10.
»Danke! Es liegt mir fern, auf Polstern Platz zu nehmen, die noch die Körperwärme nichtmenschlicher Lebewesen ausströmen. Kommen wir zur Sache, Tumadschin!«
Der Chef stand vor mir. Reling wirkte wie ein Fels; unerschütterlich und unumgehbar. Er machte den denkbar besten Eindruck.
Er dachte auch nicht daran, mich mit meinem Titel anzureden. Sogar das »Khan« ließ er weg. Er betonte deutlich seinen hohen Rang, ohne eine direkte Beleidigung auszusprechen. Für ihn war ich »Tumadschin«; das genügte.
Seine Begleitoffiziere schwiegen. Sie schauten jedoch beharrlich zu den Hypnos hinüber, die sich zwischen meinen Verbündeten nicht wohlfühlten.
Reling hatte die Fremden nur mit einem kalten, drohenden Blick gestreift. Einen besseren Partner als ihn hätte ich zur Vollendung des großen Spiels nicht finden können.
Ich zog es vor, eine legere Haltung einzunehmen. Mein Lächeln konnte viel bedeuten. Sollten es die Hypnos auslegen, wie sie wollten. Es kam nun darauf an, Terras grenzenlose militärische Macht klar herauszustellen. Das war der Zweck des Gegenschlagprogramms Kopernikus.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?« erkundigte ich mich. »Ihre Ankunft erfolgte etwas überraschend. Sie erinnerte mich sogar nachhaltig an eine bestimmte Klausel jenes Vertrages, den ich mit der Regierung der Galaktischen Union geschlossen habe. Verzeihen Sie eine Frage, Sir: Sind Sie neuerdings die Regierung?«
Reling verfärbte sich. Die enorme Nervenbelastung hatte auch bei diesem harten Mann gewisse Spuren hinterlassen.
»Werden Sie nicht hochtrabend, Tumadschin. So können Sie nicht mit mir reden. Ich werde mir überlegen, ob ich mir die bewußte Klausel vor oder nach dem Angriff ansehen soll.«
»Das ist aber sehr nett, Herr Großadmiral. Ich möchte nur nicht in Ihrer Haut stecken, wenn Sie die zweite Möglichkeit wählen sollten.«
Reling musterte mich von Kopf bis Fuß. Hannibal teilte mir telepathisch mit, der Chef hätte soeben erst den Schock überwunden, den er beim Anblick der Fremden erlitten hatte. Jetzt mußte ich aufpassen! Reling würde zweifellos mit seinem scharfen Verstand brillieren. Ich hätte ihn nicht tatsächlich als Gegner haben mögen.
»Auch das werde ich mir überlegen«, erklärte er ironisch. »Sie befinden sich im Hoheitsgebiet der terranischen Solarverteidigung. Hier befehle ich und sonst niemand. Mir scheint, Tumadschin, als hätte Ihr Gedächtnis nachgelassen. Oder muß ich Sie daran erinnern, wie solche Kleinigkeiten erledigt werden?«
Ich runzelte die Stirn und sah mich nach meinem Hofstaat um.
»Kleinigkeiten? Haben Sie das gehört?«
Man lachte pflichtschuldigst.
Reling warf den »fremden Herrschern« nur einen Blick zu. Das Gelächter verstummte.
»Über dem Mars stehen fünftausenddreihundert Raumschiffe, darunter achtzehnhundert Einheiten der Gigantklasse. Ich warne Sie, Tumadschin! Großzügigerweise haben wir Ihnen die Marswüste als exterritoriales Gelände zur Verfügung gestellt. Wir haben Ihnen aber nicht gestattet, Fremdwesen, die bei uns nicht als Mitglieder Ihres Zweiten Reiches registriert sind, in das Solsystem einfliegen zu lassen.«
»Ich verstehe nicht«, behauptete ich zuvorkommend.
»Sie verstehen sehr gut. Sie haben sich hier mit den Vertretern einer unbekannten Interessengruppe getroffen. Wer sind diese Monstren? Woher kommen sie?«
»Wen meinen Sie bitte?«
Ich sah mich erneut um. Die Hypnos standen bebend zwischen unseren maskierten Mitarbeitern. Eine solche Situation hatte ich fast ein Jahr lang herbeigesehnt! Sie, die tatsächlich Mächtigen, ließen sich bluffen!
