7.
Ich überprüfte soeben die längliche Strombank meiner elektrischen Schockwaffe, als der Bildschirm aufflammte. Gleichzeitig ertönte ein helles Klingelzeichen.
Draußen auf dem weiten, hellerleuchteten Gang stand ein bulliger Elektrokarren mit Ladefläche. Auf dem offenen Fahrersitz erkannte ich Ponti, den positiven Mutanten mit dem vogelähnlichen Kopf.
Seine winzigen Knopfaugen glitzerten auf dem Schirm des Fernbildgerätes. Dann hörte ich seine schrille Stimme.
»Hallo, Essen, ich bringe das Futter, öffne!«
Hannibal richtete sich im Hintergrund des kleinen Wachraumes vom Schaumstofflager auf. Er hatte einige Stunden geruht, da wir eine anstrengende Nachtperiode hinter uns hatten. Wir hatten unsere einzelnen Schichten als unverbesserliche Erdenmenschen in 24-Stunden-Perioden eingeteilt, obwohl sich Tages- und Nachtgleiche des Mondes durchaus nicht um unsere uralten Gewohnheiten kümmerten.
Vor zwei Tagen irdischer Zeitrechnung war draußen die glühende Sonne untergegangen. Nun hatten wir schon Temperaturen, die weit unter minus hundert Grad Celsius lagen. Der tagsüber stark erwärmte Boden strahlte seine Hitze sehr schnell ab.
Genau seit sieben Tagen waren wir nun in den unterlunaren Monsterhöhlen. Unweit der gepanzerten Wachstube, vielleicht dreißig Meter entfernt, heulten wieder die unbelehrbaren Negativen. Sie hatten Hunger. Es war kurz nach elf Uhr vormittags. Die Burschen wußten sehr genau, wann sie ihre Verpflegung bekamen.
»In Ordnung, Ponti, ich öffne. Fahre gleich zum Laufband. Wir laden zusammen ab.«
»Gut. Hast du die Wilden auch sicher eingesperrt? Ich habe gehört, bei euch hätte es während der letzten Schlafperiode einen bösen Krach gegeben. Du hast geschossen, wie?«
Ich nickte unwillkürlich, obwohl er mich nicht sehen konnte. Nur ich konnte ihn auf dem Bildschirm beobachten.
»Ja, drei gingen in der Freizeithalle aufeinander los und zerrissen sich. Wir konnten es nicht verhindern. Da die anderen blutgierig wurden, mußten wir dazwischenhalten. Nun komm schon.«
Ich legte den Schalter der Starkstromsperre um und ließ die schwere Gittertür aufgleiten. Nachdem der Wagen durchgefahren war, verschloß ich wieder das Deckengitter. Ponti war nun im fünften Block, Station zwölf.
Hannibal blickte mit gerunzelter Stirn auf den automatischen Wandkalender. Er lief nach Erdzeit.
»Heute sind es sieben Tage«, sagte er. »Genau sieben Tage, und wir sind immer noch am Anfang. Ich dachte, der Kommandeur ließe sich jeden neuen Wächter vorführen?«
Ich zuckte mit den Schultern und sah mich wieder mißtrauisch um. Bisher hatten wir von Abhörmikrophonen nichts entdecken können, doch war es gut möglich, daß die zahlreichen Schaltgeräte der Wachstation unwillkommene Zusätze enthielten.
Wir konnten auch damit rechnen, gegen unirdische Mittel bestehen zu müssen. Was wußten wir, wie die hochqualifizierte Technik eines fernen Sternenvolkes Mikrophone herstellte! Das konnten Kristalle sein, die irgendwo staubfein herumlagen und jedes Wort aufnahmen. Sie konnten uns sogar bei der langen Untersuchung am Ankunftstag direkt die Abhorchgeräte in den Körper gepflanzt haben. Diesen Teufeln traute ich alles zu.
Hannibal reagierte auf meinen warnenden Blick. Seine Lippen verschlossen sich.
Draußen auf dem langen Rundgang wartete Ponti bereits. Er war zusammen mit uns angekommen. Während wir schon einen Tag später zu Wächtern der zwölften Station ernannt wurden, hatte er die Verpflegung im fünften Block zu verteilen. Bisher hatte ich nur einmal eine menschliche Wache in den Monsterhöhlen gesehen.
