6.
»Anschnallen, verdammt«, brüllte der Astronavigator der einstufigen Transportrakete. »Wie stellt ihr euch eigentlich die Raumfahrt vor, he? Ein Mittel zur Säuglingspflege ist das nicht. Auch ihr habt nur Knochen. Wenn du mir beim Start auf die Platten schlägst, könntest du einen Kopf verlieren.«
Jetzt grinste der schlanke Mann in der dunkelblauen Kunststoffuniform. Auf dem linken Ärmel trug er einen goldgefaßten Winkel. Also hatte er die Strecke Erde-Mond schon wenigstens hundertmal zurückgelegt.
Wir hatten zusammen mit dem Doppelkopfmutanten eine Kabine erhalten. Alles war spartanisch ausgelegt, auf Zweckdienlichkeit abgestimmt. Nur die Konturlager waren in Ordnung, das heißt, für die seltsamen Gebrüder Torby und Ralph wollte es einfach nicht passen. Der kontrollierende Astronavigator geriet ins Schwitzen. Er schien nicht genau zu wissen, wie er die beiden Köpfe auf der weichen Stütze unterbringen sollte.
Fluchend hantierte er an den Stellschrauben herum. Das Liegebett für hohe Andrücke verlängerte sich endlich.
Jetzt paßte es für unsere Reisegefährten einigermaßen, nur beschwerten sich die Köpfe über die festen Gurte.
»Mund halten«, brummte der Mann. »Seid froh, daß wir auf solche Fälle eingerichtet sind. Die Wilden liegen verpackt in Spezialkisten. Entweder du machst, was ich will, oder du kommst auch hinein. Also, wollt ihr nun die Köpfe richtig hinlegen oder nicht?«
Er drückte sie zusammen und schnallte sie mit den Nackenstützen fest. Ralph blickte so böse, daß ich mich gespannt aufrichtete. Es war in der Tat ein Problem, den riesigen Körper sicher zu befestigen.
Als sich der Astronavigator wieder zu den Stellschrauben beugte, verlor er plötzlich den Boden unter den Füßen. Es war, als hätte ihm jemand mit voller Kraft gegen die Beine getreten. Wütend fuhr er auf.
»Wer war das?«
Mit vor Zorn funkelnden Augen blickte er sich um, doch er sah nur drei festangeschnallte Körper. Sogar die Arme waren befestigt. Es war vollkommen unmöglich, daß ihn jemand von uns berührt hatte. Das schien er auch einzusehen.
»Was war das?« fragte er nochmals, nur viel unsicherer. Er rieb sich den schmerzenden Kopf.
»Was denn?« fragte Ralph unschuldig. »Sie sind gefallen, wie?«
»Höllenbande«, sagte der Mann bleich. »Das war ein schmutziger Trick eurer Monstergehirne. Wie habt ihr das gemacht? Los, redet schon, oder ich erstatte Meldung.«
»Sie sind ausgerutscht«, warf Hannibal besänftigend ein. »Ich habe es von hier aus sehen können.«
»Hoffentlich erstickt ihr beim Start«, sagte er zähneknirschend. Mit geballten Händen stand er in der Kabine, in der wir eng nebeneinander lagen.
»Das ist aber ein unfreundlicher Wunsch«, lachte Torby. »Wir haben Ihnen doch nichts getan. Sagen Sie, wird das Schiff wirklich achtzehn Stunden brauchen, um den Mond zu erreichen? Jemand sagte es.«
»Noch viel zu schnell für euch«, entgegnete der Astronavigator noch immer aufgebracht. »Ich ließe euch wochenlang im schwerelosen Zustand ausharren.«
»Achtzehn Stunden?« stöhnte ich. »Mann – in der Zeit laufe ich hin. Da haben Sie aber eine uralte Mühle.«
»Davon hast du gar keine Ahnung«, fuhr er gekränkt auf.
»Äh, ich habe gehört, andere Leute sollten bessere Schiffe haben«, stichelte der Kleine.
Diese Bemerkung beleidigte seinen Berufs- und Nationalstolz.
