10.
Das Fest fand im Tempelpalast des Saghomon statt. Es handelte sich um eine eiförmige, zweihundert Meter hohe und an der runden Grundfläche achtzig Meter durchmessende Kuppel aus MA-Metall, die eindeutig von marsianischen Ingenieuren erbaut worden war.
Obwohl die Ausstattung der einzelnen Stockwerke luxuriös war, konnten die autarken Energieanlagen, die Antigravitationslifte und die eingebauten Waffen nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Kuppel ehemals als komfortable Festung für einen marsianischen Kommandeur gedacht worden war.
Außer diesem »Kraftei«, wie wir dazu sagten, gab es noch hundertundzwei andere Konstruktionen dieser Art; größere und kleinere, je nach dem Rang ihrer ursprünglichen Bewohner.
Hier hatte man sich gegen revoltierende Eingeborene und gegen Angreifer aus dem Weltenraum verteidigen können.
Alle Gebäude zusammen bildeten etwa im Mittelpunkt der Hauptstadt den sogenannten Tempelbezirk, der nach dem Aussterben der Marsianer zum heidnischen Heiligtum erhoben worden war.
Künstliche Atomsonnen, in Antigravitationsfeldern schwebend, überschwemmten die prachtvollen und weitläufigen Parkanlagen mit ihren Lichtfluten. Ich veranstaltete das Fest der Superlative.
Die erste Hürde hatten wir bereits genommen. Der Kommandeur der orghschen Raumpatrouille und der Kommandant des zweiten Schiffes waren programmgemäß erschienen, diesmal jedoch nicht auf Befehl, sondern auf Grund einer großzügig gewährten Gnade Seiner Verklärtheit, Tumadschin Khan.
Infolge unserer telepathischen Spionage hatten wir herausgefunden, daß die Geste großen Eindruck hinterlassen hatte. Die Unruhestifter unter den Hypnos, die einen Gewaltstart mit gleichzeitig stattfindendem Feuerüberfall verlangt hatten, waren von dem Kommandeur zum Schweigen gebracht worden. Er versprach sich von der Einladung persönliche Vorteile und wollte mir bei dieser Gelegenheit einige Geheimnisse entlocken.
So wollte er mich dazu verführen, ihm preiszugeben, von wem und in welcher Art ich die galaktischen Positionsdaten über sein Heimatsystem erhalten hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß dies seitens seiner Regierung freiwillig geschehen sei. Noch niemals hatten Fremde erfahren, wo die Hypnos eigentlich zu Hause waren und von wo aus sie ihre Überfälle auf ahnungslose Völker unserer riesigen Milchstraßengalaxis starteten.
Wir hatten ferner entdeckt, daß man an Bord der orghschen Schiffe sich nicht hatte entschließen können, die gespeicherten Daten über die galaktische Position vorsichtshalber zu löschen.
Es hätte wochenlanger Berechnungen bedurft, um sie erneut zu ermitteln. Davor scheute man sich, zumal ich alles schon zu wissen schien.
Orgh I und Orgh II, wie ich die beiden Kommandanten der Einfachheit halber nannte, waren pünktlich erschienen. Hannibal und Kiny hatten sofort gewarnt! Die Intelligenzen waren entschlossen, bei einer günstigen Gelegenheit Yedocekoner blocksuggestiv, sozusagen auf »Abruf« zu beeinflussen. Ein einziger Auslöseimpuls hätte in diesem Fall genügt, um die derart Behandelten zu Amokläufern werden zu lassen. Ich sollte ihr Opfer sein.
Allison, so grob seine Worte entgegen seinem sonstigen Verhalten geklungen hatten, war völlig im Recht gewesen. Diese Kreaturen verdienten weder Toleranz noch Mitleid. Sie waren eiskalte Planer, denen der Zweck jedes denkbare Mittel heiligte.
