10.
Dr. Fehrmann hatte sich als Versager erwiesen. Die Blocksperre in seinem Gehirn war derart stark, daß wir sie nicht aufheben konnten. Alles hatten wir erfahren, nur nicht den genauen Standort der gegnerischen Maschine.
Auch Manzo hatte kapitulieren müssen. Seine telepathischen Fähigkeiten waren großartig, aber sie waren nicht dazu geeignet, eine unheimlich starke Hypnosperre zu beseitigen.
Um fünfzehn Uhr waren wir gestartet. Wir schrieben noch immer den 11. Juni 1811.
An Bord der kleinen Maschine befanden sich Hannibal, Manzo, Sergeant Tundry und ich. Tundry flog die Maschine. Er hatte den strikten Befehl, unter keinen Umständen die Kabine zu verlassen und niemals den Daumen vom Druckknopf des Alarmgerätes zu nehmen. Es handelte sich um einen kleinen Spezialsender, dessen SUK-Impulse unsere Jäger herbeirufen mußten.
Wir sahen ihn als allerletzte Notlösung an. Der Zeitumformer mußte vernichtet werden, koste es, was es wollte!
Wir kreisten in fünfzehn Kilometer Höhe über Berlin. Weit unter uns lebten die Menschen des 19. Jahrhunderts. Niemand ahnte, welches unheimliche Gebilde weit über ihnen seine Kreise zog.
Unser Staustrahltriebwerk lief mit dem kleinsten, eben noch vertretbaren Schubwert. Die Geschwindigkeit lag unterhalb der Schallgrenze. Tundry hatte einige Mühe, die Kombinationsmaschine mit den relativ kleinen Tragflächen in der schon recht dünnen Luft zu halten. Der Auftrieb reichte knapp aus.
Ich saß neben dem Piloten. Die moderne Funkanlage stand zu meiner Verfügung.
Wenn in Breslau ein gutes Ortungsgerät den Luftraum absuchte, mußten wir ausgemacht werden. Wir hatten keinen Impuls-Neutralisator an Bord. Wenigstens unser Schatten hätte auf dem Schirm erscheinen müssen. Bisher hatte ich aber noch keine Ortung feststellen können. Der Robotrechner hatte noch keinen Piepser aus dem Lautsprecher klingen lassen.
»Schlafen die da unten?« fragte Hannibal. »Oder fühlen Sie sich so sicher, daß sie die Existenz einer fremden Maschine als unwahrscheinlich annehmen?«
Es war, als hätten unsere Gegner nur auf dieses Stichwort gewartet. Selbstverständlich suchten sie den Luftraum ab, nachdem sie von der angeblichen Entführung des zweiten Umformers gehört hatten. Dazu kam noch Fehrmanns Funkmeldung mit unserer Personenbeschreibung. Wenn der Deneber einigermaßen logisch dachte, mußte er die Zusammenhänge erkennen.
Natürlich würde er sich verzweifelt fragen, wieso wir ausgerechnet an diesem Tage und in diesem Jahr erschienen waren. Den Knoten konnte er mit den Hilfsmitteln der Logik allein nicht lösen.
Ich rechnete mit einer natürlichen Neugierde und dem geistigen Niveau des Fremden. Er konnte nicht eher beruhigt sein bis er über die rätselhaften Hintergründe informiert war. Wenigstens wäre es mir so ergangen.
»Ortung, Ortung aus 46. Grad. Lautstärke acht bis neun. Peilung läuft; Peilung ist abgeschlossen. Grunddaten zur Auswertung an Rechensektor abgegeben.«
So plärrte es hart und blechern aus dem Lautsprecher des Automaten. Zugleich bemerkte ich die zuckenden Wellenlinien auf dem Schirm des Spezialgerätes.
Die Auswertung kam. Demnach handelte es sich um die lichtschnellen Impulse eines hochwertigen Bildorters. Nun mußten wir unten in der Form eines klargezeichneten Schattens auf dem Leuchtschirm hängen. Bei noch größerer Annäherung würde man uns deutlich sehen können.
