8.
Ich lag auf der Schaumplastikcouch meines verhältnismäßig geräumigen Wohnzimmers und dachte über die Dinge nach, die sich nach dem Willen des GWA-Chefs noch ereignen sollten.
Ich war etwas skeptisch, obwohl ich aus Erfahrung wußte, wie vorteilhaft die »Einsickerungstaktik« war. Wenn ich offiziell als GWA-Schatten angekommen wäre, hätte ich von vorneherein aufgeben können.
Neben mir stand der Erfrischungsautomat und weiter vorn das plastische Farbfernsehgerät. Man konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit die amerikanischen Programme bekommen, da die Sendungen von den Raumstationen in einem wechselnden Rhythmus auf die Erde abgestrahlt wurden. Im Stützpunkt Tanaga war alles für die Bequemlichkeit und Unterhaltung der Leute getan worden. Das schien auch dringend notwendig zu sein.
Ich richtete mich auf und griff an den Regulierungsschalter der Klimaanlage. Es war recht warm in dem Fertighaus, das man in einem kleinen Nebenstollen erbaut hatte. Unter den wilden Bergen der Insel gab es viele dieser halbrunden Bauten, die mit allem neuzeitlichen Komfort ausgestattet waren.
Es gab größere Gebäude für Familien und solche mit zwei Zimmern und Bad, die für alleinstehende Personen vorgesehen waren. Mehr als tausend der hier tätigen Menschen hatten ihre Familien mitgenommen. Das hatte sich auch gar nicht umgehen lassen. Es konnte den Leuten nicht zugemutet werden, jahrelang vollkommen abgeschlossen zu leben.
Ich erhob mich und schritt auf das breite Fenster zu, das mir freien Blick auf den Stollen ermöglichte. Hier wohnten fast nur Offiziere der örtlichen Dienststellen. Direkt gegenüber lag ein größeres Fertighaus, das einem Fregattenkapitän aus dem Stab des Admirals gehörte.
Der Stollen war knapp eine halbe Meile lang und ziemlich schmal. Die zwischen den Hausfronten verlaufende Fahrbahn war aber breit genug; schwere Laster verkehrten hier allerdings nicht. Deshalb hatte Hannibal auch von einer ›ruhigen‹ Lage gesprochen.
Obwohl ich mich schon seit vier Stunden in meinem Quartier aufhielt, hatte sich der Zwerg bisher noch nicht sehen lassen. Ich wurde unruhig, da ich ohne seine näheren Informationen nichts anfangen konnte. Zwar wußte ich, daß ich zu warten hatte, bis sich die andere Seite meldete, aber es war fraglich, ob sie sich überhaupt melden würde. Ich brauchte Hannibals Informationen, um die Angelegenheit beschleunigen zu können.
Wenn die hiesige Spionagezentrale gut orientiert war, dann mußten die Leute wissen, daß ich der Kommandant war, den man mit dem Transport der C-Bomben beauftragt hatte.
Das war ein ausgezeichnetes Lockmittel. Bis zu diesem Punkt war für mich alles klar. Für die Leute mußte ich der geeignete Mann sein, der infolge des Vertrauens, das er genoß, unauffällig wichtige Unterlagen aus dem Stützpunkt bringen konnte.
Ich überlegte, ob die wahrscheinlich anlaufende Kriegsgerichtsverhandlung von Vorteil sein konnte oder nicht. Das wollte ich unbedingt mit dem Kleinen besprechen. Notfalls mußte ich die Verhandlung durch die GWA-Zentrale niederschlagen lassen. Diese Geschichte war ein Faktor, den wir bei der Vorplanung nicht hatten einkalkulieren können.
Sogar der Alte hatte nicht mit einem direkten Angriff durch ein GAS-U-Boot gerechnet. Ferner hatte ich es noch vor einigen Stunden für unmöglich gehalten, daß die GAS-Regierung die Frechheit aufbringen könnte, eine Protestnote zu schicken.
