5.

 

Der Kreu­zer hat­te bei ei­ner Un­ter­was­ser-Marsch­fahrt von acht­zig See­mei­len knapp drei­ßig Stun­den be­nö­tigt, um die Stre­cke San Fran­cis­co – Ta­na­ga zu über­win­den.

Ich stand in der kreis­för­mi­gen, di­rekt un­ter dem Turm ein­ge­bau­ten Zen­tra­le und be­ob­ach­te­te die Bild­schir­me des hoch­wer­ti­gen Sup-As­dic-Ge­rä­tes, das un­un­ter­bro­chen das vor uns lie­gen­de See­ge­biet ab­tas­te­te.

Auf den drei an­de­ren Rund­sicht­bild­schir­men er­schie­nen der Mee­res­bo­den und die seit­lich von uns lie­gen­den Was­ser­mas­sen.

Die Num­merns­ka­la des Tie­fen­mes­sers stand seit ei­ni­gen Stun­den auf der Zahl ›fünf­hun­dert‹. Die­se Tie­fe war von den voll­au­to­ma­ti­schen Kon­trol­len lau­fend ein­ge­hal­ten wor­den. Die tech­ni­schen Ein­rich­tun­gen des Kreu­zers wa­ren zu neun­zig Pro­zent au­to­ma­ti­siert; des­halb er­for­der­te der Sechs­tau­send-Ton­nen-Gi­gant nur ei­ne Be­sat­zungs­stär­ke von hun­dert­ein­und­zwan­zig Mann ein­schließ­lich Kom­man­dant.

Au­ßer dem Un­ter­was­ser­ra­dar zur Au­ßen­bord­bild­auf­nah­me lief noch das auf Ul­tra­schall­ba­sis ar­bei­ten­de Sup-As­dic-Ge­rät, des­sen Tast- und Or­tungs­er­geb­nis­se in bild­ar­ti­gen Gra­fi­ken wie­der­ge­ge­ben wur­den.

Da­mit ver­füg­te der Kreu­zer über zwei ver­schie­den­ar­ti­ge Or­tungs­ge­rä­te, die sich in ih­ren Er­geb­nis­sen er­gänz­ten. Das mo­der­ne U-Ra­dar hat­te au­ßer­dem den. Vor­teil, daß ge­or­te­te Kör­per op­tisch sicht­bar ge­macht wer­den konn­ten. Die ge­nau­en Re­li­ef-Echo­gram­me des As­dic-Ge­rä­tes wa­ren eben­falls ver­läß­lich.

Ich konn­te durch die voll­au­to­ma­ti­sche Aus­wer­tung an den In­stru­men­ten ab­le­sen, daß der un­ter uns lie­gen­de Mee­res­bo­den fast über­gangs­los nach un­ten ab­sank. Die Wal­zens­ka­len tick­ten sehr rasch wei­ter. Das Un­ter­was­ser­fern­bild des Ra­dars be­gann zu ver­schwim­men.

»Der Aleu­ten-Gra­ben, Sir«, be­rich­te­te der Ers­te Ra­dar­of­fi­zier des Boo­tes. »Da muß vor un­be­kann­ten Zeiträu­men ein ge­wal­ti­ger Ein­bruch des Mee­res­bo­dens statt­ge­fun­den ha­ben.«

Ich nick­te geis­tes­ab­we­send. Mei­ne Ge­dan­ken kehr­ten wie­der zu dem U-Trans­por­ter zu­rück, der nach den Mit­tei­lun­gen mei­ner Kol­le­gin in drei­tau­sen­dacht­hun­dert Me­ter Tie­fe auf Grund lie­gen soll­te. Ich konn­te mir vor­stel­len, wie es in dem stäh­ler­nen Fisch aus­sah. Die zu­läs­si­ge Höchst­tauch­tie­fe für mei­nen star­ken Of­fen­siv­kreu­zer be­lief sich auf fünf­zehn­hun­dert Me­ter, kurz­zei­tig ver­ant­wort­bar wa­ren al­len­falls zwei­tau­send Me­ter. Soll­te ich es ris­kie­ren, noch tiefer zu ge­hen, so konn­te ich si­cher sein, daß der star­ke Was­ser­druck das Boot zu­sam­men­pres­sen wür­de.

Wahr­schein­lich war das mit dem Druck­kör­per des Trans­por­ters aber nicht ge­sche­hen. Die Ex­plo­si­on hat­te zwei­fel­los schon statt­ge­fun­den, als er sich noch in ge­rin­ge­ren Was­ser­tie­fen be­fand. Das Was­ser muß­te in den Rumpf ein­ge­drun­gen sein und den Druck­aus­gleich her­ge­stellt ha­ben. In­fol­ge­des­sen konn­ten die Über­res­te nicht zer­drückt wor­den sein. Wenn mei­ne An­nah­me stimm­te, gab es be­rech­tig­te Hoff­nung, daß Pro­fes­sor Mor­rows Lei­che ge­fun­den wur­de.