Der Ortungsstrahl stabilisierte sich überraschend schnell. Wir wurden nun nicht mehr infolge der Kreiselbewegung einer Antenne gestreift, sondern genau angestrahlt. Ein Zeichen dafür, daß man über ein robotgesteuertes Gerät verfügte.
Ich hörte Hannibals tiefe Atemzüge. Meinen leicht triumphierenden Blick quittierte er mit einem flüchtigen Schulterzucken.
»Freue dich nicht zu früh. Es ist fraglich, ob sie sich von selbst melden.«
»Er wird es tun«, behauptete ich. »Er muß es sogar tun, wenn er Klarheit haben will. Er fühlt sich sicher. Die Umformermaschine entwickelt ein starkes Abwehr-Kraftfeld. Er kann nicht wissen, daß wir mit einer kleinen Armee gekommen sind. Er sieht nur unsere harmlose Privatmaschine.«
»Wollen Sie ihn nicht anrufen?« fragte Tundry. »Wir sind in seinem optischen Bereich. Bildsprechverkehr ist möglich.«
»Abwarten. Nur nichts überstürzen.«
Nach einigen Minuten erfolgte der erwartete Anruf auf der normalen Frequenz. Es war jene, die man auch im Jahre 2005 innerhalb des privaten Luftverkehrs benutzte. Die rote Lampe flackerte aufdringlich.
Ich warf noch einen Blick nach hinten. Manzo lauschte mit geschlossenen Augen auf Impulse, die nur er vernehmen konnte.
»Ist etwas?« fragte ich unterdrückt.
»Nichts, Sir. Wir sind zu weit entfernt. Ich kann ihn auch noch nicht spüren.«
Da schaltete ich auf Empfang. Der Bildschirm erhellte sich sehr rasch. Im Lautsprecher begann es zu rauschen. Ich brachte meinen Oberkörper vor das Aufnahmeobjektiv. Nun mußte ich auf der Bildfläche des anderen Gerätes zu sehen sein.
»Hallo!« sagte ich gedehnt. »Hallo! Wer könnte wohl im Jahre 1811 mit einem hochmodernen Bildsprecher arbeiten. Wer Sie auch sein mögen, melden Sie sich bitte.«
Mein Schirm flackerte noch einige Sekunden. Dann stabilisierte sich ein Fernbild.
Ich erkannte den breiten, eckigen Kopf mit dem vollen, noch dunklen Haar. Es war Dr. Amalfi, der italienische Wissenschaftler mit dem langen Vorstrafenregister. Nur besaß dieser Körper nicht mehr sein angeborenes Gehirn.
Wir hatten den zweiten Deneber gefunden, der außer unserem eigenen Gefangenen der Vernichtungswelle entgangen war.
Ich nickte zur Optik hin und bemühte mich um ein leicht spöttisches Lächeln.
»Ich habe doch gewußt, daß es keine Geister gibt. Guten Tag. Mit wem habe ich die Ehre?«
Das Deneber-Gehirn bewegte Dr. Amalfis Kopf. Ein unpersönliches Verziehen der Lippen folgte.
»Guten Tag, Doktor Raiser! Willkommen im 19. Jahrhundert«, klang die Antwort aus dem Lautsprecher.
Ich gab mich überrascht.
»Oh, Sie kennen mich sogar! Darf man fragen, wieso?«
»Ihr Bild ist in jeder Zeitung zu finden. Ist Dr. Bilbore ebenfalls bei Ihnen? Sie sind zu Berühmtheiten geworden.«
»Bilbore sitzt hinter mir. Ich finde es von Ihnen sehr vernünftig, daß Sie sich gemeldet haben.«
»Wirklich?« meinte der Deneber höhnisch. »Sind Sie sich darüber klar, daß in wenigen Augenblicken eine robotgesteuerte Luftabwehrrakete Ihre Maschine zerreißen wird? Sie waren etwas leichtsinnig, Doktor. Sie werden begreifen, daß Sie mich hier erheblich stören.«
Ich hörte Hannibal lachen. Durch diese unverhüllte Drohung hatte der Kleine sein seelisches Gleichgewicht zurückgewonnen. Bei solchen Worten wurde er immer munter.