»Ach nein! Wer war denn zuerst auf dem Mond, he?« schrie er. »Am 13. September 1959 landete die erste ferngesteuerte Raketenspitze auf dem Trabanten, und die hatten wir abgeschossen! Wir haben auch jetzt noch die besseren und schnelleren Schiffe, die besseren Triebwerke und die besseren Forscher. Für euch langt der Transporter, der immerhin schon ein Plasma-Triebwerk hat. Ach, was soll ich mich denn überhaupt mit euch herumstreiten.«
Fluchend verließ er die Kabine und ließ das dünne Schott dröhnend ins Schloß gleiten.
Ralph lachte. Nachdenklich sah ich ihn an.
»Beinahe hättest du dich verraten, Freund. Beinahe! Du hast ihm die Beine unter dem Leib weggezogen, weil du ärgerlich warst. Ist das eure positive Gabe?«
Sie drehten beide den Kopf. Torby schien Angst zu haben.
»Du wirst uns doch nicht verraten?« flüsterte er. »Brüderchen, tu es lieber nicht.«
»Kein Wort wird man von uns hören. Wir haben auch nicht alles gesagt«, beruhigte ich ihn. »Also, was seid ihr eigentlich? Telepathen?«
»Unsinn«, murrte der rechte Kopf. »Gedanken können wir nicht lesen, und Hypnos sind wir auch nicht. Ich kann so einem Kerl aber durch geistige Kräfte einen Felsblock auf den Kopf fallen lassen.«
»Und ich kann Bäume aus dem Boden reißen«, behauptete Torby stolz. »Wir brauchen nur daran zu denken – und schon passiert es. Ich weiß aber nicht, wie das die Wissenschaftler bezeichnen.«
Ich war verblüfft. Das also war das Geheimnis des Zweiköpfigen.
»Telekinese sagen sie dazu«, warf Hannibal ein. »Eine Parapsi-Eigenschaft. Die Bewegung materiell stabiler Körper durch reine Geisteskräfte. Das sind parapsychische und paraphysikalische Effekte, die sich normale Leute überhaupt nicht erklären können. Was fühlt ihr, wenn ihr die Gabe anwendet?«
»Nicht viel. Es sticht im Kopf, das ist alles. Aber ich habe wirklich schon Bäume ausgerissen.«
»Ja, wenn ich dir half«, fiel Ralph ein. »Allein schaffst du es auch nicht. Dazu braucht man nämlich viel Kraft«, sagte er zu uns gewendet. »Wenn wir auf die Jagd gingen, haben wir große Tiere einfach auf dem gleichen Fleck festgehalten. Sie konnten nichts machen. Die Fänger hätten wir auch erledigen können, aber wir wollten einmal wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht. Ich denke, wir haben keinen schlechten Tausch gemacht. Ihr müßt aber den Mund halten, ja?«
Sein Blick war zwingend. Ich nickte so gut mir das in dieser Lage gelang.
Minuten später liefen die beiden schweren Strommeiler des Transporters an. Die Gleichrichtungs-Schirmfelder innerhalb der materiellen Plasma-Düsen wurden aufgebaut und die Werte koordiniert.
Es heulte durch das Schiff, daß die Zelle erbebte. Neben uns klang ein gellender Schrei auf. Das mußte der positive Mutant mit dem vogelähnlichen Kopf sein. Er konnte nur piepsig sprechen. Ansonsten hatte er die hageren Beine eines tierhaften Schnelläufers. Wir wußten auch nicht genau, welche besonderen Eigenschaften er besaß. Jedenfalls war er gefangen worden.
In die Startvorbereitungen mischte sich das dumpfe Dröhnen der Strombänke. Ein Zeichen dafür, daß der reine Plasma-Kernprozeß in den Reaktorbrennkammern begonnen hatte.
