5.
Der Kreuzer hatte bei einer Unterwasser-Marschfahrt von achtzig Seemeilen knapp dreißig Stunden benötigt, um die Strecke San Francisco – Tanaga zu überwinden.
Ich stand in der kreisförmigen, direkt unter dem Turm eingebauten Zentrale und beobachtete die Bildschirme des hochwertigen Sup-Asdic-Gerätes, das ununterbrochen das vor uns liegende Seegebiet abtastete.
Auf den drei anderen Rundsichtbildschirmen erschienen der Meeresboden und die seitlich von uns liegenden Wassermassen.
Die Nummernskala des Tiefenmessers stand seit einigen Stunden auf der Zahl ›fünfhundert‹. Diese Tiefe war von den vollautomatischen Kontrollen laufend eingehalten worden. Die technischen Einrichtungen des Kreuzers waren zu neunzig Prozent automatisiert; deshalb erforderte der Sechstausend-Tonnen-Gigant nur eine Besatzungsstärke von hunderteinundzwanzig Mann einschließlich Kommandant.
Außer dem Unterwasserradar zur Außenbordbildaufnahme lief noch das auf Ultraschallbasis arbeitende Sup-Asdic-Gerät, dessen Tast- und Ortungsergebnisse in bildartigen Grafiken wiedergegeben wurden.
Damit verfügte der Kreuzer über zwei verschiedenartige Ortungsgeräte, die sich in ihren Ergebnissen ergänzten. Das moderne U-Radar hatte außerdem den. Vorteil, daß geortete Körper optisch sichtbar gemacht werden konnten. Die genauen Relief-Echogramme des Asdic-Gerätes waren ebenfalls verläßlich.
Ich konnte durch die vollautomatische Auswertung an den Instrumenten ablesen, daß der unter uns liegende Meeresboden fast übergangslos nach unten absank. Die Walzenskalen tickten sehr rasch weiter. Das Unterwasserfernbild des Radars begann zu verschwimmen.
»Der Aleuten-Graben, Sir«, berichtete der Erste Radaroffizier des Bootes. »Da muß vor unbekannten Zeiträumen ein gewaltiger Einbruch des Meeresbodens stattgefunden haben.«
Ich nickte geistesabwesend. Meine Gedanken kehrten wieder zu dem U-Transporter zurück, der nach den Mitteilungen meiner Kollegin in dreitausendachthundert Meter Tiefe auf Grund liegen sollte. Ich konnte mir vorstellen, wie es in dem stählernen Fisch aussah. Die zulässige Höchsttauchtiefe für meinen starken Offensivkreuzer belief sich auf fünfzehnhundert Meter, kurzzeitig verantwortbar waren allenfalls zweitausend Meter. Sollte ich es riskieren, noch tiefer zu gehen, so konnte ich sicher sein, daß der starke Wasserdruck das Boot zusammenpressen würde.
Wahrscheinlich war das mit dem Druckkörper des Transporters aber nicht geschehen. Die Explosion hatte zweifellos schon stattgefunden, als er sich noch in geringeren Wassertiefen befand. Das Wasser mußte in den Rumpf eingedrungen sein und den Druckausgleich hergestellt haben. Infolgedessen konnten die Überreste nicht zerdrückt worden sein. Wenn meine Annahme stimmte, gab es berechtigte Hoffnung, daß Professor Morrows Leiche gefunden wurde.
Diese Überlegungen beschäftigten mich schon während der ganzen Fahrt. Morrow hatte sehr wichtige Unterlagen mitgeführt. Es handelte sich um Pläne über die unterirdischen Atomwaffendepots auf Tanaga, die er persönlich nach Washington bringen sollte. Sollte seine Leiche nicht entdeckt werden, so konnte daraus nur die Schlußfolgerung gezogen werden, daß man ihn vor dem Untergang aus dem Boot herausgeholt hatte. Das aber würde eine Katastrophe bedeuten, da Morrow zu den Kernphysikern gehörte, die an der Entwicklung der C-Bombe maßgebend beteiligt waren.
Die Kohlenstoffbombe war eine Weiterentwicklung der H-Bombe. Etwa vor einem Jahr hatte man den ersten Versuch mit der C-Bombe gestartet. Man hatte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen und dieses Experiment auf der Rückseite des Mondes vorgenommen.
Dabei war festgestellt worden, daß man sich wieder einmal verrechnet hatte. Die Energieentwicklung der C-Reaktion war tausendmal stärker gewesen als die einer H-Bombe. Man sprach vergleichsweise von zehn Milliarden Tonnen TNT.
