Dritter Teil

Die Schiffe

1.

Als Martin und Jupp ins Lager zurückkehrten, nahmen sie sogleich die scharfe Trennlinie wahr, die zwischen den Berrinsburgern und einem Teil der Söldner einerseits sowie den Österreichern, den Ungarn und den Söldnern, die zu Markbein hielten, andererseits entstanden war. Zwar waren die meisten Zelte geflickt und wieder aufgebaut worden, und es schien auch wieder etwas zu essen zu geben, die Blicke aber, die zwischen den beiden Teilen des Lagers gewechselt wurden, hätten Todfeinden gelten können.

Beim Näherkommen bemerkte Martin auch die Spuren der Prügelei, die am Vortag stattgefunden hatte. Viele Männer hatten blau umrandete Augen und Abschürfungen, trugen Verbände um den Kopf oder einen Arm in der Schlinge.

»Was mag da geschehen sein?«, fragte Martin besorgt.

Sein Bursche zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Herr Leutnant. Aber wenn Ihr wollt, kann ich einen der Unsrigen fragen.«

»Tu das! Ich erstatte inzwischen Hinggendorff Bericht.«

Martin lenkte seine Minta zum Zelt ihres Kommandeurs. Dort traten ihm zwei Dragoner mit vorgehaltenen Karabinern in den Weg.

»Sieh an, der Hallberg!«, rief einer von ihnen spöttisch. »Schon zurück von der Vergnügungspartie? Hast wohl Sehnsucht nach unserer Wassersuppe bekommen?«

»Leutnant Hallberg, wenn’s beliebt! Und jetzt geht mir aus dem Weg. Ich muss dem Feldhauptmann Meldung erstatten«, fuhr Martin den Mann an.

Der Dragoner grinste. »Der Herr Feldhauptmann von Hinggendorff hat seine Offiziere um sich versammelt, um mit ihnen zu beraten, wie wir die Franzosen doch noch in den Sack kriegen. Da hat so ein Mamasöhnerl wie du nichts verloren!«

»Ich muss zu Hinggendorff!«, antwortete Martin ungewohnt scharf.

Doch statt nachzugeben, riefen die Wachtposten weitere Dragoner zu sich, und die sahen ganz so aus, als wollten sie ihn vom Pferd zerren und durchprügeln.

Martin beherrschte sich mühsam und sah den Wachtposten an. »Ist Obristleutnant Fahrenshoff bei der Beratung?«

»Wohl, wohl, das ist er!«

»Dann ruf ihn heraus! Ich muss dringend mit ihm reden.«

Der zweite Dragoner musterte Martin mit schief gehaltenem Kopf. »Zuerst willst du zu Hinggendorff, jetzt reicht dir schon der Fahrenshoff. Dann kannst du auch gleich mir Bericht erstatten.«

Die anderen Dragoner lachten schallend.

Martin hätte dem Mann am liebsten ein paar mit der flachen Klinge übergezogen, doch er begriff, dass er allein gegen mehr als ein Dutzend Dragoner auf verlorenem Posten stand. Hinter ihm rottete sich zwar eine Gruppe Berrinsburger und Söldner zusammen, um ihm zu Hilfe zu kommen. Aber wenn er es darauf ankommen ließ, würde eine wüste Rauferei losbrechen, und das wollte er nicht.

Mit einer Wut im Bauch, die er kaum mehr zu beherrschen vermochte, wendete er Minta und ritt zu Jettes Marketenderwagen hinüber. Das Lachen der Österreicher verfolgte ihn, während Rivitelli und einige Söldner ihn enttäuscht ansahen.

»Ihr hättet den Poldls nicht nachgeben dürfen«, tadelte ihn der Genuese.

»Von einer Rauferei im Lager hätten nur die Franzosen etwas«, wies Martin ihn zurecht und stieg vor Jettes Wagen aus dem Sattel.

Sein Bursche, der nach seinen Freunden Wilm Krögg und Studerle gesucht hatte, eilte herbei und ergriff die Zügel.

»Sorge dafür, dass die Pferde gut versorgt werden«, befahl Martin ihm. »Vorher aber bringst du Jette jenes Leintuch. Auch wenn die Österreicher es nicht anerkennen werden, ist es in meinen Augen der Beweis für Stakkes Unschuld.«

»Du bringst Hoffnung!«, rief Jette erleichtert.

»Die Poldls wollen unseren Hauptmann foltern, damit er das Versteck des geraubten Goldes verrät«, wandte Rivitelli ein. »Aber sobald das passiert, kommt es hier zum Kampf, und wenn die Franzosen noch so sehr davon profitieren werden.«

»So ist es!«, stimmte Türck ihm zu.

»Seid ruhig, Männer! Es gibt etwas weitaus Wichtigeres als euren Streit mit den Österreichern.«

»Also hast du unterwegs so einiges erfahren!« Haro von Starzin drängte sich durch die Menge und fasste Martin am Ärmel. Der junge Offizier hatte zwei Tage gebraucht, um sich von seinem Rausch und dem Betäubungsmittel zu erholen, und war noch immer recht blass. Da er Martin am längsten von allen kannte, sah er sogleich, dass etwas seinen Freund stark beschäftigte.

Martin nickte mit verbissener Miene. »Ich wollte die Angelegenheit Hinggendorff oder zumindest Fahrenshoff melden. Aber die Wachen lassen mich nicht zu ihnen vor.«

»Mich haben sie auch weggescheucht«, unterbrach Haro ihn. »Wäre kein richtiger Offizier, meinten sie, weil ich nur ein Berrinsburger und kein Kaiserlicher sei.«

»Lasst Hallberg reden«, wies Jette den jungen Burschen zurecht.

Hallberg nickte ihr dankbar zu und sprach weiter. »Meine Nachricht könnte den Verlauf unseres Feldzugs zu unseren Gunsten ändern. Es ist Jupp und mir gelungen, unterwegs ein paar Schiffer zu belauschen«, sagte er, um zu vermeiden, dass Bruno Schäfflein später von irgendjemandem als Verräter angesehen und womöglich sogar umgebracht wurde.

»Sie gehören zu drei Prähmen, die von Frankreich her die Mosel herabgekommen sind. Diese Prähme stecken voll Nachschub für die Franzosen und sollen heute Nacht heimlich an unserem Lager vorbei nach Oppingen gebracht werden!«

»Das ist übel!«, stieß Jette hervor.

»Allerdings, und das ist noch nicht alles! Zu diesen drei Prähmen ist ein holländisches Rheinschiff gestoßen, dessen Ladung eigentlich für uns bestimmt ist. Es trägt Kanonen, Musketen und Vorräte für unser Heer, die uns die Holländer für den Kampf gegen die Franzosen zukommen lassen wollten. Durch den Verrat des Handelsagenten Jockel Frisch ist es unterwegs den Franzosen übergeben worden. Wenn dieses Schiff Oppingen erreicht, können wir alle nach Hause gehen.«

Als Martin seinen Bericht beendet hatte, war es etliche Augenblicke still.

Haro griff erneut nach seinem Ärmel und zerrte erregt daran. »Die Schiffe dürfen nicht nach Oppingen gelangen. Wir müssen sie abfangen!«

»Das war mein Plan!«, antwortete Martin. »Ich kann jedoch weder Hinggendorff noch Fahrenshoff davon berichten.«

»Dann machen wir es ohne diese Herren«, rief Rivitelli mit blitzenden Augen.

Martin stieß ein ärgerliches Lachen aus. »Wir müssten in der Nacht das Lager verlassen. Doch die Posten werden uns aufhalten wollen!«

»Dann überrennen wir sie«, schlug Rivitelli vor.

»Und haben anschließend die Ungarn am Hals, weil alle denken, wir wären Deserteure. Während wir uns mit denen herumschlagen müssen, fahren die Franzosen gemütlich nach Oppingen und lachen so laut über uns, dass es den ganzen Rhein entlangschallt«, erklärte Martin und ballte hilflos die Fäuste. Seit der Begegnung mit Schäfflein zermarterte er sich das Gehirn nach einer Möglichkeit, wie sie die Schiffe doch noch aufhalten konnten, sah aber nach wie vor keine Möglichkeit.

Da glitt Reni an seine Seite und zwinkerte ihm zu. »Ich kann Euch einen Passierschein besorgen!«

»Aber wie?«, fragte Martin.

Die junge Frau antwortete nicht, sondern ging hüftschwingend auf den Lagerteil der Österreicher zu.

Ein Dragoner richtete den Karabiner auf sie, doch ein Kamerad drückte den Lauf der Waffe zu Boden. »Bist du verrückt geworden?«, schnauzte er. »Die Marketenderin reibt Hinggendorff immer den Buckel ein und ist deswegen gut bei ihm gelitten.«

»Mir könnte sie was anderes einreiben. So ein fesches Ding und so ein alter Mann! Da kann nichts Gescheites draus werden.«

Während die beiden Dragoner sich leise unterhielten, ging Reni an ihnen vorbei und öffnete kurz darauf die Plane am Eingang zu Hinggendorffs Zelt. Der Feldhauptmann und seine Offiziere saßen beim Essen und tranken den Wein, den Scheller auf den Märkten in der Umgebung besorgt hatte. Der Zahlmeister gehörte ebenfalls zu der Runde, wirkte auf Reni jedoch schlechtgelaunt.

Sie kümmerte sich nicht um ihn, sondern knickste vor Hinggendorff. »Darf ich kurz mit Eurer Exzellenz unter vier Augen sprechen?«

»Du siehst doch, dass wir uns hier beraten!«, rief Erkenwaldt unwillig. »Also verschwinde und komm wieder, wenn der Feldhauptmann dich rufen lässt!«

Damit aber griff er in Hinggendorffs Augen zu sehr in dessen Kompetenzen ein. »Schon gut, Reni! Ich komme kurz heraus. Es tut den erhitzten Gemütern der Herren Offiziere ganz gut, wenn sie sich etwas abkühlen können.«

Reni knickste erneut und verließ eilig das Zelt. Als Hinggendorff neben sie trat, fasste sie ihn am Arm. »Ich habe fürchterliche Angst, Eure Exzellenz! Die Söldner rotten sich zusammen und stoßen wüste Drohungen aus, und die meisten Berrinsburger würden lieber heute als morgen davonlaufen. Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird es zu einem Aufruhr kommen, an dem das ganze Heer zugrunde gehen kann.«

»Aber das muss dir keine Sorge bereiten. Da der Scheller ein paar Vorräte besorgt hat, haben die Männer auch wieder etwas zu beißen, und das wird sie beruhigen.«

»Darum geht es ja! Die Männer mussten ihr eigenes Geld dafür hergeben, und das allein sorgt für böses Blut. Jetzt behaupten die Söldner und die Berrinsburger, dass Scheller und seine Leute weniger Lebensmittel gebracht hätten, als er für das Geld hätte kaufen können. Auch ärgern sie sich, dass der für Eure österreichischen Dragoner und Husaren bestimmte Wagen fast genauso hoch beladen war wie der, den sie bekommen haben, obwohl diese Männer gerade mal ein Viertel des Heeres ausmachen. Die Söldner und die Berrinsburger fühlen sich daher betrogen, und es braucht nur noch einen winzigen Anlass, um den Aufruhr neu zu entfachen. Dann werden sie auch vor den Herren Offizieren nicht mehr haltmachen.«

»Das wäre fatal!« Hinggendorff schluckte und warf einen Blick über das Lager. Es war nicht zu übersehen, dass sich mehr als einhundert Männer um Jettes Wagen versammelt hatten. Unter ihnen waren die Aufrührer vom Vortag, die er auf Erkenwaldts Rat hin nicht hatte bestrafen lassen, um die Wut der Männer nicht noch mehr anzuheizen.

»Was sollen wir denn da tun?«, fragte er hilflos.

»Leutnant Hallberg ist eben zurückgekehrt«, berichtete Reni. »Unterwegs hat er einen Gutshof passiert und etliches an Vieh dort gesehen. Jetzt bittet er um Erlaubnis, in der Nacht ein Dutzend Schweine und ein paar Rinder wegzuholen. Wenn es morgen in der Früh Fleischsuppe gibt und zu Mittag Braten, werden sich die Gemüter gewiss wieder beruhigen.«

»Aber das wäre Raub!«

»Wollt Ihr, dass Euer Heer auseinanderfällt und Euer Name für immer mit dieser Schande befleckt bleibt?«, fragte Reni bissig. Sie hatte sich entschieden, nicht die Wahrheit zu sagen, da Hinggendorff sonst Erkenwaldt damit beauftragt hätte, die Schiffe abzufangen, und der hätte gewiss nur seine Österreicher für diese Aufgabe eingesetzt. Das hätte den Ärger der Söldner und Berrinsburger noch weiter angeheizt.

Hinggendorff nickte schließlich widerstrebend. »Ich gestatte es um unseres Kriegszugs willen! Es dürfen aber keine meiner Österreicher und Ungarn dabei sein, sondern alles muss auf die undisziplinierten Berrinsburger Krautbauern und die ketzerischen Söldner geschoben werden.«

»Danke, Eure Exzellenz!«

Reni fiel ein Mühlstein vom Herzen, denn damit spielte der Feldhauptmann Martin in die Karten. Auch wenn der junge Leutnant keine Erfahrung in solchen Dingen besaß, so standen doch Männer wie Rivitelli und Türck an seiner Seite, die wussten, was getan werden musste.

»Ich gehe jetzt wieder ins Zelt und schreibe den Passierschein. Warte hier auf mich!«

»Mit dem größten Vergnügen, Eure Exzellenz! Soll ich heute Abend wieder zum Einreiben kommen?«

»Heut nicht, weil wir bis in die Nacht hinein beraten werden. Aber morgen wär’s mir sehr lieb.« Mit diesen Worten kehrte Hinggendorff in sein Zelt zurück.

Für einige Augenblicke stand Reni wie auf glühenden Kohlen, doch der alte Herr hielt sein Versprechen und kehrte bald mit dem unterschriebenen Passierschein zurück.

2.

Als die Nacht hereinbrach, musterte Martin die Männer, die sich um ihn versammelt hatten, mit forschendem Blick. »Wer von euch kann schwimmen?«

Als die meisten die Hand hoben, atmete er auf. »Hört mir gut zu«, erklärte er. »Es werden vier Rheinschiffe vorbeifahren, drei Prähme und ein großes, holländisches Stromschiff, die in den Hafen von Oppingen einlaufen wollen. Nur wenn es uns gelingt, alle vier in unsere Gewalt zu bringen, besteht noch Aussicht, Oppingen zu erobern. Fällt die Ladung den Franzosen in die Hände, ist dieser Kriegszug für uns verloren.«

Als Gemurmel erklang, hob er mahnend die Hand. »Seid still! Die Österreicher dürfen nichts davon erfahren. Ihr wisst doch, dass Hinggendorff verboten hat, Schiffe auf dem Rhein zu behelligen. Er befürchtet, die Fürstbischöfe von Trier und Mainz und einige andere Herren könnten daraufhin auf der Seite unserer Feinde eingreifen.«

»Deswegen kommt der Nachschub für die Franzosen immer durch, und die können uns eine lange Nase drehen«, warf Rivitelli ein.