Ich hatte die beiden Hypnos herablassend, aber nicht unfreundlich empfangen und auch nicht versäumt, sie in ein Translatorgespräch zu verwickeln. Ich wollte ein gewisses Vertrauen gewinnen und noch stärker herausstellen, daß besonders die Vermittlung des Expeditionskommandeurs für ihn nur vorteilhaft sein könnte.
Natürlich waren wir vorsichtig. Etwas anderes hatten diese Intelligenzwesen auch nicht erwartet. Boris Petronko und zwölf gepanzerte Zyklopen hielten sich ständig in ihrer Nähe auf.
Alle Zyklopen trugen Tarngeräte, in denen die Hypnos Ortungsinstrumente für ihre mentalen Parakräfte vermuteten. Infolgedessen hatten sie auf die Ausführung ihres Planes verzichtet. Niemand war von ihnen übernommen worden.
Ich schaute auf die Uhr. Der riesige Platz vor dem Tempelbau des Saghomon glich einem Heerlager. Die Vornehmsten des Planeten hatten sich eingefunden. Ich erfüllte meine Pflichten als Gastgeber. Philip Botcher, der eine phantastisch gearbeitete Toga nach römischem Vorbild trug, machte als mein Zeremonienmeister die internen Honneurs.
»Noch fünfzehn Minuten, Sir«, raunte er mir zu. »Plätze einnehmen!«
Der Saghomon, ein älterer, gebeugt gehender Yedocekoner von bestechender Höflichkeit und herzlich zu nennenden Umfangsformen, lud in diesem Augenblick zu den angekündigten Wasserspielen ein. Sie wären einmalig, hatte man behauptet.
Ich glaubte es, denn hier kam marsianische Technik zum Einsatz.
Tancanoc und einige seiner informierten Offiziere schoben sich unauffällig in meine Nähe. Die als »Opfer« ausgesuchten Personen, hohe Persönlichkeiten des Staates, fieberten vor Ungeduld. Ich hatte die Männer und Frauen über ihre Rolle unterrichtet und um ihre Hilfe gebeten. Wieder hatte ich einen Begeisterungssturm geerntet.
Kiny hatte mir entsetzt berichtet, daß mindestens zweitausend der anwesenden Gäste unter dem Siegel der Verschwiegenheit eingeweiht worden seien. Meine Mitakteure hatten nicht den Mund halten können.
Niemand dachte jedoch daran, den Hypnos einen Wink zu geben. Eher hätten sich diese Yedocekoner erschossen.
So begannen die Wasserspiele im Vorzeichen einer ständig steigenden Spannung. Weit jenseits des Parks begann es zu rauschen. Eine Wasserkugel, mindestens tausend Meter durchmessend, von Antigravitationsfeldern gehalten und von Fesselfeldern in diese Form gepreßt, erhob sich hoch in die Luft. Das Licht der Scheinwerfer wurde tausendfältig reflektiert.
Kurz darauf teilte sich der Giganttropfen in zahlreiche Wassersäulen auf, die sich schließlich zu rotierenden Spiralen verwandelten und ständig neue Formen annahmen. Eine unwirkliche Musik, einheimische Kompositionen, hallte vom Nachthimmel herab. Es war einmalig schön und beeindruckend. Unsere Techniker staunten.
Die fünfzehn Minuten waren vorüber. Als Botcher das vereinbarte Zeichen gab, stand ich auf und klatschte nach irdischer Sitte demonstrativ Beifall.
»Wundervoll, wundervoll!« rief ich. Das waren die beiden Stichworte.
Die Musik wurde leiser. Man hielt es für unhöflich, Ausrufe des Tumadschin Khan dadurch zu überlagern.
»Ich beglückwünsche Sie, Saghomon. Selten sah ich Schöneres.«
Scheuning, ebenfalls prächtig und phantasievoll nach historischen Vorbildern der Menschheit gekleidet, gab mir ein Zeichen.
Sowohl die Narkosegeschütze der BAPURA als auch die der TECHNO-Panzerfestungen waren feuerklar und auf die beiden Ziele eingerichtet.
