13. Kapitel

Als Carrie zu sich kam, lag sie auf einem Sofa in einem hübschen kleinen Salon, den sie nie zuvor gesehen hatte. Sie versuchte sich aufzusetzen.

»Ganz ruhig, Carrie, trink das«, sagte Josh. Er stützte mit einer Hand ihren Kopf und hielt ihr ein Glas an die Lippen, ohne von dem Stuhl aufzustehen, der neben dem Sofa stand.

Carrie nahm einen Schluck und auf Joshs Drängen hin legte sie sich wieder zurück. »Was ist passiert? « hauchte sie. »Wo bin ich überhaupt? « Ihre Augen verengten sich. »Und was tust du hier? «

Josh lächelte. »Ich bin sehr froh, daß es dir besser geht. «

»Mir ist es gutgegangen, bis ich dich gesehen habe«, erklärte sie wenig überzeugend. Sie wünschte sich so sehr, seine Arme um sich zu fühlen Sie hatte den Modesalon gegründet und war erfolgreich, aber in Wirklichkeit verabscheute sie diese Arbeit. Das einzige, wonach sie sich von ganzem Herzen sehnte, war ein Leben mit Josh und den Kindern.

Josh bemerkte den Glanz in ihren Augen. »Du bist keine gute Schauspielerin, ist dir das klar? « fragte er mit seidenweicher Stimme. »Man sieht deinem Gesicht jede Gefühlsregung an. «

»Komm mir bloß nicht zu nahe«, rief sie, als er sich vorbeugte und einen Kuß auf ihren Mundwinkel drückte.

»Ich habe vor, dir noch sehr viel näher zu kommen. Carrie, mein Liebes, ich bin hier, um dir zu sagen, daß ich dich von ganzem Herzen liebe, und ich würde dich ja fragen, ob du mich heiraten willst, wenn mir diese Ehre nicht schon zuteil geworden wäre. «

Sie wollte ihn für alles, was er ihr angetan hatte, bestrafen und wünschte sich, daß er genau solche Höllenqualen durchlitt wie sie in den letzten sechs Wochen. Aber sie konnte ihr Vorhaben nicht in die Tat umsetzten, statt dessen schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.

Josh sah sie erstaunt an und reichte ihr ein Taschentuch. »Ich dachte eigentlich, daß dir das gefallen würde. « Als sie nicht aufhörte zu schluchzen, ergriff er ihre tränennassen Hände und hielt sie fest. »Carrie, es gibt doch keinen anderen, oder? Ich dachte, nein, ich hoffte, als ich dich noch in der Stadt vorfand, daß du geblieben bist, weil... na ja, weil du... «

Sie schniefte. »Ich bin geblieben, weil ich nicht genug Geld hatte, um nach Hause zu kommen. «

Josh lachte schallend, und nach kurzer Zeit fiel Carrie mit ein. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und küßte sie. »Sag mir, daß es keinen anderen gibt«, stammelte er zwischen den Küssen. »Sag’s mir. Gütiger Gott, Carrie, du hast mir so gefehlt. Es war, als hättest du meine Seele mit dir genommen. Wie kann sich nur jemand nach wenigen Tagen so sehr in einen anderen Menschen verlieben? «

Er beugte sich tief über sie und liebkoste mit den Lippen jedes Stückchen Haut, das er erreichen konnte.

»Ich habe mich in eine Fotografie von dir verliebt«, entgegnete sie schlicht.

Die Tür zum Salon öffnete sich. »Ich wollte nur nachsehen, ob... Oh, Entschuldigung«, sagte der Kaufmann und schloß die Tür leise.

Josh strahlte Carrie an. »Wir sollten lieber nach Hause gehen, damit wir beenden können, was wir angefangen haben. «

Carrie setzte sich benommen vor Glück auf. Aber als sie die Hand gegen ihre Stirn preßte, drückte Josh sie zurück in die Kissen und setzte erneut das Glas an ihre Lippen. »Du bist noch sehr schwach«, murmelte er.

Carrie lächelte, seine Stimme klang fast so verzweifelt, als würde sie im Sterben liegen. »Ich bin... « Sie brach ab, als sie den Brief, der auf dem Tisch lag, entdeckte. Plötzlich erinnerte sie sich daran, was sie so aufgeregt hatte... Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, und sie brachte kein Wort mehr heraus.

Josh ergriff stirnrunzelnd den Brief. Nachdem er die bewußtlose Carrie in die Wohnung des Kaufmanns getragen und die Frau des Kaufmanns Riechsalz geholt und es Carrie unter die Nase gehalten hatte, hatte Josh den Brief gelesen. Er konnte beim besten Willen nicht erkennen, was so Schlimmes in dem Brief stand, um Carrie die Sinne zu rauben. Einer ihrer wertvollen, über jeden Vorwurf erhabenen, reichen Brüder hatte seinen Besuch angekündigt, das war alles.

