6.


»An­schnal­len, ver­dammt«, brüll­te der Astro­na­vi­ga­tor der ein­stu­fi­gen Trans­por­tra­ke­te. »Wie stellt ihr euch ei­gent­lich die Raum­fahrt vor, he? Ein Mit­tel zur Säug­lings­pfle­ge ist das nicht. Auch ihr habt nur Kno­chen. Wenn du mir beim Start auf die Plat­ten schlägst, könn­test du einen Kopf ver­lie­ren.«

Jetzt grins­te der schlan­ke Mann in der dun­kel­blau­en Kunst­stof­f­uni­form. Auf dem lin­ken Är­mel trug er einen gold­ge­faß­ten Win­kel. Al­so hat­te er die Stre­cke Er­de-Mond schon we­nigs­tens hun­dert­mal zu­rück­ge­legt.

Wir hat­ten zu­sam­men mit dem Dop­pel­kopf­mu­tan­ten ei­ne Ka­bi­ne er­hal­ten. Al­les war spar­ta­nisch aus­ge­legt, auf Zweck­di­en­lich­keit ab­ge­stimmt. Nur die Kon­tur­la­ger wa­ren in Ord­nung, das heißt, für die selt­sa­men Ge­brü­der Tor­by und Ralph woll­te es ein­fach nicht pas­sen. Der kon­trol­lie­ren­de Astro­na­vi­ga­tor ge­riet ins Schwit­zen. Er schi­en nicht ge­nau zu wis­sen, wie er die bei­den Köp­fe auf der wei­chen Stüt­ze un­ter­brin­gen soll­te.

Flu­chend han­tier­te er an den Stell­schrau­ben her­um. Das Lie­ge­bett für ho­he An­drücke ver­län­ger­te sich end­lich.

Jetzt paß­te es für un­se­re Rei­se­ge­fähr­ten ei­ni­ger­ma­ßen, nur be­schwer­ten sich die Köp­fe über die fes­ten Gur­te.

»Mund hal­ten«, brumm­te der Mann. »Seid froh, daß wir auf sol­che Fäl­le ein­ge­rich­tet sind. Die Wil­den lie­gen ver­packt in Spe­zi­al­kis­ten. Ent­we­der du machst, was ich will, oder du kommst auch hin­ein. Al­so, wollt ihr nun die Köp­fe rich­tig hin­le­gen oder nicht?«

Er drück­te sie zu­sam­men und schnall­te sie mit den Nacken­stüt­zen fest. Ralph blick­te so bö­se, daß ich mich ge­spannt auf­rich­te­te. Es war in der Tat ein Pro­blem, den rie­si­gen Kör­per si­cher zu be­fes­ti­gen.

Als sich der Astro­na­vi­ga­tor wie­der zu den Stell­schrau­ben beug­te, ver­lor er plötz­lich den Bo­den un­ter den Fü­ßen. Es war, als hät­te ihm je­mand mit vol­ler Kraft ge­gen die Bei­ne ge­tre­ten. Wü­tend fuhr er auf.

»Wer war das?«

Mit vor Zorn fun­keln­den Au­gen blick­te er sich um, doch er sah nur drei fes­t­an­ge­schnall­te Kör­per. So­gar die Ar­me wa­ren be­fes­tigt. Es war voll­kom­men un­mög­lich, daß ihn je­mand von uns be­rührt hat­te. Das schi­en er auch ein­zu­se­hen.

»Was war das?« frag­te er noch­mals, nur viel un­si­che­rer. Er rieb sich den schmer­zen­den Kopf.

»Was denn?« frag­te Ralph un­schul­dig. »Sie sind ge­fal­len, wie?«

»Höl­len­ban­de«, sag­te der Mann bleich. »Das war ein schmut­zi­ger Trick eu­rer Mons­ter­ge­hir­ne. Wie habt ihr das ge­macht? Los, re­det schon, oder ich er­stat­te Mel­dung.«

»Sie sind aus­ge­rutscht«, warf Han­ni­bal be­sänf­ti­gend ein. »Ich ha­be es von hier aus se­hen kön­nen.«

»Hof­fent­lich er­stickt ihr beim Start«, sag­te er zäh­ne­knir­schend. Mit ge­ball­ten Hän­den stand er in der Ka­bi­ne, in der wir eng ne­ben­ein­an­der la­gen.