Vier dieser Bomben hatte ich an Bord, und der verschwundene Kernphysiker wußte genau, wie die C-Bomben hergestellt wurden.
Während ich noch über den Fall nachgrübelte, zuckte der neben mir sitzende Radaroffizier zusammen. Ich bemerkte, daß er sich nach vorn beugte und auf die Bildfläche des Grundtasters blickte.
Ich wollte ihn gerade fragen, als er erregt meldete:
»Ortung, Sir. Fremdkörper etwa vierhundert Meter unter uns. Liegt noch etwas zurück, kommt aber rasch auf.«
Ich fuhr herum, wie von einer giftigen Viper gebissen. Mit zwei Sprüngen war ich vor dem Bildschirm, auf dem die verschwommenen Umrisse des tief unter uns liegenden Meeresboden zu sehen waren. Ich beobachtete jetzt etwas, was vor Augenblicken noch nicht sichtbar gewesen war.
Es war ein langgestreckter, grünleuchtender Fleck, der sich sehr rasch über den Rand der Bildfläche bewegte. Aus der Gradeinteilung ging hervor, daß dieser Fleck, der nur von einem großen Körper herrühren konnte, genau in unserem Kielwasser folgte.
Der Radaroffizier schaltete bereits. Unser spezieller Objekttaster begann zusätzlich zu arbeiten. Es war ein typischer Richtstrahler, der sich nun automatisch auf das von dem Breitbandgerät ausgemachte Objekt einpeilte.
»Schalten Sie auf Bild«, befahl ich mit geschauspielerter Ausgeglichenheit. Ich war mir nicht bewußt, daß ich mit beiden Händen die Sitzlehne des vor mir angebrachten Drehsessels umklammerte.
Eine andere, ebenfalls kreisförmige Bildfläche flammte auf. Sie gehörte zum Objekttaster und zeigte nur das, was von dem scharfgebündelten Impulsstrahl aufgenommen wurde.
Der tief unter uns aufkommende Körper wurde in seinen Umrissen sichtbar. Es dauerte einige Augenblicke, bis das Bild schärfer wurde.
Der Radaroffizier drehte an der Mikrometerabstimmung der Feineinstellung. Plötzlich entstand der Eindruck, als schösse der Körper auf uns zu.
»Vergrößerungsstufe fünf, Sir. Wahre Entfernung 832. Boot liegt auf Kurs 326 Grad.«
Das war exakt unser Kurs. Ich hörte die diensthabenden Männer der Zentrale erregt atmen und fühlte auch ihre Blicke.
Vor dem Bildschirm stehend starrte ich auf das naturgetreue Abbild des Bootes, das mit großer Geschwindigkeit von achtern aufkam.
Der Radarmann ermittelte bereits die Feindaten. Ich vernahm das Summen der elektronischen Rechenmaschine.
»Fahrt des fremden Bootes genau 98,3 Seemeilen«, meldete er. Seine Stimme klang so ruhig, als säße er in einer Hotelhalle und nicht in der Zentrale eines kampfstarken U-Kreuzers. »Wahrscheinlich ein schnelles Jagdboot!«
»Können Sie noch stärker vergrößern?«
»Nein, Sir. Fünffach ist die Grenze.«
»Dann versuchen Sie, ob Sie das Bild noch etwas klarer bekommen. Ich möchte den Typ erkennen.«
Es gelang ihm tatsächlich. Der dunkle Körper zeichnete sich plötzlich noch schärfer ab.
»Kenne ich nicht, Sir«, meinte der Radarmann. Ich zweifelte nicht an seiner Aussage. Er konnte diesen Bootstyp auch nicht kennen, da er wahrscheinlich niemals in einem chinesischen U-Bootshafen herumgeschnüffelt hatte.
Ich dagegen erkannte augenblicklich, mit wem wir es zu tun hatten. Die plumpe Torpedoform des etwa hundertvierzig Meter langen Bootes war mir sehr gut bekannt, da ich gerade in dieser Richtung in Asien gearbeitet hatte. Ich wußte, daß es sich um eines der modernsten und schnellsten U-Jagdboote des GAS handelte. Charakteristisch war der fehlende Turmaufbau, der an dem fremden Boot durch eine flache Stahlkuppel ersetzt war.
Ich wandte mich wieder um und schlug mit der Hand auf den roten Schalter. Während die anwesenden Männer der Wache zu schwitzen begannen, schrillten im Boot die Alarmanlagen auf.