Das aber war geschehen; daran ließ sich nichts mehr ändern.
Da sich in Washington bereits die Dienststellen mit dem Zwischenfall beschäftigten, war es nicht ratsam, in der gegenwärtigen Situation mit den Machtmitteln der GWA in dieses Räderwerk einzugreifen. Im Marine-Ministerium brauchte nur ein Mittelsmann zu sitzen, und schon war mein Einsatz verraten.
Ich beschloß, die Verhandlung ruhig abzuwarten, falls es wirklich dazu kommen sollte.
Als ich meine Gedankengänge soweit abgeschlossen hatte, hielt ein Dienstwagen vor der Tür. Ich beobachtete, wie GWA-Leutnant Utan gravitätisch über den Bürgersteig stolzierte.
Der Wagen fuhr weiter. In meiner Diele klang der Summer auf. Auf einer kleinen Bildfläche erschien Hannibals faltiges Gesicht, das unter der breiten Schirmmütze so komisch wirkte, daß ich unwillkürlich lachen mußte. So etwas war nun ein GWA-Agent!
Ich öffnete. Hannibal stolperte durch die aufgleitende Tür und riß grinsend seine Dienstmütze vom Kopf. Verhältnismäßig leise erkundigte er sich:
»Bist du alleine, Langer?«
Ich nickte. Daraufhin ließ sich der Zwerg in einen Sessel fallen. Übergangslos teilte er mir mit:
»Vor fünfzehn Minuten ist dein Chefingenieur tödlich verunglückt.«
Ich fuhr bei dieser Hiobsbotschaft zusammen, als hätte ich mit den Fingern eine Hochspannungsleitung berührt.
»Wie war das?« flüsterte ich.
»Dein Chefingenieur ist tot«, wiederholte er. »Ich bekam gerade die Meldung, kurz bevor ich abgelöst wurde. Er ist in Trockendock III auf die Stromschiene eines Laufkrans gefallen. Er soll sehr unangenehm aussehen. Das wäre alles.«
Er sagte das mit der Sachlichkeit eines Mannes, der dem Tod schon oft ins Auge gesehen hatte.
Ich stand wie erstarrt. Die verschiedensten Überlegungen begannen sich in meinem Gehirn zu jagen. Deutlich sah ich den Chefingenieur vor mir, wie ich ihn vor Tagen zum erstenmal kennengelernt hatte.
»Verunglückt worden?« fragte ich, meine Bestürzung überwindend.
»Ganz recht, Langer. Oder glaubst du ernsthaft, der Mann hätte sich freiwillig auf eine Stromschiene gesetzt? Ich bin kurz dort gewesen und habe mir die Umgebung angesehen. Ein einigermaßen vernünftiger Mensch kann gar nicht auf den Gedanken kommen, die Laufstege im Dock zu verlassen und auf den Kranschienen herumzuklettern. Die liegen sechs bis sieben Meter höher. Aus den Erklärungen der Werfttechniker geht hervor, daß dein L. I. keinen Grund hatte, das sichere Gelände zu verlassen. Der Unfall passierte an einer recht einsamen Stelle. Es sieht ganz danach aus, als seien bestimmte Leute daran interessiert gewesen, den Ingenieur zu beseitigen.«
Ich schaute ihn schweigend an und kam zu der Ansicht, daß Hannibals Verdacht wohl den Tatsachen entsprach. In solchen Dingen hatte er einen gewissen Instinkt; das hatte ich schon bei unserem letzten Unternehmen bemerkt.
Schwerfällig ließ ich mich in einen Sessel sinken und strich mit den Fingerspitzen über meine grauen Schläfen.
»Angenommen, der Unfall wäre geschickt arrangiert worden …, welche Motive stecken dahinter?«
Utan lachte grimmig.
