III.

 

»Wissen Sie was, schreiben Sie uns einen Messerschneide-Artikel! Etwas gegen Boulanger, wissen Sie.«

»Weswegen?«

»Was für eine Frage! Es liegt im Interesse des Blatts.«

»Möglich. Aber ob in meinem Interesse?«

»Herr Doctor, ich bin erstaunt..«

»Und ich erst! Gott, seien wir doch keine Kinder! Die Hauptsache dabei (ich will ja den Artikel gern schreiben) ist die: Was – nützt – es mir?«

»Aber das hätte ich nie von Ihnen gedacht! So wenig Eifer! Natürlich werden wir Ihnen den Artikel sehr hoch berechnen.«

»50 Pfennig pro Zeile?« höhnte Kratzenthal. »Nein, alter Freund. Da fällt mir ein: Warum schreiben Sie denn den Artikel nicht?«

»Ach!« Kössel kratzte sich hinter den Ohren. »Das ist eine sehr sehr prekäre wichtige Affaire. Das kann nur eine ganz gewiegte Feder – wie die Ihre, Herr Doctor Kratzenthal.«

»Ach zu gute« schnaufte dieser durch die Nase. »Sie wiegen mein gewiegte Feder in sanfte Illusionen«. Mit einem Wort, er sprang plötzlich auf, »Sie selbst fürchten sich den Artikel zu verbrechen und wollen einen stillen Compagnon dazu. Ich wittere Unrath. Holla, der Bankier Hollmann!« Kratzenthal brach in ein wieherndes Gelächter aus, schlug seinem Chef auf die Schulter und grinste: »Spekulirt auf Baisse! – All right! 100 Mark pro Zeile – 100 Zeilen Umfang – macht 10000 Mark – dann schreibe ich ihn, den Messerschneide-Artikel.«

Nämlich im Sinn all der früheren Messerschneidungen, welche fast jedes Blatt wie eine Art monatlicher Excremente von sich giebt.

 

Solche Schauderaffaire erzählte Schmoller dem staunenden Leonhart, als er mit diesem das Zeitungszimmer des Café Bauer durchstöberte, ob sie nicht Beide wieder irgendwo beschimpft worden seien. Er hatte angeblich diese Scene belauscht, als er die Redaction eines großen Blattes heimsuchte. Dann erzählte er noch, wie plötzlich ein schrecklicher Skandal dort losgebrochen sei, da die Gattin des Chefredacteurs Kössel, eine frühere Köchin, diesem grade wie gewöhnlich ihren allabendlichen Gardinenpredigt-Besuch auf der Redaction abgestattet habe. – Dieser professionelle Verfolger der Bosheit sog sich freilich solche Geschichten oft rein aus den Fingern. So galt es ihm diesmal, das bekannte Verhältniß von Börse und Presse in ein Späßchen zu bringen. Allein, es schien nicht so bös gemeint, wie es klang. Aus Klatsch, Nichtigkeit und Jämmerlichkeit setzt sich ja das unselige Leben des Berufsschriftstellers zusammen und als einzige Rache bleibt ihm die böse Zunge. Jedermanns Hand ist wider ihn drum ist seine Hand wider Jedermann. Verzweiflung lachte aus Schmoller's Verleumdungsmanie. Das Unberechenbare war hier nie das Unentschuldbare. Grade wie Leonhart fühlte er sich dämonisch zum Geifern getrieben.

»Kratzenthal platzt noch vor Gift, wie die Ratte in ihrem Loch. Kössel sagte mir mal, man müsse die ewige Wuth Kratzenthals nur bedauern, da sie von Hämorrhoiden herrühre.«

»Das ist keine Entschuldigung. Aber ich kann mir nicht helfen: obschon er mein Todfeind, halte ich ihn für einen Ehrenmann,« versetzte Leonhart ruhig.