Fernbildlich erschienen die Offiziere und wenige Soldaten alle Augenblicke. Anscheinend legten sie aber keinen Wert darauf, das riesenhafte Labyrinth öfter als unbedingt erforderlich zu betreten.
Das Panzerschott rasselte zurück. Ein Spalt wurde frei.
Trotz der guten Klimaanlage in den Monsterhöhlen schlug uns der faulige Brodem aus der Tiefe entgegen.
Die Wachstation lag dreißig Meter über dem Boden der großen Freizeithalle, wie wir sie nannten. Sämtliche Hallen waren so eingerichtet; und das hatte seinen Grund. Es sollte einmal vorgekommen sein, daß ein sprunggewaltiges Monstrum bis zu dem Laufgang vorgedrungen war. Ich konnte mir das kaum vorstellen, aber bei den geringen Schwereverhältnissen des Mondes mochte es schon möglich sein.
»Na endlich«, atmete der Mutant mit dem Vogelkopf auf. »Braucht ihr immer so lange? Halten sich alle in den Käfigen auf?«
Er schwang sich von seinem Sitz herunter und trat an die metallische Brüstung.
Tief unter uns lag der Boden des Hallendoms. Der Laufgang zog sich in unserer beachtlichen Höhe rundum, so daß wir bei den Inspektionsgängen jeden Fleck einsehen konnten.
Ringsum an den Wänden waren Gitterkäfige eingebaut. Die ganze Anlage war sehr sorgfältig und mit einem enormen Kostenaufwand angelegt worden.
Nur wenige negative Mutanten konnte man gemeinsam einsperren. Es waren die, die noch als einigermaßen verträglich galten.
Die meisten Monstren mußten in Einzelzellen untergebracht werden, da sie immer wieder dazu neigten, den anderen an die Kehle zu gehen. Wir hatten genau achtundsechzig solche negativen Erbgeschädigten zu bewachen und sie mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Unsere Schützlinge waren schon lange hier. Sie wußten genau, daß sie sich beim Essenempfang in ihre Zellen zu begeben hatten. Ansonsten konnten sie sich in der großen Halle frei bewegen. Sie hatten genügend Platz, und für Unterhaltung war gesorgt. Sie konnten springen und klettern. Die künstlichen Sonnen spendeten das gewohnte Licht, und auf dem importierten Humusboden wucherten sogar Pflanzen.
Kurz vor Pontis Eintreffen hatte ich das Signal gegeben. Infolgedessen hockten sie alle in ihren Zellen, deren Gittertüren sich zehn Minuten nach dem Signal automatisch geschlossen hatten. Nur die Futterklappen standen offen.
»Wie die Tiere.« Hannibal schüttelte den Kopf. »Eine Ideallösung ist diese Unterbringung gerade nicht.«
»Aber sicher!« lachte Ponti so schrill, daß ich mir die Ohren zuhielt.
Ich sah ihn forschend an. Mit ihm hatte ich einen besonderen Plan.
Unten brüllte das schuppengepanzerte Monstrum, ein negativer Mutant, der nicht einmal sprechen konnte. Er war der Wildeste unter allen. Jeder duckte sich vor ihm.
Seine beiden Arme gabelten sich in je zwei handähnliche Werkzeuge. Wahrscheinlich gehörte er schon zu der zweiten Generation, stammte also bereits aus einer Verbindung zwischen Mutanten. Das war auf der Erde tatsächlich die große Gefahr. Die Lebensformen wurden damit immer schlimmer.
Er schlug die stahlharten Krallen gegen seine Gittertür und brüllte erneut. Er war nur noch Bestie, fast ausschließlich von Instinkten beherrscht. Außerdem besaß er aber eine Intelligenz, die die eines jeden wirklichen Tieres weit übertraf.
Ich nahm das Megaphon vor die Lippen und schaltete die eingebaute Verstärkeranlage ein.
»Ruhe da unten, Saurier. Ich muß dir wohl den Schock zeigen, wie?«
Als ich die Mündung der schweren Waffe über die Brüstung legte, zog er den mächtigen Kugelkopf in die Schultern ein. Nur ein wildes Knurren klang nach.
»Widerliche Beschäftigung«, murrte der Kleine.
