5.

 

Oberst Joe Tan­tulf sah so aus, wie wir uns einen her­vor­ra­gend ge­tarn­ten GWA-Schat­ten im ak­ti­ven Ein­satz vor­stell­ten.

Nach mei­nem Ab­flug hat­te er so­fort die Po­si­ti­on des Si­cher­heits­chefs über­nom­men. Mei­ne al­ten Freun­de wa­ren auch noch da, dar­un­ter Ma­jor Ke­no­ne­we aus Kon­go-Ci­ty und Ka­pi­tän Tronss­kij. Na­tür­lich er­kann­ten sie mich nicht.

Seit vier­zehn Ta­gen Erd­zeit galt ich als Mit­ar­bei­ter un­se­res ma­the­ma­ti­schen Ge­nies, Pro­fes­sor Dr. Da­vid Gold­stein. Es war al­les so ar­ran­giert wor­den, daß ich eben­falls als ei­ne Ka­pa­zi­tät an­ge­se­hen wur­de.

In Kol­le­gen­krei­sen hat­te ich Be­mer­kun­gen fal­len las­sen, die ich vor­her sehr ge­nau mit Gold­stein be­spro­chen hat­te. Sie be­tra­fen fun­da­men­tals­te Er­kennt­nis­se und Neue­run­gen.

Gold­stein spiel­te sei­ne Rol­le aus­ge­zeich­net. Hier und dort hat­te er be­reits durch­bli­cken las­sen, daß er mich für den fä­higs­ten Mann des Jahr­hun­derts hielt. Of­fi­zi­ell hieß ich jetzt Dr. Ste­fan Rai­ser, von Ge­burt Deut­scher, Fach­ge­biet Phy­sik.

Han­ni­bal hat­te trotz sei­ner un­vor­teil­haf­ten Mas­ke von sich re­den ge­macht. Auch er hat­te sich von Gold­stein un­ter­wei­sen las­sen und ver­wen­de­te ge­schickt die­ses Wis­sen. Er gab sich ein­sil­big, zu­rück­hal­tend und et­was ver­knö­chert, was ge­nau zu sei­ner äu­ße­ren Er­schei­nung paß­te.

Wir ge­hör­ten of­fi­zi­ell zum Welt-For­schungs­team un­ter der wis­sen­schaft­li­chen Lei­tung des jü­di­schen Kol­le­gen, dem wir selbst­ver­ständ­lich in kei­ner Wei­se das Was­ser rei­chen konn­ten. So weit ging un­se­re GWA-Aus­bil­dung nun doch nicht.

Gold­stein nahm uns stän­dig un­ter die Knu­te sei­nes über­ra­gen­den Kön­nens. Er war nett, lie­bens­wert und be­schei­den; aber den­noch von ei­ner zer­mür­ben­den Hart­nä­ckig­keit. Mü­dig­keit schi­en er trotz sei­nes ho­hen Al­ters nicht zu ken­nen. Er war be­ses­sen von der Idee und dem Wil­len zum Durch­hal­ten. Es blieb uns kei­ne an­de­re Wahl, als den kom­pli­zier­ten Lehr­stoff auf­zu­neh­men und den kläg­li­chen Ver­such zu ma­chen, ihn auch ei­ni­ger­ma­ßen zu ver­ste­hen.

Be­son­ders schwie­rig wa­ren die mar­sia­ni­schen Sym­bo­le. Es war ei­ne art­ver­wand­te und den­noch er­schre­ckend frem­de Ma­the­ma­tik. Gold­stein hat­te sie be­grif­fen. Wir ka­men uns vor wie Stein­zeit­menschen vor ei­nem Atom­re­ak­tor.

Den mar­sia­ni­schen Zeit­um­for­mer kann­ten wir nun ge­nau. Die bei­den Kraft­sta­tio­nen der Ma­schi­ne bo­ten kei­ne be­son­de­ren Ge­heim­nis­se mehr, ob­wohl sie uns schon das al­ler­letz­te Wis­sen ab­ver­langt hat­ten. Die aus­ge­stor­be­nen In­tel­li­gen­zen des Mars hat­ten längst auf der Ebe­ne der Kern­ver­schmel­zung ge­ar­bei­tet. Spalt­stoff-Re­ak­to­ren kann­ten sie über­haupt nicht mehr.

Als wir mit den Kraft­zen­tra­len des Wür­fel­ge­bil­des ei­ni­ger­ma­ßen ver­traut wa­ren, ka­men die bei­den Zei­t­ener­gie-Kon­ver­ter an die Rei­he.

Da sie al­le »nor­ma­len« Ener­gie­for­men an­grif­fen und auf ei­ne über­ge­ord­ne­te Ebe­ne an­ho­ben, wa­ren wir geis­tig über­for­dert. Uns fehl­te ein­fach das fun­dier­te Fach­wis­sen und die ech­te Ge­nia­li­tät.

Das sah schließ­lich auch Pro­fes­sor Gold­stein ein und be­schränk­te sich dar­auf, uns die Be­die­nung der Ge­rä­te bei­zu­brin­gen. Er war über­haupt der ein­zi­ge Mensch, der auf die­sem Ge­biet ab­so­lut firm war.

Na­tür­lich wur­de al­les ge­tan, um bei den an­de­ren Wis­sen­schaft­lern den Ein­druck zu er­zeu­gen, Han­ni­bal und ich hät­ten eben­falls das große Ge­heim­nis be­grif­fen. Es war ein we­sent­li­cher Punkt im Ge­samt­plan der GWA.

Nach die­sen vier­zehn Ta­gen, an­ge­füllt mit un­glaub­li­chen Vor­be­rei­tun­gen und Lehr­gän­gen, tra­fen neue Be­feh­le und Nach­rich­ten aus dem Haupt­quar­tier ein. Als Ku­ri­er fun­gier­te wie­der TS-19. Er wur­de von Oberst Tan­tulf emp­fan­gen und so­fort zu uns ge­bracht.

