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»Ausgerechnet in diesem Punkt mussten sie recht behalten«, stöhnte Trez.

Er lag flach auf dem glatten Boden im Badezimmer, bedeckte die Augen mit dem Unterarm und spürte überdeutlich, wie sein aufgerichteter Schwanz in sich zusammenfiel. All der bedeutungslose Sex mit Menschenfrauen hatte ihm im entscheidenden Moment den Wind aus den Segeln genommen.

Und neben ihm, auch dessen war er sich überdeutlich bewusst, lag Selena – nackt auf dem Badewannenvorleger.

Scheiße, er musste sich das abgelegte Handtuch wieder um die Hüften binden und …

»Wen meinst du mit ›sie‹?«

Trez bedeckte seine Blöße mit dem Frotteehandtuch und konnte die Auserwählte nicht einmal ansehen. »Meine Leute, die s’Hisbe.«

»Und in welchem Punkt hatten sie recht?«

»Warum bist du noch hier?«

Erst da wurde ihm bewusst, wie das für sie klingen musste, und als er sich aufsetzte, sah er, wie sie die Schultern einzog. »Entschuldige … ich meine nur, wie hältst du es mit mir aus?«

Verdammt, sie sah zum Anbeißen aus, wie sie da saß. Ihre Robe bedeckte nicht viel mehr als die Schultern, die Brustwarzen waren noch aufgerichtet, und die Haltung ihrer Beine hätte ihm tiefe Einblicke gewährt, hätte er sich nur ein klein wenig nach vorne gebeugt …

Selena zog ihre Robe über ihre Brüste – sosehr es schmerzte, es war besser so. Er hatte zerstört, was sich zwischen ihnen entwickelt hatte.

Aber er hatte gute Gründe dafür.

»Es tut mir leid«, sagte er und dachte, dass er sich diesen Satz auf die Stirn tätowieren lassen sollte, damit er ihn allmorgendlich und abends im Spiegel sah.

Er hätte es niemals so weit kommen lassen sollen. Nie.

»Dass du so plötzlich abgebrochen hast?«

»Nein, das tut mir nicht leid.« Als sie das Gesicht verzog, hätte er sich schon wieder ohrfeigen können. »Ich meine natürlich … Scheiße. Ich weiß nicht. Im Moment weiß ich gar nichts mehr.«

Ausgedehntes Schweigen machte sich breit. Dann sprach sie ganz ruhig: »Du kannst mir alles sagen, weißt du.«

»Mit solchen Vorschlägen wäre ich vorsichtig – die Büchse der Pandora lässt sich nur schwer wieder verschließen.«

»Alles.« Ihre Augen waren vollkommen klar, als sie ihn ansah. »Ich habe nichts zu befürchten, weder von dir noch durch dich. Aber ich finde, du schuldest mir eine Erklärung – und sei es nur, damit ich die Schuld nicht bei mir suche.«

Wow, okay. Wenn er sie davor heiß gefunden hatte, erschien sie ihm nun fast göttlich. Makellose Schönheit war das eine. Aber Rückgrat war noch viel attraktiver.

Und was sie sagte, stimmte.

»In Ordnung«, brummte er und fühlte sich wie ein kompletter Loser. Doch sie hatte das Recht zu erfahren, warum er sie abwies. »Ich habe in den letzten zehn Jahren viele Menschenfrauen gevögelt – was mir absolut einerlei war bis heute, da ich mit dir zusammen war. Außerdem stehe ich kurz davor, meine Eltern einem qualvollen Tod zu überlassen. Abgesehen davon ist alles prima.«

Sie hob die Brauen. Aber sie verzog nicht das Gesicht. Sie rannte nicht schreiend davon. Stattdessen atmete sie ein paarmal tief durch. »Vielleicht befassen wir uns erst einmal mit der zweiten Hälfte: Wovon redest du, im Namen der Jungfrau?«

»Das Ganze ist ein Riesenschlamassel. Und ich stecke mittendrin.«

Sie schwieg und erwartete offensichtlich, dass er fortfuhr. »Ich weiß immer noch nicht, worum es geht.«

Voller Ehrfurcht blickte er ihr in die Augen. »Himmel … wie ist es möglich, dass du existierst?«

»Du hast noch immer nichts verraten.« Sie lächelte zögerlich. »Obwohl mir gefällt, wie du mich ansiehst.«

Trez schüttelte den Kopf. Sie verdiente wahrlich etwas Besseres als ihn. »Das sollte es nicht. Wirklich nicht.«