»Diesmal wird er nicht durchkommen«, erklärte Martin beschwörend. »Wir müssen den Schiffen ein Stück rheinaufwärts auflauern, sonst können wir nicht mit ihnen bei unserem Lager anlegen. Es sind zwanzig Franzosen auf den Schiffen. Mit denen müssen wir als Erste fertigwerden.«

»Und was ist mit den Schiffern?«, fragte Jette, die sich ebenso wie Reni zu ihm gesellt hatte.

»Ein Teil hält zu uns, andere werden fliehen. Lasst sie also in Ruhe. Nur wenn sich einer mit der Waffe in der Hand gegen uns stellt, wird er entsprechend behandelt!«

»… und zwar damit!«, unterbrach Rivitelli Martin und streichelte seinen Dolchgriff.

»Dann sind wir uns einig! Macht euch jetzt fertig. Wir brechen gleich auf.« Martin erhob sich und wollte vorangehen. Da entdeckte er halb hinter einigen Männern versteckt Rambert von Uhlden.

»Was willst du hier?«, fragte er verärgert.

»Ihr habt etwas vor, das ist doch klar! Ich werde dabei sein!«, rief sein ehemaliger Freund.

Es mochte reine Neugier sein, vielleicht auch der Versuch, ihn wieder zu versöhnen, ohne sich entschuldigen zu müssen, oder reines Kalkül, um anderen hinterher berichten zu können, was wirklich geschehen war. Martin war sich seiner Sache nicht sicher und wollte Rambert bereits wegschicken, als ihm einfiel, dass dieser zu Schellers Leuten gehörte und dem Zahlmeister gewiss sofort weitertragen würde, dass sich hier etwas tat. Selbst wenn Rambert es nur ein paar Dragonern erzählte, konnte es das Ende dieser Unternehmung bedeuten.

»Also gut, du kannst mitkommen!«, sagte er daher und winkte Haro zu sich.

»Du passt auf, dass Rambert nicht verschwindet! Er darf mit keinem von Erkenwaldts Leuten reden.«

»Keine Sorge! Wir geben schon acht«, antwortete sein Freund.

Da Martin ihn entdeckt hatte, drängte Rambert sich nach vorne. »Wie willst du das Lager verlassen? Die Posten lassen dich gewiss nicht raus.«

»Das werden sie, und zwar auf Hinggendorffs ausdrücklichen Befehl!«, antwortete Martin und hielt den Passierschein hoch, den Reni ihm besorgt hatte. »Hier steht, dass Leutnant Hallberg mit einer angemessenen Schar das Lager verlassen darf, um zu fouragieren.«

Als Haro das hörte, stieß er einen durchdringenden Pfiff aus und klopfte Martin auf die Schulter. »Dieser Schein ist Gold wert, alter Junge. Behalte ihn und pass ja gut darauf auf. Kein Regimentskommandeur im Heiligen Römischen Reich wird dir jetzt noch eine Leutnantsstelle verweigern, da Feldhauptmann Hinggendorff dich höchstpersönlich mit diesem Rang angesprochen hat.«

»Haro hat recht!«, stimmte Jette ihm zu. »Der Rang eines Leutnants des Berrinsburger Aufgebots, den Reichsgraf Joseph Euch verliehen hat, ist im Grunde einen Fliegenschiss wert. Niemand wird was darauf geben. Doch mit diesem Schreiben sieht die Sache anders aus.« Noch während sie es sagte, drehte Jette sich zu Reni um. »Du bist schon ein Teufelsmädel! Wie hast du Hinkefüßchen dazu gebracht, diesen Passierschein auszustellen?«

Reni lächelte überlegen. »Das war ganz einfach! Ich sagte ihm nur, dass die Stakke-Söldner und die Berrinsburger rebellieren würden, wenn sie morgen nichts Richtiges zwischen die Zähne bekämen. Da hat er alle Bedenken beiseitegeschoben und Hallberg die Erlaubnis erteilt, das Lager zu verlassen.«

»Danke!« Martin wollte ihr einen Kuss geben, doch Reni drehte sich so, dass sein Mund nur ihre Wange berührte. »Einmal war schön, aber dabei sollten wir es belassen«, sagte sie leise.

Noch während Martin an seiner Enttäuschung knabberte, klang erneut Ramberts Stimme auf. »Ich finde es seltsam, dass Martin mit dem Fouragieren beauftragt wurde. Das ist doch eigentlich Herrn Schellers Sache, und der hätte den Auftrag dazu gewiss mir erteilt.«

Im nächsten Moment stieß er einen keuchenden Schmerzenslaut aus, denn Rivitellis Ellbogen hatte ihn mit der Wucht eines Hammers in die Rippen getroffen.

»Noch ein weiteres Wort, dann wird dich genau an dieser Stelle mein Dolch treffen«, warnte ihn der Genuese.

Rambert wollte etwas sagen, doch als der Söldner zum Dolch griff, hielt er den Mund.

»Danke, Rivo!«, sagte Jette. »Dafür kannst du dir einen Becher Wein bei mir abholen, sobald ich wieder welchen habe.«

Sie stupste Martin an und wies zum Himmel, auf dem eben die ersten Sterne erschienen. »Ihr solltet euch jetzt auf den Weg machen. Sonst sind die Franzosen in Oppingen, bevor ihr eure Posten bezogen habt.«

»Was ist mit den Franzosen?«, fragte Rambert verwirrt.

»Halt den Mund und komm mit!«, fuhr Haro ihn an.

Martin übernahm die Spitze, und kurze Zeit darauf erreichte der Trupp die Lagerwache. Der Mann hörte die Männer eher, als er sie sah, und schlug seinen Karabiner an.

»Halt, stehen geblieben! Was ist eure Order?«, rief er und wurde bleich, als er Soldat um Soldat hinter Martin auftauchen sah.

»Macht keinen Unsinn, Leut’, und lasst das Desertieren. Ihr wisst doch, dass euch die Ungarn bald am Wickel haben werden. Also seid gescheit und kehrt ins Lager zurück. Ich werde auch keine Meldung machen!«

Der Wachtposten hob den Lauf seines Karabiners, so dass dieser nicht mehr direkt auf Martin zeigte. Sein Finger lag jedoch am Abzug, um jederzeit Alarm geben zu können.

»Bist du etwa auf Wache besoffen?«, schnauzte Martin ihn an und hielt ihm den Passierschein unter die Nase. »Siehst du nicht, dass wir auf Order des Kommandeurs ausrücken?«

Da es inzwischen dunkel geworden war, trat Jupp neben ihn, schlug einen Funken auf seinem Feuerzeug und blies das Luntenkraut an, bis die Flamme hell genug war, damit der Posten wenigstens Hinggendorffs Unterschrift erkennen konnte.

Erleichtert stellte der Dragoner seinen Karabiner ab. »Ihr könnt passieren, Herr Leutnant!«

Martin gab seinen Leuten den Befehl, ihm zu folgen, und ging weiter. Zunächst marschierte der Trupp ein Stück vom Rhein weg, um die eigenen Wachtposten und mögliche französische Späher zu täuschen. Als sie nach Martins Ansicht nicht mehr beobachtet werden konnten, wechselte er die Richtung und hielt schnurstracks auf den Strom zu.

Im sanften Licht des Mondes fand der Trupp ohne Probleme den Weg und erreichte das Ufer ein Stück oberhalb der größten Sandbank, die jetzt im Herbst weit aus dem Wasser ragte und den Rhein in zwei schmale Arme zwang.

Während sie ihre Stiefel auszogen, starrte Haro besorgt auf den Strom. »Hoffentlich haben wir die Schiffe nicht schon verpasst.«

»So schnell können sie nicht hier sein«, antwortete Martin. »Außerdem hätten unsere Wachen sie bemerkt und Alarm geschlagen. Jetzt kommt es darauf an, ob sie die Sandbank auf unserer Seite oder auf der anderen umfahren. Dieser Rheinarm führt sehr nahe an unserem Lager vorbei, und sie müssten damit rechnen, beschossen zu werden. Fahren sie außen vorbei, sind sie zwar vor unseren Musketen sicher, laufen aber Gefahr, die Einfahrt in den Hafen von Oppingen wegen der kleineren Sandbänke zu verfehlen. Ich nehme dennoch an, dass sie den Weg außen herum wählen und sich nahe am anderen Ufer halten werden. Daher werden wir jetzt über den Strom schwimmen und uns noch mal hundert Schritt weiter oben auf die Lauer legen.«

»Das hast du dir ja gut ausgedacht«, warf Rambert giftig ein. »Wenn man dich hört, müsste man meinen, wir brauchten nur am Ufer stehen zu bleiben und zu warten, dass die Franzosen uns um den Hals fallen und uns ihre Schiffe schenken. Ich wette mit dir, dass wir uns drüben nur einen nassen Hintern holen werden, während die Schiffe an uns vorbeigleiten und sicher in Oppingen einlaufen.«

Martin fragte sich, was seinen alten Freund so verändert haben mochte. Allerdings war Rambert auch früher schon selbstsüchtig gewesen und hatte ihn und Haro oft genug ausgenutzt. Daher ignorierte er den Einwand und winkte Rivitelli, Krögg und Studerle zu sich.

»Ihr drei nehmt euch je fünfzehn Mann und kümmert euch um die Prähme. Mit dem Rest hole ich mir den Holländer. Auf dem werden die meisten Franzosen zu finden sein. Wir müssen so viele wie möglich gefangen nehmen! Vor allem die Offiziere dürfen uns nicht entgehen. Aber verschont auf jeden Fall die Schiffer! Die meisten stehen auf unserer Seite. Und jetzt schwimmen wir zur anderen Seite hinüber. Seid aber mucksmäuschenstill.«

»Klug daherreden konntest du schon immer gut«, maulte Rambert, doch zu seiner Enttäuschung achtete niemand auf ihn. Die Männer zogen sich aus, wickelten ihre Kleidung zu Bündeln und stiegen vorsichtig ins Wasser.

Eine knappe Stunde vor dem Zeitpunkt, an dem Martin seiner Schätzung nach die Schiffe erwartete, hatten sie den Rhein überquert. Auf seine Anweisungen hin legten sie sich flach auf den Boden, um vom Strom aus nicht gesehen zu werden.

In Gedanken ging Martin noch einmal alles durch, was er von Bruno Schäfflein über den Schiffszug erfahren hatte, und hoffte inbrünstig, keinen Fehler begangen zu haben. Am meisten Sorgen bereitete ihm der fast volle Mond, denn in seinem Licht konnten die Schiffer die lauernden Männer zu früh entdecken. Doch kurz bevor der erste Prahm in Sicht kam, zogen Wolkenfetzen vor dem Mond vorbei und tauchten Strom und Land in eine von unruhigem Flackern durchbrochene Finsternis.

Martin spürte, wie das Blut heftiger in seinen Adern pulsierte, doch der befürchtete Alarmruf des Ausgucks am Bug des vordersten Prahms blieb aus. Der Mann achtete mehr auf die fernen Wachtfeuer des kaiserlichen Lagers als auf das gegenüberliegende Ufer, während andere Schiffer das schwerfällige Schiff mit Stangen auf Kurs hielten.

Vor den Schiffern lag nun die schwierigste Stelle, die sie auf dem Weg nach Oppingen zu bewältigen hatten. Augenblicke lang sah es so aus, als wollten die Franzosen das Risiko eingehen, das kaiserliche Lager passieren zu müssen. Da schwang der Bug des Holländers herum und kam fast genau auf Martin zu. Dieser starrte auf das Schiff und entdeckte zwei Männer am Bug, die an ihren im wechselnden Licht spiegelnden Uniformknöpfen und Litzen als französische Offiziere erkennbar waren.

»Wie es aussieht, geht unser Plan auf«, meinte er zu Haro, der direkt neben ihm lag.

Da klang Ramberts Stimme überlaut auf: »Was ist, Martin? Schläfst du? Los, drauf auf sie!«

Rivitelli wollte ihm den Mund zuhalten, doch es war zu spät. Der französische Wachposten hatte die Bewegung auf dem Ufer gesehen und setzte das Horn an, um Alarm zu blasen. Da tauchte ein Schatten neben dem Mann auf, entriss ihm das Horn und warf es ins Wasser.

Martin lief auf die Aak zu, solange er Boden unter den Füßen hatte, und schwamm das letzte Stück. Seine Männer folgten ihm dichtauf. Als schnellster Schwimmer erreichte Haro zuerst den Holländer und schwang sich an Bord. Ein Franzose kam mit gefälltem Bajonett auf ihn zu. Geschickt wich Haro der Waffe aus, packte die Muskete mit beiden Händen und nutzte den Schwung des Gegners aus, um ihn in den Strom zu werfen.

»Gut gemacht!«, rief Martin ihm zu.

Er hatte das Deck als Zweiter erklommen und trieb zwei französische Soldaten mit schnellen Degenstößen zurück, um Raum für seine Männer zu schaffen, die nun nacheinander an Bord kletterten. Obwohl er immer mehr Feinde gegen sich hatte, vermochte er einen der beiden Offiziere, die ihn nun angriffen, an der Schulter und den anderen am rechten Unterarm zu verletzen. Dann kamen holländische Schiffer heran, stießen ein paar der französischen Soldaten über Bord und warfen die beiden Offiziere hinterher.

Gleichzeitig schrie auf dem nächsten Schiff ein Mann laut und durchdringend: »Rettet euch! Die Kaiserlichen sind über uns!«

Martin erkannte Bruno Schäffleins Stimme und sah ihn im nächsten Augenblick wie in Panik ins Wasser springen. Auch die meisten anderen Schiffer ließen Kahn und Ladung im Stich und flohen schwimmend.

Kurz darauf war alles vorbei. Während die Rheinschiffer in der Dunkelheit verschwanden, überwältigten Martins Männer die restlichen Franzosen und fesselten sie. Martin drang in das achtern gelegene Deckshaus ein und sah sich um. Da vernahm er unter sich Stimmen, winkte mehreren, ihm zu folgen, und stieg leise nach unten.

Kurz darauf schlug achtern etwas Schweres auf den Boden. Ein Schmerzensschrei folgte, dann fluchte jemand auf Französisch. Martin riss die Tür auf und sah im Schein einer Öllampe zwei Männer unter dem geöffneten Heckfenster stehen: ein schlanker, schwarzhaariger Mann in einer reichverzierten französischen Uniform und Rambert von Uhlden, der während des Kampfes gezielt hierhergekommen sein musste.

»Los, aufheben! Wir müssen die Kiste in den Rhein werfen«, sagte der Franzose eben auf Deutsch. Bevor sie sich nach dem metallbeschlagenen Kasten bücken konnten, trat Martin mit dem Degen in der Hand auf sie zu.

»Darauf solltet Ihr besser verzichten!«, sagte er mit einem Lächeln, das den Franzosen verwirrte. Dieser zog seinen Degen und bedeutete Rambert, die Kiste zu übernehmen. Aber der stieg voller Angst aus dem Fenster und sprang ins Wasser.