Die thermische Energie des schnellen und dichten Partikelstroms brauchte nicht unbedingt nutzlos im Raum zu verpuffen. So wurde von den Schirmfeldern innerhalb der abstrahlenden Gleichrichtungskammern ein Teil der frei werdenden Reaktionswärme aufgenommen und von separaten Umwandlern an die Strombänke weitergeleitet. Damit war die Energieversorgung der zahlreichen Nebenaggregate gesichert. Trotzdem reichte es nicht aus, um die stromfressenden Kraftfelder der Plasmadüsen zu versorgen. Deshalb mußten die speziellen Stromreaktoren nach wie vor weiterlaufen.
Der Kernprozeß nahm heftigere Formen an. Wahrscheinlich war er robotgesteuert, wie das seit Jahren üblich war. Die roten Kontrollampen begannen zu zucken, bis sie allmählich mit einem hellen Pfeifton konstant leuchteten. Das war der Start.
Wildes Brausen brandete in unsere Ohren. Der Plasma-Partikelstrom raste mit einer Strahlgeschwindigkeit von zehntausend Meter pro Sekunde aus den einengenden Kraftfeld-Düsen. Das machte sich in einer gegengerichteten Schubkraft bemerkbar.
Der Transporter hatte wahrscheinlich ein Startgewicht von etwa dreitausend Tonnen. Sehr viel mehr leistete auch das Triebwerk nicht. Der Rumpf begann stärker zu zittern.
Der Andruck war relativ sanft. Mehr als sechs Gravos erreichte diese Maschine nicht. Ich dachte an den damit verbundenen Plasmaverbrauch. Es war reine Verschwendung, die dichten und zerrenden Luftschichten mit diesen geringen Anfangswerten zu durchstoßen. Das kostete Energie, aber die schienen die Russen ja zu haben.
Man blieb bei 6 g, und dabei fühlte ich mich noch recht wohl. Die Injektionen entfalteten jetzt ihre Wirkung, auch wenn ich keinen Finger mehr bewegen konnte.
Wenigstens blieb der Kreislauf absolut stabil, und die Atembeschwerden waren erträglich. Vor den Augen machte sich nur ein unwesentliches Flimmern bemerkbar. Wir hatten in den Zentrifugen der GWA schon 16 und mehr Gravos erlebt.
Die Rak donnerte in den winterlichen Himmel. Wir vernahmen nur noch das Arbeitsgeräusch der Meiler und Strombänke. Das helle Surren dicht über uns schien von den hochtourigen E-Motoren der Kreisel-Stabilisatoren zu stammen.
Unser Doppelkopfmutant hatte sozusagen abgeschaltet. So stark er auch war, diese Belastung war für ihn völlig ungewohnt. Vielleicht hatte er auch erhebliche Schwierigkeiten mit dem komplizierten Kreislauf seines Körpers.
Nun ging mir ein Licht auf, warum die Russen nicht höher als bis auf sechs Gravos gingen. Es mochte da schon allerlei geschehen sein.
Mein Gesicht war unter dem Andruck etwas verzerrt. Die Zähne waren sichtbar geworden; die Wangen gehorchten den Muskeln nicht mehr.
Zwischen den einzelnen Perioden der Beschleunigungen wurden wir schwerelos. Dann kam wieder der Andruck, immer konstant bleibend mit höchstens 6 g.
Als wir längst die irdische Fluchtgeschwindigkeit überschritten hatten, mäßigte sich das Arbeitsgeräusch zu einem dumpfen Brausen. Die normale Schwere kehrte zurück. Der Andruck verschwand endgültig.
Anscheinend flogen wir noch einige Zeit mit Beschleunigungswert eins, bis wir endlich in den freien Fall übergingen.
Das geschah dann auch; und damit begann die ekelhafte Plage des schwerelosen Zustandes.
Hannibal würgte trotz der Injektion. Das Gefühl des ewigen Fallens trat doch immer wieder auf, auch wenn man noch so oft im Raum gewesen war. Man gewöhnte sich nur allmählich daran.
Nach einigen Minuten begannen die beiden Köpfe gleichzeitig zu stöhnen. Selten hatte ich jemand so stöhnen hören. Sie äußerten sogar den Wunsch zu sterben.
Die achtzehn Stunden wurden auch für uns nicht zum Vergnügen. Vom Raum selbst sahen wir nichts. Die Kabine hatte weder Luken noch Außenbord-Bildschirme.