»Wenn dein L. I. nicht ausgerechnet ein U-Boot-Fahrer gewesen wäre, könnte man unter Umständen auf den Gedanken kommen, daß er hier persönliche Feinde hatte. Das halte ich aber für ausgeschlossen.«
»Das heißt mit anderen Worten, daß Chefingenieur Spencer den Leuten im Wege war, die wir fieberhaft suchen, nicht wahr?«
»Richtig! Ich frage mich nur, weshalb er ihnen plötzlich im Wege war. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß er für den GAS-Geheimdienst gearbeitet hat. Er muß zu den Offizieren gehört haben, die es wagten, wichtige Unterlagen und Nachrichten aus Tanaga hinauszubringen. Nun muß irgend etwas schiefgegangen sein, was zur Folge hatte, daß man ihn schnellstens beseitigte.«
»Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, hat es den Anschein, als sei Spencer gewillt gewesen, mir oder dem hiesigen Sicherheitschef einige Mitteilungen zu machen.«
»Möglich. Wir wissen nicht, was in dem Mann vorgegangen ist. Ich nehme aber stark an, daß ihm der Angriff auf deinen Kreuzer erheblich auf die Nerven gegangen ist. Vielleicht hat er im Augenblick der größten Gefahr erkannt, worauf er sich eigentlich eingelassen hat. Hast du hinsichtlich dieser Sache Anweisungen zu geben?«
Ich überlegte einige Augenblicke.
»Du bist jetzt dienstfrei?«
»Ja, für zwölf Stunden. Morgen früh um neun Uhr muß ich wieder antreten.«
»Demnach liegt eine lange Nacht vor uns. Wir gehen heute zusammen aus. Zeige mir die Lokale, in denen wichtige Leute verkehren. Vorher verschwinde für einige Zeit in ein Quartier und funke den Atombomber an, der in hundert Kilometer Höhe die Insel umkreist.«
»Okay, Wortlaut?«
»HC-9 an GWA-Zentrale. Chefingenieur Spencer, U – 2338, acht Stunden nach Ankunft Tanaga ermordet worden. Testunterlagen von Navy-Department und Geheime-Bundeskriminalpolizei anfordern, oder direkt einsehen. Psychoanalysen beachten und feststellen, ob Spencer beeinflußbar und wankelmütig war. Habe Verdacht, daß Spencer begangene Verfehlungen eingestehen wollte. Anfrage, ob Verdacht begründet.«
Ich hatte die Worte in Hannibals Diktaphon hineingesprochen, das zu seiner GWA-Spezialausrüstung gehörte. Das Gerät war nicht viel größer als ein Uniformknopf seiner Jacke. Auch das war ein Wunderwerk, das in den mikromechanischen Spezialwerkstätten der GWÄ entstanden war.
»Ich gebe den Spruch sofort durch.«
»Ist dein Sender gut getarnt?«
»Darauf kannst du dich verlassen. Ich habe die Felswand hinter meinem Quartier durch Poram-Sprengungen ausgehöhlt. Sie sind bekanntlich lautlos, da das Gestein langsam zerpulvert wird.«
»Gut. Laß dir den Empfang bestätigen und schalte den automatischen Aufnehmer ein, falls die Antwort in deiner Abwesenheit durchkommt. Ist dein Mikrosender ebenfalls klar?«
Er tippte an seine linke Achselhöhle, unter der das winzige Gerät verborgen war. Es hatte nur eine Reichweite von wenigen Meilen, die aber vollkommen für unsere gegenseitige Verbindung genügte.
Ich sah auf die Uhr und erhob mich.