»Lassen Sie lieber den Finger vom Feuerknopf«, gab ich kalt zurück. »Zu Ihrer Information, Herr Kollege. Fehrmann hat leider einige Schmerzen erdulden müssen, da er nicht freiwillig sprechen wollte. Verstecken Sie sich also nicht im Körper eines italienischen Wissenschaftlers. Ich weiß Bescheid.«
Die Augen waren ausdruckslos. Mir schien, als hätten sie jeden Glanz verloren.
»Ach so! Das dürfte Ihnen aber nicht viel nützen, Dr. Raiser. Mein Mitarbeiter kann ersetzt werden, ebenso die Waffen. Bleiben Sie bitte auf Ihrer bisherigen Flugroute. Wenn Sie abdrehen, werde ich die Rakete abfeuern. Sie wissen, daß es kein Entkommen gibt. Mit einer derart schwerfälligen Maschine schon gar nicht. Ich möchte noch einige Auskünfte.«
»Sie unterschätzen mich. Professor Goldstein ist in unserer Maschine, desgleichen einige äußerst wertvolle Gegenstände, nach denen der Angehörige Ihres Volkes während seiner letzten Augenblicke dringend verlangte. Ich hatte aber keine Veranlassung, ihm noch behilflich zu sein. Wir beherrschen den Zeitumformer auch ohne den Deneber.«
Der Fremde fuhr hoch. Die eben noch so stumpfen Augen schienen plötzlich zu flimmern. Er war zutiefst erregt. Nicht einmal die relativ große Entfernung konnte das verschleiern.
»Wovon sprechen Sie?« zischte es aus dem Gerät. »Sie haben es gewagt, einen ›Großen‹ zu ermorden? Sie …!«
»Sie sollten nicht zu überheblich sein, mein Freund«, unterbrach ich ihn gelassen. »Das Gehirn im Körper einer Frau ist tot. Vorher habe ich aber von ihm erfahren, wie unerhört lebenswichtig ein gewisses Zellaktivierungs-Plasma ist. Halten Sie uns doch nicht für Narren! Oder bilden Sie sich ernsthaft ein, ich wäre mit einem plumpen Flugschrauber in den Bereich Ihrer Raketen gekommen, wenn ich nicht ein unbedingt sicheres Mittel zu unserem Schutz besäße! Machen wir es kurz, Deneber! Ich habe den Lagerraum in Zonta gefunden. Das von Ihnen benötigte Plasma ist in meinem Besitz.«
»Sie lügen«, lautete seine brüchig klingende Antwort.
»Meinen Sie? Es handelt sich um armlange, rote Zylinder. Genau in der Mitte eines jeden Behälters ist eine winzige Klimaanlage befestigt. Soll ich Ihnen noch mehr Beweise liefern? Wenn Sie das verlangen, weiß ich, daß Sie schon nicht mehr klar denken können. Ihr Kollege konnte nicht weiterleben, da sein Zellgewebe langsam abstarb. Sind Sie auch schon so weit?«
Ich lachte höhnisch. Dahinter verbarg ich meine Furcht. Sogar das Vibrieren meiner Stimme konnte ich überspielen. Hier half nur noch der große Bluff, das stand fest.
Der Deneber schien angestrengt zu überlegen.
Tundry flog nach wie vor seine weiten Schleifen. Endlich hörten wir die Antwort. Der Deneber konnte doch noch logisch denken. Ich hatte damit gerechnet.
