12
Meine Verletzungen bluteten fast nicht mehr. Ich stieg zwei Straßen vor dem Haus des Basken aus und schmiss das Frottiertuch weg. Es waren nur wenige Leute auf der Straße, und ich bewegte mich unbesorgt. Einzig ein etwa achtjähriger Junge, der an der Hand seiner Mutter ging, blicke mich voller Entsetzen an. Ich klingelte den Code, der seit der Zeit meines Großvaters vereinbart war. Der Baske öffnete selbst.
»Komm rein. Was ist passiert? Warst du auf Jaguarjagd?«
»Ich glaube, es ist nichts, Baske, ich blute nicht mehr.«
»Wir werden sehen, ob es nichts ist. Folge mir ins Sprechzimmer. Wann ist es passiert?«
»Vor weniger als einer Stunde.«
Der Baske hatte sich im hinteren Teil des Hauses ein kleines Sprechzimmer eingerichtet, durch das schon Generationen von nichtpräsentierbaren Verletzten gingen. Dort war mein Vater an einem Lungenschuss gestorben. Er hatte das Bewusstsein wieder erlangt, aber er wollte nicht sagen, wer es war.
»Und deine Familie?«, fragte ich ihn.
»Ich habe sie nach ich weiß nicht wohin in die Ferien geschickt. Ich ertrage sie nicht mehr. Nimm in diesem Sessel Platz.«
Ich setzte mich in den Armsessel, und er richtete eine starke Lampe auf mein Gesicht.
»Was soll das, Baske, willst du mich etwa verhören?«
»Der Schlag auf den Kopf macht mir Sorgen. Da weiß man nie.«
Er holte ein winziges Taschenlämpchen und untersuchte meine Augen.
»Blutergüsse gibt es keine. Ich werde dir all das reinigen, dann gibt es zwei Nähte auf der linken Wange und drei weitere auf dem Kopf. Es ist weiter nichts. Hast du Kopfschmerzen? Kannst du gut sehen?«
»Ja, Baske, bestens.«
»Du hörst keinerlei seltsame Geräusche? Hörst du mich gut?«
»Bestens, bestens, Baske.«
»Tuts weh?«, fragte er.
»Nein. Überhaupt nicht.«
»Würde mich auch erstaunen, bei all dem Koks, mit dem du dich bis über die Ohren vollgepumpt hast!«
»Beeil dich, Baske. Ich muss noch bei jemandem vorbeischauen. Es ist sehr wichtig.«
»Du wirst heute Nacht überhaupt niemanden sehen. Ich gebe dir ein entzündungshemmendes Mittel und eine starke Schlaftablette. So wie du aussiehst, würde dich die erste Streife anhalten, außerdem bist du äußerst erregt.«
»Baske, Herrgott noch mal, es ist sehr wichtig für mich.«
»Du wirst nicht auf die Straße gehen, Carlitos. Schlag dir das aus dem Kopf. Kommt nicht in Frage, dass du mit einer Pistole im Gurt durch die Stadt rennst und irgendeine Nutte suchst, um sie abzuknallen. Falls du sie nicht bereits abgeknallt hast. Du wirst jetzt Fernsehen gucken und dann einschlafen.«
Vom Basken abzuhauen konnte ich vergessen. Er hatte Gitter vor allen Fenstern und Sicherheitstüren an beiden Eingängen. Er brachte mir zwei Tabletten und eine Tasse Tee. Er kontrollierte, dass ich sie auch schluckte.
»Ich gucke fern. Nimm eine kurze Dusche. Und dass es dir nicht in den Sinn kommt, ein Bad zu nehmen, du würdest ohnmächtig werden. Wenn du fertig bist, legst du all deine Klamotten in kaltes Wasser ein. Im Badezimmer gibt es einen Hausmantel, einen Pyjama und saubere Frottiertücher. Wenn du herauskommst, leg dir eines um den Nacken, so wie es die Boxer tun, verstanden? Und beeil dich, du wirst sehr bald einschlafen.«
Beim Duschen begann ich die Wirkung des Blutverlustes und des Beruhigungsmittels zu spüren. Ich beeilte mich, mich abzutrocknen und die Wäsche in die Badewanne zu legen. Mit den Pistolen, dem Kokain und einer Hand voll Geld ging ich zurück zum Basken. Ich legte mich in das Bett von Sarita, der Frau des Basken. Er sah sich von seinem aus die Nachrichten an.
»Sie haben schon wieder einen Supermarkt überfallen«, sagte er.
Einen Augenblick später war ich eingeschlafen.
Ich wachte früh auf. Der Baske trug einen riesigen Streifenpyjama und sah sich meine Wunden an.
»Sie verheilen gut«, sagte er. »Du hast nichts. Ich werde dich nicht verbinden. Sei vorsichtig, wenn du dich wäschst, und kratze dich nicht im Schlaf.«
Ich fühlte mich mies. Mir war übel und ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte Angst. Der Luzide war nirgends zu sehen.