Reling schritt langsam auf die Hypnos zu. Er ging an der Reihe der Neun entlang und musterte sie.
»Unbekannt, nicht registriert«, sagte er zu einem seiner Begleitoffiziere. »Rufen Sie Admiral Burschkin an. Erhöhte Gefechtsbereitschaft anordnen. Ich schaffe hier Ordnung. Darauf können Sie sich verlassen. Wer sind die Unbekannten?«
Ich trat zu ihm.
»Sie unterliegen einem verzeihlichen Irrtum, Sir«, behauptete ich. »Die Orghs gehören erst seit einem knappen Jahr zum Zweiten Reich. Ich bin wohl nicht verpflichtet, der Union neue Partner vorzustellen, nicht wahr?«
»Sie sind dazu moralisch verpflichtet. Wir haben Ihre Expansionsbestrebungen geduldet. Gegen meinen Rat, wenn ich Sie darüber aufklären darf!«
»Aber Herr Großadmiral! So etwas denkt man doch nur.«
Reling wechselte erneut die Gesichtsfarbe. Wahrscheinlich hatte er sich in dem Augenblick daran erinnert, daß er mein Vorgesetzter war. Das Täuschungsgespräch wurde zu einem kleinen Duell.
Hannibal grinste versteckt. Natürlich belauschte er Relings Gedankeninhalt.
»Terra ist groß und mächtig«, warf der Kleine nach einem Seufzer ein. »Wie mächtig, Terraner?«
»Dies früher oder später festzustellen, liegt bei Ihnen«, antwortete Reling mit gefährlich wirkender Ruhe. »Sie haben innerhalb von zwölf Stunden den Mars zu verlassen. Ich verbiete allen nichtmenschlichen Intelligenzen ab sofort das Betreten von Himmelskörpern, die von der Galaktischen Union kontrolliert werden. Dazu gehört auch der Mars. Nein, Tumadschin, erwähnen Sie nicht nochmals den Begriff ›exterritoriales Gebiet‹. Die verhandlungsberechtigten Vertreter der Unionsregierung werden in wenigen Stunden eintreffen. Ich glaube nicht, daß der Vertrag nochmals erneuert wird. Bereiten Sie sich darauf vor, diesen Stützpunkt räumen zu müssen. Das aber nur nebenbei.«
Ich überlegte. Worauf wollte der Chef hinaus? Hannibal kam mir zu Hilfe.
»Er legt Wert darauf, die Hypnos wissen zu lassen, daß es künftig zwecklos ist, dich auf dem Mars zu suchen. Damit will er nach Möglichkeit verhindern, daß hier nochmals Einheiten des Gegners auftauchen.«
»Danke«, antwortete ich auf Psi-Ebene. »Nicht schlecht überlegt«
Ich wendete mich wieder an den Chef.
»Wir werden sehen, Sir. Da Sie die für die Union und für das Zweite Reich wichtigen Angelegenheiten mit dem Begriff ›nebenbei‹ definiert haben, darf ich nun wohl erfahren, was Sie für wesentlich halten?«
Reling verzog die Lippen. Nach einem letzten Blick auf die Fremden schritt er zu seinen Begleitern zurück.
»Sie werden hiermit aufgefordert. Ihre Verbündeten im Zeitraum von zwölf Stunden auf die Reise zu schicken. Nur Wesen menschlicher Abstammung dürfen auf dem Mars bleiben, bis die politischen Angelegenheiten geklärt sind. Sollten Sie die Frist von zwölf Stunden überziehen, werde ich das Feuer eröffnen.«
»Sie sagten bereits vorher ähnliche Dinge.«
»Ja, ich kann mich erinnern«, höhnte der Chef. »Ich wollte jedoch nochmals Ihr schlechtes Gedächtnis unterstützen. Kommen wir zum zweiten Punkt des Ultimatums.«
»Oh – Sie sprechen von einem Ultimatum?«
»Ich bewundere Ihre Auffassungsgabe, Tumadschin! Die beiden Fremdraumschiffe, die wir bereits während des Anfluges geortet haben, sind mir zur Untersuchung auszuliefern. Die Besatzungen scheinen Esper zu sein. Parapsychische Impulse wurden von unseren Spezialtastern registriert. Sie haben uns mitzuteilen, woher die Esper kommen.«
»Mit welchem Recht verlangen Sie solche Auskünfte? Es steht mir frei, meine Freunde auch ohne Ihre Billigung auszuwählen.«
Wir maßen uns mit den Blicken. Die Hypnos lauschten aufmerksam. Sie wußten, daß um ihr Leben gehandelt wurde – sie glaubten es zumindest.