»Ehrenmann – ach Du bist doch immer der Alte!« knurrte Schmoller. »Wie hat der Mensch sich immer ruppig gegen Dich benommen!«

»Das tangirt aber nicht seine sonstige Ehrenhaftigkeit. Denn daß er meine Recensionsexemplare andauernd todtschweigt und dem Antiquar verkloppt, diese Naivetät theilt er ja mit allen Preßbengeln. Er ist muthig und unabhängig, erinnert mich immer an einen Dachshund – bissig und brav.«

»Ja, die Beine hat er sich krumm gelaufen wie ein Teckel – das stimmt. Übrigens sind sie alle toute même chose! Jeder Redacteur schießt Probepfeile eingebildeter Willkühr, ob nun von liberalem oder conservativem Göttersitz! Da ist mir doch die Schwefelsäure der ›Berliner Tagesstimme‹ noch lieber, als dieser salzlose Ohnmachtgeifer!«

»Ist er eigentlich ein getaufter Jude?«

»Und ob! Drei Juden in eins! Darum belfert er ja auch soviel gegen jüdische Gesinnung, um seine Abkunft vom Mühlendamm zu verdecken.«

»So 'was ist mir allerdings doppelt widerlich.« Leonhart runzelte die Stirn. »Ich kenne ungetaufte Ehrenmänner. Für getaufte grüne Judenjungen, die ihre Stammesgenossen begeifern, sollte man aber eine Extraruthe parat halten. – Doch wie gesagt, ich glaube, wir beurtheilen Kratzenthal ganz falsch. Grade weil er ein ewiger Krakehler ist, halte ich ihn für einen ehrlichen Kerl. Allerdings leidet er als neuer Lessing an hochgradigem Größenwahn.« Wer litte zwar nicht daran! dachte er heimlich. – Darin freilich kamen Beide überein, daß die conservative Presse der fortschrittlichen ganz würdig sei, »daß sie alle Beide stinken.« Unpartheilichkeit? wie haißt?!

»Sieh da, Federigo, Du hier?« tönte eine Stimme neben ihm.

»Ei, Holbach, und was treibst Du hier?«

»Komm doch an unsern Tisch – Kasimir Pakosch ist hier!« Holbach lud mit seiner üblichen gewinnenden Liebenswürdigkeit ein, so daß Schmoller und Leonhart bald einem bleichen Herrn mit genialisch zerwühltem Haarwuchs gegenübersaßen. Er trug einen schwarzen Sammetrock und einen weißen Hut mit Schleier, sowie Hosen von weißem Kaschmir. Außerdem lehnte er sich auf einen schwarzen Stock mit breitem Silberknopf, dem das Lasalle'sche Motto eingravirt: »J'attendrai mon temps.« Er bedurfte dieser Stütze seines jungen Greisenalters, da er hinkte. Ueber dies Hinken verbreitete er zwar, er sei bei Mars la Tour verwundet; Böswillige schrieben es jedoch ganz andern Ursachen zu.

Dies war der berühmte Kasimir Pakosch, der Regenerator der deutschen Zukunftsbühne. Leonhart kannte ihn bis ins Mark seiner Herzensschöne von dem Tage her, wo er sich ihm gemeldet, um die Hauptrolle seines Festspiels »Sedan« zu spielen, welches von einem »Dramatischen Verein« aufgeführt wurde. Dieser unglaubliche Scherz des hinkenden Dichters fand seine Erklärung in dem Umstand, daß gleich darauf Pakosch's dämonische Weltschmerztragödie »Der Mulatte« in Berlin aufgeführt wurde und er durch diesen Coup die scharfe Kritikerfeder Leonharts lahm legen wollte.

»Ach, mein theurer Herr Leonor!« grüßte huldvoll der große Mann. »Und was macht Ihr Drama ›Der Wärwolf‹, von dem Sie mir einst erzählten? Wird es denn endlich mal aufgeführt?« Diese boshafte Theilnahme erbitterte den Andern dermaßen, daß er anzüglich erwiderte:

»Ach nein! Da sind überall solche Streber, die ihre Stücke von Hamburg bis Frankfurt und München zum Schrecken des Publikums anbringen, weil sie mit den Theaterregisseuren unter einer Decke spielen und den sogenannten ›Künstlerinnen‹ Gedichte und Bouquets widmen. Man weiß ja, wie so 'was gemacht wird. Ja, und weil Sie sich nach meinem Drama so gütig erkundigen –: was macht Ihre Frau Gemahlin? Das muß ja doch immer unsere erste Frage an Sie, verehrter College, sein.«