Ich fühlte, wie der Frachter um die kurze Achse gedreht wurde. Der Zweiköpfige begann erneut zu wimmern. Er beruhigte sich erst, als die Bremsbeschleunigung mit sanften Werten einsetzte. Wahrscheinlich hingen wir jetzt schon in einer engen Kreisbahn über dem Mond.
Wenn meine Vermutung richtig war, mußte sie von Pol zu Pol führen. Ich wußte längst, daß die Monsterlager auf der Rückseite, aber noch dicht in der Nähe des Südpols lagen.
Nochmals gab es harte Andruckperioden, dann dröhnte das ganze Schiff auf. Unsere Piloten hatten eine Landung gebaut, die nicht als gekonnt zu bezeichnen war. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, sie hätten die Robotgeräte abgeschaltet. Kein Autopilot setzte so hart auf.
Es verging noch einige Zeit, bis der Astronavigator erschien.
Knurrend löste er die Riegel an den Klappscharnieren der Konturlager, auf denen wir nun achtzehn Stunden lang zugebracht hatten.
»Ich habe Hunger«, beschwerte sich der Kleine. »Nennen Sie das Bordverpflegung, he?«
»Hätte noch gefehlt«, lehnte der Mann mürrisch ab. »Wie viel Mann sollen wir euretwegen noch an Bord nehmen? Die kurze Zeit könnt ihr das schon durchhalten. Weiterhin angeschnallt lassen. Das Schiff wird in die Waagrechte gelegt zum Einschleusen. Die Lager drehen sich also, verstanden? Oder ist das zu hoch für euch?«
Ralph machte diesmal keine Dummheiten. Der Astronavigator blickte ihn ohnehin mißtrauisch an.
Aus den Bugdüsen des chemischen Hilfstriebwerks begann es zu donnern. Der Schall wurde innerhalb der Zelle gut weitergeleitet.
Ich fühlte, daß der Transporter langsam und von den glühenden Gasen gehalten nach vom abkippte.
Schließlich knirschten die ausgefahrenen Landebeine mit den gewaltigen Kunststoffwalzen auf den Boden. Ich konnte hören wie sie durch Preßluft aufgeblasen wurden.
Das war eine recht umständliche Methode zum Einschleusen eines Schiffes. Immerhin ließ sich ein turmhoher Körper damit besser transportieren, als wenn man ihn auf den Heckflossen bewegt hätte.
Es rumpelte weich durch den Rumpf. Die breiten Laufwalzen schienen die Unebenheiten des Bodens spielend zu schlucken. Ich konnte nicht sehen, daß wir von Spezialtraktoren in eine weite Schleusenhalle gezogen wurden.
Dort lag das Schiff, bis der Druckausgleich von innen erfolgt war.
Als die Wachen erschienen, stellte ich fest, daß es sich um Menschen handelte. Es waren vier Mann, darunter ein Offizier.
Nachdem man uns endlich losgeschnallt hatte und das so lange gestaute Blut schmerzhaft in Bewegung kam, erhielten wir klar verständliche Instruktionen über die Beschaffenheit des Mondes.
Wir ließen die Unterweisung gelangweilt über uns ergehen, spielten aber die aufmerksamen Zuhörer.
So erfuhren wir, warum hier alles nur den sechsten Teil wog, weshalb es vierzehn Tage lang hell und vierzehn Tage lang dunkel war. Wieso es zu den extremen Temperaturunterschieden kam, und daß man infolge der fehlenden Lufthülle außerhalb der Hallendome und Unterkünfte nur im Raumanzug leben konnte.
Die Atemluft müßte künstlich erzeugt werden, was durch die großen Wasservorräte im Innern des Mondkörpers ziemlich einfach wäre. Energie gäbe es genug, da wir mit den modernsten Stromreaktoren ausgerüstet wären.
Man hätte überhaupt alles getan, um uns das Leben so erträglich wie möglich zu machen. Der Staat stünde in unserer Schuld.