Die Höh­le mit den bei­den rät­sel­haf­ten Ma­schi­nen galt nach wie vor als Sperr­zo­ne Num­mer eins. Die Sol­da­ten wa­ren in­zwi­schen ab­ge­löst und durch neue, tau­send­fach ge­sieb­te Spe­zi­al­trup­pe aus al­len Völ­kern der Er­de er­setzt wor­den. Den­noch be­gan­nen auch die­se Leu­te be­reits ner­vös zu wer­den. Zon­ta stell­te die Selbst­be­herr­schung der Män­ner auf ei­ne har­te Pro­be. Dar­an war nichts zu än­dern.

TS-19 trug dies­mal ei­ne her­vor­ra­gen­de Ein­satz­mas­ke. Nie­mand ahn­te, daß er schon ein­mal auf dem Mond ge­we­sen war.

Wir emp­fin­gen ihn in Gold­steins Ar­beits­zim­mer, das in­zwi­schen er­heb­lich er­wei­tert wor­den war. Ihm stand neu­er­dings ein leis­tungs­fä­hi­ges Elek­tro­nen­ge­hirn rus­si­scher Kon­struk­ti­on zur Ver­fü­gung, Mos­kau hat­te aus­ge­zeich­net ge­schal­tet. Un­ter­ein­an­der kann­ten wir kei­ne Ge­heim­nis­se mehr.

S-19 mus­ter­te mich be­sorgt.

»Sir, Sie ge­fal­len mir nicht. Wenn Sie als Ner­ven­bün­del in der Ver­gan­gen­heit an­kom­men, dürf­te es Kom­pli­ka­tio­nen ge­ben.«

»Ver­ges­sen Sie es. Was gibt es?«

Er sah sich be­däch­tig um. Han­ni­bal lag apa­thisch in ei­nem Schaum­stoff­ses­sel. Gold­stein war et­was ner­vös, doch er lä­chel­te.

»Pro­fes­sor, wenn es Ih­re Mög­lich­kei­ten er­lau­ben, sol­len Sie im Lau­fe der nächs­ten zwölf Stun­den den ers­ten Test vor­neh­men. Wir kön­nen nicht län­ger war­ten. Die letz­ten Un­ter­su­chun­gen sind alar­mie­rend. Es wur­den neue Un­ter­la­gen aus dem be­tref­fen­den Jahr ge­fun­den. Zum Bei­spiel der Be­richt ei­nes eng­li­schen Fre­gat­ten­ka­pi­täns über ei­ne rät­sel­haf­te Ex­plo­si­on auf ei­nem eng­li­schen Li­ni­en­schiff der Blo­cka­de­flot­te vor Brest. Man will da­mals ein geis­ter­haf­tes Ge­bil­de be­merkt ha­ben, das sich mit ho­her Ge­schwin­dig­keit und un­ter teuf­li­scher Ge­räusch­ent­wick­lung durch die Luft be­weg­te. Durch die Ex­plo­si­on auf dem Li­ni­en­schiff ge­lang es ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Seg­ler, un­ge­fähr­det in den Ha­fen von Brest ein­zu­lau­fen und Frank­reich mit le­bens­wich­ti­gen Roh­stof­fen aus Über­see zu ver­sor­gen.«

Gold­stein sah plötz­lich ver­fal­len aus. Ich blick­te schwei­gend auf mei­ne Hän­de.

»Al­so geht es los!« flüs­ter­te der Wis­sen­schaft­ler geis­tes­ab­we­send. »Man ist da­bei, die Ge­schich­te um­zu­for­men. Was auf dem be­nach­bar­ten Zeit­band so­eben ge­schieht, fin­den wir hier bei sorg­fäl­ti­ger Su­che als ge­schicht­li­ches Er­eig­nis wie­der. Ist das al­les, Leut­nant?«

»Nein, Sir. Pro­fes­sor Cal­lac hat ei­ni­ge Ge­heim­be­rich­te aus der da­ma­li­gen Zeit ent­deckt. Da­nach heißt es, Na­po­le­on Bo­na­par­te hät­te sich na­he der Küs­te ei­ni­ge Ex­pe­ri­men­te ei­nes ver­rück­ten Ge­lehr­ten an­ge­se­hen. Er wä­re stark be­ein­druckt ge­we­sen. Die an­ge­ge­be­ne Zeit stimmt mit dem Da­tum der eng­li­schen Be­ob­ach­tun­gen über­ein. Das ›Ge­dächt­nis‹ er­rech­ne­te die Gleich­heit der Ge­scheh­nis­se mit 99,3pro­zen­ti­ger Wahr­schein­lich­keit.«

Gold­stein er­hob sich lang­sam hin­ter sei­nem Ar­beit­s­tisch.

»Klappt es schon, Pro­fes­sor?« frag­te Han­ni­bal mit hei­se­rer Stim­me. Sein fal­ti­ges Bio­ge­sicht wirk­te blaß und an­ge­spannt.

»Was?«

»Der Er­pro­bungs­test mit dem Zeit­um­for­mer.«

Der Phy­si­ker sah zu TS-19 hin­über. Die Wor­te ka­men schwer über sei­ne Lip­pen.

»Hat Ihr Vor­ge­setz­ter mei­ne letz­ten Be­rich­te er­hal­ten? Dem­nach sind die­se Ma­schi­nen nicht für den Zweck er­schaf­fen wor­den, mit ih­nen in die Zu­kunft zu rei­sen. Ent­we­der war das aus tech­ni­schen Grün­den nicht mög­lich, oder die mar­sia­ni­schen In­tel­li­gen­zen ver­zich­te­ten dar­auf, ein sol­ches Wag­nis zu un­ter­neh­men. Es mag sein, daß da­für ethi­sche Be­den­ken vor­la­gen. Wenn ich den Pro­be­lauf un­ter­neh­me, kann ich nur in die Zeit­spi­ra­len der Ver­gan­gen­heit ein­keh­ren.«

»Das ge­nügt uns, Pro­fes­sor. Mehr wol­len wir nicht. Ge­ne­ral Re­ling möch­te wis­sen, ob un­se­re Agen­ten mit ei­ni­ger Si­cher­heit star­ten kön­nen.«

»Ich wer­de den Test in den kom­men­den sechs Stun­den un­ter­neh­men. Es ist al­les vor­be­rei­tet. Strah­len Sie bit­te die Nach­richt zur Er­de ab. Das GWA-Ein­satz­kom­man­do kann ab­flie­gen.«

Mein Kol­le­ge in der Mas­ke des Oberst Tan­tulf at­me­te tief durch. Ich nick­te ihm kurz zu.