»Was für ein Feigling!«, meinte der Franzose verächtlich und brachte sich in Position. »En garde!«

Die Jugend seines Gegners ließ ihn annehmen, leichtes Spiel mit ihm zu haben. Doch schon nach kurzer Zeit hatte Martin ihn zweimal getroffen und schlitzte ihm zuletzt den rechten Oberarm auf.

Mit bitterer Miene ließ der Franzose die Waffe fallen und hob die Hände. »Ihr Gefangener, Monsieur!«

»Was habt Ihr mit Rambert von Uhlden zu tun?«, fragte Martin scharf.

»Mit wem? Ah, Ihr meint diesen Kretin, der eben geflohen ist? Nichts, Monsieur!«

Der Franzose log, das war Martin klar. Seit er in Rippweiler gewesen war, hielt er Scheller für einen Verräter. Der Zahlmeister hatte Rambert in seinen Trupp aufgenommen, der für die Versorgung des Heeres verantwortlich war, und das war ein Posten, auf dem ein Mann durchaus den einen oder anderen Gulden in die eigene Tasche wandern lassen konnte. Und wie es aussah, hatte Rambert sich nicht damit begnügt, sondern war selbst zum Verräter geworden.

»Wir werden sehen, ob Eure Aussage der Wahrheit entspricht«, antwortete Martin und befahl Wilm Krögg, der ihm als Erster gefolgt war, den Franzosen zu verbinden.

»Vergiss nicht, ihn zu fesseln«, setzte er hinzu, dann stellte er sich mit einer knappen Verbeugung vor. »Ich bin Leutnant Hallberg von den Berrinsburger Pikenieren und erlaube mir, Euch im Namen meines Reichsfürsten gefangen zu nehmen.«

»Charles de Jeausac, Capitaine vom Regiment de Maine«, antwortete der Franzose und wies auf die eisenbeschlagene Kiste, die vor dem Fenster stand. »Ihr seid ein Glückspilz, Leutnant! Wärt Ihr einen Moment später gekommen, hätte ich wenigstens die von uns mit so viel Mühe erbeutete kaiserliche Kriegskasse im Rhein versenken können. Nun besitzt Ihr beides, das Schiff mit seiner Fracht, die, wie Ihr wahrscheinlich schon wisst, von Feinden meines Souveräns Eurem Reichsgrafen zugedacht war, und das kaiserliche Gold.«

Martins Blick wanderte von Jeausac zur Kiste und wieder zurück. Nur langsam begriff er das volle Ausmaß seines Sieges. Mit dem Gold und der Ladung der vier Schiffe war das Heer schlagkräftiger denn je und konnte die Franzosen aus Oppingen vertreiben.

Dies schien auch Jeausac so zu sehen, dann er wehrte Krögg ab und trat ein paar Schritte auf Martin zu. »Euer Name ist Hallberg? Damit seid Ihr der Bastard von Berrinsburg. Wie Ihr seht, seid Ihr uns nicht unbekannt. Wir wissen auch, dass Euer reichsgräflicher Bruder Euch wenig Zuneigung entgegenbringt. Daher solltet Ihr Euch genau überlegen, was Ihr tut. In diesem Kasten ist ausreichend Gold, um am Hofe Louis le Grands aus dem Bastard von Berrinsburg einen ehrengeachteten Comte de Hallberg zu machen. Oder zieht Ihr die französische Form Montrésonance vor.«

»Der Name Hallberg kommt vom Salz und nicht vom Hall. Es müsste daher richtigerweise Montsel heißen. Dennoch ist es ein schöner Vorschlag, mon capitaine«, antwortete Martin mit einem sanften Lächeln.

Jeausac atmete auf.

Dann aber schüttelte Martin den Kopf. »Auf diese Weise also führen die Männer des vierzehnten Ludwig Krieg! Sie vertrauen auf Verrat, Bestechung und Mord. Doch meine Ehre ist nicht käuflich. Zudem haben Eure Handlanger den Fehler begangen, den Raubmord an dem kaiserlichen Kurier einem guten Freund in die Schuhe zu schieben. Daher werde ich alles tun, um zu verhindern, dass Major Stakke für Eure Schandtaten dem Henker überantwortet wird.«

»Mon Dieu, Ihr nehmt mir diese kleine Kriegslist doch nicht etwa persönlich übel?« Jeausac starrte auf den Degen in Martins Hand und erbleichte.

Mit einem Achselzucken steckte Martin die Klinge in die Scheide. »Selbst wenn dem so wäre, würde es nichts an meiner Entscheidung ändern. Ihr werdet die Gelegenheit bekommen, meinem Obristleutnant Just von Fahrenshoff und dem kaiserlichen Feldhauptmann Gundobert von Hinggendorff Rede und Antwort zu stehen.«

Mit diesen Worten überließ er den französischen Offizier endgültig dem wachsamen Wilm Krögg und einigen handfesten Pikenieren und ging an Deck. Kurz darauf klang seine Stimme über den Rhein. »Los, Männer! Nehmt die Stangen zur Hand und bringt die Kähne um die große Sandbank herum ans Ufer! Oder wollt ihr sie den Franzosen nach Oppingen liefern?«

»Gegen diese Lösung hätte ich nichts«, seufzte de Jeausac und ließ sich von Wilm Krögg verbinden und fesseln.

3.

Die Wachen im Feldlager hatten bemerkt, dass sich auf dem Strom etwas tat, und weckten Erkenwaldt. Als dieser im Zwielicht die Schiffe sah, die schwerfällig in die Fahrrinne auf dieser Seite der langen Sandbank einfuhren, befahl er, Alarm zu schlagen. Er selbst trieb seine Österreicher auf die Beine, während Fahrenshoff alles versuchte, um Ordnung und Disziplin in das zusammenlaufende Häuflein der Berrinsburger zu bringen. Doch auch er konnte seinen Soldaten nicht sagen, wie sie mit ihren krummschäftigen Piken gegen Stromschiffe vorgehen sollten.

Bei den Söldnern erkannte Urs Markbein rasch, dass ein Teil seiner Männer fehlte. Fluchend befahl er dem Rest, die Musketen zu laden, und führte sie ans Ufer. Erkenwaldts Dragoner warteten dort bereits mit schussbereiten Karabinern. Kaum einer der Soldaten war vorschriftsmäßig angezogen, und so mancher hatte seine Pulvertasche oder seine Feuersteine vergessen.

Nun trat auch Hinggendorff in Erscheinung. Im Gegensatz zu den Soldaten und etlichen Offizieren war er vollständig angekleidet und blickte durch sein Einglas auf die näher kommenden Schiffe. »Kann mir einer sagen, was das bedeuten soll? Greifen uns etwa die Franzosen an?«, fragte er verwirrt.

»Ich schätze, dass die Schiffe mit Nachschub für die Franzosen beladen sind«, beschied ihm Erkenwaldt und zog die Stiefel an, die ihm sein Bursche hinterhergetragen hatte.

Hinggendorff sah noch einmal zu den Schiffen hinüber und runzelte die Stirn. »Wenn das wirklich Nachschub für die Franzosen ist, wäre das fatal für uns.«

»Wenn ich es irgendwie verhindern kann, werden sie ihn nicht bekommen«, rief Erkenwaldt entrüstet und befahl seinen Soldaten, in den Strom vorzurücken. »Ihr geht so weit, bis euch das Wasser bis zur Brust reicht, feuert aber nur auf meinen Befehl!«, rief er und wandte sich anschließend mit schneidender Stimme an Urs Markbein. »Bringt Eure verdammten Musketiere auf den Gereonshügel. Sie sollen die Schiffe von dort aus unter Feuer nehmen!«

Der Söldnerhauptmann starrte auf die Schiffe, ohne auf die Anweisung des kaiserlichen Offiziers zu reagieren. »Ich glaube, die Schiffe wollen gar nicht an uns vorbeifahren. Die kommen direkt auf uns zu.«

»So besoffen können auch die Franzosen nicht sein«, rief Hinggendorff verwundert, während Erkenwaldt hin und her lief und nachschaute, ob seine Schützen feuerbereit waren.

Markbein kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt auf das vorderste Schiff. Ein Mann stand am Bug und winkte ihnen mit beiden Händen zu.

»He, Leute, nicht schießen! Hier ist Hallberg mit seinen Männern. Wir haben den Nachschub der Franzosen genommen. Morgen gibt es wieder Speck und Brot für euch«, rief er.

»Aber nur, wenn ihr uns nicht vorher abknallt«, setzte ein Zweiter fröhlich hinzu.

»Ich habe den Kerl auf dem Korn!« Ein Dragoner achtete in seiner Erregung nicht auf die Rufe und wollte feuern. Erkenwaldt hieb den Lauf der Waffe im letzten Moment nach oben, so dass die Bleikugel harmlos zu den Sternen emporfuhr, und herrschte den Mann zornig an. »Das sind Hallberg und Starzin, du Narr!«

Hinggendorff starrte seinen Stellvertreter mit offenem Mund an. »Das ist der Hallberg, sagt Ihr? Der wollte doch ein paar Schweinderl und Kühe von einem Gutshof wegtreiben. Wie kommt er jetzt zu diesen Schiffen?«

»Das wüsste ich auch gerne«, antwortete Erkenwaldt verärgert, weil der Kommandeur Martin losgeschickt hatte, ohne ihn zu informieren. Er schnauzte seine Männer an, einige Schritte zurückzutreten, und wartete angespannt auf die nahenden Schiffe.

Nicht weit von ihm tauchte der Zahlmeister aus dem Dunkel auf und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Strom. Dann wandte er sich an Hinggendorff. »Das ist ja entsetzlich! Die Herren am Rhein werden empört sein, wenn Ihr ihnen ihre Schiffe und deren Fracht wegnehmen lasst. Wir müssen die Prähme umgehend zurückgeben.«

»Du hast doch gehört, dass es Nachschub für die Franzosen sein soll«, fuhr Erkenwaldt ihn an.

Der Zahlmeister wedelte aufgeregt mit beiden Händen. »Das bildet sich Hallberg gewiss nur ein! Wir müssen …«

»Wir müssen gar nichts!«, unterbrach Erkenwaldt ihn eisig. »Für mich und für uns alle ist das dort drüben der Nachschub für die Franzosen, verstanden? Immerhin wollten die Kerle in der Nacht an uns vorbeifahren und haben sich dadurch verdächtig gemacht. Würden wir die Schiffe jetzt noch freigeben, könnte ich nicht einmal für meine eigenen Männer garantieren, geschweige denn für die Söldner und die Berrinsburger. Dafür hast du sie zu schlecht gefüttert.«

Scheller gab jedoch nicht auf. »Wahrscheinlich hat Hallberg die Schiffer überfallen, als sie am Ufer lagen und geschlafen haben. Wenn wir sie nicht sofort freilassen, kann es schlimme Folgen haben.«

Da Erkenwaldt sich davon nicht beeindrucken ließ, trat Scheller auf Hinggendorff und dessen Beichtvater Veit Rosen zu und redete leise auf sie ein.

Als die Schiffe das Ufer erreichten, sprang Martin an Land.

»Helft uns rasch, die Schiffe festzubinden! Sonst werden sie abgetrieben.«

Sofort eilten etliche Soldaten herbei und fingen die Leinen auf, die ihnen von den Prähmen aus zugeworfen wurden.

Fahrenshoff trat derweil an Martins Seite. »Gut gemacht, Hallberg! Endlich tut sich was auf diesem verdammten Feldzug. Sagt, waren die Schiffe tatsächlich für die Franzosen bestimmt, oder sind sie Euch nur zufällig über den Weg gelaufen?«

Martin lachte. »Es ist wirklich der Nachschub der Franzosen. Und nicht nur das! Die Fracht des großen Holländers war als Geschenk der Generalstände der Niederlande für unseren Reichsgrafen bestimmt. Aber sie geriet durch Verrat in die Hände der Franzosen. Durch den Willen Gottes haben wir sie wiedergewonnen.«

»Ob es Gottes Wille war, wird sich weisen«, belehrte Veit Rosen ihn mit gefurchter Stirn.

»Soll ich das so verstehen, dass es Euch lieber wäre, wenn Gott auf der Seite der Franzosen stünde als auf der unseren?«

Es war unklug, den Dominikaner auf diese Weise herauszufordern, doch Martin konnte nicht anders. Immerhin hatte Rosen mit seinem Hass auf alle Protestanten den Streit zwischen den katholischen Österreichern und den lutherischen Söldnern immer wieder angefacht.

Der Pater blickte ihn zornig an. »Wäre ich ein Offizier, müsste ich Euch für diese unbedachten Worte fordern, Hallberg. Als Mann der Kirche vergebe ich Euch. Ihr werdet jedoch unerschütterliche Beweise bringen müssen, dass diese Schiffe tatsächlich nach Oppingen gehen sollten.«

Martin begriff, dass Rosen ihn als Marodeur hinstellen wollte, der auf eigene Faust neutrale Schiffe gekapert hatte, und erteilte einen Befehl. Sekunden später brachten Rivitelli und Wilm Krögg den gefangenen Jeausac an Land. Vier Männer folgten ihnen mit der kaiserlichen Geldkiste und stellten sie vor Hinggendorff ab.

»Wir haben den Befehlshaber des Schiffszugs gefangen genommen«, erklärte Martin mit leichtem Triumph in der Stimme. »Er nennt sich Capitaine de Jeausac vom königlich-französischen Regiment de Maine. Ganz nebenbei haben wir auch noch die kaiserlichen Soldgelder wieder in unsere Hände gebracht, die von Agenten der Franzosen geraubt und diesen übergeben worden sind. Sollte Euer Hochwürden das nicht als Beweis genügen, muss ich Euch fragen, auf wessen Seite Ihr steht! Es ist daher an der Zeit, Major Stakke freizulassen, denn es gibt genug Beweise, dass er weder der Dieb der Soldgelder noch Pfefferles Mörder ist.«

»Hallberg, jetzt vermengt Ihr Äpfel und Birnen«, wandte Erkenwaldt ein. »Damit ist Stakkes Unschuld noch lange nicht bewiesen. Erlaubt mir jedoch die Frage, wie Ihr auf diese Schiffe gestoßen seid. Soweit ich hörte, wolltet Ihr ein Gehöft plündern.«

»Ich habe gestern auf meinem Ritt nach Rebheim durch Zufall von den Schiffen und ihrer Ladung erfahren und mir geschworen, dass sie ihr Ziel nicht erreichen dürfen.«

»Dann habt Ihr leichtfertig gehandelt«, schnauzte Erkenwaldt ihn an. »Ihr hättet dem Feldhauptmann oder einem anderen Offizier Meldung machen müssen, anstatt auf eigene Faust loszuziehen. Nicht auszudenken, wenn Euch die Schiffe entkommen wären. Wir würden das Lachen der Franzosen bis hierher hören.«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr Feldwachtmeister, aber genau das wollte ich am Nachmittag tun«, erwiderte Martin kühl. »Eure österreichischen Wachen waren jedoch der Ansicht, dass weder General Hinggendorff noch einer der anderen Offiziere von mir gestört werden dürfe, und vertrösteten mich auf den nächsten Tag. Da die Franzosen jedoch nicht so zuvorkommend waren, so lange zu warten, blieb mir nichts anderes übrig, als – wie Ihr so schön sagtet – auf eigene Faust zu handeln.«

Während Erkenwaldt an dieser Antwort zu kauen hatte, klang hinter ihm Hinggendorffs tadelnde Stimme auf. »Da hat der Hallberg schon recht! Außerdem ist doch alles gutgegangen. Wir haben das geraubte Gold zurück und können endlich unsere Soldaten bezahlen, so dass sie nicht weiter ans Desertieren denken. Lasst die Geldkiste in Schellers Unterkunft tragen und gut bewachen. Er soll gleich morgen früh den Sold ausgeben, damit eine Ruh ist!«

Erkenwaldt platzte beinahe vor Wut und brüllte los: »Scheller, zum Teufel, wo treibst du dich schon wieder herum?«

Es dauerte eine Weile, bis der Zahlmeister wieder auftauchte. Er war unbemerkt an Bord der Aak gestiegen, hatte Jeausacs Kabine durchsucht und kam nun mit einer unter den Arm geklemmten Ledertasche zurück, die er im Schein einer Laterne, die Hammerstock für ihn hielt, durchsuchen wollte.

