V.

 

Rother langte mit der Eisenbahn vom Randsfjord in Hönevoß an, ohne daß er irgendwo eine Spur gefunden. Vielleicht waren sie noch westlicher nach Thelemarken eingebogen.

Unterwegs hatte er einen schäbig aussehenden kleinen Mann getroffen, der ihn nicht verstand, ihm aber, als sie zu Hönevoß ankamen, einen stattlichen Herrn vorstellte, der Deutsch und Englisch verstehe.

Dieser Herr von sehr gentlemanliken Formen entpuppte sich als reicher Agent, der so ganz beiläufig erzählte, er habe den nächsten Wald da drüben soeben für 50000 Dollars gekauft. Und zwar von dem kleinen schäbigen Mann mit dem zerzausten Bart, den Rother für einen Schuster hielt und der sich beiläufig als ein Mann herausstellte, dem das ganze Waldterrain (Hönevoß lebt vom Holz, wodurch es früher Unsummen verdiente) und Mühlen und Wirthshaus gehörten. Als Rother den gebildeten Agenten, nachdem man sich umgekleidet, draußen am Wasserfall suchen ging, kam ein Mädchen aus dem Nebenhaus aus ihn zu und lud ihn in wohlgesetzter Rede zum Abendessen ein, woselbst jener Herr bei Vatern sei. Der Millionär lebte wie ein Handwerker – wenig, aber herzlich gegeben: Buttermilch und Butterbrot. Rother beneidete und bewunderte im Stillen diese Leute, so einfach und schlicht im Aeußern, anspruchslos nur einem edlen Zwecke geweiht: möglichst viel Geld zu machen, aber ohne alle Ostentation! Hier wenigstens fehlte aller Größenwahn.

Doch er irrte sich. Denn alsbald ging das Jammern los, wie das Holz, durch dessen Export nach Amerika sich früher das Land bereicherte, immer im Preise sinke und die Entholzung das Land erst recht ruiniren werde. Jaja, die heutige schlechte Zeit! Jeder will gleich mit eins reich werden – daher die viele Schwindelhaftigkeit und der zunehmende Bankerott des Nationalwohlstandes.

Früher blühte auch die Schiffahrt. Da häuften die Rheder und Großhändler manch gewichtigen Batzen. Aber heut – alles Holzschiffe, alles untauglich geworden für den modernen Verkehr, gegen die Concurrenz der Deutschen verloren. Und dabei will Jeder hochhinaus leben, viel besser wie in Deutschland. »Wir Normannen glauben nun mal, weil wir die Freisten in Europa sind, wir müßten auch die Glücklichsten sein!«

Also auch hier nationaler Größenwahn, der sich hinaufschrauben möchte über die natürlichen Verhältnisse weg!

Als Rother am andern Tag nach Drammen dampfen wollte (ihm war endlich die Geschichte langweilig geworden und er verlangte nach Haus), fuhr ihm der Zug vor der Nase weg; weil er auf ein Signal gewartet hatte, als er Limonade auf dem Perron trank, während hier alles lautlos, nur mit Wink und Pfiff, zugeht.

Er langte also wieder in Hönevoß an. Da er erhitzt und müde war, beschloß er zu baden. Man wies ihm eine Natur-Badeanstalt in freier Luft, wo ein Bergquell durch eine hölzerne Rinne herabgeleitet wurde. Um Mittag bade dort Niemand. Er stieg etwa eine Viertelstunde weit auf steilem Pfad dort hinab, fand den Punkt und entkleidete sich. In der Ferne vor ihm ein reizendes Panorama. Ueber den Schindeldächern der reinlichen Bauernhöfe wirbelten bläuliche Rauchringel empor. Rings einförmiges Bewegen, eintönige Stille. Flöße schwammen den Wasserfall hinab, den man hier als eine Art Dampfwalze benutzt. Wagenfuhren, mit Reisig und Holzblöcken beschichtet, wälzten sich der nahen Sägemühle zu. Allüberall das Hämmern der Spechte, der Schlag der Aexte und das Krachen gefällter Bäume. Unten am Abfluß des Voß flickte ein Fischer in der hier üblichen phrygischen Rothmütze an einem Netz und sonnte sich wie die Florellen, die zu seinen Füßen über den Kieseln spielten.

Aber diese angenehme seelische Siesta wurde unliebsam gestört. Denn grade, als er auf dem schlüpfrigen Gestein unter den eiskalten Rinnen-Sturz gelangte, glitt er aus und fiel der Länge nach hin. Rasch von der Betäubung erholt, fand er, daß der Fall ihn wunderbarerweise sonst nirgends verletzt, ihm aber aus dem rechten Knöchel ein groß Stück Fleisch herausgeschlagen hatte, ohne den Knochen zu verletzen. Das Blut floß in breiten Strömen. Dem Ammenglauben, kalt Wasser stille die Blutung, folgend, hielt er den Fuß ins Wasser und kroch mittlerweile unter die Rinne um das Bad wenigstens zu vollenden. Dann schlich er aus Ufer zurück, trocknete sich rasch mit dem Laken und wickelte dies dicht um den Fuß. Hierauf zog er sich an, und humpelte, den wunden Fuß möglichst hochhaltend und schonend, den steilen Pfad in glühender Sonnenhitze zurück. Droben im Wirthshaus lief man zusammen, war entsetzt über die tiefe Wunde, brachte ihn zu Bett und fing an mit Karbolsäure-Umschlägen zu hautiren. Es kam noch immer Blut. Man meinte, er werde ohnmächtig werden. Dies trat jedoch nicht ein. Aber wie er mit der passiven Hartnäckigkeit seines Charakters bei dem unerwarteten Unfall keinen Augenblick gejammert und mit verbissener Besonnenheit das Nöthige ausgeführt hatte, so lag er jetzt düster mit geballten Fäusten da und murrte wider sein Schicksal. Das konnte nur ihm passiren, dem ewigen Pechvogel! Sein Leben schien dazu bestimmt, stets und immer verpfuscht zu werden. Mit dem Fährtensuchen war es jetzt aus. Er mußte wochenlang auf dem Fleck liegen. Seine ganze Reise unnütz und vereitelt! Und als er in steigendem Trübsinn sein stetes Mißgeschick sich immer deutlicher einredete, fühlte er plötzlich wiederum den Stich in der Brust, der vom rechten Schulterknochen her durch die Brust-Weiche seitwärts in die Lunge bohrte.

Er betastete die Stelle langsam und bedächtig; dann holte er tief Athem und empfand denselben leichten Schmerz aufs Neue. Nochmals in Natura seine Brustweite mit der Hand messend, erkannte er sodann, daß er wirklich bedeutend abgenommen hatte und sein Brustkasten ordentlich verschmälert schien: So furchtbar hatten ihn die abzehrenden Aufregungen des letzten Jahres mitgenommen.