»Das ist aber ein un­freund­li­cher Wunsch«, lach­te Tor­by. »Wir ha­ben Ih­nen doch nichts ge­tan. Sa­gen Sie, wird das Schiff wirk­lich acht­zehn Stun­den brau­chen, um den Mond zu er­rei­chen? Je­mand sag­te es.«

»Noch viel zu schnell für euch«, ent­geg­ne­te der Astro­na­vi­ga­tor noch im­mer auf­ge­bracht. »Ich lie­ße euch wo­chen­lang im schwe­re­lo­sen Zu­stand aus­har­ren.«

»Acht­zehn Stun­den?« stöhn­te ich. »Mann – in der Zeit lau­fe ich hin. Da ha­ben Sie aber ei­ne ur­al­te Müh­le.«

»Da­von hast du gar kei­ne Ah­nung«, fuhr er ge­kränkt auf.

»Äh, ich ha­be ge­hört, an­de­re Leu­te soll­ten bes­se­re Schif­fe ha­ben«, sti­chel­te der Klei­ne.

Die­se Be­mer­kung be­lei­dig­te sei­nen Be­rufs- und Na­tio­nal­stolz.

»Ach nein! Wer war denn zu­erst auf dem Mond, he?« schrie er. »Am 13. Sep­tem­ber 1959 lan­de­te die ers­te fern­ge­steu­er­te Ra­ke­ten­spit­ze auf dem Tra­ban­ten, und die hat­ten wir ab­ge­schos­sen! Wir ha­ben auch jetzt noch die bes­se­ren und schnel­le­ren Schif­fe, die bes­se­ren Trieb­wer­ke und die bes­se­ren For­scher. Für euch langt der Trans­por­ter, der im­mer­hin schon ein Plas­ma-Trieb­werk hat. Ach, was soll ich mich denn über­haupt mit euch her­um­strei­ten.«

Flu­chend ver­ließ er die Ka­bi­ne und ließ das dün­ne Schott dröh­nend ins Schloß glei­ten.

Ralph lach­te. Nach­denk­lich sah ich ihn an.

»Bei­na­he hät­test du dich ver­ra­ten, Freund. Bei­na­he! Du hast ihm die Bei­ne un­ter dem Leib weg­ge­zo­gen, weil du är­ger­lich warst. Ist das eu­re po­si­ti­ve Ga­be?«

Sie dreh­ten bei­de den Kopf. Tor­by schi­en Angst zu ha­ben.

»Du wirst uns doch nicht ver­ra­ten?« flüs­ter­te er. »Brü­der­chen, tu es lie­ber nicht.«

»Kein Wort wird man von uns hö­ren. Wir ha­ben auch nicht al­les ge­sagt«, be­ru­hig­te ich ihn. »Al­so, was seid ihr ei­gent­lich? Te­le­pa­then?«

»Un­sinn«, murr­te der rech­te Kopf. »Ge­dan­ken kön­nen wir nicht le­sen, und Hyp­nos sind wir auch nicht. Ich kann so ei­nem Kerl aber durch geis­ti­ge Kräf­te einen Fels­block auf den Kopf fal­len las­sen.«

»Und ich kann Bäu­me aus dem Bo­den rei­ßen«, be­haup­te­te Tor­by stolz. »Wir brau­chen nur dar­an zu den­ken – und schon pas­siert es. Ich weiß aber nicht, wie das die Wis­sen­schaft­ler be­zeich­nen.«

Ich war ver­blüfft. Das al­so war das Ge­heim­nis des Zwei­köp­fi­gen.

