8.
Wir hatten alles erreicht, was wir uns vorgenommen und in einer überhasteten Planung vorbereitet hatten.
Nur eines war uns noch nicht gelungen: festzustellen, auf welchem galaktischen Positionspunkt wir das Heimatsystem der Orghs finden konnten!
Nur um mir dies ausdrücklich ans Herz zu legen und es nebenbei auch zu befehlen, hatte Lobral mit der »1418« starten müssen, um den Versuch zu wagen, das MV-ALPHA-System ebenfalls zu erreichen.
Wie mühe- und gefahrvoll das gewesen war, konnte ich mir vorstellen. Ich brauchte nur an unseren Flug mit der tausendfach größeren BAPURA zu denken, die im Verhältnis zu dem Kreuzer über wesentlich bessere Ortungsgeräte und Rechenautomaten verfügte. Lobral hatte eine Meisterleistung vollbracht, an der unsere wissenschaftlichen Koryphäen, Dr. Allison und Dr. Kenji Nishimura, tüchtig mitgewirkt hatten.
Es war alles gutgegangen. TECHNO hatte die Ankunft der Terraner akzeptiert, und Hannibal war es gelungen, diese Tatsache als zusätzlichen Psychofaktor in seine Reden über die großartige Toleranz des Erben des Mars, seiner Verklärtheit Tumadschin Khan, einzubauen.
Während Lobral unangefochten und von Begeisterungsstürmen der Yedocekoner umtost auf dem vierten Planeten gelandet war, hatten es über dreitausend Jägerbesatzungen gewagt, tief ins Innere ihres Sonnensystems vorzustoßen, mit der BAPURA Funkkontakt aufzunehmen und sich von deren Automatiken einsteuern zu lassen.
Zum Entsetzen der Hypnos, das Kiny und ich eindeutig orten konnten, waren diese dreitausend lichtschnellen Maschinen plötzlich wie ein Hornissenschwarm aufgetaucht. Ihre Besatzungen hatten sich in einer feierlichen Zeremonie meinem Befehl unterstellt und auf Anweisungen gewartet.
Um den Tatendrang der tapferen und wagemutigen Männer eines uns bislang fremden Volkes nicht enttäuschen zu müssen, hatte ich sie mit der Überwachung der orghschen Raumschiffe nach eigenem Dafürhalten beauftragt.
Mein Psychotrick, dessen ich mich heute noch schäme, hatte darin bestanden, die von den Hypnos ausgehende Gefahr maßlos zu übertreiben. Die yedocekonischen Piloten hatten sich geehrt gefühlt. Ab sofort wären sie für den Tumadschin Khan »durchs Feuer gegangen«, wie man im terranischen Volksmund sagt.
Tatsächlich hatten es die Orghs nicht unterlassen können, einen Paraüberfall auf die Jägerbesatzungen durchzuführen.
Etwa vierzig Yedocekoner waren trotz ihrer Hochenergiepanzer so nachhaltig übernommen worden, daß größeres Unheil nur durch das sofortige Eingreifen der anderen Besatzungsmitglieder an Bord des jeweiligen Jägers verhütet werden konnte.
Zum Glück hatten es die Orghs nicht geschafft, die Gesamtbesatzung einer Maschine gleichzeitig lahmzulegen. Was sonst geschehen wäre, wagte ich mir nicht auszumalen.
Der hypnosuggestive Überfall war von den Yedocekonern eindeutig erkannt worden, zumal ich sie vorher genau über den entsprechenden Effekt informiert hatte.
Anschließend hatte ich meinen ganzen Einfluß aufbieten müssen, um zu verhindern, daß die Jägerkommandanten das Feuer auf die Orghs eröffneten.
Die erfolgreiche Meldung der Jägerkommandeure war mittels Hyperfunk an die Großstationen von MV-Alpha IV angestrahlt worden. Ihr Aushaltevermögen wurde als Sieg gefeiert.
Sie, die seit Jahrzehntausenden in einem Irrglauben befangenen Männer, wurden zu Helden der Jahrtausende erklärt! Etwa vier Milliarden Yedocekoner bejubelten einen Sieg, den sie endlich durch eigene Entschlußkraft und eigene Initiative errungen hatten. Früher waren sie immer von den Marsianern und in den nachfolgenden Jahrzehntausenden von TECHNO gewissermaßen am Gängelband geführt worden.
Ich hatte ihnen dagegen volle Handlungsfreiheit nach eigenem Ermessen gewährt. Was das für dieses Volk bedeutete, können Sie sich vorstellen! Es war wie das Erwachen aus einem unendlich langen Opiumschlaf; ein Erwachen zur Selbständigkeit.
Ich konnte ihnen nachfühlen, was sie dabei bewegte. Sie waren stolz; sie waren glücklich und wie von einem Joch befreit.