»Okay, re­den wir nicht mehr dar­über. Ein­mal müs­sen wir es ris­kie­ren. Sind Sie si­cher, Pro­fes­sor, daß die­ser De­ne­ber die Wahr­heit sprach? Es han­delt sich um den An­ge­hö­ri­gen ei­nes ar­ten­frem­den Vol­kes. Teuf­lisch ge­schickt, in­tel­li­gent und skru­pel­los. Was muß ge­sche­hen, wenn Ih­nen falsche Da­ten ge­ge­ben wor­den sind?«

Er schüt­tel­te be­däch­tig den Kopf.

»Kei­ne Be­den­ken, mein Freund. Durch die Ent­zif­fe­rung der mar­sia­ni­schen Schrift­zei­chen und Sym­bo­le konn­te ich je­den Fak­tor ge­naues­tens über­prü­fen. Das muß auch der De­ne­ber be­merkt ha­ben. Ei­ne hyp­no­sug­ge­s­ti­ve Be­ein­flus­sung mei­ner Per­son war nicht mög­lich, da Ihr selt­sa­mer Kol­le­ge ja Tag und Nacht über mich wach­te. Der Mu­tant hät­te so­fort be­merkt, wenn der De­ne­ber ver­sucht hät­te, mich un­ter ei­ne geis­ti­ge Kon­trol­le zu brin­gen. Sie ha­ben sau­be­re Ar­beit ge­leis­tet.«

Ich muß­te an Man­zo, den mons­trös aus­se­hen­den Mu­tan­ten aus dem ra­dio­ak­tiv ver­seuch­ten Ama­zo­nas-Ge­biet den­ken. Sei­ne te­le­pa­thi­schen Ei­gen­schaf­ten hat­ten durch die un­abläs­si­ge Schu­lung un­se­rer Pa­ra­psy­cho­lo­gen ei­ne ge­wis­se Ma­xi­mal­leis­tung er­reicht. Ein ar­ten­frem­des Ge­hirn konn­te nur von ei­nem sol­chen Mann über­wacht wer­den. Man­zo hat­te sei­ne Auf­ga­be sehr ernst ge­nom­men.

Oberst Tan­tulf soll­te die Mel­dung über den ge­plan­ten Test durch­ge­ben. Das mi­li­tä­ri­sche Ein­satz­kom­man­do der GWA er­hielt eben­falls neue Be­feh­le.

TS-19 ver­ab­schie­de­te sich für kur­ze Zeit. Er hat­te noch Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­de mit­ge­bracht. Es war ein Pro­blem, die vie­len Ge­päck­stücke un­auf­fäl­lig zu la­gern. Schließ­lich hat­ten wir sie in dem mar­sia­ni­schen Ge­rät un­ter­zu­brin­gen.

Der Wür­fel be­sag ei­ne Kan­ten­län­ge von fünf­und­drei­ßig Me­tern, die Aus­buch­tun­gen für das Trieb­werk nicht mit­ge­rech­net. Wir konn­ten be­quem ein klei­ne­res De­pot in der Ver­gan­gen­heit er­rei­chen.

 

*

 

Als ich den her­me­tisch ab­ge­rie­gel­ten Fels­raum be­trat, be­gann die at­trak­ti­ve Frau au­to­ma­tisch zu lä­cheln. Gun­dry Pon­ja­res er­schi­en be­geh­rens­wer­ter als je zu­vor. Sie hat­te ei­ne schlan­ke Fi­gur und das fein­ge­zeich­ne­te Ge­sicht ei­ner Kreo­lin aus vor­neh­mem Ge­blüt. Auch das tief­schwar­ze, bläu­lich schim­mern­de Haar be­ton­te die spa­ni­sche Her­kunft.

Ich hat­te Dr. Pon­ja­res vor Mo­na­ten in ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Groß­ra­ke­ten­werk zum ers­ten­mal ge­se­hen. Dann wa­ren ihr ei­ni­ge Feh­ler un­ter­lau­fen. We­nig spä­ter hat­te sie un­ter dem Be­schuß ei­nes klei­nen Ul­tra­schall-Pro­jek­tors qual­voll auf­ge­schri­en. Da­mit hat­ten wir den Be­weis, daß von der ech­ten Gun­dry Pon­ja­res nur der Kör­per und das Ge­sicht ge­blie­ben wa­ren.

Wir hat­ten so­gar fest­stel­len kön­nen, auf wel­chem Ope­ra­ti­ons­tisch das Ge­hirn der Psy­cho­lo­gin ent­fernt wor­den war. Was sich jetzt in ih­rem Schä­del be­fand, war nicht auf der Er­de her­an­ge­reift; war nicht von ir­di­schen Men­schen ge­zeugt, be­hü­tet und ge­schult wor­den.

Die phä­no­me­na­le me­di­zi­ni­sche Wis­sen­schaft der De­ne­ber ver­stand sich auf Ge­hirn-Trans­plan­ta­ti­on. So wa­ren frem­de Ge­hir­ne in mensch­li­che Kör­per ver­pflanzt wor­den. Kein Wun­der, daß wir so lan­ge Zeit be­nö­tigt hat­ten, um die­se un­heim­li­chen Agen­ten vom vier­ten Pla­ne­ten der Son­ne De­neb zu ent­de­cken.