»Das ist immer noch meine Entscheidung. Aber nun sprich – wenn du mich mit aller Macht von dir abbringen willst, dann überzeuge mich mit Worten von deiner Hässlichkeit.«

»Das zügellose Sexleben ist dir nicht genug?«

»Ich bin eine ausgebildete Ehros. Mir ist nicht unbekannt, dass Männer ihren Samen streuen.«

Er musterte sie skeptisch. Ihr Gesicht hatte einen unbeteiligten Ausdruck angenommen, was ein untrügliches Zeichen war. »Da ist noch etwas anderes.«

»Und das wäre?«

»Ich bin jemandem versprochen.«

Um ein Haar wäre es ihr gelungen, nicht zusammenzuzucken. Um ein Haar. »Ach, ja?«

»Ja. Und wenn ich nicht termingerecht erscheine, massakrieren sie meine Eltern.«

»Dann liebst du die Betreffende nicht?«

»Ich kenne sie nicht einmal. Und ich habe kein Bedürfnis, etwas daran zu ändern.«

Die Auserwählte schien etwas erleichtert. »Dann weißt du nichts über sie?«

»Nein. Außer dass sie die Tochter der Königin ist.«

Ihre wundervollen Augen wurden noch größer. »Du wirst zur Königsfamilie gehören.«

Trez dachte daran, wie viel Freude Wrath an seinem Thron hatte und mit welchem Vergnügen Rehv über die Symphathen herrschte – dabei durften die beiden immerhin nachts vor die Tür gehen. Theoretisch zumindest, im Fall von Wrath.

Ihm hingegen blühte der goldene Käfig.

»Meine Eltern haben mich verkauft, als ich noch ein Kind war«, hörte er sich sagen. »Ich wurde nie gefragt. Aber wenn ich nicht bald ins Territorium zurückkehre, leben die zwei nicht mehr lange.«

Selena neigte den Kopf, und man sah regelrecht, wie es darin arbeitete. »Gibt es denn gar keine Möglichkeit zu verhandeln?«

»Nein.«

»Können deine Eltern den Erlös nicht zurückerstatten?«

Trez dachte an das zynische Lächeln seiner Mutter, als er sie das letzte Mal auf einem Ball gesehen hatte. »Selbst wenn sie könnten, würden sie es vermutlich nicht tun.«

Selena zog erneut die Brauen hoch. »Bist du dir sicher?«

»Es wäre untypisch für sie.«

»Hast du sie denn nie gefragt?«

»Nein. Dazu müsste ich zur s’Hisbe zurückkehren, und das geht nicht.«

»Kannst du niemanden in deinem Auftrag schicken?«

Trez stellte sich vor, iAm würde ins Territorium gehen. Das Arrangement mit der Prinzessin galt ausschließlich für Trez, der Hohepriester oder selbst s’Ex konnten iAm also nicht an seiner statt an die Königin verhökern. Aber sie konnten seinen Bruder als Geisel nehmen. Oder Schlimmeres.

Und damit hätten sie Trez zurück.

»Ich glaube nicht. Der Einzige wäre mein Bruder, und das kann ich nicht riskieren. Ich werde ihn nicht in Gefahr bringen.«

»Und du glaubst wirklich, eure Eltern werden …«

»Ich glaube es nicht nur, ich weiß, dass sie getötet werden.« Er massierte sich den Nacken. »Weißt du, vieles an dieser Angelegenheit ist traurig, aber das Schlimmste ist wohl, dass ich nicht einmal so tun kann, als täten mir die beiden leid. Es ist, als hätten sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wenn ihnen etwas zustößt, haben sie es sich selbst zuzuschreiben.«

Doch leider war es ohnehin nicht von Belang, was mit seinen Eltern passierte, denn die Bringschuld blieb in jedem Fall bestehen.

Selbst wenn s’Ex sie in kleine Stücke hackte, enthob es Trez nicht der Pflicht, die man ihm auferlegt hatte.

Was einst in Gang gesetzt worden war, ließ sich nicht stoppen. Trez betrachtete Selena und bedauerte diesen Umstand mehr denn je.

Selenas Hände zitterten. So ging das schon, seit Trez erwähnt hatte, dass er mit vielen Frauen geschlafen hatte. Wie viele mochten es gewesen sein?

Gütige Jungfrau der Schrift, sie wollte nicht darüber nachdenken.

