7.
Ich bluffte wie selten zuvor. Ich gab mich gelassener als damals, als Hannibal und ich im sibirischen Urwald von den zur Erkundung der Erde gelandeten Orghs gefaßt worden waren.
»Tumadschin Khan spricht, Herrscher über das Zweite Reich. Ich befinde mich in diesem Sonnensystem, um einem mir ergebenen Volk einen Besuch abzustatten.
Ihr hypnosuggestiver Überfall war zwecklos und wird es bleiben. Ich vernichte Sie gnadenlos, wenn Sie nicht augenblicklich meinen Befehlen gehorchen. Sie haben Fahrt aufzunehmen, den vierten Planeten anzufliegen und dort nach den Anweisungen meiner Abwehrroboter zu landen. Sollten Sie versuchen, Ihre Parakräfte gegen die in mein Reich eingegliederten Planetarier einzusetzen, mit dem Ziel, sie gegen mich aufzuwiegeln, werden Sie sterben. Ich möchte Sie sofort sehen. Schalten Sie um auf Bildsendung. Halt – noch nicht! Um Ihnen zu beweisen, wie genau ich Sie kenne, erteile ich Ihnen vorher eine zweite Lektion, indem ich Ihnen Ihre Körperform und die Bedeutung Ihres Zentralorgans schildere.«
Der Moolo stieß ein drohendes Brüllen aus und hieb mit der Tatze nach einem zurückweichenden Zyklopen. Das mußte man drüben beobachten.
Ich stieß einen scharfen Ruf aus. Der Moolo kroch langsam auf mich zu und blieb knurrend vor meinem Podest liegen.
Schließlich zählte ich den Orghs einige Dinge auf, über die wir genau informiert waren.
Als zwei oder drei, anscheinend gegen den Befehl ihres Kommandanten, nochmals ihr Glück mit einer parasuggestiven Beeinflussung versuchten, setzte ich alles auf eine Karte.
»Sie haben soeben versucht, mich, den mächtigsten Herrscher in der bekannten Galaxis, hypnosuggestiv zu beeinflussen. Sie sind doch krasse Logiker, nicht wahr? Ich verlange die sofortige Bestrafung der Schuldigen vor Ihren Aufnahmegeräten. Das möchte ich sehen! Captain Listerman – wenn sich die Orghs nicht innerhalb einer Minute, wie von mir angeordnet, melden, Feuer frei. Beide Schiffe vernichten.«
Scheuning sah mich fassungslos an, während Kenonewe beschwörend hüstelte.
»Sie werden staunen, Sir. Sie tun es!« lachte Kiny auf telepathischer Ebene. »Ihre Ansprache hat hingehauen!«
Eine halbe Minute später blendeten zwei Riesenbildschirme der Zenitgalerie auf. Ein Orgh erschien.
Zuerst gewahrte ich sein typisches Zentralorgan; ein schillerndes Riesenauge, das die gesamte Gesichtsfläche bedeckte. Das Wesen war vierarmig, hochgewachsen und führte seinen Ursprung eindeutig auf eine Echsenrasse zurück. Die kräftigen, hohen Laufbeine wiesen darauf hin, daß die frühen Vorfahren dieser Intelligenzen vor der Entwicklung der Paragaben ihre Überlebenschancen in der raschen Flucht vor stärkeren Feinden gefunden hatten. Die Beine besaßen überdies ein Zwischengelenk mehr als menschliche Gehwerkzeuge.
Der Fremde trug eine dunkelgelbe Uniformkombination mit unidentifizierbaren Rangabzeichen.
Ich musterte ihn interesselos, fast gelangweilt.
»Sind Sie der Kommandeur dieser Patrouille?«
Aus den Übersetzungsgeräten der BAPURA drang das schrille Pfeifen einer für uns völlig unverständlichen Sprache. Das Riesenorgan der Orghs besorgte gleichzeitig die Lautbildung.
»Aufhören«, unterbrach ich schroff. »Ich nenne Sie Orgh I. Wenn Sie mit diesem Begriff angesprochen werden, haben Sie sofort zu reagieren. Sie haben meinen Befehl vernommen. Ich gebe Ihnen eine letzte Frist von zehn Minuten meiner Zeit. Fahrt aufnehmen und auf der vierten Welt landen. Wo sind die drei Attentäter, die mich übernehmen wollten?«
Ich wußte unterdessen von Kiny, daß es genau drei Orghs gewesen waren. Der fremde Kommandeur war derart verwirrt und demoralisiert, daß er nach Worten suchte. Er schien die für ihn nachteilige Situation mit dem besten Willen nicht begreifen zu können.