Es war un­ser Glück ge­we­sen, daß die über­fei­ner­ten Zell­struk­tu­ren der De­ne­ber kei­ne ho­hen Schwin­gun­gen ver­tru­gen. Bei et­wa drei­ßig­tau­send Hertz be­gan­nen die Zell­ker­ne zu vi­brie­ren. Hef­ti­ge Schmer­zen und Tob­suchts­an­fäl­le wa­ren die Fol­ge.

Mit die­ser Me­tho­de hat­te ich al­so das de­ne­bi­sche Ge­hirn der Gun­dry Pon­ja­res ent­lar­ven kön­nen. Das »Ding« war da­mals von un­se­ren Wis­sen­schaft­lern in Ob­hut ge­nom­men wor­den. Nun stand es uns zur Ver­fü­gung.

In­zwi­schen hat­ten un­se­re Ex­per­ten in Ver­suchs­rei­hen nach­ge­wie­sen, daß das Ge­hirn vor der Trans­plan­ta­ti­on ei­nem männ­li­chen De­ne­ber ge­hört hat­te. Vor der Ver­pflan­zung hat­te es sich im Kopf ei­nes Wis­sen­schaft­lers be­fun­den.

Als ich nun den lä­cheln­den Mund sah, über­kam mich wie­der ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl. Nichts hat­te sich in der äu­ßer­li­chen Er­schei­nung ver­än­dert, nur die Au­gen hat­ten im Aus­druck ei­ne Wand­lung er­fah­ren. Sie wa­ren zum Spie­gel­bild ei­ner frem­den See­le ge­wor­den. Sie drück­ten das aus, was das de­ne­bi­sche Ge­hirn dach­te und fühl­te.

Im Ge­gen­satz zum lä­cheln­den Mund schim­mer­ten sie kalt, auf­merk­sam und wa­ren von un­er­gründ­li­cher Tie­fe.

Ich blieb dicht vor dem Frem­den ste­hen und blick­te zu Man­zo hin­über.

Der klo­big ge­bau­te Mu­tant mit den faust­großen Au­gen und dem brei­ten Mund be­saß an­stel­le nor­ma­ler Zäh­ne mes­ser­schar­fe Kno­chen­rei­hen. Wie im­mer schau­kel­te er den zwei­ein­halb Me­ter ho­hen Kör­per auf den plum­pen Säu­len­bei­nen. Wer ihn nicht kann­te, hät­te ihn für ein ge­fähr­li­ches Ge­schöpf ge­hal­ten, zu­mal sei­ne Hän­de wie Pran­ken aus­sa­hen. Sei­ne schup­pi­ge Haut schim­mer­te grün­lich.

»Al­les in Ord­nung, Sir«, sag­te er dumpf und grol­lend. Es war, als form­te er die Tö­ne tief in der ge­wölb­ten Brust.

Ich nick­te kurz zu ihm hin­über. In den Au­gen des De­ne­bers fun­kel­te töd­li­cher Haß. Er blick­te mich durch­drin­gend an.

Man­zo knurr­te war­nend. Die mäch­ti­gen Hän­de ho­ben sich leicht.

Der De­ne­ber, in der Ge­stalt der Wis­sen­schaft­le­rin zuck­te zu­sam­men. Angst spie­gel­te sich in sei­nen Au­gen wi­der.

Ich lach­te hu­mor­los auf.

»Das soll­ten Sie un­ter­las­sen, Frem­der! Sie wis­sen doch, daß man in mei­nem Groß­hirn ei­ne Ner­ven­fa­ser durch­trennt hat. Sie kön­nen da­her we­der mei­nen Be­wußt­seins­in­halt er­fas­sen, noch mich hyp­no­tisch oder sug­ge­s­tiv be­ein­flus­sen.«

»Er ver­such­te es«, groll­te Man­zo. »Ich fühl­te so­eben deut­lich sei­ne Im­pul­se. Sehr stark ist er nicht, aber für einen nor­ma­len Men­schen reicht es. Ges­tern woll­te er Gold­stein be­ein­flus­sen. Ich muß­te ein­schrei­ten.«

Er zeig­te auf den klei­nen Ul­tra­schall-Pro­jek­tor an sei­nem Gür­tel.

Der De­ne­ber wich zu­rück. Die Hän­de ball­ten sich.

Wie­der muß­te ich mich über­win­den, um ru­hig und ge­faßt mit die­sem Le­be­we­sen zu re­den.

»Hö­ren Sie gut zu«, sag­te ich be­tont. »In we­ni­gen Stun­den wird Pro­fes­sor Gold­stein die Ma­schi­ne star­ten. Ein Test! Sie blei­ben na­tür­lich hier und in un­se­rer Ob­hut. Wenn Gold­stein nicht zu­rück­kehrt, er­le­ben Sie die Höl­le, das ver­spre­che ich Ih­nen. Über­le­gen Sie sich al­so, ob Sie dem Wis­sen­schaft­ler nicht doch ei­ni­ge falsche An­ga­ben ge­macht ha­ben. Stim­men Ih­re Da­ten, dann muß er zu­rück­kom­men. Das Ge­rät ist ein­wand­frei in Ord­nung. Ein Ver­sa­ger kann nur an Schalt­feh­lern lie­gen. Wie ist das al­so? Sie ha­ben nicht mehr viel Zeit!«

Die Angst ver­schwand aus sei­nen Ge­sichts­zü­gen. Der De­ne­ber sprach mit Gun­drys Stim­me.

»Wie oft soll ich Ih­nen noch ver­si­chern, daß ich kein Narr bin? Sie ha­ben mir be­wie­sen, daß die letz­ten Über­le­ben­den mei­nes Vol­kes ver­nich­tet wur­den, das vor lan­ger Zeit das Uni­ver­sum be­herrsch­te. Da­mals schau­ten Ih­re Vor­fah­ren noch ver­ständ­nis­los un­se­ren über­licht­schnel­len Raum­schif­fen nach. Sie hat­ten Glück!«

Ich über­hör­te die letz­ten Wor­te.

