6

Das Schiff lief in die Elbmündung ein, und während man nach Sandbänken und großen Eisschollen Ausschau hielt, stand Elise an Deck, um soviel wie möglich von dem Land zu sehen, in dem sie gefangen gehalten werden sollte. Man sah größtenteils Marschland und Ebene, bis die Uferböschung nach Norden hin höher wurde. Die Bäume glänzten, da der dichte Nebel des Vorabends zu Eiskristallen erstarrt war. Entlang der Küste türmten sich gewaltige Eisplatten auf. Hin und wieder erhob sich ein Windstoß in der Stille des ruhigen Tages, nur eine Vorwarnung des Winters und kein echter Vorbote eines Sturmes.

Schließlich näherte sich das Schiff dem Kai im Hafen von Hamburg, und die Mannschaft kletterte eilig in die Takelung, um die Segel zu reffen und festzumachen. Kälte durchdrang Elises abgetragene Kleider, während sie mit Fitch und Spence darauf wartete, daß das Schiff anlegte und sie an Land gehen konnten. Sie betrat als erste den Laufsteg, gefolgt von den beiden, die gemeinsam die Kiste mit ihren neuen Kleidern schleppten. Kaum hatte sie den Fuß an Land gesetzt, spürte Elise den Blick des Kapitäns im Rücken und wandte sich um. Von Reijn stand an der Reling und neigte leicht den Kopf zum Abschied. Elise erwiderte seinen Gruß ebenso, von seiner stoischen Gelassenheit verwirrt. Seit dem Abend, als sie ihn flehentlich gebeten hatte, sie zurück nach England zu bringen, hatte er sich ihr gegenüber sehr distanziert verhalten. Er hatte ihre Kabine nur noch betreten, wenn er eine Karte brauchte. Nicht, daß sie seine Zurückhaltung und seinen Gleichmut bedauert hätte, da sie ja ohnehin keine Möglichkeit hatte, seine Gesellschaft zu akzeptieren oder abzulehnen. Da sie aber überzeugt war, daß er ihre Wortgefechte, die jenem Abend vorausgegangen waren, sehr genoß, hätte sie zu gern gewußt, was seinen Sinneswandel bewirkt hatte.

Elise und ihre zwei Begleiter tauchten sofort im geschäftigen Treiben des Hafens unter. Um sie herum boten Händler Waren in einer für sie unverständlichen Sprache feil, während Kaufleute um die Fracht feilschten, die eingelaufen war. Das leichte Schneetreiben dämpfte die Vielzahl von Geräuschen.

Fitch bahnte sich entschlossen den Weg durch die dichte Menge. »Ich muß den Schlüssel für das Haus holen, das Seine Lordschaft für Euch gemietet hat«, erklärte er seine Eile. »Und jetzt gebt mir schön brav Euer Wort, daß Ihr hier mit Spence warten werdet.«

Elise tat überrascht. »Wenn Spence ohnehin hier bleibt, wird er doch sicher eine eventuelle Flucht verhindern, oder? Wo sollte ich auch in diesem fremden Land Zuflucht finden? Ich kenne die Sprache gar nicht.«

Fitch ging nicht weiter darauf ein, überließ sie der Obhut des anderen und lief eilig davon.

Eine Wurstverkäuferin hatte neben ihrem Karren ein kleines Feuer entfacht. Von der Wärme angezogen, hielt Elise ihre erfrorenen Finger über die Flammen. Sogleich war die flinke, rotgesichtige Frau zur Stelle. In fremder Sprache redete sie auf Elise ein und drängte sie, ein an einem Stock steckendes Würstchen zu nehmen. Spence gab der Händlerin eine Münze, die Frau nahm sie mit einem munteren »Danke, danke« entgegen und überließ nun Elise den saftigen Leckerbissen. Auch Spence nahm ein Würstchen und hatte es im Nu vertilgt.

Während sie auf Fitch warteten, hatten sie genug Zeit, noch mehr Würstchen zu essen, ja, Elise befürchtete schon, Fitch hätte sich verlaufen. Schließlich sah sie, wie er niedergeschlagen und zögernd zurückkam.