Die Klingeln hallten noch nach, als der I. O. in die Zentrale gestürzt kam. Schreckensbleich sah er mich an. Ich ahnte, daß er in dem Augenblick an die vier C-Bomben dachte, die wir an Bord hatten.
»Klar Schiff zum Gefecht, Mr. Sonth. Ich will die Leute in einer halben Minute auf den Gefechtsstationen sehen.«
Er begab sich sofort an die Mikrophone der Rundrufanlage.
Ich drückte den Schalter nieder. Vor mir flammten etliche kleine Bildflächen auf.
»Maschine«, schrie ich in das Mikrophon, »dreimal äußerste Kraft voraus und alle mehr! Fahrtsteigerung auf mindestens neunzig Knoten.«
Der diensthabende Ingenieur bestätigte. Ich sah auf der Bildfläche, wie seine Hände arbeiteten.
In das dumpfe Rauschen der schweren Staustrahltriebwerke mischte sich das Aufheulen der Quecksilber-Dampfstrahlturbinen. Der Plutonium-Meiler hatte nun für alle Triebwerkseinheiten die thermische Aufheizungsenergie zu liefern. Bei den enorm hohen Arbeitstemperaturen geschah das innerhalb von Sekunden.
Die Turbinen heulten noch schriller auf. Im gleichen Augenblick kuppelte die ebenfalls turbobetriebene Schraube ein, die normalerweise lediglich als Zusatztriebwerk diente. Sie wurde sonst nur bei Aus- und Einlaufmanövern verwendet.
»Schraubenturbinen laufen Umdrehungen für zwanzig Knoten«, meldete die Maschine. »Schubleistung der DS- und Staustrahltriebwerke für siebzig Meilen.«
Die Meldung war sehr schnell gekommen. Demnach hatten sie die Maschinen auf Leistung »gekitzelt«. U-2338 schoß plötzlich mit neunzig Meilen durch die See.
»Fremdes Boot holt auf«, meldete der Radaroffizier nervös. »Aufkommgeschwindigkeit 8,3 Knoten.«
Diese Angabe war für mich die letzte Bestätigung. Ich wußte genau, daß die neuen, kleinen Jagdkreuzer des GAS etwa hundert Seemeilen laufen konnten.
»Wer ist das, Sir?« fragte der I. O. und fuhr sich über die schweißbedeckte Stirn. Aus geweiteten Augen starrte er auf die Spezialbildfläche des Objekttasters. Der chinesische Jäger wurde immer deutlicher sichtbar. Infolge unserer Fahrterhöhung kam er nicht mehr so schnell auf, doch es konnte nur noch eine Frage von Minuten sein, bis er direkt unter uns stehen würde.
Über diese Tatsache war ich mir klar, doch ich fragte mich, was dieses sinnlos erscheinende Tun eigentlich bedeuten sollte! Wenn der fremde Kommandant zum Angriff entschlossen war, dann hätte er längst dazu übergehen können. Deshalb brauchte er nicht so nahe heranzukommen!
Ich überlegte angestrengt, doch ich fand keine befriedigende Erklärung. Wieder mußte ich an die vier C-Bomben denken, die gut verstaut im Laderaum T-3 lagen.
»Was hat der nur vor?« schrie der »Erste«. »Gleich ist er genau unter uns.«
Darauf hatte ich nur gewartet. Auf dem Bildschirm konnten wir das fremde Boot nun genau von oben betrachten. Ich verzog die Lippen zu einem bissigen Grinsen und drückte wieder einen Schalter nieder. Der L. I. erschien auf dem Kontrollschirm.
»L. I. klarmachen zum Manöver. Ich wünsche, daß Sie blitzartig reagieren.«
In unserem Ortungstaster tickte es. Der Zentralemaat rief zu mir herüber:
»Wir werden angepeilt, Sir. Ultrakurze Impulse, Lautstärke dreizehn.«
Sogleich darauf meldete sich der Radaroffizier erstaunlich ruhig.
»Fremdes Boot steigt. Hat seine Fahrtstufe der unseren angeglichen.«
Auf der Bildfläche konnte man das noch nicht bemerken, da sich, der Bug des kleinen Kreuzers nur unmerklich aufgerichtet hatte. Es waren auch keine entweichenden Luftblasen zu beobachten, so daß der stählerne Fisch dynamisch auftauchte. Das geschah in dem Fall nur mit Hilfe der vorderen und achteren Tiefenruder.
»Boot steigt mit drei Meter pro Sekunde«, ergänzte der Radaroffizier.