»Der Hohn soll­te Ih­nen all­mäh­lich ver­gan­gen sein. Sie müs­sen sich mit den Rea­li­tä­ten ab­fin­den. Sie ha­ben al­so ein­wand­freie Un­ter­la­gen ge­lie­fert?«

»Ja.«

»Ist das auch kein Irr­tum? Sind Sie mit den mar­sia­ni­schen Kon­struk­tio­nen ver­traut ge­nug, um nicht un­wis­sent­lich Feh­ler zu be­ge­hen?«

Das »Ding« rich­te­te sich auf. Wir kann­ten den maß­lo­sen Stolz die­ser In­tel­li­gen­zen. Die Em­pö­rung war aus den fol­gen­den Wor­ten klar her­aus­zu­hö­ren.

»Wir be­sit­zen nicht Ih­re pri­mi­ti­ven Ge­hir­ne! Die mar­sia­ni­sche Tech­nik war der un­se­ren un­ter­le­gen. Wä­re es an­ders ge­we­sen, hät­ten wir den lang­jäh­ri­gen Krieg ge­gen den Mars nicht ge­win­nen kön­nen. Wir wa­ren mit al­len Kon­struk­tio­nen der Mar­sia­ner ver­traut, auch mit dem Zeit­um­for­mer. Lei­der ka­men un­se­re ei­ge­nen Ent­wick­lun­gen zu spät, sonst sä­he es jetzt an­ders aus.«

»Ein Zei­chen da­für, daß Sie doch nicht so groß wa­ren«, höhn­te ich. »In Ord­nung, Sie sind in­for­miert. Wir ga­ran­tie­ren Ih­nen einen ge­ruh­sa­men Le­bens­abend, vor­aus­ge­setzt, Sie be­ge­hen kei­ne Dumm­hei­ten. An­de­re Mög­lich­kei­ten ha­ben Sie nicht mehr. Sie hät­ten sich bes­ser mit den ir­di­schen Men­schen ver­tra­gen sol­len.«

»Wir sind die Her­ren!«

Man­zo lach­te. Es klang wie das ver­hal­te­ne Don­nern ei­nes Was­ser­falls.

»Mei­net­we­gen«, sag­te ich. »Der Test be­ginnt in vier Stun­den. Wir wer­den zu­se­hen. Den­ken Sie an mei­ne Wor­te.«

»Wenn et­was ge­schieht, wer­den Sie mich dann tö­ten?«

Ich ging auf sei­ne Fra­ge nicht ein, son­dern er­klär­te:

»Wir wer­den auf gar kei­nen Fall ta­ten­los ab­war­ten, daß ein Le­be­we­sen von Ih­rer Art die Welt auf den Kopf stellt. Es sieht dar­in wohl die letz­te Mög­lich­keit, doch noch die ab­so­lu­te Macht zu er­rin­gen. Wir wer­den mit al­len Mit­teln ver­su­chen, die­ses Vor­ha­ben zu ver­hin­dern.«

»Es dürf­te ihm ge­lin­gen. Sie wer­den ihn nie fin­den. Was sind all Ih­re Wis­sen­schaft­ler ge­gen einen ein­zi­gen Mann mei­nes Vol­kes?«

Ich sah ihn düs­ter an. Ja – was wa­ren wir ge­gen die­se Frem­den!

»Den­ken Sie an mei­ne Wor­te. Man­zo wird mit der Schall­waf­fe bei Ih­nen blei­ben.«

»Wirk­lich?«

»Das sind mei­ne Be­feh­le.«

Ich sah noch­mals in die un­er­gründ­li­chen Au­gen.

Als ich zum Aus­gang schritt, flüs­ter­te mir Man­zo zu:

»Sie kön­nen sich auf mich ver­las­sen, Sir. Es sieht üb­ri­gens so aus, als wür­den sei­ne Kräf­te nach­las­sen.«

Ich blieb ste­hen. Lang­sam wand­te ich den Kopf.

»Wie­so? Was ist los?«

Man­zo wieg­te den mäch­ti­gen Kopf. Die Kno­chen­rei­hen wur­den wie­der sicht­bar.

»Er frag­te vor et­wa ei­ner Stun­de nach ei­nem be­stimm­ten Zel­lak­ti­vie­rungs­stoff. Ob wir viel­leicht sol­che Be­häl­ter ent­deckt hät­ten. Er ge­brauch­te einen an­de­ren Na­men da­für.«

»Ein Mit­tel zur Ak­ti­vie­rung der Zel­len«, wie­der­hol­te ich nach­denk­lich. »Hat er et­wa …!«

Ich un­ter­brach mich mit­ten im Satz. Der Be­richt des chi­ne­si­schen Ge­heim­diens­tes fiel mir ein. Hat­te der ab­ge­schos­se­ne Pi­lot nicht den Auf­trag er­hal­ten, aus der Mond­stadt Zon­ta un­ter al­len Um­stän­den et­was zu be­sor­gen?

Ich ging in den klei­nen Raum zu­rück. Der De­ne­ber saß ver­krampft im Ses­sel.

»In­ter­essant! Sie brau­chen mir nichts mehr zu er­zäh­len. Un­se­re Bio­lo­gen ha­ben schon vor ei­nem hal­b­en Jahr die Be­haup­tung auf­ge­stellt, Ih­re hoch­emp­find­li­chen Ge­hir­ne könn­ten den lan­gen Bio-Schlaf nicht voll­kom­men schad­los über­stan­den ha­ben. Sie be­nö­ti­gen al­so in be­stimm­ten Ab­stän­den ein Mit­tel zur Auf­recht­er­hal­tung Ih­rer Zell­funk­tio­nen?«

Der De­ne­ber schwieg. Er starr­te mich nur an.

Ich ging wie­der auf die Tür zu, in dem Be­wußt­sein, daß wir plötz­lich einen Trumpf ge­fun­den hat­ten. Über die Schul­ter hin­weg sag­te ich be­tont gleich­mü­tig:

»Okay, das ist kein Ver­bre­chen. Wenn Sie das Me­di­ka­ment zum Le­ben be­nö­ti­gen, dann in­for­mie­ren Sie Man­zo. Un­ter­las­sen Sie es, ist es Ihr ei­ge­ner Scha­den. Se­hen Sie das ein? Ist das lo­gisch?«

Er nick­te un­merk­lich.