»Te­le­ki­ne­se sa­gen sie da­zu«, warf Han­ni­bal ein. »Ei­ne Pa­rap­si-Ei­gen­schaft. Die Be­we­gung ma­te­ri­ell sta­bi­ler Kör­per durch rei­ne Geis­tes­kräf­te. Das sind pa­ra­psy­chi­sche und pa­ra­phy­si­ka­li­sche Ef­fek­te, die sich nor­ma­le Leu­te über­haupt nicht er­klä­ren kön­nen. Was fühlt ihr, wenn ihr die Ga­be an­wen­det?«

»Nicht viel. Es sticht im Kopf, das ist al­les. Aber ich ha­be wirk­lich schon Bäu­me aus­ge­ris­sen.«

»Ja, wenn ich dir half«, fiel Ralph ein. »Al­lein schaffst du es auch nicht. Da­zu braucht man näm­lich viel Kraft«, sag­te er zu uns ge­wen­det. »Wenn wir auf die Jagd gin­gen, ha­ben wir große Tie­re ein­fach auf dem glei­chen Fleck fest­ge­hal­ten. Sie konn­ten nichts ma­chen. Die Fän­ger hät­ten wir auch er­le­di­gen kön­nen, aber wir woll­ten ein­mal wis­sen, wie es auf der an­de­ren Sei­te aus­sieht. Ich den­ke, wir ha­ben kei­nen schlech­ten Tausch ge­macht. Ihr müßt aber den Mund hal­ten, ja?«

Sein Blick war zwin­gend. Ich nick­te so gut mir das in die­ser La­ge ge­lang.

Mi­nu­ten spä­ter lie­fen die bei­den schwe­ren Strom­mei­ler des Trans­por­ters an. Die Gleich­rich­tungs-Schirm­fel­der in­ner­halb der ma­te­ri­el­len Plas­ma-Dü­sen wur­den auf­ge­baut und die Wer­te ko­or­di­niert.

Es heul­te durch das Schiff, daß die Zel­le er­beb­te. Ne­ben uns klang ein gel­len­der Schrei auf. Das muß­te der po­si­ti­ve Mu­tant mit dem vo­ge­l­ähn­li­chen Kopf sein. Er konn­te nur piep­sig spre­chen. An­sons­ten hat­te er die ha­ge­ren Bei­ne ei­nes tier­haf­ten Schnel­läu­fers. Wir wuß­ten auch nicht ge­nau, wel­che be­son­de­ren Ei­gen­schaf­ten er be­saß. Je­den­falls war er ge­fan­gen wor­den.

In die Start­vor­be­rei­tun­gen misch­te sich das dump­fe Dröh­nen der Strom­bän­ke. Ein Zei­chen da­für, daß der rei­ne Plas­ma-Kern­pro­zeß in den Re­ak­tor­brenn­kam­mern be­gon­nen hat­te.

Die ther­mi­sche Ener­gie des schnel­len und dich­ten Par­ti­kel­stroms brauch­te nicht un­be­dingt nutz­los im Raum zu ver­puf­fen. So wur­de von den Schirm­fel­dern in­ner­halb der ab­strah­len­den Gleich­rich­tungs­kam­mern ein Teil der frei wer­den­den Re­ak­ti­ons­wär­me auf­ge­nom­men und von se­pa­ra­ten Um­wand­lern an die Strom­bän­ke wei­ter­ge­lei­tet. Da­mit war die Ener­gie­ver­sor­gung der zahl­rei­chen Ne­be­n­ag­gre­ga­te ge­si­chert. Trotz­dem reich­te es nicht aus, um die strom­fres­sen­den Kraft­fel­der der Plas­ma­dü­sen zu ver­sor­gen. Des­halb muß­ten die spe­zi­el­len Strom­re­ak­to­ren nach wie vor wei­ter­lau­fen.

Der Kern­pro­zeß nahm hef­ti­ge­re For­men an. Wahr­schein­lich war er ro­bot­ge­steu­ert, wie das seit Jah­ren üb­lich war. Die ro­ten Kon­trol­lam­pen be­gan­nen zu zu­cken, bis sie all­mäh­lich mit ei­nem hel­len Pfeif­ton kon­stant leuch­te­ten. Das war der Start.

Wil­des Brau­sen bran­de­te in un­se­re Oh­ren. Der Plas­ma-Par­ti­kel­strom ras­te mit ei­ner Strahl­ge­schwin­dig­keit von zehn­tau­send Me­ter pro Se­kun­de aus den einen­gen­den Kraft­feld-Dü­sen. Das mach­te sich in ei­ner ge­gen­ge­rich­te­ten Schub­kraft be­merk­bar.

Der Trans­por­ter hat­te wahr­schein­lich ein Start­ge­wicht von et­wa drei­tau­send Ton­nen. Sehr viel mehr leis­te­te auch das Trieb­werk nicht. Der Rumpf be­gann stär­ker zu zit­tern.