»Verschwinde nun und zieh eine frische Uniform an. Du darfst nicht auffallen, wenn du wiederkommst. Es kann leicht möglich sein, daß wir bereits unter Beobachtung stehen.«
»Schön wäre es. Ich habe seit meiner Ankunft schon etliche hundert Leute in führenden Positionen kennengelernt und so gut wie nichts entdeckt. Man könnte wahnsinnig werden bei dem Gedanken, daß wir mitten unter den Burschen stecken, die drauf und dran sind, sämtliche Geheimnisse von Tanaga an den Mann zu bringen. Elis kann dir auch nicht weiterhelfen. Sie sitzt in einer ungünstigen Position.«
»Sie soll sich vorläufig zurückhalten, bis ich weitergekommen bin. Wir werden sie später anrufen und in ein Lokal bestellen. Das kann keinen Verdacht erregen, da ich sie immerhin zur Insel gebracht habe. Soll man ruhig annehmen, wir hätten uns etwas angefreundet. Sie hat nachts doch keinen Dienst, oder?«
»Nein. Die Bauarbeiten an den Schleusen sind beendet, deshalb wird in den Planungsbüros nachts nicht mehr gearbeitet. Sie erwartet unseren Anruf.«
Er erhob sich seufzend und reckte seine kleine Gestalt. Gleichzeitig glitten seine Augen forschend durch den Raum, der sehr elegant eingerichtet war.
»Hier gibt es allerhand versteckte Winkel, in denen man ein Abhörmikrophon unterbringen könnte«, murmelte er. »Paß auf, wenn du zurückkehrst. Es ist fraglich, ob wir dann noch offen sprechen können.«
»Darauf hoffe ich direkt. Kleiner. Du kannst dich darauf verlassen, daß ich es bemerken werde. Einen größeren Gefallen könnten mir die Burschen gar nicht tun.«
»Wenn sie dich für wichtig genug halten, werden sie Wert darauf legen, deine Gespräche zu belauschen. Sind deine Mikrokameras klar?«
»Ich werde eine in der Diele anbringen. Verschwinde nun, die Warterei geht mir auf die Nerven.«
»Die sollte ein GWA-Captain aber nicht haben«, spöttelte er.
Ehe er die Tür aufgleiten ließ, warnte er mich noch.
»Sei vorsichtig mit deiner Bewaffnung. Da darfst keinesfalls deine GWA-Automatik führen. Wenn man sie findet, weiß man, wie der Hase läuft.«
Ich drängte ihn hinaus und winkte ihm nach. Ziemlich laut rief ich ihm noch nach:
»Beeilen Sie sich aber, Ridgeman.«
Er nickte und schritt eilig davon.
Kaum hatte ich die Tür geschlossen, summte in meinem Wohnzimmer bereits das Bildsprechgerät Ich drückte den Schalter nieder. Auf der handgroßen Bildfläche erschien das Gesicht eines uniformierten Mannes. Es war der Adjutant des Admirals.
Ich nickte ihm zu, da ich wußte, daß er mich auf seiner Bildfläche ebenfalls sehen konnte.
»Gut, daß Sie da sind, Sir«, klang es aus dem Lautsprecher. »Admiral Porter möchte Sie sprechen. Ich verbinde.«
Sein Bild verblaßte. Augenblicke später wurde das Gesicht von Porter sichtbar.
Er erhob grüßend die Hand.
»Eine bodenlose Schweinerei, Liming«, vernahm ich seine aufgeregte Stimme. »Sind Sie schon informiert?«
Ich überlegte blitzschnell und beschloß, den Besuch von Hannibal zu erwähnen.
»Wenn Sie den Unfall meinen, Sir, so bin ich unterrichtet. Soeben war Ridgeman vom Sicherheitsdienst bei mir.«
»Ah, interessant. Was wollte er?«
»Er stellte einige Fragen über die Charaktereigenschaften meines L. I. die ich aber nicht beantworten konnte. Schließlich kannte ich ihn nur seit knapp zwei Tagen. Ich konnte nicht feststellen, ob er schwermütig war, oder nicht. Ridgeman vermutet Selbstmord.«
»So, tut er das? Nun, wir werden sehen, ob es wirklich ein Unfall war. Die Sache erscheint mir seltsam. Was hatte Spencer ad den Kranschienen zu suchen? Er war lediglich beauftragt worden, die Reparaturarbeiten an Ihrem Kreuzer zu überwachen. Haben Sie einen begründeten Verdacht?«
»Nein, Sir, keinen. Ich stehe vor einem Rätsel.«
Ich sah seine prüfenden Augen und die zusammengepreßten Lippen.
