Zweiter Teil

Neuigkeiten

1.

Jette hatte sich in eine Decke gehüllt und hinter den Bock gelegt, doch ihre Gedanken rasten zu sehr, als dass sie Schlaf gefunden hätte. Die gut geplante Intrige gegen ihren Geliebten erschreckte sie zutiefst. Wer auch immer dahintersteckte, ging über Leichen. Verzweifelt fragte sie sich, wer einen Gewinn aus diesem Anschlag ziehen konnte. Die Österreicher wohl am wenigsten, denn Stakke traute sie es als einzigem Offizier zu, die Franzosen zum Abzug aus der eroberten Stadt zu zwingen. Hinggendorff war viel zu zögerlich, und Erkenwaldt verfügte nicht über die Autorität, die drei Gruppen, aus denen dieses Heer bestand, so zu führen, dass sie der Franzosen Herr werden konnten.

Während sie über all das nachdachte, hörte sie, wie der Sturm sich über diesem Landstrich austobte, und war froh um ihren festen Wagen mit dem stabilen Dach. Auch wenn der Wagenkasten schwankte und das Unwetter wie mit tausend Armen an der Plane zerrte, konnten ihr weder Wind noch Regen etwas anhaben. Für die armen Teufel, die draußen in ihren fadenscheinigen Zelten hausten, musste jedoch die Hölle ausgebrochen sein.

Ein entschlossener Mann konnte eine solche Nacht leicht ausnützen, um den einzigen Offizier, der sich für Stakke ausgesprochen hatte, aus dem Weg zu räumen. Aus diesem Grund hatte Jette eine der Pistolen geladen, die ihr Geliebter ihr zu ihrem Schutz besorgt hatte, und war bereit, Martins Leben zu verteidigen. Zwar war ihr noch nicht klar, was er für Stakke bewirken konnte, aber er hatte sich nicht als solch ein Feigling erwiesen wie Urs Markbein, den die Aussicht, der Nachfolger ihres Lebensgefährten zu werden, zu dessen Feinden halten ließ.

Als der Sturm endlich nachließ, erinnerte sie sich wieder an das junge Paar im hinteren Teil ihres Wagens. Von dort aber drang kein Ton heraus. Wie es schien, waren Reni und Martin nach dem anstrengenden Liebesakt eingeschlafen. Das erleichterte Jette, bedeutete es doch, dass es ihr gelungen war, den jungen Offizier von einer unüberlegten Tat abzuhalten. Am Morgen würde auch Graf Hallberg begreifen, dass es wichtiger war, Stakkes Unschuld zu beweisen, als Erkenwaldt zur Ader zu lassen. Mit einem Mal wurde Jette klar, dass sie ihm vermutlich das Leben gerettet hatte, denn in einem Zweikampf würde der Österreicher siegen. Immerhin war dieser ein erfahrener Soldat und Martin selbst hier im Heerlager noch nicht den schützenden Fittichen seiner Mutter entwachsen.

Über diesen Gedanken schlief Jette schließlich ein und wurde erst nach Sonnenaufgang durch Erkenwaldts Gebrüll geweckt. Als sie ihre Plane ein Stück zurückschlug und den Kopf hinausstreckte, stellte sie fest, dass ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen worden waren. Im Berrinsburger Teil des Lagers hatte das Unwetter fast alle Zelte zerstört, und zwischen den Resten irrten durchnässte und frierende Männer umher. Bei den Söldnern sah es etwas besser aus. Die Zelte standen zumeist noch, aber der Sturzregen hatte Schlamm hineingespült, und die Männer waren daher ebenso nass und schmutzig wie die Berrinsburger Bauern und Knechte. Bei den Österreichern hatte es unter anderem das große Zelt niedergelegt, in dem Gundobert von Hinggendorff wohnte und die Offiziere empfing.

Im Gegensatz dazu waren Hillas, Gertjes und Renis Marketenderwagen heil geblieben. Jette atmete besonders um Renis willen auf, denn immerhin hatte sie die junge Frau hierbehalten, damit sie Martin beruhigen sollte. Wäre Reni daraus ein Schaden entstanden, hätte sie ihr diesen ersetzen müssen. Zwar hatten Stakke und sie sich ein hübsches Sümmchen gespart, doch sie nahm an, dass sie das Geld benötigen würde, um die Männer zu bestechen, die ihren Geliebten bewachten.

Rasch blickte sie zu dem Zelt hinüber, in das Stakke und Aimo geschleppt worden waren, und nahm mit einer gewissen Befriedigung wahr, dass es im Gegensatz zu den meisten Unterkünften der österreichischen Offiziere das Unwetter überstanden hatte.

»Geschieht ihnen recht!«, murmelte sie und holte ihre letzte Flasche Branntwein und ein Stück altbackenes Brot aus einem Kasten an der Seite ihres Wagens. Nennenswerte Vorräte besaß auch sie nicht mehr, und sie hätte ihren ganzen Wagen darauf verwettet, dass die Österreicher ihren Geliebten und dessen Burschen hungern lassen würden.

Mittlerweile rührten sich auch Reni und Martin. Die junge Frau kletterte nach vorne, blinzelte Jette verschwörerisch zu und streifte ihr Kleid über.

»Für eine männliche Jungfrau war er gar nicht so übel«, sagte sie.

»Jette, kannst du mir meine Hose reichen?«, fragte Martin drängend von hinten.

Da Jette zögerte, musste Reni lachen. »Du kannst es ruhig tun. Ich glaube nicht, dass er jetzt noch losrennt, um Erkenwaldt aufzuspießen.«

»Irgendwann werde ich es tun!«, rief Martin, der ihre Worte vernommen hatte.

»Aber erst, wenn Stakke und Aimo wieder freigekommen sind!« Jettes Stimme klang streng. Trotzdem nahm sie Martins Hose und steckte sie ihm zu.

»Ich schau inzwischen nach meinem Wagen. Da ich keine Waren mehr habe, konnte auch nichts verderben. Aber vielleicht muss ich etwas reparieren lassen.« Mit diesen Worten stieg Reni hinaus und eilte davon.

Kurz danach kletterte Martin aus dem Schlafteil heraus. Jette musterte ihn und fand, dass er irgendwie erwachsener aussah als am Abend zuvor. Zu ihrer Erleichterung wirkte er beherrscht, und das bedeutete, dass er wohl auch mit sich reden lassen würde.

»Es scheint Euch besserzugehen«, sagte sie.

»Warum bist du so darauf bedacht, dass ich Erkenwaldt nicht zum Zweikampf fordere?«, antwortete er mit einer Frage.

»Ihr seid der Einzige, dem ich zutraue, Stakkes Unschuld zu beweisen. Wenn Erkenwaldt Euch tötet, stehe ich allein da und kann nichts mehr bewirken.«

Martin nickte. »Ich werde tun, was ich vermag! Sollte es mir nicht gelingen, den wahren Mörder zu finden, werde ich Stakke befreien und mit ihm zusammen fliehen.«

»Das würdet Ihr tun?«, fragte Jette verblüfft. »Ihr wisst aber auch, dass Ihr Euch danach weder in Eurer Heimat noch in einer Gegend sehen lassen dürft, in der Kaiser Leopold etwas zu sagen hat.«

»Entweder schließe ich mich dann eurer Söldnertruppe an oder trete in eine fremde Armee ein, die weder die österreichische noch die französische ist«, antwortete Martin leichthin.

»Und Eure Mutter?«

Ein Schatten huschte über Martins Gesicht. »Sie wird es verstehen.«

»Hoffentlich!«

So überzeugt wie Martin war Jette nicht, denn sie hatte die Gräfin bei deren Besuchen im Lager beobachtet. Es hätte Martins Ruf weitaus besser getan, wenn die Frau nicht ab und an sogar persönlich gekommen wäre, sondern ihm all die schönen Dinge durch einen Boten hätte überbringen lassen. So galt er im ganzen Heer als Muttersöhnchen und musste zudem mit dem Neid derjenigen leben, denen niemand etwas schenkte.

Jette schüttelte diesen Gedanken ab und sah Martin durchdringend an. »Ihr müsst versuchen, den Täter zu finden, oder zumindest unwiderlegbare Beweise für Stakkes Unschuld auftreiben. Anders als ein gemeiner Soldat besitzt Ihr die Autorität, Fragen zu stellen und Antworten verlangen zu können. Auch könnt Ihr das Lager leichter verlassen als andere. Euch wird man nicht sofort die Magyaren hinterherschicken.«

»Ich brauche trotzdem einen Passierschein. Außerdem weiß ich nicht, wo ich mit dem Suchen anfangen soll.«

»Dann lasst Euch etwas einfallen!«, fauchte Jette ihn an. »Doch nun geht! Ich höre Fahrenshoff nach seinen Offizieren rufen.«

Noch während Jette es sagte, stieg Martin ins Freie, setzte seinen Hut auf und rannte so, dass der Schlamm hoch aufspritzte. Die Marketenderin sah ihm nach und nahm dann die Branntweinflasche und das Brot, um zu Stakke zu gehen.

2.

Erkenwaldt blickte wüst fluchend über das Lager. Der Großteil der Zelte war zusammengebrochen, und die meiste Leinwand hing in Fetzen. Auch seinem eigenen hatte der Sturm übel mitgespielt. Nur die Wagen der Marketenderinnen und die aus Knüppelholz zusammengenagelten Unterstände der Pferde hatten den Naturgewalten bis auf kleinere Schäden widerstanden. Als er durch das Lager ging, sah er einige Soldaten im Schlamm nach ihren Habseligkeiten wühlen. Die meisten starrten jedoch noch wie betäubt auf das Chaos um sie herum.

»Los, ihr Kanaillen! Macht, dass ihr an die Arbeit kommt!«, brüllte Erkenwaldt sie an. »Die erste und vierte Kompanie baut das Lager wieder auf. Die anderen machen gefälligst Front gegen die Stadt. Oder wollt ihr, dass die Franzosen kommen und euch in den Rhein werfen?«

Der Söldneroffizier Urs Markbein sah ihn erschrocken an. »Ihr glaubt, de Vallier lässt einen Ausfall machen?«

Erkenwaldt warf Markbein einen verächtlichen Blick zu. »Der Mann wäre ein Narr, wenn er es nicht versuchen würde. Seht doch, die Tore von Oppingen stehen bereits offen! Wenn wir nicht sofort kampffähig sind, ist dieser Feldzug schneller gescheitert, als selbst der vierzehnte Ludwig es sich hätte träumen lassen.«

Markbein drehte sich mit entgeisterter Miene um, eilte zu seinen Söldnern und trieb sie wild fluchend zur Arbeit an. Dabei bedauerte er es im Stillen, dass Stakke nicht mehr das Kommando hatte. Der Schwede hätte Zucht und Ordnung im Handumdrehen wiederhergestellt.

Auch Just von Fahrenshoff versuchte, seinen Berrinsburgern Beine zu machen. Die mit Zwang zu Soldaten gemachten Bauern, Knechte und Handwerker standen jedoch nur herum, beteten oder weinten wie kleine Kinder.

Erkenwaldt fuhr den Offizier zornerfüllt an. »Zum Teufel noch mal, Fahrenshoff! Holt Eure Schweine endlich aus dem Dreck heraus und versucht, so etwas Ähnliches wie Soldaten aus ihnen zu machen. Sonst werden sie von de Valliers Franzosen in den Boden gestampft.«

»Ich tue, was ich kann!«, antwortete Fahrenshoff gequält. »Die armen Hunde sind jedoch erschöpft und hungrig und wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht.«

»Dann sorg endlich dafür, dass sie es wissen!«, erwiderte Erkenwaldt kalt und wandte sich einem ihm untergebenen Dragoneroffizier zu. »Herrgott noch einmal, warum dauert das so lange? Unsere Leute müssten längst in Stellung sein.«

»Die Karabiner müssen gereinigt werden. Außerdem ist das meiste Pulver bei dem Sturm nass geworden. Wir haben höchstens noch zwei, drei Schuss pro Mann.«

»Schreit es nur laut genug herum, damit es auch die Franzosen hören können«, fuhr Erkenwaldt ihn an und wandte sich erneut Fahrenshoff zu. »Gibt es denn sonst noch etwas?«

»In dieser Nacht sind mindestens dreißig Leute ausgerückt. Außerdem haben wir ein paar Burschen erwischt, die im Lager plündern wollten«, erklärte Fahrenshoff.

