10. Kapitel

Kurz bevor Joshs Bruder und seine Frau am nächsten Tag zum Mittagessen eintrafen, war Carrie so nervös, daß sie zitterte. Sie hatte in der letzten Nacht nur vier Stunden geschlafen, da sie sehr viel Zeit in Eternity verbracht hatte, um alles für das Festmahl zu arrangieren. Josh hatte auf sie gewartet, und als sie heimgekommen war, hatte er ihr klargemacht, wie er darüber dachte, daß sie andere Frauen gebeten hatte, für sie zu kochen. Er schien der Ansicht zu sein, daß eine >richtige< Frau den ganzen Tag an einem heißen Herd verbringen mußte.

Sie hatte ihn keiner Antwort gewürdigt und war ins Bett gegangen. Am Morgen, als die erste Frau mit einer großen Schüssel ins Haus gekommen war, hatte Josh sie geweckt, indem er seine Kinder ermutigt hatte, zu ihr ins Bett zu springen.

Tem und Dallas machten einen riesigen Krawall, und Carrie blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und sich anzuziehen. Dann stöberte sie mit Hilfe der Kinder in ihren Koffern herum. Zu Mittag war der Tisch mit einem Tuch aus feinstem irischen Leinen bedeckt, auf dem französisches Porzellan hübsch angeordnet war. Der Tafelaufsatz bestand aus reinem Silber. Die Schüsseln, die mit Speisen gefüllt waren, die verschiedene Frauen aus Eternity zubereitet hatten, waren ebenfalls aus Silber oder hauchdünnem Porzellan.

»Toll«, schwärmte Dallas — sie konnte sich nicht daran erinnern, je etwas so Wundervolles wie diese Tafel gesehen zu haben.

Um Punkt ein Uhr trafen Hiram und seine Frau in einer, wie Carrie auf Anhieb bemerkte, sehr edlen und teuren Kutsche ein. Hiram war ein großer Mann mit einem enormen Bauch, auf den er sehr stolz zu sein schien. Carrie warf Tem einen verschwörerischen Blick zu und lächelte — die Imitation des Jungen war tatsächlich mehr als nur zutreffend gewesen.

Josh und die Kinder standen bedrückt neben der Tür, aber Carrie bahnte sich nach einem mißbilligendem Schnauben den Weg zur Kutsche, um Hiram und seine Frau zu begrüßen. Als sie näher kam, konnte sie Alice genauer betrachten. Alice war dürr und ziemlich klein, und sicher war sie noch nicht so alt, wie sie aussah. Sie wirkte so erschöpft und schwächlich, daß Carrie sie am liebsten behutsam ins Haus geführt und auf einen Sessel gesetzt hätte, damit sie sich erholen konnte.

Carrie strahlte beide an und streckte die Hand zur Begrüßung aus. Obwohl Josh seinen Bruder als furchteinflößende Person geschildert hatte, empfand Carrie kein bißchen Angst. In ihrem kurzen Leben hatte sie bis jetzt jeder Mensch, dem sie begegnet war, mit Respekt oder sogar liebevoll behandelt. Ihre Familie war die vermögendste von Warbrooke, und niemand hatte es gewagt, sich ihr gegenüber ungebührlich zu benehmen. Außerdem war sie hübsch, großzügig und aufgeschlossen, und bis sie Josh kennengelemt hatte, war ihr Charme niemals ohne Wirkung geblieben.

»Guten Tag«, sagte sie freundlich zu Hiram. »kann ich Ihnen helfen? « bot sie Alice an.

Alice sah Carrie so verschreckt an, als könnte sie gar nicht fassen, daß ihr jemand Beachtung schenkte, aber einen Augenblick später lächelte sie erfreut.

Hiram neigte sich ein Stück nach hinten, um Carrie eindringlich von Kopf bis Fuß zu mustern. Wenn Carrie zu Hause gewesen wäre und ein Seemann sie auf diese unverschämte Weise taxiert hätte, wäre einer ihrer Brüder oder ein Bediensteter losgestürmt, um den Mann niederzuschlagen.

