III.
Der Jour Fixe des Commerzienraths Wolffert hatte wie gewöhnlich viele Freunde des Hauses angelockt. Auch Neugier, die junge Frau kennen zu lernen, zog an. Kaum angekommen, verloren sich Dondershausen und Krastinik im Gedränge und es gelang nicht, den Wirth aufzustöbern. Endlich zeigte der Oberst dem Grafen den Sohn des Hauses und Letzteren frappirte sichtlich die blasirte Miene des jungen Ehemanns. –
Eugen hatte seinen Willen durchgesetzt, einen »elementaren Persönlichkeitsbeweis« abgelegt, wie der philosophische Oberst dies bezeichnete. Aber nun langweilte sich bereits der junge Weltbummler.
Das eigentliche Fieber der Leidenschaft, das ihm einst die Eingeweihte verzehrt und die Seele verbrannt hatte, verkohlte. Eine gleichgültig gemütliche Zärtlichkeit trat an seine Stelle. Ihn reizte hauptsächlich noch der Gedanke, daß die vielbegehrte Schönheit von ihm schwanger sei. Dies Behagen an ihrer Schwangerschaft hatte etwas schmutzig Egoistisches. Eigentliche Liebe oder Leidenschaft fühlte er keineswegs mehr für das schöne Geschöpf, sondern vielmehr eine eitle Besitzfreude. »Ich habe sie,« das war der Grundgedanke seiner Neigung. Weit mehr, um dies Besitzrecht zu zeigen, als aus Begierde fröhnte er den Freuden der Liebe mit andauernder Regelmäßigkeit. Ganz vereinbar damit war es, daß er innerlich jeden Morgen murrte, weil er leidenschaftlos, einfach aus Gewohnheit und Eitelkeit, seine Säfte verschwendet hatte. So trägt jede erotische Leidenschaft ohne wahre Liebe ihre Geißel in sich selbst. Eine gewisse beiderseitige Kälte sänftigte wohlthuend die Gefühle – ihre Liebesaversion und seine erotischen Flammen. Sein Gehirn fing an, seine Sinnlichkeit zu absorbiren, und eine gewisse Nervenschwäche, die sich latent bemerkbar machte, trat hinzu. Eigentlich fühlte er sich wohl dabei, dem Druck des geschlechtlichen Alleingefühls entronnen zu sein. So löst sich die Empfindung in ewigem Kreislauf ab. Grämliche Verdrießlichkeit folgt meist der sinnlichen Anreizung, beseitigt aber dafür auch das Fieber des Verlangens und kühlt zu gelassener Arbeitsruhe ab. So kann unter Umständen auch das Laster mehr kalte Seelenruhe verleihen als die Tugend, die von Sehnsucht kaum trennbar. Andrerseits erhöht wieder die Keuschheit, sobald sie sich in ritterlicher und hochherziger Leidenschaft für ein bestimmtes Wesen ausdrückt, die Kräfte des Einzelindividuums über sich selbst hinaus. Ein platonisch Liebender, der als Endziel seiner Mühen ein Weib ersehnt, ist von unwiderstehlicher Stärke und wagt den Kampf mit dem Schicksal, indem er die persönliche sinnliche Selbstsucht gleichsam aus verfeinerter Selbstsucht niederzwingt. Hingegen werden Keuschheit und Gesundheit an Leib und Seele um so tiefere Schmerzen bereiten, wenn ihnen die Schwäche und Sinnenknechtschaft der meisten Andern nahegerückt wird.
Wie kann ein sinnlich Denkender je die volle Pein einer unglücklichen Liebe empfinden!
Jedenfalls scheint Alles, Glück wie Unglück, Tugend wie Untugend, vollkommen gleichwertig für die Entwickelung des Individuums.
Schlaffe und müde Genußentfähigung ist ein verdrießlicher Zustand, aber nicht minder die Sehnsucht nach irgend einem Genusse, der leichter oder schwerer errungen werden kann und dessen Erwartung nun die beschauliche Geistesstimmung des Normalzustandes stört.
... Krastinik warf einen prüfenden Kennerblick auf die Gesellschaft und bat den liebenswürdigen Ordensjäger, der nach allen Seiten, bücklingte, um aufklärende Bezeichnungen.
»Wer ist dieser Herr dort, der so krampfhaft gestikulirt?«
Er wies auf einen Bonvivant mit geröthetem Faungesicht bei stark ergrautem Backenbart, welcher in heulenden Fisteltönen einer ewigen Extase Luft zu machen schien.