Die­se Über­le­gun­gen be­schäf­tig­ten mich schon wäh­rend der gan­zen Fahrt. Mor­row hat­te sehr wich­ti­ge Un­ter­la­gen mit­ge­führt. Es han­del­te sich um Plä­ne über die un­ter­ir­di­schen Atom­waf­fen­de­pots auf Ta­na­ga, die er per­sön­lich nach Wa­shing­ton brin­gen soll­te. Soll­te sei­ne Lei­che nicht ent­deckt wer­den, so konn­te dar­aus nur die Schluß­fol­ge­rung ge­zo­gen wer­den, daß man ihn vor dem Un­ter­gang aus dem Boot her­aus­ge­holt hat­te. Das aber wür­de ei­ne Ka­ta­stro­phe be­deu­ten, da Mor­row zu den Kern­phy­si­kern ge­hör­te, die an der Ent­wick­lung der C-Bom­be maß­ge­bend be­tei­ligt wa­ren.

Die Koh­len­stoff­bom­be war ei­ne Wei­ter­ent­wick­lung der H-Bom­be. Et­wa vor ei­nem Jahr hat­te man den ers­ten Ver­such mit der C-Bom­be ge­st­ar­tet. Man hat­te al­le Vor­sichts­maß­nah­men ge­trof­fen und die­ses Ex­pe­ri­ment auf der Rück­sei­te des Mon­des vor­ge­nom­men.

Da­bei war fest­ge­stellt wor­den, daß man sich wie­der ein­mal ver­rech­net hat­te. Die Ener­gie­ent­wick­lung der C-Re­ak­ti­on war tau­send­mal stär­ker ge­we­sen als die ei­ner H-Bom­be. Man sprach ver­gleichs­wei­se von zehn Mil­li­ar­den Ton­nen TNT.

Vier die­ser Bom­ben hat­te ich an Bord, und der ver­schwun­de­ne Kern­phy­si­ker wuß­te ge­nau, wie die C-Bom­ben her­ge­stellt wur­den.

Wäh­rend ich noch über den Fall nach­grü­bel­te, zuck­te der ne­ben mir sit­zen­de Ra­dar­of­fi­zier zu­sam­men. Ich be­merk­te, daß er sich nach vorn beug­te und auf die Bild­flä­che des Grund­tas­ters blick­te.

Ich woll­te ihn ge­ra­de fra­gen, als er er­regt mel­de­te:

»Or­tung, Sir. Fremd­kör­per et­wa vier­hun­dert Me­ter un­ter uns. Liegt noch et­was zu­rück, kommt aber rasch auf.«

Ich fuhr her­um, wie von ei­ner gif­ti­gen Vi­per ge­bis­sen. Mit zwei Sprün­gen war ich vor dem Bild­schirm, auf dem die ver­schwom­me­nen Um­ris­se des tief un­ter uns lie­gen­den Mee­res­bo­den zu se­hen wa­ren. Ich be­ob­ach­te­te jetzt et­was, was vor Au­gen­bli­cken noch nicht sicht­bar ge­we­sen war.

Es war ein lang­ge­streck­ter, grün­leuch­ten­der Fleck, der sich sehr rasch über den Rand der Bild­flä­che be­weg­te. Aus der Gradein­tei­lung ging her­vor, daß die­ser Fleck, der nur von ei­nem großen Kör­per her­rüh­ren konn­te, ge­nau in un­se­rem Kiel­was­ser folg­te.

Der Ra­dar­of­fi­zier schal­te­te be­reits. Un­ser spe­zi­el­ler Ob­jekt­tas­ter be­gann zu­sätz­lich zu ar­bei­ten. Es war ein ty­pi­scher Richt­strah­ler, der sich nun au­to­ma­tisch auf das von dem Breit­band­ge­rät aus­ge­mach­te Ob­jekt ein­peil­te.

»Schal­ten Sie auf Bild«, be­fahl ich mit ge­schau­spie­ler­ter Aus­ge­gli­chen­heit. Ich war mir nicht be­wußt, daß ich mit bei­den Hän­den die Sitz­leh­ne des vor mir an­ge­brach­ten Dreh­ses­sels um­klam­mer­te.

Ei­ne an­de­re, eben­falls kreis­för­mi­ge Bild­flä­che flamm­te auf. Sie ge­hör­te zum Ob­jekt­tas­ter und zeig­te nur das, was von dem scharf­ge­bün­del­ten Im­pulss­trahl auf­ge­nom­men wur­de.