Ponti lachte, als er den Futterwagen zum Aufzug fuhr. Der dicke Brei aus Synthofleisch wogte in dem Ladekasten umher. Dieser Anblick verstärkte noch meine Übelkeit. Allein die rosa-blaue Färbung reichte schon aus, um meine Magennerven rebellieren zu lassen. Das Füttern war immer am schlimmsten.
Wir fuhren mit dem großen Lift nach unten. Ehe ich die Gittertür öffnete, sah ich mich nochmals in der Halle um. Von hier aus war sie durch die großen Steinblöcke und Pflanzen nicht mehr so übersichtlich. Die Kontrollen in der Wachstube hatten jedoch angezeigt, daß sie sich alle in ihre Zellen begeben hatten.
»In Ordnung. Kommt schon, damit wir es bald hinter uns haben.«
»Ja, etwas schneller«, drängte der Vogelköpfige. »Ich habe noch zwei Stationen zu beliefern. Heute schmeckt das Fleisch nach Rind, ha!«
Er lachte in seiner schrillen Art.
Dann begannen wir, vor den einzelnen Wandkäfigen die herausgereichten Tröge zu füllen. Hannibal war heute als Wachposten eingeteilt. Während ich mit der Kelle die mehr oder weniger großen Näpfe füllte, lauerte er mit schußbereiter Schockwaffe.
Ich sah einigermaßen normale Hände, dann wieder fingerlose Tatzen mit beweglichen Ballen und – im schlimmsten Falle – mörderische Krallen, die kaum die Näpfe halten konnten.
Jeder bekam soviel, wie er verlangte. Das war auch erforderlich, da es erhebliche Größenunterschiede gab. Eine einheitliche Kalorienberechnung konnte hier nicht zugrunde gelegt werden.
Sie stürzten sich gierig über die hochwertige Nahrung. Jeder erhielt heute noch einen Beutel Hartgebäck. Einige wußten nichts damit anzufangen und bewarfen die Monstren in den Nachbarkäfigen damit.
Als es einer zu wild trieb, setzte Hannibal die Schockwaffe ein. Aufschreiend brach das völlig behaarte Lebewesen zusammen, ehe die Betäubung einsetzte. In den anderen Käfigen wurde es totenstill. Der Schock sollte sehr schmerzhaft sein, hatte man uns gesagt.
»Immer schön mit der Ruhe«, sagte ich. Meine Gesichtszüge waren verzerrt. Ich fühlte, daß meine Nerven diese Situation nicht mehr lange aushielten. Das konnte nur ein wirklicher Mutant ertragen, der seit Beginn seines Lebens mit diesen Ungeheuern in engster Berührung gestanden hatte. Während unseres fünftägigen Aufenthaltes im Urwald hatten wir nur einen winzigen Vorgeschmack bekommen.
Ponti teilte die restlichen Beutel mit dem Gebäck aus. Es handelte sich um ein Maiskonzentrat und war recht wohlschmeckend.
»Saurier«, wie unser schlimmster Zögling genannt wurde, stieß knurrende Laute aus dem geifernden Rachen hervor. Er wies keine Menschenähnlichkeit mehr auf, obwohl er zwei Beine hatte und aufgerichtet ging. Man hätte ihn für ein nichtirdisches Echsenwesen von gewaltigen Formen halten können.
Ihm reichten wir die Näpfe mit einer Stange. Er war jedoch einigermaßen vernünftig und verzichtete darauf, mir das Werkzeug aus den Händen zu reißen. Am ersten Tag unseres Wärterdienstes hatte er es mit der Absicht versucht, mir anschließend den Schädel einzuschlagen. Hannibal hatte zwei Stromschüsse abgeben müssen, um ihn zu betäuben.
Die Fütterung dauerte fast eine Stunde. Dann hatten wir die Prozedur überstanden. Hier und da mußten wir noch einmal die Näpfe nachfüllen. Anschließend brach die Zeit der Mittagsruhe an.
Das war auf jeder Blockstation verschieden, da auch die Essenausgabe nicht genau zum gleichen Zeitpunkt erfolgte.
Ponti beschwerte sich, er hätte zu viele Stationen zu beliefern. Er wollte noch eine Hilfskraft anfordern.