»Wie? Den kennen Sie nicht? Daß ist ja der berühmte Kritiker Ludolf Lutsch.«
»Ach Herrje! Das jenügt!« schnarrte Krastinik ironisch. »Freut mich den Mann zu sehn, der selig machen und verdammen kann!«
Natürlich schien die Finanzwelt stark vertreten. Auch jener hervorragende Makler war erschienen, welcher einst Kathi in einem so überschwänglichen Brief die Ehre der Maitressenschaft angeboten hatte. Mit einem gewissen Hochgefühl strich er seinen wallenden schwarzen Bart, indem er Kathi aus der Ferne gierig mit seinen Blicken verschlang. Sonst war sein Verhältniß zur Kunst kein intimes zu nennen gewesen und beschränkte sich auf Unterstützung des Ballets. Nun fiel ihm die Binde von den Augen und er erkannte sich als »Idealist«. Bisher schlummerte dieser Trieb im Verborgenen. Aber seit der Prozeß Graef ihn über das wahre Wesen des »Ideals« aufgeklärt, schwang er sich durch fleißige Betrachtung und Behandlung zur Höhe der Kunst, zum Nackten, nunmehr mit vollem Bewußtsein empor. Jetzt brachte er seinen Idealen eine ihm neue künstlerische Begeisterung entgegen, welche auf dem vertieften Studium der sogenannten Natur beruht. Bisher handelte er eben mit dem Instinkt des Unbewußten, wenn er seine nicht ungewichtige Verehrung »diesen Damen« zu Füßen legte. Jetzt aber wußte er, daß ein geheimer künstlerischer Drang ihn zur Betrachtung des Akt-Stehens trieb. O hätte er doch, wie dieser Schwerenöther Eugen, das herrliche Naturmodell käuflich erworben! Er hatte es ja dazu. Denn die Kunst geht nach Brot und das Studium des Nackten ist theuer. Schade! Er hätte es sich gern was kosten lassen. Nochmals Schade! Mit dem erkorenen Spezial-Modell war es nun nichts mehr. Doch wer weiß! Es ist noch nicht aller Tage Abend. Frau Kathi Wolffert würde vielleicht nicht immer unnahbar bleiben. Jedenfalls halten wir fest am Idealismus und am großen Stil des Nackten.
Commerzienrath Wolffert, ein dürrer Mann mit einer ungeheuren Birnennase, Fistelstimme und katzenhaft schleichendem Tritt, huschte liebenswürdig durch die Reihen der Gäste. Krastinik hörte einige Umstehende nähere Familiendetails erörtern. Wolffert junior habe seine jugendlichen Thorheiten überwunden, die befürchten ließen, daß er sich dem Müßigang widmen werde. Mann befürchtete einst sogar, daß er als litterarischer Schöngeist sich dem Staate entziehen wolle. Jetzt aber, da er ein Mann war, that er ab, was kindisch war, und trat ins Geschäft des Vaters ein. Die Firma werde demnächst lauten: Wolffert und Sohn. Um diesen Preis verzeihe ihm die Gesellschaft den unglaublichen Mißgriff seiner Liebesheirath, obschon natürlich die Damen sich fürs erste noch reservirt fernhielten. Man sehe doch den sittlichenden Einfluß der Ehe. Uebrigens könne man von der Vergangenheit der jungen Frau, die als Buffetdame in einem Hamburger Café fungirt haben solle, sonst nichts Uebles reden. – Doch schien über Manches ein Dunkel zu herrschen. So fragte ein junger Sportsman plötzlich mit offenbarer Neugier den soeben sich nähernden Eugen, wohin er doch gleich seine Hochzeitsreise gemacht habe. Er, der Frager, habe davon gehört, es jedoch vergessen. Nach augenscheinlich verlegenem Zögern gab Jener kurz zur Antwort: »Nach Norwegen.« Krastinik horchte wieder hoch auf. Ein Zufall wollte, daß der neugierige Jüngling im vorigen Jahr mit Stangen die skandinavische Route gemacht hatte. »Wir kamen aber nur bis Hönevoß. Kennen Sie Hönevoß?«
»O und ob! Einer der schönsten Tage meines Lebens!« Eugens Auge blitzte auf. »Es war ein herrlicher Juniabend. Ich glaube, der 17. Juni.« Krastinik zuckte leicht zusammen. Wie, trug Rothers Brief aus Hönevoß nicht dasselbe Datum?
