren. Oh­ne heiz­ba­re Un­ter­künf­te half das al­les nichts.

»Me­di­ka­men­te zur Er­wär­mung sind auch da«, mein­te Man­zo.

Es war als hät­te er mei­ne Ge­dan­ken ge­le­sen. Un­ser mons­trö­ser Freund war ein na­tür­li­cher Te­le­path, für den es nach der gründ­li­chen Schu­lung durch un­se­re Pa­ra­psy­cho­lo­gen nicht mehr schwie­rig war, in den Be­wußt­seins­in­halt ei­nes je­den Men­schen ein­zu­drin­gen und den Sinn der ge­plan­ten Wor­te zu er­fas­sen.

Schon bei den letz­ten Ein­sät­zen hat­ten wir ihn als le­ben­den Sen­der ein­ge­setzt.

Die klei­ne Ki­ny Ed­wards, ein Mäd­chen mit eben­falls na­tür­li­chen Te­le­pa­thie-Fä­hig­kei­ten war sei­ne Ge­gen­sta­ti­on. Zur Zeit hielt sich die Klei­ne bei TS-19 im Ver­bin­dungs­la­ger auf. So ent­stand die groß­ar­ti­ge Nach­rich­ten­über­mitt­lung, die von kei­nem me­cha­ni­schen Ge­rät fest­ge­stellt wer­den konn­te.

Te­le­pa­thie war nach den neu­es­ten Er­kennt­nis­sen eben­falls auf Schwin­gun­gen auf­ge­baut, und zwar auf sol­chen, wie sie von je­dem ak­ti­ven Ge­hirn lau­fend aus­ge­strahlt wer­den. Nur wuß­ten wir neu­er­dings, daß die­se ge­heim­nis­vol­len Im­pul­se rä­um­lich über­ge­ord­net wa­ren. Sie ge­hör­ten nicht mehr in den vier­di­men­sio­na­len Raum-Zeit-Be­griff un­se­rer ei­ge­nen Welt­ord­nung, son­dern in ei­ne Ele­men­ta­re­be­ne, von der wir na­he­zu nichts wuß­ten. Man­zo war fä­hig, sei­ne Ge­dan­ken­sen­dun­gen über un­ge­heu­er wei­te Ent­fer­nun­gen ab­zu­strah­len und gleich­ar­ti­ge Im­pul­se klar zu emp­fan­gen. Als Nach­rich­ten­mann war er un­er­setz­lich, zu­mal wir jetzt noch das Funk­ver­bot er­hal­ten hat­ten. Ei­ne ver­teu­fel­te Si­tua­ti­on.

»Las­sen wir das al­les«, wehr­te ich ab. »Wir müs­sen erst ein­mal fest­stel­len, ob die lang­wie­ri­gen Vor­be­rei­tun­gen über­haupt einen Sinn er­ge­ben. Wenn wir auf die­se Art zum Mars kom­men, ist die Sa­che so gut wie er­le­digt. Dann hört die Brut­sta­ti­on der De­ne­ber auf zu exis­tie­ren. Da­zu noch Be­mer­kun­gen?«

Sie sa­hen mich stumm an. Ganz au­to­ma­tisch nah­men wir un­ser Es­sen ein.

Nein – we­der Han­ni­bal noch Man­zo sag­ten et­was, ob­wohl sie wuß­ten, daß wir Selbst­mord­be­feh­le er­hal­ten hat­ten.

»Wei­ter, Man­zo. Was er­gab die Ober­prü­fung der Soll­stär­ke?«

»Die Rus­sen ha­ben er­mit­telt, daß auf­fal­lend vie­le To­des­fäl­le ge­mel­det wer­den. Des­glei­chen Flucht­ver­su­che, Not­wehr­tö­tun­gen und der­glei­chen mehr. Ge­nau ge­nom­men müß­ten mehr als drei­tau­send wil­de Mu­tan­ten in den Mons­ter­höh­len le­ben. Wir ha­ben aber nur knapp zwei­tau­send. Sagt dir das et­was?«

Ich nick­te be­däch­tig.