Als wir mit dem Aufzug wieder oben ankamen, sagte er wie nebensächlich:
»Oh, da fällt mir etwas ein. Habt ihr schon gehört, daß wir heute noch zum Kommandanten kommen sollen? Manzo hat es gesagt. Ich war vorhin bei ihm. Er weiß es von einem Offizier.«
Mir fuhr es wie ein elektrischer Schlag in die Glieder. Manzo war unser mutierter GWA-Kollege. Er hatte die zehnte Station, die ebenfalls im fünften Block lag. Es war nicht schwierig, an ihn heranzukommen. Dazu brauchte ich nur anzurufen oder den Hauptgang zu benutzen. Die einzelnen Hallen zweigten rechts und links davon ab.
Wir waren ihm schon wenige Stunden nach unserem Dienstantritt begegnet. Von da an sahen wir uns praktisch täglich im Speiseraum der Wärter.
»Wer soll zum Kommandanten? Alle?«
»Nein, nur wir Neuen. Manzo sagte, der Kommandeur wäre wahrscheinlich nicht hier gewesen.«
Er winkte mir zu und wollte weiterfahren. Ich hielt ihn mit einem kurzen Ruf zurück.
Seine Knopfaugen weiteten sich etwas, als ich dicht vor ihn trat.
»Was ist denn?« fragte er ängstlich. »Du siehst mich so komisch an.«
»Ponti, willst du mir einen Gefallen tun? Es ist nicht schwer. Ich gebe dir dafür von meinen Rationen ab.«
»Äh, warum nicht. Was ist es denn?«
»Wenn wir zu dem Oberstleutnant gebracht werden, möchte ich gerne, daß du einmal so hell und so hoch lachst, wie es dir möglich ist. Du rufst doch alles im Ultraschallbereich, oder?«
»Sicher, ich höre auch Ultraschall. Das war in den Wäldern mein Glück. Mehr willst du nicht? Nur lachen?«
»Nur das. Tue es, wenn ich ebenfalls lache. Wir werden gemeinsam zu ihm kommen, denke ich. Du mußt aber unbedingt den Mund halten und nicht verraten, daß ich dich darum gebeten habe. Denke an die Rationen. Du kriegst die ganze Schokolade.«
Er pfiff vergnügt und so schrill, daß ich die Schwingungen nicht mehr aufnehmen konnte. Dann fuhr er los. Hannibal öffnete das Sperrgitter zum allgemeinen Verbindungsgang.
Ich sah dem Mutanten lange nach.
Also der Kommandeur wollte uns heute noch sehen! Das war interessant. Noch verblüffender aber war Manzos Nachricht, wonach der Oberstleutnant einige Tage nicht im Monsterlager gewesen war. Wo hatte er sich aufgehalten? In der russischen Großstation auf dem Südpol? Das mußte festgestellt werden.
Hannibal schien die gleichen Gedanken zu haben. Sein haariges Gesicht war wieder gespannt. Seine großen Augen glänzten.
»In einer knappen Stunde gehen wir in den Speiseraum.«
Ich nickte ihm kurz zu. Wir waren uns einig. Wieder sah ich mich vergeblich nach Abhörvorrichtungen um. Es waren tatsächlich keine zu entdecken. Das war der einzige Punkt, der uns beunruhigte. Wir mußten uns jedoch mit der Ungewißheit abfinden.
Manzos schaufelartige Pranken wurden mit dem Löffel nicht fertig. Er verbog das Metall zur Spirale, die er dann mit zwei Fingern wieder sorgfältig glättete.
Er saß vor mir wie ein Koloß. Seine sehr breiten Schultern wirkten noch massiger, da sein mächtiger Kopf ohne halsartigen Obergang auf dem Körper saß. Seine Haut schimmerte noch immer grünlich, als wäre sie mit Smaragdstaub übersät. Wir wußten, daß dieses seltsame Gewebe sogar harte Gammastrahlen reflektierte.
Er grinste mich mit seinem breiten Rachen an. Anstatt der Zähne verfügte er nur über scharfe Knochenreihen. Die faustgroßen Augen verrieten Intelligenz. Er gehörte zu den seltsamen Ausnahmen positiver Mutanten, die trotz hoher Geistesfähigkeiten einen Monsterkörper besaßen.
Sogar der Zweiköpfige – er saß allein am übernächsten Tisch – wirkte menschlicher als unser mutierter Kollege aus dem Amazonas-Gebiet. Dort hatte sich vor mehr als zwanzig Jahren auch eine Atomkatastrophe ereignet, nur war sie längst nicht so heftig abgelaufen wie in Sibirien.