»Schneidiger Smoking-room, auf Ehre!« Ein Theil der Gäste drängte in ein kleines elegant ausgestattetes Rauchzimmer. Dondershausen wollte die Gelegenheit benutzen, um der Wirthe habhaft zu werden und den Grafen vorzustellen. Aber dieser bat ihn hastig noch zu warten und hielt sich beobachtend retiré im Hintergrund.
»Stilvoll, intim, anheimelnd!« rief Lutsch begeistert. Er beroch seine Cigarre: »Upmann Regalia?! Jeglichem Lobe zu groß! – Ach, Herr Wolffert, Ihre junge Frau – superb! Etwas blaß. Das giebt ihrem Teint einen intimen Timbre – gradezu stilvoll! Ach, was für ambrosische Weiber dies hochzeitliche Fest wiederum vereinte! Alle Schönheiten Berlins zogen ihr hochzeitlich Kleid an – manche möglichst wenig davon und das sind die einzig wahren!« Dabei hauchte er, mit halb zerkniffenen Augen, das kritische Urtheil: »Diese pastos aufgetragenen, lichtwarmen Rosatöne schmelzend ambrosischen Fleisches!«
»Oller Fleischbeschauer!« murmelte man in der Runde. Lutsch aber fuhr unverdrossen fort, indem er auf Commerzienrath Wolffert lossteuerte, der eben hereingeschlichen kam: »Ihr Ball ist von einer wunderba – aren Schönheit! Selbst auf dem Subskriptionsball sahen meine sündigen sterblichen Augen nicht solche göttlichen Weiber!«
Wolffert senior fühlte sich, wie es schien, peinlich berührt durch diesen ungezügelten Gefühlssturm; denn er fistelte pikirt: »Weiber?! Ich muß doch bitten, Damen.«
»Damen, Madame, Signora, Miß, Milady – was Sie wollen!« heulte Lutsch unbekümmert fort, indem er seinen Chapeauclaque schwenkte. »Für mich bleibt jede Göttin doch einfach ein göttliches Weib! Wir, die wir athmen und weben in der freien vornehmen Lebensanschauung der Kunst – wir jubeln und seufzen halt mit dem Altmeister: ›Das ewig Leibliche zieht uns hinan! Ach und das Unbeschreibliche hier ists gethan‹: Sehn Sie doch nur diese Toilette!« Dabei deutete er auf eine im Nebenzimmer vorüberrauschende Dame. »Muß mir doch gleich notiren.« Er zog sein vielbeliebtes Notizbüchlein, in Saffian gebunden, aus der Fracktasche, in welches er ab und zu eifrig zu kritzeln pflegte, und schrieb die druckreifen Worte:
»Das tiefviolette Kleid mit Devant aus heliotropfarbigem Atlas, augenscheinlich aus dem Magazin der berühmten Firma Gebrüder Witzleben hervorgegangen, wurde noch mehr gehoben durch ein Brillantfeuerwerk. Die ganze Erscheinung möchten wir mit dem einen treffenden Worte kennzeichnen: Brillant!«
»Ach und dort, ich bitte Sie!« Er schrieb wieder etwas Lebendiges aus dem Hintergrund ab:
»Auch unsre Primadonna Donna Lucrezia Calcante – sie, welche gleich Lucrezia Borgia ein süßes tödtliches Gift für liebeglühende Männerherzen besitzt – zierte das Fest des größten Waffenfabrikanten der Welt.«
»Nana, erlauben Sie!« fiel der Vorfechter der Freiheit verlegen ein. »Sie bringen mich um! ›Der Welt‹ – das ist doch zu kolossal!«
Doch der unerschütterliche Lutsch replicirte gewandt: »Ich bin für das Kolossale! Auch insofern – wer ist dort die kolossale Dame?«
»Das ist Frau Cohn, von Cohn und Compagnie.«
»Frau von Cohn und Compagnie,« notirte Jener eifrig und schmückte den trockenen Namen alsbald mit folgender Hyperbel, indem er halblaut heulend schrieb:
»Und wer, der die üppigschöne Frau C. in ihrer hellfarbig gemusterten Brokat-Robe bewundern durfte, konnte ahnen, daß vierzig herrliche Lenze über ihrem Scheitel dahingegangen?«
»Sie sind bescheiden,« lachte Eugen Wolffert, der unvermuthet hinter ihm stand.