Am andern Morgen erschien ein Doctor, den man herbeigeschafft. Derselbe prüfte die Wunde, schnitt ein bedenkliches Gesicht und urtheilte, der Patient habe »schlechtes Fleisch« in Folge mangelnder innerer Bluternährung. Er nähte die Wunde mit vier Nadeln zusammen. Da er als Deutschenfeind die süßsaure Bemerkung machte, der Herr aus Berlin werde gewiß als Preußischer Allesbesserkönner auch den Schmerz leichter verwinden, so ließ Rother lautlos die Eisenstäbchen durch die Wunde bohren. »Mein Complimang! Der Herr sein ikke (nicht) furchsam,« gestand der Skandinave zu.

In dieser dumpfen stoischen Resignation lag Rother bis zum Abend regungslos da, weil ihm verboten, das Bein zu rühren, nachdem er sich mühsam angekleidet. Das Bett stand am Fenster, er konnte hinaus blicken und sah den Schaum des mächtig rauschenden Hönevoß in die Luft sprühen. Stier und theilnahmlos verfolgten seine Augen das Spiel der Wellen, seine Lippen schienen so starr zusammengekniffen, als wollten sie wie ein bleiernes Siegel ein Geheimniß hüten. Das Sprechen fiel ihm schwer. Ein Trapist des Schmerzes, schien er ein unhörbares »Memento mori« zu murmeln. Alles Andere vergessen. Da plötzlich fuhr er auf. Was war das? Welche Stimme! Er hob mühsam den Kopf und starrte hinaus auf den Weg, der am Fall entlang führt. Ihm war, als erhielte er einen Faustschlag aufs Herz. Ja, da schritten sie Beide engverschlungen am Wasserfall entlang. Es war keine Spiegelung, sondern nüchterne Wahrheit.

Sie, die er suchte – so nahe vor ihm – Beide! Er wollte aufschreien, doch die Zunge klebte ihm am Gaumen. Er konnte nur sehn und hören – ganz Auge und Ohr, stumm, als habe jäher Schreck ihm die Sprache geraubt.

Eine Nachtigall flötete in einem Fliederbusch am Hügel, unverschüchtert durch das rauschende Singen des Wasserfalls.

Hinter den Beiden da unten wandelte ein Wald-Kater mit buschigem Schweif dahin – ein Abkömmling jener Race, die von den Warägern aus dem Morgenlande importirt wurde. Sein sanftes Minnegreinen stimmte zu dem flennenden Geschlechtsschmerz des Nachtigallmännchens, dem ab und zu das Weibchen mit lockendem Tiotö antwortete. Doch schielte der würdige Kater mit einem Schnurrbart wie ein Husarenrittmeister mit falschem Zwinkern und Blinzeln der grünschillernden Aeuglein nach dem Nest des Meistersingers, das dieser mit der üblichen Weltklugheit des Idealisten viel zu niedrig und schief am Dornengeheg gebaut hatte.

O Natur, weise Lehrerin, die nach festen Gesehen das Sein aller Lebeweisen ordnet! Die Katze schleicht und lauert, die Nachtigall singt in brünstiger Seligkeit und wird gefressen. Nur die Liebe besaitet diese Liederkehle – ist das Pärchen getrennt, so ists aus mit allem Gesang.

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Unter dem Fenster in der Nähe stand eine Bank. Dort schienen die zwei Glücklichen sich niederzulassen. Nur abgerissene Sätze des Gesprächs drangen zu des Lauschenden Ohren. Es ergab sich daraus, daß sie aus Thelemarken zurückgekehrt, soeben hier angekommen, gleich jetzt am Abend nach Süden weiterfahren wollten. Sie warteten nur auf das Anschirren des Wagens, der sie zur Station bringen sollte. An welchen Zufällen hängt das Leben! Hätte der Zugführer neulich Rother aufmerksam gemacht, daß der Zug sofort losdampfe, so wäre dieser wahrscheinlich nie auf die Gesuchten gestoßen, und der unglückliche Fall mit der Wunde that das Uebrige dazu.

»Also, Kathi, wir reisen sofort über Jütland durch nach Hamburg und lassen uns trauen.« Sie saß abseit, halb abgewandt, den Kopf auf den Arm gestützt, ihr Busen hob sich in schweren Wallungen.

»Ach, süßer Eugen, aber.. ist denn das möglich?«

»Wer soll uns hindern! Wir sind majorenn. Civiltrauung gilt heut wie jede andere.«

»Ach ich kann's noch kaum ausdenken! Was wird Deine Familie ...«

»Laß sie schnattern, die Muhmen? Ich will Die als mein Weib an meiner Seite sehen, die ich zur Mutter meiner künftigen Kinder erkor. Das giebt eine Race – was, Kathi?«

Man hörte den langen vorschmeckenden Kuß durchs eintönige Rauschen des Falls.

»Und ... und ... ich habe Dir nun alles gebeichtet ... die Geschichte mit dem Rother ... ich würde mich todt schämen ...«

»Dies überlaß Du mir! Der soll Dir nichts anhaben!«

»Ach, das wird er wohl gar nicht wollen. Dazu ist er zu anständig. Ich kann nicht herzlos sein, er thut mir leid. Ich fühle für ihn.«

»So? Oho!«

»Ja, freundschaftliche Gefühle.«

»Larifari, werden wir schon unter uns Männern arrangiren. Holla, da hör' das Pfeifen des Kutschers. Wir sollen kommen. Adios, Hönevoß!«

 

Ja, Freundschaft, Freundschaft! Ist das genug zwischen Mann und Weib? Liebe ist etwas Anderes, ganz Anderes, es ist das Ur-Prinzip der Schöpfungskraft. Venus Vulgivaga und Venus Urania, wahre und falsche Liebe, Sinnlichkeit und transcendentaler Idealismus – Alles verflochten in eins.

Verflucht sei dieser Liebe Raserei, die mich zermalmt! – Nach Deiner Freundschaft frag' ich nicht.

Verflucht die Stunde, da ich Dich zuerst gesehn! Ich wußte ja, der Gram sei meine Braut. – Nach Deiner Freundschaft frag' ich nicht.

Umsonst der Kampf und der eitle Wahn. Gegen den Strom ringt nur ein Toller. – Nach Deiner Freundschaft frag ich nicht.

 

Auch der Schmerz macht sich noch Illusionen. Ger über die Versagung der Herzenssehnsucht verzweifelt, versteckt noch einen kindlichen Optimismus. Welche Ueberschätzung eines Lebensgutes, es der Verzweiflung würdig zu halten! Dies Leben, diese Episode, ist doch kein tragisches Epos, es ist höchstens eine Jobsiade.

Und doch – welch ein grauenhaftes Gefühl des Erstickens, mit einem heimlichen allbeherrschenden Gefühl umherzuwandeln, das doch kein Anderer kennt! Wahre Liebe ist immer einsam, wie die wahre Größe. Nur die sinnliche Leidenschaft zeigt sich offen.

 

Seine ganze Vergangenheit zog an ihm vorüber, seine ganze Jugend. Und aus jedem Winkel derselben schien ihm entgegenzukichern: Narr! Narr! Verfehltes Leben!