Doch zumindest konnte sie versuchen, das Zittern zu bändigen. Als Trez verstummte, spreizte sie mehrfach die Finger, um dem Spuk ein Ende zu setzen, bevor er ihre ruhige Fassade durchschaute. Sie hatte das sichere Gefühl, dass er kein Sterbenswörtchen mehr sagen würde, wenn er ihre Betroffenheit bemerkte … und diese Vertraulichkeit, die so unerwartet zwischen ihnen aufgekeimt war, erschien ihr heiliger als die sexuelle Erfahrung, die ihr so knapp entgangen war.

»Ich habe zwar keine richtigen Eltern«, sagte sie leise, »aber ich kann mir nicht vorstellen, ein Kind zu bekommen … und es dann zu verkaufen.«

Trez nickte und rieb sich weiter den Nacken. »Ja, oder? Dabei haben meine Eltern mich durchaus geschätzt, aber eben nur als Ware für einen Tausch. So etwas erwartet man von einem Autohändler oder Teppichverkäufer oder von Filialleitern von Supermärkten. Manchmal wäre ich wirklich gern einer dieser vollkommen ausgeglichenen Idioten, denn dann könnte ich mir einreden: ›Meine Eltern wollten mich nicht, aber ich bin trotzdem von Wert, bla, bla, bla‹ – aber so fühlt es sich einfach nicht an. In meinem Kopf …« Er beschrieb einen Kreis neben der Schläfe. »… bin ich nichts. Ich bin … ein Niemand.«

Selena kamen fast die Tränen. Da saß dieser wundervolle Mann vor ihr … und konnte nicht erkennen, wie großartig er war. Es war ein Verbrechen. Und das hatten ihm ausgerechnet die angetan, denen er am meisten bedeuten sollte.

»Bist du deshalb bei den Frauen gelegen?«, hörte sie sich fragen.

Das Atmen fiel ihr schwer, während sie auf seine Antwort wartete. Sie hatte Angst vor dem, was er sagen würde. Aus mehreren Gründen.

»Ja.« Er stieß eine leise Verwünschung aus. »Zum Beispiel bei der einen, direkt vor meinem Migräneanfall.«

Vorgestern, dachte sie und erschauderte …

»Sie war so leer, wie ich mich fühlte. Wir waren wie zwei leere Hülsen, die sich berührten. Es hatte keinerlei Bedeutung, und so war es die ganzen letzten Jahre. Der Sex war Leibesertüchtigung, mehr nicht.«

Selena suchte nach den richtigen Worten. Sie wollte besonnen klingen und signalisieren, dass ihr seine Bekenntnisse kein Unbehagen bereiteten, obgleich es ihr in Wirklichkeit das Herz brach. Was eigentlich nicht sein sollte.

Denn wie lange war sie nun bei ihm? Eine Stunde? Zwei, wenn es hochkam.

Ihr bevorstehender Tod machte sie wagemutig …

»Ich könnte sie retten«, sagte er, fast wie zu sich selbst. »Ich könnte mich opfern und damit meine Eltern retten.«

Er riss den Kopf zur Seite, sodass die Halswirbel knackten.

»Moment«, murmelte sie und kniete sich hinter ihn. »Darf ich mal?«

Sie schob seine Hände zur Seite, massierte seine verspannten Schultern, so wie er es getan hatte, und versuchte, sie zu lockern. Die weiche Haut glitt über stahlharte Muskelstränge, mehr schien sie nicht zu erreichen.

Er stöhnte. »Das fühlt sich großartig an.«

»Ich habe nicht das Gefühl, etwas zu bewirken.«

Er berührte flüchtig ihre Hände. »Doch, das tust du. Mehr als du ahnst.«

Selena knetete weiter und dachte an ihre eigene Vergangenheit. »Wie gesagt, hatte ich keine richtigen Eltern. Ich wurde mit und von meinen Schwestern aufgezogen. Ich hatte einen Nutzen, nämlich die Tradition fortzuführen, aber mich hat nie jemand gewollt. Oder für sich beansprucht. In gewisser Weise kann ich mir also vorstellen, wie du dich fühlen musst – man kommt zur Welt, doch man wird nicht geboren, denn auf eine Geburt wird gehofft, für eine Geburt wird gebetet.«

Er legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihr auf. »Ja. Genau so ist es.«

Sie lächelte ihn an und drückte seinen Kopf wieder vor.

»Ich habe das Gefühl, ich komme in die Hölle, wenn meine Eltern sterben«, murmelte er.