»Angenommen, Sie hätten diesen Stoff – was haben Sie damit vor?«
»Verkaufen, was dachten Sie! Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor. Natürlich befindet sich das Plasma nicht an Bord meiner Maschine. Ich bin in diese Gegend gekommen, da wir Dr. Fehrmann hier erwischt haben. Es war anzunehmen, daß Sie uns bemerken würden. Es geht nicht an, daß es im gleichen Zeitraum zwei verschiedene Interessengruppen gibt. Oder sind Sie an einem gefährlichen Konkurrenten interessiert? Auch wir haben moderne Atomwaffen. Mein Plan ist sorgfältig vorbereitet.«
»Was schlagen Sie vor, Dr. Raiser?«
»Eine Koalition. Ich kann mir vorstellen, was Sie mit Ihren Maßnahmen bezwecken. Ich will ebenfalls Macht. Entweder wir gehen zusammen, oder Sie werden erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Ohne das Plasma werden Sie hilflos sterben. Ich habe sogar die stärkere Position! Allerdings haben Sie schon großartige Vorbereitungen getroffen. Die möchte ich ebenfalls verwenden. Fehrmann spricht von einem Zusammentreffen mit Napoleon im Laufe der nächsten Tage.«
Der Deneber hatte sich wieder beruhigt, doch konnte er den Rest seiner begreiflichen Nervosität nicht verbergen. Unser plötzliches Auftauchen mußte für ihn einen moralischen Tiefschlag bedeuten. Es war überhaupt verwunderlich, daß er die umwälzenden Erkenntnisse so rasch verkraftet hatte.
Ich sah Hannibals Lächeln. Der Kleine schien den gleichen Gedanken zu hegen.
Natürlich dachte der Deneber an seine ungeheuren Geisteskräfte. Wenn er uns erst einmal in der Nähe hatte, mußte es für ihn eine Kleinigkeit sein, uns mit hypnosuggestiven Befehlen auszuschalten – das dachte er!
Es war meine Hoffnung, daß er so denken würde. An sich gehörte es zu seiner artfremden Logik. Er mußte bestrebt sein, seine parapsychischen Waffen einzusetzen.
»Ich habe Ihre Vorschläge zur Kenntnis genommen. Man könnte darüber sprechen.«
»In Ordnung, das ist auch mein Wille. Entweder wir gehen zusammen, oder einer von uns muß aus der Zeit verschwinden. Ich bin nach Berlin geflogen, um mit Ihnen in Verbindung zu treten. Ich nehme an, daß Sie in der Gegend von Breslau sitzen. Dr. Fehrmann machte einige Andeutungen. Außerdem kam er mit seinem Wagenzug aus dieser Stadt.«
»Sie wissen überraschend viel«, gestand der Deneber mit einem drohenden Unterton. Es hörte sich so an, als hätte er sich inzwischen einen Plan überlegt.
Meine Vermutung sollte sich bestätigen.
»Wieso tauchten Sie ausgerechnet am 11. Juni 1811 in Fürstenberg auf? Das verstehe ich nicht.«
Ich lächelte in die Bildaufnahme.
Na also – das hatte ja kommen müssen! Jeder vernünftige Mensch hätte sich diese Frage gestellt. Für einen Deneber war sie eine Selbstverständlichkeit.
»In Deutschland gibt es einen Archäologen namens Dr. Rübner. Ich habe ihn in Berlin kennengelernt. Er sprach von interessanten Funden aus der Epoche Napoleons und erzählte mir unter anderem von einem Rittmeister von Züllwitz, dessen Schwadron am heutigen Tage vernichtet wurde. Das erfuhr ich schon vor Jahren. Die Geschichte gewann erst für mich an besonderer Bedeutung, als ich dem Weltforschungsteam unter Professor Goldstein zugeteilt wurde. Die Geheimdienste suchten nach einem verschwundenen Raumschiff. Natürlich war das ein Zeitumformer. Da wurde mir klar, welches Machtmittel eine solche Maschine darstellte. Als ich sie schließlich hatte, ging ich dem Bericht des Archäologen nach – und siehe da, prompt erschien ein gewisser Dr. Fehrmann. Damit hatte ich auch Sie gefunden, Deneber.«
Hannibal stöhnte unterdrückt. Seine beschwörenden Blicke sah ich nicht, doch ich glaubte sie zu fühlen. Ich hatte dem Fremden ein Gemisch aus Wahrheit und Lüge aufgetischt. Sollte er es glauben oder nicht! Ich war nur noch daran interessiert, in seine und in die Nähe des zweiten Umformers zu kommen.