»Schließt die Kerle, die Ihr festgenommen habt, in Eisen. Um die anderen werden sich Palffy und seine Magyaren kümmern!« Mit diesen Worten drehte Erkenwaldt Fahrenshoff den Rücken zu und stapfte zu den Ungarn hinüber. »Palffy, zu mir!«

Die Soldaten, die es hörten, zogen die Köpfe ein und waren froh, dass sie der Versuchung, davonzulaufen, widerstanden hatten.

3.

Als Jette auf das Gefangenenzelt zutrat, verlegten ihr zwei Dragoner den Weg.

»Halt! Wohin?«

»Ich will den Gefangenen etwas zu essen bringen.«

Die beiden Soldaten leckten sich die Lippen. »Was hast du denn?«, fragte einer.

»Nur ein Stück altes Brot und ein bisschen Branntwein!«

Der Dragoner beäugte den Korb, in den Jette ihre Sachen getan hatte. »Den müssen wir durchsuchen! Nicht, dass du eine Feile oder einen Meißel darin versteckt hast.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er ihr den Korb ab und holte die Branntweinflasche heraus. Mit den Zähnen zog er den Stöpsel, spuckte diesen in den Korb zurück und setzte die Flasche an.

Der Schnaps war stark, trotzdem nahm er einen gehörigen Schluck und reichte die Flasche dann an seinen Kameraden weiter. Auch dieser trank durstig. Als er Jette die Flasche zurückgab, war sie um einiges leerer geworden.

Jette beschloss, sich nicht darüber zu ärgern, sondern schlüpfte ins Zelt. Das Erste, was sie sah, war eine Feile, die jemand in der Nacht unter der hinteren Zeltwand hindurchgeschoben hatte. Allerdings hatte das Ding Stakke und Aimo nicht geholfen, denn die beiden waren mit massiven Ketten an einen mächtigen Pfahl gebunden, der in der Mitte des Zeltes stand, und konnten sich kaum rühren. Jette schob die Feile rasch mit dem Fuß zu ihrem Geliebten hin und lächelte. Wie es aussah, gab es noch mehr Männer, die ihm helfen wollten. Sie schätzte, dass es Rivitelli oder der Türck gewesen waren. Auch wenn es sich bei diesen um einfache Söldner handelte, konnten die Männer Martin und sie unterstützen.

Stakke gab Jettes Lächeln zurück. »Ich hoffe, du hast nicht die verrückte Idee, mich jetzt befreien zu wollen. Das hätte wohl wenig Sinn.«

»Dafür lassen mir die Dragoner auch kaum die Zeit. Du solltest die Feile irgendwie verstecken, aber so, dass du sie jederzeit verwenden kannst. Vielleicht ist sie eure einzige Möglichkeit, dem Henker zu entkommen.« Jette umarmte ihn und kämpfte dabei gegen die Tränen an. »Bei Gott, dem Allmächtigen, du darfst nicht sterben! Ich brauche dich noch.«

»Ich habe auch wenig Lust abzutreten! Aber danach wird wohl kaum einer dieser hohlköpfigen österreichischen Offiziere fragen«, gab Stakke bissig zurück.

Jette träufelte ein wenig Branntwein auf ein Stück Brot und fütterte Stakke damit. »Meiner Meinung nach ist das Ganze ein abgekartetes Spiel, um dich loszuwerden und deine Männer um ihren Sold zu prellen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man deswegen einen Kurier des Kaisers umbringt.«

»Ich auch nicht«, antwortete Stakke mit vollem Mund.

»Die Poldls wollen meinen Herrn opfern, um eine Ausrede zu haben, warum sie die Stadt nicht erobern konnten«, mischte Aimo sich ein und reckte Jette den offenen Mund entgegen.

Sie steckte ihm einen angefeuchteten Brocken Brot hinein und schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht! Erkenwaldt ist außer sich vor Wut, weil die Soldgelder geraubt wurden. Außerdem hätten sie das einfacher haben können. So ist das Ganze zu kompliziert! Wer auch immer dahintersteckt, musste Stakke betäuben, mit einem Rock und einem Hut, der dem seinen gleicht, in Rippweiler auftauchen, den Kurier umbringen und mit dem Gold verschwinden. Außerdem musste er ins Lager zurückkommen, um Pfefferles Geldbeutel in Stakkes Rocktasche zu stecken.«

»Das kann nicht einer allein getan haben«, wandte Stakke ein.

»Wenn es mehr Männer waren, mussten sie genau wissen, was der jeweils andere zu tun hatte«, flüsterte Jette erregt. »Doch wenn das stimmt, ist es für uns leichter, eine Spur zu finden, als wenn es nur einer gewesen wäre.«

»Vielleicht stecken auch die Franzosen dahinter, um möglichst viel Verwirrung bei uns zu stiften und unsere Versorgung zu unterbinden«, sagte Stakke nachdenklich.

Jette schüttelte den Kopf. »Woher sollen die wissen, was hier geplant wird?«

»Du kannst Gift darauf nehmen, dass die Franzosen ihre Spione und Helfershelfer in unserem Lager haben.«

»Genau diese müssen wir entdecken und bloßstellen«, rief Jette voll neuer Hoffnung.

»Selbst wenn du herausfinden würdest, wer hinter dem Ganzen steckt, würde man dir keinen Glauben schenken. Es sind gewiss keine einfachen Soldaten, sondern Männer, die mächtig genug sind, dich von demselben Henker hinrichten zu lassen wie mich.«

Jette fauchte wie eine gereizte Katze. »Und wenn schon! Dann habe ich wenigstens alles getan, was in meiner Macht stand, um dich zu …«

In dem Augenblick klangen Schüsse auf, und Jette verstummte. Stakke zerrte wütend an seinen Ketten. »Wenn das seine Salve gewesen sein soll, gebührt dem kommandierenden Offizier eine Tracht Prügel.«

Jette steckte den Kopf zum Zelt hinaus, um etwas erkennen zu können. Da befahl ihr einer der Wachtposten unfreundlich, zu verschwinden. Jette kehrte noch einmal zu Stakke zurück und küsste ihn. Dann nahm sie ihren Korb und ging aufrecht und mit schwingendem Rock an dem Dragoner vorbei. Den Kerlen wollte sie ihren Kummer und ihre Sorge nicht zeigen.

Um herauszufinden, wer geschossen hatte, stieg sie den Gereonshügel hinauf, der die beste Aussicht auf Oppingen bot. Dort wies Erkenwaldt gerade einen Trupp Dragoner an, ihre Karabiner neu zu laden, während mehrere Dutzend Söldner ihre Musketen abfeuerten. Auch wenn die Salve in Stakkes Ohren jämmerlich klingen mochte, so reichte sie doch aus, den Beritt Franzosen, der auf das Lager hatte zureiten wollen, in die Flucht zu schlagen. Nicht weit von sich entfernt entdeckte Jette Martin. Er trieb eine Gruppe Berrinsburger Pikeniere nach vorne. Auch wenn deren Piken kurz waren und krumme Schäfte besaßen, so konnten ihre Spitzen Franzosen töten.

Jette begriff, dass ihre Seite Glück gehabt hatte. Wären die Feinde nicht nur mit einem berittenen Vortrupp aufgetaucht, sondern mit einer mehrere hundert Mann starken Truppe, hätten sie das Lager stürmen und das Belagerungsheer zersprengen können. Doch gegen diese verhältnismäßig geringe Anzahl von Angreifern vermochte die zusammengewürfelte Truppe ihre Stellung zu halten. Zu ihrem Ärger musste Jette zugeben, dass ausgerechnet Erkenwaldt den größten Verdienst daran hatte. Allerdings hätte eine Niederlage der Österreicher möglicherweise Stakke die Freiheit zurückgeben können.

Als keine Gefahr mehr von den Franzosen drohte, drehte Martin sich um und stieß mit Erkenwaldt zusammen, der eben zu Fahrenshoff treten wollte.

»Könnt Ihr nicht aufpassen?«, fuhr der Österreicher ihn an.

»Kann ich etwas dafür, wenn Ihr mir im Weg steht?«, antwortete Martin nicht weniger heftig.

Erkenwaldts Hand fuhr zum Griff seines Pallaschs, doch bevor er diesen ziehen konnte, klang Hinggendorffs Stimme klagend auf.

»Aber Erkenwaldt! Wo bleibt Ihr denn? Soll ich ewig hier herumstehen?«

Mit einem verächtlichen Schnauben ließ Erkenwaldt den Griff des Pallaschs los. »Ihr solltet höflicher zu höherrangigen Offizieren sein, Hallberg. Vor allem aber merkt Euch eins: Nur ein Narr setzt sich für diesen versoffenen Schweden ein, dessen Schuld einwandfrei erwiesen ist! Ihr verderbt Euch damit nur Eure Karriere und setzt Euch überdies dem Verdacht aus, der Komplize eines Raubmörders zu sein.«

Für einen Augenblick sah es so aus, als würde Martin die Waffe ziehen. Dann holte er tief Luft und verschränkte die Arme vor der Brust. »Stakke ist unschuldig! Entweder wollt Ihr die Wahrheit nicht erkennen, oder aber Ihr wollt einen Mann beseitigen, der sowohl ein besserer Soldat wie auch ein besserer Mensch ist als Ihr!«

Erkenwaldt drehte sich abrupt um und stapfte zu Hinggendorff hinüber. Seine Miene verriet deutlich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war.

Da auch Martin so aussah, als wolle er es unbedingt auf einen Zweikampf mit dem Österreicher ankommen lassen, trat Jette zu Fahrenshoff, der als Befehlshaber des Berrinsburger Aufgebots Martins Vorgesetzter war. »Herr Feldwachtmeister, erlaubt Ihr mir, Euch einen Vorschlag zu machen?«

»Nicht jetzt, Jette! Ich muss mich um meine Leute kümmern und um diesen jungen Narren, der glaubt, sich unbedingt mit Erkenwaldt schlagen zu müssen«, erwiderte dieser verärgert.

Jette ließ sich nicht einschüchtern. »Genau um Hallberg geht es! Ihr schickt ihn am besten möglichst weit mit einem Auftrag fort, so dass er erst heute Abend oder sogar am nächsten Morgen zurückkehrt. Ein anstrengender Ritt wird sein Temperament gewiss abkühlen.«

»Das ist ein guter Gedanke! Ich werde Martin nach Rebheim schicken. Vielleicht kann er dort Mehl und ein paar Fässer Wein kaufen.« Fahrenshoff wusste, dass es die Aufgabe des Zahlmeisters gewesen wäre, für Nachschub zu sorgen, doch Scheller hatte ihm vorhin deutlich erklärt, dass er im Lager bleiben müsse, um den Schaden aufzunehmen, der durch das nächtliche Unwetter entstanden war.

Während Fahrenshoff nach Martin rief, zog Jette sich erleichtert zurück. Auf diese Weise würde Martin nicht nur eine Weile vom Lager ferngehalten, sondern fand unterwegs vielleicht sogar die Gelegenheit, Pfefferles Mörder nachzuspüren. Als sie auf ihren Wagen stieg und in ihrer Kiste kramte, um noch etwas Essbares zu finden, erinnerte sie sich an Renis Warnung, dass Erkenwaldt an diesem Tag ihren Wagen hatte durchsuchen lassen wollen. Bei dem Chaos, das derzeit im Lager herrschte, würde ihr das zumindest vorerst wohl erspart bleiben.

4.