Er war ein einziger Sohn. Sein Vater, ein Musiker voll bedeutendem Ruf, ein Idealist. Die schrecklichste aller zehrenden Krankheiten, den Idealismus, erbte er also schon von Geburt an. Die geistige Atmosphäre, in der seine Kindheit aufwuchs, Grundzug und Lebensanschauung seiner Familie: ein ästhetischer Idealismus. Gewohnheit und Umgebung bestimmen den Menschen. Der kleine Eduard fühlte gar bald in sich eine künstlerische Mission. Mit seinen Beinchen in der Luft zappelnd, arbeitete dieser niedliche Genius im Schweiß seines Angesichts auf dem Clavier herum und entlockte den Tasten unaussprechliche Töne.

»Die Lorbeeren seines Vaters lassen ihn nicht schlafen!« schmunzelte ein ironischer Kritiker, im Genuß dieses erfreulichen Anblicks.

»Ja, aber andre Lorbeeren!« dachte das Söhnchen. Denn, daß er mäßige Ohren, aber sehr gute Augen hatte, das merkte er nun schon. Die Musik erschien ihm schaal und nichtig: Man liebt gewöhnlich die Kunst nicht, die einen nicht wieder liebt, man verschmäht mit edlem Stolz, wo man verschmäht wird. Kurz, es war aus mit der Musik. Ein verfehlter Beruf mit sieben Jahren! – Dafür schlenderte er in die Museen und lungerte in Bilderausstellungen herum. Dafür las er Erbauliches über die alten Meister, wie sie so flott und nobel lebten, selber in Palästen wohnten und die Fürsten in ihren Palästen sich vor ihnen beugten. Das gefiel ihm noch mehr.

Dann stand er auch wohl in den Ecken der Soireen – sein Vater machte ein Haus –, horchte auf die klugen Reden der Männer und sagte zu sich: »Wärst Du doch auch so klug oder vielmehr, so berühmt!« Sah er einen werden, so stellte sich der logische Gedanke ein: »Wenn Du erst solch einen hast!« – Vornehmlich aber starrte er die Frauen an, diese Wesen einer andern Welt. Das ist so gewöhnlich bei Knaben, die keine Schwester haben. Die erste Schönheit, die sie erblicken, betrachten sie wie eine leibhaftige Aphrodite, deren Göttlichkeit aber fernhält, die einen unheimlichen Engel.

Dieser ersten erotischen Regungen und der üblichen Kinderkrankheiten erinnerte er sich noch mit fabelhafter Deutlichkeit.

Er absolvirte sehr früh die Schule und bezog die Berliner Akademie, um sich zum professionellen Maler auszubilden. Seine Mittel erlaubten ihm das. Da er aristokratische Manieren hatte, so wurde er alsbald von dem knotigen Kunst-Proletariat, das der Staat heranzüchtet, als Muttersöhnchen gehänselt.

Wie unglücklich er war! Er wurde von allerlei Hirngespinsten betreffs Bosheit und Verfolgungssucht der Menschen, zugleich aber von Visionen seines künftigen Ruhmes gequält. Hängen doch Größen- und Verfolgungswahn innerlich zusammen. Auf der Akademie schimpfte man ihn »das verrückte Genie«. Wäre, er einfach »verrückt« oder wirklich ein »Genie« gewesen – wieviel besser für ihn! Beinah hätte man ihn anfangs als talentlos von der Akademie entlassen, wie dies so oft den Begabteren und Begabtesten, die sich in den Drill nicht einfügen, zu passiren pflegt. Das Talent lernt fast nie etwas auf zwangsweisem Schüler-Wege; selbst die Technik muß es aus sich und an sich selbst studiren. In der Akt-Klasse galt Eduard Rother als der schlechteste Schüler.

Allein, seine merkwürdige Produktivität nöthigte doch eine gewisse Achtung ab. Seine Mappen füllten sich mit Compositionen, aus dem Handgelenk hingeschleudert. Wenn auch sein würdiger Lehrer – einer jener tiefsinnigen »Grübler« über die Kunst, die in gelehrtklingenden Schöngeist-Brochüren alles Moderne verdammen und den großen Stil der »Alten« Preisen, weil sie selbst gar keinen Stil besitzen und ihre nüchterne akademische Formfexerei niedlich weiterputzen – erklärte das freilich für verworrenes stilloses Nicht-Können. Doch die gestaltende Phantasie darin mußte wohl oder übel anerkannt werden.

Bald vollendete Rother sein erstes Bild, eine beträchtliche beklexte Leinewand: »Nero an der Leiche seiner Mutter«, natürlich. Der »Schinken«, um im Künstlerjargon zu reden, wurde in der Malklasse ausgestellt. Die Makarterei der Farbe, deren Effekthascherei jenen Meister noch zu über-makarten strebte, und die unfertige Zeichnung wurden allseitig verdammt. Der Composition konnte man jedoch nicht eine gewisse Größe absprechen. Die phrasenhafte Attitüde der todten Agripina und das Grinsen des Nero-Kopfes mochten wohl affektirt erscheinen, aber eine gewisse dämonische Kraft der Auffassung schien nicht zu verkennen.

Als ihm die guten Freunde und Collegen mit augenscheinlichem Hochgenuß die vernichtenden Urtheile der akademischen Herrn Lehrer darüber hinterbrachten, lauschte Rother stumm und regungslos, nur etwas bleicher wie gewöhnlich. Dann stand er plötzlich auf, musterte sein Bild mit einem kalten »Darin liegt viel Wahres!« und wie man es verhindern konnte, hatte er die Leinwand mit dem Malmesser durchkratzt, zusammengerollt und in den Ofen geworfen. Vielleicht erwartete er, Jemand werde das Opfer retten. Es rührte sich aber Keiner – er kannte die Menschen noch nicht, wie jugendliche Pessimisten ja stets zu optimistisch denken.

Ohne sich umzusehen, trat er nun ruhig an seine Staffelei und führte einen Studienkopf aus. »Na, daß Dich nur nicht niederschlagen! Es wird ja schon besser werden!« tröstete ihn wohlwollend ein sogenannter »talentvoller Schüler« – einer von jenen, die im späteren Frust-Kampf des Lebens spurlos verschwinden. Rother drehte sich um und warf ihm einen vernichtenden Blick zu: »Besser zu straucheln wie ich, als zu marschiren wie Du!«

Von der Stunde an galt es als unumstößliche Wahrheit, daß er an unheilbarem Größenwahn leide.

Am selben Abend kneipte er mit einigen Verbummelten bis tief in die Nacht hinein und kam taumelnd nach Hause. Der Mond, der ihn gut kannte, mußte sich über ihn wundern. Sturmnacht, die Eichen des Humboldthains bebten. Er aber schritt immer fürbaß in die Finsterniß und wünschte, daß Einer ihn anfiele. Das wäre ihm gerade recht gewesen.

Früh am Morgen stand er auf und begann sofort ein neues Bild.