Das Gesicht Dr. Amalfis war unbewegt. Soweit hatte meine Story ganz logisch geklungen. Der wunde Punkt kam noch. Er mußte es ja bemerken.
»Sie scheinen eine bemerkenswerte Intelligenz zu besitzen. Auch die Zeitungen berichten davon. Sie sollen ein überragendes Genie sein.«
»Danke!« Ich verbeugte mich ironisch. »Das merkte man zu spät.«
»Aber Ihr Wissen reichte niemals zur folgerichtigen Bedienung des Gerätes aus. Wie traten Sie also mit dem Wissenschaftler meines Volkes in Verbindung?«
Ich lachte leise. Da war sie, die verfängliche Frage. Das »Ding« war ungemein mißtrauisch.
Tundry verlor fast die Gewalt über unsere Maschine. Ich bemerkte seine bebenden Hände.
»Ihr Wissenschaftler hockte im Schädel einer irdischen Frau, mein Herr! Sie hatte es verstanden, bei Professor Goldstein als Assistentin unterzukommen. So kam Ihr Kollege zum Mond und sogar in die Höhle mit den Zeitgeräten. Anfänglich wurden Goldstein und ich gezwungen, Ihrem Kollegen behilflich zu sein. Das änderte sich aber später. Er war krank, verstehen Sie! Ich besorgte das seltsame Plasma. Es war schwierig, da er nicht genau sagen konnte, wo es zu finden war. Ich hatte aber meine Beziehungen. Der Chef des Sicherheitsdienstes tat mir einen Gefallen. Später starb Ihr Kollege.«
»Sie verweigerten ihm das Mittel?« fragte er empört.
Ich lachte zynisch. In seinen Augen flammte offener Haß auf. Es verging schnell. Es war eine Warnung.
»Ein Angehöriger Ihres Volkes reicht mir, Doktor! Reden wir nicht mehr darüber. Sie werden mir jedenfalls nicht besonders gefährlich werden. Wie ist das also mit einer Unterredung? Ich bin es leid, stundenlang über Berlin herumzufliegen.«
Sein Lächeln war wie ein Todesurteil. Er glaubte uns endgültig zu haben. Er zögerte auch nicht mehr.
»Verständlich. Kommen Sie zu mir, aber glauben Sie nicht, daß Sie hier irgendwelchen Unfug anstellen können. Wer ist bei Ihnen?«
Ich nahm das Aufnahmeobjektiv aus der Halterung und bewegte es im Kreise. Als ich es auf Manzo richtete, hörte ich einen erstaunten Laut. Eine andere Reaktion hatte ich auch nicht erwartet.
»Wer ist das?« kam die hastige Frage.
»Ein Mutant aus dem Amazonasgebiet. Wir hatten ihn im Institut. Ich nahm ihn mit. Was denken Sie wohl, wie er auf die Verhandlungspartner des Jahres 1811 wirkt! Großartig, sage ich Ihnen. Ich habe vor, ihn als Teufel oder sonst etwas vorzustellen. Kluger Gedanke, wie?«
Ich lachte selbstgefällig.
»Ein sehr kluger Gedanke. Ist das alles?« Der Deneber blieb sachlich.
»Was meinen Sie?« fragte ich mißtrauisch zurück. »Was soll alles sein?«
»Nichts, Doktor. Es war nur eine Frage.«
»Was wollten Sie damit ausdrücken? Wollen Sie mir etwa eine Falle stellen?«
»Wo denken Sie hin. Sie haben doch das unersetzliche Plasma, nicht wahr?«
Hannibal räusperte sich. Es klang irgendwie anerkennend.