Endlich konnte ich ihn mit Hilfe der marsianischen Translatoren verstehen. Er gab noch nicht auf. Seine Verhaltensweise war nicht ungeschickt, aber wir erkannten trotzdem klar, daß er unsere Überlegenheit in voller Konsequenz erfaßt hatte.
»Ich bin nur aus wissenschaftlicher Neugierde in Ihr Heimatsystem eingeflogen. Starke Energiefronten erweckten meine Aufmerksamkeit, Tumadschin Khan.«
»Sie haben den Herrscher mit ›Euer Verklärtheit‹ anzureden, Orgh I«, rief Scheuning dazwischen. Er stand auf der untersten Stufe meiner Konsole.
»Ich verstehe, Euer Verklärtheit«, entgegnete der Fremde.
Ich lachte und hieb mit der Peitsche nach einem Blauen Zwerg von Bawala V. Das Kugelkopfwesen zog sich wimmernd zurück.
»Sie irren sich, Orgh! Das ist nicht mein Heimatsystem, oder Sie wären von mindestens zehntausend Kampfschiffen dieser Art aufgehalten worden. Weshalb Sie hier eingeflogen sind, ist mir gleichgültig. Die mir untergebenen Planetarier haben mit einem neuen Transmitter experimentiert. Das haben Sie angemessen. Es steht Ihnen nicht zu, sich in die Angelegenheiten einer kosmischen Großmacht einzumischen.«
»Ich glaube Ihnen«, kam die Antwort. »Erlauben Sie mir den Abflug. Ich werde erwartet.«
Ich richtete mich langsam aus meinem Sessel auf. Ob der Fremde meinen Gesichtsausdruck deuten konnte, wußte ich nicht. Freundlich schaute ich jedenfalls nicht in die Aufnahmen.
»Listerman, Feuer.«
Ein leichter Zwillingsturm der BAPURA brüllte auf. Das orghsche Schiff, auf dem sich nach Kinys Spionage der Kommandeur nicht aufhielt, bekam nur zwei Treffer in den wiederaufgebauten Energieschirm. Er flammte dennoch auf. Das Schiff wurde durch den Raum gewirbelt.
Diese Verhandlungsmethode war hart. Ich hätte sie niemals angewendet, wenn ich nicht genau gewußt hätte, welche gnadenlosen Lebewesen die Fremden waren.
Sie hatten in ihrer gesamten Evolution nur einen Faktor respektiert: Das Recht und die Macht des Stärkeren. Ein Gefühlsleben in unserem Sinne kannten sie nicht. Toleranz oder Mitleid waren ihnen fremd. Sie töteten ihre eigenen Artgenossen, wenn sie infolge Alter oder Krankheit nicht mehr nutzbringend erschienen. Aus diesem Wissen heraus mußte ich hart, kompromißlos und herrschsüchtig handeln, wie es ihnen selbstverständlich war.
Der auf dem Bildschirm sichtbare Orgh drehte sich um und stieß einige schrille Laute aus.
Das Bild vergrößerte sich. Mehrere Hypnos in Raumanzügen mit Panzerringen über den relativ dünnen und schwächlich aussehenden Armen wurden erkennbar. Zwischen ihnen schritten mit dem eigentümlich schwankend anmutenden Gang drei andere Orghs.
»Das sind die drei, die uns nachträglich beeinflussen wollten«, meldete Kiny hastig.
Der Kommandeur wandte sich an mich.
»Ich habe verstanden, Euer Verklärtheit. Selbstverständlich werde ich Ihrem Wunsch …!«
»… meinem Befehl!« unterbrach ich.
»… Ihrem Befehl nach Bestrafung der Täter nachkommen. Ich bitte um Beachtung der Vorgänge.«
Ich hörte Petronko aufstöhnen. Das Geräusch wurde von seiner Kopfhülle verstärkt abgestrahlt.
Die gepanzerten Orghs erhoben pistolenähnliche Waffen und lösten sie aus. Die drei Ungehorsamen flammten auf und veraschten, noch ehe die Körper den Boden berühren konnten.