Da er gehört hatte, es gehöre zur künstlerischen Inspiration, daß man sich ernstlich verliebe, so suchte er nach einem Objekt. Dies fand er in einem hochaufgeschossenen Mädchen mit lebhaften sinnlichen Zügen, der Tochter eines Kommerzienrath Eisenbaum, der im Hause seiner Eltern verkehrte. Sie war eine sogenannte Jugendfreundin, mit der er sich viel herumgebalgt. Aber die kluge schnippische Ella, die ihn so herzlich verspottete, als er ihr einmal auf einer Landpartie eine Wasserblume pflücken wollte und dabei ins Wasser plumpste, mußte er ja jetzt als Dame behandeln mit ihren fünfzehn Jahren, um so mehr sie weit über ihr Alter entwickelt schien und schon Brüste ansetzte. Er schnitt ihr also die Cour, nur zu sehr. Denn er besuchte Eisenbaums unter allerlei Vorwänden viel zu oft, so daß es auffallen mußte. Ella absolvirte ihren zweiten Tanz-Cursus, dieses wichtigste Stadium im Leben der Höheren Töchter. Ihr Interesse lenkte sich merklich ab. Und einmal, als sie sich leicht zankten, fragte ihn die junge Schönheit: Er sei wohl fast nie zu Hause? Er that, als merke er diesen wuchtigen Hieb mit dem Laternenpfahl nicht; aber er beschloß sie schrecklich zu strafen – nämlich plötzlich ganz auszubleiben. Seine harmlose Einbildung spiegelte ihm vor, daß sie das schwer empfinden und durch seine scheinbare Gleichgültigkeit ihre Liebe geweckt werde müsse. Er glaubte an diese zweifelhafte Theorie, die er mal in dem spanischen Lustspiel »Donna Diana« (Reklam'sche Universalbibliothek, andere Bücher über 20 Pfennig las er als echter Deutscher nicht) gefunden hatte.

Die Eisenbaum'sche Villa, nahe der Eisenbaum'schen Fabrik am Rosenthaler Thor, lag in der Nähe. Auf seinem Weg zur Akademie fensterpromenirte hier der schmachtende Courmacher stets vorüber. Einmal sah er auf der andern Seite Herrn Eisenbaum mit seiner Tochter spazieren gehen. Der Athem stockte ihm und das Blut trat ihm zu Herzen. Doch er richtete den Blick gradaus und ging im Sturmschritt. Auf der andern Seite der Straße hörte er leises sichern. Sein Gehör war ungewöhnlich scharf, wie es bei abnorm nervösen Naturen häufig der Fall. Obwohl er sonst kein Wort verstand, vernahm er doch genau, wie Herr Eisenbaum seiner Tochter bemerkte: »Da geht Dein genialer Courmacher!« Ella lachte. – Er that, als sähe und hörte er nichts, beschloß aber feierlich, dies Haus nie wieder zu betreten.

Diese Selbstbestrafung führte er dann auch hartnäckig durch. Wie gewöhnlich in dieser Alterszone, unter dem Wendekreis des forschen Penälerthums, glaubte er durch doppelte Ungezogenheit zu imponiren. Spazierte er mit seinem glorreichen Intimus Eugen Wolffert stolz die Straße entlang und begegnete zufällig den Eisenbaums, so grüßte er von oben herab. Traf er Eisenbaums bei seinen Eltern, so stellte er sich tief beleidigt, daß Seiner Magniferenz nicht mehr Ehre erwiesen werde.

Aber was half ihm das Gefühl seiner jugendlichen Erhabenheit! Der Traum der ersten Liebe ließ sich nicht abschütteln. Als Kind und Knabe wird ein geistreicher Mensch von der unbestimmten Sehnsucht der Pubertät erzeugt. Es gilt sich selbst erziehn. Oft deklamirte sich der drollige Kunstjüngling damals das Heine'sche »Madame, ich liebe Sie!« vor, ließ dabei das Buch zur Erde fallen und übte sich auf Kniefälle ein. Dabei dachte er natürlich nur an seine stolze Ella, welcher er einst mit dergleichen Kunststücken seine ewige Liebe deklariren wollte. Diese Phantasieen knabenhafter Pubertät wurzelten sich immer mehr zur fixen Idee ein. Zum Glück stirbt man nicht daran.

Um diese Zeit beschäftigte ihn natürlich die sociale Frage. Er wählte zu seinen Skizzen und Compositionen wahre Rochefortstoffe, alles in »rothe« Sauce getaucht. Bekanntlich fraternisiren die Litteraturstudenten des Jüngsten Deutschland plötzlich mit dem vierten Stande, wenn sie der »Dalles« drückt, und dichten Zorn-Hymnen wider die Bourgeosie, sobald ihnen ein Pump mißglückte. Denn man verliert endlich die Geduld. So mußte sich dieser bartlose Jüngling an der Gesellschaft rächen, weil sie ihn nicht als embryonischen Kolossalkünstler erkennen wollte. Um diese Zeit reichte er eine Art Denkschrift über Michel Angelo auf der Akademie ein, in welcher erbaulich entwickelt wurde, daß eigentlich nur Er diesen Meister verstehe und nicht undeutlich durchschimmern ließ, der Geist dieses Giganten sei auf Ihn übergegangen – woran sich eine Lehre über Seelenwanderung nur so beiläufig anschloß.

Shelley's Studentenstreich »Ueber die Nothwendigkeit des Atheismus« mochte bei den Oxforder Perrücken kaum größere Entrüstung erregen, als dieses Schriftstück Rothers bei dem Lehrer-Collegium der Akademie, dem der Director es mit allerlei kaustischen Bemerkungen vorlas. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, in Folge dessen der fromme Jüngling seinen Meistern zu verstehen gab, ihre Meisterateliers für gegenseitiges Händewaschen, deren System er durchschaue, imponirten ihm nicht. Einer etwaigen Relegation zuvorkommend, empfahl er sich zu geneigtem Andenken und zog sich auf sein eigenes Privatatelier zurück.

Eines Tages holte ihn sein alter Schulfreund Eugen Wolffert ab, um das Sonnabend-Abendconcert im Zoologischen Garten zu besuchen. Sie ergingen sich dort in Weltschmerz und Raubthierhäusern, bis sie sich in die »Lästerallee« einschoben. Die mondbeglänzte Zaubernacht, durch bengalische Beleuchtung und unverzeihlich gute Musik verklärt, schwirrte von dem Klatschgeschwätz der üblichen guten Gesellschaft, die tausendköpfig durcheinander wirbelte. Rother fand viele entfernte Bekannte und stolzirte, wie er wähnte, sehr gentlemanlike einher. An einer Endbiegung Arm in Arm mit Wolffert herumschwenkend, trat an diesen ein widerlicher Geck heran, den Rother auch von Ansehen kannte, und verabredete mit demselben eine Reitpartie nach Hundekehle. Eugen der Olympier, den alle Dandy's als Altmeister verehrten, drohte leicht mit dem Finger und neckte in seiner herablassenden Schwerenötherart: »Was treiben Sie hier? Taugenichts!«

Der geschmeichelte Dandy schmunzelte: »Hehe, errathen! Hurra« Damit verschwand er geheimnißvoll und stürzte tief in den Menschenstrudel.