»Was gibt es, Erkenwaldt?«, fragte er in einem Ton, als hätte ihn irgendein Pferdebursche gestört.

»Du sollst morgen früh den fälligen Sold auszahlen. Ich lasse die kaiserliche Geldtruhe in dein Zelt bringen, damit du alles vorbereiten kannst«, erklärte ihm Erkenwaldt.

»Das geht nicht! Es ist ganz und gar unmöglich!« Schellers Stimme nahm einen schrillen Klang an.

»Was heißt hier unmöglich? Das Geld ist doch da.«

»Ja, in geprägtem Gold!«, fauchte Scheller zurück. »Um den Sold zahlen zu können, brauche ich jedoch Münzen in verschiedenen kleineren Werten. Ich muss erst Geldwechsler holen lassen, damit sie mir das Gold gegen Silber- und sonstige Münzen eintauschen.«

Martin erstattete inzwischen Fahrenshoff Bericht und kam dabei auch auf Ramberts Verrat und Flucht zu sprechen. Mit halbem Ohr lauschte er dabei Erkenwaldts Streitgespräch mit dem Zahlmeister und hatte nun keinen Zweifel mehr, dass Scheller in diese Sache verwickelt sein musste. Ohne einen stichhaltigen Beweis war es ihm jedoch unmöglich, den Mann zu beschuldigen.

Erkenwaldt trat näher an den Zahlmeister heran und tippte ihm mit der Rechten gegen die Brust. »Ich will keine Ausflüchte mehr hören! Schick sofort deine Leute los, damit sie die Geldwechsler holen. Oder glaubst du, die Männer bleiben ruhig, wenn sie wissen, dass genug Geld da ist, um sie bezahlen zu können, ohne dass sie ihren Sold bekommen? Außerdem kannst du uns allen das Geld zurückgeben, das du vorgestern eingesammelt hast.«

»Wie stellt Ihr Euch das vor?«, wehrte Scheller ab. »Ich weiß doch nicht mehr, was jeder Einzelne gegeben hat!«

Erkenwaldt lief hochrot an und brüllte vor Wut. »Du hättest es ja aufschreiben können!«

Nun trat Martin hinzu. »Mir kann er das Geld geben, das ich in Rebheim ausgelegt habe, Scheller. Ich vermag es ihm schriftlich zu geben.«

Nun sah der Zahlmeister so aus, als würde er gleich platzen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, legte Urs Markbein ihm die Hand schwer auf die Schulter.

»Du solltest dich beeilen, Scheller! Es wartet sich nun einmal schlecht, wenn man weder Geld noch was zu saufen hat und von den Huren nicht einmal einen Furz bekommt, geschweige denn zwei bereitwillig gespreizte Beine.«

Er klang spöttisch, aber der warnende Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Du solltest Markbeins Rat befolgen, Scheller, sonst lernst du mich richtig kennen«, drohte Erkenwaldt und wandte sich dann dem Gefangenen zu. »Du nennst dich Jeausac?«, fragte er.

Der Franzose verbeugte sich leicht. »Mit Verlaub, Charles Marie Antoine Gaspard Ferrand de Jeausac, Capitaine vom Regiment de Maine.«

»Wahrscheinlich bist du nichts als ein gemeiner Spion der Franzosen. Du wirst jetzt entweder reden oder den Kopf verlieren.«

»Ich würde meinen Kopf aber sehr vermissen«, antwortete Jeausac mit einem bitteren Lachen.

Erkenwaldt verzog das Gesicht zu einer hasserfüllten Grimasse, wurde aber höflicher. »Dann redet! Sonst werdet Ihr den morgigen Tag nicht mehr erleben. Wie lauten de Valliers Pläne? Wie gut sind seine Soldaten bewaffnet? Wie viele Vorräte besitzt er noch in Oppingen?«

»Adieu, mein Kopf, du musst nun von mir gehen!«, rief Jeausac theatralisch. »Das alles weiß ich doch nicht, denn ich komme nicht aus Oppingen, sondern wollte erst dorthin.«

Einige Söldner und Berrinsburger lachten, denn sie gönnten Erkenwaldt die Abfuhr. Unterdessen redete Veit Rosen heftig auf Hinggendorff ein. Dieser gab sich schließlich einen Ruck und trat zu seinem Stellvertreter.

»Erkenwaldt! Dieser Herr ist ein französischer Kavalier, den können wir doch nicht einfach köpfen lassen.«

Während Erkenwaldt mühsam seine Wut bezähmte, grüßte Hinggendorff den Franzosen mit einer freundschaftlich anmutenden Geste. »Bonjour, Herr de Jeausac. Nehmt es meinem Feldwachtmeister nicht übel, dass er so zornig ist. Er nimmt mir viel Verantwortung von den Schultern und trägt daran wie der Atlas an der Weltkugel. Dafür aber muss ich seinen Übereifer des Öfteren ein wenig bremsen.«

Mit einem Mal tat Erkenwaldt Martin leid. Es war für den Offizier gewiss nicht leicht, mit einem so entschlusslosen Vorgesetzten wie Hinggendorff auszukommen. Zudem stand der Feldhauptmann so stark unter dem Einfluss seines Beichtvaters, dass er kaum eine andere Meinung gelten ließ. Veit Rosen trat nun ebenfalls auf den Franzosen zu und reichte ihm das Kreuz, das ihm an einer langen Kette um den Hals hing, zum Kuss.

»Ich versichere Euch, Monsieur de Jeausac, dass Ihr in ehrenvoller Gefangenschaft gehalten werdet. Ihr müsst gewiss keine Folter fürchten«, sagte er mit sanfter Stimme.

Martin hätte den Dominikaner ins Gesicht schlagen können, denn bei Stakke hatte der Mönch auf der Folter bestanden, obwohl der Schwede unschuldig war. Aber den Franzosen, von dem man wichtige Informationen für den Krieg hätte erfahren können, wollte er verschonen.

»Seit wann befehlen die Pfaffen im Heer?«, fragte Erkenwaldt scharf. »Entweder redet der Franzose, oder ich lasse ihn zum Reden bringen!«

Hinggendorff starrte seinen Stellvertreter empört an. »Erkenwaldt, was soll das?«

»Ich will von Jeausac wissen, wie er an das Gold gekommen ist! Da wir Stakke wegen dieses Goldes foltern wollten, sehe ich nicht ein, weshalb wir es bei dem Franzosen nicht auch tun sollten.« Erkenwaldts Stimme klang wie ein Peitschenhieb und erschreckte nicht nur de Jeausac, sondern auch die eigenen Leute.

»Jeausac hat das Gold von Jockel Frisch erhalten. Der Handelsagent ist mit den Franzosen im Bunde«, warf Martin ein.

»So?« Erkenwaldt sprach nur dieses eine Wort, aber sein Blick ruhte etliche Sekunden fragend auf Martin, als wolle er dessen geheimste Gedanken lesen.

Scheller hingegen wedelte erneut mit der Hand. »Das ist doch hanebüchener Unsinn! Jockel Frisch ist durch und durch ein Ehrenmann. Dafür verbürge ich mich.«

»Wenn wir Jeausac foltern, können wir Stakkes Unschuld beweisen«, schlug Martin vor.

»Ein interessanter Gedanke«, erklärte Erkenwaldt zu seiner Verwunderung, während Scheller sich mit einer hilfesuchenden Geste an den Dominikanerpater wandte.

Dieser hob mit drohender Geste den rechten Zeigefinger. »Stakke ist schuldig! Das hat die Untersuchung zweifelsfrei ergeben.«

»Das sehe ich anders, und den Beweis dafür habe ich gestern von meinem Ritt mitgebracht«, entgegnete Martin heftig.

»Das ist wahr!«, stimmten ihm einige Söldner zu.

»Aber Leute, was soll das Ganze?«, rief Hinggendorff beschwichtigend. »Es ist schon spät, und wir sollten daher wieder schlafen gehen. Erkenwaldt, stellt eine Wache auf, die die erbeuteten Schiffe vor Plünderungen schützt. Morgen sehen wir uns genau an, was sie geladen haben und wie wir es verwenden können.«

Da erhob Scheller Einspruch. »Das kann ich nicht zulassen! Die Ladung des Holländers ist für meinen erlauchtigsten Herrn, den Reichsgrafen Joseph von Berrinsburg bestimmt. Ich wäre ihm ein schlechter Diener, würde ich sie aus der Hand geben.«

»Bist du übergeschnappt, Scheller? Der Feldhauptmann hat befohlen, dass die Sachen morgen früh gemustert werden, und so wird es geschehen«, brüllte Erkenwaldt ihn an.

Da schüttelte Just von Fahrenshoff energisch den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so sicher, Erkenwaldt. Immerhin haben nicht Eure Österreicher, sondern wir Berrinsburger und unsere Söldner die Schiffe aufgebracht. Damit gehört die Beute uns.«

»Wohl gesprochen!«, erklärte Scheller und nickte Fahrenshoff dankbar zu. »Ich werde dem Reichsgrafen berichten, wie gut Ihr seine Interessen vertretet. Er wird sich gewiss dankbar zeigen.«

»Also, Erkenwaldt, ich weiß nicht, warum Ihr andere Leute so grundlos verärgern müsst!« Hinggendorff seufzte kurz und fuhr dann fort: »Seine Majestät, der Kaiser, würde es uns außerordentlich übelnehmen, wenn wir Reichsgraf Joseph gegen uns aufbringen. Immerhin ist er unser treuer Verbündeter. Wenn ihm die Holländer die Sachen geschickt haben, sollen seine Soldaten sie auch bekommen. Über die Waren der Franzosen können wir morgen reden. Aber jetzt bin ich ehrlich müde und möchte ins Bett. Gute Nacht miteinander!«

Er hob grüßend die Hand und ging in Richtung seines Zelts, während Erkenwaldt seiner Miene nach am liebsten einige der Anwesenden erwürgt hätte.

4.

In dieser Nacht schien niemand außer Hinggendorff an Schlaf auch nur zu denken. Die Soldaten standen in Gruppen herum und besprachen die Geschehnisse. Während die meisten Söldner und auch viele Berrinsburger über Hinkefüßchen und seinen Schoßhund, wie sie Erkenwaldt nannten, spotteten, murrten die Österreicher, weil ihnen die Fracht der vier Schiffe verweigert worden war.

Mit Grausen begriff Martin, dass die Gräben im Lager durch seinen Handstreich eher noch tiefer aufgerissen worden waren. Die aus den Habsburger Erblanden stammenden Dragoner und die Ungarn hatten bislang auf die zum Waffendienst gezwungenen Berrinsburger und auf die von deren Reichsgrafen Joseph angeworbenen Söldner herabgeschaut. Diesen Hochmut zahlten die anderen ihnen nun heim.

Die Situation war so angespannt, dass Martin hoffte, Hinggendorff würde Stakke am nächsten Morgen freilassen, denn er hielt den Schweden für den Einzigen, der für Disziplin im Lager sorgen konnte. Erkenwaldts Autorität war durch Hinggendorffs ständige Kritik unrettbar beschädigt worden und reichte daher kaum aus, um die eigenen Österreicher unter Kontrolle zu halten.

Martin war davon überzeugt, dass sie vieles von dem, was in den letzten Tagen geschehen war, Schellers rätselhaften Winkelzügen zu verdanken hatten. Er konnte jedoch nicht offen gegen den Zahlmeister auftreten, weil hinter diesem dessen Schwager Gerondt steckte, und der genoss das volle Vertrauen des Reichsgrafen.

Er sehnte sich nach jemandem, mit dem er reden konnte, und lenkte seine Schritte zu Jettes Wagen. Dort hatten sich alle Marketenderinnen versammelt und berieten, was sie an Waren benötigten.

»Ich will schließlich wieder etwas verdienen«, meinte Hilla eben.

»Bevor ich etwas kaufen kann, muss ich erst die Schulden eintreiben, die die Soldaten bei mir haben«, erwiderte Jette, die das Geld, welches Stakke und sie für eine gemeinsame Zukunft gespart hatten, nicht angreifen wollte.

»Wenn du willst, kann ich dir etwas leihen«, bot Reni ihr an. Sie hatte von Hinggendorff den einen oder anderen Gulden zugesteckt bekommen und wollte nicht mehr so viele Waren auf Vorrat kaufen.

»Ihr habt ja vieles zu besprechen«, sagte Martin lächelnd und trat neben Reni. Doch als er ihr den Arm um die Hüften legen wollte, wich sie ihm mit einer geschmeidigen Bewegung aus.

»Ich sagte Euch doch, einmal war es gut, mehr kann es jedoch nicht sein«, flüsterte sie ihm zu.

Martin war wie vor dem Kopf geschlagen, denn in den letzten beiden Tagen hatte er sich immer wieder vorgestellt, weitere Nächte mit ihr zu verbringen. In jener ersten war sie so sanft und anschmiegsam gewesen, dass er sich beinahe wünschte, sie könnte seine Geliebte werden, so wie Jette es für Stakke war. Stattdessen tat Reni nun so, als würde er ihr nicht das Geringste bedeuten.

Bevor er ein Wort sagen konnte, durchschnitt ein scharfer Knall die Nacht. Martin hörte ein durchdringendes Rauschen und kurz darauf nicht weit entfernt von ihnen das Brechen und Bersten, als würde ein Baum in Stücke gerissen. Im nächsten Augenblick flammte eine rote Feuerzunge über dem höchsten Turm von Oppingen auf, und gleich darauf rollte erneut der Donner eines Kanonenschusses über das Lager.

»Die Franzosen nehmen uns unter Feuer! In Deckung!«, schrie Haro und rannte los, während Martin stehen blieb. Er wollte sehen, wo die Kugeln der Franzosen einschlugen, konnte es aber in der Dunkelheit nicht erkennen. Da zeigte Jette zum Rhein hinab, wo keine fünfzig Schritte vor den erbeuteten Prähmen eine Wasserfontäne hochschoss.