Der An­druck war re­la­tiv sanft. Mehr als sechs Gra­vos er­reich­te die­se Ma­schi­ne nicht. Ich dach­te an den da­mit ver­bun­de­nen Plas­ma­ver­brauch. Es war rei­ne Ver­schwen­dung, die dich­ten und zer­ren­den Luft­schich­ten mit die­sen ge­rin­gen An­fangs­wer­ten zu durch­sto­ßen. Das kos­te­te Ener­gie, aber die schie­nen die Rus­sen ja zu ha­ben.

Man blieb bei 6 g, und da­bei fühl­te ich mich noch recht wohl. Die In­jek­tio­nen ent­fal­te­ten jetzt ih­re Wir­kung, auch wenn ich kei­nen Fin­ger mehr be­we­gen konn­te.

We­nigs­tens blieb der Kreis­lauf ab­so­lut sta­bil, und die Atem­be­schwer­den wa­ren er­träg­lich. Vor den Au­gen mach­te sich nur ein un­we­sent­li­ches Flim­mern be­merk­bar. Wir hat­ten in den Zen­tri­fu­gen der GWA schon 16 und mehr Gra­vos er­lebt.

Die Rak don­ner­te in den win­ter­li­chen Him­mel. Wir ver­nah­men nur noch das Ar­beits­ge­räusch der Mei­ler und Strom­bän­ke. Das hel­le Sur­ren dicht über uns schi­en von den hoch­tou­ri­gen E-Mo­to­ren der Krei­sel-Sta­bi­li­sa­to­ren zu stam­men.

Un­ser Dop­pel­kopf­mu­tant hat­te so­zu­sa­gen ab­ge­schal­tet. So stark er auch war, die­se Be­las­tung war für ihn völ­lig un­ge­wohnt. Viel­leicht hat­te er auch er­heb­li­che Schwie­rig­kei­ten mit dem kom­pli­zier­ten Kreis­lauf sei­nes Kör­pers.

Nun ging mir ein Licht auf, warum die Rus­sen nicht hö­her als bis auf sechs Gra­vos gin­gen. Es moch­te da schon al­ler­lei ge­sche­hen sein.

Mein Ge­sicht war un­ter dem An­druck et­was ver­zerrt. Die Zäh­ne wa­ren sicht­bar ge­wor­den; die Wan­gen ge­horch­ten den Mus­keln nicht mehr.

Zwi­schen den ein­zel­nen Pe­ri­oden der Be­schleu­ni­gun­gen wur­den wir schwe­re­los. Dann kam wie­der der An­druck, im­mer kon­stant blei­bend mit höchs­tens 6 g.

Als wir längst die ir­di­sche Flucht­ge­schwin­dig­keit über­schrit­ten hat­ten, mä­ßig­te sich das Ar­beits­ge­räusch zu ei­nem dump­fen Brau­sen. Die nor­ma­le Schwe­re kehr­te zu­rück. Der An­druck ver­schwand end­gül­tig.

An­schei­nend flo­gen wir noch ei­ni­ge Zeit mit Be­schleu­ni­gungs­wert eins, bis wir end­lich in den frei­en Fall über­gin­gen.

Das ge­sch­ah dann auch; und da­mit be­gann die ekel­haf­te Pla­ge des schwe­re­lo­sen Zu­stan­des.

Han­ni­bal würg­te trotz der In­jek­ti­on. Das Ge­fühl des ewi­gen Fal­lens trat doch im­mer wie­der auf, auch wenn man noch so oft im Raum ge­we­sen war. Man ge­wöhn­te sich nur all­mäh­lich dar­an.

Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten be­gan­nen die bei­den Köp­fe gleich­zei­tig zu stöh­nen. Sel­ten hat­te ich je­mand so stöh­nen hö­ren. Sie äu­ßer­ten so­gar den Wunsch zu ster­ben.

Die acht­zehn Stun­den wur­den auch für uns nicht zum Ver­gnü­gen. Vom Raum selbst sa­hen wir nichts. Die Ka­bi­ne hat­te we­der Lu­ken noch Au­ßen­bord-Bild­schir­me.