»Schön. Dann be­sin­nen Sie sich nicht mehr lan­ge und tei­len Sie uns mit, wo wir das Mit­tel fin­den, wie die Be­häl­ter aus­se­hen. Wenn wir das nicht ge­nau wis­sen, dürf­te es un­mög­lich sein, in Zon­ta et­was zu fin­den. Dort gibt es Mil­lio­nen Din­ge, die wir noch un­ter­su­chen müs­sen.«

»Ich weiß nicht, wo das Plas­ma ge­la­gert ist«, schrie das »Ding« plötz­lich. »Es la­gert in ei­nem klei­nen Raum na­he un­se­rer Wachs­tums­sta­ti­on. Nur we­ni­ge Leu­te mei­nes Vol­kes wuß­ten, wo der Stoff zu fin­den ist. Sie sind von Ih­nen ver­nich­tet wor­den. Se­hen Sie sich um! Ach­ten Sie auf arm­lan­ge, dun­kel­ro­te Zy­lin­der. Sie sind nicht zu ver­ken­nen. Je­der Be­häl­ter be­sitzt sei­ne ei­ge­ne Kli­ma­an­la­ge. Das Se­rum be­nö­tigt Wär­me. Fin­den Sie den Stoff.«

Die letz­ten Wor­te ka­men müh­sam über sei­ne Lip­pen. Der De­ne­ber war er­schöpft. Et­was stimm­te nicht mehr mit sei­nem ver­pflanz­ten Ge­hirn.

»Wes­halb be­nö­ti­gen Sie das Plas­ma so drin­gend?« forsch­te ich. »Wes­halb?«

»Es wä­re sinn­los, der Er­klä­rung aus­zu­wei­chen«, be­ton­te er. »Wir ha­ben einen bio­lo­gi­schen Tief­schlaf von hun­dert­acht­zig­tau­send Jah­ren ir­di­scher Zeit­rech­nung hin­ter uns. Die Zell­ker­ne al­tern nach der Wie­der­er­we­ckung zu rasch, be­son­ders aber dann, wenn ein Ge­hirn in einen frem­den Kör­per ver­pflanzt wird. Ich be­nö­ti­ge drin­gend den Ak­ti­vie­rungs­stoff. Su­chen Sie. Ich bin be­reit, Ih­nen in je­der Hin­sicht zu hel­fen.«

Ich be­gann die Ver­zweif­lung des Frem­den zu ver­ste­hen. Im In­ter­es­se un­se­rer Er­mitt­lun­gen muß­te er er­hal­ten wer­den.

»Ich schi­cke Ih­nen einen GWA-Bio­lo­gen. Er ist in ei­ner Stun­de hier. Sie müß­ten doch we­nigs­tens un­ge­fähr wis­sen, wo die Be­häl­ter zu ent­de­cken sind. Zon­ta ist rie­sen­groß. Wo sol­len wir das su­chen?«

»Ich weiß es nicht«, flüs­ter­te er. »Ich wür­de es sa­gen.«

»Pracht­voll«, ent­geg­ne­te ich ge­dehnt. »Dann kann es Ihr Kol­le­ge, der sich im Jah­re 1811 auf­hält, ja auch nicht wis­sen, wie? Mei­nen Sie noch im­mer, er wür­de ein­mal die Er­de der Ver­gan­gen­heit be­herr­schen?«

Da­nach ging ich. Den Aus­bruch von Haß und Ver­zweif­lung über­hör­te ich.

Ei­ne Vier­tel­stun­de spä­ter ging die wich­ti­ge Nach­richt ans Haupt­quar­tier. Ei­ner un­se­rer in Zon­ta sta­tio­nier­ten Bio­lo­gen er­hielt die An­wei­sung, so­fort ei­ne Son­der­kom­mis­si­on zu bil­den und die Su­che nach dem Ak­ti­vie­rungs­plas­ma auf­zu­neh­men.

Auf der Er­de wur­de das po­sitro­ni­sche »Ge­dächt­nis« mit den neu­en Tat­sa­chen ge­füt­tert. Es be­gann zu rech­nen und Wahr­schein­lich­keits­wer­te zu er­mit­teln. Wir ka­men kaum noch zur Be­sin­nung. Als die ers­ten Rück­fra­gen er­schöp­fend be­ant­wor­tet wa­ren und un­se­re Bio­lo­gen kla­re Da­ten in den Hän­den hiel­ten, rief Oberst Tan­tulf an. Sein Ge­sicht er­schi­en auf der Bild­flä­che.

»Es ist so­weit, Sir. Ich ha­be den neu­en Stol­len räu­men und vom GWA-Ein­satz­kom­man­do ab­rie­geln las­sen. Pro­fes­sor Gold­stein er­war­tet Sie.«

Ich schal­te­te ab. Han­ni­bal rich­te­te sich auf. Er hat­te auf der Couch ge­le­gen.

»Na al­so«, mein­te er, »dann kön­nen wir ja mit dem vollen­de­ten Un­sinn be­gin­nen. Be­trach­te mich als Impf­stoff für dei­ne ver­stör­te See­le. Wenn du glaubst, wahn­sin­nig zu wer­den, gib mir einen Wink. Ich schi­cke dich dann schlag­ar­tig ins Land der Träu­me.«

Er konn­te mich mit sei­nem skur­ri­len Hu­mor nicht täu­schen. Sei­ne Hän­de zit­ter­ten. Dann gin­gen wir.

 

*

 

Pro­fes­sor Gold­stein war mit­samt der rie­si­gen Ma­schi­ne und drei fä­hi­gen GWA-Tech­ni­kern ver­schwun­den.

Ich hat­te in­stink­tiv ein großes Er­eig­nis er­war­tet; Lärm, dump­fes Ge­brau­se, fie­ber­haf­te Span­nung und all die Din­ge, die man bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­setzt.