Ich schluckte krampfhaft. Das hatte ich nicht gewollt! Aber ich hätte daran denken müssen, wie diese Intelligenzen reagierten; ich hätte es mir denken können! Niemals hätte ich eine Bestrafung fordern dürfen.
»Ruhe, Ruhe bewahren«, warnte Scheuning eindringlich. »Drücken Sie dreimal auf Ihren Schalter. Der Schutzschirm entsteht gleich wieder.«
Ich befolgte den Rat wie im Traum und bemühte mich gleichzeitig, die in mir tobenden Gefühle nicht zu zeigen.
Auf den Gesichtern der anwesenden Männer spiegelte sich Unglaube und Haß wider. Ich durfte jetzt nicht aus der Rolle fallen.
»Orgh I, ich akzeptiere Ihre Handlung. Um weiteren Vorkommnissen dieser Art vorzubeugen, gestatte ich Ihnen nochmals den Versuch zu unternehmen, mich und meine Mannschaft hypnosuggestiv zu beeinflussen. Diesmal dürfen Sie uns sogar dabei beobachten. Fangen Sie an.«
Auf die Erlaubnis schien er nur gewartet zu haben. Natürlich hatte er ohnehin noch einen Test durchführen wollen.
Wir hielten den Parafluten auch diesmal stand. Ich lachte. Scheuning klatschte in die Hände, und das Moolo-Ungeheuer brüllte gegen die Bildaufnahme. Es dachte aber nicht daran, mich anzuspringen und zu töten, wie es ihm befohlen worden war. Die beiden Panolis trugen natürlich ebenfalls Antitronhelme.
»Genug des Spiels«, sprach ich scharf in die Aufnahmespirale. »Ich kenne Ihre Art. Sie kennen mich unterdessen auch. Ich habe kürzlich drei Raumschiffe Ihres Volkes empfangen. Eines davon mußte ich wegen Ungehorsamkeit seiner Besatzung abschießen lassen. Sind Sie darüber noch nicht unterrichtet?«
»Nein, Euer Verklärtheit!« lautete die völlig verzweifelte Antwort.
»Dann bin ich geneigt, Ihre Handlungsweise zu entschuldigen. Wie lange sind Sie bereits unterwegs?«
»Sehr lange.«
»Ich glaube Ihnen. Andernfalls müßten Sie über mich informiert sein. Ihr Volk ist erstmals auf eine galaktische Großmacht gestoßen, die sich nicht von Ihren paramentalen Gaben beeinflussen läßt. Sie werden – wie befohlen – auf meinem Kolonialplaneten landen und dort abwarten, bis ich meine Staatsgeschäfte erledigt habe. Anschließend fliegen Sie zusammen mit mir zu Ihrem Heimatsystem. Es erscheint mir an der Zeit, der Masse Ihres Volkes zu beweisen, wie unschätzbar wertvoll die Freundschaft des Tumadschin Khan ist. Wenn Sie mich nicht in der von mir gewünschten Form respektieren, werde ich Sie vernichten. Haben Sie mich eindeutig und klar verstanden?«
Er zögerte mit der Antwort. Ich riskierte es, meinen Mentalblock zu öffnen und mit meinen Parasinnen nach seinem Bewußtseinsinhalt zu tasten. Kiny bemerkte es. Sie wies mich auf die typische Hirnwellenfrequenz des Kommandeurs ein, so daß ich ihn leicht aus der Masse seiner Begleiter herausfand.
Er dachte an Selbstmord! Er war seelisch zusammengebrochen und sah keinen anderen Ausweg mehr.
»Sie sind seit mindestens einem Jahr unterwegs, Sir«, teilte mir Kiny mit. »Das stimmt also. Bitte, Thor, ziehen Sie sich zurück. Es genügt, wenn ich spioniere. Ich halte jeden Eindruck per Geisterschreiber fest.«
Ich befolgte ihren Rat.
Der Geisterschreiber war ein Gerät, das speziell für die Telepathen von Henderwon-Island entwickelt worden war. Es zeichnete unsere gedachten Nachrichten in symbolisierter Form auf. Nach der Entschlüsselung in einer Spezialpositronik kam der Klartext zum Vorschein.
Ich mußte schnellstens etwas unternehmen, ehe der orghsche Kommandeur eine Verzweiflungstat beging. Deshalb rief ich ihn an.