Manzos tonnenartige Brust berührte die Tischkante. Wenn er nicht aufpaßte, geriet der ganze Tisch in Bewegung.
Hannibal saß ihm schräg gegenüber. Er wirkte gegen den 2,50 Meter hohen Giganten wie ein Gnom. Unsere gute Bekanntschaft resultierte angeblich aus den Wäldern. Manzo war vorher entsprechend informiert worden.
Als wir zum erstenmal den Speiseraum der Wärter betreten hatten, war er sofort in ein Freudengebrüll ausgebrochen. Von da an saßen wir bei den Mahlzeiten zusammen. Die logische Erklärung war geschaffen.
Er war bereits sechs Wochen vor uns angekommen und hatte schon wesentliche Dinge ausgekundschaftet. Nur konnte er uns nicht sagen, was hier eigentlich gespielt wurde.
Ich führte den Löffel mit der dicken Graupensuppe zum Mund. Dabei murmelte ich:
»Neue Nachrichten, Kleiner?«
»Ja«, kam es so verhalten aus dem mächtigen Mund, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Früher hatte er immer gebrüllt, daß Wände und Fensterscheiben wackelten. Man schien ihn im HQ hervorragend geschult zu haben.
»Funknachrichten auch über Sup-Ultra-Welle unbedingt unterlassen. Ab sofort Funkverbot, es sei denn bei dringenden Notfällen.«
»Warum?«
»Neue Entdeckungen in den unterlunaren Marsstädten. Den Marsianern war die überkurze Funkwelle bekannt. Sie arbeiteten damit. Es ist anzunehmen, daß auch die Deneber informiert sind. Wenn es hier eine solche Station geben sollte, sind wir verraten. Nur über mich Nachrichten abstrahlen. Die Anweisung kommt vom Chef.«
Hannibal fluchte fast lautlos. Drüben begannen sich schon wieder die Köpfe Ralph und Torby zu streiten. Es ging darum, wer zuerst die beiden Arme benutzen durfte. Sie hatten beide Hunger, und mit einer Hand schien es schlecht zu gehen. Ihre Suppe hatten sie schon gegessen.
»Ruhe da hinten«, schrie der Vogelköpfige herüber. »Diesmal kommt zuerst Torby an die Reihe. Vertragt euch!«
Manzo lachte dröhnend, tief aus der Tonnenbrust heraus. Der rechte Kopf schimpfte in allen Tonarten, gab jedoch die Blockierung des Körpers auf. Torby begann vergnügt zu essen.
Die Geräusche waren so lautstark, daß wir gut miteinander sprechen konnten.
»Sonst noch etwas?« flüsterte ich.
»Kiny hat es vor einer halben Stunde durchgegeben. Deine Anfragen haben endlich die Lösung erbracht. Das Abschußverbot für die 8. Armee ist vom Ministerpräsidenten persönlich erlassen worden. Der Geheimdienst hat ihn daraufhin getestet. Er verträgt keinen Ultraschall. Der höchste Mann im Staat ist eine Nachahmung.«
Mir fiel fast der Löffel aus der Hand. So war das also! Hannibal blickte mich entsetzt an. Sicherlich dachte er an die fürchterlichen Folgen eines solchen Schachzuges.
»Und jetzt? Was haben die Russen veranlaßt?« fragte ich bebend. »Das ›Ding‹ kann unter Umständen einen Weltkrieg provozieren. Wo ist der echte Ministerpräsident?«
»Spurlos verschwunden, wie alle anderen auch. Niemand kann sich erklären, wie die Deneber das angestellt haben. Die Garde ist getestet worden. Unter den Soldaten befindet sich keine Nachahmung. Gregor Gorsskij hat zu einem Notmittel gegriffen. Die Nachahmung des Staatschefs ist mit mutierten Viren infiziert worden. Da der Trägerkörper echt ist und Organe hat, liegt das Monstrum nun schwer erkrankt in der Klinik. Ärzte des Geheimdienstes haben die Betreuung übernommen. Das Ding kann nicht eher unschädlich gemacht werden, bis wir die Marsstation der Deneber ausfindig gemacht haben. Ist das geschehen, laufen auf der Erde die Schallprüfungen an.«
Ich beruhigte mich bei dem Gedanken an die geschickte Maßnahme der russischen Abwehr. Die Erkrankung wirkte unverfänglich.