Just von Fahrenshoff rief Martin mit einer herrischen Geste zu sich. »Ihr werdet nach Rebheim reiten und den Wirt des Lamms bitten, uns Kredit einzuräumen. Da Eure Frau Mutter dort jedes Mal einkehrt, wenn sie Euch besucht, hoffe ich, dass er es tut. Wir brauchen dringend Mehl und vielleicht auch etwas Wein.«

»Nach Rebheim soll ich?«, rief Martin erstaunt. »Aber bis dorthin ist es mehr als ein halber Tagesritt. Warum nicht nach Rippweiler, das doch näher liegt?«

»Weil wir weder dort noch an einem anderen Ort in der Nähe irgendetwas auf Kredit bekommen, bevor die alten Schulden bezahlt sind! Hoffen wir, dass der Wirt vom Lamm sich von Euch weichklopfen lässt. Außerdem brauchen wir dringend Medizin. Nach diesem Unwetter werden gewiss einige Männer krank, und ich will verhindern, dass eine Seuche ausbricht. Wenn das geschieht, können wir diesen Kriegszug vergessen. Ich stelle einen Passierschein für Euch und Euren Burschen aus. Ihr könnt unterwegs übernachten – auf Eure Kosten natürlich. Es wäre mir auch recht, wenn Ihr das Geld für die Medizin vorstrecken könntet, falls der Apotheker Schwierigkeiten macht.«

»Im Notfall kann ich auch das Geld für das Mehl und den Wein auslegen«, bot Martin an. »Meine Mutter hat mir eine kleine Summe zukommen lassen. Es wird aber nur für Gerstenmehl und einen arg sauren Hund ausreichen.«

»Das ist besser als nichts!«

Fahrenshoff schüttelte sich bei dem Gedanken an das Gesöff, das meist nur von armen Leuten getrunken wurde, doch ihm war klar, dass die Männer ohne kräftigeres Essen und einen Schluck Wein zu leicht das Opfer von Krankheiten werden konnten. Daher forderte er Martin zum Mitkommen auf und stellte ihm auf einem Fetzen Papier, der das Unwetter trocken überstanden hatte, den Marschbefehl und den Passierschein aus.

Martin nahm den Zettel entgegen, salutierte und machte sich auf die Suche nach seinem Burschen. Den fand er wie gewohnt bei seinem Zelt. Im Gegensatz zu den Unterkünften der übrigen Berrinsburger hatte nicht der Handelsherr Schmitz, sondern seine Mutter den Stoff und die Stangen besorgt. Die Leinwand war von bester Qualität und hatte das Unwetter gut überstanden. Inzwischen hatte Jupp die Umgebung des Zelts von allem Unrat gesäubert. Nun saß er vor dem Eingang auf einem Holzklotz und besserte eines von Martins Hemden aus.

Sein Herr blieb stehen und sah ihm einen Augenblick zu. Statt aufzuspringen und ihn nach seinen Wünschen zu fragen, wie er es sonst getan hatte, blieb der Bursche diesmal sitzen und nähte mit verbissener Miene weiter. Martin kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Jupp beleidigt und so lange zu nichts zu gebrauchen war, bis er sich den Grund dafür von der Seele geredet hatte. An diesem Tag aber blieb keine Zeit fürs Lamentieren, und so zog er Jupp kurzerhand auf die Beine.

»Komm! Fahrenshoff hat mir den Befehl erteilt, nach Rebheim zu reiten«, sagte er.

Jupp sah ihn verdutzt an. »Nach Rebheim? Da werden wir wohl heute nicht mehr zurückkommen. Aber nun etwas anderes: Was würde Eure edle Frau Mutter sagen, wenn sie erführe, dass Ihr die Nacht mit einem schmutzigen, käuflichen Weib verbracht habt? Reicht es nicht, dass Ihr bereits wegen dieses Schweden in Schwierigkeiten geraten seid? Ihr wisst doch, was Eure gräflichen Vorfahren unter den Ungeheuern des Schwedenkönigs Schreckliches erleiden mussten.«

»Reni ist kein schmutziges Weib, sondern sehr reinlich«, antwortete Martin mit einer für seinen Burschen ungewohnten Schärfe. »Außerdem bin ich alt genug, um zu wissen, was ich tun darf und was nicht. Daher solltest du dich auf der Stelle entscheiden. Entweder spielst du weiterhin das Kindermädchen von meiner Mutter Gnaden für mich. In dem Fall kannst du auf der Stelle deine Sachen packen und nach Berrinsburg zurückkehren. Oder aber du bleibst bei mir und enthältst dich in Zukunft jeglicher Kritik an meinem Tun und Lassen. Hast du mich verstanden?«

Martin spürte, wie es hinter Jupps Stirn arbeitete, und versuchte, eine möglichst zornige Miene aufzusetzen.

Das wirkte, denn der Bursche fiel auf die Knie und begann, sich zu entschuldigen.

Martin schnitt ihm das Wort ab. »Es reicht! Hast du schon nach unseren Pferden geschaut? Sind sie in Ordnung? Ja? Gut! Dann sattele jetzt Minta und deinen Hess. Ich will unverzüglich losreiten.«

»Zu Befehl, Herr Leutnant!«, rief Jupp und rannte los.

Martin folgte ihm etwas langsamer zu den Ställen. Die Pferde der Offiziere waren in offenen, aber festen Unterständen untergebracht und hatten die Nacht dank der Fürsorge der Pferdeburschen gut überstanden. Martins Minta freute sich sichtlich, ihren Herrn zu sehen, und knallte die Hufe temperamentvoll gegen den Holzverschlag.

Damit schreckte sie drei Männer auf, die sich um einen großrahmigen, starkknochigen Hengst mit einer großen Blesse auf der Stirn kümmerten. Einer von ihnen war Ditz Hammerstock, der das angeschwollene Sprunggelenk des Tieres betastete und dabei auf einen im Schatten stehenden Mann einsprach.

Martin verzog angewidert das Gesicht, als er Rambert von Uhlden erkannte. Sein einstiger Freund war erst vor kurzem durch Scheller sehr günstig in den Besitz des wertvollen Tieres gekommen. Nun hob Rambert den Kopf, sah ihn und stieß einen leisen Fluch aus. Hammerstock ließ das Bein des Hengstes fahren, warf Martin einen spöttischen Blick zu und entfernte sich eilig. Den dritten Mann erkannte Martin erst, als dieser hinter dem Pferd hervortrat und auf ihn zukam. Es war Scheller, der Zahlmeister.

Martin mochte den Mann nicht. Von seinem Schwager, dem berrinsburgischen Kanzler Gerondt, protegiert, hatte Scheller am Hof von Berrinsburg in ungewöhnlich kurzer Zeit Karriere gemacht und schließlich auch im Auftrag des Reichsgrafen die für die Finanzierung des Krieges vorgesehenen Sondersteuern eingetrieben. Dabei hatte er Martins Mutter so verächtlich behandelt, als wäre sie, die Mätresse des Vaters des jetzigen Reichsgrafen, nur eine gewöhnliche Dirne. Martin war damals nicht zu Hause gewesen, hatte aber von Jupp davon gehört und sah daher keinen Grund, besonders höflich zu Scheller zu sein. Ohne ihn eines Grußes zu würdigen, löste er Mintas Leine und wollte sie ins Freie führen.

Da vertrat ihm der Zahlmeister den Weg. »Sieh an, der Hallberg! Bist du inzwischen wieder zur Vernunft gekommen?«, fragte er höhnisch.

»Für dich, Scheller, heißt es immer noch Graf Hallberg!«, gab Martin kühl zurück.

In Schellers Augen blitzte es kurz auf. »Nun denn, Graf Hallberg, Ihr solltet Euch gut überlegen, was Ihr tut! Der Schwede ist ein Verräter und ein Mörder. Soll ich Seiner Erlaucht schreiben, dass Ihr es mit solchem Gesindel haltet? Selbst Euer Status als Bastardbruder unseres Souveräns würde Euch nicht vor Strafe schützen.«

Martin hörte die Drohung aus Schellers Worten heraus, war aber nicht bereit, sich davon beeindrucken zu lassen. »Geh Er mir aus dem Weg! Ich habe einen Befehl auszuführen.« Mit diesen Worten versetzte Martin Minta einen Klaps. Die Stute drehte sich und schob Scheller beiseite.

»Ihr seid ein Schwachkopf, Hallberg!«, schrie Scheller.

»Wärest du von Stand, du Lümmel, müsste ich dich dafür fordern! So aber werde ich es bei ein paar Peitschenhieben belassen.«

»Du … du drohst mir? Zu Hilfe!«, kreischte Scheller mit sich überschlagender Stimme.

Martin hörte ein Knacken, als würde eine Muskete oder ein Karabiner schussfertig gemacht, und sah aus den Augenwinkeln, wie drei Dragoner auf ihn zielten. Bevor diese jedoch abdrücken konnten, tauchten hinter ihnen mehrere Männer wie aus dem Boden gewachsen auf. Blanke Klingen berührten ihre Hälse, und dann erklang die spöttische Stimme des Genuesen Rivitelli.

»Tut es lieber nicht, Poldls! Wir müssten euch sonst ein wenig die Kehlen durchschneiden.«

Die anderen Soldaten waren Wilm Krögg, Studerle, der Leibjäger der Gräfin Hallberg, sowie ein paar Söldner, die Stakke die Treue hielten.

Während die Dragoner erschrocken ihre Karabiner abstellten, schwang Martin sich in den Sattel und blickte von oben auf Scheller herab. »Es wird sich zeigen, wer von uns der Schwachkopf ist! Die Stunde wird kommen, in der du dich an diesen Augenblick erinnern und bedauern wirst, mich gereizt zu haben. Euch anderen sage ich Dank. Diese Kerle hätten mich glatt über den Haufen geschossen. Das werde ich euch nicht vergessen – und denen da auch nicht!«

Martin sah die drei Dragoner erbleichen, zog Minta herum und trabte los. Auch Jupp trieb seinen Hess an und ritt dabei so knapp an Scheller vorbei, dass dieser in die Box von Ramberts Pferd gestoßen wurde. Dabei wirkte der Bursche so zufrieden, dass Martin sich fragte, was sich damals, als Scheller die Kriegssteuer bei seiner Mutter eingetrieben hatte, alles zugetragen haben mochte.

5.

Der Wachposten am Tor war ebenfalls ein österreichischer Dragoner. Als er Martin sah, richtete er den Karabiner auf ihn. »Halt, stehen bleiben!«

»Was soll das? Ich verlasse das Lager im Auftrag von Feldwachtmeister Fahrenshoff!«, rief Martin und hielt dem Soldat seinen Passierschein hin.

Dieser kontrollierte ihn mit einem so unverschämten Grinsen, dass es Martin in den Fingern juckte, ihm eins mit der flachen Klinge überzuziehen. Verärgert nahm er dem Kerl den Zettel wieder ab und ließ Minta im Schritt durch das Lagertor gehen. Seine Phantasie gaukelte ihm vor, erneut das Geräusch zu hören, mit dem der Hahn einer Waffe gespannt wurde. Doch als er sich umdrehte, stand der Dragoner auf seinen Karabiner gestützt da und sah ihm kopfschüttelnd nach.

Dafür kam Jupp nun an seine Seite und begann zu lamentieren. »Diesen Scheller soll der Teufel holen! Er hätte die Dragoner wirklich auf Euch schießen lassen.«

Damit hatte Jupp zwar recht, doch Martin war nicht danach, darüber zu reden.

»Sei jetzt still!«, befahl er.

Er fragte sich jedoch, weshalb Scheller ihn so provoziert hatte. Nur aus Abneigung gegen ihn und seine Mutter konnte es gewiss nicht gewesen sein. Nahm der Zahlmeister womöglich an, er hätte vor, dessen Unterschlagungen aufzudecken? Dazu war er wohl kaum in der Lage. Aber was Scheller auch immer gegen ihn hatte – der Mann bedeutete eine Gefahr für ihn, und er würde in Zukunft auf seinen Rücken achtgeben müssen.

Unwillkürlich wandten Martins Gedanken sich der Lage zu, in der das Heer sich befand. Ohne Vorräte und neue, mauerbrechende Kanonen war eine weitere Belagerung von Oppingen sinnlos. Doch wenn sie aufgaben, würde Reichsgraf Joseph versuchen, seine Verluste durch weitere Steuern auszugleichen. Dies aber wäre gleichbedeutend mit dem Ruin seiner Mutter und der anderen adeligen Familien in Berrinsburg. Vielleicht würden sie sogar ihre Heimat verlieren.

»Alles, was geschehen ist, arbeitet den Franzosen zu«, stellte Martin fest und war für einen Augenblick so weit zu glauben, dass diese tatsächlich hinter all den Schwierigkeiten steckten, mit denen sie sich herumschlagen mussten.

»Für das Unwetter gestern Nacht konnten sie nichts. Außerdem war ihr Stoßtrupp heute viel zu schwach, um uns gefährlich werden zu können«, fuhr er sein Selbstgespräch fort und schöpfte Hoffnung, weil auch dem General Comte de Vallier und dessen Leuten nicht alles glückte, was sie begannen.

