15
Nikolaus von Reijn war in gewohnter Hochstimmung angekommen und hatte Elise mit Komplimenten überschüttet, während er mit ausgebreiteten Armen auf sie zuging. »Na, was haben wir denn da? Ein holdes Mädchen, das in unseren Breiten noch schöner geworden ist? Was hat diese Wandlung bewirkt? Etwa das neue Kleid, das sie trägt?« Er musterte sie aufmerksam mit seinen hellen blauen Augen. »Nein, da steckt mehr dahinter. Der Frost läßt ihre Augen glänzen und rötet ihre Wangen.« Mit schalkhaftem Lächeln beugte er sich zu ihr. »Ehrlich gesagt, mein Fräulein, wüsste ich es nicht besser, ich würde meinen, Ihr seid hier glücklich.«
»Und wüsste ich es nicht besser, Kapitän von Reijn, ich würde meinen, Ihr verfügt über die gewandte Zunge eines Iren«, konterte Elise mit betörendem Lächeln. »Gewiß, die Kälte rötet die Wangen, und Eure Gesellschaft erfreut mein Herz. Willkommen auf Hohenstein.«
»Ihr seid so liebenswürdig wie schön, mein Fräulein.«
Maxim mußte dem Freund stillschweigend recht geben, denn Elise schien mit jedem Tag schöner zu werden. An diesem Abend sah sie in dem schwarzgoldenen Matelassékleid, das sie zu Ehren des Gastes gewählt hatte, hinreißend aus. Eine steife Halskrause aus Goldspitze zierte das Kleid, zu dem sie eine mit Perlen durchflochtene und mit winzigen Edelsteinen besetzte Goldkette, ein Geschenk des Hansekapitäns, trug. Das Haar hatte sie in einer Hochfrisur zusammengefaßt, die ihr geradezu königliches Aussehen verlieh. Sogar Frau Hanz zeigte sich von ihrer Erscheinung beeindruckt.
Maxim fand sich unfreiwillig zur Zurückhaltung verdammt, während sein Nebenbuhler Elise heftig umwarb. Den Unbeteiligten zu mimen und jegliche Eifersucht zu unterdrücken, während Nikolaus ihre Gesellschaft ungeniert in Anspruch nahm, fiel Maxim sehr schwer.
»Dietrich hat den ganzen Tag mit der Zubereitung eines Festmahles für Euch zugebracht, Nikolaus.« Elise deutete auf den Tisch. »Alles ist bereit.«
Nikolaus steckte die Daumen in den bestickten Gürtel und sagte mit breitem Lächeln: »Hier kann jemand meine Gedanken lesen.«
»Nicht nötig. Wir kennen Eure Vorliebe für gutes Essen«, erklärte Elise lachend.
Bei Tisch herrschte eine gelockerte Stimmung, und anschließend zog sich Nikolaus in einen hohen Stuhl etwas abseits zurück, während Maxim in Tischnähe blieb und beobachtete, wie anmutig Elise ihnen Glühwein servierte.
»In Eurem neuen Kleid seid Ihr wunderschön«, sagte Nikolaus bewundernd. »Ich weiß gar nicht, ob ich Euch noch länger hier bei Maxim lassen kann. Einer solchen Verlockung zu widerstehen muß jeden Mann schwer ankommen.«
Elise sah Maxim bedeutungsvoll an und konnte sich eine Spitze nicht versagen. »Ich bezweifle, ob Seine Lordschaft meine Anwesenheit zur Kenntnis nimmt. Seine Erinnerungen an Arabella sind zu verlockend.«
Nikolaus trank seinen Krug leer und erhob sich, um sich nachzuschenken. »Maxim lebt noch nicht so lange in unserem kalten Land. Die Winternächte machen einen Mann empfänglicher für weibliche Wesen in seiner Nähe. Es… hm… es ist eine Sache des Überlebens… obwohl natürlich Seine Lordschaft schon genug Überlebenswillen gezeigt hat.«
»Ist uns diese Eigenschaft nicht allen zu eigen?« fragte Elise mit undurchsichtigem Lächeln.