Der tief un­ter uns auf­kom­men­de Kör­per wur­de in sei­nen Um­ris­sen sicht­bar. Es dau­er­te ei­ni­ge Au­gen­bli­cke, bis das Bild schär­fer wur­de.

Der Ra­dar­of­fi­zier dreh­te an der Mi­kro­me­ter­ab­stim­mung der Fein­ein­stel­lung. Plötz­lich ent­stand der Ein­druck, als schös­se der Kör­per auf uns zu.

»Ver­grö­ße­rungs­stu­fe fünf, Sir. Wah­re Ent­fer­nung 832. Boot liegt auf Kurs 326 Grad.«

Das war ex­akt un­ser Kurs. Ich hör­te die dienst­ha­ben­den Män­ner der Zen­tra­le er­regt at­men und fühl­te auch ih­re Bli­cke.

Vor dem Bild­schirm ste­hend starr­te ich auf das na­tur­ge­treue Ab­bild des Boo­tes, das mit großer Ge­schwin­dig­keit von ach­tern auf­kam.

Der Ra­dar­mann er­mit­tel­te be­reits die Fein­da­ten. Ich ver­nahm das Sum­men der elek­tro­ni­schen Re­chen­ma­schi­ne.

»Fahrt des frem­den Boo­tes ge­nau 98,3 See­mei­len«, mel­de­te er. Sei­ne Stim­me klang so ru­hig, als sä­ße er in ei­ner Ho­tel­hal­le und nicht in der Zen­tra­le ei­nes kampf­star­ken U-Kreu­zers. »Wahr­schein­lich ein schnel­les Jagd­boot!«

»Kön­nen Sie noch stär­ker ver­grö­ßern?«

»Nein, Sir. Fünf­fach ist die Gren­ze.«

»Dann ver­su­chen Sie, ob Sie das Bild noch et­was kla­rer be­kom­men. Ich möch­te den Typ er­ken­nen.«

Es ge­lang ihm tat­säch­lich. Der dunkle Kör­per zeich­ne­te sich plötz­lich noch schär­fer ab.

»Ken­ne ich nicht, Sir«, mein­te der Ra­dar­mann. Ich zwei­fel­te nicht an sei­ner Aus­sa­ge. Er konn­te die­sen Boot­s­typ auch nicht ken­nen, da er wahr­schein­lich nie­mals in ei­nem chi­ne­si­schen U-Boots­ha­fen her­um­ge­schnüf­felt hat­te.

Ich da­ge­gen er­kann­te au­gen­blick­lich, mit wem wir es zu tun hat­ten. Die plum­pe Tor­pe­do­form des et­wa hun­dert­vier­zig Me­ter lan­gen Boo­tes war mir sehr gut be­kannt, da ich ge­ra­de in die­ser Rich­tung in Asi­en ge­ar­bei­tet hat­te. Ich wuß­te, daß es sich um ei­nes der mo­d­erns­ten und schnells­ten U-Jagd­boo­te des GAS han­del­te. Cha­rak­te­ris­tisch war der feh­len­de Turm­auf­bau, der an dem frem­den Boot durch ei­ne fla­che Stahl­kup­pel er­setzt war.

Ich wand­te mich wie­der um und schlug mit der Hand auf den ro­ten Schal­ter. Wäh­rend die an­we­sen­den Män­ner der Wa­che zu schwit­zen be­gan­nen, schrill­ten im Boot die Alarm­an­la­gen auf.

Die Klin­geln hall­ten noch nach, als der I. O. in die Zen­tra­le ge­stürzt kam. Schre­ckens­bleich sah er mich an. Ich ahn­te, daß er in dem Au­gen­blick an die vier C-Bom­ben dach­te, die wir an Bord hat­ten.

»Klar Schiff zum Ge­fecht, Mr. Sonth. Ich will die Leu­te in ei­ner hal­b­en Mi­nu­te auf den Ge­fechts­sta­tio­nen se­hen.«

Er be­gab sich so­fort an die Mi­kro­pho­ne der Rund­ruf­an­la­ge.

Ich drück­te den Schal­ter nie­der. Vor mir flamm­ten et­li­che klei­ne Bild­flä­chen auf.

»Ma­schi­ne«, schrie ich in das Mi­kro­phon, »drei­mal äu­ßers­te Kraft vor­aus und al­le mehr! Fahrt­stei­ge­rung auf min­des­tens neun­zig Kno­ten.«

Der dienst­ha­ben­de In­ge­nieur be­stä­tig­te. Ich sah auf der Bild­flä­che, wie sei­ne Hän­de ar­bei­te­ten.