Es war ganz an­ders ge­kom­men. Wäh­rend Man­zo scharf auf den De­ne­ber auf­paß­te, stan­den die we­ni­gen Ein­ge­weih­ten hin­ter dem neu er­bau­ten Schutz­wall aus Stahl­be­ton.

Wir ver­nah­men ein ge­dämpf­tes Heu­len, an­schlie­ßend ent­stand das vio­let­te, un­be­stimm­ba­re Flim­mern, und gleich dar­auf war der Platz leer, wo eben noch das mons­trö­se Ma­schi­nen­ge­bil­de ei­nes aus­ge­stor­be­nen Vol­kes ge­stan­den hat­te.

Han­ni­bal sah sich ver­dutzt um, wäh­rend ich mei­ne Ängs­te und Zwei­fel zu un­ter­drücken ver­such­te. Pro­fes­sor Scheu­ning, der von der Er­de her­auf­ge­kom­men war, sah be­tont gleich­mü­tig auf die Uhr.

Das war al­les! Ich konn­te mich ei­nes Ge­fühls der Ent­täu­schung nicht er­weh­ren. Der Ver­stand sträub­te sich nach wie vor, das selt­sa­me Ver­schwin­den des mäch­ti­gen Me­tall­ge­bil­des als das auf­zu­fas­sen, was es war; näm­lich als die un­be­greif­li­che Funk­ti­on ei­ner her­vor­ra­gen­den Wis­sen­schaft.

Wir sa­hen zu dem lee­ren Fleck hin­über. Un­se­re Ex­per­ten fer­tig­ten In­fra­rot-Spät­auf­nah­men an. Scheu­ning warn­te knur­rig, nie­mand soll­te sich der Stel­le nä­hern, wo eben noch der Um­for­mer ge­stan­den hat­te.

Wei­ter rechts lag das zwei­te, halb­zer­stör­te Ge­rät auf dem Fels­bo­den der an­sons­ten völ­lig lee­ren Hal­le.

Im Hin­ter­grund, nur von ei­nem Schein­wer­fer an­ge­strahlt, be­merk­te ich die großen Klapp­to­re, durch die die­se Ge­rä­te wohl ein­mal in die Hal­le ge­kom­men wa­ren.

»Und jetzt?« frag­te ich hei­ser. Mein miß­traui­scher Blick wan­der­te zu dem De­ne­ber hin­über.

»War­ten, ein­fach war­ten!« er­klär­te Scheu­ning. »Ent­we­der er kommt zu­rück, oder er kommt nicht zu­rück. Die Schal­tun­gen sind klar. Es könn­te ei­gent­lich kei­ne Pan­nen ge­ben. Er will um we­nigs­tens zwei­hun­dert Jah­re zu­rück­ge­hen. Theo­re­tisch kann er sich dort wo­chen- und jah­re­lang auf­hal­ten, oh­ne daß wir es fest­stel­len kön­nen. Die ab­so­lu­te Re­la­ti­vi­tät der Zeit hat sich noch nie deut­li­cher und be­weis­kräf­ti­ger be­merk­bar ge­macht. Wir ha­ben au­gen­blick­lich ein an­de­res Be­zugs­sys­tem, ver­ste­hen Sie! Er ver­harrt in der Zeit, wir sind ge­gen­wär­tig, aber eben­falls an die gel­ten­den Ge­set­ze ge­bun­den. Wenn er jetzt, in die­sem Au­gen­blick, wie­der ma­te­ria­li­siert, kann er recht gut ei­ni­ge Jah­re ›un­ten‹ ge­we­sen sein. Wir könn­ten das nie fest­stel­len.«

Un­ser phy­si­ka­li­sches Ge­nie lä­chel­te aus­ge­spro­chen bos­haft. Ich fühl­te den Angst­schweiß aus den Po­ren mei­ner le­ben­den Bio­mas­ke tre­ten und wisch­te mir über die Stirn.

Es wa­ren et­wa fünf­zehn Mi­nu­ten ver­gan­gen. Plötz­lich be­merk­te ich wie­der das sche­men­haf­te Flim­mern. Gleich dar­auf ver­nahm ich den selt­sa­men Heul­ton – und der Wür­fel stand wie­der auf dem al­ten Platz.

Wir rie­fen al­le auf­ge­regt durch­ein­an­der. Je­der glaub­te, das Er­eig­nis zu­erst be­merkt zu ha­ben.

Nur der De­ne­ber ver­hielt sich ru­hig. Er lä­chel­te spöt­tisch.

Ich ging lang­sam zu dem Ge­rät hin­über. Au­gen­bli­cke spä­ter öff­ne­te sich das kreis­för­mi­ge Druck­schott. Gold­stein streck­te blin­zelnd den Kopf her­aus.

»Füh – füh­len Sie sich wohl?« stieß ich her­vor. »Es klapp­te nicht, wie? Es sind kaum ei­ni­ge Mi­nu­ten ver­gan­gen.«

Er nahm die Bril­le ab. Mir war, als wä­re sein Ge­sicht ver­klärt.

»Mein Freund, Sie ir­ren sich«, er­klär­te er auf­re­gend lang­sam. »Wir wa­ren ge­nau vier­zehn Ta­ge in der Ver­gan­gen­heit. Die Film­auf­nah­men wer­den das be­wei­sen. Wir be­fan­den uns so­gar auf der Ober­flä­che ei­nes wüs­ten, noch völ­lig un­er­forsch­ten Mon­des.«

Ich dreh­te mich wort­los um. Al­so funk­tio­nier­te der Zeit­um­for­mer doch! Mei­ne schlimms­ten Ah­nun­gen wa­ren da­mit Wirk­lich­keit ge­wor­den.

Ich sah in das star­re Mas­ken­ge­sicht von TS-19.

»Be­feh­le, Sir?« frag­te er ge­las­sen.