»Doch, ja, das ist sie«, gab ihr Nikolaus recht. »Die wahre Natur des Menschen zeigt sich aber erst in der Gefahr. Manche nehmen Reißaus und fliehen, andere halten an und stellen sich. Ich war stets eine Kampfnatur und habe manches Handgemenge hinter mir, gleichzeitig liebe ich das Leben und die Frauen. Aber Gott allein weiß, was ich angesichts des sicheren Todes tun würde.« Er zeigte auf Maxim. »Bei meinem Freund liegt die Sache anders. Er sah sich dem Feind gegenüber und hat ihn besiegt.«
Ein spöttisches Lächeln umspielte Maxims Lippen. »Ich bin auch schon um mein Leben gelaufen. Man könnte auch sagen, meine Bewacher hätten meinem Leben fast ein Ende gesetzt, ehe ich ihrer Fürsorge entkommen konnte.«
Nikolaus lehnte sich zurück und faltete die Hände über dem Bauch. »Mein Freund, du stellst dein Licht unter den Scheffel und machst dich lustig über deine Flucht. Aber nur sehr wenige konnten aus Elizabeths Kerkern fliehen und können sich nun dergleichen Scherze erlauben.«
»Und du machst viel Lärm um nichts«, meinte Maxim beiläufig. »Zudem bin ich meinen guten Ruf los, den ich mir im Dienste der Königin erwarb. Ich bin meines Hauses, meiner Ehre und meines Vermögens beraubt worden.«
»Des Hauses und des Vermögens vielleicht.« Nikolaus betrachtete seinen Gastgeber mit nachdenklichem Lächeln. »Aber nicht der Ehre.«
»Ich fürchte, da wird dir meine Schutzbefohlene heftig widersprechen«, bemerkte Maxim trocken mit einem Blick zu Elise hin. »Sie ist der Meinung, unter Dieben und anderen Schurken gibt es keine Ehre.«
»Mylord, für mich steht fest, daß Piraten, Verräter und Entführer zum gemeinsten Abschaum gehören.« Elise näherte sich langsam dem Tisch. »Andererseits weiß ich nicht, wie weit ein Mann aus Liebe gehen würde, da es mir an Erfahrung fehlt. Immerhin besteht die Möglichkeit, daß ich mit der Zeit erfahre und daß ich meine Meinung ändere. Wie Ihr bereits bewiesen habt, würdet Ihr viel tun, um Arabella an Eurer Seite zu haben.« Unschuldig zu ihm aufblickend, fragte sie: »Eure Hingabe an Arabella war doch der Grund für die geplante Entführung, oder?«
Maxim spürte, was hinter ihren Worten stand, gleichzeitig spürte er seinen Puls hämmern, da ihn ihre Nähe lockte. In den vergangenen Tagen war ihm klar geworden, daß es ihrerseits nur eines Blickes, einer Berührung oder eines Lächelns bedurfte, um seine Begierde stärker zu reizen als jede andere Frau, während sie selbst sich ihrer Wirkung nicht bewußt zu sein schien.
»Nun, hat es Euch die Rede verschlagen? Seit Ihr etwa gekränkt?« hakte Elise nach.
Maxim lächelte, und seine Augen glühten, doch kam kein Wort über seine Lippen.
»Ach, heute seid Ihr aber sonderbarer Stimmung.«
»Sonderbar, daß ausgerechnet Ihr das sagen müßt.«
Elise lachte leise auf und warf kokett den Kopf zurück. »Ich weiß wirklich nicht, was Ihr meint«, sagte sie mit gespielter Harmlosigkeit. Sie hielt ihm das Tablett mit pikanten Häppchen hin, das Dietrich bereitgestellt hatte. »Wollt Ihr ein Häppchen?«
Maxim hielt ihren Blick fest. »Aber gewiß, Madame. Danach lechze ich schon die ganze Zeit«, sagte er, ohne nach einer der Köstlichkeiten zu greifen.
»Welches soll es sein?« fragte sie leise.
»Was Ihr wollt. Es ist bestimmt das süßeste«, murmelte er, und seine Stimme, die wie eine Liebkosung war, jagte ihr die Röte in die Wangen.
Elise wählte ein winziges Fruchttörtchen aus und hielt es ihm hin. Maxim beugte sich leicht vor und machte den Mund auf. Ihr Herz schlug schneller, als sie es ihm zwischen die Zähne schob und seine Zunge an ihren Fingern spürte.
»Ach, ich vergesse ja ganz unseren Gast!« machte sich Elise verlegen los. Sie hielt Nikolaus das Tablett hin und schaffte es, ihn unbefangen anzusehen. »Was wäre nach Eurem Geschmack, Kapitän? Ein Stück Konfekt?«
Nikolaus wählte sorgsam ein Häppchen aus und ließ es genüßlich auf der Zunge zergehen. Dann sah er seinen Gastgeber lächelnd an und hob den Krug: »Magst du den Verlust Arabellas betrauern, mein Freund, ich bin froh, daß deine Pläne fehlgeschlagen sind. Andernfalls hätte ich Elise nie kennen gelernt. Und was deine Narretei betrifft, mein Freund, so möge sie dir mit der Zeit soviel Vergnügen bringen wie mir.«
Maxim erwiderte den Trinkspruch, indem er seinen Krug hob und Nikolaus zutrank. »Möge uns die Vorsehung wohlgesinnt sein.«
Nikolaus leerte seinen Krug in einem Zug. »Die Vorsehung hat es in jüngster Zeit sehr gut mit mir gemeint.« Er zog aus seiner Tasche einen kleinen grünen Zweig, hob ihn hoch und drehte ihn am Stamm. »Seht her, meine Freunde, was ich einem Engländer in Hamburg abgekauft habe.«
»Was ist das?« fragte Elise verwundert.
»Ein Mistelzweig.«
Nachdem er sich der Neugierde seiner Zuhörer versichert hatte, machte Nikolaus sich daran, umständlich ein Band um den Stamm des Zweiges zu wickeln. Er stieg auf eine Bank, befestigte das bunte Band an einem Holzbalken und ließ den Zweig frei im Raum hängen. Er sprang wieder herunter und sah seine erwartungsvollen Gastgeber an. »Die Druiden schrieben der Mistel große Heilkraft zu, gegen Vergiftungen beispielsweise. Außerdem kann dieser Zweig auf den, der darunter steht, eine sehr angenehme Wirkung ausüben. Die reizvolle Sitte des Kusses unter dem Mistelzweig ließ den Glauben entstehen, daß ein solcher Kuß unweigerlich zur Ehe führen müßte. Elise, würdet Ihr daran glauben, wenn ich Euch küsse?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, nahm Nikolaus Elise in die Arme und drückte ihr einen leidenschaftlichen Kuß auf die Lippen, ohne Maxims zu achten, der sich nur mit Mühe zurückhielt. Nachdem er Elise losgelassen hatte, begegnete Nikolaus ihrem verdutzten Blick mit einem Lächeln. »Mein Fräulein, für mich und hoffentlich für Euch ein freudiges Erlebnis. Na, was ist, würdet Ihr Euch jetzt als mit mir verlobt ansehen?«
Elise, die bis zu den Haarwurzeln errötet war, erklärte barsch: »Keinesfalls! Ich bin sehr wohl imstande, eine Entscheidung selbst zu treffen, ohne mich übertölpeln zu lassen.«
Nikolaus verbeugte sich schwungvoll vor ihr. »Nun, für mich wird es ein unvergessliches Ereignis bleiben. Doch es ist schon spät, und wenn wir morgen vor Tagesanbruch nach Lübeck aufbrechen wollen, sollten wir uns zur Ruhe begeben. Ich wünsche eine gute Nacht.«
Er verabschiedete sich, durchschritt die Halle und lief die Treppe hinauf. Kopfschüttelnd blickte Elise ihm nach, bis sie bemerkte, daß Maxim zu ihr getreten war. Sie hielt den Atem an, als seine Finger ihren Arm entlangglitten und ihren Ellenbogen sanft und unnachgiebig umfassten. Ihr Herz schlug schneller, und als sie sich zu Maxim umdrehte, sah er sie sonderbar lächelnd an.
»Traditionen sollte man hochhalten, oder?« sagte er leise mit einem Blick zum Mistelzweig. Dann beugte er sich über sie und senkte seinen Mund in einer sanften Liebkosung auf den ihren, der sie willig nachgab. Ihre Gedanken wirbelten im Kreise und riefen alle Sehnsüchte wach, die sie an seinem Bett empfunden hatte.
Als er den Mund von ihr löste, seufzte Elise wie nach einem schönen Traum. Sie schlug die Augen auf und starrte in das schmale, hübsche Gesicht, das so knapp über dem ihren war. Es füllte ihren Gesichtskreis ganz aus, kam weder näher, noch zog es sich zurück, bis sie sich auf die Zehen stellte und ihre Arme um seinen Hals schlang. Der Kuß, den sie ihm gab, kam überraschend und machte ihn schwindlig. Er umschloß ihre Mitte mit beiden Armen und kostete voll ihre Wärme und Leidenschaft aus. Dabei spürte er, wie ihre Brüste sich an ihn pressten, als seine Finger über ihren Rücken glitten.
Da ertönte neben dem Kamin ein lautes »Hmmm!«, und Elise riß sich verlegen von Maxim los. Sie hatte ganz vergessen, daß jemand von der Dienerschaft sie beobachten könnte.
Maxim drehte sich um. Frau Hanz spürte die Kälte seines Blicks, während Dietrich seine Mißbilligung über die dreiste Haushälterin nicht verhehlte.
Elise, die sich einigermaßen gefaßt hatte, fixierte die Frau. »Frau Hanz, Euer Betragen stellt für mich eine Enttäuschung dar… ich ließ Euch wissen, was Ihr alles während unserer Abwesenheit zu erledigen habt. Solltet Ihr den Anweisungen nicht nachkommen, müßt Ihr Euch anderswo nach Arbeit umsehen.«
Falls die Frau erwartete, der Marquis würde zu ihren Gunsten eingreifen, so erlebte sie eine herbe Enttäuschung. Maxim sagte dazu kein Wort, was sie als stillschweigendes Einverständnis ansah. »Wie Ihr wünscht«, sagte sie gekränkt.
»Dann verstehen wir uns«, erwiderte Elise anmutig. »Nur eine Sache bedarf noch der Klarstellung.«
Frau Hanz sah sie versteinert an. »Und das wäre?«
»Eure Manieren«, sagte Elise unumwunden.»Ihr habt abscheuliche Manieren.«
»Ich war immer bemüht, mich meiner Stellung entsprechend zu betragen. Es tut mir leid, wenn Ihr Anstoß genommen habt«, antwortete Frau Hanz mühsam beherrscht.
»Ich rate Euch, während unserer Abwesenheit Euer Benehmen zu überdenken. Wenn es Euch an Einsicht fehlen sollte, dann müssen wir Euch fortschicken«, sagte Elise unbeirrt.
»Wir?« Frau Hanz sah fragend zu Maxim. »Mylord, geschieht dies mit Eurem Einverständnis?«
»Natürlich«, bestätigte er.
»Nun gut!« Es klang wie das Kläffen eines Hundes. »Da mir keine andere Wahl bleibt, muß ich mich fügen.«
»Sieht so aus, Frau Hanz«, meinte Maxim trocken.
Die Haushälterin nickte. »Wenn das alles ist, werde ich jetzt wieder an meine Arbeit gehen… und mich nützlich machen.«
Frau Hanz ging wieder an ihre Arbeit, und gleich darauf ließ sie ihren Zorn an dem Koch aus, indem sie ihm im schärfsten Ton Anweisungen gab, die in Zurechtweisungen übergingen. Dietrich aber war nicht der Mann, der unsachliche Kritik vertrug. Der folgende Streit war von lautstarken Handgreiflichkeiten begleitet.
»Was habe ich da angestellt?« klagte Elise.
Maxim lachte. »Keine Angst, Dietrich weiß sich zu wehren.«
»Das hoffe ich.« Sie seufzte. »Am besten, ich ziehe mich jetzt zurück. Sonst lasse ich mich hinreißen und schicke diese Person morgen in aller Herrgottsfrühe nach Hamburg zurück.«
»Denkt nicht mehr an sie«, riet Maxim. »Während unserer Abwesenheit kann sie sich die Sache überlegen. Wenn sie sich bis dahin nicht gebessert hat, muß sie gehen.«
»Dann also, gute Nacht.« Elise sah lächelnd zu ihm auf.
Er erwies ihr mit einer formvollendeten Verbeugung die Ehre. »Möge Euch der Abend sanft in den Schlaf wiegen, schöne Maid.«
Wenig später fiel Elise mit verträumtem Lächeln ins Bett und schwelgte in Gedanken an Maxim. Ihre Träume waren erfüllt von Phantasiebildern, und immer wieder spürte sie sich von kraftvollen Armen umfangen. Ihr Herz schlug höher, wenn sie an das ekstatische Glück dachte, das ihrer harrte. Die Liebe hatte sich in ihr Leben gestohlen und hatte sie verwandelt, so daß sie niemals wieder dieselbe sein würde.