»Ich verlange die Auslieferung der Schiffe und der Besatzungen.«
»Ich denke nicht daran, Herr Großadmiral. Sollten Sie ihre vertragswidrigen Forderungen gewaltsam durchzusetzen versuchen, werden ernstzunehmende Gegenmaßnahmen nicht ausbleiben können. Admiral Prolof, rufen Sie die Kommandeure meiner Flottenverbände an. Die laufenden Unternehmungen sind abzubrechen. Konzentrationspositionen nach Plan ›Dreveloht‹ einnehmen, auf weitere Anweisungen warten.«
Prolof salutierte und verschwand. Reling sah ihm nach.
»Dieser Befehl wird nicht vergessen werden, Tumadschin«, drohte er in verhüllter Form. Er lächelte jetzt ebenfalls. »Sie weigern sich also, die Esper zur Untersuchung freizugeben?«
»Sie haben sich diesmal nicht getäuscht, Sir. Ja!«
Reling gab seinen Offizieren einen Wink. Sie zogen phantastisch aussehende Geräte aus den Taschen ihrer Kombis. Wahrscheinlich enthielten die Hüllen außer einer Taschenlampenbatterie Holzwolle oder ähnliche Materialien.
Die Hypnos wurden anvisiert und von einer irisierenden Lichtflut überschüttet.
»Danke, das genügt. Sie haben doch nichts gegen eine Individualbestimmung?«
»Aber nein, natürlich nicht«, entgegnete ich gedehnt.
»Macht Schluß. Die Hypnos stehen kurz vor einem Schlaganfall, wenn es bei ihnen so etwas überhaupt geben sollte«, gab Hannibal durch. »Hört auf. Es reicht.«
Ich räusperte mich bezeichnend und sah unauffällig zu Hannibal hinüber. Reling verstand, daß er den Bogen nicht noch weiter spannen durfte.
Möglichst verbindlich erklärte ich:
»Herr Großadmiral, ich bin bereit, Ihre erste Forderung zu erfüllen. Meine Verbündeten fliegen innerhalb von zwölf Stunden Standardzeit ab. Ich bleibe hier, bis Ihre Regierungskommission eintrifft.«
»Gut. Und die verlangte Auslieferung?«
»Ich bedaure, Sir. Die Orghs gehören zu meinen Verbündeten, auch wenn sie bei Ihnen noch nicht registriert sind. Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, daß es noch mehrere Völker gibt, die Sie nicht kennen. Sie gestatten mir doch diese kleine Freiheit, nicht wahr?«
Reling lachte grimmig auf.
»Dann würde es mich nur interessieren, warum Sie ein Schiff Ihrer Neu-Verbündeten vernichtet haben.«
»Ein Irrtum, Sir. Die Orghs verwendeten überholte Erkennungssymbole.«
»Ich kann Ihnen leider nicht das Gegenteil beweisen, Tumadschin. Schön, ich lasse die Esper ebenfalls abfliegen. Im Zeitraum von zwölf Stunden; haben wir uns klar verstanden?«
»Sehr genau. Darf ich noch darum bitten, Ihr Wachgeschwader zurückzuziehen?«
»Ich lege keinen Wert darauf, Sie weiterhin direkt zu beobachten. Es gibt dazu bessere Möglichkeiten. Wir sehen uns in Kürze wieder.«
»Tatsächlich?«
Reling drehte sich um und ging. Als er vor seinen Robotern angekommen war, wendete er nochmals den Kopf.