Da Martin nicht gewohnt war, lange über Rätseln zu brüten, schweiften seine Gedanken bald ab. Schließlich ertappte er sich dabei, dass er mehr an Reni dachte als an den Mord an Pfefferle und die verlorengegangenen Soldgelder. Ihr Körper war erregend schön, und schon bei dem Gedanken an ihren Duft fühlte Martin erneut Verlangen nach ihr. Er überlegte gerade, ob sie wohl zu einer weiteren Nacht mit ihm bereit war, da erklang ein entsetzter Aufschrei seines Offiziersburschen.

»Die Magyaren! Gnade uns Gott!«

Martin drehte sich um und sah etwa zwanzig Husaren mit ihrem Anführer Palffy an der Spitze hinter sich herkommen. Die Aufgabe dieser Reiter war es, jene armen Kerle aufzuspüren, die vom aufgezwungenen Kriegsdienst genug hatten und sich vom Acker machen wollten. Einen Augenblick packte auch ihn die Angst, aber dann sagte er sich, dass er schließlich in Fahrenshoffs Auftrag unterwegs war.

Jupp hieb unterdessen seinem Hess die Fersen in die Weichen und wollte losgaloppieren. Gerade noch schnell genug griff Martin nach seinen Zügeln und hielt ihn auf. »Verdammt noch mal, bleib an meiner Seite! Wir haben nichts zu befürchten.«

»Aber wenn sie uns umbringen wollen?«, stöhnte sein Bursche.

»Dann nützt es auch nichts, wenn wir fliehen. Ihre Pferde sind auf jeden Fall schneller als dein Hess!«

»Dann flieht wenigstens Ihr!«, flehte Jupp.

»Um dann, wenn ich ins Lager zurückkehre, von allen ausgelacht zu werden?« Martin verzog kurz das Gesicht und ritt im leichten Trab weiter.

Die Ungarn holten bald auf und galoppierten so dicht an ihnen vorbei, dass der von den Hufen aufgewirbelte Dreck auf sie niederprasselte. Noch während Jupp wie ein Rohrspatz schimpfte, machten die Magyaren ein Stück weiter vorne kehrt und ritten erneut in vollem Tempo auf sie zu.

»Bleib hinter mir!«, befahl Martin dem vor Angst wimmernden Jupp und zog seinen Degen. Ein zweites Mal würde er sich von Palffy und dessen Männern nicht demütigen lassen.

Martin wartete, bis die Ersten fast heran waren, gab dann Minta die Sporen und schwang seinen Degen mehrfach im Kreis. Die vordersten Husaren mussten sich tief über den Hals ihrer Pferde beugen, um seiner Klinge zu entgehen. Ein paar verloren dabei ihre Mützen, die von den Hufen der hinter ihnen galoppierenden Pferde in den Dreck gestampft wurden.

»Sind wir jetzt quitt, oder wollt Ihr es noch einmal versuchen?«, rief Martin ihrem Anführer zu.

Palffy zügelte seinen Hengst und rief etwas in seiner Muttersprache. Zwar murrten mehrere seiner Männer, doch dann jagten sie unter wilden Schreien davon.

»Das war sehr unüberlegt von Euch«, tadelte Jupp seinen Herrn. »Sie hätten uns umbringen können.«

»Du kannst ein paar Maulschellen haben, wenn du deinen Mund nicht hältst!«, drohte Martin und ritt weiter.

Obwohl auch ihm nicht klar gewesen war, wie die Magyaren reagieren würden, fühlte er sich nun besser.

Das Gefühl hielt jedoch nur so lange an, bis sie kurz vor der Abenddämmerung das Stadttor von Rebheim erreichten. Der Dreck von den Hufen der Ungarnpferde war zwar abgetrocknet, klebte aber noch immer fingerdick auf ihrer Kleidung und ihren Pferden. Einige Torwächter lachten darüber, und ihr Hauptmann vertrat ihnen den Weg.

»Was wollt ihr denn hier? Dreckfinken aus Berrinsburg sind hier in Rebheim nicht willkommen!«

»Was soll das?«, fuhr Martin auf. »Wir stehen in kaiserlichen Diensten! Hat euer Fürst sich auf die Seite der Franzosen geschlagen?«

Der Torwächter grinste unverschämt. »Auf jeden Fall hat er nichts für fremde Soldaten übrig, die in seinen Städten nach armen Kerlen suchen, die der Hungerleiderei in reichsgräflich-berrinsburgischen Diensten überdrüssig geworden sind.«

Da Martin es auf keine Auseinandersetzung ankommen lassen wollte, antwortete er, so ruhig er es vermochte. »Ich bin nicht auf der Suche nach Deserteuren, sondern will im Gasthof Lamm zu Abend essen und übernachten.«

»Wenn ihr euch das leisten könnt, müsst ihr mehr Geld in der Tasche haben als eure gesamte restliche Bande zusammen«, spottete der Mann. »Na ja, ihr könnt ausnahmsweise passieren.«

»Gesindel!«, schnaubte Jupp, als sie die Pferde im Schritt an den Wachen vorbeilenkten. Einer der Männer hob seinen Spieß und wollte ihm einen Hieb mit dem Schaft versetzen. Doch als er Martins drohenden Blick bemerkte, zog er den Kopf ein.

Rebheim war ein kleines, verschlafenes Nest, besaß aber einen Gasthof mit Posthalterei. Der Knecht sah die schlammbedeckten Gäste kommen und schüttelte missbilligend den Kopf. Dennoch nahm er diensteifrig die Zügel entgegen und befahl einem jungen Burschen, den Pferden die Sättel abzunehmen und sie zu tränken.

»Sollen die Tiere auch gefüttert werden?«, fragte er Martin.

Der nickte und nahm drei Münzen aus dem Geldbeutel. »Das ist für dich. Putz die Pferde blitzblank und gib ihnen Hafer und genug Heu. Kannst du einer Magd sagen, dass sie unsere Röcke und Hosen säubern soll? Es ist doch eine Kammer für die Nacht frei – oder nicht?«

Der Knecht warf einen Blick auf die Geldstücke und grinste. »Selbstverständlich haben wir eine Kammer für Euch. Soll Euer Knecht im Stall schlafen oder auf einem Strohsack in der Gaststube?«

»Jupp bleibt bei mir! Leg ihm den Strohsack in meine Kammer, oder besser noch ein zweites Bett, falls ihr eines habt.«

Der Knecht verbeugte sich fast bis zum Boden. »Sehr wohl, der Herr! Gerne!«

Bei einem Offizier, der seinen Burschen in einem Bett schlafen ließ, war seiner Erfahrung nach einiges an Trinkgeld herauszuschlagen. »Darf ich die Herren in die Spülküche bitten? Dort werden die Lies und ich Euch von dem Schmutz der Reise befreien.«

Er führte Martin und Jupp dorthin und zählte dabei auf, welche Vorzüge der Gasthof aufwies. Dann kommandierte er eine junge, scheue Magd herum und forderte sie in eindeutiger Weise auf, dem Offizier in jeder Hinsicht zu Diensten zu sein. Da seine Hände geschickt mit Lappen und Wurzelbürste umgingen, war Martin mit dem Knecht zufrieden. Der Magd schärfte er ein, sich später noch einmal um seine Hosen und Stiefel zu kümmern. Als sie begriff, dass er keine anderen Dienste von ihr forderte, lächelte sie dankbar und versprach, alles zu seiner Zufriedenheit zu erledigen.

6.

Nachdem Martin sich gründlich die Hände und das Gesicht gewaschen hatte, betrat er die Gaststube und freute sich aufs Abendessen. Der Wirt schätzte ihn mit einem Blick ab und fand, dass dieser Gast nicht zu den üblichen Hungerleidern gehörte. Daher begrüßte er ihn devot und zählte auf, was Küche und Keller alles zu bieten hatten.

»Schon gut!«, wehrte Martin schließlich lachend ab und kam auf den Grund seines Erscheinens zu sprechen. »Herr von Fahrenshoff sendet mich und lässt anfragen, ob du uns ein paar Fässer Wein auf Kredit schicken könntest. Es muss nicht der beste sein!«

Der Wirt hob abwehrend die Arme. »Es tut mir leid, Herr Leutnant, aber ich kann Herrn von Fahrenshoffs Wunsch nicht willfahren. Dafür steht er bei mir schon zu tief in der Kreide – und nicht nur er! All Eure Offiziere schulden mir bereits mehr, als ich meinem Fürsten im Jahr an Steuern zahlen muss. Wenn der Steuereintreiber kommt, kann ich ihm schlecht sagen, er soll zu Euch Berrinsburgern gehen und dort das Geld einfordern. Wenn Eure Leute nicht bald zahlen, lande ich noch im Schuldturm.«

Martin hatte es nicht anders erwartet. Mit einem leisen Stöhnen öffnete er seinen Geldbeutel und zählte dem Wirt eine Reihe Gulden hin. »Das wird wohl für ein paar Fässer reichen. Wir benötigen die Waren dringend! Lass dir aber nicht einfallen, uns sauren Hund zu schicken. Ich werde jedes Fass, das du ins Lager bringen lässt, eigenhändig kontrollieren.«

Die Miene des Wirtes hellte sich auf. »Keinen sauren Hund, aber auch keinen vom besten, so wie Ihr es vorhin gesagt habt.«

»Versuche nicht zu panschen. Sonst werde ich dir eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat.«

Der Wirt begriff, dass Martin es ernst meinte, und versicherte ihm wortreich, dass er mit der Lieferung zufrieden sein werde.

Am meisten wunderte sich Jupp. So energisch wie an diesem Tag hatte er den jungen Herrn noch nie erlebt. Zwar gefiel es ihm, dass der junge Graf sich nicht mehr so nachgiebig zeigte, andererseits würde dieser im Streit um die Schuld oder Unschuld dieses Schweden kaum einen Rückzieher machen, und das verhieß nichts Gutes für die Zukunft.

Vorerst tröstete Jupp sich mit einem gefüllten Hühnchen, das er mit niemandem teilen musste. Dazu bekam er einen Becher mit Wein, der den Namen auch verdiente. Als er sich satt zurücklehnte und überlegte, ob er sich noch einen weiteren Becher Wein gönnen durfte, hob Martin den Kopf.

»Du gehst jetzt zum Bader oder zum Apotheker, je nachdem, was für ein Kurpfuscher in diesem Ort herumläuft, und gibst ihm diesen Zettel. Ich will die Arzneien heute Abend noch haben, denn wir reiten morgen früh los, sowie das Tor aufmacht.«

»Habt Ihr solche Sehnsucht nach dem Dreckloch von Lager? Ich hatte gehofft …«

»… dich hier noch ein paar Tage durchfuttern zu können«, ergänzte Martin Jupps Satz. »Nein, daraus wird nichts! Ich habe Pflichten zu erfüllen.«

Als er Jupps missmutige Miene sah, lächelte er nachsichtig. »Ich verspreche dir, dass wir morgen früh gut frühstücken und morgen Mittag irgendwo einkehren werden. Dann kannst du dir meinetwegen noch einmal den Bauch vollschlagen.«

Jupp nahm den Brief und das Geld entgegen und verließ den Gasthof. Unterdessen wandte Martin sich an den Wirt. »Wie ich schon sagte, brauchen wir auch Mehl, Graupen oder getrocknete Erbsen. Weißt du, wo ich das bekommen kann?«

»Ohne Geld geht da gar nichts«, antwortete der Wirt und sah zufrieden, wie Martin erneut seine Börse auf den Tisch legte. »Ich könnte Euch aber günstig zu einem Fuder Mehl und einem Fuder Graupen verhelfen. Sie wären wie der Wein in drei Tagen bei Euch im Lager. Doch wie ich schon sagte, kostet es halt Geld!«

»Wie viel?«, fragte Martin und legte die Summe, die der Wirt ihm nannte, auf den Tisch. Danach war er fast pleite, aber wenn es den Feldzug retten konnte, war er zu diesem Opfer bereit.

Allerdings waren dafür mehr als nur ein bisschen Brot und Wein vonnöten. Daher bat Martin den Wirt um Papier und Feder und setzte einen Brief an seine Mutter auf. Ihr traute er es am ehesten zu, den Reichsgrafen davon zu überzeugen, Nachschub zu schicken, ohne dass Männer wie der Kanzler Gerondt und dessen Schwager Scheller das meiste unterschlugen.