Nun hatte ich Gewißheit. Wenn die Burschen nicht etwas Gemeines beabsichtigten, dann wollte ich nicht in der Zentrale von U-2338 stehen.
»I. O. sehen Sie genau auf den Schirm. Können Sie auf dem Boot irgendwelche Nationalitätskennzeichen erkennen?«
Die Antwort lautete klar »nein«. Ich begann eisig zu lächeln.
»Sliter, lassen Sie die automatische Filmkamera anlaufen. Tempo.«
Der Radaroffizier schaltete, und schon surrte die Kamera. Sie hielt das Bild fest, das auf der Spezialbildfläche erschien.
»Meine Herren, ich stelle fest, daß wir es hier mit einem Piraten-U-Boot zu tun haben. Einwendungen?«
Sie starrten mich schweigend an. Ich bemerkte eine allgemeine Bestürzung.
»Also keine Einwendungen. Sie werden später zu bezeugen haben, daß das Boot keine Nationalitätsfarben, noch nicht einmal eine Nummer trug. Das wäre alles.«
Ich drückte erneut einen Schalter nieder und sprach ins Mikrophon.
»Achtung, Hecktorpedoraum. Klarmachen zum Unterwasserbeschuß. Viererfächer vorbereiten. Raketenstrahltorpedos mit Plutonium-Sprengköpfen verwenden. Robotzielgeräte in Torpedoköpfen anlaufen lassen. Ausführung.«
Der achtere Torpedooffizier bestätigte.
»Sir, um Himmels willen, das können Sie doch nicht …!« rief der I. O. entsetzt.
»Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gefragt, Mr. Sonth«, entgegnete ich hart.
»L. I. dynamisch auftauchen. Steigwinkel dreißig Grad. Auf Antennentiefe gehen, klarmachen zum Ausfahren der Richtstrahlantenne. Ausführung.«
Die Befehle drangen aus allen Lautsprechern der Rundruf anläge. Im nächsten Augenblick schoß der U-Kreuzer so ruckartig nach oben, daß sich die Leute krampfhaft festhalten mußten.
Unsere Maschinen tobten nach wie vor mit höchster Kraftentfaltung, so daß wir regelrecht auf die noch ferne Wasseroberfläche zurasten.
»Sliter, kommt das fremde Boot mit?«
Der Radaroffizier zögerte eine Sekunde. Hinter ihm summte die elektronische Rechenmaschine.
Er hatte anscheinend verneinen wollen, doch plötzlich rief er erregt:
»Boot folgt, Sir.«
Das reichte mir zum endgültigen Entschluß. Obwohl ich mir noch immer nicht darüber klar war, was die Manöver zu bedeuten hatten, traute ich dem Frieden nicht mehr. In mir kam ein ungutes Gefühl auf, zumal ich mich daran erinnerte, daß ich nur ein Pseudo-Kommandant war. Natürlich war ich verantwortlich für das Boot, aber ich hatte auch meine weitreichenden Sondervollmachten als Captain der GWA in der Tasche.
Wir waren nur noch knapp fünfzig Meter unterhalb der Wasseroberfläche. Unter uns kam der schwarze Stahlrumpf mit steil nach oben gerichtetem Bug angeschossen.
Unser L. I. brachte den Kreuzer wieder in die waagerechte Lage. Kurz danach klang seine Stimme auf:
»L. I. an Kommandant. Boot befindet sich auf Antennentiefe. Frage: Soll Richtstrahler ausgefahren werden?«
Ich zögerte einige Augenblicke. Plötzlich vernahm ich die pochenden Schläge, die durch den ganzen Rumpf liefen.
»Was ist das?« erkundigte sich der Erste. »Das ist keine Asdic-Ortung. Das klingt anders.«
Ein seltsames Gefühl ergriff mich! Eine dringende Warnung, die mich immer mahnte, wenn irgend etwas gefährlich war.
Ich zögerte keine Sekunde mehr.
»Heck-Torpedoraum, Achtung!« brüllte ich in die Mikrophone. »Rohr eins klar zum Schuß.«
»Rohr eins klar«, wurde gemeldet. »Fernsteuergerät zur Zielkurseinweisung läuft. Robotsteuerung in Torpedokopf läuft.«
»Rohr eins … Los …!«
Weit hinten, im achteren Torpedoraum, zischte es kurz auf. Zusammen mit einem quirlenden Preßluftstrom schoß der zehn Meter lange Torpedo aus dem Ausstoßrohr. Auf den Heckbildflächen des Radarbreitstrahlers erschien er als blitzender Strich, der unter der Entwicklung einer Leuchterscheinung und aufwallender Wassermassen erst nach achtern und dann plötzlich nach unten schoß.