Ich fühl­te, wie der Frach­ter um die kur­ze Ach­se ge­dreht wur­de. Der Zwei­köp­fi­ge be­gann er­neut zu wim­mern. Er be­ru­hig­te sich erst, als die Brems­be­schleu­ni­gung mit sanf­ten Wer­ten ein­setz­te. Wahr­schein­lich hin­gen wir jetzt schon in ei­ner en­gen Kreis­bahn über dem Mond.

Wenn mei­ne Ver­mu­tung rich­tig war, muß­te sie von Pol zu Pol füh­ren. Ich wuß­te längst, daß die Mons­ter­la­ger auf der Rück­sei­te, aber noch dicht in der Nä­he des Süd­pols la­gen.

Noch­mals gab es har­te An­druck­pe­ri­oden, dann dröhn­te das gan­ze Schiff auf. Un­se­re Pi­lo­ten hat­ten ei­ne Lan­dung ge­baut, die nicht als ge­konnt zu be­zeich­nen war. Ich konn­te mich des Ver­dachts nicht er­weh­ren, sie hät­ten die Ro­bot­ge­rä­te ab­ge­schal­tet. Kein Au­to­pi­lot setz­te so hart auf.

Es ver­ging noch ei­ni­ge Zeit, bis der Astro­na­vi­ga­tor er­schi­en.

Knur­rend lös­te er die Rie­gel an den Klapp­schar­nie­ren der Kon­tur­la­ger, auf de­nen wir nun acht­zehn Stun­den lang zu­ge­bracht hat­ten.

»Ich ha­be Hun­ger«, be­schwer­te sich der Klei­ne. »Nen­nen Sie das Bord­ver­pfle­gung, he?«

»Hät­te noch ge­fehlt«, lehn­te der Mann mür­risch ab. »Wie viel Mann sol­len wir eu­ret­we­gen noch an Bord neh­men? Die kur­ze Zeit könnt ihr das schon durch­hal­ten. Wei­ter­hin an­ge­schnallt las­sen. Das Schiff wird in die Waag­rech­te ge­legt zum Ein­schleu­sen. Die La­ger dre­hen sich al­so, ver­stan­den? Oder ist das zu hoch für euch?«

Ralph mach­te dies­mal kei­ne Dumm­hei­ten. Der Astro­na­vi­ga­tor blick­te ihn oh­ne­hin miß­trau­isch an.

Aus den Bug­dü­sen des che­mi­schen Hilf­strieb­werks be­gann es zu don­nern. Der Schall wur­de in­ner­halb der Zel­le gut wei­ter­ge­lei­tet.

Ich fühl­te, daß der Trans­por­ter lang­sam und von den glü­hen­den Ga­sen ge­hal­ten nach vom ab­kipp­te.

Schließ­lich knirsch­ten die aus­ge­fah­re­nen Lan­de­bei­ne mit den ge­wal­ti­gen Kunst­stoff­wal­zen auf den Bo­den. Ich konn­te hö­ren wie sie durch Preß­luft auf­ge­bla­sen wur­den.

Das war ei­ne recht um­ständ­li­che Me­tho­de zum Ein­schleu­sen ei­nes Schif­fes. Im­mer­hin ließ sich ein turm­ho­her Kör­per da­mit bes­ser trans­por­tie­ren, als wenn man ihn auf den Heck­flos­sen be­wegt hät­te.

Es rum­pel­te weich durch den Rumpf. Die brei­ten Lauf­wal­zen schie­nen die Un­eben­hei­ten des Bo­dens spie­lend zu schlu­cken. Ich konn­te nicht se­hen, daß wir von Spe­zi­al­trak­to­ren in ei­ne wei­te Schleu­sen­hal­le ge­zo­gen wur­den.

Dort lag das Schiff, bis der Druck­aus­gleich von in­nen er­folgt war.

Als die Wa­chen er­schie­nen, stell­te ich fest, daß es sich um Men­schen han­del­te. Es wa­ren vier Mann, dar­un­ter ein Of­fi­zier.

Nach­dem man uns end­lich los­ge­schnallt hat­te und das so lan­ge ge­stau­te Blut schmerz­haft in Be­we­gung kam, er­hiel­ten wir klar ver­ständ­li­che In­struk­tio­nen über die Be­schaf­fen­heit des Mon­des.