Er hatte den Brief gerade fertig, als Jupp zurückkehrte.

»Ich habe alles bekommen, was Ihr gewünscht habt, Herr Leutnant. Es sind sogar noch fünf Kreuzer übrig … Oh, Ihr schreibt nach Berrinsburg?«

»Nachdem ich letztens aus einer von Schellers Bemerkungen schließen konnte, dass er die Briefe an meine Mutter, die ich ihm anvertraut habe, heimlich geöffnet und gelesen hat, nutze ich diese Gelegenheit, mein nächstes Schreiben von der Kaiserlichen Reichspost der Herren von Thurn und Taxis zu meiner Mutter bringen zu lassen.«

»Von den Thurn und Taxis sagt man aber auch, dass sie Briefe kopieren und den Inhalt an die Spitzel des Kaisers weiterreichen würden«, wandte Jupp ein.

»Das mag richtig sein. Wenn ich ganz sichergehen wollte, müsste ich selbst nach Berrinsburg reiten. Sollte ich aber so lange ausbleiben, wird Erkenwaldt behaupten, ich sei Stakkes Mitwisser und hätte die geraubten Soldgelder beiseitegeschafft. Daher will ich spätestens morgen Abend zurück sein.«

»Warum habt Ihr der Frau Gräfin geschrieben?«, fragte Jupp neugierig.

»Ich habe einen kurzen Bericht über das, was bisher geschehen ist, verfasst und meine Mutter gebeten, ihn dem Reichsgrafen zu übergeben. Hätte ich direkt an Joseph geschrieben, wäre mein Brief durch Gerondts Hände gegangen, und der könnte sich als Schellers Schwager genötigt fühlen, ihn zu unterschlagen. Ich traue den beiden nicht, denn ich vermute, dass sie die Situation, in der wir stecken, vor dem Reichsgrafen schönreden, um noch mehr verdienen zu können. Jedenfalls habe ich kein Blatt vor den Mund genommen und meiner Mutter die Situation bis ins Einzelne geschildert. Ich hoffe, dass unser Souverän die nötigen Schlüsse daraus ziehen wird.«

»Die Frau Gräfin wird Euch gewiss nicht im Stich lassen. Mit Verlaub gesagt, sie ginge sogar zum Teufel in die Hölle, um Euch zu helfen, Herr Leutnant.«

Martin lachte freudlos auf. »Das stimmt! Sie wird jedoch lernen müssen, dass ich kein kleiner Junge mehr bin, den man zurückholen und in den Badetrog stecken kann. Jetzt aber soll sie dafür sorgen, dass mein erlauchter Halbbruder sich in eigener Person um diesen Krieg kümmert und Erkenwaldt in die Parade fährt. Wenn wir siegen wollen, brauchen wir Stakke, und zwar nicht nur als Anführer der Söldner, sondern als Feldhauptmann!«

»Aber das ist doch Hinggendorff«, rief Jupp aus.

»Noch! Der Reichsgraf muss einsehen, dass der Raub der Soldgelder Stakke in die Schuhe geschoben wurde.«

»Und wenn Herr Joseph sich der Meinung Schellers und Erkenwaldts anschließt und Stakke hinrichten lässt?«, fragte Jupp.

Martin sah ihn mit ernster Miene an. »Deshalb müssen wir entweder Stakkes Unschuld hieb- und stichfest beweisen und den wahren Schuldigen finden – oder ihm und Aimo zur Flucht verhelfen.«

»Herr, das dürft Ihr nicht!«, rief Jupp entsetzt. »In dem Fall würdet Ihr als Stakkes Mittäter gelten und im ganzen Reich für vogelfrei erklärt werden. Ihr müsstet zu den Russen oder gar zu den Ungläubigen fliehen.«

»Wenn es denn sein müsste, täte ich auch das! Ich werde jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie ein Freund für eine Tat hingerichtet wird, die er nicht begangen hat.«

»Wenn Ihr nicht Vernunft annehmt, werdet Ihr mit ihm zusammen hingerichtet!«

»Dazu wird es nicht kommen«, antwortete Martin und rief die Wirtsmagd, ihre Becher noch einmal zu füllen. Den Brief reichte er dem Wirt mit dem Auftrag, ihm dem nächsten Postreiter zu übergeben, der durch Berrinsburg kommen würde.

Während er trank, gingen Martins Gedanken eigene Wege. »Vielleicht sollte ich mir beim Schmied Werkzeug besorgen, um notfalls Stakkes Ketten sprengen zu können.«

Jupp streckte abwehrend die Arme aus. »Nein, Herr! Tut das nicht! Wenn man diese Gerätschaften bei Euch findet, wird man Euch auf der Stelle verhaften. Wenn Ihr wollt, werde ich das notwendige Werkzeug im Lager für Euch stehlen.«

»Und wenn du dabei ertappt wirst, lässt Erkenwaldt dich aufhängen«, warnte Martin.

Jupp lächelte traurig. »Glaubt Ihr, man würde mich laufenlassen, wenn Ihr verhaftet werdet? Genau wie Aimo Stakkes Schicksal teilen wird, muss ich mit Euch gehen, sei es auf den Richtplatz oder zu den Osmanen.«

Es klang so treuherzig, dass Martin ihm gerührt auf die Schulter klopfte. »Bist ein braver Kerl, Jupp! Ich werde alles tun, damit wir beide unbeschadet aus dieser Sache herauskommen. Aber leicht wird es nicht werden.«

»Nein, gewiss nicht«, seufzte Jupp und wünschte sich, sein Herr hätte Stakke nie kennengelernt.

7.

Nachdem Martin und Jupp aufgebrochen waren, herrschte eine Stimmung im Lager, die Jette zutiefst erschreckte. Bei den Berrinsburgern und Söldnern machte das Gerücht die Runde, österreichische Dragoner hätten Leutnant Hallberg erschießen wollen, weil er sich für Sixten Stakke eingesetzt hatte. Die zumeist protestantischen Söldner waren den katholischen Österreichern nicht grün, und die Berrinsburger hatten nicht vergessen, dass ihr Landesherr sie auf Kaiser Leopolds Wunsch hin von ihren Feldern und aus ihren Werkstätten geholt hatte, um sie zu Soldaten zu machen. Da die Poldls, wie sie die Österreicher Kaiser Leopolds wegen nannten, sie von Anfang an überheblich behandelt und bei der Verteilung des spärlichen Nachschubs benachteiligt hatten, ballten viele von ihnen die Faust in der Tasche, wenn ihnen ein Dragoner oder Ungar begegnete.

Da kurz nach Martin ein Beritt Ungarn unter der Führung ihres Hauptmanns Palffy das Lager verließ und in dieselbe Richtung ritt wie der Leutnant, machte Jette sich Vorwürfe. Hoffentlich habe ich Hallberg nicht in den Tod geschickt, dachte sie besorgt, während sie aus den Resten, die sie in ihrer Vorratskiste zusammenkratzte, eine Suppe für sich, Stakke und Aimo kochte. Als sich Rivitelli und mehrere hungrige Söldner um ihren Wagen scharten, brachte sie es nicht übers Herz, sie einfach so stehenzulassen. Sie füllte die Hälfte der Suppe in eine Schüssel und reichte sie hinaus.

»Mehr habe ich nicht. Teilt es gerecht!«

»Ihr habt es gehört! Jeder isst nur ein paar Löffel«, rief Rivitelli den anderen zu.

Türck nickte grinsend. »Aber klar! Auf jeden Fall kocht Jette besser als der Lump, den Scheller uns als Koch zugeteilt hat.«

»Koch nennst du den?« Wilm Krögg und Studerle, die wie Jupp von den Besitzungen der Gräfin Hallberg stammten, waren zu der Gruppe gestoßen und verzogen nun das Gesicht. »Der Kerl macht nicht mehr, als uns gruppenweise etwas Graupen und Gemüse zuzuteilen. Wir dürfen dann zusehen, wie wir es irgendwie kochen können. Dabei gibt es viel zu wenig Kessel und Töpfe. Nur die Poldls, die haben einen eigenen Regimentskoch. Bei denen gibt es einen besseren Fraß als bei uns.«

»Warum eigentlich?«, empörte sich ein Söldner. »Sind wir denn schlechter als die? Ohne uns könnten sie Oppingen niemals belagern. Wir aber hätten es unter Stakkes Kommando auch ohne sie längst erobert.«

»Gib nicht so an!«, knurrte ein Dragoner, der neugierig näher gekommen war. »Ihr Berrinsburger Krautbauern wisst doch nicht einmal, wo bei euren Piken hinten und vorne ist. Ihr seid gerade mal zum Kugelnauffangen gut genug.«

»Bleibt ruhig!«, flehte Jette aus Angst, die Männer könnten vor ihrem Wagen eine Schlägerei beginnen.

Der Dragoner begriff jedoch schnell, dass er ohne Kameraden auf verlorenem Posten stand, und trollte sich.

Mit grimmiger Miene blickte Rivitelli ihm nach. »Immer, wenn ich einen dieser aufgeblasenen Kerle sehe, kriege ich so ein komisches Jucken in den Fäusten.«

»Nicht nur du«, meinte Wilm Krögg. »Wär’s einer von denen gewesen, die vorhin unseren Herrn Martin bedroht haben, hätte ich mich nicht zurückgehalten. Diese Schweine haben bei mir noch etwas gut!«

»Bei mir auch!« Rivitelli spie aus, nahm die Schüssel in die Hand und löffelte etwas Suppe, bevor er sie an Krögg weiterreichte. »Bist zwar kein Söldner, gehörst aber trotzdem zu uns – und der Studerle auch!«

Auch wenn dies im Augenblick nur hieß, drei Löffel Suppe zu bekommen, war damit Freundschaft geschlossen. Jette aß ebenfalls eine Kleinigkeit. Das meiste behielt sie jedoch für Stakke und dessen Burschen übrig und brachte es zum Gefangenenzelt.

Die Wachen äugten gierig auf ihren Topf. »Bringst uns wohl was zu essen?«, fragte einer.

Jette schüttelte den Kopf. »Wenn du Hunger hast, lass dir was von eurem Koch geben. Das ist für die Gefangenen!«

»Die sollen hungern!«, blaffte ein zweiter Dragoner sie an und griff nach ihrem Topf. »Her damit!«

»Lässt du wohl meinen Topf los!«, fauchte Jette und schrie im nächsten Augenblick auf, weil ihr der erste Wächter den Kolben seines Karabiners gegen die Brust stieß.

»Verdammter Hurensohn!«, schrie Rivitelli, der mit ein paar Männern Jette gefolgt war. Innerhalb kurzer Zeit sammelte sich ein gutes Dutzend Söldner und Berrinsburger um Jette, und einige forderten, die Österreicher in den Rhein zu werfen und Stakke zu befreien.

Der Aufruhr rief Erkenwaldt und Hinggendorff auf den Plan. Während Ersterer wie eine gereizte Bulldogge wirkte, schüttelte der Feldhauptmann missbilligend den Kopf.

»Erkenwaldt, könnt Ihr nicht endlich für Disziplin sorgen?«

Wütend über diese Maßregelung, fuhr Erkenwaldt die Söldner an. »Macht, dass ihr verschwindet!«

Rivitelli schüttelte mit einem höhnischen Lachen den Kopf. »Nicht bevor dieser Kerl da für den heimtückischen Schlag bezahlt, den er Jette versetzt hat, und sie den Gefangenen die Suppe geben kann!«

»Ihr habt hier gar nichts zu fordern!«, brüllte Erkenwaldt außer sich vor Wut. »Macht, dass ihr wegkommt, oder ich werde euch erschießen lassen!«

Jette spürte, dass es ihm ernst war, und wandte sich an ihre Freunde. »Geht jetzt! Oder wollt ihr von den Österreichern umgebracht werden?«

»Sollen sie es wagen, auf uns zu schießen!«, drohte Rivitelli, wich aber doch zurück.

Jette entriss dem Dragoner mit einem heftigen Ruck den Topf und wollte ins Zelt.

Da hielt Erkenwaldt sie auf. »Die Gefangenen bekommen nichts! Gib es den Wachen!«

»Für die habe ich nicht gekocht!« Nicht weniger aufgebracht als der Offizier schüttete Jette ihm die Suppe vor die Füße. »Sollen deine Bluthunde es doch vom Boden auflecken!«

Erkenwaldt holte schon mit der Hand aus, um die Marketenderin zu ohrfeigen, da klang Hinggendorffs tadelnde Stimme auf.