»Ich erwarte Sie, Dr. Kaiser. Wir werden uns aussprechen. Fliegen Sie Breslau an. Über der Stadt werde ich Sie genau einweisen.«
»Keine Dummheiten, ja!« warnte ich nochmals. »Und glauben Sie nicht, daß wir unsere Waffen abliefern. Wir kommen als gleichberechtigte Verhandlungspartner.«
»Ihre Waffen werden mich in keiner Weise stören«, behauptete er. »Ich erwarte Sie. Ende.«
Der Bildschirm verblaßte. Ich schaltete ebenfalls ab. Dann wandte ich langsam den Kopf und sah den Kleinen an.
»Nicht zu fassen!« murmelte er. »Der Bursche fühlt sich enorm sicher. Hast du eben den Triumph mitbekommen? Unsere Waffen stören ihn nicht, ha! Natürlich ist er felsenfest davon überzeugt, uns mit zwei bis drei scharfen Blicken geistig abschalten zukönnen. Alles, was er sagte, war gelogen. Er möchte uns erst einmal in seiner Nähe haben.«
»So ist es, Sir«, warf Manzo mit seinem grollenden Organ ein. »Bekäme er Sie in die hypnosuggestive Gewalt wäre ihm das Aktivierungs-Plasma ohnehin sicher. Er denkt nicht daran, seine Macht einzuengen. Meinetwegen hatte er schon Verdacht geschöpft. Ihre Erklärung war gut, Sir. Er muß zu der Ansicht gekommen sein, daß Sie keine Ahnung von seinen parapsychischen Kräften hätten. Sehr gut.«
Ich sagte nichts mehr. In der nächsten Stunde mußte die Entscheidung fallen.
Ich schaltete den GWA-Sender ein. Die SUK-Welle erwies sich wieder einmal als wertvoll.
Die Piloten der Raumjäger erhielten Sonderbefehle. Der Lufttransporter wurde mit hundertfünfzig erstklassig ausgebildeten Soldaten in den Luftraum von Dresden beordert. TS-19 hing mit dem Atombomber über Posen.
Wir kontrollierten nochmals unsere Waffen. Die Maschinenkarabiner hatten Doppelmagazine erhalten. Wir konnten auf Thermonital- und Normalgeschosse schalten. Manzo verfügte noch über seine Sonderwaffe. Die Spezialausführung eines hochwertigen Ultraschall-Projektors hing unterhalb seiner vorgewölbten Brust. Das Gerät war nicht zu sehen.
»Tundry, nehmen Sie Kurs auf Breslau.«
Der Pilot nickte. Die Maschine nahm wieder Fahrt auf.
Wir durchstießen die Schallmauer und gingen auf Höhe. Dicht vor Liegnitz meinte Hannibal gedankenvoll:
»Eigentlich ist es nicht zu erwarten, daß der Deneber einen zweiten Mann mit der einwandfreien Bedienung der marsianischen Maschine vertraut machte, oder?«
»Genau erraten!« stimmte ich seinen Überlegungen zu. »Der Bursche dachte nicht daran. Das war sein Fehler, denke ich. – Tundry, drosseln Sie die Geschwindigkeit der Maschine. Hier unten ist die Luft dicker. Ich möchte nicht mit Brandblasen ankommen.«
Dann umkreisten wir Breslau. Der Deneber meldete sich wieder. Er gab einwandfreie Peilzeichen.
Wir ließen die Stadt hinter uns zurück und flogen aufs freie Land hinaus. Unten flüchteten Menschen und Tiere. Wir legten keinen Wert darauf, weiterhin unbemerkt zu bleiben. Wenn die Leute mit einem relativ kleinen Schrecken davonkamen, hatten sie großes Glück gehabt.
Ein einzelnes Gehöft wurde sichtbar. Entweder war das ein größerer, freier Bauer, oder es gehörte einem minderbemittelten Adligen.
Inmitten des großen Hofes bemerkten wir sofort einen neuen Bau. Er sah auffallend würfelförmig aus.