Wir lie­ßen die Un­ter­wei­sung ge­lang­weilt über uns er­ge­hen, spiel­ten aber die auf­merk­sa­men Zu­hö­rer.

So er­fuh­ren wir, warum hier al­les nur den sechs­ten Teil wog, wes­halb es vier­zehn Ta­ge lang hell und vier­zehn Ta­ge lang dun­kel war. Wie­so es zu den ex­tre­men Tem­pe­ra­tur­un­ter­schie­den kam, und daß man in­fol­ge der feh­len­den Luft­hül­le au­ßer­halb der Hal­len­do­me und Un­ter­künf­te nur im Raum­an­zug le­ben konn­te.

Die Atem­luft müß­te künst­lich er­zeugt wer­den, was durch die großen Was­ser­vor­rä­te im In­nern des Mond­kör­pers ziem­lich ein­fach wä­re. Ener­gie gä­be es ge­nug, da wir mit den mo­d­erns­ten Strom­re­ak­to­ren aus­ge­rüs­tet wä­ren.

Man hät­te über­haupt al­les ge­tan, um uns das Le­ben so er­träg­lich wie mög­lich zu ma­chen. Der Staat stün­de in un­se­rer Schuld.

Die In­for­ma­tio­nen dau­er­ten et­wa drei Stun­den. Lang­sam wur­den sie zur Qual. Na­tür­lich muß­ten den an­kom­men­den Mu­tan­ten die ein­fachs­ten Din­ge erst ein­mal be­greif­lich ge­macht wer­den. Sie muß­ten wis­sen, daß sie drau­ßen oh­ne Schutz­klei­dung nicht le­ben konn­ten.

Wie woll­te man das aber den Wil­den bei­brin­gen? Ich frag­te da­nach.

»Durch dras­ti­sche Me­tho­den«, sag­te der Of­fi­zier. »Es geht lei­der nicht an­ders. Nur das Bei­spiel über­zeugt bei ih­nen. Be­leh­run­gen wer­den kaum ge­glaubt, selbst wenn sie geis­tig ver­ar­bei­tet wer­den. Wir müs­sen des­halb im­mer so lan­ge war­ten, bis ei­ner einen Flucht­ver­such un­ter­nimmt. Da­durch be­grei­fen sie, daß sie nicht ent­flie­hen kön­nen. Sie er­hal­ten selbst­ver­ständ­lich nie­mals Raum­an­zü­ge.«

»Und wir?« forsch­te Han­ni­bal neu­gie­rig.

Ich wuß­te die Ant­wort im vor­aus.

»Na­tür­lich auch nicht«, lä­chel­te der Ober­leut­nant mit den Ab­zei­chen des rus­si­schen Raum­korps. »Das kön­nen wir nicht ma­chen, Leu­te. Se­hen Sie sich drau­ßen ein­mal um, und Sie wer­den selbst füh­len, daß Sie dort nichts ver­lo­ren ha­ben. Der Mond ist ei­ne to­te und le­bens­feind­li­che Welt. Kei­ne Luft, tags­über glü­hen­de Hit­ze, nachts Tiefst­tem­pe­ra­tu­ren. Zer­ris­se­ne Land­schaf­ten, un­wirk­li­che Ge­bir­ge, wei­te Ge­röl­le­be­nen und im­mer wie­der gi­gan­ti­sche Kra­ter und Ring­wäl­le. Die letz­te­ren herr­schen durch frü­he­re Me­te­or­ein­schlä­ge vor. Ech­te Kra­ter vul­ka­ni­schen Ur­sprungs gibt es nur we­ni­ge.«

Das stimm­te, aber ich wuß­te auch, daß ge­nü­gend an­de­re durch ex­plo­dier­te Atom­bom­ben ent­stan­den wa­ren. Das war vor mehr als 187.000 Jah­ren ge­sche­hen.

Ich sah den Of­fi­zier schär­fer an. War das über­haupt ein Mensch? Oder ein ge­tarn­ter De­ne­ber? Er war fast et­was zu freund­lich. Al­so wa­ren wir es auch. Er hat­te wahr­schein­lich sel­ten so be­reit­wil­li­ge Mu­tan­ten ge­se­hen. Das gab er uns schließ­lich auch zu ver­ste­hen.