In diesem Augenblick war es nicht nur mein heißer Wunsch, sondern auch der aller Besatzungsmitglieder der BAPURA, mit den Yedocekonern eine wahre und aufrichtige Völkerfreundschaft einzugehen.
Kurz nach der Landung auf dem Raumflughafen von Baahant sah es nun wirklich danach aus, als sollte dieser Wunsch schneller in Erfüllung gehen, als wir es uns jemals erträumt hatten.
Tancanoc hatte mich freudestrahlend begrüßt. Eine ungeheure Volksmasse war ungeachtet der Hitze, die den nachglühenden Triebwerken der BAPURA entströmte, bis zum Schiff vorgedrungen, um endlich diesen schon legendär gewordenen Tumadschin Khan begrüßen oder nur sehen zu dürfen.
Alle politischen und religiösen Spannungen, von denen die Intelligenzwesen des Planeten Yedocekon heimgesucht worden waren, hatte man in Sekundenschnelle vergessen.
Begeisterte Männer und Frauen hatten ebenfalls lachende, schwergepanzerte Soldaten einfach zur Seite gedrängt und die Absperrlinien durchbrochen. Keiner der Ordnungshüter hatte ein grobes Wort ausgesprochen, geschweige denn von einer Betäubungswaffe Gebrauch gemacht.
Und warum war das geschehen?
Weil Hannibal, dieser geniale Zwerg, es verstanden hatte, kleine menschliche und auch yedocekonische Schwächen von vornherein augenzwinkernd zu erwähnen. Er hatte versichert, Seine Verklärtheit, Tumadschin Khan, würde das vollkommen verstehen und folgerichtig auffassen, denn auch er wäre ein Terraner!
Der dadurch erzielte politische und militärische Erfolg war phänomenal. Ich kam immerhin mit einem Schiffsgiganten der Porcupa-Klasse an. TECHNO unterwarf sich meinem Befehl. Diese bislang verehrte seelenlose Robotgottheit beugte sich dem Erben der Marsianer. Mehr Erklärungen verlangten die Yedocekoner nicht; im Gegenteil – es war schon fast etwas zuviel der Toleranz.
Daran waren sie nicht gewohnt. Sie waren bessere Sklaven gewesen. Plötzlich wurden sie um Hilfe gebeten. Unvermittelt übertrug ihnen ein Fremder Handlungsvollmachten, die für sie unvorstellbar waren. Die Jägerbesatzungen hatten mit ihrem Gefechtsbericht mehr erreicht, als Hannibal mit zahlreichen schönen Reden.
Es war einfach überwältigend.
Die beiden Orghs waren von den Relaisstationen des Großroboters TECHNO in Fernsteuerung genommen und auf den dafür vorgesehenen Abstellplätzen gelandet worden. Einen hypnosuggestiven Überfall hatten sie nicht mehr unternommen.
Das war die derzeitige Situation!
Einige hundert Meter weiter bemerkte ich die vertrauten Konturen der »1418«. Lobral und seine Besatzungsmitglieder waren bereits an Bord der BAPURA gekommen.
Hannibal, Dr. Anne Burner, Professor Aich und alle anderen Personen, die ich mit dem Beiboot vorausgeschickt hatte, waren auch anwesend.
Hannibal trug seine Prunkkleidung als »Trantor of Talgan«. Die Psychologin lachte still vor sich hin. Allison riß Witze, und Professor Aich wischte sich ständig den Schweiß von der Stirn.
»Nun werden Sie wohl allmählich erscheinen müssen, Euer Verklärtheit«, meinte er ohne jede Ironie. »Lassen Sie sich möglichst nicht zerreißen. Die Leute sind außer sich. Aber vor Freude! Man liebt einen Fremden, den man niemals zuvor sah. Man war fassungslos, als man von den Jägerkommandanten hörte, dieser Fremde hätte ihnen die Entscheidungsfreiheit überlassen und ihnen zugetraut, sich ohne seine Hilfe gegen die Zwangsbevormundung der Hypnos zu behaupten. General Konnat – was das für diese Leute bedeutet, können Sie sich nicht vorstellen, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen. Das ist ein Fall der absoluten Superlative.«
Mein Lachen klang heiser. Meine Kehle war wie ausgedörrt.
»Wir kommen als Nichtskönner und werden umjubelt. Unvorstellbar!« fügte er noch hinzu.
Ich suchte krampfhaft nach Ausreden, um meinen Auftritt noch etwas hinauszuzögern. Die Hypnos an der Nase herumzuführen – das war dagegen eine Kleinigkeit. Wie sollte ich mich verhalten?