Ich hatte die Abschaltung der Schutzschirme verlangt. Der Kommandeur war zögernd darauf eingegangen, hatte aber dann, beim gelungenen und offenbar harmlosen Verlauf des Festes, seinen ursprünglichen Gedanken aufgegeben, die Schirme nach einiger Zeit wieder aufbauen zu lassen. Das war die zweite Hürde gewesen!
Narkosestrahler marsianischer Bauart konnten auch die orghschen Hochenergieschirme nicht durchdringen.
Ich breitete die Arme aus. Jedermann schwieg. Das war der Moment, in dem Petronkos Lautsprechergebrüll eindeutig überall zu hören und auch zu verstehen war.
»Paraüberfall aus den Hypnoschiffen!« heulte er, »Vorsicht, Erhabenheit. Paraüberfall.«
Etwa zwanzig Yedocekoner rissen gleichzeitig bislang verborgene Waffen aus ihren Kleidungsstücken und wollten auf mich anlegen.
Ich ging blitzartig in Deckung und zog gleichzeitig meine Thermorak, doch ich brauchte nicht mehr zu schießen. Genau nach Plan übernahmen die Zyklopen diese Aufgabe. Wichtig war nur, daß die beiden völlig überraschten Schiffsbefehlshaber jedes Wort verstanden und auch tatsächlich annahmen, einige Mitglieder ihrer Besatzung hätten sich wiederum vergessen.
Aus den schweren Energiestrahlern der Zyklopen brachen tosende Feuerfluten hervor. Unsere yedocekonischen Akteure, selbstverständlich durch erstklassige Energieschirme geschützt, wurden voll getroffen. Gleichzeitig zündeten sie ihre grelleuchtenden, aber ungefährlichen Feuerwerkskörper.
Eine dreidimensionale Bildwerferüberblendung vollendete das scheinbare Drama. Mindestens vierzig Personen, mehr als wir vorgesehen hatten, flammten vor den Riesenaugen der Orghs auf und verkohlten. Hilfsreiche Hände zogen die Darsteller aus dem Gefahrenbereich. Gleichzeitig wurden aschenförmige Überreste unauffällig von Spezialisten der yedocekonischen Armee an jenen Stellen verstreut, wo die »hypnosuggestiv Beeinflußten« zusammengebrochen waren.
Ich bedrohte die fassungslosen Orghs mit der Waffe. Vier Zyklopen ergriffen sie und hielten die sich in aufkommender Panik windenden Lebewesen fest.
Ich brauchte kein Wort zu sagen, keine Drohung auszusprechen, denn etwa achtzig Kilometer entfernt begann es dumpf zu donnern.
Das heißt – es hatte längst zu rumoren begonnen, aber die Schallwellen kamen jetzt erst bei uns an.
Die Orghs schrien in hellen Tönen. Sie befürchteten die Vernichtung ihrer Schiffe. Zwei yedocekonische Ärzte waren hinter sie getreten. Eine mir unbekannte Droge zischte aus Hochdruckdüsen in die blauhäutigen, von der Kleidung unbedeckten Körperpartien.
Damit begann der gefährlichste Augenblick. Wie würden diese mental Begabten darauf reagieren? Tancanoc hatte mir versichert, die alten Marsianer hätten damit solche gefangengenommenen Deneber verhört, die ebenfalls paramentale Fähigkeiten besessen hatten.
Nach meinen Erfahrungen mit den Denebern hatte es unter ihnen tatsächlich Telepathen, Telekineten und auch Suggestoren gegeben. Entweder waren sie durch ein langfristiges Genprogramm dahingehend gezüchtet worden, oder es hatte sich um seltene, mutierte Ausnahmen gehandelt. Jedenfalls sollte die willenszerstörende Droge einwandfrei gewirkt haben.
Die aufgeregten Gäste wurden von auftauchenden Kommandotruppen der yedocekonischen Armee zurückgedrängt und gleichzeitig beruhigt. Kiny berichtete, von Bord der beiden Hypnoraumschiffe käme kein einziger Wachimpuls mehr. Die Hypnos waren demnach durch unser auf die Sekunde genau einsetzendes Narkosefeuer planmäßig betäubt worden.