Es wä­re auch ver­wun­der­lich ge­we­sen, wenn sich un­ser po­sitro­ni­sches Rie­sen­ge­hirn ein­mal in den Be­rech­nun­gen ge­irrt hät­te. Wenn der Ro­bot be­haup­tet, die Mons­t­er­sta­tio­nen auf dem Mond wä­ren nur des­halb ein­ge­rich­tet wor­den, um le­ben­de Mu­tan­ten un­auf­fäl­lig zur Mar­s­sta­ti­on der De­ne­ber zu brin­gen, so stimm­te das. Dar­auf konn­ten wir uns fel­sen­fest ver­las­sen.

»Sind Or­tun­gen er­folgt? Frem­de und un­an­ge­mel­de­te Raum­schif­fe be­merkt?«

»TS-19 gab nichts durch. Es muß aber trotz­dem ein Trans­port­mit­tel ge­ben.«

»Wie ist das mit dem Ober­leut­nant? Pon­ti sag­te, wir soll­ten heu­te vor­ge­führt wer­den.«

»Er kam heu­te zu­rück. Mit ei­nem Mond­pan­zer, mit dem er an­geb­lich das Ge­biet vor den Nig­lin-Ber­gen in­spi­zier­te. Er war bald sechs Ta­ge un­ter­wegs. Wenn er ei­ne Nach­ah­mung ist, könn­te er in der Zeit recht gut auf dem Mars ge­we­sen sein. Die­se Frem­den be­herr­schen die Raum­fahrt schon seit Jahr­tau­sen­den. Das Ge­hirn hat er­rech­net, daß es mög­lich sein müß­te, den Pla­ne­ten in­ner­halb we­ni­ger Stun­den zu er­rei­chen. Vor­aus­set­zung ist ein licht­schnel­les Raum­schiff mit ge­wal­ti­gen Be­schleu­ni­gungs­wer­ten. Das könn­te an Hand der ge­fun­de­nen Un­ter­la­gen über die Tech­nik der De­ne­ber durch­aus mög­lich sein.«

Über der brei­ten Tür schrill­te die Glo­cke. Un­se­re Mit­tags­zeit war vor­bei. Die Wil­den muß­ten nun in die Hal­len ge­las­sen wer­den.

»War­te ab, ob wir wirk­lich ge­ru­fen wer­den«, sag­te ich noch rasch. »Wenn ja, müs­sen wir uns zum Aben­des­sen un­be­dingt tref­fen. Gib ei­ne Nach­richt an TS-19 durch. Sinn­ge­mä­ßer Wort­laut:

Dar­auf vor­be­rei­ten, mit Ki­ny in der kom­men­den Nacht­pe­ri­ode in der Aus­rüs­tungs­höh­le zu er­schei­nen. Alarm­be­reit­schaft I. Ich wer­de fest­stel­len, ob Kom­man­deur ei­ne Nach­ah­mung ist. Wenn ja, er­folgt noch­mals Nach­richt durch Man­zo.«

Un­ser Freund und Part­ner mit den über­sinn­li­chen Pa­ra­g­a­ben nick­te. Dann wur­den sei­ne großen Au­gen glä­sern. Er sah durch uns hin­durch, als wä­ren wir aus Luft. Da­bei sen­de­te sein phä­no­me­na­les Ge­hirn, des­sen Sin­ne wir wohl nie­mals ganz er­grün­den konn­ten.

Es dau­er­te nur ei­ni­ge Mi­nu­ten, bis er uns die Ant­wort mit­tei­len konn­te. Ki­ny hat­te im Auf­trag von TS-19 prompt ge­ar­bei­tet.