Pakosch erröthete leicht, weil er die Beleidigung wohl empfand. Seine Frau, eine morphiumsüchtige Lady Macbeth, welche er nebst einer Villa von dem früheren geschiedenen Gatten (ein kleiner gemeiner Ehebruch lag vor) zum Geschenk genommen hatte, besorgte nämlich all seine litterarischen Geschäfte. War er bloß dünkelhaft bis zum Exceß, so raste sie einfach vor Größenwahn, so daß sie zeitweilig in einer Maison de santé sich beruhigen mußte. Sogar der milde Holbach (der freilich für die kleinsten Gebrechen seiner Nebenmenschen ein scharfes Auge und hinterm Rücken eine gar böse Zunge hatte, falls einer mal nicht seinen egoistischen Zwecken dienen wollte) entrüstete sich, als ihm Frau Pakosch einst einen herablassenden Brief schrieb: »Solche Oberflächlichkeiten wie Sie, lieber Freund, über das letzte Buch meines großen Gatten, darf man an meinen Mann überhaupt nicht schreiben!«..

Tiefgekränkt und rachedürstend schob Pakosch eine Rose aus seinem Knopfloch und reichte sie Leonhart: »Danke für die Nachfrage! Da, mein lieber Leonor, riechen Sie! Da können Sie ja später sagen, daß Sie mit Kasimir Pakosch an einer Rose gerochen haben!!«

»O ich Seeliger! Nennen Sie mich nicht immer Leonor, mein Guter! Ich heiße Leonhart – ›Leon,‹ der Löwe und ›hart‹ – leicht zu behalten.« Leonhart empfahl sich, indem er eine Einladung zur Eröffnung eines neuen stilvollen Bierrestaurants vorwies. »Was wolltest Du mit dem Dolche, sprich?« rief Schmoller. »Da bin ich ja auch eingeladen, wie sich's gebührt. Ich wollt' es diesem Bierjungen auch gerathen haben! Ein Lokal eröffnen ohne mich, den Spezialkenner Berlins, hoho! Nie ohne dieses! Ich sage Dir, vor mir zittern Verleger und Bierverleger.« – –

In dem fürchterlich altdeutsch eingerichteten Restaurant trug sogar die Buffetdame ein altdeutsches Mieder mit Puffen und alles roch nach süffiger Lebenslust, als ob die Herbarien blauer Blümelein von all den Fahrenden Sängern hier auf dem Altar des Vaterlandes niedergelegt seien. Die beiden Dioskuren trafen einige jüdische Theaterfabrikanten, deren schwammiges Gesicht an ihre Rückseite der Medaille erinnerte. Man aß und trank sich satt und schimpfte dabei als Kenner über den Größenwahn der modernen Bierpaläste. Dann hob Aaronsohn an, über die schändlichen Wahlwühlereien der Conservativen zu jammern. »Jotte doch!« fuhr ihm aber Leonhart in die Parade. »Gewühlt wird auf beiden Seiten! Wir sind doch keine Kinder!« – Bald darauf schwang sich der große Witzbold Lerchenheim zu der Behauptung empor, Wien sei die sittlichste Stadt im Vergleich zu Berlin. Es errege im »Sperl« ordentlich Aufsehen, wenn Einer dort Champagner bestelle und der wachthabende Commissär beauftrage die Weiber dann, ja aufzupassen: Das müsse ein Verbrecher sein. – Die eigentliche Presse hatte sich in einer Hinterstube versammelt. Zur Feier des Wahlsieges ließ man die ganze fortschrittliche Presse bei der Einladung aus und nur die Crême der Conservativen zu. Schmoller und Leonhart hieß man als Urgermanen beim Prüfen des »Stoffes« willkommen.

»Meine Herren,« hub der Ehrenpräses an, »ich commandire einen Salamander. Wie uns dies Getränk bayrischen Ursprungs so recht von Herzen schmeckt, sollten wir gedenken an die Gemeinschaft unserer süd- und norddeutschen Stämme. Und wem verdanken wir alles das? Sr. Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler, dem Kenner des deutschen Bieres, sei dieser Krug geweiht! Er lebe hoch!«

Ein donnerndes Vivat. Einer zog sich bereits den Rock aus, um gemüthlicher bärenhäutern zu können: Tibitz, der antisemitische Witzbold, einer der bravsten und darum bestverleumdetsten Männer. Er erzählte soeben in seiner jovialen Art auf plattdeutsch die Mär von »Christofer Clambumbus«, dem Entdecker von Amerika. Bei solchem Salzwasser-Latein wird man halt durstig. Nachdem man dann noch darüber debattirt, daß man ein Internationales Weltblatt gründen wolle, trennte man sich mit einem schneidigen Abschiedsschoppen auf einen »frischen fröhlichen Krieg«. Der Ehrenpräses, ein ehrwürdiger homo obscurus, Peter v. Schnapphahnitzkoy (in engerem Freundeskreis als zartsinniger lyrischer Frauenlob, sonst als malitiöse Schlangenzunge und Anonymus a.D. geschätzt), mußte ledeir per Droschke lallend nach Hause gebracht werden – wie sich's für einen christlichritterlichen Redacteur gebührt.