»Das war nicht recht von Euch, Erkenwaldt, den Gefangenen das Essen zu verweigern. Das wirft einen Schatten auf unsere Ehre.«

Erkenwaldt lag bereits auf der Zunge, Hinggendorff zu sagen, dass ihn dies einen Dreck kümmere, hielt sich jedoch im Zaum und eilte mit langen Schritten davon.

»Es war auch nicht recht von dir, das Essen wegzuschütten, wo wir doch so wenig haben«, tadelte Hinggendorff nun Jette.

Diese schluckte das, was ihr auf der Zunge lag, ebenfalls mit Mühe hinunter, und kehrte zu ihrem Wagen zurück. Dort hatten sich inzwischen Rivitelli und seine Mitstreiter versammelt und sprachen erregt miteinander. Jette war klar, dass nur ein Funken aufglimmen musste, um hier die Hölle zu entfachen.

8.

Am späten Nachmittag kehrte Palffy mit seinen Ungarn zurück. Während dem Offizier kaum etwas anzumerken war, fluchten seine Männer wie Rohrspatzen. Ein Teil von ihnen war barhäuptig. Zwar hatten sie ihre Mützen aus dem Schlamm geholt und im Wasser eines Baches gewaschen, aber einige hatten unter den scharfen Hufeisen gelitten und mussten genäht werden.

Als sich eine Gruppe Söldner und Berrinsburger in ihrer Nähe versammelten, machten sie ihrer Wut Luft, indem sie über Martin spotteten.

»Ist großer Feigling!«, rief einer Wilm Krögg zu. »Ist geritten wie Teufel, um zu entkommen!«

Für einen Augenblick war es still. Jette zog unwillkürlich den Kopf ein und hoffte, dass es nicht das Wort zu viel war. Wilm Krögg und Studerle traten breitbeinig auf die Ungarn zu.

»Ihr habt also unseren Hallberg verfolgt, obwohl er im offiziellen Auftrag von Obristleutnant Fahrenshoff losgeritten ist?«, fragte Krögg lauernd.

»Haben wir Bürschchen ein bisschen gejagt. Hat in die Hosen gemacht und wird kommen nicht wieder«, höhnte der Husar.

»Und wo ist deine Mütze? Hast du sie Hallberg zum Abschied geschenkt?« Rivitelli war mit einer Gruppe Söldner ebenfalls hinzugekommen und grinste den Ungarn herausfordernd an. Kurz zuvor hatte er noch den Schwanz einziehen müssen. Ein zweites Mal war er dazu nicht mehr bereit.

Nachdem es ihnen nicht gelungen war, den Berrinsburger Leutnant so zu erschrecken, wie sie es geplant hatten, suchten auch die Ungarn ein Opfer. Zunächst hielten sie sich noch zurück, doch als etliche Dragoner zu ihnen aufgeschlossen hatten, fühlten sie sich stark genug. Schimpfworte flogen hin und her, und dann schlug der Erste zu. Innerhalb weniger Herzschläge war eine wüste Prügelei im Gang, in die immer mehr Soldaten verwickelt wurden.

Erkenwaldt stürzte aus seinem Zelt und brüllte die Männer an, sofort aufzuhören, doch niemand kümmerte sich um ihn. Schießen lassen, so wie er es vorhin angedroht hatte, konnte er nicht, denn seine eigenen Männer befanden sich mitten in dem Gewühl. Schließlich musste er sogar zurückweichen, weil weitere Soldaten hinzukamen und die Fäuste fliegen ließen. Zwar hatte er seinen Pallasch gezogen, doch das war nur eine hilflose Geste.

»Hört auf! Verdammt noch mal, hört auf!«, schrie er noch einmal, doch das Ergebnis war dasselbe.

Stakkes Verhaftung und die verächtliche Behandlung, die Martin von Hallberg zuteilgeworden war, hatte die Söldner und die Berrinsburger aufgestachelt, und sie genossen nun die Gelegenheit, es den Österreichern heimzuzahlen.

»Verflucht sollt ihr sein!«, stöhnte Erkenwaldt und war kurz davor, mit blankem Säbel dreinzuhauen.

9.

Da Gundobert von Hinggendorff die Glieder an diesem Tag besonders schmerzten, hatte er Reni rufen lassen, damit sie ihm Rücken und Schultern mit einer von Gertjes Salben einrieb. Doch kaum hatte die junge Marketenderin mit der Behandlung begonnen, klang draußen Lärm auf und wurde immer lauter.

»Was ist denn schon wieder?«, stöhnte Hinggendorff. »Der Erkenwaldt bringt einfach keine Ruh ins Lager. Da war der Stakke doch ein anderes Kaliber! Schad, dass er ein Raubmörder ist. Ich hätte ihn so gut brauchen können.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Stakke tatsächlich der Mörder ist«, wandte Reni ein. »Er ist Soldat durch und durch und hätte niemals die Soldgelder seiner eigenen Männer geraubt.«

»Aber der Scheller und der Erkenwaldt haben seine Schuld zweifelsfrei erwiesen! Müssen die so laut schreien?« Hinggendorff stöhnte erneut und bat Reni, ihm die linke Schulter einzureiben.

»Ich hab mich in der Nacht verlegen, und es tut fürchterlich weh«, erklärte er.

Reni machte sich ans Werk, lauschte aber immer wieder nach draußen. Plötzlich kniff sie die Augenbrauen zusammen. »Das hört sich nicht mehr nach Streiten an. Die prügeln sich!«

»Aber das gehört sich nicht!«, rief Hinggendorff und quälte sich auf die Beine. »Und das ausgerechnet jetzt, wo mein ganzer Buckel fettig ist! Da kann ich doch kein Hemd anziehen.«

Im Allgemeinen nahm Reni seine pedantische Art mit einem Lächeln hin, doch in diesem Augenblick reizte es sie, ihm einige deutliche Worte zu sagen. Da er sie für ihre Dienste jedoch gut bezahlte, hielt sie den Mund, trat in den vorderen Teil des Zeltes und blickte hinaus.

»Die prügeln sich tatsächlich!«, rief sie Hinggendorff zu.

»Wo ist denn der Erkenwaldt? Immer, wenn man ihn braucht, ist er nicht da«, beschwerte sich Hinggendorff und schlurfte an ihre Seite.

»Dort ist er ja! Aber warum sorgt er nicht für Ruhe?«

Reni vernahm die verzweifelten Rufe des Offiziers und begriff, dass dessen Autorität nicht ausreichte, um die Söldner, die Berrinsburger und die Dragoner auseinanderzubringen. Niemand hörte auf ihn, nicht einmal seine eigenen Männer. Zwar war es bislang nur eine wüste Prügelei mit wenigen Verletzten. Aber schon griffen die Ersten zu Säbeln und Dolchen. Wenn nicht sofort etwas geschah, würde es Tote geben, fuhr es Reni durch den Kopf. Damit aber wäre weder Sixten Stakke gedient noch dem Feldzug. Ihr Blick fiel auf den Kasten mit Hinggendorffs Pistolen.

Rasch trat sie hin, öffnete den Kasten und lud in fieberhafter Eile beide Waffen. Hinggendorff sah ihr zu, ohne zu begreifen, was sie beabsichtigte. Sie verließ das Zelt, trat ein paar Schritte auf die raufende Menge zu und reckte den Lauf der ersten Waffe gen Himmel. Da sie etwas mehr Pulver geladen hatte als üblich, knallte es fürchterlich, als sie abdrückte.

Etliche Männer hielten erschrocken inne, doch ein paar ließen sich auch dadurch nicht aufhalten. Kurzentschlossen feuerte Reni auch die zweite Pistole ab und sah zu ihrer Erleichterung, dass Ruhe einkehrte. Die Männer teilten sich in ihre jeweiligen Gruppen auf und wichen zurück. Zuerst nahmen sie an, andere Soldaten würden auf sie schießen. Doch als sie Reni mit den rauchenden Pistolenläufen vor sich sahen, atmeten die meisten von ihnen auf.

»Schämt ihr euch nicht?«, schrie Reni sie an. »Die Franzosen lachen sich doch tot, wenn sie erfahren, dass ihr euch gegenseitig an die Kehlen geht. Sie sind der Feind! Geht das nicht in eure Köpfe?«

»Hast schon recht, Mädchen«, stimmte Krögg ihr zu. »Aber dann sollen die Poldls uns auch so behandeln, wie sichs gehört.«

»Wir verlangen Gerechtigkeit für Stakke!«, rief Rivitelli.

»Wir wollen was zum Beißen haben! Mit leerem Magen belagert’s sich schlecht«, erklärte ein anderer Söldner.

Unterdessen hatte Hinggendorff doch sein Hemd übergezogen und kam nun herbei. »Was soll der Aufruhr?«, fragte er und bedachte Erkenwaldt mit einem vorwurfsvollen Blick. »Warum schafft Ihr keine Disziplin im Heer? Dabei muss bloß die Reni kommen, und die Leut halten still!«

»Die Männer sind unruhig, denn es gab heute noch nichts zu essen!« Etwas anderes fiel Erkenwaldt nicht ein. Er ärgerte sich darüber, war aber auch froh, dass der Aufruhr vorerst beendet war. Allerdings wusste er, dass es nur eines winzigen Zwischenfalls bedurfte, um den Streit erneut anzufachen.

Auch Hinggendorff schien es so zu sehen, denn er winkte Scheller mit einer für ihn ungewöhnlich energischen Geste heran. »Warum sorgt Er nicht für Vorräte? Zu was ist Er der Zahl-, Quartier- und was sonst noch Meister des Berrinsburger Reichsgrafen?«

»Ohne Geld bekommen meine Leute auf den Märkten der Umgebung nichts«, antwortete Scheller mit mühsam verhohlenem Ärger. Es kränkte ihn, als Vertrauter des Reichsgrafen Joseph von Hinggendorff wie ein gewöhnlicher Wirt oder gar Knecht angesprochen zu werden.

»Das Geld sollte Pfefferle bringen, doch Stakke hat es geraubt! Wir sollten ihn endlich foltern, damit er das Versteck preisgibt«, rief Erkenwaldt, um die Soldaten wieder auf seine Seite zu ziehen.

Die finsteren Gesichter der meisten Söldner und eines großen Teils der Berrinsburger verrieten ihm jedoch deutlich, dass ihm dies nicht gelungen war. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, Hinggendorff zu raten, den Schweden auf Bewährung freizulassen. Dem stand aber seine feste Überzeugung entgegen, dass Stakke ein Mörder und der Räuber der Soldgelder war.

Daher wandte er sich mühsam beherrscht an Hinggendorff. »Wenn ich einen Vorschlag machen darf, so sollten wir alle, Offiziere wie Mannschaften, unser gesamtes Geld Scheller zur Verfügung stellen, damit er Lebensmittel besorgen kann.«

»Eine gute Idee, Erkenwaldt! Mich wundert, dass Ihr nicht eher darauf gekommen seid. Damit wär dieser ganze Aufruhr zu vermeiden gewesen.«

Hinggendorff nickte seinem Untergebenen kurz zu und kehrte in sein Zelt zurück. Da Reni stehen geblieben war, drehte er sich noch einmal um. »Was ist, Reni? Wir sind noch nicht fertig miteinander!«

Während Reni dem alten Mann folgte, schüttelte Rivitelli grinsend den Kopf. »Hinkefüßchen wird doch nicht etwa auf seine alten Tage der Hafer stechen?«

»Das Einzige, was die Reni bei ihm noch tun kann, ist, ihm die gichtigen Knochen einzureiben«, spottete ein anderer.

Unterdessen trat Scheller auf Erkenwaldt zu. »Euer Vorschlag ist wohl ein Witz! Selbst wenn wir die letzten schimmeligen Pfennige dieser Kanaillen zusammenkratzen, reicht es höchstens für einen Napf Suppe für jeden!«

»Das ist ein Napf mehr, als wir jetzt haben«, antwortete Erkenwaldt und wies seinen Adjutanten an, mit dem Einsammeln des Geldes zu beginnen.

Kurz blickte er zu Hinggendorffs Zelt hinüber. Sein Kommandeur war mit der hübschen Marketenderin im Innern verschwunden, und Erkenwaldt verspürte Neid. Er hätte mit Reni gewiss mehr anfangen können, als sich den schmerzenden Rücken behandeln zu lassen.

Im Zelt bat Hinggendorff Reni, ihm zu helfen, das auf seiner Haut klebende Hemd auszuziehen. »Du wirst es waschen müssen. Dabei war es ganz frisch!«, sagte er traurig.

Um Renis Lippen spielte ein nachsichtiges Lächeln. »Dafür aber habt Ihr eben Eure Autorität bewiesen. Euch gehorchen die Männer!«

Es war einiges an Schmeichelei dabei, doch Hinggendorff nickte. Allerdings war er ehrlich genug, zuzugeben, dass nicht er den Ausschlag gegeben hatte.

»Es war sehr beherzt von dir, mit den Pistolen zu schießen. Derselbe Gedanke ist auch mir gekommen, doch du warst etwas schneller als ich. Ist auch besser so! Was wäre das für ein Bild, wenn der Feldhauptmann in die Luft schießen muss, um seine Soldaten zu bändigen? Ich frag mich bloß, wo der Markbein war. Der hätte seine Söldner im Zaum halten müssen. Beim Stakke hätte es so was nicht gegeben. Ein Kreuz, dass er ein Raubmörder ist!«

Reni gab es auf, sich für Stakke zu verwenden. Dem Schweden war nur noch zu helfen, wenn es jemandem gelang, seine Unschuld zu beweisen. Daher nahm sie ihren Salbentiegel wieder auf und wollte ihr Samariterwerk vollenden. Da drehte Hinggendorff sich zu ihr um und legte ihr den Arm um die Schulter.

»Du warst wirklich beherzt! Wärst du ein Offizier, würde ich dich befördern.« Es sollte eigentlich nur eine lobende Geste sein, doch als Hinggendorff die junge Frau an sich zog, berührte er ihren weichen Busen und spürte, wie ein Feuer in ihm aufglühte, das er längst erloschen geglaubt hatte.

Er wurde kühner und hörte Reni lachen. Sie hätte den alten Mann leicht wegstoßen können, doch sie ließ es zu, dass seine Hände über ihren Körper glitten. Sein Atem kam schneller und gepresst, und schließlich zog er ihren Rock hoch.

»Ich habe das Gefühl, dass nicht ich Euch, sondern Ihr mich einschmieren wollt«, sagte sie mit leichtem Spott und zog sich aus.

Hinggendorff tat es ebenfalls, und sie sah, dass sich unter seinem grauen Schamhaar durchaus noch Leben rührte. In dem Augenblick erinnerte sie sich daran, wie sie in der vergangenen Nacht in Leutnant Hallbergs Armen gelegen war. Einmal mochte dies ganz gut sein, sagte sie sich. Der junge Mann war jedoch kein Liebhaber, den sie längere Zeit haben wollte. Zwar war er nicht arm, für ihr Gefühl aber zu sehr von seiner Mutter abhängig. Hinggendorff hingegen würde, solange sie ihm Freude bereitete, gewiss großzügig sein.

Mit diesem Gedanken legte sie sich auf sein Feldbett und half ihm, als er ihr etwas schwerfällig folgte. Seit etlichen Jahren war er Witwer und nicht mehr gewohnt, mit einer Frau zu verkehren. Doch als er seinen Penis gegen ihre Scheide presste und langsam in sie eindrang, fühlte er sich wieder jung. Es ist gut, ein Weib unter sich zu spüren, dachte er. Es lenkte ihn von der fatalen Situation ab, in der sein Heer sich befand. Dann schüttelte er diesen Gedanken ab und widmete sich ganz der jungen Frau, die ihn mit einem erwartungsfrohen Lächeln in sich aufnahm und ihm all das schenkte, auf das er lange hatte verzichten müssen.

10.

Nach einer ereignislosen Nacht und dem versprochenen guten Frühstück brachen Martin und Jupp auf. Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinanderher. Plötzlich ballte Martin die rechte Hand zur Faust. »Erkenwaldt muss in die Sache verwickelt sein. Anders kann ich mir es nicht erklären!«

Jupp verdrehte die Augen. »Herr Leutnant, ich glaube, da habt Ihr Euch verrannt. Erkenwaldt ist ein ganzes Stück kleiner als der Schwede. Der Stallknecht im Rippweiler Schwan kann ihn daher schwerlich für Stakke gehalten haben. Ich glaube, es war ein gedungener Mörder der Franzosen. Es wäre für den Herrn de Vallier ein Leichtes gewesen, einen hochgewachsenen Mann in eine ähnliche Uniform zu stecken, wie Stakke sie trägt, und ihn nach Rippweiler zu schicken.«

»Das stimmt. Aber wer hat de Vallier verraten, dass der Kaiser einen Abgesandten mit einer Kiste voll Gold losgeschickt hat, und ihm sogar den Tag genannt, an dem er eintrifft? Das kann nur einer aus dem Lager getan haben, und außer Hinggendorff und Erkenwaldt wusste es niemand.«

»Doch! Einer noch, der Scheller nämlich!«

»Den man aber auch nicht mit Stakke verwechseln kann!«, antwortete Martin bissig. »Weißt du, es passt einfach nichts zusammen. Der Mörder muss im Lager gewesen sein, sonst hätte er Stakke den Geldbeutel des Ermordeten nicht unterschieben können. Stakke selbst war so betrunken wie nie zuvor, und selbst mir haben die zwei lumpigen Becher Wein, die ich in seinem Zelt getrunken habe, arg zugesetzt.«

»Ihr seid wie betäubt gewesen«, erklärte Jupp.

»Betäubt? Das muss es sein! Erinnere dich daran, was der Wirt des Schwans berichtet hat. Pfefferles Begleiter hätten nur ein paar Becher Wein getrunken, seien aber am nächsten Morgen kaum zu wecken gewesen. Die Mörder müssen sowohl uns wie auch diesen Männern Betäubungsgift in den Wein getan haben. Der Wein, den Stakke, Haro und ich getrunken haben, kam von Erkenwaldt, und der war es auch, der Stakke als Mörder bezeichnet hat.« Martin sah sich auf der richtigen Spur und spann den Gedanken weiter. »Weshalb hat Erkenwaldt Pfefferles Begleiter nicht mit ins Lager gebracht? Gewiss, weil sie hätten sagen können, dass sie betäubt worden sind.«

»Für mein Gefühl muss Scheller dahinterstecken. Zumindest gehört er zu dem Komplott, sonst hätte er sich gestern nicht so aufgeführt.«

»Das könnte gut sein! Die Dragoner, die Erkenwaldt ihm als Leibwache zugeteilt hat, hätten mich beinahe erschossen. Antworten auf diese Fragen werden wir jedoch nicht im Lager erhalten.« Mit diesen Worten bog Martin vom Weg ab und ritt quer über eine Wiese in Richtung eines Pfads, der zum Rhein führte.

»Wohin wollt Ihr, Herr?«, fragte Jupp verblüfft. »Ihr sagtet doch, wir würden unterwegs noch einmal zu Mittag essen. In der Richtung aber gibt es auf weiter Strecke keine Herberge.«

Martin grinste ihn übermütig an. »Der Schwan in Rippweiler führt eine gute Küche, und wir werden ihn kurz nach Mittag erreichen.«

»Ihr wollt Helm Schnuß ein paar Fragen stellen? Aber was ist, wenn er mit den Franzosen unter einer Decke steckt und Pfefferles Männern das Schlafpulver in den Wein geschüttet hat?«

»Du hast wohl Angst, er könnte mit uns das Gleiche tun und uns heimlich im Rhein versenken? Das glaube ich nicht. Denn wenn wir beide dort verschwinden, würde das ganze Lügengebäude in sich zusammenstürzen. Außerdem nehme ich nicht an, dass die Mörder den schwatzhaften Wirt zu ihrem Komplizen gemacht haben.«

11.

Zwei Stunden nach dem Mittagsläuten erreichten Martin und Jupp die Mauern von Rippweiler. Anders als das kleine, verschlafene Rebheim war diese Stadt ein lebhafter Handels- und Übernachtungsplatz am Rhein und an alle Arten von Gästen gewöhnt. Beim Anblick der beiden Reiter traten die Torwächter nur einen Schritt zurück und wünschten ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Martin lenkte seine Stute zwischen Fuhrwerken, Sänften und Fußgängern hindurch zum Schwan und stieg in dessen Hof aus dem Sattel. Ein junger Knecht warf seinen Besen in eine Ecke und eilte diensteifrig herbei, um die Zügel in Empfang zu nehmen.

»Soll ich die Pferde tränken, striegeln und füttern, Herr Offizier?«

»Tu das! Hol aber vorher eine Bürste und sorge dafür, dass wir Helm Schnuß nicht die halbe Landstraße in die Wirtsstube tragen.«

Nachdem dies geschehen war, reichte Martin dem Mann ein paar Kreuzer und betrat die Gaststube. Dort wartete der Wirt schon mit einem Krug Wein auf seine Gäste. Martin merkte ihm eine gewisse Scheu an. Offensichtlich hatte Schnuß ihn als den Offizier wiedererkannt, der vehement für Stakke eingetreten war.

»Einen schönen guten Tag wünsche ich, Herr Leutnant Graf Hallberg. Wollt Ihr bei mir speisen? Ich könnte Euch einen gefüllten Kapaun in Weinsoße anbieten. Oder …«

»Schon gut! Ein Kapaun wird wohl für mich und meinen Burschen reichen«, unterbrach Martin den Wirt. »Keine Sorge, Schnuß, ich will nur gut speisen und mich ein wenig mit dir und deinen Leuten über das unterhalten, was in der Mordnacht geschehen ist.«

Der Wirt schenkte Martin und auf dessen Wink auch Jupp einen Becher Moselwein ein, den er über den grünen Klee als seinen besten lobte, und schrie im gleichen Atemzug die Bestellung für die Gäste in die Küche. Anschließend setzte er sich mit an den Tisch und sah Martin nachdenklich an.

»Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr wegen dieses entsetzlichen Verbrechens gekommen seid, welches unter meinem Dach begangen worden ist. Diese Schande wird mir noch lange nachhängen! Der Amtmann war da und wird sogar den Fürstbischof selbst davon in Kenntnis setzen. Sollte mir die Obrigkeit eine Mitschuld an dieser Tat zumessen, bin ich ein ruinierter Mann. Aber ich hatte nichts damit zu tun, glaubt mir! Ich …«

»So beruhige dich doch, Schnuß! Du hast mit diesem Mord nichts zu tun, davon bin ich überzeugt. Ich halte ihn für einen Anschlag auf unser Heer, um es zu schwächen und mit meinem Freund Stakke den fähigsten Offizier aus dem Weg zu räumen. Dieses Komplott will ich aufdecken! Erzähle mir noch einmal im Einzelnen, was sich in jener Nacht alles zugetragen hat.«

Der Wirt atmete einmal erleichtert durch und begann zu sprechen. Zunächst wiederholte er das, was er auch im Lager berichtet hatte, daher horchte Martin erst auf, als er auf die Ankunft von Erkenwaldt und Scheller zu sprechen kam.

»Der Feldwachtmeister war außer sich vor Zorn! Am liebsten hätte er uns alle foltern und meinen Gasthof bis auf die Grundmauern niederreißen lassen, um die verschwundene Geldkassette zu finden. Zum Glück stieß Herr Scheller rasch auf die richtige Spur. Der ist ein kluger Mann, muss ich sagen. Da kann sich so mancher hohe Herr eine Scheibe abschneiden. Er hat haarscharf auf den tatsächlichen Hergang des Verbrechens geschlossen. Dem Major wäre nämlich nicht eingefallen, nach Monz zu schicken, um ihn zu befragen. Der Monz ist der Türmer und Nachtwächter am Nordtor und der einzige Mann, der jemanden in der Nacht einlassen kann.«

»Was sagst du da? Scheller hat die Untersuchung geführt?«, fragte Martin, während Jupp unverschämt grinste.