Die an­de­ren Po­si­ti­ven ver­lie­ßen be­reits lär­mend den Raum, als Man­zo er­wa­chend sag­te:

»Er wird auf al­le Fäl­le in der Höh­le sein. Der Durch­bruch un­se­rer Pio­nier­trupps ist nicht be­merkt wor­den. Die Zer­mür­bungs-Spren­gun­gen ver­ur­sach­ten kei­ne Er­schüt­te­run­gen. Die klei­ne Luft­schleu­se ist fer­tig ge­wor­den, so daß wir end­lich den Durch­bruch be­nut­zen kön­nen. Ich muß euch aber füh­ren. Es geht tief hin­un­ter in den Bo­den. In der Nä­he der Pump­sta­ti­on ist der Stol­len von un­se­ren Leu­ten an­ge­bohrt wor­den.«

»Gut ge­tarnt?«

»Sehr gut so­gar. Ei­ne Fels­plat­te ver­schließt den Tun­nel. TS-19 war­tet. Wir sol­len un­ter al­len Um­stän­den die Aus­rüs­tung in Emp­fang neh­men. Es war ge­ra­de vom HQ durch­ge­kom­men.«

Wir gin­gen eben­falls. Man­zo stapf­te auf sei­nen mäch­ti­gen Säu­len­bei­nen nach drau­ßen, wo er uns noch ei­ni­ge dröh­nen­de Wor­te zu­rief.

Ich wuß­te in­stink­tiv, daß es bald so­weit sein muß­te. Dar­in hat­te wir uns sel­ten ge­täuscht. Es wur­de auch höchs­te Zeit, daß un­ser Da­sein als po­si­ti­ve Mu­tan­ten ein En­de fand. Lan­ge hielt ich es in den Mons­ter­la­gern be­stimmt nicht mehr aus.

Wir schrit­ten zu un­se­rer Sta­ti­on zu­rück. Der Gang lag auf der glei­chen Ebe­ne wie die ein­zel­nen Wach­zim­mer. Die Hal­len der Wil­den wa­ren um et­wa drei­ßig Me­ter tiefer an­ge­legt wor­den. Dar­un­ter gab es noch große Hohl­räu­me. Dort war die Kraft­sta­ti­on un­ter­ge­bracht und das Ro­bot­werk zur Sau­er­stof­fer­zeu­gung aus dem na­tür­li­chen Mond­was­ser.

Auch die Tur­bi­nen der Kli­ma­an­la­ge summ­ten weit un­ter uns. Es konn­te sein, daß wir mensch­li­chen Wa­chen be­geg­ne­ten, aber das muß­te mit Man­zos Hil­fe zu be­rei­ni­gen sein. Mit sei­nen Sin­nen ge­wahr­te er je­des den­ken­de Ge­hirn auf vie­le hun­dert Me­ter. Da­zwi­schen­lie­gen­de Stein­wän­de spiel­ten da­bei kei­ne Rol­le.

Ich hat­te al­so das Ge­fühl, als wür­den wir un­se­re Aus­rüs­tung sehr bald be­nö­ti­gen. Man­zo war schon län­ge­re Zeit hier, und es war noch nichts ge­sche­hen. Wir hiel­ten uns nun ei­ne Wo­che auf dem Mond auf, und wie­der hat­te es kei­nen der an­ge­nom­me­nen Trans­por­te ge­ge­ben.

Wenn die La­ger über­haupt einen Sinn ha­ben soll­ten, muß­ten die we­ni­gen er­wach­se­nen De­ne­ber bald et­was un­ter­neh­men.

Wir lie­ßen die Ne­ga­tiv-Meu­te aus den Zel­len. Über­all ruck­ten die Git­ter nach oben. To­bend ström­ten die Mons­tren in die wei­te Hal­le. Wir hat­ten nun scharf auf­zu­pas­sen, daß sie kei­nen blu­ti­gen Un­fug trie­ben.

Am spä­ten Nach­mit­tag Sta­ti­ons­zeit er­hiel­ten wir den Be­fehl, so­fort nach drau­ßen zu kom­men. Oberst­leut­nant Ka­mow woll­te die neu­en Wäch­ter per­sön­lich ken­nen­ler­nen.

Ich nick­te lä­chelnd zur Bild­flä­che. Der Of­fi­zier schal­te­te ab.

Jetzt war es al­so so­weit. Ob der vo­gel­köp­fi­ge Pon­ti wohl eben­falls ge­ru­fen wur­de? Si­cher­lich. Man woll­te ja al­le Neu­an­kömm­lin­ge se­hen.