Ich fühlte plötzlich einen äußerst schmerzhaften Druck an meiner linken Schulter. Die Hand eines Titanen schien sie umfaßt zu haben. Ich drehte den Kopf.
Tancanoc stand hinter mir. Er ahnte nicht, daß er mir weh tat. Ich verzog auch keine Miene.
»Freund«, sagte er mit tiefer Stimme in seinem mittlerweile gut verständlichen Englisch, »ich weiß, was Sie bewegt. Ich bin auf dieser Welt der einzige Yedocekoner, der die technischen Schwierigkeiten Ihres terranischen Volkes kennt. Kein Wort darüber ist über meine Lippen gekommen. Bis zu meiner Ankunft auf MV-ALPHA-VI war ich noch argwöhnisch. Jetzt bin ich es nicht mehr. Ich fühle, daß innere Zweifel Sie plagen. Das ist nicht gut; nicht gut für Sie und nicht gut für uns. Sie müssen Tumadschin Khan sein. Verstehen Sie, was ich damit meine?«
Ich nickte bedrückt. Tancanoc trug wieder die dunkelrote Uniformkombination mit der silbern strahlenden Sonne auf dem Brustteil. Um zwei Köpfe kleiner als ich, aber wesentlich breiter in den Schultern, bildeten wir beiden Vertreter von zwei völlig verschiedenartigen galaktischen Völkern einen seltsamen Kontrast.
»Es fällt mir schwer, Tancanoc. Ich betrüge nicht gern. Ihr Volk benimmt sich so großartig und entgegenkommend, daß ich mich meiner Lügenrolle schäme.«
Er hob den Kopf, so daß ich seine tiefliegenden Augen unter der mächtigen Schädelvorwölbung sehen konnte.
»Nein, tun Sie es nicht. Sie dürfen es nicht einmal, selbst wenn Sie es wirklich wollten! Ob Lüge oder nicht – nur Ihr Erscheinen mit den entsprechenden Vorzeichen und Argumenten kann meinem Volk den Frieden bringen. Sie müssen weiterspielen, Freund.«
»Freund?« wiederholte ich bewegt. »Halten Sie mich dieses hohen Begriffes für würdig?«
»Ja. Darf ich Sie so nennen?«
Ich reichte ihm unvorsichtigerweise die Hand. Er drückte zu. Als ich stöhnend in die Knie ging, erinnerte er sich an seine schwerkraftangepaßten Kräfte. Er entschuldigte sich bestürzt. Ich winkte ab.
»Tancanoc, ich bitte um Ihre Hilfe. Begleiten Sie mich. Lassen Sie mich keine Sekunde aus den Augen. Mit Feinden werde ich jederzeit fertig, nicht aber mit Intelligenzwesen, denen das Herz auf der Zunge liegt. Korrigieren Sie mich, wenn ich Fehler machen sollte.«
Wir gingen. Ich trug die Prunkkleidung Erster Klasse. In der linken Hand hielt ich jenes Päckchen, das mir Captain Philip Botcher im letzten Augenblick überreicht hatte. Schon wieder ein unschöner Psychogag!
Kenonewe hatte die Tore der riesigen Lastenschleuse öffnen lassen. Eine Plattform aus MA-Metall hatte sich ins Freie geschoben und abgesenkt, bis sie den Boden berührte. Anne Burner war der Meinung gewesen, mein Erscheinen in der kleinen Polschleuse der unteren Schiffsrundung wäre viel zu unauffällig gewesen.
Das überaus grelle Licht einer Riesensonne stach in meine Augen. Ich konnte kaum etwas sehen. Kein Wunder, daß die Yedocekoner von Natur aus tiefliegende Augen besaßen.
Ich tastete nach Tancanocs Hand und fand sie. Er drückte behutsam zu. Trotzdem war es noch schmerzhaft.
»Haltung, Großer!« vernahm ich Hannibals telepathische Stimme. »Wir sind alle bei dir. Tancanoc ist ein echter Freund. Der würde sich für dich in Stücke reißen lassen. Oh – das habe ich beinahe vergessen! Tancanoc wurde zum Oberbefehlshaber aller yedocekonischen Streitkräfte ernannt. Er ist ›Held der Geschichte‹ geworden und damit automatisch der höchste Technooffizier. Man hat sich ihm bereitwillig unterstellt. Ein Wort von ihm – und drei Millionen Mann gehorchen. So sind diese Leute nun einmal veranlagt. Ich übertreibe nicht!«
Für diese Information war ich dankbar. Ich wollte antworten, aber das aufbrandende Geräusch hinderte mich daran. Es war wie ein beginnender Sturmwind, der sich rasch zum Tosen eines Taifuns steigert.