»Ganz bestimmt, Tumadschin. Ich gehöre nämlich zur Regierungsdelegation.«
Ich schaute ihm reglos nach, bis er unter Fanfarengeschmetter verschwunden war.
Die Hypnos sahen mich mit ihren Kombiorganen an, die jetzt stumpf wirkten. Die strahlende Leuchtkraft war daraus entwichen.
Ich steigerte mich in einen künstlichen Zorn hinein, ballte die Hände und schritt auf sie zu.
Vor jenem, den ich für den Expeditionschef hielt, blieb ich stehen.
»Ahnen Sie, was Sie angerichtet haben? Reling ist über die angespannte politische Situation ebensogut informiert wie ich. Dieses Gespräch war ein Geplänkel. Ich habe Sie in höchst undiplomatischer Art in Schutz nehmen müssen. Normalerweise wäre es mir nicht eingefallen, durch Prolof meine Flottenkommandeure anrufen zu lassen. Haben Sie dazu etwas zu sagen?«
»Es tut uns leid, Euer Verklärtheit«, war alles, was der kommandierende Hypno zu entgegnen wußte.
»Ach, es tut Ihnen leid. Was denken Sie wohl, was mit Ihnen geschehen wäre, wenn ich mich vom terranischen Oberkommandierenden hätte bluffen lassen? Wenn ich Sie ausgeliefert hätte, obwohl mir die vertraglichen Bestimmungen das Recht zubilligen, Mitglieder des Zweiten Reiches auch auf dem Mars empfangen zu dürfen? Wenn ich nicht auf das noch existierende Abkommen hätte hinweisen können, dann hätten Sie erleben können, wie ungeheuer schnell und hart dieser Terraner zuschlägt. Er wollte mich abtasten, das war alles. Sein Besuch war ein diplomatischer Vorstoß. Tauchen Sie nie wieder ungebeten im Solsystem auf. Ich werde zukünftig nichts mehr für Sie tun können. Ihr Platz ist in den Reihen der Völker, die mit dem Zweiten Reich unter meiner alleinigen Führung zusammenarbeiten. Haben Sie das verstanden?«
»Absolut, Euer Verklärtheit. Wir werden der orghschen Regierung die Vorkommnisse schildern und um einen sofortigen Beschluß ersuchen. Dürfen wir um die Bekanntgabe Ihres Heimatsystems bitten? Die galaktische Position genügt.«
Ich lachte schallend. Hannibal fiel mit seiner lauten, rauhen Stimme ein. Als ich mich beruhigt hatte, sagte ich schroff:
»Wir werden Sie aufsuchen, Orgh! Wir – ehe die Terraner kommen. Meine positronische Auswertung dürfte jetzt schon Ihre Transitionskurve zurückverfolgt haben. Die Terrastationen haben Sie ebenfalls angemessen. Wenn ich nicht vor der Unionsflotte erscheine und Sie durch die Anwesenheit eines Schutzgeschwaders als Verbündete legitimiere, werden Sie atomisiert. Sie scheinen immer noch nicht begriffen zu haben, wessen Aufmerksamkeit Sie auf sich gezogen haben. Ich werde mich rechtzeitig bei Ihnen melden. Kommen Sie aber nicht auf die Idee, meine Schiffe anzugreifen. Unter Umständen erfordert es die jetzige Situation, Sie etwas warten zu lassen. Der Krieg ist wahrscheinlich unvermeidbar. Sorgen Sie für die Bereitstellung starker Verbände. Hunderttausend Schiffe genügen vorerst. Teilen Sie das Ihrer Regierung mit. So, jetzt können Sie in Ihre Kreuzer zurückkehren und den Start vorbereiten. Sie fliegen ab, sobald die terranischen Einheiten verschwunden sind.«
Dogendal griff das Stichwort auf. Er meldete sich über Bildfunk.
»Ortung an Seine Verklärtheit. Großadmiral Reling erreicht soeben seinen Kurierkreuzer. Die schweren Einheiten der Flotte nehmen Fahrt auf. Ich schalte um.«
Der Trickfilm zeigte den Abflug der fünftausend Schiffe. Sie rasten in Richtung Erde davon. Nach zehn Minuten war der kosmische Sektor über dem Mars leer. Das verriet den erfahrenen Raumfahrern aus den Tiefen des Alls, mit welchen ungeheuren Werten die Terraner beschleunigt hatten.