Hiram ignorierte Carries dargebotene Hand und wandte sich an Josh. »So, das ist also die kleine Frau, die du dir hast kommen lassen« sagte er mit einem bösartigen Grinsen. »Ich habe gehört, daß sie in der Küche ungefähr so erfolgreich ist wie du auf den Feldern. Es sieht dir ähnlich, daß du eine nichtsnutzige Frau heiratest. «

Nach diesen Worten rauschte Hiram, ohne die Kinder eines Blickes zu würdigen, ins Haus.

»Was soll das heißen? « begann Carrie und lief ihm nach. Keine Menschenseele konnte es sich erlauben, so von ihr zu sprechen.

Josh hielt sie am Arm zurück. »Bitte nicht«, flehte er sie an. »Er geht in genau zwei Stunden und zwanzig Minuten wieder nach Hause, und ich glaube, es ist nicht zuviel verlangt, ihn so lange zu ertragen. «

»Ich bezweifle, daß ich das kann«, sagte Carrie.

»Jemand, der so viel Geld hat wie du, ist auch nicht dazu gezwungen«, versetzte Josh. »Du wirst nie verstehen, was wir armen Leute alles auf uns nehmen müssen, um zu überleben. «

Jetzt hatten beide Brüder sie beleidigt. Sie bedachte ihren Mann mit einem hochmütigen Blick und ging ins Haus.

»Hat deine reiche Frau das alles mitgebracht? « hörte sie Hiram fragen. Er schielte über seinen dicken Bauch auf den Tisch, mit dem sie sich solche Mühe gegeben hatte. »Gib Acht, daß sie nicht alles wieder mitnimmt, wenn sie dich verläßt«, empfahl er Josh und lachte schallend über seinen eigenen Witz.

Als Carrie ihm eine passende Antwort geben wollte, sah Josh sie flehentlich an. »Wenn er uns von der Farm jagt, kaufst du uns dann eine andere? « flüsterte Josh so spöttisch, daß sie lieber den Mund hielt. In diesem Augenblick wußte sie nicht, welchen von beiden sie mehr verabscheute.

Carrie war entschlossen, den ekelhaften Mann ganze zwei Stunden und zwanzig Minuten zu erdulden. Schließlich und endlich würde sie morgen abreisen und diese Familie vermutlich nie Wiedersehen, und es ging sie im Grunde überhaupt nichts an, was in Joshs Haus geschah. Wenn Josh die Beleidigungen dieses Mannes schweigend über sich ergehen lassen wollte, dann war es seine Sache.

Und Hiram erniedrigte die Familie nach Kräften. Er mokierte sich über die mangelnde Erziehung der Kinder und erklärte nach einem kurzen Blick auf Tems kleine Hände, daß er niemals zu einer anständigen Arbeit taugen würde. Als er selbst in Tems Alter gewesen sei, behauptete er, hätte er eine große Farm ganz allein verwaltet. Er schalt den Jungen wegen seines Ausflugs auf den Berg aus und machte ihm klar, daß er große Schande über die Familie Greene gebracht und ihren guten Namen besudelt hätte. Danach entrüstete er sich über die kleine Dallas, die seiner Meinung nach ein ungebildetes Gör war.

Nachdem er die Kinder genügend kritisiert hatte, machte er sich über Joshs Felder lustig und verkündete mit einem gewissen Stolz, daß er immer schon überzeugt gewesen sei, daß Josh zu nichts fähig und immer — besonders als Farmer — zum Scheitern verurteilt sei.

Erst als Hiram auf Joshs Vergangenheit zu sprechen kam, spitzte Carrie wieder die Ohren. Sie schloß aus Hirams rätselhaften Schimpftiraden, daß Josh etwas Gräßliches getan und dabei all sein Geld verloren hatte. Hiram sprach davon, daß Josh >auf der Flucht< gewesen sei, und Carrie warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu, aber Josh starrte schweigend auf seinen Teller.

Was kann Josh Schlimmes angestellt haben? überlegte sie. Alles, was Hiram gesagt hatte, deutete darauf hin, daß Josh einmal wohlhabend gewesen war, aber jeden Cent verloren hatte.