Der Torpedo war mit einem Feststoffraketentriebwerk ausgerüstet, das auch unter Wasser arbeitete, da der zur Verbrennung notwendige Sauerstoff im Treibsatz enthalten war.
Diese Torpedos erreichten eine Geschwindigkeit von einhundertsiebzig Knoten und liefen vier Meilen weit. Fehlschüsse waren so gut wie unmöglich. Die vollautomatischen Robotzielgehirne waren jahrelang erprobt und immer wieder verbessert worden.
Der Aal verschwand. Unser Kreuzer jagte weiter.
Das seltsame Pochen hatte sich zu einem kreischenden Geräusch verstärkt, das den gesamten Bootskörper erzittern ließ.
Wir hielten uns krampfhaft an den Halteschlingen fest, die überall im Boot angebracht waren. Die Sichtgläser der Instrumente führten einen seltsamen Tanz auf. In diesem Augenblick drang die Stimme des Leitenden Ingenieurs aus allen Lautsprechern.
»Sir«, schrie er, »wir werden offenbar mit einem Ultraschall-Strahler angegriffen. Ich kenne das bohrende Heulen aus den letzten Manövern, bei denen wir ebenfalls Versuche mit einem Unterwasserschallstrahler durchführten. Wenn der Torpedo nicht sitzt, dann …«
Der L. I. beendete den Satz nicht mehr. Im nächsten Sekundenbruchteil wurde ich mit größter Wucht auf den Boden der Zentrale geschleudert.
Der I. O. fiel schwer auf meine Beine. Dicht vor mir schrie jemand gellend auf.
Der U-Kreuzer war von der verheerenden Druckwelle erfaßt worden, die durch die Detonation des Atomsprengkopfs des Torpedos erzeugt worden war.
Das Licht begann zu flackern, doch die Bildfläche des Objekttasters arbeitete einwandfrei weiter.
Ich sah den grellweißen Feuerschein, der tief unter uns in der nachtschwarzen See aufglutete. Ich bemerkte auch die blutrot leuchtenden Wasserdampfmassen, die infolge der hohen, thermischen Wirkungsgrade der Kernspaltung dort unten brodelten.
Die Explosion fand in einer Wassertiefe von dreihundertvierzig Meter statt. Das war das Ende des unbekannten Bootes. Ich konnte deutlich feststellen, daß unser Torpedo dicht über dem Buckelturm detoniert war. Das war aber auch alles, was ich mit den Blicken erhaschen konnte.
Der stählerne Fisch verwandelte sich schlagartig in ein zerberstendes Gebilde, das von den unheimlichen Kräften förmlich atomisiert wurde.
Im nächsten Augenblick dröhnte unser Kreuzer auf, als wollte er sich ebenfalls in seine Bestandteile auflösen. Es donnerte und krachte so ohrenbetäubend, daß mir der Schädel schmerzte. In dem kurz aufzuckenden Licht sah ich den weit aufgerissenen Mund des I. O. Er schrie sicherlich, doch ich konnte keinen Ton hören.
Dann erfaßte uns endgültig die Druckwelle, die sich nun gewaltsam nach oben durchgearbeitet hatte. Wir konnten uns nur noch am Rande der entfesselten Gewalten befinden, trotzdem wurde unser Sechstausend-Tonnen-Kreuzer mit unheimlicher Wucht nach oben gerissen. Wir schossen meterhoch aus den brodelnden und verdampfenden Wassermassen heraus, fielen schwer in die Fluten zurück und wurden nochmals hochgerissen.
Es war ein Wunder, daß der Druckkörper diesen Kräften trotzen konnte.
Ich hörte das schrille Heulen unserer Triebwerke, als sie sekundenlang im Leerlauf rasten. Dann tauchten wir wieder ein. Plötzlich wurde es ruhiger. Das Boot rollte noch wie ein verwundeter Riesenfisch, doch wir waren endgültig aus dem Randgebiet der Druckwelle heraus.
Weit hinter uns stiegen Fontänen aus der kochenden See auf. Gischtend, brühheiß und verdampfend schossen die Fluten in den wolkenverhangenen Himmel. Als die aufgewühlten Wassermassen wieder zurückfielen, waren wir schon weit entfernt. Das Grollen verhallte. Das Boot wurde von den vollautomatischen Stabilisatoren aufgefangen. Vorübergehend flackerte das licht noch leicht; dann strahlten die Leuchtröhren wieder in hellem Glanz.
Stöhnend richtete ich mich vom Boden auf. Unbewußt fuhr ich mir mit dem Handrücken über mein blutverschmiertes Gesicht. Neben mir erhob sich taumelnd der Erste Offizier. Sein Gesicht war verzerrt und leichenblaß.
Ich achtete nicht auf die erregten, überall aufklingenden Rufe, sondern stürzte an die Mikrophone.
»L. I.«, schrie ich hinein, »ist das Boot noch klar? Maschine, sofort Meldung abgeben.«
»Wassereinbruch im achteren Torpedoraum«, gab der Chef-Ingenieur ruhig durch. »Lecksicherungskommandos unterwegs. Trimmzellen 8, 13 und 14 sind leckgeschlagen. Das achtere Steuerbord-Tiefenruder klemmt.«
»Trimmen Sie den Hering aus«, rief ich ruhiger zurück. »Maschine, wie sieht es bei Ihnen aus?«
»Keine Schäden, Sir«, berichtete der diensthabende Ingenieur. »Geringfügiger Wassereinbruch kann abgedichtet werden. Fahrt kann gehalten werden.«
»Gehen Sie auf reduzierte Marschfahrt fünfzig Meilen. L. I., auf vierzig Meter Tiefe abtauchen. Lassen Sie den Kahn nicht absacken!«
Die Meldungen aus den anderen Abteilungen kamen ohne Verzögerung. Die übrigen Besatzungsmitglieder waren völlig verstört, doch sie reagierten einwandfrei. Aus den Meldungen ergab sich, daß die Schäden nur achtern aufgetreten waren, da sich die Druckwelle dort am stärksten ausgewirkt hatte.
Ich setzte mich auf den Drehsessel des Kommandanten und blickte die Männer an. Einige von ihnen grinsten schon wieder.
»Das …, das war aber verflucht nahe, Sir!« äußerte der I. O. »Der Sprengkopf hatte immerhin eine Energieentwicklung von sechshundert Tonnen TNT. Wenn wir nicht im ›weichen‹ Wasser dicht unter der Oberfläche gewesen wären, hätte es uns zerrissen.«
»Was denken Sie wohl, weshalb ich vor dem Schuß aufgetaucht bin?« entgegnete ich sachlich. »Unsere hohe Fahrtstufe hat uns noch rechtzeitig aus dem Hexenkessel herausgebracht. Hängen Sie sich nun den Geigerzähler um den Hals, und gehen Sie mit dem Ortungstrupp das Boot ab. Falls der Druckkörper irgendwo radioaktiv geworden ist, erwarte ich sofort Meldung.«
Er salutierte und verließ die Zentrale. Als er gerade die Schiebetür schließen wollte, tauchte Elis Teefer auf. Ich sah ihr leichenblasses Gesicht und bemerkte die blutunterlaufene Beule an ihrer Stirn.
Fragend sah sie mich an. Ihre Beherrschung war bewundernswert. Es gab keine hysterischen Rufe, sondern nur eine stumme Frage.
»Hallo, Doktor, habe ich Sie gestört?«
Sie lächelte schwach.
»Ich nehme an, daß wir uns dicht am Zentrum einer Unterwasserdetonation befunden haben.«
»Exakt definiert«, bestätigte ich. »Jemand hatte sich tatsächlich eingebildet, er könnte uns ungestraft mit einem Ultraschallstrahler angreifen. Wahrscheinlich hoffte der fremde Kommandant, wir würden lange genug zögern. Diesen Gefallen haben wir ihm aber nicht getan. Sliter, Ihre Kamera hat doch hoffentlich fehlerfrei funktioniert?«
»Darauf können Sie sich verlassen, Sir«, versicherte der Radaroffizier. Er nahm soeben den Film aus der Automatkamera.
»Sie sollten zum Bordarzt gehen, Sir«, riet Elis mir noch, bevor sie sich wieder zurückzog.
Ich betrachtete mein Gesicht in der spiegelnden Scheibe eines Bildgerätes. Über dem linken Auge hatte ich eine klaffende Rißwunde.
»Schön, konsultieren wir den Arzt. Sliter, geben Sie Anweisung an den L. I. Er soll auf Antennentiefe gehen. Schicken Sie mir den Funkoffizier. Ich bin bei Dr. Tolst.«
»Aye, aye, Sir.«