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Befolgen Sie meine Anweisungen. Übrigens« – ich lachte – »wenn Sie glauben sollten, ich wäre auf Ihre Angaben bezüglich der kosmischen Position Ihres Heimatsystem angewiesen, so irren Sie. Die Daten sind bereits in über hunderttausend Steuerpositroniken meiner Offensivflotte eingespeist worden. Ich will nichts von Ihnen! Sie haben lediglich zu warten. Haben Sie verstanden, Orgh I?«
»Verstanden, Euer Verklärtheit«, entgegnete er gebrochen. »Ich werde Ihre Anweisungen befolgen. Soll ich voranfliegen?«
»Ja. Die Position des vierten Planeten werden Sie wohl selbst ausfindig machen können. Verhalten Sie sich vernünftig, dann geschieht Ihnen nichts. Unter Umständen dürfte es Ihrer gesellschaftlichen Position nichts schaden, wenn Sie zusammen mit mir zu Hause ankommen. Nicht jeder Orgh genießt die unverdiente Ehre, einmal in seinem Leben mit Tumadschin Khan persönlich sprechen zu dürfen. Wenn Sie geschickt sind, wird man Sie belobigen. Vielleicht entschließe ich mich auch, Sie als Verbindungsoffizier zwischen meinem galaktischen Nachrichtenstab und Ihrer Regierung vorzuschlagen. Genügt Ihnen das?«
»Vollauf, Euer Verklärtheit«, übersetzte der Translator. »Darf ich Fahrt aufnehmen?«
»Ja. Und – unterlassen Sie parapsychische Überfälle. Einige meiner Offiziere reagieren darauf sehr unmutig.«
Ich schaltete lachend ab. Dann saß ich schweißüberströmt in meinem Sessel und verfluchte die Automatik, die wieder den Schutzschirm über die Schaltkonsole legte.
»Professor Scheuning, wenn Sie mir nicht bald das verflixte Ding vom Halse schaffen, schlage ich mit Petronkos Urmenschenaxt hinein«, sagte ich erbost. »Das muß sich doch abstellen lassen.«
»Ihnen traue ich allmählich alles zu«, behauptete der Wissenschaftler. »Übrigens – ich habe schon manchen Hochstapler kennengelernt, aber Ihre Fähigkeiten sind in dieser Beziehung phänomenal.«
Die Orghs nahmen Fahrt auf. Sehr vorsichtig und genau dosiert! Ihre Schutzschirme bauten sie nicht mehr auf. Es schien alles in bester Ordnung zu sein.
Als ich gerade befreit aufatmen und eine witzige Bemerkung machen wollte, meldete sich Ertrol. In seiner Stimme schwang Resignation.
»Tut mir leid, Sir, die Siegesstimmung unterbrechen zu müssen. TECHNO hängt in meiner Leitung. Was denken Sie, was an den Grenzen dieses Sonnensystems los ist?«
»Machen Sie mich nicht wahnsinnig«, stöhnte ich.
»Keine Versprechungen, Chef. Ich bin es schon fast. TECHNO behauptet, ein Raumschiff des Mars nähere sich mit hoher Fahrt. Außerdem würde es die richtigen Kodesignale abstrahlen. Tja – das ist eigentlich alles, Sir.«
Richtig waren die Kodesignale auf keinen Fall, wenigstens nicht für TECHNOs Begriffe.
Die Signale waren so richtig oder falsch wie jene, die wir beim Einflug in das MV-ALPHA-System ebenfalls abgestrahlt hatten.
Ich traute weder Augen noch Ohren. Nur wenige Sekunden nach der Meldung des Riesenroboters hatte die überlichtschnell arbeitende Fernortung der BAPURA ebenfalls angesprochen.
Auf meiner Hauptschaltkonsole war ein orangefarbenes Licht aufgeflackert. Es flackerte immer noch. Außerdem kamen Werte über Werte durch, mit denen ich trotz meines erwachten Wissens über viele Dinge innerhalb dieses Riesenschiffes nichts anfangen konnte.
Mein erhöhter Sitz wurde von den Bordwissenschaftlern umlagert. Die Diskussion war heftig und zeugte so eindeutig von unserem Nichtwissen, daß die Hypnos, wenn sie es hätten hören können, eine völlig andere Meinung über die »Macht« des Tumadschin Khan gewonnen hätten.
Fünf Mann – zwanzig Meinungen; in etwa stimmte diese Verhältnisangabe.