Jetzt kam es nur noch auf das Verhalten der beiden Kommandanten an.
Ich sondierte ihren Bewußtseinsinhalt. Das klare Gedankengut ließ mehr und mehr nach, um schließlich einer lethargischen Dumpfheit zu weichen. Sie waren völlig ungefährlich geworden.
»Volle Wirkung!« behauptete Hannibal erregt. »Das Zeug taugt wirklich etwas. Also, worauf warten wir noch? In etwa drei Stunden muß alles erledigt sein.«
Drei Minuten später saßen wir bereits in blitzschnell gelandeten Luftgleitern der Yedocekoner und rasten zum Raumhafen hinüber. Er war weit entfernt von der Hauptstadt angelegt worden, oder startende Großraumschiffe hätten sie durch ihre Triebwerksdruckwellen zerstört.
Der kritischste Augenblick des Unternehmens war gekommen! Die selbstverständlich für Gefahrenfälle aller Art vorprogrammierten Automatiken der beiden Hypnoschiffe hatten nicht nur die Zugangsschleusen geschlossen, sondern überdies die Schutzschirme aufgebaut.
Ich sprach die wie Schlafwandler zwischen uns stehenden Orghs in einem scharfen Befehlston an.
»Tumadschin Khan spricht. Feinde Ihres und meines Volkes sind durch die Unachtsamkeit Ihrer Besatzungen in Ihre Raumschiffe eingedrungen. Wir müssen sie finden und töten, oder das Sternenreich der Orghs und meine Großmachtstellung werden vernichtet. Öffnen Sie die Schutzschirme. Ich helfe Ihnen, die Attentäter zu finden. Öffnen Sie mit Ihrem Kommandogerät, Orgh I! Sie tragen es unter Ihrer Gürtelschnalle. Schutzschirme abschalten! Sofort! Abschalten …!«
Es dauerte für uns qualvolle fünf Minuten, bis er endlich auf die Zwangsdroge reagierte. So hervorragend wie versprochen war das Mittel nun auch wieder nicht.
Er drückte auf eine Erhöhung der runden, ziemlich großen Gürtelschnalle. Ein Deckel klappte auf. Darunter erkannten wir ein offenbar integriertes Muster von Mikroschaltungen, die sicherlich nur von den spitz zulaufenden Fingern eines Hypnos bedient werden konnten.
Langsam, viel zu langsam, tippte er eine Kodebezeichnung in die Sendeautomatik. Augenblicke später erloschen die Schutzschirme beider Schiffe. Die kleinen Mannluken in der unteren Drittelrundung der Kugelkörper glitten auf.
»Ihre Abwehrpositronik benachrichtigen, daß Sie fremde nichtorghsche Gäste mitbringen. Dies ist im Interesse des Reiches nötig. Verhandlungen müssen geführt werden. Handeln Sie, Orgh I! Ich bringe gute Nachrichten.«
Diesmal wirkte die Droge besser. Trotzdem stellte Kiny fest, daß sich im tiefsten Innern der orghschen Sinne Widerstände regten. Die unbewußten Abwehrkräfte waren nicht so leicht niederzuringen.
Ein Verdacht plagte mich. Wenn zu viele Fremde in das Kommandoschiff eindrangen, konnten unter Umständen Sicherheitsautomatiken ansprechen, die auch von dem Kommandeur nicht zu beeinflussen waren. Deshalb erklärte ich hastig:
»Einsatz wird geändert. Major Utan und ich gehen als Nachrichtenübermittler an Bord. Von dort aus darf keine einzige Funknachricht gegeben werden. Das könnte eine Spionage- und Funkabwehr aktivieren. Kiny, außerhalb des Schiffes bleiben. Unsere Mitteilungen weitergeben. Als Begleiter kommen Tancanoc und Dr. Allison mit, sonst niemand. Nein, Scheuning, Sie bleiben draußen! Niemand berührt irgendeinen Knopf oder Schalter. Alles völlig unverändert lassen. Wenn die betäubten Hypnos aufwachen, müssen sie jeden noch so winzigen Schalter in der richtigen Stellung vorfinden. Ende, keine Diskussionen.«
Man schwieg. Man hielt mich nach dem gelungenen Schachzug für übervorsichtig. Es war mir gleichgültig.