In das dump­fe Rau­schen der schwe­ren Staustrahl­trieb­wer­ke misch­te sich das Auf­heu­len der Queck­sil­ber-Dampf­strahl­tur­bi­nen. Der Plu­to­ni­um-Mei­ler hat­te nun für al­le Trieb­werks­ein­hei­ten die ther­mi­sche Auf­hei­zungs­ener­gie zu lie­fern. Bei den enorm ho­hen Ar­beit­stem­pe­ra­tu­ren ge­sch­ah das in­ner­halb von Se­kun­den.

Die Tur­bi­nen heul­ten noch schril­ler auf. Im glei­chen Au­gen­blick kup­pel­te die eben­falls tur­bo­be­trie­be­ne Schrau­be ein, die nor­ma­ler­wei­se le­dig­lich als Zu­satz­trieb­werk diente. Sie wur­de sonst nur bei Aus- und Ein­lauf­ma­nö­vern ver­wen­det.

»Schrau­ben­tur­bi­nen lau­fen Um­dre­hun­gen für zwan­zig Kno­ten«, mel­de­te die Ma­schi­ne. »Schub­leis­tung der DS- und Staustrahl­trieb­wer­ke für sieb­zig Mei­len.«

Die Mel­dung war sehr schnell ge­kom­men. Dem­nach hat­ten sie die Ma­schi­nen auf Leis­tung »ge­kit­zelt«. U-2338 schoß plötz­lich mit neun­zig Mei­len durch die See.

»Frem­des Boot holt auf«, mel­de­te der Ra­dar­of­fi­zier ner­vös. »Auf­komm­ge­schwin­dig­keit 8,3 Kno­ten.«

Die­se An­ga­be war für mich die letz­te Be­stä­ti­gung. Ich wuß­te ge­nau, daß die neu­en, klei­nen Jagd­kreu­zer des GAS et­wa hun­dert See­mei­len lau­fen konn­ten.

»Wer ist das, Sir?« frag­te der I. O. und fuhr sich über die schweiß­be­deck­te Stirn. Aus ge­wei­te­ten Au­gen starr­te er auf die Spe­zi­al­bild­flä­che des Ob­jekt­tas­ters. Der chi­ne­si­sche Jä­ger wur­de im­mer deut­li­cher sicht­bar. In­fol­ge un­se­rer Fahrt­er­hö­hung kam er nicht mehr so schnell auf, doch es konn­te nur noch ei­ne Fra­ge von Mi­nu­ten sein, bis er di­rekt un­ter uns ste­hen wür­de.

Über die­se Tat­sa­che war ich mir klar, doch ich frag­te mich, was die­ses sinn­los er­schei­nen­de Tun ei­gent­lich be­deu­ten soll­te! Wenn der frem­de Kom­man­dant zum An­griff ent­schlos­sen war, dann hät­te er längst da­zu über­ge­hen kön­nen. Des­halb brauch­te er nicht so na­he her­an­zu­kom­men!

Ich über­leg­te an­ge­strengt, doch ich fand kei­ne be­frie­di­gen­de Er­klä­rung. Wie­der muß­te ich an die vier C-Bom­ben den­ken, die gut ver­staut im La­de­raum T-3 la­gen.

»Was hat der nur vor?« schrie der »Ers­te«. »Gleich ist er ge­nau un­ter uns.«

Dar­auf hat­te ich nur ge­war­tet. Auf dem Bild­schirm konn­ten wir das frem­de Boot nun ge­nau von oben be­trach­ten. Ich ver­zog die Lip­pen zu ei­nem bis­si­gen Grin­sen und drück­te wie­der einen Schal­ter nie­der. Der L. I. er­schi­en auf dem Kon­troll­schirm.

»L. I. klar­ma­chen zum Ma­nö­ver. Ich wün­sche, daß Sie blitz­ar­tig rea­gie­ren.«

In un­se­rem Or­tungs­tas­ter tick­te es. Der Zen­tra­le­maat rief zu mir her­über:

»Wir wer­den an­ge­peilt, Sir. Ul­tra­kur­ze Im­pul­se, Laut­stär­ke drei­zehn.«

So­gleich dar­auf mel­de­te sich der Ra­dar­of­fi­zier er­staun­lich ru­hig.

»Frem­des Boot steigt. Hat sei­ne Fahrt­stu­fe der un­se­ren an­ge­gli­chen.«

Auf der Bild­flä­che konn­te man das noch nicht be­mer­ken, da sich, der Bug des klei­nen Kreu­zers nur un­merk­lich auf­ge­rich­tet hat­te. Es wa­ren auch kei­ne ent­wei­chen­den Luft­bla­sen zu be­ob­ach­ten, so daß der stäh­ler­ne Fisch dy­na­misch auf­tauch­te. Das ge­sch­ah in dem Fall nur mit Hil­fe der vor­de­ren und ach­teren Tie­fen­ru­der.