Eduard Rother wußte gleichsam instinktiv im gleichen Augenblick, welche Ella gemeint sei. Doch er wollte sich Gewißheit verschaffen. Auch nicht eine Bewegung sollte dem großen Weltkenner an seiner Seite verrathen, daß ihn das im Mindesten interessire. »Sieh doch da drüben den rothen Reflex überm Flammingo-Teich! Wie gut das wirkt! Du, da geht Deine heimliche Flamme, Klara Meier vom Schauspielhaus! Ach sieh doch mal dort Frau Hagar Satzler – so was Geziertes!« Sie schwammen immer rüstig fort durchs Gedränge. »Ah, da ist ja unser Freund Marbach wieder!« (Er hatte ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen verloren. So nachlässig beiläufig:) »Diese Ella ist wohl sein Amour?«

»Ja, eine romantische Geschichte! Der Vater ist ein Dickkopf. Haha, er hat uns Beiden mal den Marsch gemacht, als wir seine holde Tochter, die aus der ›höheren, Schule‹ kam, etwas schneidig nach Hause begleiteten.«

»Lächerbar! Wie heißt er denn? – Sieh doch diese Schleppe!«

»Eisenbaum! – Nun, was ist los?«

Der geckenhafte Jüngling (Sohn eines Millionärs in Colonialwaaren) war plötzlich hinter uns aufgetaucht und legte seine Hand auf Wolffert's Schulter, indem er lispelte: »Drehen Sie sich nachher mal zufällig um!« Er verschwand wieder.

Nach kurzer Pause drehten wir uns »zufällig« um. Hinter uns flanirte Ella mit einer »Freundin« (in Deutschland gleichbedeutend mit »Duenna«), lebhaft kokettirend und schmachtend, der schöne Lasse nebenher. Eduard sah sich sehr rasch wieder um, aber sie erkannte ihn doch und wurde roth. Ein unerklärlich schnippisches Hohnlächeln krümmte ihre Lippe. Er hingegen blieb ganz gemüthlich und lustig, nickte dem Dandy, den er kaum kannte, vertraulich zu und flanirte an Wolfferts Arm vor Jenen ruhig her, da ein Ausweichen in dieser wandelnden Menschenmauer unmöglich schien. »Robespierre,« begann er mit lauter Stimme – sie hatten vorhin tiefsinnigen Unsinn über die Französische Revolution ausgetauscht, deren Sphinxgeheimnisse man in den Flegeljahren bekanntlich spielend löst. Aber Wolffert, der sich lange umgedreht und fascinirend geäugelt hatte, brummte gedankenvoll: »Die ist ja aber doch sehr nett!« Offenbar erwachte in ihm der Gedanke, ob er, der Allbesieger, nicht seinen edeln Waffenbruder ausstechen könne. Eduard hätte ihn um die Ohren schlagen mögen, wiederholte aber mit lauter schnarrender Stimme: »Robespierre« –

»Jaja! Das war ein kleiner mickriger Kerl!« machte Eugen herablassend. »Mein Mann ist Danton, der geniale Alkibiades!«

Hinter ihnen plauderte und liebelte man – und Eduard ging ruhig schwatzend neben Wolffert her, während er auf jedes Wort hinter ihm gierig lauschte und seine Hand sich auf- und zukrampfte, als suche er eine Waffe. An der nächsten Biegung mußten sie sich kreuzen. Rother mußte grüßen und that es. Ella dankte kaum und sah gradaus. »Wen grüßtest Du denn da?« fragte Wolffert verwundert.

»Ella,« erwiderte Jener lakonisch.

»Kennst Du sie denn?«

»Oberflächlich. – Was Marat betrifft« – – Sie trafen nachher noch einmal den Lassen, diesmal allein, dessen Gesicht voll Glück strahlte. Im selben Augenblick kam die »Freundin« und winkte ihm. Er stürzte ihr nach und schlug sich seitwärts in die Gebüsche. »Aha, die Alten sind weg oder haben das Lamm aus den Augen verloren!« gähnte Wolffert. »Der Glückliche! Unbeobachtet von tausend Argusaugen!«

»Hm,« machte Rother kalt. »Wird wohl Schwindel sein. Der sieht mir doch gar nicht aus, als ob ein anständiges Mädchen –«

»Das verstehst Du nicht,« kanzelte ihn der Olympier mit überlegenem Lächeln ab. »Uebrigens bekannte Geschichte. Ich selber weiß es ja. Habe ihre Briefe an ihn gelesen. Sie hängt sehr an ihm, sehr!«

»So, so!« verlautbarte sich Rother gedehnt. »Also, um auf den besagten Hammel zurückzukommen, Desmoulins« – –

Er ging langsam nach Hause. Der Lärm der Wagen und das Rauschen der Musik verhallten hinter ihm, wie ein Rausch von Lust und Leichtsinn. Aus Versehen schlug er eine falsche Richtung ein und gerieth in das Erlenwäldchen, welches den Kanal entlang nach der heutigen Stadtbahnstation führt. Er war mutterseelenallein, diese Gegend damals noch völlig unbelebt, nach der Richtung des heutigen Kurfürstendamm lauter öde Sandflächen und Sümpfe. Hier konnte Einem der Hals abgeschnitten werden, ehe man einen Laut von sich gab. Er schritt fürbaß mit wildpochendem Herzen. Eine nebelige Mondnacht. Man konnte Erklönig lind seine Töchter durch die silberborkigen Erlen flattern sehen. Kohlschwarz lagen im Kanal die Torfschiffe Und Obstkähne, die einen eigenthümlich fauligen, Geruch verbreiteten. In der Finsterniß sahen sie wie Krokodile aus. In der Ferne brausten die Wogen der sogenannten Selbstmörder-Schleuse und ein einsamer Hund bellte den Mond an. Auch der einsame Wanderer sah zum Monde und fühlte einen geheimnißvollen Schmerz, als wolle seine eingesargte Seele den Körper sprengen. Ihm war, als fräße ein Polyp an seinem Herzen, als athme er umsonst nach freier Luft. Er athmete überhaupt schwer und unregelmäßig – schon damals spürte er sein Brustleiden.

Wie der Mond sich wunderte über das thörichte Menschenkind voll Jünglingsbrunst und Mannesernst, dessen Seele zu groß für seinen schmächtigen Körper! Wie er so dastand an der Schleusenbrücke, schien Alles um ihn zu versinken. Alles verloren. Was eigentlich, er wußte es nicht klar. Aber sein Lebensglück, sein Leben für immer verloren, verdorben. Diesen Ekel, diese Verachtung, diese gräßliche Selbsttäuschung überwand er nicht. Einen Augenblick dachte er ernstlich nach, ob er nicht ins Wasser springen solle. Es war damals Mode in Jung-Berlin, sich wegen Durchfall im Examen oder Schuldenmachen rundweg ins Jenseits zu befördern – eine wahre Manie, die sich bis auf die überbürdeten Tertianer der Gymnasien hinab erstreckte.

Aber seine geistige Natur war denn doch zu nervig auf Selbstgefühl erbaut und sein Größenwahn kam ihm zu Hülfe. Er verzweifeln wegen eines solchen Geschöpfes? Pfui! Lächerlich! – – Er fand sich richtig zur Charlottenburger Pferdebahn quer durchs Wäldchen nach rechts hinüber, die ihn nach Berlin zurückbrachte.