Wer hatte ihm alles genommen? fragte sich Carrie. Die Behörden? Hatte sich Josh sein Vermögen auf schändliche Art und Weise angeeignet und war dabei ertappt worden?

Als Hiram zu Josh nichts mehr einfiel, widmete er seine ganze Bosheit seiner armen Frau. Er erzählte lautstark, was Alice in dieser Woche alles falsch gemacht hatte. Er berichtete von Flecken auf seiner Kleidung, die sie nicht hatte entfernen können, weil sie so ungeschickt sei, und von ungenießbarem Essen, das sie zu lange oder zu kurz auf dem Herd hatte stehen lassen. Er erwähnte sogar die Spinnweben, die angeblich bei ihm zu Hause von der Decke hingen.

Carrie schielte auf ihre Uhr, die sie an ihrem Ausschnitt festgesteckt hatte. Eine Stunde war vergangen, und sie fand es beinahe bewundernswert, daß sich eine einzelne Person so lange damit beschäftigen konnte, andere niederzumachen und zu verletzen.

Endlich machte Hiram eine Pause. Obwohl er ohne Punkt und Komma geredet hatte, hatte er enorme Mengen von den Speisen, die auf dem Tisch standen, verschlungen. Er betrachtete Carrie eingehend.

Carrie war sich bewußt, daß sich alle anderen anwesenden Personen still verhielten und ohne sich zu wehren das Gift, das Hiram verspritzte, schluckten. Aber sie senkte nicht den Blick, als Hiram ihr seine Aufmerksamkeit widmete. Geld, dachte sie. Sein Geld verleiht ihm diese Macht. Er besaß eine Farm, und auch das Land, das Josh bestellte, gehörte ihm. Er konnte seinen Bruder und die Kinder fortjagen und ihnen das Dach über dem Kopf nehmen, und deshalb meinte er, das Recht zu haben, sie zu schikanieren.

Aber Carrie wußte über Geld Bescheid. Unzählige Male hatte sie schon die Erfahrung gemacht, welche Macht einem ein Vermögen verlieh, aber in ihrer Familie wurde nie über Geld gesprochen. Dem Himmel sei Dank dafür, dachte sie, daß in meiner Familie niemand so niederträchtig ist, sich besondere Privilegien zu erkaufen. Geld zu besitzen war noch lange kein Freibrief, zu schalten und zu walten, wie man wollte.

Hiram hatte seine Begutachtung noch nicht beendet und sah Carrie immer noch mit einem kalten Blick an, dann wandte er sich mit einem gemeinen Lächeln an Josh. »Ich kann verstehen, daß du auf sie reingefallen bist«, sagte er mit ekelhaft lüsterner Stimme.

Hiram taxierte Carrie noch einmal, um zu ergründen, was sie ihm erwidern würde.

Als Carrie ihm ein honigsüßes Lächeln schenkte, grinste er selbstzufrieden.

Diese widerwärtige Grimasse brachte das zustande, was seine Worte nicht vermocht hatten. Carrie verlor die Geduld. Sie konnte mit seinen Beleidigungen fertig werden, aber dieses Grinsen war zuviel — offensichtlich war er der Meinung, daß es noch eine Person an diesem Tisch gab, die er einschüchtern und verunglimpfen konnte. Aber er hatte sich getäuscht.

»Noch etwas Mais, Bruder Hiram? « fragte Carrie mit einem bezaubernden Lächeln.

»Ich bin so frei. Das ist doch hoffentlich nicht der Mais, den mein kleiner Bruder angepflanzt hat? Für meinen Geschmack hat der nämlich zu viele Würmer. «

Carrie hob die Silberschüssel hoch und bot ihm etwas an, und als er danach faßte, leckte er sich wollüstig die Lippen und sagte: »Als Hausfrau mögen Sie ja eine Versagerin sein, aber Sie haben sicher eine besondere Begabung als Frau. « Carrie sah ihm noch immer lächelnd in die Augen und schüttete die Maiskolben auf seinen Schoß. Plötzlich lastete entsetztes Schweigen über dem Tisch, aber Carrie konnte sich nicht mehr zurückhalten. Sie nahm die Schüssel mit dem Rahmspinat und leerte sie über Hirams Kopf aus, schleuderte ihm den Krautsalat ins Gesicht und warf ihm den fetten Schinken an die Brust. Als sie zu dem Fleischmesser griff, hielt Josh ihr Handgelenk fest.