Scheuning stritt sich mit el Haifara; Beschter und Gargunsa beurteilten die Angelegenheit von der paraphysikalischen Seite her, und die Mediziner, Samy Kulot an der Spitze, vertraten wieder eine andere Auffassung.
Mitten in dieses Getümmel hinein platzte TECHNO mit seiner Drohung, das geortete Raumfahrzeug zu vernichten, denn es befände sich niemand mit dem Intelligenzquotienten von über fünfzig NOQ an Bord.
Noch schlimmer war der für mich niederschmetternde Gedanke, daß die Hypnos den Funkverkehr mit TECHNO wahrscheinlich abhörten. Welche Schlüsse sie daraus zogen, war mir im Augenblick ziemlich unklar.
Also unternahm ich vorerst alles, um wenigstens den Großroboter von MV-ALPHA-VI zum Schweigen zu bringen.
»Einfliegen lassen, beobachten, Kurs berechnen und notfalls per Energiebarriere aufhalten«, ordnete ich an.
TECHNO gehorchte, aber nicht, ohne mich vorher abermals darauf aufmerksam zu machen, daß ich die volle Verantwortung zu tragen hätte.
Die Orghs flogen mit steigender Fahrt vor uns her. Schön in »Kiellinie« wie sich Listerman sarkastisch ausdrückte.
Als mir die Angelegenheit über den Kopf zu wachsen drohte, brüllte ich die Diskutierenden im wahrsten Sinne des Wortes nieder und erreichte damit, daß wenigstens Ruhe eintrat.
»Zum Donnerwetter, beherrschen Sie sich doch!« rief ich zornig. »Was soll der Unfug? Begeben Sie sich gefälligst auf Ihre Gefechtspositionen, meine Herren! Sie haben wohl vergessen, wer vor uns herfliegt? Nein, el Haifara – ich will Ihre geschätzte Meinung jetzt nicht hören. Verschwinden Sie hinter Ihrem Steuerpult. Oder meinen Sie etwa, das würde von selbst zu rechnen beginnen?«
Ausgerechnet in diesem Augenblick rief mich Kiny an. Dringender Kontakt mit Hannibal, sagte sie. Ob ich persönlich übernehmen wollte?
Ja, ich wollte. Nach einigen Augenblicken hatte ich mich so konzentriert, daß ich Hannibals Telepathiesendung verstehen konnte.
Weit entfernt, wie durch Watte hindurch, vernahm ich Petronkos Stimme. Er hatte die Kopfmaske zurückgeklappt und beförderte einige hartnäckige Wissenschaftler ziemlich unsanft auf ihre Plätze.
»Ich höre, Kleiner. Was ist auf Yedocekon los?«
»Wenn ihr nicht bald ankommt, eine bessere Hölle«, erklärte er schroff. »Wie lange soll ich die Massen noch auf deine hochgeschätzte Ankunft vorbereiten? Sie stehen jetzt mehr als zweieinhalb Stunden auf dem Raumhafen von Baahant und starren Löcher in die Luft. Tancanoc wird auch unruhig. Hier sind mindestens zehn Divisionen à zwanzigtausend Mann aufmarschiert; Eliteeinheiten, wie mir Tancanoc sagt. Schwere bis schwerste Bewaffnung, alles marsianische Geräte. Zirka zweitausend zwei- bis dreisitzige Abfangjäger der Luft- und Raumwaffe, alle raumflugtauglich, lichtschnell und mit Atomwaffen gespickt wie ein Hasenrücken mit Speck, heulen durch die Gegend. Und ihr? Wo bleibt ihr? Ich habe durch meine Reden einen solchen Begeisterungstaumel hervorgerufen, daß ich die Leute einfach nicht länger hinhalten kann. TECHNO schickt dauernd neue Robotereinheiten. Vor einigen Augenblicken hat er sogar die schweren MA-Stahlkuppeln der Bodenabwehr ausfahren lassen. Feuerklar, mein Lieber! Die Kanonenmündungen flimmern verdächtig dunkelrot. Was ist denn jetzt schon wieder in diesen positronischen Neun-zehntel-Idioten gefahren? Auf wen will er denn schießen? Letzte Frage: Hast du die beiden Hypnos fest im Griff? Wenn ja, was soll ich tun?«
»Deinen Verstand einsetzen, sonst nichts«, antwortete ich telepathisch. »Sofort eine neue Ansprache halten.«
»Was? Weißt du, was du mich mal …!«
»Das ist ein Befehl, Major Utan«, unterbrach ich. »Mach es mir nicht zu schwer. Ich habe genug Schwierigkeiten. Ja, die Hypnos haben wir. Was sagtest du? Die Yedocekoner befinden sich in einem Begeisterungstaumel? Okay, nütze die Situation gefälligst aus. Berichte vordringlich den Soldaten, daß ihre Energieschutzpanzer die Parakräfte der Hypnos zwar nicht vollständig absorbieren, aber jeder gesunde und kräftige Mann von heldenhaftem Gemüt anstandslos in der Lage ist, die durchschlagende Para-Restenergie zu überwinden. Beauftrage die Offiziere, ihre Männer dahingehend zu informieren. Sie sollen sich auf einen Paraüberfall gefaßt machen. Der kommt nämlich, verlaß dich darauf! Dieser orghsche Kommandeur hat noch nicht endgültig kapituliert. Wenn er auf seinen Bildschirmen die schwerbewaffneten Kriegermassen sieht, wittert er eine Chance.«
»Aha! Du bist ein gerissener Hundesohn.«
»Über diese Beleidigung reden wir noch, Zwerg«, drohte ich.