 

Wie lange war das Alles vergessen! wie lange war diese erste Jugendflamme des Narrenherzens, nachher eine glänzende Ballkönigin, die eine ihrer würdige »große Parthie« machte, seiner Erinnerung entschwanden! Seltsam, daß er heut so klar an das Alles dachte, als wäre es gestern gewesen. War es nicht symbolisch gewesen für sein ganzes Leben? Eine mimosenhaft zarte Natur wie die seine konnte nur bestimmt sein, sich ewig zu täuschen und getäuscht zu werden. Das Naturgesetz, das in des Menschen Wesen bei seiner Geburt gelegt, entwickelt sich logisch fort in tausend Varianten.

 

So gleiten die Tage spurlos dahin in Lebenshaß und Todesfurcht, sie häufen sich hinter uns wie welke Blätter, wie schemenhafte Nebel. Wir fühlen das Naturgesetz, daß die Tugend sich selbst belohnt, und fröhnen dennoch dem Laster, um die entnervende Langeweile abzuschütteln. Wille? Selbstwiderspruch ist das einzige Unrecht. Warum hat die Natur uns unglückliche Schufte und schuftige Unglückliche zur Sünde erzeugt, und straft uns hinterher, weil wir dieser Bestimmung folgen? Warum lauert der Vampyr des Ueberdrusses über dem Schlangensumpf der Begierden. Arbeite! Was? Warum? Ja, so erbärmlich ist unser Loos, daß der Fluch Adams unser einziger Segen scheint – eine Art Opium, um den Dämon des Gedankens zu betäuben, der uns umherjagt wie einen Verbannten, der sein Exil und sein Urtheil in sich selber trägt. – –

 

Es giebt Momente, wo das Gefühl des Schmerzes zu maßloser Ungerechtigkeit in Beurtheilung der Mitmenschen und überspannter Geringschätzung des gesammten Außenlebens, der Sansara, führt. Ein Abgrund scheint sich plötzlich vor dem Auge des Denkenden zu öffnen: die Nichtigkeit menschlichen Strebens, die Eitelkeit menschlicher Genüsse grinst dem menschlichen Geist entgegen, der zurückschaudert wie der Basilisk bei seinem Anblick im Spiegel. Graue Wüsten ohne Palmen der Schönheit und Quellen der Reinheit dehnen sich endlos umher, die Oase der Liebe ist vom Samum der Leidenschaft verschüttet und Bülbul Poesie scheint eine geschwätzige Elster. Das ist der Abgrund des ewigen Weltwehs – der Schemen Nirvana steigt aus ihm empor, um uns mit Spinnenarmen ins Nichts hinabzureißen.

 

Von Hügel zu Hügel schweifen meine Blicke über die unendliche Fläche hin und eine Stimme dringt vernehmlich an mein Ohr: Nirgends hier erwartet Dich das Glück. Was hülfe es mir, den Lauf der Sonne zu begleiten – ich begehre nichts, was sie bescheint. Wie eine sturmverschlagene irrende Seele, schleiche ich durch die Welt.

Der Wagen der Nacht durchrollt die Aetherwogen. Die Zweige rispeln. Es ist, als höre man die Schatten der Todten dahinschweben. Ein Mondstrahl berührt sanft meine Stirn, als wolle er Licht streuen in meine dunkele Seele und ihr das Geheimniß der Sphären enthüllen, als wolle er die Morgenröthe eines Jenseitstages prophezeien.

Der Wälder niederhängende Wipfel bedecken mich mit Frieden und Schweigen. Die Bäche, unter Laubbrücken verborgen, schlängeln sich durch die Thäler und spiegeln sie ab. Sie mischen ihre murmelnde Fluth und verlieren sich dann spurlos. So ist die Quelle meiner Jugend zerronnen, ohne Rückkehr. Doch jene Fluth ist klar und meine Seele so trüb. Wie ein Kind vom Ammenliede gewiegt, schlummere ich ein zum Gemurmel des Wasserfalls.

Die Berge stehen sich gegenüber wie feindliche Brüder, die dort in ihrem Haß versteinert. Schon tausend Jahre stehen sie so mit gefurchtem runzligem Antlitz, schneeweiß bleichte ihr Haar. Doch Abends, wenn die Sonne sie überglüht, dann brechen die Wunden auf, dann überrieselt Blut ihre Stirn.

 

Ein unbesieglicher unwiderstehlicher Drang nach Selbstvernichtung jauchzte in dem totmüden Menschenwurm empor. Ihm war das All götterlos, ohne Ordner und Lenker. Kein Steuer leitete ihn durch den Ocean des Unendlichen und der feste Strand der Erde widerte ihn an. Aber sein Gedanke kreuzte furchtlos durch den unendlichen Raum, von der Ahnung des Unvergänglichen getragen. Eine sterbeselige Todessehnsucht dehnte und weitete seine kranke Brust. Wenn die trivialen Freuden des Lebens als werthlos versinken, wenn selbst die äußere Schönheit der Natur nicht mehr befriedigt, wenn der kindliche »liebe Gott«, die formelle Religion, in Staub zerfiel und der wahre Gott noch nicht an seine Stelle trat – dann erfaßt das Gemüth eine brünstige Leidenschaft für die reinen wandellosen Elemente, denen der Mensch mit seinem geistigen Hochmuth und seiner physischen Niedrigkeit als Zerrbild gegenübersteht. Eine schmerzliche süße Begierde verlangt sich aufzulösen, aufzugehen im Grenzenlosen.

 

Ja, er mußte sterben. Das war das Beste, das Beste. Wozu die paar Jahre noch hinschleppen eines elenden kümmerlichen Daseins, den verglimmenden Docht noch schüren? Aus, kleines Licht!

Ja, das war das Beste für ihn und für sie. Sie fürchte ihn, hatte sie gesagt. Und was sollte auch daraus werden? Sollte er daheim die Folter weiter dulden, die Folter sie als Gattin dieses reichen Laffen zu sehn, unerreichbar und glücklich, während er verschmachtete? Noch jetzt in seiner Weltabsagung und Selbstvernichtungsgier bäumte sein Größenwahn sich auf gegen solche Herabwürdigung seiner qualvollen Liebe.

Da war das Beste, er ging. Ging in das Land, von wo kein Wanderer wiederkehrt. So ging er Allem aus dem Weg.

Und wieder die Stiche in der Brust! War er nicht ohnehin todgeweiht? Ende es denn gleich mit einem Schlage!

Der Tod stand ihm plötzlich so anheimelnd nahe vor Augen, so greifbar wie ein Freund, der die Hand zum Gruße reicht. Ihm war, als habe er eigentlich nie gelebt ohne Todeswunsch und fange jetzt erst an, sich der Wahrheit bewußt zu werden.

Aber wie es ausführen? Sich mit dem Messer die Pulsadern öffnen? O nein, unmöglich. Offenbarer Selbstmord – das taugte nichts. Dann würde man nach den Motiven fragen, Alles ausforschen, sein Geheimniß ihm entlocken. So würde Kathi's Zukunft erst recht verdunkelt werden. Das zu verhindern floh er ja gerade ins Grab.