»Boot steigt mit drei Me­ter pro Se­kun­de«, er­gänz­te der Ra­dar­of­fi­zier.

Nun hat­te ich Ge­wiß­heit. Wenn die Bur­schen nicht et­was Ge­mei­nes be­ab­sich­tig­ten, dann woll­te ich nicht in der Zen­tra­le von U-2338 ste­hen.

»I. O. se­hen Sie ge­nau auf den Schirm. Kön­nen Sie auf dem Boot ir­gend­wel­che Na­tio­na­li­täts­kenn­zei­chen er­ken­nen?«

Die Ant­wort lau­te­te klar »nein«. Ich be­gann ei­sig zu lä­cheln.

»Sli­ter, las­sen Sie die au­to­ma­ti­sche Film­ka­me­ra an­lau­fen. Tem­po.«

Der Ra­dar­of­fi­zier schal­te­te, und schon surr­te die Ka­me­ra. Sie hielt das Bild fest, das auf der Spe­zi­al­bild­flä­che er­schi­en.

»Mei­ne Her­ren, ich stel­le fest, daß wir es hier mit ei­nem Pi­ra­ten-U-Boot zu tun ha­ben. Ein­wen­dun­gen?«

Sie starr­ten mich schwei­gend an. Ich be­merk­te ei­ne all­ge­mei­ne Be­stür­zung.

»Al­so kei­ne Ein­wen­dun­gen. Sie wer­den spä­ter zu be­zeu­gen ha­ben, daß das Boot kei­ne Na­tio­na­li­täts­far­ben, noch nicht ein­mal ei­ne Num­mer trug. Das wä­re al­les.«

Ich drück­te er­neut einen Schal­ter nie­der und sprach ins Mi­kro­phon.

»Ach­tung, Heck­tor­pe­doraum. Klar­ma­chen zum Un­ter­was­ser­be­schuß. Vie­rer­fä­cher vor­be­rei­ten. Ra­ke­ten­strahl­tor­pe­dos mit Plu­to­ni­um-Spreng­köp­fen ver­wen­den. Ro­bot­ziel­ge­rä­te in Tor­pe­do­köp­fen an­lau­fen las­sen. Aus­füh­rung.«

Der ach­te­re Tor­pe­do­of­fi­zier be­stä­tig­te.

»Sir, um Him­mels wil­len, das kön­nen Sie doch nicht …!« rief der I. O. ent­setzt.

»Ich ha­be Sie nicht um Ih­re Mei­nung ge­fragt, Mr. Sonth«, ent­geg­ne­te ich hart.

»L. I. dy­na­misch auf­tau­chen. Steig­win­kel drei­ßig Grad. Auf An­ten­nen­tie­fe ge­hen, klar­ma­chen zum Aus­fah­ren der Richt­strahl­an­ten­ne. Aus­füh­rung.«

Die Be­feh­le dran­gen aus al­len Laut­spre­chern der Rund­ruf an­lä­ge. Im nächs­ten Au­gen­blick schoß der U-Kreu­zer so ruck­ar­tig nach oben, daß sich die Leu­te krampf­haft fest­hal­ten muß­ten.

Un­se­re Ma­schi­nen tob­ten nach wie vor mit höchs­ter Kraftent­fal­tung, so daß wir re­gel­recht auf die noch fer­ne Was­sero­ber­flä­che zu­ras­ten.

»Sli­ter, kommt das frem­de Boot mit?«

Der Ra­dar­of­fi­zier zö­ger­te ei­ne Se­kun­de. Hin­ter ihm summ­te die elek­tro­ni­sche Re­chen­ma­schi­ne.

Er hat­te an­schei­nend ver­nei­nen wol­len, doch plötz­lich rief er er­regt:

»Boot folgt, Sir.«

Das reich­te mir zum end­gül­ti­gen Ent­schluß. Ob­wohl ich mir noch im­mer nicht dar­über klar war, was die Ma­nö­ver zu be­deu­ten hat­ten, trau­te ich dem Frie­den nicht mehr. In mir kam ein un­gu­tes Ge­fühl auf, zu­mal ich mich dar­an er­in­ner­te, daß ich nur ein Pseu­do-Kom­man­dant war. Na­tür­lich war ich ver­ant­wort­lich für das Boot, aber ich hat­te auch mei­ne weit­rei­chen­den Son­der­voll­mach­ten als Cap­tain der GWA in der Ta­sche.

Wir wa­ren nur noch knapp fünf­zig Me­ter un­ter­halb der Was­sero­ber­flä­che. Un­ter uns kam der schwar­ze Stahl­rumpf mit steil nach oben ge­rich­te­tem Bug an­ge­schos­sen.