»Er hat kein Recht... «, begann Carrie.

Joshs Griff wurde fester. »Du hast ja keine Ahnung«, sagte er.

»Und kein Mensch hat es für nötig befunden, mir irgend etwas zu erklären«, rief sie und stürmte aus dem Haus. Das alles ging sie offenbar überhaupt nichts an. Daß sie mit Josh verheiratet war und die Kinder aus tiefstem Herzen liebte, schien nicht die geringste Bedeutung zu haben.

Sie rannte, bis sie auf die Straße kam, und lief immer weiter — am liebsten wäre sie bis nach Maine so gerannt. Ihre Lungen brannten, und ihre Beine wurden schwer, und als sie keine Kraft mehr hatte, ging sie Fluß und setzte sich ans Ufer. Sie war noch nicht einmal richtig zu Atem gekommen, als ihr die Tränen über das Gesicht strömten.

Sie zog die Knie bis zu ihrem Kinn herauf, verbarg das Gesicht in den Falten ihres Kleides und weinte lange. Sie hatte sich so sehr bemüht, und sie hatte vollkommen versagt.

»Hier«, sagte eine Stimme neben ihr, und jemand hielt ihr ein Taschentuch hin.

Sie hob den Kopf und sah durch den Tränenschleier, daß Josh neben ihr saß. »Geh weg. Ich hasse dich. Ich hasse euch alle. Ich wünschte, ich könnte schon heute abreisen und müßte nicht bis morgen warten. Ich bin froh, wenn ich euch alle nie wiedersehe. «

Ohne auf ihre flammende Rede einzugehen, reichte er ihr eine Flasche. »Das ist guter schottischer Maltwhisky — meine letzte Flasche. «

Carrie nahm die Flasche und trank einen herzhaften Schluck, dann setzte sie nur kurz ab und trank noch einmal, ehe Josh ihr die Flasche aus der Hand nahm.

»Mein Bruder... «, begann er.

Carrie wartete. Der Whisky hatte seine Wirkung getan, sie fühlte sich ein wenig benommen und entspannt. Sie stützte sich auf die Hände und betrachtete den Fluß. Als Josh weiterhin schwieg, lachte sie spitz. »Ich wußte gleich, daß du mir nichts erzählen würdest. Du kannst deine Geheimnisse nicht mit mir teilen. « Sie musterte ihn von der Seite. »Du siehst deinem Bruder kein bißchen ähnlich. «

»Wir sind keine Blutsverwandten. Meine Mutter hat seinen Vater geheiratet, als ich zehn Jahre alt war, und Hiram war schon erwachsen. «

»War sein Vater auch so wie er? «

»Nein. « Josh trank einen großen Schluck aus der Flasche. »Ich glaube, mein Stiefvater hatte ein wenig Angst vor Hiram. «

Carrie kicherte. »Das kann ich ihm nachfühlen. War er schon immer so? « Sie deutete mit einer vagen Geste in Richtung Haus, das Meilen weit entfernt war.

Josh nahm noch einen Schluck und reichte Carrie die Flasche. »Männer, die wie Hiram sind, werden so geboren. Ich glaube, er war schon bei seiner Geburt überzeugt, daß er auf dem richtigen Weg ist und die Pflicht hat, dem Rest der Menschheit klarzumachen, wie man sein Leben zu fuhren hat. «

»Warum lebst du hier, auf seinem Besitz? «

Josh gab keine Antwort.

Carrie setzte die Flasche an und trank. »Ich bitte um Vergebung. Ich weiß, das ist eine der Fragen, die ich nicht stellen darf. Momentan hatte ich ganz vergessen, daß ich kein Mitglied der Greene-Familie bin, sondern nur ein hohlköpfiges kleines Mädchen, das gar kein Recht hat, sich hier aufzuhalten. « Sie stand auf. »Entschuldige mich bitte, ich gehe jetzt zum Haus zurück. «

Josh hielt sie am Rock fest. »Carrie, ich hätte dir ja alles erzählt, aber... «

Sie sah auf ihn nieder. »Aber was? «

»Du würdest mich verabscheuen, wenn du alles wüßtest. «

Das war nicht das, was sie erwartet hatte.