Da fiel sein Auge auf die Flasche mit Karbolsäure, die der Umschläge halber auf dem Nachttisch vor seinem Bette stand. Wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke, daß man glauben könne, er habe dies Gift mit der danebenstehenden Wasserkaraffe schlaftrunken verwechselt. Und leerte er die Flasche bei seinem angegriffenen und kränklichen Zustand, so genügte das wahrlich, um ihn alsbald zum Styx zu verschiffen.

Er verschob die Ausführung auf den Abend des folgenden Tages.

 

Leise Schauer fluthen über die Erde, sie bebt und athmet in beklommener Wonne. Berauschend duften ihre Seufzer, keusche Gefühle quellen empor als Blumen. Und sie entschlummert mit sanftem Erröthen bei dem Abschiedsblick des strahlenden Sonnengatten. Er – er lenkt ihre eigenen Pfade nach festen Gesetzen unwandelbar in rollendem Laufe von oben – aber ewig trennt der kalte feindliche Aether die Gatten nach festen Gesetzen. Einst wird kommen der Tag, wo aufjauchzend in brausendem Sturme in des Geliebten Arm stürzen wird die sehnende Erde. Aber sein Kuß ist Flamme und sein Odem Vernichtung. Und wie die Sonnenblume Apollos, wird sie verwehen. Wär' er schon da, der wirbelnde Tag der Vernichtung! O erschölle die grelle Posaune des Richters, wie ein Schwertstreich mitten durchs Herz des Weltalls, wenn im bacchantischen Reigen den Aether durchrasen mit entfesseltem Flammenhaar die Gestirne, scheiternd, wie Orlogschiffe mit brennenden Masten, im unermeßlichen Raum, dem brandenden Chaos! O dann voll zu empfinden die Größe der Schöpfung in ihrem Sturze, wie die gefällte Palme deutlicher zeigt den Schwung ihres Riesenwuchses! O zerschmettert zu werden zu einem Atome, das nur das Samenkorn eines künftigen Daseins! Losgelöst vom Staub in geistigem Wesen durch die versinkende Welt dahinzufliegen, – zaghaft flatternd zuerst, wie staunend und gaukelnd ein Sommerfalter schwebt um schwarze Ruinen, – aber höher steigend, wie eine Lerche, die des Schöpfers Bewußtsein in Lieder aushaucht, – endlich mächtig entfaltend unendliche Schwingen, wie ein Aar aufsteigend zum Thron der Allmacht! Dann zerreißt der Schleier vom Bild der Gottheit, und wir stürzen, vom Blitz ihrer Größe getroffen, zu ihren Füßen. – Hallelujah, Vernichtung! Wird nicht das Blut den Adern der bleichen Erde schöner entströmen in unversieglichen Wellen, als es träge jetzt sickert, mit Fieberröthe, Gesundheit heuchelnd, tünchend die welken Wangen?

Ach, wenn die Welt-Galeere zerscheitert in tausend Stücke, an die wir Alle geschmiedet mit unlöslichen Fesseln – mitzusterben den großen Welttod, süßer ist's, als mitzuleben das Allsein!

Weltvernichtung, Selbstvernichtung! Tausendmal größer als unsre winzige Erde, strömen Protuberanzen flammenden Dunstes von der Sonne aus, hornförmige Zacken an der Lichtscheibe, die wir bei klarer Strandluft mit bloßem Auge erkennen. Ist der Weltuntergang nah vor der Thür, bricht sie schon heran, die große Darkness, wo die Sonne alle Weltlichter verzehrend auslöscht? Wo wir mit der Erde zu Spreu verbrennen oder vergletschern? Und doch – des Menschen Geist umfaßt das All, steht darum über dem All. Die Alpen sind starr und leblos – wir leben, denken, handeln, wir sind mehr. Geist und Leib mag verderben, aber bleibt ein Prinzip der Existenz nicht in jedem von uns bestehen, das den Weltensturz überdauert? Nun, und mag's denn sein, gehen wir unter! Ob wir uns wie ein Bläschen Schaum der sich ewig neu gebärenden Woge der Materie mischen oder wie ein wesenloser Windhauch im Sturme der Zeit verwehen oder uns als Perle einfügen der Weltkette und gereinigt als krystallisirte Geistespotenz fortwähren – – namenloser Schmerz der Selbstvernichtung, du birgst namenlose Wonne.

Ach, sterben, sterben! Alles Schwankende sinkt ins Grab, gern gehe auch ich von hinnen. In jedem Grashalm fühle ich mich ja auferstehen.

 

Rother hatte Schreibzeug verlangt. Mit tiefer Ueberlegung und stillem Bedacht schrieb er zwei Briefe nach Deutschland in ausstudirt jovialem Ton. Dieselben sollten für später als Beweis dienen, daß er sich keineswegs mit Selbstmordgedanken getragen habe und einem bloßen Unglücksfall erlegen sei. Der erste Brief lautete:

 

Lieber Knorrer!

 

Ich befinde mich (eine vorübergehende leichte Verwundung ausgenommen) hier kreuzfidel – lebe, liebe, esse trinke und verdaue ausgezeichnet. Du machst Dir keinen Begriff, wie wohl mir ist, wie ich all meine Schmachtlappigkeiten jetzo belächele. Den Kameelshaar-Ueberzieher aus Salzburg, den Du stets empfiehlst, werde ich mir von hier aus bestellen. – Meine Studienmappe ist voll famoser Motive. Zur Berliner Kunstausstellung werde ich wohl noch 'was fertig kriegen. – Holla, da entschlüpft mir ein Gedichtlein, um das mich Freund Graef und Henry Francis Annesley beneiden möchten!

 

Eine Walküre.

 

Minnelieder singt sie laut

An der Wasserhölle Krater.

Liebreich hinter uns miaut

Der Familie treuer Kater.

In den buschigen Schweif ich fasse

Ehrfurchtsvoll, denn hier am Platze

Wächst die ganz besondre Nasse,

Uebergang zur wilden Katze.

 

Nachtigallen suchen Rosen,

Keine blühen hier am Stocke.

Doch dafür zum Minnekosen

Die lebendige Rose locke!

Ich bin eine Nachtigal hier,

Bin ein Künstler, glaube dieses!

Rose, überleg' den Fall Dir:

Bin ich werth des Paradieses?

 

He, wie gefällt Dir das, alter Schwerenöther? Habt's a Schneid? Holdrio!

Dein Eduard I. der Tolle.

Gegeben in unserm Hauptquartier zu Hönevoß.

 

Der andre Brief war an seinen neuerworbenen gräflichen Intimus gerichtet. Ach ja, der erste Amant der schönen Verderberin! Der saß jetzt seelenvergnügt daheim und sonnte sich in seiner neuen Gloriole. Rother lächelte bitter. Welch ein Fant und Esel, ein neuer Werther wie er, der sich noch obendrein schämen muß! Und doch!

 

Lieber Graf Krastinik!