»Unsere Pläne haben sich geändert«, kündigte er finster an, als er vor ihnen stand. »Wir werden ein anderes Haus beziehen, weiter nördlich von hier. Dazu brauchen wir Pferde und auch Vorräte für die Zeit, bis Seine Lordschaft kommt.«

Spence runzelte nachdenklich die Stirn. »Aber Seine Lordschaft sagte, er habe direkt hier in Hamburg ein Haus gemietet und dafür bezahlt.«

Ein lang gezogener Seufzer entrang sich Fitch und ließ seine Laune noch tiefer sinken. »Hans Rubert, der Vermittler, sagte, das Haus ist schon vermietet und bezogen.«

Spence sah seinen Gefährten durchdringend an. Er schnaubte ärgerlich und streckte die Hand nach der Börse aus. »Ich gehe jetzt und besorge Pferde und Vorräte, während du hier mit dem Mädchen wartest.«

Fitch nickte stumm und ließ sich ergeben auf einem Stapel Brennholz nieder. Es dauerte eine Weile, bis Spence wiederkam. Was er in einer der Stallungen auf dem Hafengelände erstanden hatte, ließ Elise an seinem Pferdeverstand zweifeln. Sattel und Zaumzeug waren Relikte aus längst vergangenen Zeiten, die kurzbeinigen, in ihrem Winterfell sehr zottig wirkenden Tiere bewegten sich nur langsam und schienen unter der Last der in Bündeln verpackten Vorräte fast zusammenzubrechen.

Vorsichtig stieg Elise auf und spornte ihr Pferd mit der Ferse an, bis es sich zögernd in Bewegung setzte, hinter Spence her, der den Zug auf seinem Pferd anführte. Fitch, als Schlusslicht, hielt das Leitseil der Packpferde, während er auf seine Gefangene ein wachsames Auge hatte.

Die kleine Karawane brachte die engen, gewundenen Straßen Hamburgs hinter sich und überquerte mehrere Steinbrücken, die Kanäle und schmale Wasserstraßen überspannten, bis sie den Stadtrand erreichten. Nun ging es weiter in nördlicher Richtung, auf einer breiten, durch einen dichten Wald führenden Straße. Tiefhängende, bleierne Wolken verdunkelten den Himmel. Schneeflocken trieben ihnen ins Gesicht. Allmählich gewannen sie an Höhe, ließen das Tiefland hinter sich und durchritten den lichter werdenden Wald, wobei sie immer wieder großen Felsblöcken ausweichen mußten.

Sie erreichten den Rücken der Anhöhe, und Elise sah mit Verwunderung, daß der Pfad, auf den sie abgebogen waren, direkt auf eine alte Burg zuführte, die nicht weit vor ihnen auf einem aufragenden Fels kauerte. Grau und trübe wie der Winterhimmel wuchsen die Wehrmauern aus einem Sockel schroffer Klippen an der Biegung eines vereisten Flusslaufes. Trockene Grasbüschel durchstießen da und dort den Schnee. Eine niedrige Bohlenbrücke führte über den Graben zum Burgtor, dessen rostiges Fallgitter, nur von einer Kette gehalten, schief über dem oberen Teil des Eingangs hing. Ein Flügel eines Tores lag zerbrochen auf dem Weg im Schnee.

Sie durchritten das Burgtor und erreichten den Hof. Wie Elise vermutet hatte, bot sich ihnen ein trostloses Bild. Vorratshaus und Gesindekammer an der Westmauer waren in sich zusammengefallen. An die Ostmauer lehnten sich die baufälligen Stallungen, in denen nun Spence die Packpferde unterbrachte. Der an der Verbindung von Ost- und Nordmauer stehende Haupttrakt schien bewohnbar, wenn auch die meisten Fensterläden und einige der Fenster des ersten und zweiten Stockwerkes sowie das steile Schindeldach reparaturbedürftig waren. Einige Fenster standen offen, wie um die Vögel willkommen zu heißen, die davor herumflatterten.