»Sind wir immer. Na, sagen wir: ›neununddreißig Lenze‹.« Lutsch schien durch nichts aus der Fassung zu bringen. Seine unerschöpfliche Phantasie setzte schwungvoll fort:
»Als Ebenbild dieser hoheitsvollen Juno schmiegten sich an sie ihre rehäugigen Töchter –«
»Pardon« unterbrach er sich, »hat sie Töchter?«
»Ja doch, Sie schnurriger Interviewer Sie!« lachte Eugen. Aber schon nahm ein neuer Gegenstand die Sinne des leicht erregbaren Ludolf gefangen:
»Gott, was seh ich! Auch Fräulein Rasolinska, unsre göttliche Ballerina? – Eine Inspiration!« Und er schrieb:
»Als ein unter dem Giftbaum der Börse lagernder lieber Freund sie in ihren Diamanten erblickte, rief er begeistet: ›Ich gebe für Fräulein Rasolinska 200000 Mark.‹«
Seine Inspiration hatte ihn so überwältigt, daß er Wolffert senior unter den Arm nahm und mit ihm herumtänzelte, indem er heiser dazu trällerte:
»Du hast Diamanten und Perlen ...«
»Sst, will er wohl still sein!« Eugen hielt ihm lachend den Mund zu. »Sie compromittiren uns noch!«
Da sprach Lutsch die geflügelten Worte:
»Der Skandal – das ist der Ruhm! Lehren Sie mich unsre lieben göttlichen Weiber kennen! Wir verstehen das Frauenherz!« Dabei klopfte er sich auf den Bauch, mit der Befriedigung des guten Gewissens. »Aber ich beschwöre Sie, liebstes Commerzienräthchen,« heulte er plötzlich »sehen Sie doch nur Ihre Schwiegertochter, sehen Sie doch!«
»Ich sehe ja schon!« fistelte dieser halb geschmeichelt, halb ärgerlich.
Im Hintergrunde sah man Kathi, von einigen Herren umringt, die Honneurs machen.
»Halten Sie mich!« Lutsch kniff Eugen in den Arm. Ich gerathe in Extase! Eine Prinzessin, eine ladylike Grazie! Für mich eine Mädchenblüthe von intimstem Reiz!
»Intimstem? Oho!«
»Nein, mein guter Commerzienrath, das verstehen Sie wieder nicht. Wir Kunstbeflissenen reden eine besondere Geheimsprache. ›Intim‹ – das heißt bei uns: ›unsagbar‹, ›duftig‹ ›keusch‹!«
»Keusch – so!« lächelte Eugen.
»Das wundert Sie? Wenn Sie meine Kritiken genauer lesen, so werden Sie ›keusch‹ und ›vornehm‹ als meine Leib- und Magenwörter fast in jeder Zeile entdecken. Wenn ich so einen Mann sehe wie Sie, dann sage ich einfach: ›Ein vornehmer Charakter!‹ Nehmt alles nur in allem, er ist –«
»Ein reicher Mann« brummte Eugen beiseit.
»Und was edle Frauen betrifft.. sehn Sie z.B. dort dies entzückende Wesen!« Er notirte wieder mal:
»Rosaseide mit türkisblauen Schleifen nebst saphirblauem Fächer mit Straußenfedern, eine Perlenschnur um den Schwanenhals ...«
»Sehen Sie, da sage ich schlechtweg: Ein keusches Weib! – Ach, Herr Wolffert, und Ihre Gattin!« Sein Notizbuch zitterte ordentlich unter der Hast des Bleistifts:
»Eine Schlepprobe von weißem Sammt mit weißen Seerosen über einem Kleide von weißer Seide und Brüsseler Spitzen ...«
Kathi trat eben einen Augenblick aus dem Saal herein und Eugen verfehlte nicht, ihr Lutsch zu präsentiren:
»Dir haben wohl die Ohren geklungen! Du hättest Deinen geistreichen Anbeter hören sollen!«
»Geistreich, aber ach, alt.. alt!« heulte Lutsch mit schwermüthigem Augenverdrehen, indem er Kathis Hand unter vielen Verbeugungen zärtlich küßte. »Wir armen Alten! Dahin ist die Zeit, wo die Sonne holder Frauengunst..«
»Sie wollen wohl Complimente hören?« Kathi schlug ihn leicht mit dem Fächer. Aber ihr Auge sah leer und gelangweilt über ihn weg und in ihrem Ausdruck lag eine müde Abgespanntheit, mit einer gewissen nervösen Unruhe verbunden. Ihre Augen irrten umher. Es war, als ob sie etwas suche – aber etwas Fernes, Unsichtbares.
Schon eine Zeitlang wunderte sich Dondershausen über eine auffällige Unruhe Krastiniks, der bald vor, bald zurück trat mit einem spähenden Ausdruck, als ob er etwas erwarte. Jetzt aber, als der Oberst ihn am Rockzipfel ergriff, um ihn durch die Gäste zu den Wirthen heranzubugsiren, wehrte ihn der Graf mit raschem Winke ab. Hastig bat er im Flüsterton, ihn entschuldigen zu wollen; ihm sei nicht wohl und er müsse heimkehren. Als Jener erstaunt zum Abschied die Hand drückte, nahm ihm Krastinik noch sein Ehrenwort ab, nicht zu verrathen, daß er mitgekommen sei. Dondershausen werde ja begreifen, daß es peinlich sein müsse, wenn Wolfferts erführen, wie man hier bloß hineingerochen und dann mit französischem Abschied Reißaus genommen habe. – –
In heftigster Erregung, von widerstreitenden Empfindungen geplagt, durchwachte der Graf schlaflos die Nacht. Also hatte ihn sein Argwohn nicht getäuscht – sie, sie selber, seine einstmalige Liebste! So gleichgültig ihm die Erinnerung verblaßt schien, konnte er sich doch eines seltsamen wehmüthigen Schauers bei ihrem Anblick nicht erwehren.. Und dann andrerseits.. ihm wurde alles auf einen Schlag klar. Die Beiden in Norwegen, Rother auch.. Hönevoß.. am selben Tage.. Rothers Brief.. das Datum stimmte.. hier konnte ein Blinder den Zusammenhang erkennen. Rother's lustiger Brief beabsichtigte nur eine heroische Täuschung. Seine seltsame Todesart, die man ja ohnehin kaum als Zufall deuten konnte, offenbarte sich zweifellos als Selbstmord. Er hatte den Zustand wehrloser Liebesberaubung nicht ertragen, nicht dem Glück des Andern, das ihm gebührte, zuschauen wollen. Und wohl noch mehr. Wie Rother's sensitive zarte Natur es verlangte, mochte er nicht das Glück Kathi's vernichten. Wußte er doch, daß Krastinik in Berlin und, wenn er selbst dorthin zurückkehrte, ein Skandal unvermeidlich war. So starb er denn für seine Liebe, ein ideologischer Querkopf, und endete, wie sein seelischer Organismus es bedingte, unglücklich und edel bis zum letzten Athemzug.
Dem Grafen traten unwillkührlich Thränen in die Augen. Ein unbeschreibliches Mitleid ergriff ihn für dies Opfer erotischer Hingebung, ein Mitleid, das zugleich den gerechten Zorn hinwegschwemmte, der ihm gleichsam Blutrache gegen die Schuldige gebot. War sie denn eigentlich schuldig? Sollte er nun auch sie vernichten? War es nicht genug mit einem Opfer? Aber was thun! Mußte nicht irgend eine Katastrophe sich vorbereiten, wenn er nun wirklich in ihren Bannkreis trat? Und wie das vermeiden? War er nicht jetzt eine berühmte Persönlichkeit, dessen Bild in den Schaufenstern hing? Mußte sie nicht schon auf seinen Namen stoßen, wenn sie eine Zeitung aufschlug? Sie liebte doch wohl ihren Mann und der hatte sie doch nur heirathen können, weil sonst keinerlei Beweis gegen ihre Unbescholtenheit vorlag. Und nun den lebenden Zeugen des Gegentheils vor Augen – – wie sollte das enden? Entweder verbrachte sie ihr Leben in ewiger Angst, die auch sie zum Selbstmord treiben konnte – möglich ist ja alles. Oder sie verfuhr aggressiv und suchte ihn auf die eine oder andere Weise unschädlich zu machen – möglich ist ja alles. Die Rache und die Feindschaft eines gefährdeten Weibes findet ja tausend Mittel. Oder es passirte gar das Schlimmste: Sie liebte ihn immer noch und die alte Flamme loderte wieder auf, on revient toujours á ses premiers amours, besonders eine Frau – möglich ist ja alles. Wie aus diesem Labyrinth sich herauswinden! Da war guter Rath theuer. Vielleicht wußte Einer Rath: Leonhart. Morgen würden sie sich ja bestimmt sehn.
Aber der Morgen kam und unter dem Stoß conventioneller Gratulationsbriefe brachte die Post keine Zeile von der Hand des Nächstbetheiligten. Was in aller Welt bedeutete das! Krastinik überwand seine falsche Scham und tunkte eben die Feder ein, um den Freund per Rohrpostkarte zu sich zu bitten, als ihm der Polizeilieutnant des Reviers gemeldet wurde. Ueberrascht fragte er nach dessen Begehr. Der Beamte fragte verbindlich, aber ohne Umschweif zur Sache kommend, ob er nicht mit dem »Schriftsteller Leonhart« befreundet. »Intim.« Ja, so habe er gehört. Wann er ihn zuletzt gesehn habe?
»Vor drei Tagen.« Ob ihm nicht eine tiefe Verstimmung desselben aufgefallen sei? »Nur wie immer. Leonhart besitzt eine melancholisch-cholerische Gemüthsart.«
»Jaja, Gemüthsart! Gemüthskrankheit darf man da wohl sagen. Litt er nicht an irgend einem körperlichen Leiden?«
»Oder an Familienkummer?«
»Er hat keine Verwandten.«
»Oder an unglücklicher Liebe?«
»Keine Spur.«
»Oder an finanziellen Sorgen?«
»Noch weniger.«
»Also wohl an sogenanntem Weltschmerz?«
»Ja, wenn man will. Doch nicht in krankhaftem Grade, sondern mehr als tiefempfindender und denkender Kopf.«
»Aber ihn drückte doch wohl irgend ein besonderer Gram oder Aerger oder sonst 'was Guts?« Der Beamte fing offenbar an ärgerlich zu werden über die Fruchtlosigkeit dieses Verhörs.
»Nun – ja!« gestand Krastinik zögernd. »Zweifellos. Der Kummer über den Mangel an Anerkennung.«
»Aha, verkanntes Genie! Dacht' ich mir!«
»Doch nicht so verkannt wie Sie vielleicht meinen. Nur entspricht sein äußerer Erfolg in keiner Weise seinen Ansprüchen.«
»Aha, Größenwahn!«
»Auch nicht eigentlich Größenwahn,« parirte Jener mit leisem Lächeln. »Denn er ist ja völlig berechtigt zu verlangen.. kurz, der Aerger über die litterarischen Verhältnisse fraß an ihm.«
»Also Berufsstörung. Unannehmlichkeiten im Berufsleben!« notirte der Polizeilieutnant mit wichtiger Amtsmiene, als sei er nun mit dieser technischen Phrase dem betreffenden Untersuchungsparagraphen auf die Spur gekommen.
Krastinik konnte sich kaum enthalten, laut aufzulachen.
»Von Berufsleben kann eigentlich keine Rede sein. Das Schaffen eines Dichters ist ja kein Beruf. Doch haben sich schon öfters Dichter, um ähnlichen Kummers willen, eine Kugel vor den Kopf geschossen.«
»Da haben wir's! Selbstmord, Fall Heinrich von Kleist. Kennen wir. Dichter-Wahnsinn. Fall Albert Lindner, Selbstmord oder Irrenhaus. Ich sag's ja: Größenwahn und nichts Anders. – Verzeihen Herr Graf daß ich Sie so belästige. Ihre Informationen waren von entscheidendem Werth.«
»Ja, aber..« Krastinik kam erst jetzt zur Besinnung nach diesem jähen Sturzbad. »Darf ich fragen, warum ich Ihnen diese Frage beantworten, mußte?«
»Nochmals Verzeihung, Herr Graf. Sie wurden eben als der nächste Umgang des Herrn bezeichnet, schon als er vermißt wurde.«
»Vermißt?! Mein Gott, es ist ihm also ein Unglück.. reißen Sie mich aus dieser Beunruhigung!«
»Sehr gern oder, Pardon, leider! Fassen Sie sich Herr Graf. Sie standen dem Herrn nahe?«
»Nun, Herr Graf lasen wohl gestern im Polizeibericht..«
»Ich lese nie die Reporternotizen der Blätter.«
»So? Nun, ein Unbekannter wurde von einem Eisenbahnzuge nahe am Halensee überfahren..«
»Gerechter Gott!«