 

Mir geht es hier nicht übel. Nur eine Verwundung am Fuße, die ich mir zuzog, zwingt mich, meine Streifereien zu unterbrechen. Hoffentlich bin ich bald wieder hergestellt. Wie gehts? Rüstig vorwärts streben, lieber Freund, und vor Allem das Leben recht wichtig nehmen! Denn wenn man es belächelt, wie's es verdient, dann verliert man allen Arbeitsmuth. Als ich durch die Alpenwildniß mich ins Leere vorwärts schauderte, da dacht' ich wieder: Was sind wir? Wir sind

 

Ein Punkt.

Den Berggeist ruft ein Echo wach,

Ein Aufschrei und ein dumpfer Krach.

Purzelt dort eine Tanne nieder,

Die aus dem Abgrund die schlanken Glieder

Aufreckend zu Riesenhöhe sprießt

Und über den Rand des Saumpfads schießt?

Nein, die Naturgewalten vom Boden

Wollen ein edler Gewächs ausroden:

Von dem Bergrutsch fortgeschoben

Wurde ein Holzfäller droben,

Glitt wohl aus im Gneisgerölle,

Taumelt nieder zur Eiseshölle.

Und damit ist der Punkt gestrichen.

Auch Du, der dem I-Punkt stolz geglichen,

I-A! Wirst wie ein andrer Punkt

In die Tinte des Nichts hineingetunkt.

 

Aber man muß solche Stimmungen überwinden. Gewiß, wir Menschen leiden ja alle an Größenwahn, indem wir uns Ameisen auf diesem planetarischen Kehrichthaufen für wichtig halten. Aber was kommt dabei heraus, über unsere Nichtigkeit zu brüten!

 

Ueber die hohen Fjällen.

Die Luft ist so klar und so frisch und so leicht

Auf den Fjelden.

Der alte Adam von hinnen weicht,

Ich fühle mich frei und als Helden.

Hinauf zur Alm! Ihr Morgenpsalm

Ich will ihn euch melden.

Der zitternde Halm, der springende Salm

Singt: Frei, wir sind frei auf den Fjelden.

 

Sonnenaufgang in Gudbrandsdalen.

Was rollen die Wogen des mächtigen Logen

Doppelt so fröhlich daher?

Alphörner klingen, Dammhirsche springen

Durch der Wälder wallendes Meer.

Ihre Lilienstirne, die keusche Firne

Der Bergjungfrauen, sie sprüht

In rosigem Licht. Eisbrünne bricht,

Brunhilds Schneebusen erglüht.

Das ist die Sonne, die so mit Wonne

Die Seele des Weltalls schwellt.

Aus Nacht und Sorgen ist jeder Morgen

Eine Auferstehung der Welt.

 

Am Falkenhorst.

Heil, Freya, falkenäugiger Schwan!

Dich flieht der Selbstsucht Pfau!

Dich flieht der pfäffische Cormoran.

Bitt für uns, unsre liebe Frau!

Du Falk von echter Isländischer Zucht

Aus der Freiheit Heim im Nord,

Du Göttin reiner Liebe, Dich sucht

Meine Sehnsucht fort und fort.

 

Mit bestem Gruß Ihr

Rother der Schwachmatikus.

 

Nachdem die Briefe convertirt und zum Absenden dem Wirth übergeben, wobei er lachte und scherzte, raffte Rother sich zusammen zum letzten Entschluß. – –

Der Erde schläfert leise und die Seele sucht Ruhe, Ruhe. Der müden Sonne fallen die Augen zu.

Was rollt die Erde ohne Ende durch das rollende Aethermeer? Nur den wiegt feste Ruhe, wer unter der Erde ruht.

Es pocht, es pocht ans Fenster. Ist es der Regen, der leise niederraschelt ins Farrenkraut? Wuchtig und langsam schlägt ein schwerer Tropfen aufs Fensterbrett, eintönig wie eine sich langsam reibende Feile. Was pocht, was pocht und hämmert da draußen und hier drinnen im Herzen? Wird da ein Sarg gezimmert, ein Sarg der sterbenden Liebe?

 

Was pochst Du, Herz so wild und laut,

Du nimmermüde Uhr?

Dein Zeiger weist, Dein Pendel tickt

Dem Tod entgegen nur.

 

Einsam, einsam! Sind alle Wege verschneit, schleicht ein frostiges Verderben umher und mäht die märzlichen Keime? Die Flocken fallen, fallen. Durch die Seele geht bleicher Tod, ein schneeiges Bahrtuch deckt die jungen Blüthen.

Ihm war, als wolle seine Seele hindämmern ins dunkle Reich der Schatten, wo träumerischer Friede auf Asphodeloswiesen blüht.

Der Puls der Zeit steht still, steht still. Ein Heimweh nach dem Nichts säuselt im Abendwind räthselvoll durch alle Wipfel. Zum Sterben müde stehn die alten Bäume. Wie Träume spinnen sich Nebel, vom See aufsteigend, um ihr Haupt. Ueber der Sonne purpurnen Talar gleitet der Hermelin der Nacht. O dürfte so die Welt mit eins in Nacht versinken und ihn nie mehr leeren, den bittern Sonnenkelch der Lebewesen!

Ein tödtliches Gelüsten berauschte ihn mehr und mehr. Der buhlerische Frühlingsstrahl lockte ihn hinab in die Tiefe, wo kein Winter stirbt und kein Frühling erwacht.

In übernächtigem Frost erstarrte der Quell der Thränen und die Hoffnung läßt sich nicht mehr narren. Vorbei, vorbei!

 

Langsam und bedächtig erhob sich Rother auf seinem Lager und langte nach der Flasche mit Karbolsäure. Er öffnete den Stöpsel und roch daran. Der unangenehme Geruch flößte ihm Ekel ein. Er schüttelte sich. Dann roch er widerholt, um sich daran zu gewöhnen, damit nicht der Geruch ihn beim Trinken zum Vomieren veranlasse. Seiner Willenskraft gelang es. Jetzt setzte er die Flasche an den Mund – – Wie dem Ertrinkenden, gaukelten ihm tausend Bilder vor Augen.

Was ihm je geraubt, was in unerbittlichem Morden sein Leben ihm hingeschlachtet, – es hob sein träumerisches Haupt.

Er wagte kaum zu athmen, in ahnungsvoller Todeswonne. Ein Geist geht um von Baum zu Baum und der Nachtthau schwebt leis hernieder. Ist's Dein Geist, die fern von mir?

Nein, ich kann es nimmermehr vergessen, daß ich Dich geliebt. Ob die Leichensteine belasten mein müdes Haupt und alle Särge springen und ob das All zerbirst wie Glas, – dies Eine werde ich nie vergessen, nicht in Leben und Tod.

Er blickte auf ihr Bild, das er stets auf dem Herzen barg wie ein köstlich Geheimniß. Was ihn einst durchflammt, es zuckte nicht mehr aus der Asche. Das Mondlicht thaut vom Himmel, die Sterne neigen sich nieder – doch nie strahlt die versunkene Welt im Flammengrabe des Herzens.

Hinüber, hinüber! Der Hauch gestorbener Liebe betäubt das traummüde Hirn und zu einer ewigen Liebe jenseits der Erde dichtet es sich hinüber, hinüber.

 

Er trank.

 
Größenwahn
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