»Gleich treffen sie die Schiffe. Dann explodiert das ganze Pulver und vernichtet das Lager. Wir müssen weg!«, kreischte ein Mann panikerfüllt.

Türck, der mit langen Schritten herbeigeeilt war, lachte ihn aus. »Was bist du nur für ein Feigling! Du siehst doch, dass das Feuer der Franzosen zu kurz liegt.«

Er ging an den Wachen vorbei, die von den Schiffen gesprungen waren und sich hinter einem Sandhügel in Sicherheit gebracht hatten, und stieg auf den Prahm, der Oppingen am nächsten lag. Dort blieb er gut sichtbar auf dem Hinterdeck stehen und zündete seine Pfeife an.

Jette schrie erschrocken auf, als die nächste Kugel kurz vor dem Schiff einschlug. »Komm herunter! Wenn die Franzosen mit doppelter Ladung schießen, erreichen sie dich.«

Türck schüttelte lachend den Kopf. »Die Kerle schießen bereits mit höchstmöglicher Ladung. Noch ein Körnchen Pulver mehr, und ihnen fliegen die Rohre um die Ohren!«

»Ich hoffe, du hast recht«, sagte Martin. »Es würde mich fürchterlich ärgern, wenn die Franzosen unsere Beute zusammenschießen würden. Daher sollten wir die Schiffe ein Stück stromaufwärts ziehen, um sie aus der Reichweite der französischen Kanonen zu bringen.«

»Das tun wir auch!« Erkenwaldt war mit einem Trupp Dragoner erschienen und zeigte auf die Schiffe. »Los, Leute, packt die Seile und zieht die Prähme weiter nach hinten. Das gilt auch für Eure Krautbauernsoldaten, Hallberg!«

Zum ersten Mal glitt der Hohn des Österreichers an Martin ab. Ohne sich weiter um Erkenwaldt zu kümmern, winkte er Krögg, Studerle, Jupp und eine Reihe anderer Berrinsburger und Söldner zu sich und stieg auf die Aak. »Der Kahn trägt die wertvollste Ladung. Daher wäre unser Souverän uns zu Recht böse, wenn wir sie durch unsere eigene Unachtsamkeit wieder verlieren würden.«

Die Männer ergriffen die Treidelleinen und zogen das schwere Schiff keuchend stromaufwärts bis zu einer Stelle, an der ein versumpfter Altarm eine kleine Bucht bildete. Dort vertäuten sie die Aak weit außerhalb der Reichweite der feindlichen Kanonen an einigen Bäumen und sahen dann zu, wie Erkenwaldts Männer die drei Prähme heranschleppten.

Martin verließ die Gruppe, weil alles in Ordnung zu sein schien, und kehrte ins Lager zurück. Als er sah, dass die Wachen vor dem Gefangenenzelt ihren Posten verlassen hatten, um sich die Schiffe anzusehen, nutzte er dies nach einem kurzen Blick in die Runde aus.

»Stakke, Aimo, ich bin es, Hallberg«, flüsterte er in das Dunkel hinein, das im Zelt herrschte.

Doppeltes Kettenklirren antwortete ihm, dann stieß Stakke einen erleichterten Seufzer aus. »Wie es aussieht, habt Ihr die Prähme erbeuten können.«

»Woher wisst Ihr, was ich vorhatte?«

»Da mich die Österreicher nicht versorgen wollten, hat Erkenwaldt Jette erlaubt, mich zu füttern. Sie konnte mir daher einiges ins Ohr flüstern. Aber sagt schon, ist alles gutgegangen?«

Martin tastete sich zu Stakke vor und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir haben nicht nur den Nachschub der Franzosen erbeutet, sondern auch zwei schwere und zwei leichte Kanonen und mehr als dreihundert Musketen und Karabiner, die dem Feind durch Verrat in die Hände gefallen sind. Die geraubten Soldgelder waren ebenfalls dabei.«

Stakke stieß erleichtert die Luft aus. »Das Geld ist wieder da? Und Kanonen haben wir auch? Dem Herrgott sei Dank! Dann können wir die Messieurs doch noch aus Oppingen verjagen.«

»Zunächst müssen wir Hinggendorff davon überzeugen, Euch freizulassen«, berichtigte Martin ihn. »Ich denke, ich habe genug Beweise, aber …«

»Dieses Aber bezieht sich wohl auf Veit Rosen. Der Teufel soll diesen Schwarzkittel holen! Er hat Hinggendorff beschwatzt, dass ich, selbst wenn ich an dem, was man mir vorwirft, unschuldig wäre, genügend andere Verbrechen auf meine Ketzerseele geladen habe, um dafür den Tod zu verdienen. Ich danke Euch, dass Ihr Euch so tapfer für mich eingesetzt habt. Aber ich bin erledigt. Daran könnt auch Ihr nichts ändern.«

»Was soll das Gejammere, Stakke? Ihr habt doch sonst nicht so leicht aufgegeben.«

»Der Major hat seinen Moralischen, Herr Leutnant«, erklärte Aimo, »weil er schon zu lange keinen Wein mehr bekommen hat. Jetzt krabbeln ihm die Würmer im Kopf herum.«

»Sei still, du alte Unke! Glaubst du, irgendjemand könnte Hinggendorff daran hindern, mich vom Leben zum Tode zu befördern, wenn sein Beichtvater es so haben will?«

»Hinggendorff weiß aber auch, dass nur Ihr die Söldner im Zaum halten könnt. Markbein schafft das nicht«, rief Martin beschwörend. »Verdammt noch mal, Stakke, Ihr dürft nicht den Mut verlieren. Eure Leute brauchen Euch!«

»Bringt mir einen Becher Wein, und ich spucke selbst dem Teufel in die Fresse«, erwiderte der Schwede mit einem bitteren Lachen. »Aber jetzt kochen meine Eingeweide vor Schmerz, und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Kümmert Euch nicht um mich, mein Freund, sondern sagt mir lieber, ob die Franzosen etwas getroffen haben.«

»Haben sie nicht! Sie haben zwar etliche Kugeln herübergeschickt, aber der Türck meinte, sie vergeuden damit nur ihr Pulver!«

»Wenn er das sagt, stimmt es auch.« Stakke klang zufrieden, seufzte einen Augenblick später jedoch wieder zum Gotterbarmen.

Martin überlegte verzweifelt, wie er dem Schweden helfen konnte. Doch bevor er etwas sagen konnte, sprach Stakke mit wahrer Grabesstimme weiter. »Hallberg, darf ich Euch für den Fall, dass der Pfaffe doch die Vögel mit mir füttern lässt, um einen Gefallen bitten?«

Martin fuhr auf. »Dazu wird es nicht kommen, und wenn ich Veit Rosen im Rhein ersäufen muss.«

»Es geht um Jette! Sie ist mir eine treue Kameradin gewesen, und ich will nicht, dass sie nach meinem Tod weiter mit den Soldaten ziehen muss. Das Kriegsglück ist wechselhaft, und schon oft musste eine Marketenderin, die ihren Wagen verloren hat, ihr Leben als billige Trosshure fristen. Versprecht mir, dass Ihr Euch um sie kümmern werdet. Eure Mutter ist reich und hat viele Bedienstete. Da kann sie Jette doch gewiss irgendwo unterbringen. Sie ist eine sehr gute Köchin.«

Martin spürte die Verzweiflung in Stakkes Stimme und brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass seine Mutter wohl kaum eine ehemalige Marketenderin in ihren Dienst nehmen würde. Im Dunkeln suchte er Stakkes Hand und drückte sie. »Ich werde mich um Jette kümmern! Aber vorher werde ich alles tun, um Euch lebend hier herauszubringen.«

»Danke! Das macht mir die Sache leichter. Doch nun geht mit Gott.«

»Ich werde für Euch tun, was in meiner Macht liegt«, versprach Martin und verließ das Zelt.

Draußen gesellte sich ein Mann zu ihm. »Na, Hallberg, was sagt der alte Schwede?«

Martin erkannte Markbein und sah ihn im Mondschein breit grinsen.

»Es sollte sich in einer Nacht wie dieser abspielen«, fuhr der Söldneroffizier fort. »Jemand muss die Wachen weglocken, und man braucht den Schlüssel zu den Ketten oder ein paar Eisenstangen, um die Kettenglieder zu sprengen. Für einen beherzten Burschen wie Euch müsste das doch möglich sein, zumal Ihr einige zu allem entschlossene Kerle bei Euch wisst.«

»Was meint Ihr damit?«, fragte Martin scheinbar harmlos, obwohl er genau wusste, worauf Markbein hinauswollte.

»Ich meine Stakkes Befreiung, Hallberg«, erklärte dieser leise. »Er muss fliehen, sonst lässt ihn der Pfaffe hinrichten – und dann ist im Lager der Teufel los. Meine Söldner würden sich weigern, noch einen Tag länger an der Seite der Österreicher zu kämpfen, und die wiederum würden versuchen, sie dazu zu zwingen. Über das, was dann passiert, mag ich gar nicht nachdenken.«

»Was heißt hier: Eure Söldner? Soviel ich weiß, stehen die Männer in den Diensten meines Reichsgrafen.«

»Lasst die Haarspaltereien, Hallberg! Ihr wisst genau, was ich meine. Ich habe schon mit Scheller darüber gesprochen. Joseph von Berrinsburg wird mich zum neuen Hauptmann seiner Musketiere ernennen. Wir müssen nur die Söldner dazu bringen, diese Entscheidung anzuerkennen. Wenn die sturen Kerle nicht wollen, laufen sie so schnell auseinander, dass sogar Palffys Ungarn das Nachsehen haben. Aber wenn ich Euch zu Stakkes Befreiung verhelfe, stärkt das meine Position, und Ihr erringt die Dankbarkeit des Reichsgrafen.«

»Das würde ich gewiss!«, erwiderte Martin kühl. »Wahrscheinlicher ist jedoch, dass ich mit Stakke zusammen fliehen muss und jede Hoffnung auf eine Karriere im kaiserlichen Heer vergessen kann.«

»Gute Offiziersstellen gibt es nicht nur bei den Kaiserlichen, Hallberg. Euch stünden Holland, Brandenburg, Polen und viele andere Länder offen. Vielleicht solltet Ihr ins Reich der Moskowiter gehen. Dort will Zar Alexander ein neues Regiment aufstellen und sucht erfahrene Offiziere. Mit etwas Glück könntet Ihr dort gleich als Rittmeister beginnen. In ein paar Jahren, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, könnt Ihr wieder in diese Gegend zurückkehren und als wohlbestallter Obrist in Münster, Trier oder der Kurpfalz Dienst nehmen. Überlegt es Euch gut, und lasst mich bald wissen, wie Eure Entscheidung lautet.« Markbein klopfte Martin zum Abschied auf die Schulter und verschwand zwischen den Zelten.

Martin rieb sich unwillkürlich die Stelle, an der ihn der andere berührt hatte. Das könnte Markbein so passen!, dachte er. Der Mann wusste genau, dass die meisten Söldner an Stakke hingen und ihm die Gefolgschaft verweigern würden, wenn diesem etwas zustieß. Wenn er sich jedoch rühmen konnte, dem Schweden zur Flucht verholfen zu haben, sah die Sache anders aus. Oder auch nicht, dachte Martin. Mindestens ein Drittel der Söldner würde Markbein auch dann nicht folgen. Doch ohne diese Männer war das Heer nur ein zahnloser Köter, der die Franzosen in Oppingen zwar ankläffen, aber nicht mehr beißen konnte.

5.

Martin wurde durch wüsten Lärm aus dem Schlaf gerissen und glaubte zunächst, die Franzosen würden angreifen. Mit raschem Griff packte er Degen und Pistole und eilte ins Freie. Doch da waren keine Franzosen, sondern nur heftig schimpfende Soldaten. In seiner Nähe entdeckte er Jette mit einer Miene, als wolle sie jemanden fressen.

»Was ist denn los?«, fragte Martin sie.

»Markbein hat auf Schellers Anweisung hin mit seinen Söldnern die Morgenwache bei den Prähmen übernommen und will die dort geladenen Vorräte nicht herausrücken. Daher gibt es auch heute nur eine dünne Suppe zum Frühstück. Aber von dem Zeug werden die Leute nicht satt. Ihr könnt Euch daher denken, wie aufgebracht sie sind.«

Martin sah die Marketenderin bestürzt an. »Ist Markbein übergeschnappt? Das Lager steht kurz vor einem Aufruhr. Hinggendorff muss Scheller sofort befehlen, dass er die Lebensmittel verteilt.«

»Scheller hat bereits beim Morgengrauen mit Hammerstock zusammen das Lager verlassen, um die Geldwechsler zu holen. Von jemand anderem aber, sagt Markbein, lasse er sich nichts befehlen.«

»Dann ist Markbein tatsächlich übergeschnappt! Außerdem hat nicht er die Schiffe erbeutet. Das waren wir!« Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch marschierte Martin in Richtung der Schiffe los. Dort war eine Wache von gut fünfzig Söldnern in voller Bewaffnung aufgezogen. Markbein stand auf der holländischen Aak und sah Martin grinsend entgegen.

»Guten Morgen, Hallberg!«, grüßte er lärmend. »Euer Streich gestern Nacht hat uns hübsch etwas eingebracht. Der Reichsgraf wird zufrieden sein.«

»Aber ich bin es nicht!«, erwiderte Martin scharf. »Ich halte nichts davon, dass meine Leute, die diese Schiffe erobert haben, jetzt mit leerem Magen herumstehen, während Ihr und Eure Männer Euch vollfresst.«

Da mehrere von Markbeins Söldnern mit vollen Backen kauten, war dieser Vorwurf berechtigt.

»Das müsst Ihr mit dem Zahlmeister ausmachen«, erklärte Markbein gereizt. »Ich befolge nur seine Anweisungen.«

»Verdammt noch mal, Markbein! Ihr seht doch selbst, wie es im Lager kocht. Wollt Ihr den Unmut der Männer noch weiter anheizen?«, rief Martin empört.

Markbein zuckte mit den Schultern. »Als Verwalter des reichsgräflichen Arsenals hat Scheller in dieser Angelegenheit das Sagen, und er hat mir befohlen, nichts auszugeben, ehe er zurück ist.«

Bevor Martin etwas darauf antworten konnte, stürmte Erkenwaldt heran. »Markbein, auf ein Wort!«

»Wenn Ihr Euch wegen der Vorräte beschweren wollt, müsst Ihr warten, bis Scheller zurückkommt. Mir sind die Hände gebunden!«, entgegnete der Söldner patzig.

»Darüber werden wir auch noch zu reden haben. Jetzt aber geht es um die großen Kanonen, die auf dem Holländer geladen sind. Wir brauchen die Rohre, um den nächtlichen Gruß der Franzosen beantworten zu können. Daher werden meine Männer sie abladen und in Stellung bringen.«

»Das werdet Ihr bleibenlassen! Die Waffen auf dem Holländer gehören dem Reichsgrafen von Berrinsburg und nicht dem Kaiser.«

Wie etliche andere Söldner hatte auch Markbein unter dem Hochmut der kaiserlich-österreichischen Offiziere gelitten und freute sich nun, es ihnen heimzahlen zu können.