»Die Schockwaffen sind von einem Doktor Borsilow entwickelt worden. Seit drei Monaten im Einsatz. Borsilow ist wissenschaftlicher Chef der staatlichen Werke für Allgemeine Elektronik. Er wurde unauffällig überprüft. Er kann auch keine hohen Schwingungen vertragen und steht jetzt schon auf der Liste. Das ›Gedächtnis‹ hat ermittelt, daß die Schockwaffen nur deshalb von dem verkappten Deneber entwickelt wurden, weil sie zum Mutanteneinfang benötigt werden. Daraus hat der Robot wiederum errechnet, daß es hier bei uns sehr bald losgehen muß. Erhöhte Alarmbereitschaft. Es wird mit hundertprozentiger Gewißheit angenommen, daß regelmäßig Mutantentransporter zum Mars abgehen. Ich habe den Befehl erhalten, den Höcker zu füllen.«
Ich blickte unwillkürlich auf seinen ungeheuerlich breiten Rücken, auf dem sich ein mächtiger Höcker erhob. Das Gebilde war ein Hohlbehälter, sonst nichts. Manzo hatte eine gutgewachsene Wirbelsäule.
Der Höcker war eine organische Züchtung und mit seinem Körper verwachsen worden. Er besaß Muskelstränge, einen Kreislauf und eine gleichartige Oberflächenschicht wie der normale Körper. Wir wußten, wie wir ihn zu öffnen hatten. Zur Zeit war er noch leer.
»Die Spezialbombe ist gestern angekommen. Kiny hat im Auftrag von TS-19 Bescheid gegeben. Wir müssen dafür sorgen, daß wir beim nächsten Transport dabei sind. Egal wie – wir müssen dabei sein.«
»Dann ist Feierabend«, sagte Hannibal.
»Zwei neue Fernraumschiffe sind auf die Kreisbahn gebracht worden. Sie starten, sobald wir von hier verschwinden. Unter Umständen können wir uns auf dem Mars so lange halten, bis wir abgeholt werden. Es sind neuartige Plasmakreuzer, schwer bewaffnet. Sie können bei größter Energieverschwendung in zwölf Tagen den Mars erreichen. Spezialtruppen sind an Bord.«
Ich wollte nicht an unsere letzte Aufgabe denken, denn das mußte einfach die letzte sein!
Wenn wir durch einen Mutantentransport zum geheimnisvollen Marsstützpunkt der Deneber kamen, mußten wir schlagartig handeln. Keine Sekunde durften wir zögern, das stand fest. Damit war die Aufgabe endlich gelöst, auch das war sicher.
Was aber würde mit uns geschehen? Wenn wir den Fremden eine atomare Bombe in den Bau legten, dann war die Entscheidung gefallen.
Ich zwang mich zur Ruhe.
»Welche Ladung hast du erhalten?«
Seine mächtigen Lippen zitterten. Ehe er antwortete, sah er sich sichernd um. Niemand achtete auf uns.
»Ein Höllending, Major! So etwas hat es im Kleinformat noch nie gegeben. Eine Spontanbombe auf der Kohlenstoffbasis, also eine katalytisch wirksame Kernverschmelzung. Energieentwicklung trotz des Kleinformates dreihundert Millionen Tonnen TNT. Die Kerne werden zu fünfundneunzig Prozent in den Prozeß gezwungen. Daher die hohe Leistung trotz der geringen Abmessungen. Damit kann man einen kleinen Kontinent auslöschen. Mit der Strahlung allemal. Die Strahlschutzhülle ist so gearbeitet, daß die Bombe genau in meinen Höcker paßt. Die sonstigen Ausrüstungen sind auch vorhanden. Für euch Einsatzpistolen, Körpersender, Raumanzüge und zerlegte Masken mit Verdichtungsanlage. Wenn wir auf dem Mars den Druckunterschied ohne Raumanzug gut überstehen, wird die Energie der Stromspeicher für achtzehn Tage ausreichen. Die Maskenverdichter saugen den auf dem Mars vorhandenen Sauerstoff an, verdichten ihn auf unsere Lungennorm und geben das Gas in komprimierter Form für unsere Atmung frei. So könnten wir aushalten. Wir müssen nur zusehen, daß wir vor der Explosion aus dem Deneber-Bau herauskommen. Das ist alles!«
Das ist alles! Ich sah ihn spöttisch an und dachte mir meinen Teil. Selbst wenn die Sauerstoffversorgung damit gesichert war, mußten wir da oben erfrieren. Ohne heizbare Unterkünfte half das alles nichts.