Hannibal meinte dazu:
»Ein guter Platz. Hier ist er sicher, aber wo steht die Maschine, wenn er in unsere Zeit zurückkehrt?«
»Bestimmt nicht auf einem Bauernhof. In dieser Gegend gibt es zahlreiche Fabriken. Von einem grünen Strand ist nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich taucht das Gerät im Jahre 2005 in einer weiten Werkhalle auf. Es kann uns auch gleichgültig sein.«
Wir erhielten Landeerlaubnis, allerdings mußten wir in einem kleinen Nebenhof niedergehen. Der Umformer wurde nun von einem langgestreckten Gebäude zur Hälfte verdeckt. Es war eine fast leere Scheune mit großen Holztoren. Die Ernte war noch nicht eingebracht.
Das flache Dach wurde von dem neuen Bau überragt. Bei der gewaltigen Größe dieser Maschinen war es ein Wunder, daß die hiesigen Behörden noch nichts dagegen unternommen hatten. Das mußte doch auffallen!
»Der ist schon sehr weit gekommen!« knirschte Tundry. »Na ja, vor wem sollte er auch Angst haben. Wahrscheinlich hat er die maßgeblichen Leute längst beeinflußt. Außerdem ist das hier eine einsame Gegend. Wenn er schlau war, hat er keine Menschenseele herankommen lassen.«
Unser Triebwerk lief aus. Ich griff nach dem MK und öffnete die Kabinentür.
»Tundry, den Finger auf dem Knopf behalten. Wenn wir in dreißig Minuten noch nicht zurück sind, geben Sie den Angriffsbefehl.«
»Sir, ich …«
»Dann geben Sie mit dem ausgemachten Funkzeichen den Angriffsbefehl! Die Jäger sind in wenigen Augenblicken hier. Egal, wo wir auch sind, die Piloten haben den Umformer mit Energiewaffen anzugreifen. Das ist alles.«
Draußen tauchten Männer auf. Ihre Kleidung paßte zu dieser Zeit, ihr Gebaren überhaupt nicht. Es waren sogar zwei Afrikaner dabei.
Sie waren bewaffnet, aber sie trafen keine Anstalten, die Waffen auf uns zu richten. Anscheinend hatten sie besondere Anweisungen erhalten.
Wir stiegen langsam aus und wurden von einem kleinen, rothaarigen Burschen erwartet. Unsere mißtrauischen Blicke lösten bei ihm ein widerliches Grinsen aus.
»Willkommen«, begrüßte er uns in einem unverfälschten Amerikanisch. »Der Chef erwartet Sie. Folgen Sie mir.«
Das war alles. Irgendwie war ich etwas enttäuscht. Dann fiel mir wieder ein, was der Deneber nicht wissen konnte.
Wie hätte er auch auf die absurde Vermutung kommen sollen, daß es auf dieser Welt zwei völlig unbeeinflußbare Normalmenschen gab! Von unseren Gehirnoperationen ahnte er nichts. Geniale Chirurgen hatten bei Hannibal und mir einen winzigen Nervenstrang durchtrennt. Wir konnten nicht mehr hypnotisiert oder suggestiv beeinflußt werden. Selbst Ralowgaltin versagte bei uns vollkommen.
Manzo war ebenfalls unempfindlich, aber er besaß ja auch kein normales Gehirn.
Der Rothaarige verstand mein Lächeln falsch. Seine Blicke waren derart spöttisch, daß ich nur mühevoll meine Beherrschung wahren konnte.
Tundry blieb in der Maschine zurück.
Wir schritten auf das Herrenhaus zu. Als der Deneber in der Gestalt des Dr. Amalfi auf der breiten Freitreppe erschien, wußte ich, daß uns nun kein Fehler unterlaufen durfte. Der Moment war da; sinnlos erschien mir jedes gewollte Hinauszögern.
Der Umformer mußte in dem mächtigen Würfelbau stehen, daran gab es für mich keinen Zweifel. Wäre es nicht so gewesen, hätte der Deneber nicht vor uns auftauchen können.
Von da an schaltete ich die planenden Überlegungen ab. Jetzt galt nur noch der Augenblick!