»Huch, wie in alten Zeiten. Du scheint wieder normal zu werden, oder?«
»Ich habe mich nicht für anomal gehalten. Wir landen in etwa drei Stunden. Schneller geht es nicht. Ich habe den Orghs befohlen, nicht zu schnell zu beschleunigen. Noch etwas: Wenn die yedocekonischen Abfangjäger so raumflugtauglich sind, wie du meinst, dann schicke mir tausend, besser zweitausend als Eskorte entgegen. Rede den Piloten ein, ich würde sie dringend brauchen. Diese Aufgabenstellung bringt Ruhe und Verantwortungsbewußtsein in die Streitkräfte des Planeten. Ich kümmere mich in der Zeit um das geortete Marsschiff. Bist du bereits informiert?«
»Kiny sagte so etwas. Wer kann das sein?«
»Keine Ahnung. Hoffentlich kein robotgelenkter Raumer, der von irgendeiner wildgewordenen Relaisstation mit dem Schutz des sechsten Planeten beauftragt wurde. Bei der marsianischen Befehlsdezentralisierung ist alles möglich. Also, beruhige die Leute.«
»Ich werde ihnen den Bauch pinseln. Okay, Ende.«
Kiny lachte auf Paraebene. Ich blockte mich schleunigst ab. In der Hauptzentrale stritt man sich immer noch.
Ich machte dem Treiben ein Ende.
»Ortungs- und Funkzentrale, melden!« brüllte ich so laut, daß die Energielautsprecher zu bersten drohten. Das war wenigstens mein Eindruck.
»Noch bin ich nicht taub, Sir«, meldete sich Ertrol. »Anweisungen?«
»Ja! Peilen Sie das unbekannte Marsschiff, vorausgesetzt es ist überhaupt eins, so genau wie möglich ein und rufen Sie es auf der marsianischen Flotten-Hyperfrequenz an. Letzten Kode des Admirals Saghon verwenden. Den wird man drüben entschlüsseln können. Anfragen, wer man ist und was man will. Tempo, Ertrol. Schlafen Sie nicht ein. Und passen Sie mir nebenbei auf die Orghs auf.«
»Das mache ich schon, Sir«, meldete sich Listerman. »Meine Feuerleitortung ist zuverlässig. Wenn die Hypnos zuviel Fahrt aufnehmen, bekommen sie einen Warnschuß über die Köpfe hinweg.«
»Tun Sie das. Fragen Sie aber nicht wegen jeder Kleinigkeit zurück. Sie haben für diesen Fall Handlungsvollmacht.«
»Wegen jeder Kleinigkeit?« rief mir Professor Scheuning zornrot zu. Er schien sehr erregt zu sein. »Herr General, wenn Sie diese Situation als Kleinigkeit …!«
Ich schaltete seine Sprechanlage ab. Jetzt reichte es!
Ich bat nochmals um Ruhe. Als sich niemand danach richtete, schaltete ich die gesamte BzB-Anlage ab, mit Ausnahme der lebenswichtigen Stationen.