»Außerdem könnt Ihr mit den Kanonen gar nichts anfangen«, fuhr er grinsend fort. »Schließlich ist Euer Stückmeister in jener Nacht samt seinen Kanonen zur Hölle gefahren. Wir aber haben den Türck, und der weiß mehr über Kanonen als all Eure Österreicher zusammen.«

Erkenwaldt begriff, dass er gegen Markbeins Sturheit nicht ankam, und stiefelte davon, um Hinggendorff Bericht zu erstatten. Anders als er blieb Martin und sah zu, wie Markbein den alten Türck zu sich rief. »Kannst du dir die Kanonen einmal ansehen?«

Türck stieg auf die Aak und kniete neben der Kanone mit dem größten Kaliber nieder. Mit einem kleinen Hämmerchen klopfte er auf deren Lauf und lauschte dem Klang.

»Die Rohre sind gute Arbeit, Markbein. Ausgezeichnete Arbeit sogar! Selbst der vierzehnte Ludwig verfügt in seinem Heer über keine besseren.«

Vorsichtig öffnete er eines der Pulverfässer und nahm ein paar Körnchen heraus. Er rieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger und leckte schließlich mit der Zungenspitze daran. »Das ist echtes Schießpulver und keine mit gemahlener Holzkohle gefärbten Sägespäne, wie Jockel Frisch sie uns untergeschoben hat«, erklärte er zufrieden.

Martin schüttelte es trotz dieser guten Nachrichten, denn er machte sich Sorgen um die Stimmung im Lager. Erkenwaldt war beinahe zu einer Witzfigur geworden, und die Autorität der anderen Offiziere nahm ebenfalls ab. Selbst Fahrenshoff, der mit den Berrinsburgern immerhin den größten Teil des Heeres kommandierte, wurde von Scheller und Markbein immer weiter beiseitegeschoben.

»Scheller ist der Schlüssel zum Ganzen«, murmelte Martin leise.

»Was sagt Ihr?«, fragte Jette, die an seine Seite getreten war.

»Ich denke über Scheller nach. Bei allem, was bisher geschehen ist, hatte er die Hände im Spiel, und das war niemals zu unseren Gunsten. Er hat Stakke als den Mörder Pfefferles und Räuber der Soldgelder hingestellt, der Soldgelder wohlgemerkt, die wir dann bei den Franzosen gefunden haben. Für das Geld, das er im Heer eingesammelt hat, hat er viel zu wenige und zu schlechte Lebensmittel besorgt, und dann wollte er auch noch, dass wir die erbeuteten Schiffe wieder freigeben, obwohl jeder wusste, dass sie für die Franzosen bestimmt waren.«

»Ihr haltet ihn für einen Verräter?«

Martin nickte verbissen. »Ja, das tue ich! Aber ich habe nicht den geringsten Beweis. Wenn ich ihn jetzt beschuldige, laufe ich Gefahr, zu Stakke und Aimo gesperrt zu werden.«

»Wieso hat diese Kreatur so viel Einfluss hier im Heer?«, fragte Jette weiter.

»Er hat Gerondts Schwester geheiratet, und dieser ist immerhin der Kanzler unseres Reichsgrafen und damit der eigentliche Regent von Berrinsburg, da mein Halbbruder sich nur um sein Vergnügen kümmert. Da sowohl Gerondt wie auch Scheller Fremde sind, glaubt Joseph, ihrer Treue sicher zu sein. Er misstraut nämlich dem Berrinsburger Adel, der ihn deutlich fühlen lässt, dass sein Vater ein besserer Herrscher war. Daher wird er so lange zu Scheller halten, bis dessen Schuld unzweifelhaft bewiesen ist.«

Da Martin sich mutlos anhörte, fasste Jette ihn hart an den Schultern. »Dann besorgt diesen Beweis! Ihr könnt das!«

»Am einfachsten wäre das, wenn wir Oppingen einnehmen und bei den Franzosen einen Brief oder Ähnliches mit Schellers Handschrift finden, mit dem ihm Verrat nachzuweisen ist!« Während Martins Gedanken in diese Richtung gingen, sann Jette über anderes nach.

»Könnte Scheller Pfefferles Mörder sein? Immerhin hat er die Möglichkeit, das Lager zu jeder Tages- und Nachtzeit zu verlassen!«

Martin schüttelte den Kopf. »Scheller hat keine solchen Pranken, wie auf dem Laken zu sehen sind, das ich dir gebracht habe. Auch Rambert kann es nicht gewesen sein, denn die Beschreibung des Rippweiler Nachtwächters und des Knechts vom Schwan trifft weder auf ihn noch Scheller zu.«

Da erinnerte Martin sich an die Szene bei seinem Aufbruch nach Rebheim, als er Scheller, Rambert und Hammerstock bei Ramberts Hengst gesehen hatte. Die Beschreibung des Pferdes, das der Mörder geritten hatte – ein großrahmiger, grobknochiger Brauner mit einer starken Ramsnase –, passte genau auf dieses Tier. Die auffallende Blesse von Ramberts Gaul konnte man im Dunkeln mit einer Handvoll Schlamm verdecken. Auch war Ditz Hammerstock ein großer, kräftiger Mann, der auch mit Pfefferle fertig geworden wäre und die schwere Goldkiste hätte tragen können.

Während Martin noch darüber nachsann, erschien ein junger österreichischer Offizier und blieb vor ihm stehen. »Seine Exzellenz, Feldhauptmann Hinggendorff, bittet Euch, in sein Zelt zu kommen.«

Was will Hinggendorff von mir?, dachte Martin verwundert. Im Grunde konnte es nur um einen Bericht gehen, wie sie die Schiffe erobert hatten, oder um Stakkes Freilassung. Mit neu erwachender Hoffnung folgte er dem Österreicher zu Hinggendorffs Zelt und fand dort die meisten Offiziere versammelt. Der Feldhauptmann war gerade wieder dabei, seinen Stellvertreter zu maßregeln. »Was habt Ihr Euch dabei gedacht, Euch mit Markbein wegen der Kanonen zu streiten, Erkenwaldt? Das ist doch gar nicht notwendig. Heut oder spätestens morgen schreibe ich einen Brief an Seine Erlaucht, den Reichsgrafen von Berrinsburg, und bitte ihn, uns die Geschütze zu überlassen. In spätestens einer guten Woche werdet Ihr sie haben!«

Erkenwaldt sagte nichts, und das war seiner verbissenen Miene nach auch besser so. Erneut tat er Martin leid. Trug Scheller vielleicht auch die Schuld an dem schleichenden Verlust von Erkenwaldts Autorität?, fragte er sich. Oder steckte Hinggendorffs Beichtvater Veit Rosen dahinter, den Erkenwaldt mehrfach zurechtgewiesen hatte? Zu Martins Verwunderung befand sich der Dominikaner nicht im Zelt. Er hätte trotzdem nicht dagegen gewettet, dass das, was Hinggendorff nun sagen würde, von Rosen stammte.

Mit einer freundschaftlichen Geste fasste Hinggendorff den verärgerten Erkenwaldt um die Schulter. »Vielleicht brauchen wir die Kanonen auch gar nicht mehr. Jetzt, da wir den Franzosen den Nachschub weggenommen haben, wird der Comte de Vallier einsehen müssen, dass es Zeit für ihn ist, zu kapitulieren. Ich habe vorhin einen Parlamentär zu ihm geschickt und angefragt, ob er zu Verhandlungen bereit ist. De Vallier hat zugestimmt und um die Entsendung einer Abordnung gebeten. Das ist der Grund, warum ich euch alle zusammengerufen habe.

Fahrenshoff wird der offizielle Anführer unserer Delegation sein. Das ist keine Zurücksetzung für Euch, mein guter Erkenwaldt. Aber er ist als Kommandant der Berrinsburger der Beauftragte seines Reichsgrafen. Ihr und Palffy werdet unsere kaiserlichen Fahnen repräsentieren, während Hallberg Herrn von Fahrenshoff zur Seite stehen soll. Stört Euch bitte nicht daran, dass ich einen Leutnant mitschicke. Aber die Franzosen sollen den jungen Burschen sehen, der ihnen diesen harten Schlag versetzt hat.«

Fahrenshoff und die anderen Offiziere klatschten pflichtschuldig Beifall. Martin hingegen konnte kaum glauben, was er gehört hatte. Wieso bildete Hinggendorff sich ein, General de Vallier, der Oppingen bislang mit allem Geschick verteidigt hatte, würde wegen der drei verlorenen Nachschubprähme kapitulieren? Erkenwaldt schien ebenso zu denken, denn er wagte es, dem Feldhauptmann zu widersprechen.

»Das halte ich für keine gute Idee, Eure Exzellenz! Meiner Ansicht nach sollten wir mit den Franzosen erst dann verhandeln, wenn sie die Wirksamkeit unserer neuen Kanonen am eigenen Leib erfahren haben.«

»Aber mein lieber Erkenwaldt! Monsieur de Vallier weiß, dass wir die Kanonen haben. Darum ist er auch für Verhandlungen, denn er kann nur noch einen ehrenhaften Abzug erreichen. Aber wenn wir die Stadt sturmreif geschossen haben, muss er kapitulieren.«

Erkenwaldt schüttelte energisch den Kopf. »Verzeiht, Eure Exzellenz, doch ich bin der Ansicht, dass wir dem Herrn General Comte de Vallier ein wenig Zeit zum Nachdenken lassen müssen. Daher sollten wir ihn frühestens morgen aufsuchen.«

»Also gut, damit Ihr Euern Willen habt!«, stöhnte Hinggendorff und langte sich an den Rücken. »Ich spüre wieder mein Reißen im Kreuz und hoffe, dass die Reni bald zum Einreiben kommt.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und humpelte in den privaten Teil seines Zeltes.

Erkenwaldt sah ihm zornerfüllt nach und wandte sich dann an die anderen Offiziere. »Lassen wir de Vallier noch ein wenig in seinem eigenen Saft schmoren! Morgen wird er gewiss zugänglicher sein als heute.«

Zwar bezweifelte Martin, dass Erkenwaldt damit recht hatte, doch er gönnte ihm den kleinen Sieg. Fahrenshoff hingegen trat auf Erkenwaldt zu und streckte ihm ein mit mehreren Siegeln versehenes Schriftstück hin. »Seine Exzellenz hat mir eine Botschaft für de Vallier übergeben. Wollt Ihr sie an Euch nehmen?«

»Ihr habt doch gehört, dass Ihr unsere Abordnung leiten sollt. Damit könnt Ihr auch Hinggendorffs Laufburschen spielen.«

6.

Etwa zu der Zeit, in der Martin bei Hinggendorff weilte, hielt die Kutsche der Gräfin Hallberg vor dem Schloss von Berrinsburg. Da Martins Mutter das langgestreckte Sandsteingebäude mit dem dunklen Schieferdach seit dem Tod des alten Reichsgrafen nicht mehr betreten hatte, wunderten sich viele, sie hier auftauchen zu sehen. Selbst der Kanzler des jetzigen Reichsfürsten trat an das Fenster seines Arbeitszimmers und blickte auf den Hof hinab.

Was macht die denn hier?, dachte er und verzog das Gesicht.

Die Gräfin zählte zu seinen entschiedensten Gegnern, und aus diesem Grund hätte er sie am liebsten aus Berrinsburg verbannt. Für einen solchen Schritt war ihr Rückhalt im hiesigen Adel jedoch viel zu groß. Der Reichsgraf konnte es sich nicht leisten, die Edelleute mit einer solchen Entscheidung gegen sich aufzubringen. Mit Schaudern dachte Gerondt an den Aufruhr, den das Eintreiben der Kriegssteuer bei der Gräfin entfacht hatte. Aufgrund eines Erlasses des vorigen Reichsgrafen waren die Besitztümer der Gräfin von allen Steuern und Abgaben befreit. Trotzdem hatte er seinen Schwager Scheller angewiesen, die Sondersteuer auch bei ihr zu erheben und dafür Sorge zu tragen, dass ihre Knechte und Bediensteten zum Heer gesteckt wurden. Die Aktion hatte jedoch nicht den Erfolg gezeitigt, den er sich erhofft hatte, sondern ihm hauptsächlich neuen Ärger eingebracht. Die Gräfin hatte sich nämlich an den Kaiser und an das Reichskammergericht in Wetzlar gewandt und gegen diese Verletzung ihrer Privilegien protestiert.

Die Dame im Schloss zu sehen, verhieß nichts Gutes. Daher verließ Gerondt das Zimmer und eilte schnellen Schrittes zu den Gemächern des Reichsgrafen. Auch wenn Joseph von Berrinsburg wenig Liebe für die einstige Mätresse seines Vaters empfand, so war er doch gezwungen, sie in allen Ehren zu empfangen.

»Zögert den Eintritt der Gräfin Hallberg hinaus«, wies Gerondt mehrere Diener an, bevor er den Audienzsaal seines Herrschers betrat. Auch wenn die Reichsgrafschaft Berrinsburg nur wenige Quadratmeilen umfasste und die Steuereinnahmen erbärmlich waren, bestand ihr Herr darauf, standesgemäß aufzutreten. So saß Reichsgraf Joseph in seidenen Hosen und einem wallenden Hermelinmantel auf einem thronartigen Sessel und sah dem Maler zu, der an einem Porträt von ihm arbeitete.

Gerondt hatte diesen kommen lassen und warf nun einen kurzen Blick auf dessen Werk. Es schmeichelte dem Reichsgrafen so sehr, dass er sich in Gedanken selbst auf die Schulter klopfte. Joseph war mit seinen knapp vierzig Jahren ein mittelgroßer Mann, dessen feist gewordenen Leib auch der locker gelegte Mantel nicht verbergen konnte. Auf dem Bild hingegen wirkte er schlanker, der sonst trübe Blick war klar, und der kurzen Nase hatte der Maler die kühne Biegung eines Raubvogelschnabels verliehen.

»Ach, Gerondt, Ihr seid es!«, begrüßte der Reichsgraf seinen Kanzler.

Gerondt verbeugte sich geziert. »Euer Erlaucht befinden sich hoffentlich wohl?«

»Das Mittagsmahl war erbärmlich, denn es bestand nur aus zwölf Gängen«, beschwerte Joseph von Berrinsburg sich.

In einer Zeit, in der die meisten seiner Untertanen froh waren, überhaupt satt zu werden, hätte auch dem Herrscher mehr Bescheidenheit gut angestanden, dachte Gerondt, erklärte dann aber, dass er ein ernstes Wort mit dem Haushofmeister sprechen werde.

»Tut das, mein Lieber!«, antwortete der Reichsgraf und erwartete von seinem Kanzler, sich ungesäumt auf den Weg zu machen.