Die Informationen dauerten etwa drei Stunden. Langsam wurden sie zur Qual. Natürlich mußten den ankommenden Mutanten die einfachsten Dinge erst einmal begreiflich gemacht werden. Sie mußten wissen, daß sie draußen ohne Schutzkleidung nicht leben konnten.
Wie wollte man das aber den Wilden beibringen? Ich fragte danach.
»Durch drastische Methoden«, sagte der Offizier. »Es geht leider nicht anders. Nur das Beispiel überzeugt bei ihnen. Belehrungen werden kaum geglaubt, selbst wenn sie geistig verarbeitet werden. Wir müssen deshalb immer so lange warten, bis einer einen Fluchtversuch unternimmt. Dadurch begreifen sie, daß sie nicht entfliehen können. Sie erhalten selbstverständlich niemals Raumanzüge.«
»Und wir?« forschte Hannibal neugierig.
Ich wußte die Antwort im voraus.
»Natürlich auch nicht«, lächelte der Oberleutnant mit den Abzeichen des russischen Raumkorps. »Das können wir nicht machen, Leute. Sehen Sie sich draußen einmal um, und Sie werden selbst fühlen, daß Sie dort nichts verloren haben. Der Mond ist eine tote und lebensfeindliche Welt. Keine Luft, tagsüber glühende Hitze, nachts Tiefsttemperaturen. Zerrissene Landschaften, unwirkliche Gebirge, weite Geröllebenen und immer wieder gigantische Krater und Ringwälle. Die letzteren herrschen durch frühere Meteoreinschläge vor. Echte Krater vulkanischen Ursprungs gibt es nur wenige.«
Das stimmte, aber ich wußte auch, daß genügend andere durch explodierte Atombomben entstanden waren. Das war vor mehr als 187.000 Jahren geschehen.
Ich sah den Offizier schärfer an. War das überhaupt ein Mensch? Oder ein getarnter Deneber? Er war fast etwas zu freundlich. Also waren wir es auch. Er hatte wahrscheinlich selten so bereitwillige Mutanten gesehen. Das gab er uns schließlich auch zu verstehen.
»Sie sind sehr vernünftig, Essen. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. Ich brauche in meiner Abteilung noch einige gute Wächter. Wir haben insgesamt fünf Blocks, die von fünf Offizieren geleitet werden. Zu jedem Block gehören mehrere Dutzend Wächter aus der Klasse der positiven Mutanten. Sie sind wohl Sonderklasse, oder?«
»Ja, Sonderklasse«, bestätigte ich.
»Schön, ich werde Sie beim Kommandanten anfordern. Machen Sie keine Dummheiten! Finden Sie sich damit ab, daß dies Ihre neue Heimat ist. Solange Sie vernünftig bleiben, wird Ihnen niemand etwas tun.«
»Wie versorgen Sie die vielen Wilden mit Nahrungsmitteln?« fragte der Zweiköpfige interessiert. Es war Ralph.
»Wissen Sie, daß sie mit Vorliebe Fleisch essen? Nur wenige machen sich etwas aus Früchten oder Gemüse. Die können sehr viel schlucken. Ich habe es oft gesehen. Wie bringen Sie die satt?«
»Synthesefleisch aus den großen Fabriken auf der Erde. Es schmeckt ganz natürlich, und sie merken den Unterschied nicht. Die Nährwerte sind die gleichen. Dazu kommen natürlich alle Arten von Gemüse und Vitaminkonzentraten, die dem Synthofleisch beigemischt werden. Die werden schon satt, beruhigen Sie sich. Sie als Wächter und intelligente Mutanten erhalten natürlich normale Verpflegung. Die Regierung ist in dieser Beziehung nicht kleinlich. Folgen Sie nun dem Soldaten. Er wird Sie zur Untersuchungsstation führen. Und –«, er zögerte, »– und bleiben Sie vernünftig!«
Sein Lächeln wollte mir nicht gefallen. Außer dem Schockgewehr trug er eine schwere Automatik mit Explosivgeschossen.
Durch die vordere Schleuse verließen wir das Schiff.