»Ich fühle mich miserabel, Baske. Ich habe Angst.«
»Du hast Entzugserscheinungen, verdammt noch mal. Du bist total hinüber. Nicht im Traum würde ich daran denken, dir ein Beruhigungsmittel zu verschreiben, du würdest es mit Alkohol und Kokain mischen und ins Koma fallen. Im Moment kann ich dir nicht einmal einen Kaffee machen, denn ohne deine Dosis Kokain und Alkohol verträgt dein Magen gar nichts.«
Er goss mir ein halbes Glas Mineralwasser ohne Kohlensäure ein und gab Kokain dazu, dann goss er mir noch zwei Gläser Cognac ein.
»Nimm erst den Koks.« Er hob das Glas und schaute es im Gegenlicht an. »Es ist sehr sauber. Dann nimm den Cognac, und wir warten ein paar Minuten. Versuch die Dosis langsam zu verringern. Du bist schwer abhängig, Carlitos.«
»Hast du Lust, das Kokain zu versuchen, Baske?«
»Okay, dann bleibt für dich weniger übrig.«
Während sich der Baske seine Linien zog, begann ich mich besser zu fühlen. Plötzlich spürte ich, dass mir Tränen über das Gesicht liefen. Ich weinte nicht. Es gab nichts, weswegen ich traurig war, aber die Tränen flossen in Strömen. Ich erschrak.
»Baske! Baske! Herrgott noch mal! Was ist los mit mir? Warum weine ich? Bin ich etwa verrückt geworden?«
»Nein, noch nicht. Vermutlich hast du eine leichte Gehirnerschütterung. Man hat dir auf das Scheitelbein geschlagen. Wenn der Schlag stärker gewesen wäre, oder zwei Zentimeter weiter unten, hätte er dich töten können.«
Er legte die Hand auf meine Stirn und sagte:
»Du hast kein Fieber.«
Er schaute mir noch einmal mit dem kleinen Lämpchen in die Augen.
»Kein Bluterguss. Es ist der Entzug, der dich in einen solchen Zustand versetzt. Du bis sehr niedergeschlagen, aber das geht vorbei.«
Er brachte ein Halbliterglas mit saurem Joghurt aus der Küche, den Sarita gemacht hatte. Abracadabra und der Onkel aßen jeden Tag davon.
»Trink noch einen Cognac und dann iss das. Alles. Und iss es nicht zu schnell, sonst kotzst du.«
»Ich habe sie umgebracht, Baske.«
»Ich will nicht einmal wissen, von wem du sprichst. Gibt es Augenzeugen?«
»Nein, nein, niemand hat mich das Haus betreten oder verlassen sehen. Ich habe sie auch nicht angerufen.«
»Verlass das Land, Carlitos. Reduziere die Dosis kontinuierlich. Verstehst du? Kontinuierlich heißt schrittweise. Wenn du an einem sicheren Ort bist, mach eine Entziehungskur, sonst bist du in zwei Wochen krepiert. Du bist noch jung und ziemlich kräftig. Ich garantiere dir, es würde dir gut tun, Carlitos.«
»Ich habe sie getötet, Baske, ich habe sie getötet!«
»Gut. Du hast sie umgebracht. Und was willst du nun tun? Dich stellen? Beruhige dich. Jetzt musst du an dich denken. Verlass das Land und mach eine Entziehungskur in irgendeiner Klinik für missratene große Tiere. Carlitos, hör auf mich. Sowohl dein Großvater als auch dein Vater wären davongekommen, wenn sie nicht so viele Drogen genommen hätten. Dein Großvater hatte einen eingedrückten Brustkorb. Es war nicht die von irgendeinem Anfänger gelegte Bombe, die ihn getötet hat, sondern das Lenkrad, das ihm den Brustkorb eingedrückt hatte. Man hätte ihn retten können, aber sein Herz versagte, weil er zu viel Morphium nahm. Dein Vater nahm so viel Kokain, dass seine Nasenscheidewand ein Sieb war. Er musste es durch den Mund einnehmen, mit Wasser, und er hatte ein Magengeschwür, das bereits geplatzt war, als ich ihn hier versorgte. Er hatte eine schlechte Blutgerinnung, weil er Alkoholiker war. Er verblutete wie ein Schwein. Ich versichere dir, ich habe schlimmere Wunden als deine gepflegt, aber wenn dein Organismus nicht kräftig ist, dann stehen die Chancen siebzig Prozent dagegen, dass du davonkommst. Befolge meinen Rat und geh in eine Klinik.«
»Ja, Baske, ich verspreche dir, dass ich in eine Klinik gehe, wenn das hier alles vorüber ist.«
Auf dem Tisch im Salon des Basken stand immer eine riesige Teekanne aus dunklem Metall, die mit Füßchen versehen und mit Ornamenten verziert war. Sie hatte an der unteren Hälfte einen kleinen Hahn, aus dem der Tee floss. Er füllte mir Tee in ein großes Glas und gab drei gehäufte Löffel Zucker hinzu.