Wohin ich auch blickte – ich sah nichts, was den Erzeugnissen irgendwelcher Techniken geglichen hätte! Jeder noch so kleine Fleck des riesigen Raumflughafens war von Yedocekonern bedeckt. Zwischen ihnen erkannte ich die leuchtenden Energiepanzer der Soldaten. Sie waren mitgerissen worden.
Meine innere Scham verging. Mich erfüllte nur noch Freude.
Sind Sie schon einmal von so vielen Intelligenzwesen derart offenen Herzens begrüßt worden? Ich glaube nicht.
Es mußten Millionen sein, die sich hier vor der Großstadt Baahant eingefunden hatten. Über zehn Stunden hatten sie gewartet. Als sie noch nicht genau wußten, weshalb sich die Ankunft der BAPURA so lange verzögerte, waren sie unruhig geworden.
Als aber die dreitausend Jäger in den Raum gerast waren, als man erfuhr, daß ich yedocekonische Männer um Hilfe gebeten hatte, hatte man klaglos stundenlang in der glühenden Sonnenhitze ausgeharrt.
Ich erhob die Hand und winkte. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Dann winkte ich mit beiden Händen, die Arme hoch über den Kopf gereckt. Das Brausen der Stimmen wurde zu einem unwirklichen Tosen.
Als ich mir nicht mehr zu helfen wußte, überreichte ich Tancanoc das von Philip Botcher vorbereitete Päckchen. Ich wußte nicht, was darin verborgen war. Meine Worte an Tancanoc gingen in der Geräuschkulisse unter.
Er, der kluge Mann, begriff meine Lage. Sofort trat er etwas vor und riß die Packfolie derart demonstrativ auf, daß es plötzlich ruhiger wurde. Dann trat absolute Stille ein. Mir wurde unheimlich. Was, um alles in der Welt, hatte sich Botcher diesmal ausgedacht?
Ich sah ein luxuriöses Etui. Tancanoc klappte es auf. Ich erblickte eine kostbar gearbeitete Thermorakpistole aus den Spezialwerkstätten der GWA.
Das war von Botcher und unseren Psychologen eine niederträchtige Ausnutzung der Situation – wenigstens nach meinem Gefühl. Wenn man dem Oberbefehlshaber einer befreundeten Macht eine Waffe schenkt, die erwiesenermaßen Energieschutzpanzer durchschlägt, dann konnte das nicht mehr sein als ein wohlberechneter Trick.
Tancanoc dachte jedoch anders. Er stieß einen gutturalen Schrei aus, riß die Thermorak aus dem Etui und hielt sie mit beiden Händen hoch.
Jeder Yedocekoner wußte unterdessen, was diese Waffen bedeuteten. Sie hatten von dem »göttlichen« TECHNO und den gefangenen Robotwächtern von der grauenhaften Wirkung gehört. Und nun schenkte Tumadschin Khan ihrem höchsten Offizier eine solche Waffe, die alle Yedocekoner in totaler Verkennung der Sachlage für die modernste Konstruktion des Zweiten Reiches hielten! Mehr noch: Man mußte annehmen, daß Tancanoc von nun an in der Lage war, meinen Schutzschirm zu durchschießen und mich zu töten – wenn er wollte!
Der erneut ausbrechende Freudentaumel war kaum noch zu ertragen. Ich rief Kiny auf telepathischer Ebene an.
»Teile Botcher in meinem Namen, und zwar wörtlich mit, ich hielte ihn für ein niederträchtig handelndes Individuum! Das wäre nach einer solchen Begrüßung nicht mehr notwendig gewesen. Wir hatten schon alles erreicht.«
»Sir, die Idee stammt nicht von Botcher, sondern von General Reling! Die Waffe ist erst mit der ›1418‹ angekommen. Es tut mir leid, Thor. Ich – ich kann das gar nicht mehr sehen und hören. Wenn man Feinde täuscht – in Ordnung! Nicht aber Freunde wie diese Menschen hier; ich meine Yedocekoner.«
Anschließend wurde Tancanoc von Botcher noch ein prachtvoll gearbeiteter Waffengürtel mit offenem Halfter und einer angehängten Tasche für zwei Reservemagazine überreicht. Eine Kiste Munition mit fünfhundert Schuß folgte.
Jedes Detail wurde von den fliegenden und ferngesteuerten Fernsehkameras genau aufgenommen. Vier Milliarden Yedocekoner sahen die Zeremonie.
Mir war klar, daß auf Grund der Mentalität dieses Volkes die Waffe eine besondere Stellung einnahm. Man sah in ihr in erster Linie das Symbol für ein uneingeschränktes Vertrauen, das man ihnen entgegenbrachte.
So ungefähr beurteilte ich die Situation, der sogar ein so hochgebildeter Mann wie Tancanoc unterlag. Der Teufel sollte die Psychologen der GWA holen!