Un­ser L. I. brach­te den Kreu­zer wie­der in die waa­ge­rech­te La­ge. Kurz da­nach klang sei­ne Stim­me auf:

»L. I. an Kom­man­dant. Boot be­fin­det sich auf An­ten­nen­tie­fe. Fra­ge: Soll Richt­strah­ler aus­ge­fah­ren wer­den?«

Ich zö­ger­te ei­ni­ge Au­gen­bli­cke. Plötz­lich ver­nahm ich die po­chen­den Schlä­ge, die durch den gan­zen Rumpf lie­fen.

»Was ist das?« er­kun­dig­te sich der Ers­te. »Das ist kei­ne As­dic-Or­tung. Das klingt an­ders.«

Ein selt­sa­mes Ge­fühl er­griff mich! Ei­ne drin­gen­de War­nung, die mich im­mer mahn­te, wenn ir­gend et­was ge­fähr­lich war.

Ich zö­ger­te kei­ne Se­kun­de mehr.

»Heck-Tor­pe­doraum, Ach­tung!« brüll­te ich in die Mi­kro­pho­ne. »Rohr eins klar zum Schuß.«

»Rohr eins klar«, wur­de ge­mel­det. »Fern­steu­er­ge­rät zur Ziel­kursein­wei­sung läuft. Ro­bot­steue­rung in Tor­pe­do­kopf läuft.«

»Rohr eins … Los …!«

Weit hin­ten, im ach­teren Tor­pe­doraum, zisch­te es kurz auf. Zu­sam­men mit ei­nem quir­len­den Preß­luft­strom schoß der zehn Me­ter lan­ge Tor­pe­do aus dem Aus­stoß­rohr. Auf den Heck­bild­flä­chen des Radar­breit­strah­lers er­schi­en er als blit­zen­der Strich, der un­ter der Ent­wick­lung ei­ner Leucht­er­schei­nung und auf­wal­len­der Was­ser­mas­sen erst nach ach­tern und dann plötz­lich nach un­ten schoß.

Der Tor­pe­do war mit ei­nem Fest­stoffra­ke­ten­trieb­werk aus­ge­rüs­tet, das auch un­ter Was­ser ar­bei­te­te, da der zur Ver­bren­nung not­wen­di­ge Sau­er­stoff im Treib­satz ent­hal­ten war.

Die­se Tor­pe­dos er­reich­ten ei­ne Ge­schwin­dig­keit von ein­hun­dert­sieb­zig Kno­ten und lie­fen vier Mei­len weit. Fehl­schüs­se wa­ren so gut wie un­mög­lich. Die voll­au­to­ma­ti­schen Ro­bot­ziel­ge­hir­ne wa­ren jah­re­lang er­probt und im­mer wie­der ver­bes­sert wor­den.

Der Aal ver­schwand. Un­ser Kreu­zer jag­te wei­ter.

Das selt­sa­me Po­chen hat­te sich zu ei­nem krei­schen­den Ge­räusch ver­stärkt, das den ge­sam­ten Boots­kör­per er­zit­tern ließ.

Wir hiel­ten uns krampf­haft an den Hal­te­schlin­gen fest, die über­all im Boot an­ge­bracht wa­ren. Die Sicht­glä­ser der In­stru­men­te führ­ten einen selt­sa­men Tanz auf. In die­sem Au­gen­blick drang die Stim­me des Lei­ten­den In­ge­nieurs aus al­len Laut­spre­chern.

»Sir«, schrie er, »wir wer­den of­fen­bar mit ei­nem Ul­tra­schall-Strah­ler an­ge­grif­fen. Ich ken­ne das boh­ren­de Heu­len aus den letz­ten Ma­nö­vern, bei de­nen wir eben­falls Ver­su­che mit ei­nem Un­ter­was­ser­schall­strah­ler durch­führ­ten. Wenn der Tor­pe­do nicht sitzt, dann …«

Der L. I. be­en­de­te den Satz nicht mehr. Im nächs­ten Se­kun­den­bruch­teil wur­de ich mit größ­ter Wucht auf den Bo­den der Zen­tra­le ge­schleu­dert.

Der I. O. fiel schwer auf mei­ne Bei­ne. Dicht vor mir schrie je­mand gel­lend auf.

Der U-Kreu­zer war von der ver­hee­ren­den Druck­wel­le er­faßt wor­den, die durch die De­to­na­ti­on des Atom­spreng­kopfs des Tor­pe­dos er­zeugt wor­den war.

Das Licht be­gann zu fla­ckern, doch die Bild­flä­che des Ob­jekt­tas­ters ar­bei­te­te ein­wand­frei wei­ter.