»Sie sind sehr ver­nünf­tig, Es­sen. Ich glau­be, wir wer­den gut mit­ein­an­der aus­kom­men. Ich brau­che in mei­ner Ab­tei­lung noch ei­ni­ge gu­te Wäch­ter. Wir ha­ben ins­ge­samt fünf Blocks, die von fünf Of­fi­zie­ren ge­lei­tet wer­den. Zu je­dem Block ge­hö­ren meh­re­re Dut­zend Wäch­ter aus der Klas­se der po­si­ti­ven Mu­tan­ten. Sie sind wohl Son­der­klas­se, oder?«

»Ja, Son­der­klas­se«, be­stä­tig­te ich.

»Schön, ich wer­de Sie beim Kom­man­dan­ten an­for­dern. Ma­chen Sie kei­ne Dumm­hei­ten! Fin­den Sie sich da­mit ab, daß dies Ih­re neue Hei­mat ist. So­lan­ge Sie ver­nünf­tig blei­ben, wird Ih­nen nie­mand et­was tun.«

»Wie ver­sor­gen Sie die vie­len Wil­den mit Nah­rungs­mit­teln?« frag­te der Zwei­köp­fi­ge in­ter­es­siert. Es war Ralph.

»Wis­sen Sie, daß sie mit Vor­lie­be Fleisch es­sen? Nur we­ni­ge ma­chen sich et­was aus Früch­ten oder Ge­mü­se. Die kön­nen sehr viel schlu­cken. Ich ha­be es oft ge­se­hen. Wie brin­gen Sie die satt?«

»Syn­the­se­fleisch aus den großen Fa­bri­ken auf der Er­de. Es schmeckt ganz na­tür­lich, und sie mer­ken den Un­ter­schied nicht. Die Nähr­wer­te sind die glei­chen. Da­zu kom­men na­tür­lich al­le Ar­ten von Ge­mü­se und Vit­amin­kon­zen­tra­ten, die dem Syn­t­hofleisch bei­ge­mischt wer­den. Die wer­den schon satt, be­ru­hi­gen Sie sich. Sie als Wäch­ter und in­tel­li­gen­te Mu­tan­ten er­hal­ten na­tür­lich nor­ma­le Ver­pfle­gung. Die Re­gie­rung ist in die­ser Be­zie­hung nicht klein­lich. Fol­gen Sie nun dem Sol­da­ten. Er wird Sie zur Un­ter­su­chungs­sta­ti­on füh­ren. Und –«, er zö­ger­te, »– und blei­ben Sie ver­nünf­tig!«

Sein Lä­cheln woll­te mir nicht ge­fal­len. Au­ßer dem Schock­ge­wehr trug er ei­ne schwe­re Au­to­ma­tik mit Ex­plo­siv­ge­schos­sen.

Durch die vor­de­re Schleu­se ver­lie­ßen wir das Schiff.

Wir be­fan­den uns in ei­nem wei­ten, trans­pa­ren­ten Dom aus Pan­zer­plast. Der Trans­por­ter lag in ei­ner lang­ge­streck­ten Luft­schleu­se, die sich mit dem einen En­de an die halb­run­de Kup­pel an­schmieg­te. Wei­ter links gab es noch ei­ne klei­ne­re Hül­le, die mit der großen durch einen brei­ten Gang ver­bun­den war.

Drau­ßen hing die Son­ne am tief­schwar­zen Him­mel. Die feh­len­de Luft mach­te sich schon be­merk­bar. Di­rekt vor uns, dro­hend das brü­chi­ge Ge­bil­de aus Kunst­stof­fen über­ra­gend, wölb­ten sich mäch­ti­ge Fels­mas­sen in den Mond­him­mel. Es wa­ren die über fünf­tau­send Me­ter ho­hen Nig­lin-Ber­ge, die man erst nach der ers­ten Um­run­dung des Mon­des ent­deckt hat­te. Bis da­hin war die Rück­sei­te des Tra­ban­ten für die Mensch­heit ein Rät­sel ge­we­sen.

Das hat­te sich in­zwi­schen ge­än­dert, ob­wohl es noch zahl­rei­che Land­stri­che gab, die noch kein Mensch be­tre­ten hat­te.