Fitch ließ fassungslos den Blick über die schneebedeckte Ödnis wandern. Schließlich saß er ab und näherte sich Elise, wobei er ihrem Blick auswich. Ohne ein Wort der Erklärung half er ihr aus dem Sattel und folgte ihr in einigem Abstand, als sie die Eingangsstufen zum gewölbten Portal des Wohnturmes emporstieg. Das große, schwere Portal stand offen und bot wenig Schutz vor den böigen Winden. Vorsichtig in das Innere spähend, trat Elise ein. Man konnte nicht wissen, was in den Schatten des großen Raumes lauern mochte.

Riesige graue Spinnweben hingen von den dunklen, rohbehauenen Deckenbalken. Sie spannten sich über Türen, Ecken, Nischen und Vorsprünge. Mit jedem Schritt wirbelten Elises Röcke Staub auf.

Vor dem gewaltigen Kamin lag ein umgestürzter Tisch, daneben türmten sich Bänke übereinander, von denen einige zertrümmert waren, als hätte man sie in jüngerer Zeit als Feuerholz verwendet. Die Rußschicht im Kamininneren zeigte an, daß hier einmal kräftig geheizt worden war. Ein aus Ziegeln gemauerter Herd an der Innenwand ließ diesen Bereich als Küche erkennen. Ein großer Eisenkessel baumelte noch an einer Stange über der Asche, und an einem Balken hingen Töpfe und Küchengeräte, alles von einer dicken Staubschicht überzogen.

Eine Steintreppe, flankiert von einem massiven Holzgeländer, führte in den ersten Stock. Vom oberen Treppenabsatz ging es ins nächsthöhere Stockwerk.

»Eine armselige Bleibe«, seufzte Elise. »Wenigstens sind wir hier drinnen vor dem Wind geschützt.« Sie drehte sich zu Fitch um, der hinter ihr stehen geblieben war. »Wie weit ist es noch zum Haus deines Herrn?«

»Verzeiht, Mistreß«, murmelte Fitch beschämt. »Das hier ist sein Haus.«

»Hier?« Sie runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

Fitch blickte grimmig umher. Nicht einmal für eine Nacht war diese Unterkunft ausreichend, geschweige denn für den ständigen Aufenthalt einer feinen Dame. »Das ist Burg Hohenstein. Der Vermittler hat mir die Lage genau beschrieben.«

Elises Verwirrung stieg. Sie begriff überhaupt nichts mehr. Diese baufällige Ruine konnte unmöglich als ständige Behausung gedacht sein. »Willst du damit sagen«, fragte sie kühl, »daß wir hier bleiben müssen, in diesem… Saustall?«

Fitch ließ den Kopf hängen und fuhr verlegen mit der Zehenspitze durch den Staub. »Ja, Mistreß. Zumindest bis Seine Lordschaft eintrifft.«

»Du erlaubst dir mit mir einen Scherz!«

»Verzeiht, Mistreß.« Fitch nahm den Hut ab und zerknüllte ihn zwischen den Händen. Sein Räuspern hörte sich an, als wollten ihm die Worte in der Kehle stecken bleiben. »Es ist kein Scherz, leider. Das ist ganz sicher Burg Hohenstein.«

»Du kannst nicht erwarten, daß ich hier bleibe!« begehrte Elise auf. Sie war todmüde, erschöpft und verzweifelt. »Hier könnten nicht einmal Schweine hausen! Euer Herr ist so mächtig und wohlhabend, daß er sich der Treue zweier Spitzbuben, wie ihr es seid, versichern kann… ja, sogar der Mithilfe eines Hansekapitäns… und du willst jetzt behaupten, daß er uns nichts Besseres zu bieten hat? Müssen wir zwischen Ungeziefer hausen?« Sie deutete auf die winzigen Spuren im Staub und wandte sich angeekelt ab. »Er muß über einen merkwürdigen Humor verfügen, wenn er uns diese Ruine zumutet. Ich schätze, hier muß schon Karl der Große gehaust haben.«

Fitch knautschte verlegen seinen Hut, verzweifelt bemüht, seinen Herrn zu entschuldigen. »Es ist nicht die Schuld Seiner Lordschaft. Er hat die Miete für ein Haus in Hamburg bezahlt. Der Vermittler, dieser Hans Rubert, ist schuld. Man sagte ihm, unser Schiff sei untergegangen, und da überließ er das Haus, für das Seine Lordschaft bezahlte, seiner verwitweten Schwester.«

Elise hörte es zähneknirschend. »Vermutlich hat dir dieser Rubert diese Ruine für einen Bettel überlassen.«

Fitch ließ den Kopf hängen und nickte zustimmend.