»Orgh I, teilen Sie den Abwehrautomaten mit, daß fünf Roboter meiner persönlichen Leibgarde ebenfalls das Schiff betreten werden. Die Maschinen sind harmlos, solange sie nicht angegriffen werden. Diese Tatsache in den Logiksektor Ihrer Großrechner einspeisen.«
Die Droge schien den höchsten Grad ihrer Wirkung zu erreichen. Diesmal gehorchte der Kommandeur ohne den geringsten unbewußten Widerstand.
Dann schritten wir die spiralförmige Zugangs- und Fahrstraße hinauf. Als wir vor dem äußeren Panzerschott der Schleuse ankamen, bemerkte ich die darin eingebauten Abwehrwaffen. Die Orghs waren nicht weniger vorsichtig, als es die Marsianer gewesen waren.
»Abschalten«, befahl ich. »Abschalten, wir sind Freunde. Wir helfen. Wir bieten vorteilhafte Bündnisse an. Die Abwehr stillegen, Orgh I.«
Er gehorchte auch diesmal. Hannibal lief der Schweiß von der Stirn. Selbst Tancanoc glich einem Nervenbündel.
Wir durchschritten die Schleuse, überstiegen die Druckschwelle des inneren Tors und betraten damit endgültig das fremde Schiff.
Es war ein Alptraum! Die für uns und die menschenähnlich gewesenen Marsianer gültigen Richtlinien für Konstruktionselemente aller Art waren für vierarmige Hypnos bedeutungslos.
Ich verstand nichts; absolut nichts. Hilfeflehend sah ich mich nach den fünf Spezialrobotern vom Typ ASGAMMON um. Wenn sie jetzt versagten, wenn TECHNO mit dieser letzten, modernsten und angeblich vollendetsten Spionagekonstruktion der Marsianer zuviel versprochen hatte, waren wir am Ende. In diesem Falle war ich überzeugt, daß wir dieses Schiff nicht mehr lebend verlassen konnten. Etwas mußte dann passieren! Es brauchte nur einer der betäubten Hypnos vorzeitig zu erwachen.
Die völlig unkonventionell auf energetischen Prallkissen laufenden ASGAMMON-Roboter kümmerten sich nicht um unsere Ängste.
Aus zwei dieser Spezialmaschinen huschten plötzlich mehrere Dutzend Flugroboter von der Größe einer irdischen Amsel. Die drei anderen Datenspürer schleusten rattengroße und ähnlich aussehende Gebilde aus. Sie waren ebenfalls flugfähig und mit Peilantennen gespickt.
Kein noch so fähiges Wissenschaftlerteam hätte die Hauptpositronik eines derart fremden Schiffes überhaupt finden können. Vielleicht nach Wochen; aber damit hätte man noch lange nicht gewußt, in welchem der zahllosen Speichersektoren jene Daten eingespeist waren, die uns allein interessierten.
Plötzlich marschierten die fünf Großroboter los. Sie schienen Peilimpulse von ihren ausgeschleusten Peilspionen zu erhalten.
»Wir kommen als Freund!« sagte ich beschwörend zu Orgh I. »Schalten Sie die automatischen Abwehrwaffen und Gefahrenlöscher innerhalb der Rechengehirne ab. Sie können es. Geben Sie die Befehlsimpulse! Sie wollen Ihren Freunden die Daten über Ihr Heimatsystem aushändigen.«
Damit hatte ich einen Fehler begangen! Hannibal stöhnte und umkrampfte meinen Arm.
»Steigender Widerstand«, stieß er hervor. »Das geht zu weit. – Tancanoc!«
Wir brauchten den Yedocekoner nicht erneut aufzufordern. Eine zweite Injektion zischte in den seltsamen Blutkreislauf der fremden Körper. Der erwachte Widerstand hörte auf.
Ungefähr eine Dreiviertelstunde später standen wir endlich in einer relativ kleinen Rechenzentrale. Orgh I hatte selbst Schwierigkeiten gehabt, die davorliegenden Energiesperren zu öffnen. Unsere ASGAMMON-Roboter schritten zielstrebig auf ein langgestrecktes Gerät zu.
Dann standen sie eine Viertelstunde lang völlig reglos da, bis plötzlich einer sagte:
»Aufgabe erfüllt, Daten sind überspielt.«
»Zuverlässigkeitsgrad?« fragte ich hastig.
»Hundertprozentig. Übersetzung liegt vor. Das Orgh-System besitzt ebenfalls eine blaue Riesensonne mit siebzehn Planeten. Welt Nummer sieben ist der Heimatplanet. Nach meinem Translatortext ›Ghostly-Castle‹ genannt. Das entspricht dem orghschen Begriff. Kosmische Entfernung vom MV-ALPHA-System zirka siebentausenddreihundert Lichtjahre, genaue Daten müssen noch ermittelt werden.«
Wir zogen uns so schnell wie möglich zurück. Wieder durchschritten wir skurril anmutende Räumlichkeiten, stiegen über besinnungslose Orghs hinweg und erreichten schließlich die Ausgangsschleuse.
Als wir endgültig in Sicherheit waren, aktivierte Orgh I auf meine Anweisung hin wieder die Energieschirme.
»Unglaublich, unmöglich!« sagte Professor Aich flüsternd. »Sind Sie sicher, daß diese Roboter einwandfrei gearbeitet haben?«
Ich lachte mit trockener Kehle.
»Das werden wir bemerken, wenn wir den GWA-Befehl mit der Kodebezeichnung ›Geheimorder Riesenauge‹ ausgeführt haben. Wir werden nämlich mit Volldampf zu jenem Sonnensystem fliegen, dessen exakte Position TECHNO auf Grund der ermittelten Daten berechnen wird. Wieviel Zeit ist vergangen?«
Philip Botcher meldete sich.
»Seit Beginn des vorgetäuschten Paraüberfalles genau drei Stunden, zweiundzwanzig Minuten und elf Sekunden, Sir. Wir wollten zur Aufrechterhaltung der Täuschung sofort wieder die Tempelstadt aufsuchen und den weiteren Verlauf des Festes abwarten. Mit einem baldigen Erwachen der paralysierten Schiffsbesatzungen ist zu rechnen. Eine marsianische Betäubung dieser Art dauert normalerweise fünf Stunden, Sir. Bei den Hypnos kann das anders sein. Es wäre vorteilhaft, wenn sie uns und ihre Kommandanten bei der sicherlich sofort beginnenden Fernbildbeobachtung beieinander sehen.«
Wir rasten mit den Fluggleitern zum Tempelbezirk zurück. Mehr als wir getan hatten, konnte niemand tun. Hoffentlich ging alles glatt!
Ich dachte mit steigender Nervosität an das Wiedererwachen der beiden unter Drogeneinfluß stehenden Kommandooffiziere. Wie würden sie sich verhalten?
Nachdem ich nun meine innere Ruhe wiedergewonnen hatte, erschien mir das Eindringen in ein fremdes Schiff nur noch abenteuerlich, aber nicht mehr als ein Unternehmen auf Leben und Tod.
Wenn der unter einem so harten Drogeneinfluß stehende Kommandant nur einen ungewollten Schaltfehler begangen hätte, wären wir nicht mit heiler Haut davongekommen.
Die Wasserspiele waren auf meine Bitte hin fortgesetzt worden. Die angeblich von meinen Zyklopen »erschossenen« Mitspieler waren auch wieder unauffällig erschienen. Tancanoc hatte mir mehrmals versichert, daß es keinem seiner Landsleute einfallen würde, nur ein Wort des Verrates auszusprechen.
Kiny Edwards hatte das Fest verlassen. Sie befand sich nahe der beiden orghschen Raumschiffe, in denen soeben die ersten Besatzungsmitglieder erwachten.
Das war eine Situation, die wir nicht hatten vorausberechnen können. Wer kannte schon die Verhaltens- und Reaktionsweise von Lebewesen dieser gefährlichen Gattung?
Orgh I und Orgh II hatten ihren Drogenrausch mittlerweile überwunden. Sie waren voll aufnahmefähig, verhielten sich zurückhaltend und klagten nicht einmal über Übelkeit.
Nur – ein Phänomen war eingetreten!
Es gelang mir trotz aller Bemühungen nicht mehr, ihren Bewußtseinsinhalt zu erfassen.
Ich hatte Hannibal angerufen und ihn um Unterstützung ersucht. Als wir zusammen einen Parablock bildeten und mit aller Gewalt in die Gehirne einzudringen versuchten, hatten wir gemeinschaftlich versagt.
»Sekundärblockade«, hatte mir der Kleine beunruhigt zugeflüstert. »Aufpassen! Das hat die Droge hervorgerufen. Wer will nun sagen, ob sie alles vergessen haben, oder ob sie sich an jede Einzelheit erinnern! Zum Teufel mit diesem Zeug. Was sagt Dr. Beschter?«
»Das gleiche. Er meint aber, der von uns gewünschte Effekt sei gerade wegen dieses Phänomens eingetreten. Ein totales Vergessen der Ereignisse während des Rauschzustandes wäre identisch mit unserer Diagnose.«
»Hoffentlich! Okay, ich stelle mich auf Kiny ein.«
Dr. Allison hielt sich ständig in meiner Nähe auf. Das Fest erreichte seinen Höhepunkt mit dem Zerplatzen der riesigen Wasserkugel. Sie zerfiel in Milliarden Tropfen, die zielstrebig gesteuert als Riesenkaskade in das Parkgelände niederrauschten.
Genau in diesem Augenblick griffen die beiden Orghs an!
Boris Petronko brüllte eine Warnung, die diesmal aber ernstgemeint war. Ausgerechnet Tancanoc und vier seiner bewaffneten Offiziere waren den beiden Hypnos zum Opfer gefallen.
Wegen des noch nicht abgeschlossenen Einsatzes und wegen der Gefahr, die unter Umständen von den wiedererwachenden Schiffsbesatzungen ausgehen konnte, trugen die fünf Yedocekoner ihre MA-Strahlpanzer. Die Schutzschirme waren voll aktiviert.
Sie griffen fast gleichzeitig, zu meinem Glück aber relativ zögernd, zu ihren Waffen.
Sie waren von den Orghs übernommen worden, obwohl sich die Energiepanzer als wirksam gegen hypnosuggestive Gewalten erwiesen hatten. Irgend etwas in den Gehirnen der beiden Orghs schien sich durch die Drogeneinwirkung verändert zu haben.
Entweder waren sie grenzenlos stärker geworden, oder sie verschickten ihre paramentalen Flutwellen plötzlich auf einer leicht veränderten 5-D-Frequenz, die in der Lage war, die Energiepanzer zu durchdringen.
»Vorsicht, Deckung!« brüllte Petronko. Gleichzeitig eröffnete er aus seinem schweren Paralysestrahler das Feuer auf die fünf yedocekonischen Offiziere.
Die Betäubungsstrahlen prallten wirkungslos an den Energiepanzern ab. Sie konnten nur mit Thermorakgeschossen durchschlagen werden, aber diese Projektile brachten unweigerlich den Tod.
Hannibal und die anderen Zyklopen meiner Leibwache schossen ebenfalls mit paralysierenden Waffen. Tancanoc und seine vier Freunde reagierten nicht darauf. Gewissermaßen im Zeitlupentempo zogen sie ihre Waffen aus den Gürteltaschen.