»Schön, lassen wir das. Das ist der vierte Unfall, der sich innerhalb der letzten drei Monate ereignet hat. Tanaga scheint für gewisse Personen gefährlich zu werden.«
»Ich verstehe nicht ganz, Sir«, entgegnete ich zögernd.
»Brauchen Sie auch nicht. Sie melden sich morgen früh um neun Uhr bei mir. Es handelt sich um Ihre Sache.«
»Jawohl, Sir. Haben sich neue Gesichtspunkte ergeben?«
»Sieht so aus. Die Antwortnote unserer Regierung ist äußerst scharf zurückgewiesen worden. Ich habe die Meldung soeben erhalten. Es ging alles sehr rasch, da man sich bemüht, die Sache unter den Tisch zu bringen. Washington wird nochmals abweisend antworten. Bis morgen früh werden wir sehen, wie sich die Geschichte entwickelt hat. Man stellt immer noch die hohen Schadenersatzansprüche und fordert Ihre exemplarische Bestrafung. Die Angelegenheit sieht für Sie gar nicht gut aus. Ist Ihnen das klar?«
»Vollkommen, Sir«, bestätigte ich bedrückt. In meinem Gehirn begann es zu arbeiten, da ich fest gewillt war, die Sachlage zu meinem Vorteil auszunutzen.
Wenn ich in dem Augenblick schon geahnt hätte, was dieser Notenwechsel zu bedeuten hatte, dann wäre mir bestimmt übel geworden!
»Wir treffen uns also um neun Uhr. Lassen Sie sich von Ridgeman nicht in allen unmöglichen Bars herumschleppen. Der Bursche verführt mir sämtliche Offiziere zum Saufen. Ich sehe das nicht gern.«
»Ich werde mich danach richten, Sir.«
»Ah, damit geben Sie zu, daß Sie seine todsicher erfolgte Einladung schon angenommen haben, was?«
Ich wich seinem Blick nicht aus und sagte nur: »Ja.«
Porter murmelte noch einige undeutliche Worte, ehe er abschaltete.
Schmunzelnd drückte ich den Schalter nach unten. Die Bildfläche verblaßte. Von Hannibal schien er wirklich nicht viel zu halten. Der Kleine konnte froh sein, daß er auf eine Karriere in der Navy nicht angewiesen war. Unter Porter hätte er lebenslänglich auf eine Beförderung warten können.
Interessant war jedoch die Tatsache, daß auch der Admiral nicht an einen Unfall glaubte.
Während ich über das Gespräch nachdachte, öffnete ich mein Gepäck und entnahm einem Koffer meine Spezialausrüstung. Sie war vollständig; es fehlte nichts. Hannibal hatte sorgfältig darauf geachtet.
Ich nahm eine der winzigen Spezialkameras und klebte sie in einem Deckenwinkel meiner kleinen Diele so fest, daß das Weitwinkelobjektiv die gesamte Türbreite erfaßte. Den Auslösekontakt der auf Infrarotbasis arbeitenden Mikrokamera befestigte ich an den Gleitschienen der Schiebetür und legte anschließend die haarfeine Leitung. Sobald sich der Kontaktgeber einschaltete, würde jeder unbefugte Eindringling automatisch gefilmt werden.
Es verging einige Zeit, bis ich die Kamera ausreichend getarnt hatte. Das war eine Kunst, auf deren exakte Beherrschung man auf der GWA-Akademie größten Wert gelegt hatte.
Zufrieden betrachtete ich meine Arbeit und ließ die Kamera probeweise anlaufen. Das Wunderwerk aus den mikromechanischen Werkstätten der GWA arbeitete einwandfrei.