Carrie stürzte den Brandy hinunter und spülte mit Wasser nach. »Wann wird er ankommen? « fragte sie matt.

Joshua überflog den Brief. »Am zwölften Oktober. « Er sah auf. »Das ist morgen. «

Carrie keuchte, als würde sie wieder die Besinnung verlieren, und Josh goß noch etwas Brandy in das Glas und reichte es ihr.

»Betrachte das ganze mal von der guten Seite«, tröstete Josh sie. »Die Kutsche ist seit Jahren nicht mehr rechtzeitig in Eternity eingetroffen, und wir können deinen Bruder sicher nicht so schnell willkommen heißen — frühestens in einer Woche. «

»Wenn mein Bruder Ring sagt, daß er am zwölften Oktober hier ist«, erklärte sie mit dumpfer Stimme, »dann wird er auch am zwölften Oktober ankommen. Und wenn er die Postkutsche hertragen muß, er wird rechtzeitig hier sein. «

»Willst du mir nicht sagen, warum dich sein Besuch so erschreckt, daß dein Gesicht die Farbe von Reispuder annimmt? «

»Und was weißt du über Reispuder? Und da wir schon beim Thema sind, wieso kennst du dich so gut mit Korsetts und anderen Kleidungsstücken aus, die nur Frauen tragen? Außerdem, ich hasse dich dafür, daß du mich sechs Wochen und zwei Tage allein gelassen hast, um dir zu überlegen, ob du mich liebst oder nicht. Wenn ich die Postkutsche nach Maine genommen hätte, könnte ich jetzt schon von Indianern getötet worden sein. Ich könnte... «

Er brachte sie mit einem Kuß zum Schweigen. »Du wirst mich nicht mit diesem Streit ablenken. Was hat dich am Brief deines Bruders so erschreckt? «

»Ich sollte dir eigentlich überhaupt nichts von mir erzählen. Du hast ja auch nie über dich gesprochen. « Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ihre Lippen verzogen sich zu einer schmalen Linie.

»Aber du bist nicht jemand, der ein Geheimnis für sich behalten kann, stimmt’s? « erwiderte Josh.

Sie funkelte ihn wütend an. »Soll das heißen, daß ich nicht geheimnisvoll genug bin? «

»Carrie, du machst Ausflüchte. «

Carrie ließ ihre Arme sinken. »Also gut«, sagte sie. »Nicht irgendeiner meiner Brüder kommt hierher, sondern Ring, mein ältester Bruder. Er ist vollkommen und hat keinen einzigen Fehler. «

Josh sah sie verständnislos an. »Soweit ich es verstanden habe, hältst du all deine Brüder für makellos und wunderbar. «

Carrie holte tief Luft. Wie konnte sie Ring beschreiben? »Ring ist der einzige, der wirklich vollkommen ist. Die ändern, na ja, jeder von ihnen hat kleine Fehler. « Josh hob in gespieltem Unglauben eine Augenbraue, und Carrie schnitt eine Grimasse. Er beruhigte sie mit Zärtlichkeiten und setzte sich danach in den Sessel, damit sie fortfahren konnte.

»Ring würde nie lügen oder betrügen, und niemand kann von ihm behaupten, er hätte überhaupt eine menschliche Schwäche. Er kann alles besser als jeder andere. Das einzige, was man zu seinen Ungunsten anführen kann, ist, daß er der häßlichste meiner Brüder ist. « Carrie lächelte. »Ring ist übermenschlich. «

Josh verdrehte die Augen. »Und warum macht es dich so unglücklich, daß dieser engelsgleiche Mann seinen Besuch angekündigt hat? «

Carrie bedeckte wieder ihr Gesicht mit den Händen. »Ich weiß selbst nicht. Er ist sicher nicht mit dem, was ich getan habe, einverstanden. Wenn Mutter ihm erzählt hat, wie ich mir Vaters Unterschrift auf der Heiratserlaubnis erschlichen habe, ist er bestimmt außer sich. « Sie schniefte in Joshs Taschentuch, ehe sie beichtete, wie sie die Heiratsdokumente in einen Stapel Geschäftspapiere geschmuggelt hatte, um die Unterschrift ihres Vaters zu erhalten.

Josh war bestürzt. »Und als du deinen Eltern alles gestanden hast, haben sie die Papiere nicht vernichtet und dich in deinem Zimmer eingesperrt? «

Carrie schneuzte sich. »O nein, natürlich nicht. Meine Eltern und meine Brüder lassen mir immer meinen Willen. Nur Ring... « Sie schluchzte heftig.

