Prolog
Adrians Traum von einer nackten Frau, die ihm in einem Schaumbad gegenübersaß, wandelte sich in einen Alptraum von beklemmender Vertrautheit. Das Lächeln der kurvenreichen jungen Frau erstarb, sie riss die Augen weit auf und verschwand in den platzenden Seifenblasen.
Als Nächstes war das Bad um ihn herum verschwunden, und Adrian fand sich auf einem bewaldeten Abhang wieder, nackt und frierend im arktischen Wind. Er wusste genau, wo er war – im Norden Schottlands vor siebenhundert Jahren, nach einer Schlacht, deren Ziel war, jene Monster in ihre Dimension zurückzutreiben, die gemeinhin die Dunkelfeen genannt wurden. Natürlich wussten Adrian und seine Brüder, dass sie diese Kreaturen nicht auf ewig fernhalten konnten, aber zumindest versuchten sie, sie durch den Spalt zurückzuzwingen, den sie zwischen ihre Welt und die der Menschen gerissen hatten, und ihn hinter ihnen zu verschließen.
Adrian hasste diesen Traum, der ihn von Zeit zu Zeit vollkommen unvermittelt heimsuchte und stets gleich endete. Nach siebenhundert Jahren sollte man meinen, ich sei darüber hinweg!
Er nahm die Schlacht in der Nähe wahr, dann das triumphierende Gelächter seiner Brüder, als sie die Dunkelfeen wieder in ihrer Dimension einsperrten. Der eisige Wind fühlte sich wie Abertausende Nadelstiche auf seiner bloßen Haut an, und sein träumender Verstand weigerte sich, ihm Kleider vorzugaukeln. Er legte eine Hand auf das Band in Form einer silbernen Schlange, das um seinen Bizeps geschlungen war. Bei der Berührung streckte Ferrin sich und wurde länger, bis er sich in ein großes Silberschwert verwandelt hatte.
Adrians Bruder Hunter scherzte gern über Adrians »dehnbare Waffe«, wohingegen Tain sie zuverlässig verteidigte. Ohne Ferrin wärst du schon mindestens zehnmal gestorben!, knurrte er Hunter an. Zeig gefälligst ein wenig Respekt!
Daraufhin bedachte Hunter ihn mit einer obszönen Geste, und Adrian sagte: Beruhigt euch, alle beide! Sucht euch eine Frau oder so!
Im Traum nun entfernten sich ihre Stimmen, als würden sie im Wind untergehen. Falls es wie immer ablief, bekam er keinen von ihnen zu Gesicht. Adrian hatte seine Brüder nicht mehr gesehen, seit Tain verschwand.
Adrian!
Sein jüngster Bruder rief ihn aus dem Nichts, schrie nach Hilfe, und die Sinnlosigkeit seines Rufens war unerträglich. In Wirklichkeit hatte Tain nicht nach Hilfe gerufen, sondern war einfach fort gewesen. Keine Leiche, keine Spur, keine Nachricht, nicht einmal ein Hinweis. Nichts. Eine Hexe hatte ihn entführt – so jedenfalls erzählte es die einzige Zeugin, und die starb wenige Momente darauf. Nur in Adrians Träumen schrie Tain nach Hilfe.
Isis, mach, dass es aufhört!
Tains Gesicht erschien in der Dunkelheit – sein hübsches Gesicht, verzerrt im Todeskampf. Adrian, hilf mir!
Nackt und allein im schottischen Hügelland, das Schwert wie Blei in seiner Hand, schrie Adrian in den Wind: »Wo bist du?«
Der Lärm der Schlacht, die Rufe seiner Brüder und die Geräusche der sterbenden, fliehenden Monster ebbten ab, bis schließlich nichts mehr als der Wind zu hören war. »Ich versuche, dich zu finden!«, rief Adrian. »Hilf mir, dich zu finden!«
Adrian!
Tains Schrei klang, als litte er entsetzliche Qualen. Unsterbliche ließen sich nicht mit gewöhnlichen menschlichen Waffen töten, aber sie empfanden Schmerz und litten genauso, wenn nicht noch schlimmer als die Menschen, denen sie so ähnlich waren. Es schien, als würde Tain gefoltert. Seit siebenhundert Jahren suchte Adrian auf der ganzen Welt nach ihm, ohne die geringste Spur zu entdecken. Ihm blieben lediglich die Träume, Erinnerungen seines Versagens, neue Wunden, die eine alte immer wieder aufrissen.
Adrenalin ließ seine Körpertemperatur in Höhen schnellen, die für Normalsterbliche tödlich wären. Er wollte kämpfen, töten – wo war ein passender Dämon zum Niedermetzeln, wenn man einen brauchte? Geschöpfe der schwarzen Magie, die sich vom Tod ernährten, die selbst untot waren – Vampire, Dämonen, Monster, die finstersten Fantasien entsprungen zu sein schienen –, sie alle stellten geeignete Gegner für Unsterbliche dar.