Draußen hörte ich einen Dienstwagen vorfahren. Es war Hannibal, der seine Sendung in der Zwischenzeit erledigt hatte. Ich unterbrach den Auslösekontakt und ließ ihn ein. Er trug eine frische Uniform; sein Kunstfaserkragen glänzte so weiß, daß ich geblendet die Augen schloß.
»Findest du mich nicht unwiderstehlich?« fragte der Kleine. Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht.
Prüfend sah er sich in der Diele um.
»Erstklassige Arbeit. Ich kann die Kamera nicht entdecken. Besorge dir ein gutes Versteck für deine Ausrüstung. Wenn hier jemand eindringen sollte, so wird man garantiert dein Gepäck durchsuchen.«
»Wenn überhaupt jemand eindringt«, sagte ich unzufrieden. »Ist dein Spruch gut durchgekommen?«
»Ohne Schwierigkeiten. Der Chef wird jetzt schon informiert sein. Aufnahmegerät ist eingeschaltet.«
»Dann wollen wir uns fertigmachen. Ich bin neugierig, wie es in den Bars und Klubs dieser gigantischen Maulwurfsiedlung zugeht.«
»Du wirst dich wundern. Hat dich Porter angerufen? An sich müßte er dich ja benachrichtigen.«
»Ist geschehen. Er hat mich vor dir gewarnt, da du die Leute zu Saufgelagen verführen würdest.«
Er lachte amüsiert, während ich meine Ausrüstung anlegte, die ich von nun an immer am Körper tragen mußte. Dabei handelte es sich in erster Linie um den würfelförmigen Sender, der auf Sup-Ultra-Welle arbeitete, die von keiner Station abgehört werden konnte.
Ich entblößte meinen rechten Oberschenkel. Hannibal betrachtete fachmännisch die tiefe Narbe, die ehemals nur eine geringfügige Schußverletzung gewesen war. Als sie von den GWA-Chirurgen entdeckt worden war, konnte ich ihnen nicht mehr entgehen. Die Wunde wurde erweitert, sauber ausgeschnitten und genau auf die Maße gebracht, daß einer unserer Mikrosender hineinpaßte.
»Exzellent gemacht«, brummelte der Zwerg, als er vorsichtig das winzige Gerät hineingleiten ließ. Er verband es mit der haarfeinen Antenne, die unter der Haut am Bein entlanglief und an meinem rechten Fuß endete. Auch diesen Eingriff hatte ich den medizinischen Könnern der GWA zu verdanken.
Der eingeträufelte Biokleber hielt den Sender fest. Darüber kam synthetischer Gewebestreifen, der sich nahtlos mit der echten Haut verband, so daß man den Sender mit dem besten Willen nicht mehr entdecken konnte.
Diese Geräte, die jeder GWA-Agent bei seinen Unternehmungen am Körper trug, bildeten für uns eine gewisse Lebensversicherung. Jedenfalls konnte man damit erreichen, daß andere GWA-Leute rechtzeitig über die Ermittlungsergebnisse informiert wurden.
Kritisch betrachtete ich mein Bein, ehe ich wieder in die Uniformhose schlüpfte. Ich griff in die rechte Hosentasche und tastete nach der winzigen Erhöhung, die sich unter dem künstlichen Hautstreifen abzeichnete. Sekunden später gab ich mein Rufzeichen durch, das ich fünfmal wiederholte.
Hannibal beobachtete mich gespannt. Als das Bildtelefon zu surren begann, nickte er befriedigt.
»Gut! Sie meldet sich schon. Also hat sie dein Rufzeichen empfangen. Das Gerät arbeitet tadellos.«
Ich schaltete ein. Elis’ Gesicht erschien auf der Bildfläche.
»Hallo, Captain, ich wollte Sie nur einmal anrufen. Haben Sie sich in Tanaga schon umgesehen?«
Ich verneinte und lud sie zu einem Bummel ein. Planmäßig nahm sie meinen Vorschlag an.