Ich sah den grell­wei­ßen Feu­er­schein, der tief un­ter uns in der nacht­schwar­zen See auf­glu­te­te. Ich be­merk­te auch die blut­rot leuch­ten­den Was­ser­dampf­mas­sen, die in­fol­ge der ho­hen, ther­mi­schen Wir­kungs­gra­de der Kern­spal­tung dort un­ten bro­del­ten.

Die Ex­plo­si­on fand in ei­ner Was­ser­tie­fe von drei­hun­dert­vier­zig Me­ter statt. Das war das En­de des un­be­kann­ten Boo­tes. Ich konn­te deut­lich fest­stel­len, daß un­ser Tor­pe­do dicht über dem Bu­ckel­turm de­to­niert war. Das war aber auch al­les, was ich mit den Bli­cken er­ha­schen konn­te.

Der stäh­ler­ne Fisch ver­wan­del­te sich schlag­ar­tig in ein zer­bers­ten­des Ge­bil­de, das von den un­heim­li­chen Kräf­ten förm­lich ato­mi­siert wur­de.

Im nächs­ten Au­gen­blick dröhn­te un­ser Kreu­zer auf, als woll­te er sich eben­falls in sei­ne Be­stand­tei­le auf­lö­sen. Es don­ner­te und krach­te so oh­ren­be­täu­bend, daß mir der Schä­del schmerz­te. In dem kurz auf­zu­cken­den Licht sah ich den weit auf­ge­ris­se­nen Mund des I. O. Er schrie si­cher­lich, doch ich konn­te kei­nen Ton hö­ren.

Dann er­faß­te uns end­gül­tig die Druck­wel­le, die sich nun ge­walt­sam nach oben durch­ge­ar­bei­tet hat­te. Wir konn­ten uns nur noch am Ran­de der ent­fes­sel­ten Ge­wal­ten be­fin­den, trotz­dem wur­de un­ser Sechs­tau­send-Ton­nen-Kreu­zer mit un­heim­li­cher Wucht nach oben ge­ris­sen. Wir schos­sen me­ter­hoch aus den bro­deln­den und ver­damp­fen­den Was­ser­mas­sen her­aus, fie­len schwer in die Flu­ten zu­rück und wur­den noch­mals hoch­ge­ris­sen.

Es war ein Wun­der, daß der Druck­kör­per die­sen Kräf­ten trot­zen konn­te.

Ich hör­te das schril­le Heu­len un­se­rer Trieb­wer­ke, als sie se­kun­den­lang im Leer­lauf ras­ten. Dann tauch­ten wir wie­der ein. Plötz­lich wur­de es ru­hi­ger. Das Boot roll­te noch wie ein ver­wun­de­ter Rie­sen­fisch, doch wir wa­ren end­gül­tig aus dem Rand­ge­biet der Druck­wel­le her­aus.

Weit hin­ter uns stie­gen Fon­tä­nen aus der ko­chen­den See auf. Gisch­tend, brüh­heiß und ver­damp­fend schos­sen die Flu­ten in den wol­ken­ver­han­ge­nen Him­mel. Als die auf­ge­wühl­ten Was­ser­mas­sen wie­der zu­rück­fie­len, wa­ren wir schon weit ent­fernt. Das Grol­len ver­hall­te. Das Boot wur­de von den voll­au­to­ma­ti­schen Sta­bi­li­sa­to­ren auf­ge­fan­gen. Vor­über­ge­hend fla­cker­te das licht noch leicht; dann strahl­ten die Leucht­röh­ren wie­der in hel­lem Glanz.

Stöh­nend rich­te­te ich mich vom Bo­den auf. Un­be­wußt fuhr ich mir mit dem Handrücken über mein blut­ver­schmier­tes Ge­sicht. Ne­ben mir er­hob sich tau­melnd der Ers­te Of­fi­zier. Sein Ge­sicht war ver­zerrt und lei­chen­blaß.

Ich ach­te­te nicht auf die er­reg­ten, über­all auf­klin­gen­den Ru­fe, son­dern stürz­te an die Mi­kro­pho­ne.