Eine knappe Minute später traute ich meinen Sinnesorganen schon wieder nicht! Zuerst fing Ertrol an zu lachen wie ein Irrsinniger. Dann schrie er dreimal hintereinander: »Das gibt es doch nicht!«
Als ich die Ursache seiner seltsamen Heiterkeit endlich erkannte, mußte ich mich beherrschen, um nicht ähnlich zu reagieren.
Auf einem Bildschirm der Zenitgalerie erschien das Gesicht eines Mannes, den ich sehr gut kannte.
Er trug nicht nur die Uniform des GWA-Raumkorps, sondern überdies die Rangabzeichen eines Captains.
»Gott sein Dank«, stöhnte der Mann, der niemand anders war, als Captain Lobral, Chefpilot des kleinen Marskreuzers »1418«.
»Sind Sie es wirklich, HC-9? Wir sahen uns schon als Leichen bei Ihnen ankommen. Vor uns hängt ein halbkugeliges Gebilde. Eindeutig ein Energieschirm. Wohin ich auch ausweiche – das Ding ist sofort wieder da. Können Sie dagegen etwas unternehmen?«
»Ihr seid wohl vollkommen irrsinnig geworden«, entgegnete ich fassungslos. »Woher kommt ihr? Doch wohl nicht vom Mars?«
»Genau von dort«, lachte Lobral. In seinen Worten schwang ein hysterischer Unterton mit. »Befehl von General Reling. Wir sollen Ihnen die neusten Auswertungsdaten der Großgehirne NEWTON und PLATO überbringen. Darüber hinaus spezielle Einsatzbefehle. Auf keinen Fall zur Erde zurückkehren. NEWTON behauptet, die Hypnos hätten den Transmitterplaneten auf alle Fälle anmessen müssen. Also könnten sie dort erscheinen. Darauf soll ich Sie vorbereiten.«
»Antitronhelme anlegen, sofort!« brüllte ich außer mir. »Ihr verdammten Narren – sie sind schon da, und ich habe sie vor den Kanonenmündungen der BAPURA. Antitronhelme anlegen, aber blitzartig! Wenn Sie übernommen werden, ist der Ofen aus. Na los schon! Worauf warten Sie noch? Zwei Hypnoschiffe fliegen vor uns her. Antitronhelme aufsetzen! Vorher will ich kein Wort mehr hören.«
Lobral fluchte, wie ich es noch nie aus seinem Munde vernommen hatte. An sich war er ein beherrschter, korrekt handelnder Mann. Anscheinend hatte er erfaßt, daß seine »Nachrichten- und Befehlsübermittlung« durch die Ereignisse längst überholt war.
Ich sah auf den Bildschirmen der nun einwandfrei funktionierenden Fernverbindung, wie die Männer der »1418« in größter Eile ihre Antitronhelme über die Köpfe streiften.
Zwei Minuten später vernahm ich ein Gelächter, das mir sehr vertraut vorkam. Das sommersprossige Gesicht eines Mannes erschien auf den Bildschirmen.
Es war niemand anders als der wegen seiner wildverwegenen Hypothesen verschriene Hochenergiephysiker Dr. Framus G. Allison.
Mit ihm, der bei weitem nicht so leichtsinnig war, wie sein Verhalten oft vermuten ließ, hatte ich das verrückt gewordene GODAPOL-Gehirn unter den Landmassen des australischen Kontinents gesprengt.
Ohne Allisons niemals schwindenden Optimismus wäre uns das Unternehmen kaum gelungen. Der Spezialist für funktechnische Kodifizierungsprogramme hatte jede verfahrene Situation durch seinen scheinbar schulbubenhaften Übermut gewissermaßen »aus der Klemme« gezogen.
Nun war er plötzlich hier – mitten im Sternsystem MV-ALPHA –, und das mit einem Schiff vom Range der nur vierzig Meter durchmessenden »1418«.
»Hei, großer Boß, wie geht es Ihnen?« lachte er übermütig. »Wir sind wohl zu spät gekommen, was? Das hatte ich Reling prophezeit, aber er wollte kein Wort glauben. Zur Sache: Ihr habt zwei Hypnoschiffe gefaßt?«
»Ihre Phantasie ist beispiellos, Framus!« spottete ich.