Damit war die Funkkontrolle erledigt. Elis war dafür ausersehen worden, Hannibal und mir als Verbindungsperson zu dienen. Sie verfügte über einen Empfänger, der auf die Sup-Ultra-Wellen unserer Mikrosender ansprach. Wenn wir in akute Gefahr kommen sollten, so konnte sie jederzeit handeln.
Vorsichtig legte ich meine Spezialuhr an, deren winzige Sprühdüse nur bei einer sehr sorgfältigen Untersuchung zu entdecken war. Innerhalb des normal aussehenden Gehäuses befanden sich wenige Tropfen einer höllischen Säure, die sogar besten Stahl in kochende Materie verwandelte. Die Uhr diente nur als Notwehrwaffe. Die unter Druck stehende Füllung reichte für drei Sprühschüsse, die aber vollkommen genügten, um das Gesicht eines Gegners restlos zu zerstören.
Ich hatte bei meinem Einsatz in Ostasien erfahren, wie wichtig eine solche Notwehrwaffe sein konnte.
Hannibal reichte mir die Krawattennadel, auf deren Rückseite eine Widmung eingraviert war. Sie konnte für das Geschenk einer Freundin gehalten werden. Dieser Eindruck war auch beabsichtigt.
Ich drückte auf den kaum fühlbaren Knopf, und die lange Spange klappte auseinander. Darin befanden sich acht winzige rote Kugeln, vergleichbar mit Stecknadelköpfen. In den Hohlräumen der Plastikkügelchen befanden sich geringe Mengen jenes grauen Pulvers, das unsere Wissenschaftler »Thermonital« nannten.
Der Stoff glich dem veralteten Thermit. Sobald er mit dem Sauerstoff der Luft in Berührung kam, brannte das Pulver unter der Entwicklung von zwölf tausend Hitzegraden ab.
Unsere Versuche hatten bewiesen, daß die Füllung einer einzigen Ladung ausreichte, um den Stahlriegel einer Panzertür verdampfen zu lassen.
Sorgfältig schob ich die Spange über mein schwarzes Halstuch. Anschließend griff ich nach der Waffe, die ich zu meinem größten Bedauern nicht führen durfte.
Die schwere Thermo-Rak-Automatik mit dem 25-Schuß-Magazin wäre bei einer Entdeckung sofort als GWA-Spezialwaffe erkannt worden. Das hätte den sofortigen Verrat meines Unternehmens bedeutet.
Thermo-Rak-Pistolen besaßen nicht einmal die Beamten der Geheimen-Bundeskriminalpolizei. Sie waren eine Spezialentwicklung der GWA und ausschließlich den GWA-Agenten vorbehalten. Die Waffen schossen nicht mehr mit normalen Patronen, sondern mit winzigen Raketengeschossen, so daß nach dem Schuß kein Hülsenauswurf erfolgte. Die Geschoßzündung erfolgte elektrisch. Das bedeutet eine enorme Feuergeschwindigkeit, sobald man auf Dauerfeuer umstellte.
Ich sah auf den mantelverkleideten Lauf mit den Abgasöffnungen und betrachtete auch die fünf Zentimeter langen Geschosse, die nach dem Aufschlag sofort zündeten. Die Ladung bestand aus Thermonital.
»Zwecklos, Langer«, warf Hannibal sachlich ein. »Du kannst die Thermo-Rak nicht am Körper tragen. Nimm die andere Kanone.«
Ich legte die Waffe weg und ergriff die 38er-Automatik mit dem zwölfschüssigen Magazin. Es war meine Dienstwaffe, die ich als Kommandant eines U-Kreuzers auch innerhalb des Stützpunktes Tanaga tragen durfte. Das konnte also keineswegs auffallen.
Ich entleerte das Magazin und griff nach der Schachtel mit der GWA-Spezialmunition, die ich von unserer Ausrüstungsabteilung erhalten hatte.
Die blanken Messinghülsen der Patronen unterschieden sich überhaupt nicht von der normalen Munition. Die Ladung war auch die gleiche.