Dort, wo sich die bei­den Kup­peln be­fan­den, war die steil em­por­ra­gen­de Berg­flan­ke auf­ge­ris­sen. In dem brei­ten Riß la­gen die Kon­struk­tio­nen der ir­di­schen Men­schen. Sie wirk­ten klein und nich­tig – und doch hat­ten sie viel Schweiß und Ar­beit ge­kos­tet.

In­ner­halb der Bau­ten herrsch­te die nor­ma­le Er­dat­mo­sphä­re. Das heißt – ganz nor­mal war die Luft nicht mehr. Der Druck war et­was ge­senkt, die An­tei­le an He­li­um ent­schie­den ver­stärkt wor­den. Ob man hier mit ei­nem plötz­li­chen Druck­ver­lust rech­ne­te? Mög­lich war das bei je­der Mond­sta­ti­on, die nur durch ei­ne hauch­dün­ne Scha­le von der feind­li­chen Au­ßen­welt ge­trennt war. Hier hat­ten wir an­nä­hernd ir­di­sche Be­din­gun­gen, ei­ni­ge Me­ter wei­ter be­gann der Raum, di­rekt hin­ter der durch­sich­ti­gen Wand.

Der Zwei­köp­fi­ge schrie, als er hoch in die künst­li­che Luft flog. Die ge­rin­ge Schwer­kraft hat­te sich na­tür­lich nicht be­ein­flus­sen las­sen, und er hat­te es ver­ges­sen. Sei­ne ge­wal­ti­gen Mus­keln konn­te er hier nur noch mit größ­ter Vor­sicht ge­brau­chen.

Wei­ter vorn er­streck­ten sich ei­ni­ge fla­che Ge­bäu­de. Eins da­von reich­te bis dicht an das ge­wölb­te Hül­len­dach her­an. Es schi­en sich um die Kom­man­dan­tur zu han­deln.

Mein Ein­druck be­stä­tig­te sich. Wir wur­den di­rekt hin­ein­ge­führt.

Han­ni­bal starr­te aus schma­len Au­gen auf die großen Stahl­to­re im Hin­ter­grund. Dort war der Kunst­stoff un­se­res Do­mes mit dem ge­wach­se­nen Fels druck­dicht ver­bun­den wor­den. Zwei To­re wa­ren es; ei­nes da­von hat­te grö­ße­re Ab­mes­sun­gen.

»Dort geht es zu den Hohl­räu­men«, er­klär­te der Pos­ten. »Das wer­det ihr noch se­hen. Na­tür­lich kön­nen wir die gan­ze Meu­te nicht in Druck­zel­len un­ter­brin­gen. Dann müß­ten wir den hal­b­en Mond be­bau­en. Wir ha­ben na­tür­li­che Luft­bla­sen im Ge­stein er­wei­tert.«

Das war mir längst be­kannt. Es war über­haupt die ein­zig ver­nünf­ti­ge Lö­sung, wenn man hier län­ge­re Zeit le­ben woll­te. Mit den ro­bot­ge­steu­er­ten Ma­schi­nen war es auch kein Pro­blem mehr, in kur­z­er Zeit ge­wal­ti­ge Höh­len­sys­te­me zu schaf­fen. Fast al­le Mond­nie­der­las­sun­gen wa­ren der­art an­ge­legt wor­den. Sie wa­ren re­la­tiv si­cher vor Me­te­or­ein­schlä­gen und bo­ten auch sonst vie­le Vor­tei­le.

Druck­kup­peln gab es zu­meist nur an den Ein­gän­gen. In Lu­na-Port war es nicht an­ders, nur hat­ten wir dort mehr Au­ßen­bau­ten.

Ich hat­te auch schon durch den Al­ten er­fah­ren, daß die mensch­li­chen Mit­glie­der der La­ger­be­sat­zun­gen au­ßer­halb der Höh­len wohn­ten. Das war ver­ständ­lich und uns nur recht. Wir konn­ten kei­ne Auf­pas­ser ge­brau­chen.

Mit ge­misch­ten Ge­füh­len schritt ich durch die of­fe­ne Si­cher­heits­schleu­se. Auf den Kom­man­deur des Mons­ter­la­gers war ich aus­ge­spro­chen neu­gie­rig. Ich hät­te mei­nen Kopf wet­ten mö­gen, daß er eben­falls nicht­mensch­lich war.