»Medikamente zur Erwärmung sind auch da«, meinte Manzo.
Es war als hätte er meine Gedanken gelesen. Unser monströser Freund war ein natürlicher Telepath, für den es nach der gründlichen Schulung durch unsere Parapsychologen nicht mehr schwierig war, in den Bewußtseinsinhalt eines jeden Menschen einzudringen und den Sinn der geplanten Worte zu erfassen.
Schon bei den letzten Einsätzen hatten wir ihn als lebenden Sender eingesetzt.
Die kleine Kiny Edwards, ein Mädchen mit ebenfalls natürlichen Telepathie-Fähigkeiten war seine Gegenstation. Zur Zeit hielt sich die Kleine bei TS-19 im Verbindungslager auf. So entstand die großartige Nachrichtenübermittlung, die von keinem mechanischen Gerät festgestellt werden konnte.
Telepathie war nach den neuesten Erkenntnissen ebenfalls auf Schwingungen aufgebaut, und zwar auf solchen, wie sie von jedem aktiven Gehirn laufend ausgestrahlt werden. Nur wußten wir neuerdings, daß diese geheimnisvollen Impulse räumlich übergeordnet waren. Sie gehörten nicht mehr in den vierdimensionalen Raum-Zeit-Begriff unserer eigenen Weltordnung, sondern in eine Elementarebene, von der wir nahezu nichts wußten. Manzo war fähig, seine Gedankensendungen über ungeheuer weite Entfernungen abzustrahlen und gleichartige Impulse klar zu empfangen. Als Nachrichtenmann war er unersetzlich, zumal wir jetzt noch das Funkverbot erhalten hatten. Eine verteufelte Situation.
»Lassen wir das alles«, wehrte ich ab. »Wir müssen erst einmal feststellen, ob die langwierigen Vorbereitungen überhaupt einen Sinn ergeben. Wenn wir auf diese Art zum Mars kommen, ist die Sache so gut wie erledigt. Dann hört die Brutstation der Deneber auf zu existieren. Dazu noch Bemerkungen?«
Sie sahen mich stumm an. Ganz automatisch nahmen wir unser Essen ein.
Nein – weder Hannibal noch Manzo sagten etwas, obwohl sie wußten, daß wir Selbstmordbefehle erhalten hatten.
»Weiter, Manzo. Was ergab die Oberprüfung der Sollstärke?«
»Die Russen haben ermittelt, daß auffallend viele Todesfälle gemeldet werden. Desgleichen Fluchtversuche, Notwehrtötungen und dergleichen mehr. Genau genommen müßten mehr als dreitausend wilde Mutanten in den Monsterhöhlen leben. Wir haben aber nur knapp zweitausend. Sagt dir das etwas?«
Ich nickte bedächtig.
Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn sich unser positronisches Riesengehirn einmal in den Berechnungen geirrt hätte. Wenn der Robot behauptet, die Monsterstationen auf dem Mond wären nur deshalb eingerichtet worden, um lebende Mutanten unauffällig zur Marsstation der Deneber zu bringen, so stimmte das. Darauf konnten wir uns felsenfest verlassen.
»Sind Ortungen erfolgt? Fremde und unangemeldete Raumschiffe bemerkt?«
»TS-19 gab nichts durch. Es muß aber trotzdem ein Transportmittel geben.«
»Wie ist das mit dem Oberleutnant? Ponti sagte, wir sollten heute vorgeführt werden.«
»Er kam heute zurück. Mit einem Mondpanzer, mit dem er angeblich das Gebiet vor den Niglin-Bergen inspizierte. Er war bald sechs Tage unterwegs. Wenn er eine Nachahmung ist, könnte er in der Zeit recht gut auf dem Mars gewesen sein. Diese Fremden beherrschen die Raumfahrt schon seit Jahrtausenden. Das Gehirn hat errechnet, daß es möglich sein müßte, den Planeten innerhalb weniger Stunden zu erreichen. Voraussetzung ist ein lichtschnelles Raumschiff mit gewaltigen Beschleunigungswerten. Das könnte an Hand der gefundenen Unterlagen über die Technik der Deneber durchaus möglich sein.«
Über der breiten Tür schrillte die Glocke. Unsere Mittagszeit war vorbei. Die Wilden mußten nun in die Hallen gelassen werden.