»Trink diesen Tee.«
»Nein, Baske, ich habe keinen Durst. Und du hast zuviel Zucker hineingetan, Baske.«
»Doch, du hast Durst, Carlitos. Du bist permanent dehydriert. Und wenn du Durst hast, trinkst du Alkohol und dehydrierst noch mehr. Deine Nieren können das Kokain nicht herausschaffen, weil sich in ihnen kein Wasser befindet. Deine Leber arbeitet nicht, weil du nichts isst. Du kannst jederzeit eine Zirrhose bekommen. Dein Organismus ist ein Desaster, Carlitos. Trink den Tee und dann geh und rasiere dich.«
Ich trank den Tee und ging mich rasieren. Ich schaute mir mein Gesicht im Spiegel an. Es sah aus wie ein alter, auf den Müll geworfener Schuh. Ich hatte Tränensäcke unter den Augen, aber die Wunden waren nicht entzündet. Ich rasierte mich. Mir kamen wieder die Tränen, aber ich schenkte ihnen keine Beachtung.
Ich zog mir Kleider des Basken an, die mir zu kurz und zu weit waren.
Der Baske wartete auf mich mit einem neuen Joghurtglas in der Hand.
»Nein, Baske, im Ernst, ich habe bereits einen halben Liter getrunken. Ich werde Durchfall bekommen, und außerdem muss ich jetzt gehen.«
»Du wirst davon keinen Durchfall bekommen, im Gegenteil, es wird die Entzündung in deinem Darm lindern, der bei dir aussehen muss wie eine brennende Kloake. Auch wenn es nur ein Tropfen auf einen heißen Stein ist, trink, ich bin gleich zurück.«
Ich trank den Joghurt in großen Schlucken. Der Baske kam zurück mit einem halben Brot, das er mit Salami und Käse gefüllt hatte.
»Nein, Baske, ich muss mich übergeben. Ich muss jetzt gehen. Es ist dringend. Ich will noch diese Nacht das Land verlassen.«
»Wo willst du um diese Zeit hin? Es ist sechs Uhr morgens.«
»Sechs Uhr?«, fragte ich.
»Ja. Du bist um fünf aufgewacht. Siehst du nun, was es heißt, früh aufzustehen? Iss das.«
»Ich kann nicht, Baske. Mir ist übel.«
»Nimm noch einen Cognac und zieh dir eine Linie, und dann warten wir fünf Minuten.«
»Soll ich dir auch noch einen einschenken?«
»Ja, bitte. Ich werde es ausnützen, dass Sarita nicht da ist. Jedes Mal, wenn ich zu Hause etwas trinke, macht sie mir eine Szene wie an der Klagemauer. Ganz zu schweigen von den vier Töchtern. Weißt du, was es heißt, mit fünf jüdischen Weibern unter einem Dach zu wohnen? Das schlimmste ist, dass die Töchter sagen, sie wollten nicht heiraten, um uns nicht allein zu lassen. Ich schwöre dir, wenn ich in deinem Alter wäre, würde ich den Namen ändern und nach Brasilien gehen, dem Königreich der Geschlechtskrankheiten, einer meiner großen Spezialitäten neben Schuss- und Stichverletzungen.«
»Du hast mir wieder mal einen riesigen Gefallen getan, Baske.«
»Dein Großvater hat mir so viele Gefallen getan, dass ich drei Leben haben müsste, wenn ich sie alle zurückzahlen wollte. Er hat mir Visa und Arbeit für die Flüchtlinge verschafft. Die Faschisten haben Schläger auf uns gehetzt, die uns mit Steinen bewarfen und uns mit Schlagstöcken traktierten. Ich war zum Glück noch ein Milchgesicht, so dass ich mich daran nicht erinnere. Dein Großvater schickte uns seine Leute, um uns zu beschützen. Mir und anderen zahlte er die Ausbildung. Kurz … er hat uns immer verteidigt. Carlitos, lass diesen Scheißdreck. Wenn du nicht betrunken und voller Kokain gewesen wärst, hättest du sie nicht umgebracht. Hör auf damit, Schritt für Schritt. Wenn du in deinem gegenwärtigen Stadium Knall auf Fall aufhörst, wirst du innerhalb weniger Stunden psychotische Schübe haben.«
»Wie geht es Bertita?«, fragte ich.
»Besser. Ich konnte die Blutung stoppen, und die Schwellungen gehen zurück. Sie ist außer Gefahr, und ich stelle sie ruhig. Dass es dir ja nicht in den Sinn kommt, bei ihr aufzutauchen, du würdest den Heilungsprozess stören. Sobald sie in der Verfassung ist, um zu reisen, schicken wir sie unter irgendeinem Vorwand außer Landes, und dann werden wir sehen, was wir tun können. Sie wird bei einem plastischen Chirurgen auf den Schrägen liegen müssen, und vielleicht muss man ihr die Gebärmutter entfernen. Sie wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen. Sie wird keine Schwangerschaft mehr haben können. Diese verdammten Dreckschweine haben ihr einen Pfahl oder etwas Ähnliches reingesteckt. Ein Wunder, dass sie noch am Leben ist. Wäre ich ein paar Minuten später eingetroffen, wäre sie tot.«
Wir umarmten und küssten uns, und ich machte mich auf den Weg zum Dicken.