Elise stützte die Hände in die Hüften und herrschte ihn an. »Und wenn es auch nur ein Bettel war, dann war es zuviel.« Mit einer weit ausholenden Geste umfasste sie das desolate Burginnere. »Blick um dich, und sage mir, wie jemand in diesem Dreck leben kann.«

»Vielleicht wenn gründlich saubergemacht wird«, meinte Fitch kleinlaut.

Fassungslos starrte Elise ihn an. »Was sagst du da? Bietest du womöglich deine Dienste an? Wirst du kniend den Boden schrubben, bis er glänzt? Wirst du die Tür in Ordnung bringen? Den Kamin fegen?« Fitch wich unbehaglich unter ihren niederprasselnden Fragen zurück, aber Elise ließ nicht locker: »Wirst du die Fenster in Ordnung bringen, die Läden, den Herd, das Gebälk, und wirst du Schilfmatten für den Steinboden flechten?«

Mit dem Rücken gegen die Wand blieb er stehen und fuchtelte aufgeregt mit den Armen, als sie immer näher kam. »Mistreß, es wird uns nichts anderes übrig bleiben. Bis Seine Lordschaft kommt, haben wir kein Geld für etwas Besseres.«

»Hast du nicht die Differenz der Miete von Rubert bekommen?« fragte sie, obwohl sie sich die Antwort denken konnte.

Beschämt schüttelte er den Kopf. »Nein. Hans Rubert sagte, Seine Lordschaft schulde ihm Geld, und außerdem wollte er die Sache nicht mit einem Diener besprechen. Ich mußte sogar noch etwas zuschießen. Mehr konnte ich mir nicht leisten, weil ich ja auch noch Proviant besorgen mußte.«

Mit wachsender Verzweiflung blickte Elise um sich. Aus irgendeinem Grund hatte sie wohlausgestattete Räumlichkeiten erwartet, ein Bad, ein warmes Schlafzimmer mit Daunendecken und natürlich ein köstliches Abendessen. Sie hatte schon die Nacht zuvor nicht schlafen können, dann das lange Warten, nachdem sie an Land gegangen waren, und schließlich der ermüdende Ritt – all das hatte sie viel Kraft gekostet. »Uns bleibt tatsächlich keine andere Wahl«, gab sie entmutigt nach. »Morgen müssen wir nachzählen, wieviel Geld dir geblieben ist, und entscheiden, was als erstes getan werden muß. Im Augenblick müssen wir uns mit den unbequemen Gegebenheiten abfinden.«

»Das wird nicht einfach sein«, bemerkte Fitch niedergeschlagen. Ein eisiger Windstoß, der durch die Halle fegte, ließ Elise frösteln. »Ein Feuer wäre wunderbar, und vielleicht findet sich etwas, um die Fenster abzudichten… Spence wird die Pferde versorgen. Ich hole Brennholz und schaffe die Vorräte herein. Dann will ich mal sehen, was sich an Fenstern und Läden machen läßt.«

Er lief hinaus, und Elise sah zum oberen Stockwerk hinauf. Sie mußte unbedingt feststellen, ob die Räumlichkeiten oben in ebenso erbärmlichem Zustand waren. Sie raffte ihre Röcke hoch und lief die Treppe hinauf. Vom oberen Treppenabsatz zweigte ein kurzer Gang ab, der zu mehreren Räumen führte. Die Tür eines geräumigeren Gemachs stand einen Spaltbreit offen, so daß Licht auf den Gang fiel. Die rostigen Türangeln kreischten, als Elise die Tür weiter aufschob. Angeekelt streifte sie die Spinnweben beiseite und betrat den Raum, dessen ganzer Boden mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Spinnweben verunzierten auch den Himmel eines an der Wand stehenden Bettes, das auf drei Seiten von kunstvoll geschnitzten Holzpaneelen umgeben war. Auf den rohen Planken des Betteinsatzes lagen die zerfledderten Überreste einer Matratze. Ein anderer Himmel schirmte eine große kreisrunde Kupferwanne ab, die in der Ecke zwischen Kamin und der Fensterwand stand. Der einstmals kostbare Vorhang bestand nur mehr aus langen vermoderten Fetzen. Reichgeschnitzte Schemel, Schränke, Armsessel und Truhen vervollständigten die Einrichtung, die, wenn auch total verstaubt und modrig, intakt war.