Wir befanden uns in einem weiten, transparenten Dom aus Panzerplast. Der Transporter lag in einer langgestreckten Luftschleuse, die sich mit dem einen Ende an die halbrunde Kuppel anschmiegte. Weiter links gab es noch eine kleinere Hülle, die mit der großen durch einen breiten Gang verbunden war.
Draußen hing die Sonne am tiefschwarzen Himmel. Die fehlende Luft machte sich schon bemerkbar. Direkt vor uns, drohend das brüchige Gebilde aus Kunststoffen überragend, wölbten sich mächtige Felsmassen in den Mondhimmel. Es waren die über fünftausend Meter hohen Niglin-Berge, die man erst nach der ersten Umrundung des Mondes entdeckt hatte. Bis dahin war die Rückseite des Trabanten für die Menschheit ein Rätsel gewesen.
Das hatte sich inzwischen geändert, obwohl es noch zahlreiche Landstriche gab, die noch kein Mensch betreten hatte.
Dort, wo sich die beiden Kuppeln befanden, war die steil emporragende Bergflanke aufgerissen. In dem breiten Riß lagen die Konstruktionen der irdischen Menschen. Sie wirkten klein und nichtig – und doch hatten sie viel Schweiß und Arbeit gekostet.
Innerhalb der Bauten herrschte die normale Erdatmosphäre. Das heißt – ganz normal war die Luft nicht mehr. Der Druck war etwas gesenkt, die Anteile an Helium entschieden verstärkt worden. Ob man hier mit einem plötzlichen Druckverlust rechnete? Möglich war das bei jeder Mondstation, die nur durch eine hauchdünne Schale von der feindlichen Außenwelt getrennt war. Hier hatten wir annähernd irdische Bedingungen, einige Meter weiter begann der Raum, direkt hinter der durchsichtigen Wand.
Der Zweiköpfige schrie, als er hoch in die künstliche Luft flog. Die geringe Schwerkraft hatte sich natürlich nicht beeinflussen lassen, und er hatte es vergessen. Seine gewaltigen Muskeln konnte er hier nur noch mit größter Vorsicht gebrauchen.
Weiter vorn erstreckten sich einige flache Gebäude. Eins davon reichte bis dicht an das gewölbte Hüllendach heran. Es schien sich um die Kommandantur zu handeln.
Mein Eindruck bestätigte sich. Wir wurden direkt hineingeführt.
Hannibal starrte aus schmalen Augen auf die großen Stahltore im Hintergrund. Dort war der Kunststoff unseres Domes mit dem gewachsenen Fels druckdicht verbunden worden. Zwei Tore waren es; eines davon hatte größere Abmessungen.
»Dort geht es zu den Hohlräumen«, erklärte der Posten. »Das werdet ihr noch sehen. Natürlich können wir die ganze Meute nicht in Druckzellen unterbringen. Dann müßten wir den halben Mond bebauen. Wir haben natürliche Luftblasen im Gestein erweitert.«
Das war mir längst bekannt. Es war überhaupt die einzig vernünftige Lösung, wenn man hier längere Zeit leben wollte. Mit den robotgesteuerten Maschinen war es auch kein Problem mehr, in kurzer Zeit gewaltige Höhlensysteme zu schaffen. Fast alle Mondniederlassungen waren derart angelegt worden. Sie waren relativ sicher vor Meteoreinschlägen und boten auch sonst viele Vorteile.
Druckkuppeln gab es zumeist nur an den Eingängen. In Luna-Port war es nicht anders, nur hatten wir dort mehr Außenbauten.
Ich hatte auch schon durch den Alten erfahren, daß die menschlichen Mitglieder der Lagerbesatzungen außerhalb der Höhlen wohnten. Das war verständlich und uns nur recht. Wir konnten keine Aufpasser gebrauchen.
Mit gemischten Gefühlen schritt ich durch die offene Sicherheitsschleuse. Auf den Kommandeur des Monsterlagers war ich ausgesprochen neugierig. Ich hätte meinen Kopf wetten mögen, daß er ebenfalls nichtmenschlich war.