»Aber dich trifft keine Schuld. Du hast nie dein Einverständnis gegeben.«

»Wie bitte?«

»Du wurdest versprochen, als du nicht einwilligen konntest – du hast gesagt, dass sie dich nie gefragt haben. Deshalb haben deine Eltern auch die Konsequenzen zu tragen, wenn du den Vertrag nicht erfüllst. Obgleich es um dich geht, hat es doch nichts mit dir zu tun.«

»Himmel …«

Er verstummte, und sie runzelte die Stirn. »Es tut mir leid. Ich will nicht anmaßend sein.«

»Das bist du nicht. Du bist … perfekt.«

»Wohl kaum.«

»Ich möchte etwas für dich tun.«

Sie verharrte in der Bewegung. »Was?«

Denn sie hatte da so eine Idee.

»Etwas Gutes.«

Sie betrachtete den Fellteppich, auf dem sie gelegen hatte. Gut wäre es sicher …

»Aber mir fällt einfach nichts ein.«

Selena seufzte. »Deine Gegenwart ist mir genug.«

Trez umfasste ihre Hände, zog sie nach vorn, sodass sie auf seinem Rücken ruhte, und schmiegte den Kopf an ihren.

Dann atmete er tief ein, und als sein mächtiger Brustkorb sich weitete, wurde sie vom Boden hochgehoben und wieder abgesetzt. »Danke«, sagte er mit brüchiger Stimme.

»Aber wofür denn?«

»Du hast mir das Gefühl gegeben, nicht schlecht zu sein. Das bedeutet mir heute Nacht sehr viel.«

»Aber du bist nicht schlecht«, flüsterte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du doch nicht. Nie und nimmer.«

Sie schloss die Augen, hielt sich an ihm fest und spürte, wie sich ihre Seele mit ihm verband, bis sie das Gefühl hatte, ihn nicht mehr verlassen zu können. Nicht nur in dieser Nacht, sondern … auch dann nicht, wenn sie bald ihr Schicksal ereilte.

»Hast du schon gegessen?«, fragte er nach einer Weile.

»Genau genommen … nein.« Ihr Magen knurrte. »Und ich bin hungrig.«

»Gehen wir runter. Mein Bruder hat gekocht – nehme ich zumindest an. Das macht er immer, wenn ich Migräne habe.«

Selena löste sich von ihm und beugte sich zurück …

Ohne Vorwarnung versagten ihre Wirbel den Dienst, und ihr Rückgrat versteifte sich. Trez hingegen erhob sich problemlos und hielt ihr die Hand hin, doch Selena konnte sie nur anstarren.

Als sich Verwunderung auf seinem Gesicht abzeichnete, beschloss sie, seine Hilfe anzunehmen. Im Moment war sie nicht in der Lage, sich aus eigener Kraft aufzurichten.

»Bitte langsam«, sagte sie verdrossen.

Trez runzelte die Stirn, zog sie aber ganz sanft auf die Füße. »Alles in Ordnung?«

Sie erkaufte sich etwas Zeit, indem sie ihre Robe festband. Doch ihre Gelenke schmerzten, besonders Hüfte und Rücken.

Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab und versuchte, ihre Furcht zu unterdrücken. So hatte es bei ihren Schwestern auch angefangen. Genau auf diese Weise.

»Sollen wir?«, fragte sie entschlossen.

Trez musterte sie skeptisch. Doch dann zuckte er die Achseln. »Klar. Ich zieh mich nur schnell an.«

»Ich warte draußen.«

Allein durch Willenskraft schaffte sie es aus dem Schlafzimmer hinaus auf den Flur, wo sie die Tür hinter sich schloss. Sie war völlig außer Atem …

Unvermittelt bemerkte sie eine gewaltige Verschiebung in ihrem Körper, die nur eines bedeuten konnte: Irgendjemand war in der Triebigkeit.

Die Königin, dachte sie mit einem verwunderten Blick in Richtung der gepanzerten Tür zu den Privatgemächern der Hohen Familie.

Das wäre ein umwälzendes Ereignis.

Sie lehnte sich an die Wand und dachte daran, wie sie Trez die Schultern massiert hatte. Sie wünschte, ihr selbst könnte man auf ähnliche Weise helfen. Doch das war unmöglich. Ihre Krankheit ließ sich nicht kurieren oder aufhalten.

Und niemand konnte vorhersagen, wie lange ihr noch blieb.