»L. I.«, schrie ich hin­ein, »ist das Boot noch klar? Ma­schi­ne, so­fort Mel­dung ab­ge­ben.«

»Was­ser­ein­bruch im ach­teren Tor­pe­doraum«, gab der Chef-In­ge­nieur ru­hig durch. »Leck­si­che­rungs­kom­man­dos un­ter­wegs. Trimm­zel­len 8, 13 und 14 sind leck­ge­schla­gen. Das ach­te­re Steu­er­bord-Tie­fen­ru­der klemmt.«

»Trim­men Sie den He­ring aus«, rief ich ru­hi­ger zu­rück. »Ma­schi­ne, wie sieht es bei Ih­nen aus?«

»Kei­ne Schä­den, Sir«, be­rich­te­te der dienst­ha­ben­de In­ge­nieur. »Ge­ring­fü­gi­ger Was­ser­ein­bruch kann ab­ge­dich­tet wer­den. Fahrt kann ge­hal­ten wer­den.«

»Ge­hen Sie auf re­du­zier­te Marsch­fahrt fünf­zig Mei­len. L. I., auf vier­zig Me­ter Tie­fe ab­tau­chen. Las­sen Sie den Kahn nicht ab­sa­cken!«

Die Mel­dun­gen aus den an­de­ren Ab­tei­lun­gen ka­men oh­ne Ver­zö­ge­rung. Die üb­ri­gen Be­sat­zungs­mit­glie­der wa­ren völ­lig ver­stört, doch sie rea­gier­ten ein­wand­frei. Aus den Mel­dun­gen er­gab sich, daß die Schä­den nur ach­tern auf­ge­tre­ten wa­ren, da sich die Druck­wel­le dort am stärks­ten aus­ge­wirkt hat­te.

Ich setz­te mich auf den Dreh­ses­sel des Kom­man­dan­ten und blick­te die Män­ner an. Ei­ni­ge von ih­nen grins­ten schon wie­der.

»Das …, das war aber ver­flucht na­he, Sir!« äu­ßer­te der I. O. »Der Spreng­kopf hat­te im­mer­hin ei­ne Ener­gie­ent­wick­lung von sechs­hun­dert Ton­nen TNT. Wenn wir nicht im ›wei­chen‹ Was­ser dicht un­ter der Ober­flä­che ge­we­sen wä­ren, hät­te es uns zer­ris­sen.«

»Was den­ken Sie wohl, wes­halb ich vor dem Schuß auf­ge­taucht bin?« ent­geg­ne­te ich sach­lich. »Un­se­re ho­he Fahrt­stu­fe hat uns noch recht­zei­tig aus dem He­xen­kes­sel her­aus­ge­bracht. Hän­gen Sie sich nun den Gei­ger­zäh­ler um den Hals, und ge­hen Sie mit dem Or­tungs­trupp das Boot ab. Falls der Druck­kör­per ir­gend­wo ra­dio­ak­tiv ge­wor­den ist, er­war­te ich so­fort Mel­dung.«

Er sa­lu­tier­te und ver­ließ die Zen­tra­le. Als er ge­ra­de die Schie­be­tür schlie­ßen woll­te, tauch­te Elis Tee­fer auf. Ich sah ihr lei­chen­blas­ses Ge­sicht und be­merk­te die blut­un­ter­lau­fe­ne Beu­le an ih­rer Stirn.

Fra­gend sah sie mich an. Ih­re Be­herr­schung war be­wun­derns­wert. Es gab kei­ne hys­te­ri­schen Ru­fe, son­dern nur ei­ne stum­me Fra­ge.

»Hal­lo, Dok­tor, ha­be ich Sie ge­stört?«

Sie lä­chel­te schwach.

»Ich neh­me an, daß wir uns dicht am Zen­trum ei­ner Un­ter­was­ser­de­to­na­ti­on be­fun­den ha­ben.«

»Ex­akt de­fi­niert«, be­stä­tig­te ich. »Je­mand hat­te sich tat­säch­lich ein­ge­bil­det, er könn­te uns un­ge­straft mit ei­nem Ul­tra­schall­strah­ler an­grei­fen. Wahr­schein­lich hoff­te der frem­de Kom­man­dant, wir wür­den lan­ge ge­nug zö­gern. Die­sen Ge­fal­len ha­ben wir ihm aber nicht ge­tan. Sli­ter, Ih­re Ka­me­ra hat doch hof­fent­lich feh­ler­frei funk­tio­niert?«

»Dar­auf kön­nen Sie sich ver­las­sen, Sir«, ver­si­cher­te der Ra­dar­of­fi­zier. Er nahm so­eben den Film aus der Au­to­mat­ka­me­ra.

»Sie soll­ten zum Bord­arzt ge­hen, Sir«, riet Elis mir noch, be­vor sie sich wie­der zu­rück­zog.

Ich be­trach­te­te mein Ge­sicht in der spie­geln­den Schei­be ei­nes Bild­ge­rä­tes. Über dem lin­ken Au­ge hat­te ich ei­ne klaf­fen­de Riß­wun­de.

»Schön, kon­sul­tie­ren wir den Arzt. Sli­ter, ge­ben Sie An­wei­sung an den L. I. Er soll auf An­ten­nen­tie­fe ge­hen. Schi­cken Sie mir den Fun­kof­fi­zier. Ich bin bei Dr. Tolst.«

»Aye, aye, Sir.«