Er ließ sie los und starrte auf den Fluß. »Ich habe einige Dinge getan, auf die ich ganz und gar nicht stolz bin, und mein Leben selbst zerstört. Die Kinder sind das einzig Gute, was ich zustande gebracht habe. «

Carrie erinnerte sich an Hirams Anspielungen. Hatte Josh etwas Kriminelles getan? Vielleicht hatte man ihm die Haft erlassen, wenn er sich unter die Obhut seines Bruders begab und sich um seine Kinder kümmerte.

Sie setzte sich wieder neben ihn, viel näher als vorher, und nahm noch einen Schluck aus der Flasche, ehe sie flüsterte: »Laß mich hierbleiben. «

»Nichts wäre mir lieber, als dich bei mir zu behalten, aber das darf ich nicht. Dies ist kein Leben für dich. Niemand kann so leben, und ich kann mich nicht weiter von dir aushalten lassen. «

Sie nickte, nicht weil sie ihm zustimmte, sondern weil sie diese Aussage akzeptierte. »Josh«, hauchte sie mit tränenerstickter Stimme. »Das ist mein letzter Tag bei euch. «

Als er sich ihr zuwandte, redete er sich im stillen ein, daß er aufatmen konnte, wenn Carrie weg war, daß sie ihn durcheinandergebracht und für ihn alles nur verschlimmert hatte. Natürlich würden die Kinder ihr nachtrauern, aber sie würden darüber hinwegkommen, und bald könnte die kleine Familie ihr normales Leben wieder aufnehmen. Aber was war normal? Seine miserablen Kochkünste? Seine erbärmliche Farmarbeit? Seine Armut, unter der die Kinder zu leiden hatten?

»O Carrie«, seufzte Josh und zog sie in seine Arme.

Ihre Lippen fanden sich in einem glühenden Kuß, der deutlich verriet, daß sie sich seit ihrem ersten Zusammentreffen nacheinander verzehrten. Das Verlangen war in dem Augenblick aufgekeimt, als Josh Carrie Taille umfaßt hatte, um sie von der Postkutsche zu heben, und es war während ihres täglichen Zusammenlebens gewachsen. Jetzt konnte sich keiner von beiden mehr zurückhalten.

Tag für Tag hatten sie sich beobachtet, jede Bewegung des anderen wahrgenommen, und der kalte Schweiß war ihnen ausgebrochen, wenn sie sich berührt hatten. Und obwohl beide vorgetäuscht hatten den anderen nicht zu mögen, hatten sie, jedesmalwenn sie in einem Raum zusammen waren, gespürt, wie die Luft vibrierte.

Die Kinder hatten genau erfaßt, was mit den Erwachsenen los war, das hatte schon ihre Parodie am gestrigen Abend gezeigt.

Jetzt waren sie allein an diesem Flußufer, und es gab nichts, was sie noch hätte aufhalten können.

Josh hatte Erfahrung darin, wie man einer Frau die Kleider auszog. Carrie hingegen tastete ungeschickt nach Joshs Hemdknöpfen. Aber auch Josh konnte sein Begehren kaum noch ertragen, und als er an Carries Ärmeln zerrte, rissen sie entzwei, und er preßte hungrig seine Lippen auf ihre bloße Haut. Jetzt war er so ungeduldig, daß er sich keine Zeit mehr ließ, die vielen Knöpfe ihres Kleides zu öffnen, sondern es mit einem Ruck aufriß. Als er mit dem Mund Carries Schultern liebkoste und ihr Stöhnen hörte, verschwendete er überhaupt keinen Gedanken mehr an ihre Kleider — jetzt zählten nur noch seine Sehnsucht und sein Verlangen.