Schmoller und Leonhart wankten endlich noch in einen benachbarten ur-bajuvarischen Keller. Dort stärkten sie sich mit einem Teller Radi sowie etlichen »Knickebeinen« und schwuren sich nochmals ewige Waffenbrüderschaft mit schon klein werdenden Aeugelein und bierseliger Stimme. Im Laufe der Erreignisse betheuerte Schmoller den nächstliegenden Gästen der Schänke, daß vor seinem neuen Roman, in welchem er alle seine persönlichen Feinde durchhecheln wolle, bereits halb Berlin zittere.

»Ich habe noch nischt jemerkt,« brummte der Wirth.

Darob ergrimmte Schmoller in seinem Leibe und schrie: »Was, Sie! Sie wollen mich wohl uhzen? Sie dummer Bierjunge, he? Ich bringe Sie auch in meinen Roman. Dann werden Sie das Zittern schon lernen.«

Er kam aber an den Unrechten. Denn der würdige Bierpapst hatte selbst Mehreres über den Durst getrunken. »Was, Sie fauler Kopp wollen mir das Gruseln lehren?« brüllte er. »Zittern Se draußen! Wem's hier nicht gefallen thut, der kann schieben! Sie müssen 'raus, Sie! Des is hier nich! Also, meine Herrn, der Zimmermann hat ein Loch gelassen.« Leonhart fürchtete für seinen Freund. Dieser, als Sohn eines Kölnischen Weinküfers mit rheinischer Großschneuzigkeit behaftet, verdiente zwar an sich nicht den Geruch bramarbasirender Feigheit, in dem er stand. Aber seine zerrütteten Nerven schraken leicht zurück.

»Herr, sehen Sie, wie ich bebe vor Erregung!« grollte Schmoller, indem er seinen Cylinder aufsetzte. »Schweigen Sie, sag ich Ihnen, oder ich haue.«

»Was!!!« Der Wirth holte kräftig aus und schwippschwapp saß eine Ohrfeige. »Bange machen gilt nich. Da haben Sie, was Sie verdienen, und nun schreiben Sie man darüber ein Kapitel in Ihren ollen Roman.«

Es entstand natürlich ein allgemeiner »Radau« und die beiden großen Männer wurden langsam hinausgedrängelt. Leonhart faßte den Wirth am Kragen und rüttelte ihn gehörig. Schmoller aber knöpfte sich den dicken Havelok zu, sah käsebleich aus und meinte sodann mit einem süßlichen Lächeln: »Es traf ja nur den Hut! – Wenn ich wollte – sehn Sie diese Arme! Ich war Schmied! Komm, Leonhart, verachten wir die Bande!« Beide schüttelten den Staub von ihren Füßen und wurden mit einem wohlgemeinten Schubs endgültig hinausgeworfen. Leonhart schritt sehr schweigsam fürbaß, während Schmoller eifrig weiter perorirte.

»Haha!« lachte er auf, »hast Du gesehn, Leon, wie ich den Kerl an der Brust faßte und hin- und herrüttelte? Ich sage Dir, er bebte wie Espenlaub! Nun, lieber Freund, Du kennst mich ja! In mir steckt so ein Stück Elementar-Naturmensch. Ich mußte an mich halten, ich mußte! Dank' Dir auch, daß Du mich gehalten hast, – sonst wäre ein Unglück passirt!!«

Leonhart konnte keine andere Antwort, als ein verwegenes Räuspern, finden. Die Phantasie seines edlen Freundes ging wieder zügellos mit diesem durch.

»Es wird noch eine Marmortafel dort angebracht werden, wo wir Beide gesessen haben!« rief der große Autor in tiefer sittlicher Empörung. »Lebewohl, mein Freund, und verachte die Welt wie ich. Man muß Philosoph sein! Du ärgerst Dich noch zu viel.«

Tiefgekränkt schritt er von dannen, wie er tiefgekränkt jeden Morgen erwachte.

 
Größenwahn
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