»Warte ab, ob wir wirklich gerufen werden«, sagte ich noch rasch. »Wenn ja, müssen wir uns zum Abendessen unbedingt treffen. Gib eine Nachricht an TS-19 durch. Sinngemäßer Wortlaut:
Darauf vorbereiten, mit Kiny in der kommenden Nachtperiode in der Ausrüstungshöhle zu erscheinen. Alarmbereitschaft I. Ich werde feststellen, ob Kommandeur eine Nachahmung ist. Wenn ja, erfolgt nochmals Nachricht durch Manzo.«
Unser Freund und Partner mit den übersinnlichen Paragaben nickte. Dann wurden seine großen Augen gläsern. Er sah durch uns hindurch, als wären wir aus Luft. Dabei sendete sein phänomenales Gehirn, dessen Sinne wir wohl niemals ganz ergründen konnten.
Es dauerte nur einige Minuten, bis er uns die Antwort mitteilen konnte. Kiny hatte im Auftrag von TS-19 prompt gearbeitet.
Die anderen Positiven verließen bereits lärmend den Raum, als Manzo erwachend sagte:
»Er wird auf alle Fälle in der Höhle sein. Der Durchbruch unserer Pioniertrupps ist nicht bemerkt worden. Die Zermürbungs-Sprengungen verursachten keine Erschütterungen. Die kleine Luftschleuse ist fertig geworden, so daß wir endlich den Durchbruch benutzen können. Ich muß euch aber führen. Es geht tief hinunter in den Boden. In der Nähe der Pumpstation ist der Stollen von unseren Leuten angebohrt worden.«
»Gut getarnt?«
»Sehr gut sogar. Eine Felsplatte verschließt den Tunnel. TS-19 wartet. Wir sollen unter allen Umständen die Ausrüstung in Empfang nehmen. Es war gerade vom HQ durchgekommen.«
Wir gingen ebenfalls. Manzo stapfte auf seinen mächtigen Säulenbeinen nach draußen, wo er uns noch einige dröhnende Worte zurief.
Ich wußte instinktiv, daß es bald soweit sein mußte. Darin hatte wir uns selten getäuscht. Es wurde auch höchste Zeit, daß unser Dasein als positive Mutanten ein Ende fand. Lange hielt ich es in den Monsterlagern bestimmt nicht mehr aus.
Wir schritten zu unserer Station zurück. Der Gang lag auf der gleichen Ebene wie die einzelnen Wachzimmer. Die Hallen der Wilden waren um etwa dreißig Meter tiefer angelegt worden. Darunter gab es noch große Hohlräume. Dort war die Kraftstation untergebracht und das Robotwerk zur Sauerstofferzeugung aus dem natürlichen Mondwasser.
Auch die Turbinen der Klimaanlage summten weit unter uns. Es konnte sein, daß wir menschlichen Wachen begegneten, aber das mußte mit Manzos Hilfe zu bereinigen sein. Mit seinen Sinnen gewahrte er jedes denkende Gehirn auf viele hundert Meter. Dazwischenliegende Steinwände spielten dabei keine Rolle.
Ich hatte also das Gefühl, als würden wir unsere Ausrüstung sehr bald benötigen. Manzo war schon längere Zeit hier, und es war noch nichts geschehen. Wir hielten uns nun eine Woche auf dem Mond auf, und wieder hatte es keinen der angenommenen Transporte gegeben.
Wenn die Lager überhaupt einen Sinn haben sollten, mußten die wenigen erwachsenen Deneber bald etwas unternehmen.
Wir ließen die Negativ-Meute aus den Zellen. Überall ruckten die Gitter nach oben. Tobend strömten die Monstren in die weite Halle. Wir hatten nun scharf aufzupassen, daß sie keinen blutigen Unfug trieben.
Am späten Nachmittag Stationszeit erhielten wir den Befehl, sofort nach draußen zu kommen. Oberstleutnant Kamow wollte die neuen Wächter persönlich kennenlernen.
Ich nickte lächelnd zur Bildfläche. Der Offizier schaltete ab.
Jetzt war es also soweit. Ob der vogelköpfige Ponti wohl ebenfalls gerufen wurde? Sicherlich. Man wollte ja alle Neuankömmlinge sehen.