Tancanoc richtete die Mündung jener Thermorak auf mich, die ich ihm als Geschenk überreicht hatte.
Natürlich lag ich längst in der Deckung eines schönen, glattgeschliffenen Natursteines. Was konnte es mir aber nützen, wenn Tancanoc mit einer Thermonitalsalve auf mich schoß! Die anderen Offiziere trugen ohnehin marsianische Hochenergiestrahler.
»Großer …!« vernahm ich Hannibals Verzweiflungsschrei. »Großer, paß auf!«
Ich sprang auf. Nur knapp dreißig Meter entfernt saßen die beiden Hypnos wie steingewordene Statuen in ihren prunkvollen Sesseln. Sie rührten sich nicht. Sie dachten und befahlen nur. Sie rangen Tancanoc und dessen Leute nieder.
Niemand kam auf die richtige Idee – nicht einmal Dr. Allison, der total verkrampft rechts von mir stand und mit seiner GWA-Einsatzpistole auf die fünf Yedocekoner zielte. Damit hätte er sie töten können – oder töten müssen! Er hatte – wie angeordnet – Explosivgeschosse geladen.
Noch zögerte er. Auch Hannibal, gleichartig bewaffnet, schoß nicht. Wir konnten doch nicht fünf unschuldige Freunde töten! Das war ausgeschlossen.
Ich handelte wahrscheinlich instinktiv oder langer Erfahrung entsprechend. Krankheiten jeder Art kann man nur heilen, wenn man das Übel an der Wurzel packt.
Ich zog so blitzschnell, wie ich es in Tausenden von Übungsstunden auf der GWA-Akademie erlernt hatte. Meine Thermorak flog hoch. Ich zog durch, noch ehe ich im Ziel war. Ich »warf« die beiden Schüsse hinein und traf mit der unschlagbaren Sicherheit eines aktiven GWA-Schattens.
Meine Geschosse explodierten in den Oberkörpern der Orghs. Sie wurden aus ihren Sitzen gerissen und fielen zu Boden. Der Tod war schon eingetreten, ehe sie den Boden berührten.
Dann schrie ich nur noch Tancanocs Namen.
Er senkte seine Waffe, schaute mich fassungslos an und verstand!
Wenn ich noch eine halbe Sekunde gezögert hätte, die Quelle des Unheils zu beseitigen, hätte er entweder mich erschossen oder wir hätten ihn und seine Begleiter töten müssen.
»Traue nie einem Hypno«, sagte Hannibal erschöpft. »Nie, verstehst du! Okay, ich werde den Schiffsbesatzungen jetzt klarmachen, daß wir ihre Kommandanten erschossen haben, weil sie dich ermorden wollten. Das erklärt auch unseren Feuerüberfall auf die beiden Schiffe. Es war halt eine Bestrafungsaktion. Mit der Hinrichtung der beiden Übeltäter hatte Tumadschin Khan, seiner besonderen Vorliebe entsprechend, so lange gewartet, bis sämtliche Orghs zusehen konnten. Ich halte das für eine gute und logisch fundierte Erklärung. Einverstanden?«
Ich nickte nur. Ja, ich war einverstanden. Jetzt hatte ich also Allisons Forderung doch erfüllt!
Tancanoc umarmte mich.
»Freund«, flüsterte er rauh. »Freund, beinahe hätte ich Sie erschossen. Ich konnte nichts dafür.«
Wir gingen. Das Fest war zu Ende. Der Einsatz »Marsversorger ALPHA-VI« ebenfalls.
Wir hatten die Freundschaft eines großen und uns technisch weit überlegenen Volkes errungen. Das war sehr viel wert.
Ich nahm mir vor, alles zu tun, um diesen eben erst geknüpften Kontakt so zu vertiefen, daß es zwischen Yedocekonern und Menschen auf keinen Fall jemals zu Mißverständnissen kommen konnte.
Vorerst gab es für uns nur ein Ziel: die Beseitigung der von den Hypnos ausgehenden Gefahr.
ENDE