Ich schluck­te schwer, ehe ich rauh an­ord­ne­te:

»Aus­rüs­tung ver­la­den, Funk­spruch an Haupt­quar­tier ab­set­zen. Wir star­ten vor­aus­sicht­lich in acht Stun­den, viel­leicht auch frü­her. Das Sperr­kom­man­do soll ab­flie­gen. Die Leu­te sol­len uns den Lan­de­platz frei­hal­ten. Ich will nicht in einen Baum oder in ein sons­ti­ges Hin­der­nis hin­ein­sau­sen.«

»Es wä­re pein­lich«, mur­mel­te Pro­fes­sor Gold­stein. »Die Ak­ti­vie­rungs­plät­ze ver­än­dern sich nicht. Nur die Zei­tebe­ne ver­formt sich.«

Wir ver­nah­men einen schril­len Schrei. Her­um­wir­belnd sah ich Man­zo, der so­eben mit ei­nem ge­wal­ti­gen Sprung den De­ne­ber ein­ge­holt hat­te. Er hing hilf­los in den rie­si­gen Hän­den des Mu­tan­ten.

»Er woll­te in der Ma­schi­ne ver­schwin­den«, er­klär­te Man­zo. »Wahr­schein­lich um ei­ni­ge Jah­re zu­rück­rei­sen, wo er na­tür­lich sei­ne Leu­te an­ge­trof­fen hät­te. Woll­test du das, Bru­der?«

Ich sah be­trof­fen auf den De­ne­ber. Na­tür­lich, in ei­ner Flucht hät­te sei­ne größ­te Chan­ce ge­le­gen.

»Zum Teu­fel auch, hier muß man an Din­ge den­ken, die dem Ge­hirn ei­nes Ir­ren ent­sprun­gen sein könn­ten«, tob­te der Klei­ne. »Wenn ich mich da un­ten in mei­ne Ur­groß­mut­ter ver­lie­be, dann spren­ge ich das HQ in die Luft. Hö­ren Sie, Pro­fes­sor, wä­re so et­was mög­lich?«

Scheu­ning lä­chel­te ver­zerrt. Sei­ne star­ke Er­re­gung brach jetzt erst durch.

Gold­stein nick­te nur, ehe er gön­ner­haft mein­te:

»Wenn Sie un­be­dingt wol­len, kön­nen Sie so­gar Ih­rer ei­ge­nen Ge­burt bei­woh­nen. So­bald die vor­an­ge­gan­ge­nen Er­eig­nis­se nicht will­kür­lich ver­än­dert wer­den, müs­sen sie sta­bil blei­ben. Dem­nach könn­ten Sie recht gut je­nem Arzt ei­ne Ohr­fei­ge ge­ben, der es da­mals wag­te. Sie ge­gen Ih­ren be­wuß­ten Wil­len ans Licht des Ta­ges zu be­för­dern. Oder wa­ren Sie da­mit ein­ver­stan­den?«

Ich hör­te je­mand schrill und fast hys­te­risch la­chen. Ver­stört stell­te ich fest, daß ich selbst der Ur­he­ber die­ser Tö­ne war.

»Sie be­kom­men noch ei­ni­ge In­jek­tio­nen«, sag­te der an­we­sen­de Chef­me­di­zi­ner. »Da­nach wer­den Sie ver­ges­sen, daß Sie über­haupt Ner­ven ha­ben, die re­vol­tie­ren könn­ten. Ein neu­es Mit­tel, so­eben aus dem Er­pro­bungs­la­bor ein­ge­trof­fen. Ner­vo­si­tät gibt es nicht mehr; Angst wird zu ei­nem blo­ßen Be­griff im Rah­men Ih­rer lo­gi­schen Denk­vor­gän­ge. Das Selbst­ver­ständ­li­che do­mi­niert. Das kön­nen Sie ge­brau­chen.«

»Sie wol­len uns wohl schon vor­her um­brin­gen, eh?« mein­te Han­ni­bal em­pört.

»Be­ru­hi­gen Sie sich, Leut­nant! Pro­fes­sor Gold­stein hat die glei­che In­jek­ti­on er­hal­ten.«

Ich sah in das ent­spann­te Ge­sicht des Wis­sen­schaft­lers. Al­so des­halb war er so aus­ge­gli­chen. Mit ei­nem schmerz­li­chen Lä­cheln mein­te er da­zu:

»Die me­di­zi­ni­sche Wis­sen­schaft der GWA hat mich da­mit um mei­nen höchs­ten Ge­nuß ge­bracht. Wie sehr ha­be ich die­sem Au­gen­blick ent­ge­gen­ge­fie­bert. Nun ver­mag ich mich kaum zu freu­en. Mei­ne Her­ren, be­grei­fen Sie ei­gent­lich, was Sie so­eben ge­se­hen ha­ben! Wir ha­ben die Zeit­mau­er durch­sto­ßen! Un­faß­lich, aber es ist wahr. Las­sen Sie die Fil­me ent­wi­ckeln.«

Wir gin­gen. Nur die Spe­zi­al­wa­chen blie­ben. Seit ei­ni­gen Stun­den wa­ren die Trup­pen durch Agen­ten und Spe­zia­lis­ten der GWA er­setzt wor­den.

Die Ver­la­dung des Ma­te­ri­als be­gann. Un­glaub­lich, was die Leu­te al­les in dem Wür­fel ver­stau­ten. Zwei un­se­rer neues­ten Raum­jä­ger mit Plas­ma-Trieb­wer­ken ge­hör­ten da­zu.

Es wa­ren fla­che, dis­kus­för­mi­ge Schei­ben. Un­heim­lich schnell, un­be­grenz­ter Ak­ti­ons­ra­di­us und au­ßer­dem raum­tüch­tig.

Ei­ne Stun­de spä­ter tra­fen die letz­ten Ein­satz­be­feh­le aus dem HQ ein. Die eu­ro­päi­schen Eli­te­trup­pen hat­ten un­auf­fäl­lig un­ser Lan­de­ge­biet ab­ge­rie­gelt. Von dort aus hat­ten wir zu ope­rie­ren.

Dann war es so­weit …