Stattdessen trat Gerondt näher an seinen Herrn heran. »Verzeiht, Euer Erlaucht, doch die Gräfin Hallberg ist eben vorgefahren.«

»Die Hallberg? Aber …« Der Reichsgraf verstummte einen Augenblick und sah seinen Kanzler hilfesuchend an. »Sie wird doch nicht etwa einen positiven Bescheid des Kaisers erhalten haben und die von ihr verlangte Kriegssteuer zurückfordern?«

»Euer Erlaucht können unbesorgt sein. Ich habe Seiner Majestät geschrieben, dass die Ständeversammlung von Berrinsburg der Kriegssteuer zur Befreiung Oppingens zugestimmt hat. Die Beschwerde der Gräfin Hallberg ist damit gegen die Interessen des Reiches gerichtet und wird vom Kaiser nicht beachtet werden!« Gerondt hoffte, seinen Herrn damit beruhigen zu können, doch diesem saß die Angst vor der resoluten Dame tief in den Knochen.

»Und was ist mit dem Reichskammergericht?«

»Das wird zu Zeiten Eures Urenkels entscheiden, dass die Beschwerde der Gräfin Hallberg abzuweisen sei«, witzelte Gerondt, der genau wusste, wie lange die Herren in Wetzlar für ihre Urteilssprüche benötigten.

»Zu Zeiten meines Urenkels! Warum nicht zu meinen Zeiten? Solange die Gräfin Hallberg und die Mitglieder der Standesversammlung in der Lage sind, mir Vorschriften zu machen, werde ich mein Reich nie so regieren können, wie ich es will.«

Gerondt wandte das Gesicht so ab, dass Joseph sein Lächeln nicht sehen konnte. Die kleine Stadt mit ihrem Umland überhaupt ein Reich zu nennen, fand er lächerlich.

»Was machen wir jetzt mit der Gräfin Hallberg?«, fragte der Reichsgraf.

»Ihr werdet sie empfangen müssen, Euer Erlaucht! Es nicht zu tun, würde die Adeligen Eures Reiches verärgern! Euer Erlaucht sollten daher zusehen, dass der Einfluss der Ständeversammlung in Zukunft vermindert wird.«

»Ein guter Vorschlag! Ich hoffe, Euch fällt etwas ein.« Da der Reichsgraf die Verantwortung scheute, schob er sie auch diesmal wieder seinem Kanzler zu.

Dieser nickte mit verkniffener Miene. Die Ständeversammlung der Reichsgrafschaft konnte, wenn sie zusammenhielt, auch ihm gefährlich werden. Wenn es zu wählen galt, vom Thron verjagt zu werden oder auf seinen Kanzler und dessen Schwager verzichten zu müssen, würde Herr Joseph sich mit Gewissheit für das Zweite entscheiden.

Nicht mehr lange, dann ist auch diese Gefahr gebannt, dachte Gerondt und wollte seinem Herrn noch rasch ein paar Ratschläge unterbreiten, wie dieser mit der Gräfin verfahren solle. Da erschien bereits der Zeremonienmeister und kündigte die Dame an.

»Gräfin Hallberg wünscht Seine Erlaucht zu sprechen!«

Der Mann war noch nicht fertig, da trat Martins Mutter ein. Sie ging auf den Reichsgrafen zu und gönnte ihm einen Knicks, der gerade noch ausreichte, um nicht unhöflich zu wirken.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Joseph von Berrinsburg die langjährige Mätresse seines Vaters. Sie war zwei Jahre älter als er, aber immer noch eine schöne Frau mit seidig glänzendem Haar und ausdrucksvollen blauen Augen. Einst hatte er seinen Vater glühend um diese Geliebte beneidet. Auch jetzt spürte er wieder den Reiz, den sie auf ihn ausübte, und wünschte sich, er könnte sie als Verbündete gewinnen. Dies aber verhinderte eine einzige Person.

»Madame, wenn Ihr gekommen sein solltet, die Befreiung Eures Sohnes vom Kriegsdienst zu erwirken, so kann ich diesem Wunsch im Hinblick auf die übrigen adeligen Häuser meines Reiches wie den Starzins, den Uhldens und allen anderen nicht willfahren«, begann er, ohne die Dame der Höflichkeit halber zu begrüßen.

»Deshalb bin ich nicht gekommen«, antwortete die Gräfin kühl, »sondern wegen dieses unsinnigen Feldzugs, den Ihr im Namen des Kaisers begonnen habt.«

»Dieser Feldzug wird meinem Haus Ehre einbringen und das erbliche Recht, die Rheinzölle der Stadt Oppingen einzuziehen!« Diese Summe war, soweit Joseph von Berrinsburg wusste, höher als die Einnahmen aus seiner Reichsgrafschaft und würde es ihm ermöglichen, so aufzutreten, wie er es sich wünschte.

Auf dem Gesicht der Gräfin erschien ein verächtlicher Zug. »Um die Rheinzölle von Oppingen einziehen zu können, müsst Ihr diese Stadt erst erobern, und wie mein Sohn schreibt, ist dies kaum möglich. Die Ausrüstung, die Euer Kanzler Gerondt und dessen Schwager über die Herren Schmitz und Frisch bezogen haben, erweist sich als nutzlos, die schweren Kanonen gingen durch den Beschuss des Feindes verloren, und im Lager selbst herrscht Hungersnot. Mein Sohn glaubt nicht, dass Herr von Hinggendorff das Heer noch länger als eine Woche zusammenhalten kann.«

»Das ist doch alles das Geschwätz eines Knaben!«, mischte Gerondt sich ein. »Euer Sohn kann die Lage wohl kaum beurteilen. Ich habe verlässliche Kunde von meinem Schwager, dass die Belagerung Oppingens planmäßig verläuft und sich die Franzosen in der Stadt über kurz oder lang ergeben müssen. Mein Schwager schreibt …«

»Ich vertraue meinem Sohn auf jeden Fall mehr als deinem Schwager«, unterbrach ihn die Gräfin.

In ihrer Stimme schwang ein Hass, der Gerondt unwillkürlich zwei Schritte zurücktreten ließ. Wenn diese Frau einmal die Macht in die Hände bekam, hier etwas zu entscheiden, würden Scheller und er den Kopf verlieren. Nicht zuletzt deshalb galt es, diese Gefahr so rasch wie möglich zu beseitigen.

»Euer Erlaucht, ich beschwöre Euch, nichts auf die Worte der Gräfin Hallberg zu geben! Ihr wisst doch, wie vernarrt sie in ihren Sohn ist. Immerhin lässt sie ihm alle paar Tage Nahrungsmittel und Kleidung überbringen.«

Gerondt endete mit einem Lachen, das verächtlich klang, aber er behielt seinen Herrn dabei genau im Auge. Obwohl Joseph von Berrinsburg sich zumeist nach seinen Ratschlägen richtete, konnte er manchmal recht bockig sein. Tatsächlich stülpte er die Lippen missmutig nach vorne.

»Ihr habt gut reden, Gerondt! Die Belagerung Oppingens dauert bereits mehrere Wochen, und dabei hieß es zu Beginn, die Stadt werde in wenigen Tagen fallen.«

»Das lag nicht an Euren Truppen, Erlaucht, sondern daran, dass Kaiser Leopold die Erfüllung seiner Versprechungen hinausgezögert hat. So sandte der Kaiser erst auf das energische Drängen meines Schwagers hin die geforderten Kanonen.«

»Die mittlerweile vom Feind vernichtet worden sind!«, schnitt die Gräfin ihm erneut das Wort ab.

»Mein Schwager hätte mir gewiss einen Kurier geschickt, wenn dem so wäre. Euer Erlaucht sollten sich keine Sorgen machen. Oppingen wird fallen und der Rheinzoll bereits im nächsten Monat oder spätestens im übernächsten in Eure Truhen wandern.«

»Hoffentlich!« Überzeugt klang der Reichsgraf nicht. Er wusste, dass sein Kanzler und dessen Schwager Probleme gerne kleinredeten und dabei hofften, diese würden sich von selbst lösen. Nicht zuletzt deshalb stand er im scharfen Gegensatz zu den adeligen Familien seiner Reichsgrafschaft und brauchte dringend den Sieg über die Franzosen, um seine Stellung zu festigen. Ein Misserfolg würde ihn in totale Abhängigkeit der Ständeversammlung bringen, und deren Wortführerin war die Mutter seines Halbbruders.

Die Hallbergs waren nicht nur das einzige Grafengeschlecht seines kleinen Ländchens, sondern auch in sechster Generation ein Seitenzweig seiner eigenen Dynastie. Zusammen mit der Tatsache, dass die Gräfin die Mätresse seines Vaters gewesen war und diesem einen Sohn geboren hatte, verlieh ihr dies eine Bedeutung, die ihm jederzeit Probleme bereiten konnte. Nun stand sie so hoch aufgerichtet vor ihm, dass er zu ihr aufsehen musste, und las ihm den Brief vor, den Martin ihr geschrieben hatte. Er hörte sich ganz anders an als die Berichte, die der Reichsgraf von Scheller erhalten hatte, und er fragte sich, ob es sich tatsächlich nur um die Klagen eines verzogenen jungen Mannes handeln konnte.

»Was gedenkt Ihr zu tun, Euer Erlaucht?«, fragte die Gräfin, nachdem sie den Brief zu Ende gelesen hatte.

Der Reichsgraf kaute auf seinen Lippen herum und suchte nach einer Antwort.

Daher ergriff Gerondt das Wort. »Euer Sohn hätte Dichter werden sollen, Madame! Die Befähigung dazu hat er eben bewiesen.«

»Hüte deine Zunge, Lakai, sonst wird sie dir noch einmal herausgeschnitten«, fuhr ihn die Gräfin an. »Mein Sohn ist ein Berrinsburg wie Graf Joseph, und es steht dir nicht zu, ihn zu beleidigen!«

Gerondt warf einen hilfesuchenden Blick auf seinen Herrn, doch der Reichsgraf saß mit düsterer Miene auf seinem Thronsitz.

»Euer Erlaucht, wenn Ihr es wünscht, werde ich einen Kurier zu meinem Schwager schicken und ihn bitten, einen Lagebericht abzugeben«, schlug Gerondt vor, bemüht, die Gräfin zu ignorieren.

Joseph von Berrinsburg wollte schon zustimmen, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich werde mich selbst überzeugen! Sorgt dafür, dass mein Reisewagen morgen früh bereitsteht.«

»Sehr wohl, Euer Erlaucht!« Gerondt senkte erneut den Kopf, damit der Reichsgraf sein Gesicht nicht sehen konnte. Josephs Besuch bei dem vor Oppingen liegenden Heer passte ganz und gar nicht in seine Pläne.

Unterdessen betrachtete der Reichsgraf die Gräfin mit herablassender Miene. »Ihr habt es gehört! Ich werde mich persönlich um das Wohl Eures Sohnes kümmern.«

»Eures Bruders!«, erklärte Martins Mutter energisch.

»Nur ein Bastard …«, murmelte Gerondt vor sich hin.

Zu seiner Erleichterung hörte die Gräfin es nicht, denn sie knickste kurz und verschwand mit wehenden Röcken. Kaum hatte ein Diener die Tür hinter ihr geschlossen, trat er näher an seinen Herrn heran.

»Sie ist ein gefährliches Weib! Ihr solltet Euch vorsehen. Vielleicht ist es besser, wenn Ihr in Berrinsburg bleibt und ich an Eurer Stelle nach Oppingen reise.« Seine leise Hoffnung, den Reichsgrafen von dieser Fahrt abzubringen, zerstob bei dessen Kopfschütteln.

»Ich weiß, dass Euer Schwager tut, was er vermag. Doch ich bin mit dem Verlauf des Kriegszugs nicht zufrieden. Der Kaiser bürdet mir und meinen Untertanen alle Anstrengungen auf und unternimmt selbst wenig.«

»Ich bin mir gewiss, dass Seine Majestät alles tut, um Oppingen dem Reichsfeind zu entwinden«, erklärte Gerondt.

Joseph schlug mit der flachen Hand auf die Stuhllehne. »Vorhin sagtet Ihr, Leopold würde seine Versprechungen nicht einhalten!«

»Wien ist weit weg vom Rhein! Da dauert es seine Zeit, bis der Kaiser Hilfe schicken kann.«

»Die Macht Habsburgs reicht bis an den Rhein und darüber hinaus. Aus seinen Festungen in Freiburg und anderswo hätte Leopold längst frische Truppen und Nachschub schicken können. So ruht alles auf meinen Schultern. Da fällt mir ein – ist dieses irische Mädchen noch hier?«

»Das weiß ich nicht, Euer Erlaucht. Ich habe ihr in Eurem Namen geraten, sich an jemand anderen zu wenden.«

»Das war sehr voreilig von Euch!«, fuhr Joseph seinen Kanzler an. »Dieses Kind hat mir einhundert Söldner angeboten, erfahrene Krieger, die wir vor Oppingen gut brauchen könnten.«

»Aber ihre Bedingungen sind unerfüllbar«, wandte Gerondt ein. »Sie fordert, dass diese Männer sich mit ihren Familien hier in Berrinsburg ansiedeln dürfen. Doch wir besitzen weder das Land noch die Häuser dazu.«

»Was ist mit den Gütern der Gräfin Hallberg? Sie hat nur diesen einen Sohn, und Ihr wisst, was Ihr mir versprochen habt. Bis jetzt ist Euer Schwager in dieser Sache säumig geblieben.«

»Mein Schwager hat versprochen, dass der junge Graf Hallberg die Anstrengungen dieses Kriegszugs nicht überstehen wird. Das wird er auch halten.«

In Gerondts Augen war der Sohn der Gräfin das geringere Übel, denn fern der Heimat konnte er nichts tun. Anders sah es hingegen mit seiner Mutter aus. Ihr Wort wog schwer bei den Adeligen dieses Ländchens, und das Bürgertum verehrte sie wegen ihres Widerstands gegen die Kriegspläne des Reichsgrafen fast wie eine Heilige.

»Euer Schwager soll gefälligst sein Versprechen erfüllen! Solange Hallberg lebt, ist er eine stete Gefahr für mich«, stieß der Reichsgraf erregt aus. »Oder habt Ihr vergessen, was der alte Uhlden uns letztens anvertraut hat? Es war von einer heimlichen Heirat meines Vaters mit der Gräfin Hallberg kurz vor seinem Tod die Rede und von einem geheimen Testament, in dem er Martin von Hallberg als erbberechtigt anerkannt haben soll!«

»Ich habe es nicht vergessen, Euer Erlaucht. Mein Schwager hat, als er bei der Gräfin Hallberg die Sondersteuer einzog, ihren Besitz durchsucht. Doch leider waren diese Urkunden wohl zu gut versteckt, als dass er sie hätte finden können.«

»Ich hoffe, Euer Schwager ist bei Hallbergs Beseitigung erfolgreicher als bei seiner Suche nach diesen Dokumenten. Erst wenn der Bastard tot ist, kann ich wieder ruhig atmen. Doch jetzt lasse Er nach der Irin suchen und sie hierherbringen. Ich will mit ihr sprechen.«

Gerondt ärgerte sich, weil der Reichsgraf ihn auf einmal wie einen Knecht ansprach. Mit diesem kindischen Verhalten wollte Joseph zeigen, dass er mit ihm unzufrieden war. Es würde etliches an Überredungskunst kosten, um ihn wieder zu versöhnen. Nicht mehr lange, fuhr es Gerondt durch den Kopf, dann war auch das vorbei.