»Er hatte sich selbst auf die Schienen geworfen Selbstmörderische Absicht unverkennbar. Später wurde gemeldet, daß ein gewisser Leonhart, Schriftsteller, seit zwei Tagen vermißt werde. Das Signalement und die Identität wurde festgestellt. – O Pardon, es scheint Herrn Grafen doch sehr nahe zu gehn? In der That, Sie werden ohnmächtig. Darf ich ein Glas Wasser –?«
Krastinik wehrte ab. Taumelnd war er aufs Sopha gesunken, dicke Schweißtropfen perlten von seiner Stirn. »Lassen Sie, ich bitte. Mir wird schon besser. Und kein Anzeichen, warum..?«
»Ach gütiger Himmel!« Der Beamte schüttelte den Kopf mit überlegenem Lächeln. »Ihre eigenen Mittheilungen, Herr Graf, bestätigten ja nur, was man sofort annahm. Unbefriedigte Ruhmsucht, completter Größenwahn! Das ist ja eben unsre Zeitkrankheit. – Empfehle mich bestens und bitte nochmals, die Störung entschuldigen zu wollen. Gestatten Sie mir, mich sofort zurückzuziehn. Die Discretion gebietet mir, Sie Ihrem begreiflichen Schmerz zu überlassen. Sie scheinen immer noch recht angegriffen. Gehorsamer Diener! Bitte, sich nicht zu bemühen.. ich habe den Vorzug.«
Der Polizeilieutnant verschwand, indem er noch einmal beim Schließen der Thür aus tiefstem Herzen den Seufzer hervorholte: »Ach ja, der Größenwahn!«
... Krastinik lag lange wie gelähmt. Ein entsetzlicher Schreck war ihm in alle Glieder gefahren. Ihm war, als sei er selbst von den Schienen zermalmt. Eine todesstarre eisige Ruhe durchfröstelte ihn.
Er erhob sich langsam und schritt auf und ab. So mußte es enden, mit einem Theatercoup! So mußte es enden, dies überreiche dämonische Leben, das im Selbstgenuß eines titanischen Urwillens sich selbst verzehrt! O Welt, o Leben, o Schicksal! – –
Berg und Thal begegnen sich nicht, aber wohl die Menschen. In einem inneren Kreislauf, dessen Zusammenhang wir nicht erkennen, laufen die Dinge zusammen. Das Entfernteste verknüpft sich dem Nahen. Nur ward den Wenigsten im blöden blinden Taumel ihres Daseins der lichte Blick verliehen, auf dies Räthsel zu achten. Das Unvermeidliche schreitet mit geheimnisvollem Geisterschritt aus dem Gestern in das Morgen hinüber. Kein Unglück kommt allein, jeder Schicksalswendung verknüpft sich unmerklich eine neue.
Wer klingelt? Für Niemand zu Haus. Der Telegraphenbote? Ein Telegramm, aus London? – – Das Papier entfiel seiner Hand. Lady Dorrington zeigte ihm an, daß ihr Gatte im Sterben liege. Er lasse ihn grüßen und ihm danken für seine Freundschaft und sende ihm seinen Segenswunsch für fernere Erfolge auf jener Laufbahn, die er ihm prophezeit, denn die Phrenologie lügt ja nie.
Eine Weile stand Krastinik regungslos, vor diesem neuen Schlag wie zur Salzsäule erstarrt. So starb denn alles um ihn her. Auch er, sein heißgeliebter väterlicher Freund. Und er sollte ihn nie mehr wiedersehn? Nie mehr? Mächtig ergriff den Trauernden eine unbezwingliche Sehnsucht, die letzten Stunden des theuren Mannes zu theilen. Es stirbt sich nicht so leicht. Wenn er eilte, langte er wohl noch rechtzeitig an ...
Wieder überkam ihn jener Drang plötzlicher Entschlüsse, der so oft schon sein Leben bestimmt. Deterministische Vererbung. Sein Vater hatte einst durch solch plötzlichen Entschluß einer Kavallerieattake unter Radetzky zum Gewinn einer Schlacht beigetragen. Nur fort hier, fort aus dieser Wirrniß!
Seinen Koffer packen – zwei Briefe an »Kollegen« senden, welche es sicher binnen 24 Stunden statt jeder besonderen Mittheilung in Berlin herumbrachten: ein Todesfall rufe ihn auf einige Wochen nach London – war das Werk einer Stunde. – – –