Als letzter Gag wurde der Start der »1418« gezeigt. Natürlich flog sie ohne den Chef ab!
Die Orghs wurden von Männern der Marsdivision aus der Arena geleitet. Ich sah ihnen nach, bis sie hinter den Toren verschwunden waren.
»Das Spiel ist aus«, sagte Roy Talun, alias Admiral Prolof. »Vielleicht beginnt es auch erst. Wer kann das sagen?«
»Folgen Sie mir bitte zur Fernbildzentrale«, forderte ich die führenden Personen auf. »Mr. Trontmeyer, lassen Sie hier bitte Ordnung schaffen. Ich darf den Damen und Herren, die an den Vorführungen beteiligt waren, meinen Dank aussprechen. Die Vorstellung war hervorragend. Es hat niemand versagt.«
Als ich in der Funkzentrale angekommen war, rief ich sofort die Kommandanten der Porcupa-Schiffe BAPURA und TORNTO an.
Die Majore Naru Kenonewe und Stepan Tronsskij meldeten sich. Beide Schiffe waren startklar.
»Trauen Sie sich zu, die Giganten nochmals zu starten?« erkundigte ich mich. »Es wäre mir lieb, wenn Sie den Hypnos Geleitschutz geben könnten. Arbeiten Ihre automatischen Einrichtungen noch?«
»Besser als zuvor, Sir«, versicherte Kenonewe. »Die Reparaturarbeiten scheinen beendet zu sein. Kann uns das Robotgehirn unterstützen?«
Teichburg trat zu mir.
»Was meinen Sie, Professor?«
»Probieren Sie es auf alle Fälle«, sagte jemand. Ich sah mich um.
General Reling durchschritt die Panzerschleuse der marsianischen Station. Ich erhob mich und salutierte.
»Sie sind aber plötzlich sehr höflich, Tumadschin«, meinte Reling trocken. Dann lachte er und reichte uns die Hand.
»Gut, sehr gut sogar«, fuhr er fort. »Mehr konnten wir nicht tun. Utan teilte mir mit, die Hypnos wären sehr beeindruckt. Entspricht das den Tatsachen?«
»Er hat untertrieben, Sir. Ich habe das Gefühl, als hätten wir unser Ziel hundertprozentig erreicht. Die Orghs sind von der terranischen Macht überzeugt. Wir haben mit wesentlich größeren Zahlen gearbeitet, als ursprünglich vorgesehen.«
Relings Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Ich bemerkte jetzt erst, daß es in Topthar niemand gab, der nicht müde gewesen wäre.
»Unser Ziel erreicht?« wiederholte Reling gedankenvoll. »Konnat, das ist für mich noch zweifelhaft. Niemand kann wissen, wie die Hypnos reagieren. Wir können nicht einmal feststellen, ob sie gesund nach Hause kommen. Die Gefahren eines überlichtschnellen Raumfluges sind für uns unvorstellbar.«
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, überlegte Teichburg. »Die Hypnos können sich aus Angst für immer in ihren eigenen Lebensbereich zurückziehen; sie können aber auch in größter Hast aufrüsten, um einer Gefahr zu begegnen, die in Wirklichkeit nicht existiert. Was werden sie tun?«
»Der Hinweis auf unsere angebliche Flottenstärke war zur Vertiefung des Gesamteindruckes unumgänglich«, verteidigte ich mich gegen den unausgesprochenen Vorwurf. »Es spielt für uns außerdem keine Rolle, ob die Orghs wegen der angeblichen Gefahr aufrüsten oder nicht.«
»Es ist relativ gleichgültig, ob die Erde von einem Schlachtschiff oder von zwanzigtausend angegriffen wird. Das meinen Sie doch, oder?« erkundigte sich Dr. Beschter.
Ich nickte. Es war in der Tat gleichgültig. Mehr als vernichtet konnten wir nicht werden.
»Also konnte es nicht verkehrt sein, von einer Übermacht zu sprechen«, betonte Anne Burner. »In den Orghs wird auf jeden Fall der Gedanke keimen, niemals ausreichend gerüstet zu sein, um Terra oder dem Zweiten Reich widerstehen zu können. Sie sind Zweifler an sich selbst. Vergessen Sie nie die psychologisch bedeutungsvolle Tatsache, daß die Hypnos ihre Hauptwaffe, nämlich ihre suggestiven Fähigkeiten, nicht verwenden können. Ich kann mir vorstellen, welche militärischen, politischen und auch kulturellen Probleme dadurch aufgeworfen werden. Meiner Meinung nach werden sie so schnell nicht wiederkommen. Sie, Sir, sollten jedoch nicht den Fehler begehen, nur ein halbes Spiel zu spielen.«
»Wie bitte?« erkundigte sich Reling. »Nennen Sie das, was wir aufgeführt haben, ein halbes Spiel?«
»Ja! Sie haben herausgestellt, daß ein Konflikt zwischen Terra und dem Zweiten Reich kaum ausbleiben kann. Sie mußten es tun, um die Gegensätze plausibel zu machen und um eine Grundlage für den überstürzten Abflug der Hypnos zu schaffen. Nun aber sollte der Bluff vollendet werden. Ich bin zwar kein Techniker, kann mir jedoch vorstellen, daß diese Lebewesen über ausgezeichnete Energieorter verfügen. Man wird nach der Heimkehr der beiden Kreuzer behutsame Erkundungsvorstöße in unseren galaktischen Sektor einleiten. Man wird orten. Sie sollten dafür sorgen, daß irgendwo im Weltraum Atombomben explodieren, und zwar so große und mächtige Atombomben, daß die Hypnos in dem Glauben gewogen werden, der angekündigte Konflikt sei ausgebrochen. Zusätzlich müßte die marsianische Hyperfunkstation eingesetzt werden, damit die Hypnos hier und da eine echte Peilung erhalten. So sagt man doch dazu, nicht wahr?«
Mir schwindelte. Das waren ja bestürzende Forderungen!
Jim Dogendal und die anderen Techniker der Zentrale beobachteten die neun Hypnos. Sie erreichten soeben ihre Raumschiffe und stiegen ein. Unsere Teleobjektive verfolgten jede Bewegung.
»Die hellroten Zugstrahlen sind noch nicht erloschen«, gab Professor Aich zu bedenken. »Sir – ich glaube, Sie müssen noch einmal die letzte Sohle aufsuchen und mit NEWTON sprechen.«
Ich erhob mich. Es blieb mir keine andere Wahl.
Diesmal waren mir etwa zwanzig Wissenschaftler und Offiziere in den Programmierungssaal gefolgt. Ich saß wieder in dem Sessel vor der mittleren Aufnahmekuppel des Gehirns.
»NEWTON an General Thor Konnat, Terra«, sprach mich der Riesenrobot an. »Die gestellten Fragen wurden durchgerechnet. Der unbekannte Faktor im weiteren Verhalten der Orghs liegt nicht hier, sondern auf der Heimatwelt dieser Wesen. Es kann nicht ermittelt werden, wie der Bericht des Expeditionsleiters von außenstehenden Personen aufgefaßt und bewertet wird. Der maßgebliche optische Eindruck, der die Besatzungen der beiden Kreuzer zwang, fehlt bei der voraussichtlichen Berichterstattung völlig. Er kann unter keinen Umständen durch Erklärungen und Schilderungen ersetzt werden. Daraus resultieren weitere unbekannte Faktoren. Es ist angebracht, auch den Befehlshabern dieses Volkes vor Augen zu führen, wie stark Terra ist. Achtung, Vorschlag: Das Heimatsystem der Orghs muß gefunden werden. Weitere Täuschungsmanöver sind zur Erhärtung der Schilderung erforderlich. Ein endgültiger Rückzug dieser Intelligenzen ist nur dann zu erwarten, wenn die maßgeblichen Personen davon überzeugt werden, daß die Expeditionsmitglieder nicht übertrieben haben. In erster Linie ist die Unempfindlichkeit der Terraner gegen die Suggestivkraft der Hypnos zu demonstrieren.«
»Wie kann sie demonstriert werden?« fragte ich.