Elise vermutete, daß ihre schwer zugängliche Lage die Burg davor bewahrt hatte, ausgeplündert zu werden. Der Grund für ihren desolaten Zustand war jahrelange Vernachlässigung.

Zwei niedrige Stühle standen vor einem großen Kamin. An derselben Wand, gleich neben der Tür, bedeckte eine riesige Tapisserie die getäfelte Wand von der Decke bis zum Boden. Die Stickerei war von einer grauen Schicht überzogen. Daneben entdeckte Elise eine quastenbesetzte Kordel. Neugierig zog Elise daran, doch im nächsten Moment stürzten die Tapisserie, die Stange, an der sie hing, und die geschnitzte Zierleiste unter lautem Getöse herunter und schlugen in einem grauen Staubwirbel auf dem Boden auf.

Elise wich erschrocken zurück. Sofort schwirrte im Raum eine Unzahl kleiner, zirpender schwarzer Geschöpfe. Entsetzt stieß Elise einen Schrei aus, als sie von allen Richtungen umflattert wurde.

Polternde Schritte näherten sich eilig. Fitch stürzte, eine schwere Axt schwingend, herein, wild entschlossen, sich jedem Ungeheuer zu stellen, das seine Schutzbefohlene bedrängte.

»Fledermäuse!« brüllte er, als er mitten im Raum in einen Schwarm geriet. Von hundert Schauermärchen über diese Biester verunsichert, schwang er die Axt in hohem Bogen, und rief gellend: »Flieht, Mistreß! Bringt Euch in Sicherheit! Ich halte sie auf!«

Die breite Schneide der Axt durchschnitt pfeifend die Luft, ohne eines der Tiere zu treffen. Zum Glück war Elise gestürzt und lag auf dem Boden. Von dort aus sah sie, daß ihr Verteidiger in dem Bemühen, die Tiere von seinen Augen fernzuhalten, diese fest geschlossen hielt –  mit erstaunlichem Erfolg, denn binnen kurzem war von den Fledermäusen keine Spur mehr zu sehen, nicht einmal ein abgeschlagener Flügel lag auf dem Boden. Da rief Elise dem immer noch wild um sich Schlagenden zu: »Fitch, hör auf! Du bist der Held des Tages!«

Breitbeinig, die Axt in der Hand, hielt er inne. Elise erhob sich und schüttelte den Staub aus ihren Röcken.

»Fitch, sie sind vor dir geflohen wie Dämonen vor einem Racheengel.«

»Sehr wohl, Mistreß«, stieß er keuchend hervor. »Kein Wunder, ich muß mindestens hundert erschlagen haben.« Er blickte sich suchend im Raum um, verdutzt, weil keine Beweise seiner Schlagkraft zu sehen waren.

»Richtig, Fitch.« Elise sagte es lachend, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Aber ich fürchte, daß deine wilden Hiebe sie alle aus den Fenstern getrieben haben. Zur Sicherheit solltest du die Fenster verriegeln.«

»Wird gemacht!« erwiderte Fitch beflissen und schloß eilig alle Fenster.

»Diese Ecke muß besonders gründlich gesäubert werden«, bemerkte sie mit einem Blick auf den Unrat, den die Tiere hinterlassen hatten. Eine langwierige Aufgabe, wie sich noch zeigen sollte. Der Dung mußte von Wänden und Boden gekratzt werden, ehe man sich mit scharfen Bürsten und Seifenlauge über die Ecke hermachen und den ganzen Raum bewohnbar machen konnte. Auch die Tapisserie bedurfte einer sorgfältigen Säuberung.

