12. Kapitel
Als sie Englands Boden betraten, spürte Stephen schon den Unterschied in der Atmosphäre. Selbst an der Grenze zu Schottland waren die Leute nicht gewohnt, Menschen aus dem Hochland zu begegnen. Manche gafften unverschämt ihre Kleider an; andere riefen ihnen Schimpfworte nach, weil ihre Gehöfte von Schotten angegriffen worden waren. Alicia ritt mit steifem Rücken und hocherhobenem Kopf. Sie ließ sich von keinem Engländer zu einer Antwort herausfordern. Nur ein einziges Mal zeigte sie eine Reaktion. Stephen hatte am Brunnen eines Bauern angehalten, um ihren Wasservorrat zu ergänzen, und der Bauer rannte ihnen mit einer Heugabel nach. Alicia konnte ihren Mann gerade noch daran hindern, den Bauern zu verprügeln. Noch Stunden danach schimpfte Stephen auf die Dummheit der Engländer. Alicia lächelte. Es war kein Wort darunter, das sie nicht längst selbst gesagt oder gedacht hatte.
Jetzt stritten sie sich wegen einer anderen Sache. Vor zwei Nächten hatte Stephen ihr seinen Plan vorgetragen, wie er einen Freund aus Kindheitstagen zum Narren halten wollte.
»Nein«, sagte sie vielleicht zum hundertsten Male, »mir gefällt er nicht. «
»Es ist eine Fehde«, sagte Stephen geduldig. »Du mußt doch am ehesten begreifen, was eine Fehde ist. «
»Was die MacGregors und die Arraks entzweit, ist echt, in vielen Jahren des Zorns und der Feindseligkeit gewachsen. Sie haben meine Männer getötet und mein Vieh gestohlen. Einige meiner Frauen müssen Bastarde der MacGregors großziehen. « Sie warf ihm einen flehentlichen Blick zu. »Doch was du vorhast, ist eine Kinderei, ein mutwilliges Spiel. Bitte, laß es sein. Ist es denn so wichtig, ob dieser Mann dich wiedererkennt oder nicht? «
Stephen verweigerte ihr darauf die Antwort, zumal sie ihm diese Frage schon so oft gestellt hatte. Er vermochte ihr das mit Hugh nicht zu erklären. Er konnte sich an die Zeit mit Hugh nicht einmal ohne Peinlichkeit oder Schmerz erinnern.
Sie waren gemeinsam an der Tiefland-Grenze im Auftrag König Heinrichs auf Patrouille gewesen, als die Nachricht sie erreichte, König Heinrich habe Stephen zum Gatten der Chefin des MacArran-Klans bestimmt. Hugh wäre fast erstickt vor Lachen. Tagelang tat er nichts anderes, als die gräßlichsten Bilder von Stephens neuer Braut zu entwerfen. Binnen kurzem redete das ganze Lager von der scheußlichen Frau, die Lord Stephen heiraten durfte.
Dieses Prädikat traf Stephen zu jener Zeit besonders schmerzlich, weil er sich verliebt glaubte. Ihr Name war Margaret, kurz Meg genannt. Sie war ein dralles, rosiges und weißblondes Mädchen, die Tochter eines Kaufmanns im Tiefland. Sie hatte große blaue Augen und einen winzigen Mund, der immer kußbereit gespitzt schien. Sie war scheu und still und himmelte Stephen an — oder er glaubte wenigstens, daß es so wäre. Nachts pflegte Stephen sie in seinen Armen zu halten, ihren weißen weichen Körper an seiner Seite zu spüren und sich zugleich seine Zukunft auszumalen, die ihn an eine unförmige Klan Bossin kettete.
Nach einer Reihe schlafloser Nächte spielte er mit dem Gedanken, des Königs Angebot auszuschlagen. Er wollte dafür die Kaufmannstochter heiraten. Sie war nicht reich; doch ihr Vater war wohlhabend, und Stephen hatte einen kleinen Besitz, von dem er eigenes Einkommen bezog. Je mehr er sich die Sache überlegte, um so besser gefiel sie ihm. Er versuchte den Zorn des Königs zu vergessen, wenn er sich gegen seinen Wunsch sperrte.
Doch Hugh war es gewesen, der seine Träume vernichtete. Hugh erzählte Meg von Stephens bevorstehender Heirat, und das arme Kind wußte sich in seiner Verzweiflung nicht anders zu helfen, als sich Hugh an den Hals zu werfen. Hugh zögerte nicht lange und räumte ihr willig einen Platz in seinem Bett ein. So hatte es Meg wenigstens Stephen erzählt.
Stephen war bestürzt, als er seinen Freund zusammen mit dem Mädchen, das er liebte, im Bett ertappte. Doch seltsamerweise hatte sich seine Bestürzung nicht in Zorn verwandelt, und das war ihm Beweis, daß er Meg gar nicht wirklich geliebt hatte. Sie konnte ihn ebenfalls nicht lieben, wenn sie sich so bereitwillig einem anderen hingab. Er dachte lediglich an eine Möglichkeit, Hugh mit seiner eigenen Medizin zu kurieren. Doch dann kam ein Bote von Gavin, daß er Hilfe benötigte, und so blieb ihm keine Zeit mehr, sich zu revanchieren.
Aber nun sah Stephen eine Möglichkeit, das Versäumte nachzuholen. Hugh war immer noch sein Freund. Wenn Stephen unbemerkt in Hughs Haus eindringen und es ebenso unbemerkt wieder verlassen konnte, wäre ihm das Revanche genug. Hugh mochte es nicht gern, wenn Fremde ihm zu dicht auf den Pelz rückten. Er wagte sich selten ohne Leibwächter aus seinem Haus. Ja, dachte Stephen lächelnd, er wollte ihm auf solche Weise seinen schlechten Freundesdienst lohnen.
Sie erreichten kurz vor Sonnenuntergang Sir Hughs Herrensitz. Es war ein hohes Steingebäude mit Gittern vor den Fenstern. Der Hof hinter dem Eingang war mit Leuten erfüllt, die manierlich gingen oder hasteten, weil sie einen Auftrag erledigen mußten. Scharen von Bediensteten, die sich die Zeit mit Tratsch vertrieben, gab es hier nicht.
Stephen und Alicia wurden bereits von Wachen angehalten, als sie das Haus noch gar nicht richtig sahen. Stephen fragte mit seinem rollenden schottischen Akzent, ob sie dem Hausherrn beim Abendbrottisch ein Ständchen bringen dürften. Sie warteten geduldig, bis einer der Wächter Sir Hugh gefragt hatte, ob ihm das genehm sei.
Stephen wußte, daß Hugh sich großer Fertigkeit im Lautenspiel rühmte und keine Gelegenheit ausließ, das Spiel fremder Musikanten kritisch zu werten. Er lächelte, als der Wächter mit der Nachricht wiederkam, sie könnten ihre Pferde in den Stall bringen und anschließend in der Küche essen.
Später, als sie an einem riesigen Eichentisch vor vollen Schüsseln in der Küche saßen, begann Alicia, sich mit Stephens Plan abzufinden. Sie wußte nicht genau, was er vorhatte, und besaß nur eine vage Vorstellung von einem Bubenstreich.
»Was ist Sir Hugh für ein Mann? « erkundigte sie sich, den Mund voll frischgebackenem Brot.
Stephen schnaubte verächtlich. »Hübsch genug, denke ich, wenn du das meinst; obwohl ziemlich klein, dick und sehr dunkel. Und seine Tollpatschigkeit ist eine große Belastung für einen Begleiter, wenn man jeden Moment mit einem Überfall rechnen muß. Er bewegt sich wie eine Schnecke. Ich hatte immer Angst, Sir Hugh würde mir getötet, ehe er seine Augen aufschla-gen oder seine Rüstung anlegen konnte. «
»Verheiratet? «
Er blickte sie scharf an. Er hatte es zwar nie verstanden; aber irgendwie machte Sir Hugh Eindruck auf Frauen.
»Ich möchte, daß du diesmal den Kopf unten behältst«, sagte er fest. »Nur dieses eine Mal möchte ich, daß du versuchst, dich wie eine gehorsame, respektvolle Frau zu benehmen. «
Sie zog eine Braue in die Höhe. »Wann bin ich denn je etwas anderes gewesen? «
»Alicia, ich warne dich! Das ist eine Sache, die nur Hugh und mich etwas angeht. Du hältst dich bitte heraus. «
»Das klingt ja, als hättest du Angst vor ihm! « neckte sie ihn. »Hat er etwas an sich, daß Frauen dazu bringt, sich ihm an den Hals zu werfen? «
Sie hatte das nur scherzhaft gesagt; doch ein Blick auf Stephens Gesicht belehrte sie, daß sie der Wahrheit näher gekommen war, als sie ahnte. Natürlich würde sie sich keinem Mann an den Hals oder gar zu Füßen werfen, obwohl sie sich einiger Positionen entsann, wo sie mit dem Kopf zwischen Stephens Füßen gelegen hatte. Sie lächelte bei dieser Erinnerung.
»Da gibt es nichts zu lachen! « sagte Stephen steif. »Wenn du mir nicht gehorchst, werde ich… «Er unterbrach sich, als einer von Sir Hughs Wachen sich näherte und sagte, Stephen solle nun mit seiner Tafelmusik beginnen.
Die auf Holzböcken errichtete Tafel stand in der großen Halle, und die Mahlzeit hatte bereits begonnen. Stephen stieß Alicia förmlich auf einen Schemel an der entfernten Wand. Sie mußte ein Kichern unterdrücken, weil er sie obendrein noch mit einem finster warnenden Blick bedachte. Sie hoffte, auch sie könnte ihm dieses kindische Spiel einmal heimzahlen.
Stephen nahm die Laute, die man ihm reichte, und setzte sich einige Schritte vom Kopfende der Tafel entfernt auf einen Stuhl. Er spielte recht gut. Seine Stimme war tief und voll, und er trug die Melodie laut genug vor, daß man sie bis in den letzten Winkel der Halle hören konnte.
Sie blickte sich kurz in der Halle um. Der dunkelhaarige Mann, der am Kopfende der Tafel saß, nahm nicht einmal Notiz von dem Sänger. Stephen hatte ihn ihr trefflich beschrieben. Er führte die Speisen so langsam zum Mund, als überlegte er vor jeder Bewegung.
Sie verlor rasch das Interesse daran, einen Mann im Schneckentempo essen zu sehen, lehnte den Kopf an die Steinwand zurück und schloß die Augen. Sie hatte das Empfinden, als spielte Stephen nur für sie. Einmal hob sie kurz die Lider und merkte, daß er sie beobachtete. Sein Blick war für sie so überraschend, als habe er sie mit der Hand berührt. Als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, liefen ihr Wonneschauer über die Haut. Er sang ein gälisches Lied, und es war für sie schon eine angenehme Überraschung, daß er den Text auswendig konnte. Vermutlich hatte ihm Tam das Lied beigebracht. Die süße Musik, die Worte, die von Liebe sprachen, vorgetragen in ihrer eigenen Sprache, ließen sie vergessen, wo sie sich befand - in einer englischen Halle, umgeben von Engländern. Sie glaubte, in Larenston zu sein bei dem Mann, den sie liebte.
Sie lächelte verträumt bei diesem Gedanken, doch während sie noch lächelte, merkte sie, wie der Ton von Stephens Stimme sich veränderte. Sie öffnete rasch die Lider. Er sah zum Kopfende der Tafel, und während sie langsam den Kopf zur Seite drehte, wußte sie, daß Hugh sie beobachtete.
Er war auf eine sehr irdische Art ziemlich hübsch. Dunkle Augen, dunkle Haare und ein Mund, der eigentlich zu groß war für einen Mann und daher Alicias Interesse auf sich zog. Während sie seinen Mund betrachtete — und nur dessen anatomische Ausgefallenheit interessierte sie —, kräuselte Sir Hugh seine Lippen. Sie fragte sich, ob er sich auch beim Liebesakt so bedächtig im Schneckentempo bewegte.
Sie lächelte bei dieser Vorstellung. Das war also Hughs Geheimnis. Natürlich würde Stephen das nicht erkennen können; aber als Frau fand sie diese behutsame Art recht interessant. Sie lächelte abermals bei dem Gedanken, daß sie Stephen ihre Entdeckung mitteilen wollte.
Sie sah zu Stephen hinüber und entdeckte dort ein finsteres Gesicht. Er ist eifersüchtig, dachte sie staunend, und davon war sie mehr angetan als von den heißen Blicken des Hausherrn.
Sie sah an ihrem Rock hinunter und strich mit der Hand darüber hin. Es sollte nicht so sein; doch sie war außerordentlich erfreut, daß Stephen eifersüchtig war. Sie wollte ihm nicht sagen, daß Hugh sie genausowenig interessierte wie… der Gärtner, weil es für sie ein wonniges Gefühl war, sich in dem Bewußtsein zu sonnen, daß er so sehr an ihr hing.
Hugh sagte etwas zu dem Wächter, der hinter ihm stand, und dieser begab sich zu Stephen. Stephen hörte zu, bis der Mann ausgeredet hatte, reichte ihm dann die Laute, durchquerte wütend den Saal, packte Alicia am Arm und zog sie förmlich hinter sich her.
Als sie draußen im Garten standen, den der Mond in ein silbernes Licht tauchte, sagte er mit zusammengepreßten Zähnen: »Du hast dich prächtig amüsiert, wie? «
»Stephen, du tust mir weh! «
»Ich sollte dich schlagen! «
Sie funkelte ihn an. Das ging zu weit! »Die typische Logik eines Mannes. Du warst es doch, der unbedingt hierher wollte! Du hast auf diesem kindischen Spiel bestanden. Und nun möchtest du deine eigene Dummheit und dein kindisches Gehabe damit krönen, daß du mich schlägst? «
Er grub die Finger tief in ihren Arm. »Ich befahl dir, stillzusitzen, dich vor den Blicken der Männer zu bergen; doch du feuertest Hugh mit deinem kleinen verführerischen Lächeln an. Du teiltest ihm dadurch mit, daß er alles haben könne, was er von dir verlangt. «
Ihr Kiefer klappte nach unten. »Das ist das Absurdeste, was ich je von dir gehört habe. «
»Du lügst! Ich habe es selbst gesehen! «
Ihre Augen öffneten sich weit; doch sie sagte mit ruhiger Stimme: »Stephen, was ist nur über dich gekommen? Ich betrachtete den Mann, wie ich mir jeden Mann ansehen würde. Ich war neugierig, denn du hast mir von seiner bedächtiglangsamen Art erzählt; doch dir schien diese Art auf viele Frauen Eindruck zu machen. «
»Wolltest du dich in seinen Harem einreihen? «
»Du bist gemein und beleidigend«, sagte sie schroff, »und tust mir überdies noch weh. «
Er ließ sie dennoch nicht los. »Vielleicht möchtest du, daß der König dich ihm oder Roger Chatworth zum Mann bestimmt!
hätte. Wenn ich den einen im Turnier besiegte, gelingt es mir sicherlich auch bei dem anderen. «
Das war eine so infantile Betrachtungsweise, daß sie nur darüber lachen konnte. »Was für eine Logik! Ich habe nur den Mann angesehen. Wenn ich lächelte, dann deshalb, weil ich an etwas anderes dachte. Ich erinnere dich noch einmal daran, daß ich nie hierherkommen wollte. «
Plötzlich fiel der ganze Zorn von ihm ab. Er drückte sie an sich, daß sie glaubte, er zerbreche ihr alle Knochen. »Ich wünschte mir manchmal, du wärst nicht so verdammt hübsch«, flüsterte er. »Ich habe schon wieder Hunger. Mal sehen, ob in der Küche noch etwas übriggeblieben ist. «
Alicia fühlte sich Stephen besonders nahe, als sie in die Küche zurückgingen. Ihr war, als würde wahre Liebe sie miteinander verbinden, nicht nur die körperliche Leidenschaft. Das Küchenpersonal murrte, als sie sich dort zum zweitenmal sehen ließen; doch Stephen blinzelte der Köchin zu, und Alicia bemerkte, wie die fette Alte unter seinen warmen Blicken dahinschmolz. Sie litt nun ebenfalls unter der Eifersucht und spürte, daß sie keiner anderen Frau auch nur einen Blick auf ihren gutaussehenden Mann gönnte.
Sie standen nebeneinander und verspeisten saftige Apfelpasteten. »Hier wird viel zuviel vergeudet«, sagte Alicia.
Stephen wollte die englische Küche verteidigen; aber dafür war er bereits zu lange in Schottland gewesen. Er hatte bei Kirstys Eltern gewohnt und deren Armut kennengelemt. Selbst in Larenston waren die Leute bescheiden gewesen und hatten immer daran gedacht, daß Nahrungsmittel ein wertvolles Gut waren, das einem jeden Tag ausgehen konnte. »Ja«, sagte er entschieden, »wir könnten etwas davon zu Hause gut gebrauchen. «
Alicia sah voller Wärme zu ihm empor. Sie strich ihm eine Locke am Hals zurecht. Die langen Haare und die tiefgebräunte Haut standen ihm vorzüglich. Sie sah, wie eine junge Küchenhelferin auf Stephens nackte Schenkel starrte. Plötzlich wollte sie hier nicht mehr bleiben. Sie faßte Stephens Hand und sagte: »Wollen wir wieder nach draußen gehen? Ich habe genug von diesen engen Räumen. «
Stephen nickte zustimmend. Er hatte den Blick des Mädchens noch nicht bemerkt. Es war das Unwetter, das kurz darauf mit einem Platzregen hereinbrach, was Stephen zum Verweilen im Herrenhaus bewegte. Alicia wollte unbedingt weiterreiten, da einer Schottin auch die Sintflut wenig ausmache; doch Stephen hatte Angst, sie könne das Lungenfieber bekommen. Sie suchten sich also eine Stelle zum Übernachten.
Der Boden der großen Halle war mit Strohsäcken ausgelegt. Es gab immer Gäste und Bedürftige, die hier übernachteten. Stephen suchte eine Stelle, wo sie für sich sein konnten; aber einen geschützten Platz fand er nicht. Als er dann seine Hand unter ihr Knie schob, zischte sie ihn warnend an. Schließlich gab er seufzend auf. Sie kuschelte sich an ihn und war im nächsten Moment eingeschlafen.
Doch Stephen fand keinen Schlaf. Er hatte zu lange im Freien genächtigt, und nun hatte er Platzangst zwischen den hohen Stein wänden. Selbst Rab knurrte befremdet, weil er sich ruhelos hin-und herwälzte. Und dann fiel ihm wieder Hughs hinterlistiges Verhalten bei der Kaufmannstochter ein. Nein, er wollte seinen Plan so ausführen, wie er ihn sich ursprünglich zurechtgelegt hatte. Trotz Alicias Warnung sollte Hugh erfahren, daß er in seinem Haus gewesen war.
Er schlüpfte leise unter Alicias Plaid hervor, befahl Rab, auf Alicia aufzupassen, und ging zur Osttür der großen Halle.
Als Kinder hatten er und seine Geschwister den Herrensitz der Lascos oft besucht. Eines Tages, als sie noch miteinander spielten, hatten Hugh und er einen Geheimgang entdeckt, der in den Oberstock führte. Sie bibberten förmlich vor Aufregung, als sie die Tür am anderen Ende des Gangs erreichten. Sie hatten sich gewundert, daß die Tür so gut geölt war, und waren in das Zimmer gelangt, wo sie hinter einem schweren Wandvorhang standen. Sie hatten Geräusche gehört, und da war ihre Neugierde größer gewesen als ihre Angst. Hughs Großvater war mit einer blutjungen Magd im Bett gewesen, und er schien eine großartige Nacht mit ihr zu verleben. Doch der Großvater hatte es keineswegs als Spaß aufgefaßt, daß zwei siebenjährige Jungen sein Treiben aus nächster Nähe beobachteten. Heute noch zuckte Stephen zusammen, wenn er an die Tracht Prügel dachte, die er ihnen beiden verabfolgte. Er versprach ihnen noch Schlimmeres, wenn er hören sollte, daß sie das Geheimnis des Geheimgangs jemandem preisgaben. Vor vier Jahren, als der alte Mann starb, weinte Stephen bei dessen Beerdigung. Stephen hoffte, daß er auch noch in diesem Alter junge Mädchen zufriedenzustellen vermochte. Er lachte leise, dankbar, daß Alicia ihm nicht seine Gedanken an den Augen ablesen konnte.
Er schlüpfte in der Vorhalle hinter einen Wandschirm. Dann holte er sein Messer aus der Scheide und löste die Leinenverkleidung hinter der Fensterbank. Er mußte den Arm durch ein dichtes Gewebe aus Spinnenfäden stecken, ehe er den Umriß der Geheimtreppe zu erkennen vermochte. Dann, als er durch die Öffnung gekrochen war, zog er die Verkleidung wieder hinter sich an die Wand.
Seine Füße huschten über die Stufen. Spinnweben wickelten sich um seinen Kopf. Als Hughs Großvater noch lebte, war diese Treppe regelmäßig gesäubert worden. Da Hugh jedoch Junggeselle war, hatte er wohl keine Veranlassung, seine amourösen Abenteuer vor fremden Augen zu verbergen.
Die Tür am Kopfende der Treppe öffnete sich mit einem leisen Knarren. Eine Kerze brannte am Fußende des Bettes. Stephen Schelte über diese außerordentlich glückliche Fügung. Hugh lag schlafend im Bett.
Selbst als Kind wollte er nie unbeaufsichtigt bleiben. Als fünfjähriger wäre er fast von Räubern entführt worden. Er sprach selten darüber, ging seither jedoch nirgendwohin, ohne sich von einem Leibwächter begleiten zu lassen. Wenn er am Morgen erwachte und ein Messer neben sich im Kopfkissen fand, war das eine gelungene Revanche für seine Heimtücke mit Margaret.
Stephen wickelte ein Stück seines Plaids um den Messergriff, heftete die Kokarde der MacArrans daran und ließ das Messer neben Sir Hughs Kopf auf das Kissen liegen. Dann wandte er sich mit einem breiten Grinsen wieder dem Wandteppich zu.
»Packt ihn! « rief Hughs tiefe Stimme hinter ihm.
Vier Männer sprangen aus den Ecken des Zimmers hervor. Er tauchte unter dem ersten hinweg und schmetterte dem zweiten die Faust ins Gesicht. Die beiden Männer taumelten rückwärts, und Stephens Reaktionen waren den anderen beiden Wachen ebenfalls zu schnell. Er war schon an der Geheimtür, als er die Schwertspitze im Nacken fühlte.
»Sehr gut! « sagte Hugh voller Bewunderung. »Ich merke, du hast auch in Schottland nicht vergessen, dich im Kriegshandwerk zu üben. « Hugh zog sein Schwert zurück, damit Stephen sich umdrehen konnte.
Hugh war voll angekleidet. Er drückte sein Schwert gegen Stephens Hals und gab den Wächtern ein Zeichen, sich neben Stephen aufzubauen. Dann nahm er das Messer vom Kopfkissen. »Das Zeichen der MacArran, nicht wahr? « Er wechselte das Messer von der Rechten in die Linke. »Gut, dich wiederzusehen, Stephen. «
Stephen grinste von einem Ohr zum anderen. »Tod und Verdammnis. Wie hast du mich erkannt? «
»Gavin kam vor ein paar Tagen hier vorbei. Er sagte mir, daß er dich zum Fest erwartete. Doch er hatte Gerüchte gehört, daß du in Schottland in Schwierigkeiten geraten seist, und daher machte er sich Sorgen. Er dachte, vielleicht fände er dich bei mir. «
Stephen schüttelte den Kopf. »Verraten vom eigenen Bruder. « Er sah verwundert auf. »Doch selbst dann verstehe ich es nicht. Ich meine, auch wenn du auf mein Erscheinen vorbereitet warst, wie konntest du mich da wiedererkennen? «
Hughs Augen blitzten auf. »Eines der Lieder, die du in der Halle vorgetragen hast — das haben wir doch gemeinsam im Tiefland einstudiert. Wie konntest du nur vergessen, wie lange wir die Akkorde dazu übten? «
»Aber natürlich! « Stephen wußte nun, daß er sich zu sehr auf seine schottische Verkleidung verlassen hatte. »Alicia hat geahnt, daß du mich trotz meiner Verkleidung erkennen würdest. «
»Ich muß gestehen, dein Akzent ist vorzüglich. Doch den darfst du nun beiseite lassen. «
»Akzent? « fragte Stephen, ehrlich verblüfft.
Hugh lachte tief in der Kehle. »Wahrhaftig, Stephen, du bist wirklich zu einem Schotten geworden. Sag mir, wie es dir dort ergangen ist. Hast du tatsächlich diese scheußliche Frau geheiratet? War sie nicht die Chefin eines Klans? Und wer ist dieses reizende Geschöpf, das dich so lüstern ansah, als du auf der Laute spieltest? «
Stephen runzelte die Stirn. »Das ist Alicia«, sagte er barsch.
»Aha. Ein schöner Name. Hast du die in Schottland aufgegabelt? Und wie ist es dir gelungen, deiner Frau zu entfliehen? «
»Alicia ist doch die Chefin des Klans MacArran. Sie ist meine Frau. «
Hugh klappte die Kinnlade herunter: »Soll das heißen, dieser blauäugige Engel ist der Chef eines Klans, und du hattest das Glück, sie heiraten zu dürfen? «
Stephen stand da und funkelte Hugh an. Warum blieb er von Wächtern umringt? »Was geht hier eigentlich vor? « fragte er ruhig.
Hugh lächelte, und seine Augen blitzten schalkhaft. »Gar nichts geht hier vor. Es ist nur ein kleiner Schabernack, wie du ihn mir spielen wolltest. « Er fuhr mit den Fingern über den Messerrücken. »Alicia, soso. « Er hatte sein Schwert gesenkt, doch es blieb noch schlagbereit in seiner Hand. »Weißt du noch, als wir zum erstenmal die Nachricht bekamen, und du geschworen hast, du würdest diese häßliche Dame niemals zur Frau nehmen? Du wolltest diese… diese Elisabeth heiraten, nicht wahr? «
»Margaret«, fauchte Stephen. »Hugh, ich weiß nicht, was du vorhast; aber… «
»Ich habe immer noch dasselbe im Sinn. «
Stephen erinnerte sich nun wieder an den Moment, wo er Hugh mit Margaret im Bett erwischt hatte. »Wenn du Alicia anfaßt, töte ich dich«, sagte er ruhig.
Hugh blinzelte ihn überrascht an: »Das klingt ja, als wäre es dein Ernst! «
»Es ist mein Ernst. «
Hugh lächelte. »Aber wir sind doch Freunde. Wir haben uns schon öfter Frauen geteilt. «
»Alicia ist meine Ehefrau! « rief Stephen, ehe er sich auf Hugh stürzte.
Alle vier Wächter fielen gleichzeitig über Stephen her, konnten ihn jedoch nicht zurückhalten. Hugh wich ihm aus, so rasch er konnte, und trotzdem fuhr Stephen ihm an die Kehle. Erst als die Kammertür aufflog und drei weitere Wächter ins Zimmer kamen, vermochten sie Stephen zu überwältigen.
»Bringt ihn ins Turmzimmer! « befahl Hugh mit einem bewundernden Blick auf seinen Freund, der so stark war, daß sieben Männer kaum hinreichten, ihn festzuhalten.
»Mach das nicht! « warnte Stephen ihn, als sie ihn schon aus dem Zimmer zerrten.
»Ich werde ihr keine Gewalt antun, wenn du das meinst«, rief Hugh ihm lachend nach. »Ich will sie nur einen vollen Tag für mich haben; und wenn ich sie bis dahin nicht erobere, hast du eine wahrhaft treue Ehefrau. «
»Tod und Verdammnis über dich«, fluchte Stephen und versuchte sich noch einmal auf seinen Freund zu stürzen.
Alicia stand vor dem hohen Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie hatte über eine Stunde gebraucht, sich in englische Mode umzukleiden. Rock und Ärmel waren aus schimmerndem orangefarbenem Brokat. Ein leichter Mantel aus Hermelin lag über ihren Schultern. Vorne war der Rock geteilt und zeigte einen Einsatz aus zimtfarbenem Samt. Der rechteckige Halsausschnitt enthüllte ihre runden festen Brüste.
»Ihr seht wunderhübsch aus, Mylady«, sagte die schüchterne kleine Zofe hinter ihr. »Sir Hugh hatte noch nie so eine schöne Frau zu Besuch. «
Alicia sah die Zofe an und wollte etwas sagen. Heute morgen hatte Alicia große Mühe gehabt, Sir Hugh vor einem Angriff ihres Wolfshundes zu beschützen. Rab schien ein großes Mißfallen an diesem Engländer zu finden.
Sir Hugh war zu ihrem Strohsack gekommen und hatte eine langatmige Erklärung abgegeben, ehe sie ihm nur eine Frage stellen konnte.
Stephen sei zu dem Herrensitz eines Freundes geritten. Er wollte ihn in seinem Auftrag mit seinem Besuch beehren. Und dann hatte er sie sehr zuversichtlich angelächelt.
Sie hatte ihn mit Fragen überschüttet. Warum hatte sich Stephen nicht von ihr verabschiedet? Weshalb? Und dann war er offenbar, nach einigem Gestottere, auf eine neue Idee gekommen. Es sollte eine Überraschung sein. Stephen hatte verlangt, daß Hugh einen Tag allein mit ihr verbringen möchte.
Und da hatte Alicia den Mund über einer neuen Frage verschlossen. Es war vorläufig wohl besser, wenn sie so tat, als glaubte sie der offensichtlich falschen Erklärung dieses englischen Ritters. Sie lächelte süß auf den Edelmann herunter, der mindestens zwei Zoll kleiner war als sie. »Eine Überraschung! « sagte sie mit, wie sie hoffte, aufgeregter Mädchenstimme. »Oh, was denkt Ihr, könnte das sein? «
Hugh lächelte wohlwollend. »Das müssen wir eben abwarten, weil es ja sonst keine Überraschung mehr wäre. Doch bis zu seiner Rückkehr werde ich für Eure Zerstreuung sorgen. Pavillons werden gerade für Euch errichtet, und ein Freudenfeuer vorbereitet. «
»Oh! Wie nett von Euch! « rief sie mit kindlicher Begeisterung und sorgte zugleich mit einer Handbewegung dafür, daß Rab dem Ritter nicht an die Gurgel sprang.
Hugh begleitete sie anschließend in das geheizte Zimmer hinauf, wo das Brokatkleid bereits für seinen Gast bereitgelegt War. Alicia bemerkte, daß eine Näherin die ganze Nacht daran gearbeitet haben mußte, den Saum herauszulassen und die Taille enger zu schneidern. Hugh schenkte ihr noch ein bedächtiges verführerisches Lächeln, ehe er das Zimmer verließ, und sie war versucht, es mit einem dieser mädchenhaft-schmachtenden Blicken zu beantworten, die er offenbar von ihr erwartete.
Als sie allein war, eilte sie zum Fenster. Zimmerleute arbeiteten unten hastig an einer Plattform. Sechs Feuerstellen loderten bereits, und in einem mächtigen Kohlebecken wurde die Glut unter einer ausgespannten Plane angefacht. Sie furchte die Stirn. Weshalb, in aller Welt, plante der Engländer mitten im Dezember eine Belustigung unter freiem Himmel? Gestern abend noch hatte sich der Regen in Schnee verwandelt, und sie kannte doch die Wetterfühligkeit der Engländer nur zu gut. Sie scheuten Kälte und Regen wie die Pest.
Die Zofe kam und half ihr beim Ankleiden, war jedoch wenig auskunftfreudig. Ja, Sir Hugh war die ganze Nacht über aufgeblieben, um die Festlichkeiten des Tages vorzubereiten. Alicia überlegte, ob sie sich nicht übertriebene Sorgen machte. Vielleicht war Stephen tatsächlich fortgerufen worden, und sein Freund wollte nur die Ehefrau eines ehemaligen Waffenbruders ehren.
Ehe sie sich eine endgültige Meinung bilden konnte, stand Sir Hugh schon wieder unter ihrer Tür. Er betrachtete sie ergriffen, und sein Blick wanderte langsam an ihr auf und ab. »Ihr seht herrlich aus«, flüsterte er. »Stephen ist ein vom Glück gesegneter Mann. «
Sie bedankte sich und nahm den Arm, den er ihr reichte. Nebeneinander schritten sie die Treppe hinunter.
»Ihr müßt mir alles von Eurem Klan erzählen«, sagte er, ihren Mund betrachtend. »Ich kann mir vorstellen, daß Ihr froh wart, einen Engländer zum Gatten zu bekommen. Vielleicht lernt Ihr. eines Tages König Heinrich kennen und könnt Euch bei ihm dafür bedanken. «
Alicia mußte sich gewaltig zusammennehmen, um diesem Mann nicht mit einer Zurechtweisung das Fest zu verderben. Sie hatte gedacht, Stephens Eitelkeit wäre schon die Grenze des Zumutbaren gewesen, doch dieser Mann übertraf ihn noch bei weitem. Sie hätte nie geglaubt, daß ein Mann sich zu solchen Überheblichkeiten versteigen könnte. »Oh, ja«, sagte sie, jedoch mit züchtiger Stimme, »Stephen war sehr gütig zu mir, und wir haben eine Menge von ihm gelernt. « Sie erstickte fast an ihrem inneren Lachen, als sie daran dachte, was Stephen gelernt hatte, jedoch nicht ihre Männer.
»Natürlich«, erwiderte Sir Hugh mit herablassendem Lächeln, »sind wir Engländer überlegene Kämpfer, und da können uns die Schotten so manches abschauen. « Er hielt inne. »Ich muß mich entschuldigen. Ich hatte nicht vor, von Waffen zu sprechen. Schließlich seid Ihr doch — wie heißt es gleich wieder? — der Laird eines Klans. «
Er sprach es aus, als würfe er einem Bettler ein Almosen zu. Sie wagte nicht, ihm eine Antwort darauf zu geben, weil sie sonst Rab diesen gespreizten Pfau als Beute freigegeben hätte. »Oh, seht nur! « rief sie freudig erregt, »ist das nicht hübsch? « Sie zeigte auf den mit bunten Stoffen verkleideten Pavillon.
Hugh blieb stehen, sah kurz an den Mauern seines Hauses empor, nahm ihre Hand und küßte sie. »Nichts ist zu gut für Euch, nichts für Euch zu schön. «
Sie beobachtete ihn mit kühler Neugierde. Als sie ihn zum erstenmal betrachtet hatte, fand sie seine bedächtiglangsamen Bewegungen und seinen großen Mund interessant. Doch nun fand sie beides herzlich langweilig. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen glaubte er, sie fände Gefallen daran, wenn er ihre Hand küßte.
Sie bot all ihre Selbstbeherrschung auf, um sich seiner Berührung nicht zu entziehen. Hielten alle Männer sich für so unwiderstehlich? Ihr kam plötzlich der Gedanke, wie wenig Erfahrung sie mit Männern hatte. Die Männer ihres Klans hatten nie gewagt, sie anzufassen, vermutlich aus Angst vor dem Zorn ihres Vaters. In England hatte sie nur mit Roger Chatworth einige Zeit allein verbracht, der mit ihr nicht geflirtet, sondern über Schottland geredet hatte. Stephen war der einzige Mann, mit dem sie intim geworden war, und wohl der einzige, auf den sie mit ihrem Körper reagierte. Jedenfalls erreichte Hugh Lasco bei jeder Berührung das genaue Gegenteil.
Er führte sie zu einem vergoldeten Sessel unter dem Dachhimmel des Pavillons. Mit jedem Moment wurde sie mißtrauischer. Was sollte diese Unterhaltung im Freien bedeuten? Die Akrobaten und Tänzerinnen, die nun auftraten, hatten alle blaugefrorene Schultern. Ein Knappe schlug vor, den Pavillon zu drehen, weil er dann besser vor dem kalten Wind geschützt sei. Doch Sir Hugh gab ihm darauf wütend zur Antwort, er bliebe dort stehen, wo er nun stünde.