»Ich werde die Transitionen der Hypnos anmessen, verfolgen und den Endpunkt berechnen«, lautete NEWTONS Antwort.
»Was?« schrie ich fast. »Ist das tatsächlich möglich?«
»Ist durchführbar. Die Programmierungen meiner Erbauer werden gelöscht. Meine Sonderschaltungen berechtigen mich dazu. Ich stehe zu Ihrer Verfügung. Ich rate dringend zu einem baldigen Besuch im System der Orghs. Ihre Hinweise, Sie würden die erste Direktverbindung herstellen, dürfen nicht übersehen werden. Ich rufe Sie an, sobald es feststeht, woher die Hypnos kommen. Dies setzt allerdings voraus, daß sie direkt ihre Heimatwelt anfliegen. Wenn die Orghs glauben, Sie hätten die tatsächliche Position ohnehin bereits entdeckt, bestehen keine Schwierigkeiten. Ich werde Ihnen gegebenenfalls den erforderlichen Transportraum zur Verfügung stellen.«
Das positronische Zentralgehirn von Topthar schwieg.
Ich stellte noch die Forderung, die Fesselstrahlung aufzuheben, damit die Hypno-Kreuzer auch wirklich starten konnten.
Ein kurzes »Ja« war die Antwort.
Wir verließen den Programmierungssaal. Im Vorraum stellte Professor Aich die Theorie auf, das Gehirn hätte längst nicht alles gesagt, womit es sich augenblicklich beschäftige.
Ich griff nicht mehr in die heftigen Debatten ein. Mir war, als schlügen Trommeln in meinem Kopf.
Es dauerte lange, bis wir wieder in der Ortungszentrale ankamen. Die rosaroten Energiesäulen der Zug-Rotatoren waren verschwunden. Triebwerke dröhnten. Die Maschinen der beiden Porcupa-Schiffe waren angelaufen.
Die Hypnos meldeten sich nochmals und baten um Starterlaubnis. Ich zog ein Mikrophon der normal lichtschnellen Funksprechverbindung vor die Lippen.
»Gewährt. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise. Ich werde mich bald bei Ihnen melden. Unter Umständen komme ich persönlich.«
»Wir werden einen würdigen Empfang vorbereiten, Euer Verklärtheit.«
Wie war das gemeint gewesen? Ich raffte meine letzten Kräfte zusammen. Reling hielt sich außerhalb der Reichweite unserer Aufnahmeoptik auf.
»Das ist selbstverständlich«, betonte ich selbstsicher. »Gehen Sie möglichst schnell in Ihre erste Transition, damit Sie nicht doch noch von Terraschiffen aufgebracht werden. Funken Sie nicht. Vermeiden Sie die Einpeilung eines Richtstrahles. Ich weiß bereits, wo ich Sie zu suchen habe. Der Weg ist weit, aber ich komme.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Reling fuhr mich an:
»Wie konnten Sie das behaupten? Wissen Sie etwa, woher die Monstren stammen?«
»Nein, Sir, aber ich fühle, daß es weit ist.«
»Ihre Gefühle sind unwichtig.«
»Sagen Sie das nicht, Sir. Es ist weit!«
Ein ungeheures Tosen übertönte Relings Antwort. Die beiden Hypno-Schiffe hoben vom Boden ab. Ultrahelle Impulsströme schossen aus den mächtigen Felddüsen. Das kleinere Schiff schien den Beschuß des marsianischen Raumforts gut ausgehalten zu haben. Es startete ohne Schwierigkeiten.
Die BAPURA hob fast gleichzeitig ab. Die TORNTO etwas später.
Die Hypnos waren abgeflogen, ohne die Erde gesehen oder sie gar betreten zu haben.
Das war schon ein großer Sieg. Die Folgen, die unser Spiel nach sich ziehen konnte, ängstigten mich augenblicklich nicht. Ich war zu erschöpft, um noch etwas empfinden zu können.
»Ruhen Sie, Sir«, sagte Boris leise. »Es wird Zeit. Das Spiel ist aus.«
War es wirklich vorbei? Wir wußten es nicht. Niemand konnte das wissen.
ENDE