Nachdenklich betrachtete Elise in der getäfelten Wand eine Tür, die hinter dem Wandbehang verborgen war. Auch Fitch war die Tür nicht entgangen, und er nahm sich vor, der Sache beizeiten auf den Grund zu gehen.

Elise trat hinaus auf den Gang und warf einen Blick nach oben. Sie mußte herausbekommen, wie es um die Räume im Dachgeschoß bestellt war. Um nicht wieder einem Abenteuer wie dem eben überstandenen ausgesetzt zu sein, wollte sie nicht ohne Begleiter hinaufgehen. »Komm«, forderte sie Fitch auf. »Du sollst mich bei der weiteren Erkundung dieses Traktes beschützen. Sollten wir wieder auf diese Tierchen stoßen, dann hätte ich dich gern in der Nähe.«

Fitch rückte seinen Wams zurecht, geschmeichelt von ihrem Vertrauen. »Sehr wohl, Mistreß«, stimmte er freudig zu. »Am besten bleiben wir zusammen.«

Elise folgte dem Mann über die hölzerne Treppe hinauf, die in einen Gang mündete. Die linke Seite des Korridors war gleichzeitig die Außenmauer, in der in gewissen Abständen schmale Öffnungen für die Bogenschützen eingelassen waren. Auf der rechten Seite gab es wie unten zwei Türen, von denen die größere schief in den Angeln hing. Vorsichtig spähte Fitch hinein, ehe er die Tür mit der Schulter weiter aufschob und Elise eintreten ließ, als er sah, daß keine unmittelbare Gefahr drohte. Es mußte sich um die Gemächer des Burgherrn handeln, denn die Zimmerflucht bestand aus einer großen Schlafkammer, einem Ankleideraum und einem Toilettenraum. Die einstmals gewiß sehr behagliche Schlafkammer hatte ein Loch im Dach, durch das der Himmel zu sehen war. Unterhalb der Öffnung hatte sich auf dem Boden ein kleiner Schneehaufen angesammelt – mit ein Grund für die Kälte, die in dem Raum herrschte.

Nachdem sie mit einem Blick den Raum erfasst hatte, meinte Elise trocken: »Wenn ich die Wahl habe, nehme ich die Kammer darunter. Vielleicht hat dein Herr eine Vorliebe für die frische Luft in diesen Breitengraden, ich nicht.«

Fitch war sprachlos, als ihm plötzlich klar wurde, daß es keine anderen Möglichkeiten gab und daß Seine Lordschaft mit dieser Unterkunft höchst unzufrieden sein würde. Während Elise sich zum Gehen wandte, blieb er nachdenklich stehen und murmelte vor sich hin: »Ich und Spence, wir werden ganz schnell das Dach reparieren müssen.«

Elises kühles Lächeln verriet weniger Besorgnis um das Wohl seines Herrn. »Andere Reparaturen sind viel dringender«, hielt sie ihm vor. »Da dein Herr nicht so bald zu erwarten ist, kann auch das Dach warten. Zuerst müssen wir an uns denken.«

Widerstrebend folgte er ihr mißmutig hinunter, weil dieses zierliche Mädchen unmerklich die Führung des Hauses an sich gerissen hatte.

»Wir beginnen mit Fegen und Schrubben. Hoffentlich schaffen wir einiges, ehe es finster wird.«

Elises Mantel wirbelte Staub auf, als sie die Treppe hinunterlief, so schnell, daß Fitch mit ihr nur mühsam Schritt halten konnte. Als sie unvermittelt stehen blieb, rannte er sie fast über den Haufen.

»Gibt es hier einen Brunnen?« fragte sie.

»Ja, draußen im Hof. Und einen im Stall.«

»Sehr gut. Um hier alles zu säubern, werden wir viel Wasser brauchen. Und noch eine Menge anderer Dinge, die du auftreiben mußt! Besen, Eimer, Seife, Lappen! Und fleißige Hände!« Elise lief an der Kammer vorüber, die sie sich selbst zugedacht hatte, und weiter die Treppe hinunter. »Unten habe ich einen Kessel gesehen…«

Was Fitch und Spence vom Rest des Tages in Erinnerung blieb, war Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit!