8. Kapitel
Erst am späten Nachmittag hielt Stephen wieder vor einem alten Haus aus Stein an. Die Rückseite des Hauses war in einen kleinen Hügel hineingebaut, das Dach mit Grassoden gedeckt. Es begann wieder zu regnen, nachdem Alicias Plaid eben erst trocken geworden war.
Sie hielt ihr Pferd an, stieg jedoch nicht aus dem Sattel. Sie war zu müde für irgendeine Bewegung.
Stephen legte die Hände an ihre Hüften. »Hungrig? « fragte er, ehe er sie vom Pferd zog und in die Hütte trug.
Dort war es angenehm warm von einem Torffeuer. Er setzte sie auf einen Stuhl, der an der Wand lehnte. »Ich kümmere mich um die Pferde«, sagte er.
Sie merkte gar nicht, daß er sie verlassen hatte.
Als er wieder hereinkam, spöttelte er: »Ich dachte, die Schotten wären ein zäher Menschenschlag. « Er lachte, als sie die Augen aufschlug und sich sehr gerade auf den Stuhl setzte. »Schau her, was ich habe. « Er öffnete eine Truhe an der anderen Wand und entnahm ihr einen Topf mit herrlich duftender Brühe, einen Laib dunkles Brot, Fisch, Gemüse und Früchte.
Alicia glaubte, sie träumte nur. Erst als sie den Stuhl an den Tisch rückte und mit der Hand ein geröstetes Stück Schweinefleisch berührte, wußte sie, daß dieser Traum Wirklichkeit war.
Stephen nahm ihr den Teller mit dem Fleisch fort.
»Das kostet alles seinen Preis«, sagte er ruhig.
Sie rückte von ihm fort, ihre Augen hart wie Glas. Sie wollte sich vom Stuhl erheben. Stephen faßte sie bei der Schulter und zog sie wieder nieder. »Hast du keinen Sinn für Humor? «
»Nicht bei Engländern, die meinen Hund ermorden wollen. «
Er zog sie an sich. »Eines muß man dir lassen. Du bleibst dir immer treu. Und was, glaubst du, fordere ich als Preis für diese Mahlzeit? «
»Daß ich und meine Männer dir den Treueid leisten und dir selbst in den Kampf folgen, wenn er gegen unsere eigenen Leute gerichtet ist«, sagte sie tonlos.
»Gütiger Himmel! « rief Stephen. »Für was hältst du mich? Ein Ungeheuer? « Er starrte sie einen Moment an und lächelte dann. »Der Preis, den ich verlange, ist noch viel schrecklicher. Ich will einen Kuß von dir. Einen Kuß, den du freiwillig gibst. Einen Kuß, um den ich nicht kämpfen muß. «
Zunächst wollte ihm Alicia sagen, was er mit seinen Speisen und Küssen machen konnte — auf gälisch natürlich. Sie war sicher, er würde sie trotzdem verstehen. Doch ein Schotte ist praktisch veranlagt. Sie durfte diese Speisen nicht verderben lassen.
»Gut«, flüsterte sie, »ich werde dich küssen. «
Sie beugte sich auf den Knien vor und berührte seine Lippen mit ihren. Er wollte sie packen, doch sie schob seine Arme beiseite. »Mein Kuß! « sagte sie. Stephen lehnte sich lächelnd auf die Ellenbogen zurück.
Ihr Mund spielte mit seinem. Draußen regnete es, und das Geräusch gab ihnen das Gefühl, sie wären ganz allein auf der Welt. Er lag wartend unter ihr. Sie hatte keinen Sinn für Humor, hatte er gesagt. Wollen doch sehen, wieviel Verständnis für Humor du hast, Engländer!
Stephen öffnete kurz die Augen, ehe Alicias Mund sich wieder auf seinen senkte. Diesmal war sie nicht zart und sanft, sondern hungrig und verlangend.
Stephen verlor seine gelassene, überlegene Haltung. Er fiel auf den gestampften Lehmboden. Er faßte Alicia um die Hüften. Doch sie lachte kehlig und schob seine Hände weg.
»Mein Kuß«, sagte sie wieder.
Sie schob eine Hand unter seinen Nacken, die andere legte sie auf sein Knie. Er trug schottische Kleidung, war also nackt unter dem Hemd und dem Plaid. Zoll für Zoll kroch ihre Hand höher, liebkoste ihn an der Innenseite seiner Schenkel, schob sich weiter hinauf. Als sie ihn zwischen den Beinen berührte, flogen seine Augen auf. Im nächsten Moment hatte er Alicia auf den Rücken geworfen und ein Bein über sie gestreckt.
»Nein! « sagte sie wieder und schob ihn von sich. »Ein Kuß war der Preis, den du verlangtest. « Sie atmete so heftig, daß sie kaum sprechen konnte, als wäre sie meilenweit gelaufen.
Stephen kam nicht so rasch zur Besinnung. Er starrte sie an, als müsse er erst sprechen lernen.
Beide Hände abwehrbereit an seiner Brust, sagte Alicia mit nüchterner Stimme: »Du hast mir versprochen, ich könnte essen, wenn ich dir einen Kuß gebe. Ich glaube, das habe ich getan! «
»Alicia! « hauchte Stephen, als läge er im Sterben.
Sie lächelte verschmitzt und rollte ihn von sich weg. »Sag nur ja nicht, ein Schotte würde sein Wort nicht halten! «
Stephen stöhnte: »Ich muß um zwanzig Jahre gealtert sein, seit ich dich kennenlernte. Heute nacht ein Betäubungsmittel, dann dein Klettern an der Steilwand und nun das! Was darf ich mir noch von dir versprechen? Das Rad? Oder ziehst du die Wasserfolter vor? «
Sie lachte ihn an und reichte ihm ein saftiges Stück Schweinefleisch. Sie schmauste bereits mit roten Lippen, die nun von Fett glänzten. »Wie bist du auf dieses Haus gekommen? Wer bereitete das Essen vor? Woher wußtest du, daß ich an der Klippe entlangreiten würde? «
Nun war Stephen an der Reihe, ihr ins Gesicht zu lachen, ehe er in das Fleisch hineinbiß. Er hatte sich noch nicht von ihrer Hand zwischen seinen Beinen erholt. Tam hatte die Vorteile eines Schottenkostüms weit untertrieben.
»Douglas ging zu Tam«, sagte er nach einer Weile und wurde wieder nüchtern. »Ich wünschte, ich konnte deinen Männern beibringen, zu mir zu kommen. Ich erfahre alles erst aus zweiter Hand. «
Alicia hatte beide Hände voll mit Pastetenstücken. Auch ihr Mund war voll davon. »Douglas war nur ein gehorsamer Sohn. «
»Sohn? Wovon redest du überhaupt? «
»Von Douglas. Er ist Tams Sohn. «
»Oh! Ich dachte, Tams Sohn wurde von Engländern erschlagen. «
Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu, während er sich Butter auf eine Scheibe Schwarzbrot strich.
»Es gibt Männer, die mehr als einen Sohn haben. Mein Vater sagte, Tam versuche einen eigenen Klan zu gründen. Er hat ein rundes Dutzend Söhne — hätte es noch, wenn die Engländer nicht… «
Stephen hielt rasch die Hand hoch: »Wie heißen diese Söhne? «
»Douglas, Alex, Jarl und Francis sind die ältesten. Dann kommen ein paar Söhne, die noch zu jung sind zum Kämpfen. Und seine neue Frau wird ihm in diesen Tagen wohl einen neuen Sohn bescheren. «
Stephen lachte in sich hinein. Es waren immer die Stillen im Lande, auf die man besonders achten mußte.
»Du hast vergessen, meine Fragen zu beantworten«, sagte Alicia, die keinen Moment ihre Mahlzeit unterbrach. »Warum hast du mich hierhergebracht? «
»Ich dachte, der lange Ritt würde meinen Zorn etwas abkühlen. Und ich wollte nicht von deinen Männern gestört werden. «
Er warf Alicia einen vernichtenden Blick zu, der sie jedoch nicht beim Essen störte. »Tam versuchte mich zu wecken; doch es gelang ihm nicht. Morag bereitete mir einen Trank zu — ein schreckliches Gebräu, das mich fast umgebracht hätte. Ehe ich noch ganz bei mir war, saßen wir bereits auf unseren Pferden und galoppierten zur Klippe. Wir kamen dort an, als Alex gerade über den Rand der Steilwand gezogen wurde. «
Er legte den Hühnerknochen beiseite, den er eben abgenagt hatte. »Wie kamen deine Männer dazu, dich an der Steilwand hinunterklettern zu lassen! Wie konnten sie das zulassen! «
Sie legte den Gerstenkuchen beiseite, an dem sie knabberte.
»Kannst du das immer noch nicht begreifen? Weil ich die MacArran bin. Ich bin es, die zuläßt oder verbietet. Meine Männer befolgen meine Anweisungen, nicht umgekehrt. «
Stephen stand auf und warf noch etwas Torf ins Feuer. Seine englische Erziehung rebellierte gegen ihre Worte.
»Aber du bist doch nicht so kräftig wie deine Männer. Wenn Alex nun ohnmächtig gewesen wäre? Was dann? «
Sie hatte Geduld mit ihm, weil sie spürte, daß er versuchte, sie zu verstehen: »Ich ging an der Steilwand hinunter, weil ich leicht bin und schlank. Ein Mann hätte auf dem schmalen Sims keinen Platz gefunden. Und sein Gewicht hätte möglicherweise den Stein, auf dem Alex lag, aus der Felswand gerissen. Hätte ich eine bessere Möglichkeit gesehen, Alex zu retten… «
»Verdammt! « unterbrach er sie, »so viele kluge Worte auf einmal von einer Frau kann ich nicht ertragen! «
Sie blinzelte und lächelte dann über seine Offenherzigkeit. »Weißt du denn nicht, daß es gute Anführer gibt, die statt ihrer Muskeln ihren Verstand benützen? «
Er starrte sie an und zog sie dann zu sich heran. »Ich war so wütend«, flüsterte er. »Ich wollte deinen Männern zuerst nicht glauben, als sie mir erzählten, daß du in der Felswand hängst. Ich glaube, ich habe erst Luft geholt, als ich dich lebendig vor mir sah. «
Sie hob den Kopf und betrachtete forschend sein Gesicht. »Wäre ich umgekommen, hätte Tam dir sicherlich einen Teil meiner Ländereien überlassen. «
»Ländereien! « sagte er keuchend und stieß ihren Kopf dann in den Nacken. »Zuweilen bist du doch eine sehr dumme Frau. « Er packte ihre Haare, als sie sich aus seinem Griff befreien wollte. »Ich sollte dich für diese Beleidigung bestrafen. Ja, ich glaube, ich werde deine Mahlzeit ein wenig in die Länge ziehen«, sagte er rauh. Er hob ihr Gesicht und küßte sie hungrig. Er schlang die Arme um ihre Schultern und ihre Knie und bettete sie vor das Feuer. Er entkleidete sie bedächtig, küßte ihren Leib und ihre langen Beine.
»Komm zu mir! « flüsterte sie.
Doch diesmal war er an der Reihe, sie zu foltern. Er schob ihre Hände beiseite, die seine Blöße suchten. Er nahm sich viel Zeit mit seinen Küssen und lächelte, als sie sich ihm entgegen wölbte. Er lachte nur, als sie ihn an den Haaren zog, damit er zu ihr kam. Er vergrub sein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Und als ihre Hände ihn freigaben, setzte er sich auf die Fersen und betrachtete ihren schönen Körper.
Erst dann streifte er auch seine Kleider ab und legte sich neben sie. Sie stöhnte, als sie seine Haut an ihrer fühlte.
»Stephen«, flüsterte sie, und diesmal klang es fast zärtlich.
»Ja«, murmelte er, ehe er sie unter seinen Körper zog…
Zwei Wochen später erfüllte sich Stephens Prophezeiung, daß die MacGregors Alicia hassen würden.
Stephen hatte diese zwei Wochen genützt, um von Alicias Männern zu lernen. Die Katastrophe beim ersten Überfall auf die Weiden der MacArrans hatte ihn von der Notwendigkeit überzeugt, die schottische Kampfesweise einzustudieren. Er lernte das Laufen auf kurze und weite Distanz, das Fechten mit dem schweren Claymore, das Ab-und Anlegen des Plaids in wenigen Sekunden. Seine Beine wurden noch muskulöser und bekamen eine gesunde braune Farbe. Und als der erste Schnee fiel, hatte er sich schon so gut an das Klima gewöhnt, daß er mit bloßen Beinen herumlief.
Alicia beobachtete das alles mit einem Mißtrauen, daß sie nur nachts aufgab, wenn sie in seinen Armen lag. Stephen hatte sich in den letzten Wochen so sehr verändert, daß sie meinte, der Kampf auf der Hochweide, als sie ihrem Feind ihre Initiale in die Schulter schnitt, müsse bereits Monate zurückliegen. Und da kam die erste Nachricht, wie erzürnt Lachlan MacGregor über ihr unerbetenes Geschenk war: Er hatte an ihrer Nordgrenze drei Bauernhäuser niedergebrannt.
»Gab es Verwundete? « fragte sie bang, als sie die Meldung von der Brandschatzung bekam.
Tam winkte einen jungen Mann zu sich, der in den rauchenden Trümmern wühlte.
Alicia legte entsetzt die Hand gegen den Mund. Der junge Mann trug ein großes L als Brandzeichen auf seiner linken Wange.
»Der MacGregor läßt dir ausrichten«, sagte Tam, »daß er den ganzen Klan mit seinem Zeichen versehen würde. Er wäre fast an einer Blutvergiftung gestorben, weil du ihn mit deinem Dolch geritzt hast. «
Alicia wandte sich schweigend ab und ging zurück zu ihrem Pferd. Stephen trat zu ihr.
»Keine Bange — ich will dir jetzt keinen Vortrag halten«, sagte er leise, als er den Ausdruck auf ihrem Gesicht sah. »Aber vielleicht hast du auch etwas aus dieser Lektion gelernt. Es ist nun meine Aufgabe, diese Scharte auszuwetzen. «
»Was hast du vor? « fragte sie.
»Ich werde versuchen, ein Treffen mit dem Klanboss MacGregor zu erreichen. Diese Fehde muß ein Ende haben. «
»Ein Treffen mit MacGregor! « sagte sie mit stockendem Atem. »Er wird dich umbringen! Er haßt die Engländer noch mehr als ich! «
»Das ist unmöglich«, sagte er sarkastisch, während er sich in den Sattel schwang und von den rauchenden Ruinen der Siedlung wegritt.
Eine Stunde später war Chris zum erstenmal mit Alicia einer Meinung. Die beiden Männer, die sich so ähnlich sahen, als sie nach Schottland kamen, zeigten inzwischen erhebliche, nicht nur äußerliche Unterschiede. Chris trug immer noch englische Kleider — ein Wams aus schwerem Samt und mit Nerz gefüttert, Kniehosen aus Satin, darunter eine Strumpfhose aus feiner Wolle. Stephen dagegen trug das Plaid, und seine Haare ringelten sich um seine Ohren, was ihm sehr gut stand. Seine Beine waren wettergegerbt und die Muskeln daran geschmeidig von den täglichen Wettläufen mit den Schotten.
»Sie hat recht«, sagte Chris. »Du kannst nicht einfach in die Burg des Nachbarklans gehen, an die Tür klopfen und verlangen, du möchtest mit dem Boss sprechen. Ich habe ein paar schreckliche Geschichten gehört, wie er mit solchen Leuten zu verfahren pflegt. Du kannst noch froh sein, wenn er dich auf der Stelle umbringt. «
»Was soll ich dann tun? Mich in einen Sessel setzen und zuschauen, wie meine Leute verwundet und ihre Häuser in Asche gelegt werden? «
Chris starrte seinen Freund an. »Deine Leute? « fragte er verwundert. »Seit wann bist du zu einem Schotten geworden? «
Stephen strich sich grinsend durch die langen Haare. »Es sind gute Leute, und ich wäre stolz, einer der ihren zu sein. Nur das hitzige Temperament von Alicia ist an dieser Panne schuld. Ich bin sicher, dieser neue Streit läßt sich auf friedliche Weise schlichten. «
»Weißt du denn nicht, daß diese Fehde schon ein paar hundert Jahre andauert? Jeder dieser Klans ist mit jedem anderen verfeindet. Was für ein barbarisches Land! «
Stephen hatte nur ein mildes Lächeln für seinen Freund übrig. Vor ein paar Monaten hatte er noch genauso gedacht. »Komm ins Haus und trink einen Becher Whisky mit mir. Ich bekam gestern von Gavin einen Brief. Er will, daß ich ihn zu Weihnachen mit Alicia besuche. «
»Wird sie mit dir zu ihm kommen? «
Stephen lachte. »Sie wird mitkommen, ob sie will oder nicht. Und wie steht es mit dir? Willst du uns begleiten? «
»Mit dem größten Vergnügen! Ich habe dieses kalte Land wirklich lang genug genossen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie du bei diesem Wetter halbnackt herumlaufen kannst. «
»Chris, diese Kleider sind sehr bequem. Sie lassen dir viele Möglichkeiten offen. «
Chris schnaubte. »Die Möglichkeit, mir gewisse Körperteile zu verkühlen, ist nicht sehr verlockend für mich. Aber vielleicht gibt es hier auch die Möglichkeit, zu jagen. Ich hatte mir gedacht, ich nehme ein paar von deinen und meinen Männern mit und erlege einen Elch. «
»Nur, wenn du versprichst, auch ein paar von Alicias Männern mitzunehmen. «
Chris schnaubte verächtlich. »Ich weiß nicht, ob ich mich von diesem Vorschlag beleidigt fühlen soll. « Er lenkte rasch ein, als er die Veränderung auf Stephens Gesicht bemerkte. »Schön. Ich werde tun, was du sagst. Wenn es zu Schwierigkeiten kommt, wäre es gar nicht so unklug, ein paar von deinen barbeinigen Männern bei mir zu haben. « Er legte Stephen lächelnd die Hand auf die Schulter. »Ich sehe dich morgen wieder — hoffentlich mit frischem Wildbret. «
Stephen sollte Chris nicht mehr lebend Wiedersehen.
Die Wintersonne ging gerade unter, als vier von Alicias Männern durch die Tore am Anfang der Halbinsel ritten. Ihre Kleider waren blutig und zerfetzt. Einer von ihnen trug einen blutigen, verwinkelten Schnitt auf der Wange.
Stephen war auf dem Exerzierfeld und hörte aufmerksam zu, als Tam ihm die Kampfesweise mit der Lochaber-Axt erklärte. Alicia stand in der Nähe und sah den beiden Männern zu.
Tam bemerkte die arg zerzausten und verschwitzten Männer zuerst. Er ließ seine Axt fallen und rannte zu ihnen, Stephen und Alicia ihm dicht auf den Fersen. »Was ist passiert, Francis? « keuchte er und zog den jungen Mann vom Pferd.
»MacGregor«, sagte dieser. »Der Jagdtrupp wurde angegriffen. «
Stephen saß schon auf seinem Pferd, ehe Francis zu Ende geredet hatte. Der Junge sah zu Stephen hinauf. »Zwei Meilen hinter dem See auf der östlichen Fahrstraße. « Stephen nickte, ehe er seinem Pferd den Zügel freigab. Er schien gar nicht zu merken, daß Tam und Alicia versuchten, sein Tempo mitzuhalten.
Die untergehende Sonne spiegelte sich rötlich auf Chris’ Rüstung, als er regungslos auf dem gefrorenen schottischen Boden lag. Stephen sprang von seinem Pferd und kniete sich neben seinen Freund in den Schnee. Er schob sacht das Visier zurück.
Er sah nicht auf, als er die Stimme eines Knappen hinter sich hörte: »Lord Chris wollte den Schotten zeigen, wie die Engländer kämpfen können. Er legte seinen Panzer an und forderte MacGregor zum Zweikampf heraus. «
Stephen betrachtete den leblosen Körper seines Freundes. Er wußte, daß die schwere Rüstung seinen Freund schwerfällig und fast bewegungslos gemacht hatte. Der McGregor hatte sich nach Belieben die Stellen aussuchen können, wo er seinen Gegner treffen wollte. Auch die beste Rüstung deckte nicht alles am Körper zu. Und an einigen Stellen war der Stahl verbogen oder eingedrückt.
»Sie versuchten, ihn zu retten. «
Erst jetzt wurde Stephen auf die drei Schotten aufmerksam, die bei Chris lagen. Ihre kräftigen jungen Körper waren blutüberströmt und schrecklich entstellt.
Stephen spürte Zorn in sich aufwallen. Sein Freund war tot! Er richtete sich auf, packte Alicia am Arm und drehte sie so, daß sie die vier toten Männer ansehen mußte.
»Das ist die Folge deiner Eskapade! Schau sie dir an! Kennst du diese Männer? «
»Ja«, brachte sie flüsternd hervor. Sie hatte sie ihr ganzes junges Leben lang gekannt. Sie blickte weg von den Toten.
Stephen faßte ihre Haare und zwang sie, wieder auf die Toten zu blicken. »Erinnerst du dich noch an den Klang ihrer Stimmen? Kannst du ihr Lachen hören? Kennst du ihre Familien? « Sie drehte ihren Kopf zur Seite, damit sie auf den toten Engländer schauen mußte. »Chris und ich wurden gemeinsam aufgezogen. Wir sind als Geschwister aufgewachsen. «
»Laß mich los«, rief sie verzweifelt.
Stephen gab sie mit einer jähen Handbewegung frei. »Du hast mich mit Gift betäubt und führtest deine Männer zu einem Kampf auf der Weide, der damit endete, daß du dem MacGregor deine Initiale auf den Körper schnitztest. Was für eine dumme, kindische Handlung! Und jetzt müssen wir den Preis für deine Dummheit bezahlen, oder? «
Sie versuchte, den Kopf hochzuhalten. Sie wollte nicht glauben, daß er die Wahrheit sagte.
Douglas streckte sein Schwert in die Luft. Er war hinter Alicia und seinen Vater hergeritten. »Wir müssen diese Bluttat rächen! « rief er. »Wir müssen sofort in den Kampf gegen den MacGregor reiten! «
»Ja«, fiel Alicia in seinen Ruf ein, »wir müssen das auf der Stelle vergelten! «
Stephen machte einen Schritt vorwärts und schmetterte Douglas die Faust ins Gesicht. Er nahm ihm das Schwert weg, als Douglas im Sattel wankte.
»Hört mich an«, sagte Stephen langsam, damit die Männer, die ihm gefolgt waren, auch jedes Wort verstanden. »Hört mir gut zu! Das wird gesühnt werden, jedoch nicht mit noch mehr Blutvergießen. Diese Fehde ist sinnlos, und ich werde mich nicht an einer Rache beteiligen, die immer größere Verluste nach sich ziehen wird. Mit Blutvergießen werden diese Männer dort nicht mehr lebendig. « Er deutete auf die vier blutigen Leichen zu seinen Füßen.
»Ihr seid ein Feigling«, sagte Douglas, der sich sein schmerzendes Kinn rieb.
Ehe Stephen etwas sagen konnte, stand Tam neben seinem Sohn. Er hielt den Dolch in der Hand, zielte damit auf den Brustkorb seines Sohnes. »Du magst mit diesem Mann darüber streiten, ob er recht hat. Doch wenn du ihn einen Feigling nennst, ist das eine Beleidigung! « sagte er mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme.
Douglas sah seinem Vater in die Augen und nickte dann, ehe er sich Stephen zuwandte. »Ich bin bereit, dir zu folgen«, sagte er.
»Ihm folgen! « Alicias Stimme war eher ein Aufschrei. »Ich bin die MacArran. Hast du vergessen, daß er ein Engländer ist? «
Tam sprach für seinen Sohn: »Ich glaube nicht, daß wir so viel vergessen haben, wie wir hinzulernten. «
Alicia fragte ihn nicht, was er hinzugelernt hatte. Sie sah die Gesichter ihrer Männer der Reihe nach an und erkannte an ihren Mienen, daß ihre Einstellung sich geändert hatte. Sie wußte nicht, ob die Wandlung sich allmählich vollzogen hatte oder plötzlich kam, weil man ihr die Schuld gab für den Tod dieser Männer. Sie wich einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. »Nein«, flüsterte sie, wandte sich um und eilte zu ihrem Pferd.
Sie achtete nicht darauf, wohin sie ritt und wie weit. Die Tränen verwischten die Konturen der Hügel und Stege, über die sie galoppierte, und sie merkte nicht einmal, daß sie die Grenze des MacArran-Landes überschritt.
»Alicia! « rief jemand hinter ihr.
Sie gab ihrem Pferd die Sporen, um dieser vertrauten Stimme zu entkommen. Erst als der Mann auf gleicher Höhe mit ihr ritt, erkannte sie ihren Irrtum. Es war ihr Bruder, der sie beim Namen gerufen hatte.
»Davey«, flüsterte sie, während sie scharf am Zügel ihres Pferdes riß.
Davey sah sie grinsend an. Er war so groß wie seine Schwester, hatte die schwarzen Haare von ihrem Vater geerbt, die braunen Augen von seiner Mutter. Er war hagerer, als Alicia ihn in Erinnerung hatte, und in seinen Augen flackerte ein Licht, das von einem inneren Brand herrühren mußte. »Du hast geweint«, sagte er. »Wegen der Männer, die MacGregor erschlug? «
»Du weißt davon? « sagte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Augen aus.
»Es ist immer noch mein Klan, wenngleich mein Vater es anders bestimmte. « Für eine Weile wurden seine Augen hart und kalt, bis dieses flackernde Licht sich wieder zeigte: »Ich habe dich lange nicht mehr gesehen. Setz dich zu mir und gönne deinem Pferd eine Rast. «
Mit einem mal schien ihr Bruder ein lang entbehrter Freund zu sein, und sie schob die Erinnerung an seinen letzten Auftritt weit von sich — die Nacht, als Jamie MacArran sie zu seinem Nachfolger bestimmte. Es war eine unerwartete Ernennung gewesen und deshalb um so schmerzlicher. Der ganze Klan hatte sich versammelt und wartete, daß Davey zum nächsten »Laird« ausgerufen würde. James MacArran war stets ehrlich gegen sich selbst und besonders vorurteilsfrei in der Einschätzung seiner Kinder gewesen. Er sagte dem Klan, was er von seinen Kindern hielt. Davey liebte den Krieg. Er schätzte ein Gefecht höher ein als den Schutz seines Klans. Er sagte, Alicia habe ein zu hitziges Temperament und handele oft unüberlegt. Beide Kinder fühlten sich zutiefst beschämt von der Kritik ihres Vaters. Jamie fuhr fort, daß Alicias Fehler ausgeglichen werden könnten, falls ihr ein besonnener Ehemann zur Seite stünde wie zum Beispiel Ian, Ramsey oder Ennis. Selbst nach dieser Einleitung ahnte noch niemand, was Jamie vorhatte. Als er Alicia zu seiner Nachfolgerin kürte, war es ganz still in der Halle. Dann hoben die Männer nacheinander die Becher, um ihr zuzutrinken. Davey brauchte einen Moment, bis er begriff, was sich hier vollzog. Dann sprang er auf, verfluchte seinen Vater, nannte ihn einen Verräter und sagte sich als Sohn von ihm los. Er forderte die Männer auf, ihm zu folgen. Zwölf junge Männer verließen in dieser Nacht die Halle, um sich Davey anzuschließen.
Seit jener Nacht hatte Alicia ihren Bruder nicht mehr gesehen. Inzwischen war viel geschehen — ihr Vater tot und die Männer, die er ihr zum Gatten bestimmt hatte. Sie war mit einem Engländer verheiratet worden. Plötzlich schien alles, was Davey damals sagte, unwichtig geworden zu sein.
Sie stieg vom Pferd und legte die Arme um ihn. »Oh, Davey, alles hat sich zum Schlimmen entwickelt«, klagte sie.
»Der Engländer? «
Sie nickte an seiner knochigen Schulter. »Er hat alles verändert. Heute sahen mich meine Männer an, als sei ich der Eindringling. Ich las es in ihren Augen. Sie gaben ihm recht und mir unrecht. «
»Willst du damit sagen, er hetzt die Männer gegen dich auf? « fauchte Davey und wich von ihr zurück. »Wie konnten sie nur so verblendet sein? Er muß ein sehr guter Schauspieler sein, wenn er sie das Entsetzen über den Tod unseres Vaters vergessen läßt. Und Ian? Will sich selbst Tam nicht mehr daran erinnern, daß die Engländer seinen Sohn erschlugen? «
»Ich weiß es nicht«, sagte Alicia, als sie sich auf einen umgestürzten Baum setzte. »Sie scheinen ihm alle zu vertrauen. Er kleidet sich wie ein Schotte. Er übt mit den Männern. Er mischt sich sogar unter die Bauern. Er scherzt und trinkt mit ihnen. Ich weiß, daß sie ihn mögen. «
»Aber hat er denn durch Taten bewiesen, daß er ihr Vertrauen verdient? «
Sie drückte die Hände gegen die Schläfen. Ihr wollten die vier Männer nicht aus dem Kopf, die verstümmelt vor ihr auf der Erde lagen. War sie an deren Tod schuld? »Er hat nichts getan, das sie argwöhnisch machen könnte. «
Davey schnaubte: »Davor wird er sich hüten! Er wird warten, bis er das Vertrauen deiner Männer gewonnen hat, ehe er die Engländer hierherbringt. «
»Engländer? Wovon redest du eigentlich? «
»Begreifst du denn nicht? « sagte Davey mit großer Geduld. »Plant er nicht, in nächster Zeit nach England zurückzukehren? «
»Ja«, sagte sie betroffen, »er hat vor, in ein paar Wochen mit mir zu seiner Familie zu reisen. «
»Das geschieht in der Absicht, die Engländer ins Land zu ziehen. Er bringt ihnen alles bei, was er bei uns gelernt hat, und wenn sie nach Schottenart mit uns kämpfen, können wir ihnen wenig entgegensetzen. «
»Nein! « sagte sie und erhob sich von ihrem Sitz. »Davey, das kann nicht dein Ernst sein. So ist er nicht. Er sorgt sich wirklich um meine Männer. Davon bin ich überzeugt. «
Er blickte sie finster an. »Ich habe mir sagen lassen, daß er dich im Bett zum Singen bringt. Du hast Angst, ihn zu verlieren. Du würdest deinen Klan für die Hände eines Engländers opfern, die deinen Körper in Wonneschauer versetzen. «
»Das ist nicht wahr! Bei mir steht der Klan immer an oberster Stelle. « Sie hielt jählings inne. »Ich habe vergessen, daß wir im Streit liegen. Ich muß jetzt zurückreiten. «
»Nein«, sagte Davey ruhig und legte ihr die Hand auf den Arm. »Verzeih mir, daß ich dich so erzürnt habe. Bleibe noch eine Weile bei mir. Ich habe dich so sehr vermißt. Erzähle mir von Larenston. Hast du das lecke Dach ausbessern lassen? Wie viele Söhne hat Tam inzwischen? «
Sie lächelte und setzte sich wieder. Sie redeten eine Weile über die Alltagserlebnisse des Klans. Sie erfuhr, daß Davey irgendwo in den Hügeln lebte, wollte aber nicht sprechen, wovon. Sie respektierte das.
»Und gefällt dir deine Stellung als Klanboss? « fragte er freundlich. »Hast du Freude daran? Gehorchen dir deine Männer? «
Sie lächelte. »Ja, sie behandeln mich mit großem Respekt. «
»Bis heute morgen, als sie sich deinem Mann zuwandten. «
»Fang nicht wieder damit an. «
Davey lehnte sich gegen einen Baum. »Ich empfinde es nur als große Schmach, daß der jahrhundertealte Klan MacArran nun von einem Engländer regiert wird. Wenn du Zeit hättest, könntest du deine Autorität festigen. Doch du kannst von deinen Männern nicht erwarten, daß sie dir folgen, wenn ein Mann sie drängt, sich hinter ihn zu stellen. «
»Ich weiß nicht, was du damit meinst. «
»Ich dachte nur laut. Wenn Stephen nun ein Spion ist, den König Heinrich dir ins Haus setzte? Sobald er das Vertrauen deiner Männer gewonnen hat, könnte er Schottland großen Schaden zufügen. Natürlich würdest du versuchen, das zu verhindern; aber was vermagst du, wenn deine Männer sich bereits daran gewöhnt haben, dir den Gehorsam zu verweigern? «
Sie wußte nichts darauf zu sagen. Sie sah ihre Männer vor sich, die in jüngster Zeit zu Stephen gegangen waren, während sie nach ihrer Rückkehr aus England nur ihre Meinung gelten ließen.
»Du solltest eine Weile allein mit deinem Klan sein. Dann könnte dieser Montgomery nichts ausrichten, wenn er Verrat im Sinn hat. «
Sie mochte über seine Worte nicht nachdenken. Sie war schuld am Tod von vier Männern. Stephen hatte recht gehabt, ihr Arroganz und Dummheit vorzuwerfen. Ihre Männer hatten zu Recht seinen Rat befolgt. Was aber, wenn er ein Spion war? Vielleicht hatte Davey recht damit, daß er fürchtete, Stephen wollte sie alle nur ins Verderben führen.
Sie legte die Hände an den Kopf. »Ich kann nicht denken. Ich weiß nicht, wie er ist und ob man ihm trauen kann. «
»Alicia«, Davey nahm ihre Hände, »vielleicht glaubst du mir nicht; aber ich habe nur das Beste mit deinem Klan im Sinn. Ich hatte monatelang Zeit, mit mir ins reine zu kommen — und mit dir. Ich weiß, daß du Laird sein solltest, nicht ich. « Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Nein, laß mich ausreden. Ich will dir nur helfen. Ich will sichergehen, daß er kein Spion ist. Daß er unseren Klan nicht verführt. «
»Sichergehen? «
»Ich nehme ihn mit in mein Lager. Das ist alles. Es geschieht ihm kein Leid. Ich halte ihn so lange fest, bis deine Autorität über den Klan nicht mehr durch ihn zu erschüttern ist. «
»Ihn festhalten! « sagte sie mit funkelnden Augen.
»Ich täte ihm nichts. Ich wäre verrückt, wenn ich ihm etwas täte. König Heinrich würde dem Klan MacArran den Krieg erklären. Alles, was ich möchte, ist dir Zeit erkaufen. «
Sie wich ein wenig von ihm fort. »Und was versprichst du dir davon? « fragte sie kühl.
»Ich möchte wieder nach Hause kommen«, sagte er dumpf. »Wenn ich eine gute Tat für dich vollbringe, kann ich in Ehren zurückkehren. Meine Männer und ich hungern, Alicia. Wir sind keine Bauern und haben keine Farmer, die uns ernähren. «
»Du bist jederzeit bei mir willkommen. Das solltest du wissen«, sagte sie leise.
Er sprang hoch. »Und muß mich von deinen Männern auslachen lassen, weil ich mit eingeklemmtem Schwanz zurückkomme? Nein! « Er beruhigte sich ein wenig. »Wir würden unsere Ehre retten, wenn wir im Triumphzug nach Hause kämen. Wir reiten mit deinem englischen Mann in Larenston ein, und jeder, von König Heinrich bis zum letzten Bauern, würde uns dafür Dank schulden. «
»Ich… nein, das ist unmöglich. Stephen ist… «
»Denke darüber nach. Du hättest deine Leute wieder fest in der Hand. Ich könnte in Ehren nach Hause kommen. Oder liegt dir mehr an deinem englischen Ehemann als an deinem Bruder? « fragte er mit bitterem Hohn.
»Nein, natürlich nicht. Aber wenn ihm ein Leid geschieht… «
»Du beleidigst mich. Hältst du mich für schwachsinnig? Wenn ich ihm etwas antue, fällt König Heinrich über uns her. Bitte, Alicia, denke darüber nach. Verwirre deinen Klan nicht noch mehr. Warte nicht, bis sie auf dem Schlachtfeld stehen und sich zwischen England und Schottland entscheiden müssen. Spalte nicht ihre Treuepflicht. «
»Davey, ich muß jetzt wieder gehen. «
»Bitte! Du sollst nur nachdenken. In drei Tagen treffe ich dich wieder auf der Klippe. Dort, wo Alex abstürzte. «
Sie sah ihn überrascht an.
»Ich weiß gut Bescheid über meinen Klan«, sagte er, während er sich in den Sattel schwang.
Sie starrte ihm nach. Sie hatte Angst vor ihrer Rückkehr nach Larenston. Doch ein MacArran konnte sich Feigheit nicht leisten.