Er kämpfte mit dem Reifrock, Seiden- und Baumwollstoffe wurden zu Fetzen, und im Nu lag ein Haufen achtlos weggeschleuderter Kleidungsstücke auf dem Boden, bevor Josh sich selbst von den letzten Barrieren, die sie noch voneinander trennten, befreite.

Als sie beide nackt waren, überwältigte sie die Lust dermaßen, daß sie keine Zeit auf Zärtlichkeiten verschwendeten — auf diesen Augenblick hatten sie lange gewartet, ein Leben lang.

Joshs Mund umschloß ihre Brustwarze, und während er mit den Händen ihre Hüften liebkoste, drang er in sie, so daß Carrie vor Schreck, und Schmerz einen Schrei ausstieß. Aber das quälende Brennen zwischen Ihren Schenkeln hielt nur kurz an. Sie hatte sich zu lange danach verzehrt, daß Josh ihr diesen Schmerz zufügte.

Sie paßte sich mühelos seinem rasenden Rhythmus an und war ebenso leidenschaftlich und feurig wie er, und als sie gemeinsam fühlten, wie sich das drängende Verlangen in einer hellen Explosion, die die Welt aus den Angeln hob, entlud, schrie Carrie vor Lust, und Josh verbarg sein Gesicht an ihrem Hals.

Für einen langen süßen Moment lagen sie sich in den Armen, und dort, wo sich ihre Körper berührten prickelte die Haut, als lägen ihre Nervenenden bloß.

»Ich habe nie... «, murmelte Josh, aber Carrie legte sanft einen Finger auf seinen Mund.

»Sag nichts, was du nicht ernst meinst«, flüsterte sie. »Was immer du auch tust, bitte mich nicht um Verzeihung. «

Er küßte lächelnd ihre Fingerspitzen. »Ich wollte dir nur sagen, daß ich so etwas noch nie erlebt habe. Nie zuvor hatte ich mich selbst so wenig in der Gewalt. Die Liebe ist eine Kunst, aber das war... «

»Ein Bedürfnis? «

»Ein Bedürfnis und mehr. « Er löste sich von ihr, legte sich auf die Seite und schlang den Arm um sie. Er hielt sie fest und strich behutsam über ihr Haar.

»Josh«, hauchte sie, aber er brachte sie mit einem Kuß zum Schweigen.

»Wir müssen zurück«, sagte er schließlich. »Die Kinder sind allein, und wir müssen morgen sehr früh aufstehen, um rechtzeitig... « Er brach ab, als wären ihm die Worte zu schmerzlich.

Sie lag noch ein paar Minuten in seinen Armen, dann stand sie auf und begann, sich anzuziehen. Die Risse in ihren Kleidern waren kaum zu kaschieren, und, sie hatte Mühe, die Stücke zusammenzusetzen. Josh schob ihre Hände zur Seite. »Du erlaubst doch? « fragte er und half ihr so gekonnt wie eine Zofe beim Anziehen, während seine Hände so lange wie möglich auf ihrer Haut lagen.

Als sie den Heimweg antraten, schwiegen beide, aber Josh ergriff behutsam ihre Hand. Zuerst versuchte Carrie, ihn abzuwehren. Wie konnte er nur so wundervolle Dinge mit ihr tun und im nächsten Atemzug andeuten, daß sie morgen weg mußte?

Zu Hause lachten die Kinder über Carries zerfetzte Kleider und die roten Gesichter der Erwachsenen. Sie waren in Hochstimmung, weil Carrie ihrem Onkel Hiram endlich einmal gegeben hatte, was er verdiente. Ausgelassen berichteten sie, daß Hiram in rasender Wut aus dem Haus gestürmt war und auf dem Weg zu seiner Kutsche schreckliche Dinge über Carrie und seinen schwachsinnigen Bruder, der eine so ungezogene Person geheiratet hatte, gesagt hatte. Die kleine Dallas schlang die Arme um Carrie und sagte, daß sie sie sehr liebhätte.

Der Gedanke, morgen dieses Haus verlassen zu müssen, brachte Carrie beinahe um den Verstand, und bevor sie die Fassung verlor, lief sie ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Am liebsten hätte sie den schmerzlichen Abschied sofort hinter sich gebracht, und sie wünschte, sie könnte sofort die Postkutsche besteigen.

Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, ging sie ins Wohnzimmer zurück, wo Tem und Josh das Geschirr vom Mittagessen spülten. »Wir könnten es dir zeigen, Carrie«, schlug Tem hoffnungsvoll vor.

Dallas hatte sich neben Carrie postiert und straffte Ihre schmalen Schultern. »Ich glaube nicht, daß ich das je lernen möchte«, verkündete sie. »Ich möchte keine Farmersfrau werden, sondern eine berühmte Schauspielerin. «

Carrie mußte lachen, und sie hob das Kind auf ihre Arme. »Wenn du eine Schauspielerin wirst, mußt du dich mit vielen gräßlichen Leuten abgeben«, sagte sie, »und du mußt fast die ganze Zeit reisen und wirst von den guten Familien nie akzeptiert. Ich meine, es wäre besser, wenn du einen netten Mann heiratest und Babies bekommst. «

Dallas zog eine Grimasse. »Ich möchte, daß mir die Männer Rosen schenken. «

»Wenn du den richtigen Mann heiratest, dann wird er dir auch Rosen schenken. «

»Falls er sich das leisten kann«, warf Josh grimmig ein, ehe er das Geschirrtuch auf den Tisch schleuderte und aus dem Haus stapfte.

»Was habe ich jetzt wieder gesagt? « Carrie seufzte. Sie hatte gehofft, daß sie sich nach dem heutigen Erlebnis etwas nähergekommen wären, aber Josh schien jetzt noch aufgebrachter zu sein.

Josh tauchte den ganzen Nachmittag nicht mehr auf, und Carrie war mit den Kindern allein. Wenigstens traut er mir zu, daß ich auf sie aufpassen kann, dachte sie bitter. Er scheint nicht zu furchten, daß ich das Haus in Brand setze.

Am späten Nachmittag setzte sie sich mit den Kindern auf die Veranda und erzählte ihnen von Maine und ihren Brüdern. Sie hatte eigentlich vor, ihnen zu sagen, daß sie am nächsten Morgen abreisen mußte, aber die Worte kamen ihr nicht über die Lippen.

Eine Stunde nach Sonnenuntergang kam Josh zurück. Er umarmte die Kinder und bat sie, sich zu waschen, damit sie ins Bett gehen konnten.

Carrie stand auf und sah sich niedergeschlagen um, jetzt roch sie den Duft der Rosen. Bei ihrer Ankunft hatte die Umgebung des Hauses nach Pferdemist gestunken. Sie verdrängte den Gedanken an den morgigen Tag und ging ins Haus, aber als die Kinder ihr einen Gutenachtkuß gaben, mußte sie gegen die Tränen ankämpfen.

Dallas kletterte die Leiter hinauf und drehte sich noch einmal zu ihrem Vater um. »Kommst du auch bald ins Bett? «

»Ich schlafe heute nacht nicht bei dir«, entgegnete Josh. »Ich schlafe in dem großen Bett. «

»Mit Carrie? « fragte Dallas.

»Mit Carrie«, bestätigte Josh, als wäre das die normalste Sache der Welt.

Als die Kinder verschwunden waren, drehte er sich zu Carrie um.

»Ich bin nicht sicher... «, murmelte sie, aber sie wußte nicht, wie sie den Satz beenden sollte. Hätte sie ihm sagen sollen, daß sie die Nacht nicht miteinander verbringen sollten, weil ihr dann der Abschied noch schwerer fallen würde? Es war unmöglich, noch mehr Liebe zu dieser Familie zu empfinden, als sie es ohnehin schon tat. Fürchtete sie etwa, daß sie nach einer gemeinsamen Nacht noch mehr Tränen vergießen würde? Auch das erschien ihr kaum wahrscheinlich. Konnte sie hoffen, daß Josh sie nach dieser Nacht nicht fortschicken würde?

Sie sah ihm in die Augen — in dunkle Augen, die glänzten vor Sehnsucht und Verlangen —, und plötzlich konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie breitete die Arme aus und flüsterte: »Josh. «

Er lief auf sie zu, hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.