»Na bestens! Da kommen die echten Könner doch gerade zur rechten Zeit. Kenji Nishimura, der Japaner mit dem unverdient erworbenen doppelten Doktortitel, befindet sich auch an Bord. Außerdem gehört eine Meute von Spezialisten zu uns, die unseren Überlichtflug zum MV-ALPHA-System mit der Folgeerscheinung einer handfesten Ruhr, man sagt auch Durchfall dazu, quittierten. Okay, General, was sollen wir jetzt unternehmen? Auf die Feuerknöpfe drücken, wie es militärisch geschulte und genau nach Plan eingefuchste Militär-Hochschul-Phantasten einige Jahrhunderte lang getan haben; oder sollen wir uns wie vernünftige Menschen verhalten?«
»Framus, ich habe Ihnen schon einmal versprochen, Sie gelegentlich umzubringen«, entgegnete ich und versuchte ein ernstes Gesicht zu machen. »Sie Nervensäge werden Ihren Kommandanten, den Herrn Captain Lobral, Pilot des von Ihnen unverstandenen Raumschiffes, bewegen, schnellstens den vierten Planeten anzufliegen, um dort zu landen. Sie geben sich als Begleitkommando des allmächtigen Tumadschin Khan aus, der zwei Orghs mit Waffengewalt und viel Schwindel auf dieser Welt zur Landung zwingen will. MA-23 ist bereits dort. Er hat alles vorbereitet. Wir werden wie Götter erwartet. Sie können mit Ihrem schnellen Schiff mindestens zwei Stunden früher dort eintreffen als wir. Also landen Sie und unterstützen Sie MA-23 bei dem gewagten Psychospiel. Falls Sie geistig in der Lage sein sollten, diesen Begriff zu verstehen, lassen Sie sich zusätzlich etwas zur Beruhigung der Yedocekoner einfallen. MA-23 wird von mir informiert. Das Robotgehirn TECHNO wird den Energieschirm abschalten und Sie ungehindert weiterfliegen lassen. Ihr Kodetext stimmt nämlich nicht mehr.«
»Hatte ich mir gedacht. Es wollte aber niemand glauben.«
»Man kennt Ihre Wahnsinnstheorien, Dr. Allison! Man läßt daher Vorsicht walten. Und, Framus, mein Wort darauf – wenn Sie auf Yedocekon Unsinn treiben, nehme ich Sie auseinander, auch wenn Sie 1,90 Meter groß sind.«
»Das sind vertraute Aussagen«, erklärte der strohblonde Allison, einem für mich unsichtbar bleibenden Mann zunickend. »So lange der in dieser Tonart redet, ist er weder geistesgestört, noch von den Hypnos übernommen. Okay, Freunde, Kurs auf Nummer vier, vorausgesetzt, HC-9 kann das Robotgehirn wirklich zum Abschalten der Schutzschirme bewegen. Bis später, Goliath. Übrigens – ich wiege neuerdings zweihundertvierzig Pfund. Überlegen Sie sich das noch einmal mit dem ›Auseinandernehmen‹! Gruß und Kuß, Ende, Ihr Allison.«
Ich war fassungslos.
Als ich mich umdrehte, bemerkte ich Captain Philip Botcher. Er stand in hoheitsvoller Haltung auf der untersten Stufe meiner Schaltkonsole, verneigte sich dezent und meinte hüstelnd:
»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich meiner Meinung über die Sprechweise des Herrn Doktor Allison Ausdruck verleihen.«
»Ich gestatte es nicht!«
»Wie Sie meinen, Sir. Herr Doktor Allison erscheint geeignet, seine subjektive Sachlagenbeurteilung anderen Intelligenzwesen, oder annähernd intelligenten Wesen, in geschickt gesteuerter Offenherzigkeit, die psychologisch als exzellenter Schachzug bewertet werden sollte, kundzutun und dadurch zur Bereinigung einer gewissen, als undiskutabel anzusehenden Situation beizutragen. Ihr vitaminhaltiges Orangengetränk, Sir. Darf ich auf die Einverleibung bestehen? Ich erfülle nur meine Pflicht, Sir.«
Dieser Pedant reichte mir tatsächlich ein Glas! Ein Glas an Bord eines Raumschiffes, auf dem es schon vor 187.000 Jahren kein Gefäß aus diesem Material mehr gegeben hatte. Die Marsianer hatten ausschließlich Kunststoffe benutzt. Aber nein – Philip Botcher reichte mir ein geschliffenes Kristallglas!
Wenn mich in diesem Einsatz noch jemand ins Irrenhaus bringen konnte, dann unser Zeremonienmeister Philip Botcher.