»Sehr wohl, Euer Erlaucht«, sagte er und verließ rückwärtsgehend den Saal.

Zuerst wollte er in sein Arbeitszimmer zurückkehren, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an den Befehl des Reichsgrafen und winkte einen Diener herbei. »Weißt du, ob diese junge Irin noch in der Stadt weilt?«

Der Mann nickte dienstbeflissen. »Das tut sie!«

»Sorge dafür, dass sie geholt und zu Seiner Erlaucht geführt wird. Er will sie empfangen!«

»Wie Ihr befehlt!« Der Mann trollte sich, und Gerondt betrat sein Zimmer. Noch im Stehen nahm er ein Blatt Papier in die Hand, um es durchzulesen, warf es dann aber mit einem leisen Fluch auf den Tisch zurück. Das konnte warten! Er öffnete einen Schrank, nahm einen schlichten braunen Rock und einen Schlapphut heraus und verließ erneut den Raum.

7.

Während der Diener zu dem Gasthof ging, in dem die junge Dame aus Irland Unterkunft gefunden hatte, eilte der Kanzler durch die engen Gassen zu einem kleinen, hübschen Häuschen, das direkt an die Stadtmauer gebaut war. Auf sein Klopfen hin ließ eine Dienerin mittleren Alters ihn ein.

»Willkommen, Eure Exzellenz!«, begrüßte sie ihn.

Gerondt reichte ihr Rock und Hut. Anschließend stieg er die Treppe hoch und betrat ein aufwendig ausgestattetes Zimmer. Eine Frau in einem dunkelroten Morgenmantel saß an einem zierlichen Sekretär und schrieb einen Brief. Als sie Gerondt entdeckte, legte sie die Feder weg und begrüßte ihn mit einem Lächeln.

»Mein Lieber, Ihr kommt heute früh! Seid mir nichtsdestotrotz willkommen!«

»Geliebte Henriette!« Gerondt trat auf sie zu, ergriff ihre Hände und überschüttete sie mit Küssen.

»Ihr seid so erregt?«, fragte Henriette de Vesoule erstaunt.

»Der Reichsgraf treibt mich noch zum Wahnsinn!«, stöhnte Gerondt. »Jetzt will er unbedingt zum Heer nach Oppingen. Die Hallberg hat ihm einen Brief ihres Sohnes überbracht, in dem der schlechte Zustand der Truppen und ihre Rückschläge in letzter Zeit aufgelistet waren. Außerdem will er einhundert irische Söldner in seine Dienste nehmen.«

»Was sind schon einhundert Mann gegen die Armee von Louis le Grand?«, fragte Henriette spöttisch.

Obwohl der Ärger über den Reichsgrafen und die Gräfin Hallberg ihn fast zerfraß, betrachtete Gerondt die Frau vor ihm voller Verlangen. Sie war klein, zierlich und von einer Schönheit, die ihn jedes Mal erneut entzückte. Da er selbst nicht allzu hoch gewachsen war, konnte er sich bei ihr als richtiger Mann fühlen, während er sich neben der Gräfin wie ein Zwerg vorkam.

Henriette umarmte ihn und küsste ihn auf den Mund.

»Mein Geliebter!«, flüsterte sie. »Dieser lächerliche Reichsgraf soll Euch nicht bekümmern. Lasst ihn ruhig zu seinen Truppen reisen. Mein Verwandter, der Comte de Vallier, wird ihn ebenso wie diesen alten Mann, den Kaiser Leopold auf Anraten guter Freunde in Wien zum Feldhauptmann ernannt hat, gefangen nehmen und dafür sorgen, dass er nie mehr nach Berrinsburg zurückkehren wird.«

»In dem Fall wird die Gräfin Hallberg darauf dringen, dass ihr Sohn Josephs Nachfolger wird«, warf Gerondt ein und erntete ein Lachen dafür.

»Kann ein Toter den Thron dieses kleinen Ländchens besteigen? Oder einer, der ebenso wie sein reichsgräflicher Bruder die Bastille von innen bewundern darf?«

»Ihr seid so klug!«, flüsterte Gerondt und strich mit der rechten Hand über ihre Brust.

»Ihr seid sehr hungrig, Monsieur! Daher sollten wir diesen Hunger stillen.« Henriette legte den angefangenen Brief in ein geheimes Fach ihres Schreibtischs und führte Gerondt in ihr Schlafzimmer. Es war nicht besonders groß und wurde von einem breiten Bett mit wuchtigem Unterbau beherrscht.

Innerhalb kürzester Zeit schälte Henriette den Mann aus seiner Kleidung und musterte für einen Augenblick seine magere Gestalt und seinen Penis. Dieser war von eher bescheidener Größe, doch das störte sie nicht, denn so war es für sie leichter, ihn zu ertragen. Sie schob diesen Gedanken rasch beiseite und zog sich ebenfalls aus.

Gerondt sah ihr mit großen Augen zu und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihre Hinterbacken zu streicheln.

»Ihr dürft meine Brüste küssen«, flüsterte sie auf eine Weise, von der sie wusste, dass sie das Verlangen der Männer verstärkte.

Gerondt tat es und kniff dabei ganz leicht in eine ihrer Brustwarzen.

»Pfui, das tut man nicht!«, tadelte sie ihn und legte sich auf das Bett. Sofort folgte er ihr und schob sich zwischen ihre Schenkel. Henriette hätte ihm die Finessen der körperlichen Liebe beibringen können, beließ es aber dabei, ihn mit leisem Stöhnen anzufeuern. Zum Glück war er ausdauernd genug, so dass sie auch etwas empfand, und der Kuss, den sie ihm danach gab, drückte sogar eine gewisse Anerkennung aus.

Ihre Gedanken galten jedoch bereits anderen Dingen. »Reichsgraf Joseph will also zum Heer reisen?«

Gerondt nickte. »Er hat befohlen, dass sein Reisewagen morgen bereitstehen soll.«

»Ich werde dem Comte de Vallier Botschaft senden, so dass er den Reichsgrafen gebührend empfangen kann. Der Kurier soll heute Nachmittag um drei Uhr bereitstehen.«

»Das wird er!«, versprach Gerondt. »Ich mache mir jedoch mehr Sorgen um Berrinsburg. In Oppingen stehen die Truppen Eures Verwandten. Diese Stadt kann uns daher nicht mehr entgehen. Hier in Berrinsburg aber könnte Gräfin Hallberg die Verteidigung organisieren.«

»Mit Frauen und alten Männern?«, fragte Henriette lachend. »Ihr habt doch dafür gesorgt, dass die meisten Männer dieses Ländchens zum Heer eingezogen und nach Oppingen geschickt worden sind. Selbst wenn die Kerle fliehen und hierherkommen würden, könnten sie nichts mehr bewirken. Das Zeughaus ist leer wie eine Kirche um Mitternacht, und Ihr verfügt über genug Getreue, die den Truppen Seiner Majestät, Louis le Grand, die Tore öffnen werden.«

Gerondt nickte und legte die Hand auf die Scham der Frau. »Dann, meine Liebe, bin ich ein wohlbestallter Graf in französischen Diensten und werde dieses Land für König Ludwig verwalten. Wir beide können heiraten und glücklich sein.«

»Das können wir!«, antwortete die Frau mit einem seltsamen Unterton und dachte dabei an Versailles, das ihr all das versprach, was sie in diesem deutschen Provinzstädtchen schmerzlich vermisste.

Als verarmte Witwe eines Barons gab es für sie nur zwei Möglichkeiten, entweder dem König aufzufallen und dessen Mätresse zu werden oder die Gunst Ludwigs XIV. durch treue Dienste als Spionin zu erringen. Henriette dachte an das Versprechen, das sie von ihrem Verwandten de Vallier erhalten hatte. Wenn sie ihre Aufgabe zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte, würde er sie in Versailles einführen.

8.

Während Gerondt bei seiner Geliebten weilte, hastete ein junges Mädchen, von einem älteren Mann begleitet, zu Fuß zum Palast des Reichsgrafen. Das Mädchen trug einen langen, grünen Rock und ein gleichfarbiges Mieder, ihr Begleiter hingegen passte mit seinem Äußeren nicht in dieses Land. Der grüne Überrock mochte noch angehen, doch ein Knabe, an dem sie vorbeikamen, zeigte auf seine nackten Waden. »Mama, schau mal! Der trägt ja einen Rock wie eine Frau«, rief er.

»Jedes Weib würde sich schämen, sich in einem so kurzen Rock zu zeigen«, antwortete die Mutter schnaubend und forderte ihren Sohn zum Weitergehen auf. Der Junge folgte ihr, drehte sich dabei aber immer wieder zu den Fremden um.

»Die gehen zu Seiner Erlaucht!«, berichtete er seiner Mutter.

»Sollen sie! Sie werden schon erleben, dass von dort nichts Gutes kommt«, antwortete diese und griff sich an die Haube, die viel zu locker auf ihrem Kopf saß.

Als das Mädchen die Freitreppe zum Palast erreichte, schloss ihr Begleiter zu ihr auf. »Glaubst du, dass das, was du tust, richtig ist, Moíra Ní Briain?«

Das Mädchen blieb kurz stehen und sah ihn an. »Der Reichsgraf kämpft gegen die Franzosen. Das reicht mir, Onkel Aindriú!«

»Hoffentlich hast du recht!« So ganz war Aindriú O’Briain nicht überzeugt, doch er folgte seiner Nichte in den Palast und sah angespannt zu, wie ein Diener sie begrüßte und zum Reichsgrafen führte.

Joseph von Berrinsburg empfing die Besucher im gleichen Saal wie zuvor die Gräfin Hallberg. Bei Moíras Anblick ging sein Atem schneller. Sie war seiner Schätzung nach kaum älter als fünfzehn, hatte ein hübsches, milchweißes Gesicht mit wenigen Sommersprossen, und ihre in reicher Fülle auf den Rücken fallenden Haare wiesen die Farbe frisch gehämmerten Kupfers auf. Trotz ihrer Jugend erinnerte sie ihn an seine vorige Besucherin. Es mochte an ihrer Haltung liegen, dem selbstbewussten Ausdruck auf ihrem Gesicht oder dem forschenden Blick, mit dem sie ihn musterte. Doch bei dieser Frau ärgerte er sich nicht darüber, sondern nahm es hin, denn er wollte die junge Irin als Verbündete gewinnen.

»Ich grüße Euch!«, begann er, während er vergebens auf einen Knicks oder eine ähnlich demütige Geste wartete.

»Ihr habt mich rufen lassen?« Moíra Ní Briain hatte vor drei Tagen schon einmal um eine Audienz nachgesucht, war aber nicht vorgelassen worden. Stattdessen hatte sie ihr Anliegen auf Anraten des Wirtes, bei dem sie und ihr Onkel Quartier bezogen hatten, dem Reichsgrafen bei dessen Ausritt überreicht. Als Antwort hatte sie die Nachricht des Kanzlers erhalten, dass Seine Erlaucht ihrem Vorschlag abgeneigt sei und sie Berrinsburg verlassen solle. Nun wunderte sie sich, dass sie auf einmal doch zum Reichsgrafen geführt worden war, und zeigte diesem deutlich, dass sie sich nicht noch einmal mit Ausflüchten zufriedengeben würde.

Joseph von Berrinsburg hätte sich etwas mehr Respekt gewünscht. Doch den, so sagte er sich, würde er der jungen Irin noch beibringen. Während er sie weiter anerkennend musterte, dachte er an seine zweite Ehefrau, die zwar seit Monaten leidend war, aber nicht daran dachte, zu sterben und ihm damit eine weitere Ehe zu ermöglichen. Dieser Umstand war wie ein Dorn in seinem Fleisch. Seine erste Gemahlin hatte ihm nur eine kränkliche Tochter geboren, die Gott, der Herr, noch vor ihrem vierten Geburtstag von dieser Welt geholt hatte. Dann war seine jetzige Frau mit einem totgeborenen Sohn niedergekommen und trotz ihrer gerade einmal dreißig Jahre nicht fähig, noch einmal ein Kind zu gebären. Solange er jedoch ohne Sohn blieb, galt Martin von Hallberg als der erste Anwärter auf seine Nachfolge, und das durfte er nicht länger dulden.

»Ihr habt uns rufen lassen?« Moíra Ní Briains Stimme klang ungeduldig.

»Du hast mir angeboten, mit gut einhundert Mann in meine Dienste zu treten. Bis wann könnten deine Söldner hier eintreffen?«

»Sie biwakieren nur eine Meile von hier entfernt auf einer Wiese, eine englische Meile wohlgemerkt, nicht eine der hiesigen«, antwortete Moíra mit neu erwachender Hoffnung.

Der Reichsgraf straffte seine Gestalt. »So nahe? Das heißt, sie könnten morgen aufbrechen!«

»… wenn wir ein Übereinkommen treffen können«, wandte Moíra ein. »Ihr wisst, dass ich eine Bedingung gestellt habe! Meine Leute brauchen eine Heimat, in der sie länger bleiben können.«

»Die sollen sie haben!«, versprach Joseph von Berrinsburg.

»Wir werden die Familien meiner Männer hierlassen, um unbehindert marschieren zu können. Es geht gewiss nach Oppingen und gegen de Valliers Leute!«

Moíra wirkte beglückt, doch der Reichsgraf achtete nicht darauf. Für ihn zählte allein, dass er weitere einhundert Söldner in seine Dienste nehmen konnte. Damit schien ihm das Heer, das er vor Oppingen versammelt hatte, groß genug, um die Stadt auch ohne die Hilfe des Kaisers erobern zu können.

»Wir reisen nach Oppingen, und deine Leute werden meinen Begleitschutz bilden«, sagte er und musterte die junge Irin erneut. »Du wirst mir unterwegs Gesellschaft leisten!«

Moíra Ní Briain nickte, sagte sich aber, dass sie sich stattdessen von ihm fernhalten würde.

Da mischte sich ihr Onkel Aindriú ein. »Es gilt noch den Sold auszuhandeln, den wir erhalten sollen.«

Joseph von Berrinsburgs Truhen waren derzeit so leer, dass er den Iren nicht einmal Handgeld zahlen konnte. Dennoch dachte er nicht daran, auf diese Soldaten zu verzichten.

»Eure Männer erhalten den gleichen Sold wie die Söldner, die Sixten Stakke anführt. Den ersten Sold und das Handgeld bekommt ihr vor Oppingen, sobald Seine Majestät, der Kaiser, sein Versprechen erfüllt hat und unsere Kriegskasse wieder voll ist.«

»Wollen wir uns darauf einlassen, Moíra Ní Briain?«, fragte ihr Onkel.

Das Mädchen drehte sich mit funkelnden Augen zu ihm um. »Es geht gegen de Vallier! Gegen ihn würde ich unsere Männer auch ohne Sold führen«, antwortete sie in irischer Sprache.

»Dann soll es geschehen«, antwortete ihr Onkel und klopfte mit der rechten Hand gegen den Griff des Breitschwerts an seiner Seite.