Josh brauchte einen Augenblick, bis er diese Eröffnung verdaut hatte. Das verwöhnte Nesthäkchen bekam also immer, was es wollte. Wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hatte, ganz allein durch den Kontinent in das wilde Colorado zu reisen, um einen Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte und mit dem sie sich noch dazu unter Vorspiegelung falscher Tatsachen verheiratet hatte, zu treffen, dann bekam sie den Segen ihrer Familie. Alles geschah nach dem Willen ihres Lieblings. Und was dabei herauskam, konnte jetzt jeder sehen, dachte Josh. Carrie war aus allem duftend wie eine Rose hervorgegangen. Sie hatte einen Mann und zwei Kinder, die sie mehr liebten als die Sonne und die Luft.

»Warum siehst du mich so merkwürdig an? «

»Ich dachte gerade daran, daß dein Bruder Ring recht hat, wenn er meint, daß alle zu nachsichtig mit dir sind. «

»Oh, du bist abscheulich. Du klingst fast schon wie Ring. Er hat Vater immer wieder gesagt, daß er mich in ein Kloster schicken soll, und wir sind nicht einmal katholisch. «

Josh hustete, um sein Lachen zu kaschieren, aber Carrie ließ sich nicht hinters Licht führen. Sie stand auf und schwor sich, nie wieder ein Wort mit Josh zu sprechen.

Er zog Carrie auf seinen Schoß und überschüttete sie mit Küssen. Zuerst wehrte sie sich, aber sie gab ihren Widerstand rasch auf. »So, mein Liebes, jetzt sag mir, wovor du solche Angst hast«, forderte Josh sie schließlich auf, und als sie nicht sofort antwortete, fügte er hinzu: »Ist es meinetwegen? Du möchtest deinem Bruder nicht eingestehen, daß dein Mann ein armer Farmer ist, der dir nicht einmal... «

»Halt den Mund! « schrie sie ihn an, als sie von seinem Schoß sprang. »Es hängt mir zum Hals raus, immer wieder über Geld zu sprechen. Die ganze Sache hat rein gar nichts mit Geld zu tun. Ich habe selbst genug Geld. «

»Deine Familie hat Geld«, korrigierte er sie grimmig.

»Nur zu deiner Information: Ich habe mir selbst Geld verschafft. « Als sie seinen ungläubigen Blick gewahrte, senkte sie ihre Stimme ein wenig. »Hast du nicht bemerkt, daß sich in dieser Stadt einiges verändert hat, seit du das letzte Mal hier warst? Du brauchst mir gar nicht zu sagen, daß du dich die letzten sechs Wochen nicht in Eternity hast blicken lassen, die ganze Stadt hat darüber gesprochen, daß du und die armen Kinder — die du nebenbei überhaupt nicht verdienst — Einsiedler geworden seid, stimmt’s? Los, antworte! «

»Worauf? Soll ich über die Kinder oder über die Veränderungen in der Stadt sprechen? «

Carrie knirschte mit den Zähnen — er nahm sie nicht ernst. Sie kehrte ihm den Rücken zu und lächelte ihn über die Schulter hinweg überheblich an. »Du hast mich als nutzlose Person bezeichnet, weil ich nicht kochen kann und keinerlei Ehrgeiz habe, putzen und waschen zu lernen. Aber weißt du, was ich wirklich gut kann? «

»Ja«, erwiderte er in einem Tonfall, der Carrie die Schamröte ins Gesicht trieb und sie jeden klaren Gedankens beraubte.

»Ich... kann... «, stammelte sie. »Ich kann Geld machen. «

»Aus Zinn? Oder wendest du irgendein Zaubermittel aus gemahlenen Froschzungen und Spinnenbeinen und solchem Zeug? «

»Nein, es ist ganz einfach. Ich habe es mir mit Arbeit verdient. Wenn du mich noch einmal auslachst, Joshua Greene, dann schwöre ich beim Namen meiner Familie, daß ich nie wieder mit dir schlafen werde. «

Josh lachte nicht. Die Strafe erschien ihm so hart, daß er keine Lust mehr verspürte zu lachen, nicht die geringste Lust.

Carrie nahm wieder Platz und erzählte ihm von der Eröffnung ihres Modesalons. Sie hatte sich in Eternitys entsetzlichem kleinen Hotel einquartiert, nachdem sie die Poststation verlassen hatte, und zwei volle Tage damit verbracht, Briefe zu schreiben. Sie hatte sich an jede Frau in Denver gewandt, die mit einem bedeutenden Mann verheiratet war. Die Bewohner von Eternity