Adrian wappnete sich für das, was als Nächstes kam. Tain erschien vor ihm, in die Reste seines Wappenrocks und Kettenpanzers aus der lang vergangenen Schlacht gehüllt. Er blutete, seine Kleider waren von Blut getränkt, und wie Tränen rann es ihm aus den Augen. »Warum hast du mir nicht geholfen? Warum bist du nicht gekommen?«
»Sag mir, wo du bist! Verdammt, ich werde dir jetzt helfen!«
»Ich habe dir vertraut«, schleuderte Tain ihm entgegen. »Ich habe dich geliebt. Du bist mein Bruder!«
»Tain, ich schwöre bei Isis, dass ich dich finde. Ich schwöre es bei meinem Blut!«
Tain packte die Scheide von Adrians Schwert, worauf seine Finger sich rot färbten, weil er sich schnitt. »Es ist zu spät. Du hast mich umgebracht.«
Mit einer erstaunlichen Kraft riss Tain das Schwert zu sich, ohne dass Adrian etwas dagegen tun konnte. Und in völliger Ohnmacht sah er zu, wie die Spitze sich in Tains Herz bohrte.
Tains Schrei bündelte gleichsam die Angst aller Welten, und Adrian fuhr zurück.
Halb wach war Adrian sich bewusst, dass er in seinem Haus in Los Angeles in seinem äußerst bequemen Bett lag. Die kühlen Laken waren zu seinen Schenkeln hinuntergerutscht, und die Klimaanlage blies ihm Kälte über den Oberkörper.
Aber der Traum war noch nicht vorbei, oder zumindest hatte er sich verändert. Adrian war, als sähe er einen unglaublich gutaussehenden Mann über sich, der sich zu beiden Seiten seines Kopfes mit den Fäusten aufstützte. Sein Gesicht war beinahe schön, und sein langes seidenes Haar reichte bis auf Adrians Brust.
Die Augen des Mannes waren dunkel, fast schwarz, und er lächelte verführerisch. Für seine kantigen Wangen und seine sinnlichen Lippen würde jedes männliche Model morden, doch das Böse sprach aus seinem Blick. Er streckte einen wohlgeformten Finger aus und strich damit über Adrians Gesicht, von der Stirn bis zu den Lippen – eine höchst verlockende Berührung.
Dämon. Adrians Haut spannte sich. Der Dämon konnte Teil seines Traums oder echt und im Begriff sein, sich in Adrians Traum hineinzuschleichen. In jedem Fall spürte Adrian, wie seine Kraft zurückkehrte – und empfand eine finstere Freude.
Etwas, das ich töten kann.
Noch während er dies dachte, verwandelte der Dämon sich in eine wunderschöne vollkommen nackte Frau mit dichtem schwarzem Haar, deren Busen sich an Adrians Brust rieb. Ihre Augen bestanden aus denselben schwarzen Tiefen des Bösen, und ihre Lippen formten sich zu einem Lächeln. »Gefällt dir das besser?«, hauchte sie.
»Bedaure, Süße, kein Interesse!« Adrian berührte sein kaltes Armband, und Ferrin entfaltete sich.
Der Dämon blickte hinter sich, als hätte ihn oder vielmehr sie ein Geräusch abgelenkt. Sie wirkte verdrossen und grub ihre Fingernägel in Adrians Brust. Adrian blickte in die Dunkelheit, wo er ebenfalls etwas wahrzunehmen glaubte. Leider war der Traum zu verschwommen, als dass er genug sehen konnte. Dann verschwand der Dämon mit einem leisen Geräusch, und Adrian wurde wach.
In seinem Schlafzimmer war alles still. Die Vorhänge blähten sich im Wind, der durch die offenen Fenster hereinkam, und unterhalb des Hauses nahm mit der Flut das Rauschen des Ozeans zu. Es war nur ein Traum gewesen – ein weiterer Alptraum von vielen, in denen Tain vorkam.
Der Dämon hingegen könnte echt gewesen sein. Und es schien, als hätte ihn jemand gerufen …
Adrian setzte sich im Bett auf, so dass die Laken weiter herunterrutschten. Er versuchte, den Ort zu erspüren, an den der Dämon geflohen war, und fand eine stecknadelkopfgroße Öffnung in der Wirklichkeit. Auf der anderen Seite des Lochs herrschte kalte, regnerische Dunkelheit. Und eine Frau schrie vor Angst.
Im nächsten Moment schloss sich das Tor wieder, durch das der Dämon gekommen war. Aber nun hatte Adrian eine Spur, der er folgen konnte.
Er sprang aus dem Bett und zog sich an.