»Ihr müßt mich eine Weile entschuldigen, Sir Hugh«, sagte sie mit ihrer süßesten Stimme. Sie mußte sich im Haus Umsehen. Vielleicht war Stephen gar nicht fortgeritten.
»Oh, Ihr könnt mich jetzt doch nicht verlassen! Ich werde noch ein Becken aufstellen lassen, wenn es Euch zu kalt wird! «
»Mir ist nicht kalt«, sagte sie wahrheitsgemäß, während sie bei der Betrachtung von Sir Hughs blaugefrorener Nase um ein Haar in ein Gelächter ausgebrochen wäre. »Ich wollte nur… « Sie blickte in schüchterner Verwirrung auf ihre Hände nieder.
»Aber natürlich! « sagte er verlegen. »Ich werde Euch einen Wächter beigesellen… «
»Nein! Ich habe Rab als Wächter, und ich denke, ich finde schon allein meinen Weg. «
»Euer Wunsch ist mir Befehl«, sagte er lächelnd und küßte abermals ihre Hand.
Alicia zwang sich, gemessenen Schritts ins Haus zu gehen. Sie durfte Sir Hughs Mißtrauen nicht erregen. Kaum war sie im Haus angelangt, sagte sie: »Rab, such Stephen! «
Rab raste erfreut die Treppe hinauf. Den ganzen Morgen schon wollte er seiner Herrin mitteilen, daß er im Haus etwas zu erledigen hatte.
Sie konnte Rab kaum folgen, als er drei Treppen hinaufstürmte und dann zu dem vergitterten Fenster in einer schweren Eichentür hochsprang.
»Rab! « kam Stephens Stimme von innen, als der Hund zweimal bellte.
»Setz dich! « befahl Alicia. »Stephen, bist du verletzt? Warum wirst du hier gefangengehalten? «
Er nahm ihre Hand in seine und betrachtete sie kalt. »Ist das die Hand, die du dir dauernd von Hugh küssen läßt? «
»Jetzt ist nicht die Zeit für eifersüchtige Vorwürfe«, gab sie zurück. »Warum wirst du gefangengehalten? Und was soll dieses alberne Fest im Freien? «
»Albern? « erwiderte er und schob ihre Hand fort. »Ich hatte den Eindruck, du hast es genossen! Sag, findest du Hugh auch unwiderstehlich, wie das viele Frauen zu empfinden scheinen? «
Sie starrte ihn an, während sie Rab beruhigend den Kopf tätschelte. Der Hund war nervös, weil sein Herr eingesperrt blieb. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. »Das ist keine ernsthafte Sache, wie? « fragte sie mit bedrohlicher Ruhe. »Das ist eine Art von Spiel, das ihr beiden verabredet habt! «
»Es ist für mich kein Spiel, wenn es um meine Frau geht! « antwortete er wütend.
»Verdammnis über dich, Stephen Montgomery! « zischelte sie. »Ich habe dich angefleht, nicht mit mir hierherzukommen. Jetzt möchte ich erfahren, wie ich dich hier herausholen kann und worum es bei diesem Spiel geht! «
Stephen machte ganz schmale Augen. »Wenn du Hughs Werbung nachgibst und er gewinnt, breche ich dir den Hals! «
Sie begriff allmählich. »Heißt das, ihr habt eine Wette abgeschlossen? «
Als Stephen ihr nicht antworten wollte, sagte sie: »Ich glaube, ich kann es erraten. Hugh ist überzeugt, er kann mich verführen, und du glaubst es ebenfalls. Will es jemals in dein geschwollenes Gehirn, daß ich dabei auch noch etwas zu sagen habe? Glaubst du, ich wäre so hirnverbrannt, jedem Mann, der mich anlächelt und mir die Hand küßt, in sein Bett zu folgen? Du solltest aus eigener Erfahrung wissen, daß er mindestens mein Messer zu spüren bekäme. Und Rab knurrt jedesmal, wenn er auch nur meine Hand nimmt. «
»Was er allerdings alle Augenblicke tut! «
Alicia entdeckte jetzt das zweite Fenster an der entfernten Wand der Zelle. Deshalb hatte sich Sir Hugh geweigert, den Pavillon drehen zu lassen. Er wollte, daß Stephen sie beide zusammen sehen sollte. Die beiden Männer benützten sie für ein Spiel, daß vielleicht Halbwüchsigen noch nachgesehen werden konnte. Doch erwachsene Männer sollten es besser wissen. Wie konnte Stephen an ihrer Treue zweifeln, und dieser Hugh sich einbilden, sie wäre so dumm, seinem Charme zu erliegen?
»Tod und Verdammnis euch beiden! « flüsterte sie wütend, ehe sie sich von der vergitterten Zellentür abwandte.
»Alicia! Komm zu mir zurück! « rief Stephen. »Sag Hugh, daß du sein Spiel durchschaut hast, und bitte ihn um den Schlüssel für diese Tür! «
Sie sah auf ihn zurück und schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Und verzichte auf das Fest, das Sir Hugh eigens für mich die ganze Nacht vorbereitet hat? « Dann lief sie die Treppe hinunter und verschloß ihre Ohren vor den Flüchen, die Stephen ihr nachrief.