Im Gegensatz dazu aber besaßen die harmlos aussehenden Nickelmantel-Geschosse eine verhältnismäßig große Thermonital-Füllung. Sie reichte aus, um einen schweren Felsblock in glutflüssige Lava zu verwandeln.
»Nimm das Ding schon«, drängte Hannibal ungeduldig. »Sie ist unseren Spezialkanonen zwar unterlegen, doch dafür hat sie ein weitaus größeres Kaliber, was eine achtfach größere Thermonital-Füllung bedeutet. Ich möchte nicht auf dem gleichen Fleck stehenbleiben, wenn so ein Geschoß einen Meter neben mir abbrennt. Du brauchst deinen Mann gar nicht genau auf den Punkt zu treffen. Was bei einem normalen Geschoß nur einen Streifschuß bedeutet, das bringt bei dieser Ladung den sofortigen Hitzetod.«
»Danke für die Aufklärung«, fuhr ich ihn an. »Bring mich mm in einen Laden, wo wichtige Leute verkehren. Die Kleinen interessieren mich nicht; die kriegen wir ohnehin, wenn wir wissen, wo die Großen zu suchen sind.«
»Schön gesagt«, meinte der Zwerg. In seinem Gesicht bildeten sich tausend Falten. »Glaubst du ernstlich, daß man sich heute schon an dich heranmacht? Die werden dich erst einmal näher unter die Lupe nehmen, wenn sie diese Absicht überhaupt haben. Wir können froh sein, wenn nach Ablauf einer Woche die erste Annäherung erfolgt.«
Ich preßte die Lippen zusammen und sagte nichts mehr. Ich wüßte nur zu genau, daß der Kleine recht hatte. Die »Einsickerungstaktik« war zweifellos gut, doch sie hatte auch ihre Nachteile. Wenn man überhaupt nichts wußte, so mußte man wohl oder übel auf den Zeitpunkt warten, wo sich der Gegner von selbst meldete. Damit konnte man etwas anfangen, aber vorher hieß es warten, sogar geduldig warten. Das aber kostete Nerven.
Ich verstaute die anderen Geräte meiner Sonderausrüstung innerhalb des Fernsehgerätes und hoffte, daß man sich das Innere des Empfängers nicht so genau ansehen würde. Der Hohlraum, in dem sich die Reste meiner Spezialausrüstung befanden, war jedenfalls gut abgedeckt.
Hannibal sah kritisch in das Gerät hinein.
»Sehr schön, sieht gut aus. Was passiert aber, wenn einer auf den Gedanken kommen sollte, den Kasten anzuschalten?«
»Gar nichts, das solltest du wissen«, fuhr ich ihn leicht gereizt an. »Die Verbindungen sehen nur so aus wie Lötstellen. Die Klebemasse leitet nicht.«
Fünf Minuten später verließen wir das Haus. Ehe ich die Schiebetür verschloß, schaltete ich den Auslösekontakt der Kamera ein. Wenn ich zurückkehrte, würde sie zwar auch anlaufen, aber das war bedeutungslos.
Da es bis zur Zentrale nur zehn Minuten zu gehen war, hatten wir auf einen Wagen verzichtet. Gemütlich schlenderten wir den Nebenstollen hinunter, bis vor uns die gewaltige Höhlung auftauchte, in die man eine regelrechte Stadt hineingebaut hatte.
»Da wären wir«, stellte der Kleine fest, als wir den hellerleuchteten Dom betraten. »Ich werde dir unter die Arme greifen. Langer.«
»Dazu müßtest du dich gewaltig anstrengen«, ärgerte ich ihn. »Zeige mir einen teuren Laden und sorge dafür, daß ich in ein Spiel verwickelt werde. Vielleicht Poker! Ich möchte, daß man sieht, wie leicht ich mein Geld verliere, von dem ich ohnehin nicht genug besitze. Bunt wollen es die Leute haben, verehrter Kollege!«