»Herr Scheller meinte, man müsse diese furchtbare Angelegenheit mit kühlem Kopf angehen und alle befragen, die etwas wissen könnten. Herr von Erkenwaldt war ihm regelrecht dankbar dafür und hat sich nur noch um die Begleiter des Toten gekümmert. Die armen Tröpfe werden sein Verhör wohl ihr Leben lang nicht vergessen. Aber was mussten sie auch mit Jockel Frisch und seinen Knechten um die Wette saufen?«

Martins Kopf ruckte hoch. »Wie kommst du auf Jockel Frisch? Du sagtest doch im Lager, Pfefferles Dragoner hätten mit einigen Rheinschiffern Karten gespielt und dabei zu viel getrunken.«

»Die Leute gehörten zu dem Schiff, das Jockel Frisch für seine Ware gemietet hatte. Er sagt, er sei von Koblenz gekommen, aber wenn Ihr mich fragt, so hat er die Franzosen in Oppingen mit Waren beliefert. Ich hörte nämlich, wie einer der Schiffer die Schwierigkeiten erwähnte, die sie beim nächtlichen Einlaufen in den Hafen gehabt hätten. Welche Stadt außer Oppingen wird des Nachts angefahren?«

Martin wechselte einen kurzen Blick mit Jupp. Wie es aussah, steckten also doch die Franzosen hinter der ganzen Sache. Doch sein Verdacht gegen Scheller blieb bestehen. Um mehr zu erfahren, wies er mit dem Zeigefinger anklagend auf Schnuß. »Wie konntest du es als Wirt zulassen, dass sich Pfefferles Begleiter unter deinem Dach sinnlos betrunken haben und ihre Pflicht nicht mehr erfüllen konnten?«

Helm Schnuß schoss trotz seiner Leibesfülle hoch und funkelte Martin empört an. »Ihr könnt mein Gesinde fragen und auch die Stammgäste aus der Nachbarschaft, die die halbe Nacht hier waren, um über Zunftprobleme zu reden. Die Dragoner haben lange Zeit nur leichten Wein getrunken. Erst kurz vor der Sperrstunde hat Jockel Frisch ihnen ein paar Flaschen von dem guten Wein spendiert, die er eigentlich als Probe für die Wirte am Rhein mit sich führte. Aber auch davon hat jeder Dragoner höchstens zwei Becher getrunken. Mir ist es ein Rätsel, wieso die Männer am nächsten Morgen so betrunken waren. Erkenwaldt musste ihnen kaltes Wasser über die Köpfe schütten lassen, um sie zu wecken.«

»Ist Jockel Frisch immer so großzügig mit seinen Weinen? Das scheint mir nicht zu einem Handelsagenten zu passen«, fragte Martin.

»Oh nein! Der ist im Gegenteil recht geizig. Aber er wollte verhindern, dass es zu einer Schlägerei zwischen seinen Männern und den Dragonern kam. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass es ihm gelungen ist. Einer seiner Schiffer hatte nämlich zwei der Dragoner beleidigt, und da musste er diese besänftigen!«

»Und warum kam das alles vorgestern nicht zur Sprache?«, fragte Martin verärgert.

Der Wirt wurde kleinlaut. »Ich weiß es nicht, Herr! Habt Ihr noch mehr Fragen? Soll ich Kutte holen? Wollt Ihr auch mit dem Torwächter Monz reden?«

»Hol beide!«, befahl Martin, hielt den Wirt jedoch noch zurück, als dieser gehen wollte.

»Weißt du, was mit Pfefferles Begleitern geschehen ist? In unser Lager sind sie nicht gebracht worden.«

»Herr Scheller riet Erkenwaldt, sie zu ihrem Regiment zurückzuschicken. Er befürchtete Unruhen im Lager, wenn man sie mitnehmen würde. Doch nun gehe ich und lasse nach Monz schicken. Kutte wird gleich kommen.«

Mit diesen Worten verließ der Wirt die Gaststube. Kurz darauf kam sein Knecht herein und blieb mit der Mütze in der Hand vor Martin stehen.

»Erzähle noch einmal ausführlich, was du in der Mordnacht gesehen hast«, forderte Martin ihn auf.

Der Knecht wiederholte das, was er im Lager von sich gegeben hatte. »Mehr weiß ich nicht, Herr Offizier«, beteuerte er schließlich. »Im Dunkeln und im Schein der einzigen Laterne konnte ich nicht viel erkennen.«

»Du sagtest vorgestern aber, du hättest Stakke erkannt?«, bohrte Martin nach.

»Der Herr, der mit dem Offizier gekommen ist, sagte, es könne sich nur um den Schweden handeln.«

»Scheller!«, stieß Martin leise hervor.

Der Knecht nickte eifrig. »Ja, der war es!«

In Martins Gedanken fügten sich immer mehr Einzelteile zu einem Bild zusammen. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass ihm wichtige Beweisstücke fehlten. Er befragte den Knecht weiter, doch der konnte nicht mehr sagen, als er bereits berichtet hatte. Schließlich schickte Martin ihn weg und war froh, als der Torwächter in die Schankstube trat.

Monz war ein alter, magerer Mann, der schon etwas gebeugt ging, aber hellwache Augen besaß. Als er vor Martin stehen blieb, warf er einen sehnsüchtigen Blick auf den Weinkrug.

»Schenk ihm ein!«, forderte Martin die Wirtsmagd auf und wandte sich dem Türmer zu. »Du hattest in der Mordnacht Dienst am Tor?«

Monz nickte und begann ohne Umschweife zu reden. »Eine traurige Begebenheit war das! Aber wer hätte denn gedacht, dass der Schwede sich als ein solch heimtückisches Ungeheuer entpuppt? Dabei habe ich ihn immer für einen Ehrenmann gehalten.«

»Du hast Stakke wirklich erkannt?« Martin konnte das nicht glauben.

»Wisst Ihr«, sagte Monz, »als Euer Reichsgraf vor einigen Wochen seine Truppen zusammenstellte, ist Stakke mehrmals in die Stadt gekommen und hat hier im Schwan seinen Wein getrunken. Er hat mich immer freundlich begrüßt und Witze erzählt. In der Mordnacht war er jedoch so unfreundlich, dass ich zunächst dachte, es müsse ein anderer Offizier sein.«

»Vielleicht war es Stakke gar nicht«, sagte Martin drängend.

Der Türmer wackelte mit dem Kopf. »Es war schon nach Mitternacht, und Stakke hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Als ich ihn wie gewohnt begrüßte, holte er mit seiner Reitpeitsche aus, so dass ich vor ihm zurückgewichen bin, weil ich glaubte, er wolle mich schlagen. Gesagt hat er nichts, nur ein wenig gebrummt. Ich habe ihm das Tor geöffnet und von ihm die fünf Kreuzer verlangt, die in der Nacht für den Einlass fällig werden. Das Geld hat er mir buchstäblich an den Kopf geworfen. Ich habe mich gefragt, welche Laus ihm über die Leber gelaufen sein mochte, wusste damals aber noch nicht, dass die Franzosen Eure Kanonen zerstört hatten.«

»Bist du dir wirklich sicher, dass es sich um Stakke gehandelt hat?«

»In jener Nacht nicht. Zwar ist der Schwede ein großer, blonder Mann mit breiten Schultern, wie es nur wenige in diesen Landen gibt, aber irgendwie kam er mir fremd vor. Das mochte wohl daran gelegen haben, dass er nüchtern war, wie Euer Zahlmeister meinte. Vielleicht war es auch wegen des neuen Pferdes, das er ritt. Es war ein schönes Tier und sah seinem alten ähnlich. Aber es war nicht das, was er vorher hatte. Ich verstehe nämlich etwas von Pferden, Herr Offizier!«

Martin erinnerte sich an die Szene mit Scheller, Hammerstock und seinem ehemaligen Freund Rambert. »Der Offizier ritt also einen großen Braunen? Etwa mit einer Ramsnase und einer auffallend großen Blesse?«

»Ramsnasig war das Tier schon, aber eine Blesse hatte es nicht, nein, noch nicht einmal ein Fleckchen. Aber es war ein schönes Tier, wirklich! Nun, sicher hat es nur an der späten Nachtstunde gelegen, dass der Reiter so wuchtig aussah. Es muss nämlich der Schwede gewesen sein, denn Meister Scheller sagte mir, außer dem Anführer der Söldner würde sonst keiner einen langen, blauen Rock und einen Schlapphut mit Reiherfedern tragen. Der nächtliche Besucher war genauso gekleidet, das kann ich bezeugen.«

»Du hast also einen Mann in die Stadt gelassen, der wie Stakke gekleidet war. Kam er auch wieder zurück? Hast du ihn wieder aus der Stadt gelassen?«, fragte Martin weiter.

»Oh ja!«, erwiderte Monz und fletschte die Zähne. »Dabei hätte er mich beinahe um meinen Posten gebracht. Daher gönne ich es ihm, dass er sofort erwischt worden ist. Ich hatte meine Runde gemacht und dummerweise nur den Riegel vor die Nachtpforte gelegt. Statt auf meine Rückkehr zu warten, wie es sich gehört, hat der Lumpenhund die Pforte geöffnet und ist hinaus. Sagt das aber bitte nicht weiter! Würde der Richter erfahren, dass das Tor unbewacht offen stand, verlöre ich meinen Posten und käme überdies noch an den Pranger.«

»Daran wärest du selbst schuld! Du kennst die Regeln und hast auf die Bibel geschworen, deine Mitbürger vor Schaden zu bewahren. Also hättest du die Pforte richtig versperren müssen.«

Martin kannte die Sorgen der Stadtbewohner um ihre Sicherheit und hatte daher wenig Mitleid mit dem Mann. Noch mehr aber ärgerte er sich, weil Monz dem Mörder damit die Gelegenheit geboten hatte, unbemerkt zu entkommen.

»Mehr kann ich Euch nicht sagen«, erklärte Monz mit einer hilflosen Geste.

»Schon gut!« Trotz seines Unmuts reichte Martin dem Türmer eine Münze und winkte ihm, zu gehen. Er trank einen Schluck Wein und widmete sich seinem mittlerweile kalt gewordenen Kapaun. Dabei vollführten seine Gedanken einen wirren Tanz.

Dies schien sich auf seiner Miene widerzuspiegeln, denn der Wirt fragte ihn ängstlich: »Ist Euch mein Essen etwa nicht bekommen?«

»Doch, doch!«, antwortete Martin unwillig und wollte auch Schnuß wegschicken. Da fiel ihm noch etwas ein. »Ist das Zimmer, in dem der Mord geschehen ist, schon gesäubert worden?«

Schnuß verzog das Gesicht. »Nein! Der Amtmann sagte, wir sollten damit noch warten, bis sein Bericht von Trier aus bestätigt worden ist. Schließlich war der Ermordete ein Beamter des Kaisers. Dabei ist es meine beste Kammer, und ich verliere viel Geld, solange sie leersteht.«

»Darf ich sie sehen?«

»Aber ja, Herr Leutnant! Marie wird Euch hinaufführen.«

Die Magd war gerade dabei, Weinbecher zu spülen, und sah nicht so aus, als würde sie sich über diesen Auftrag freuen. Schließlich legte sie den letzten Becher weg, ging zur Treppe und winkte Martin, ihr zu folgen.

Als Martin die Kammer betrat, schlug ihm ein ekelhafter Geruch entgegen. Bett und Tisch, der Boden und ein Teil der Wände waren mit braunen Flecken übersät, die teilweise eingetrocknete Krusten bildeten. Wie es aussah, hatte Pfefferle sich heftig gewehrt.

Jupp war mitgekommen und wies auf das Betttuch, das den blutigen Abdruck einer ungewöhnlich großen Hand trug. »Seht Ihr das, Herr?«, fragte er. »Soweit ich mich erinnern kann, hat der Schwede trotz seiner Größe zierliche Hände und gewiss keine solche Pranke wie die da. Und auch der Tote nicht!«

»Du hast recht!« Kurzentschlossen zog Martin das Betttuch ab, rollte es zusammen und befahl Jupp, es mitzunehmen. Da es sonst nichts gab, was ihm Aufschluss über das Verbrechen geben hätte können, verließ er den Raum wieder und atmete draußen erst einmal tief durch. Zurück in der Gaststube, trank er seinen Becher leer und verlangte nach der Rechnung und den Pferden.

12.

Weshalb diese plötzliche Eile?«, fragte Jupp erstaunt, nachdem sie den Schwan verlassen hatten.

»Ich will zum Lager zurück! Jetzt, da wir den Beweis für Stakkes Unschuld haben, will ich ihn so schnell wie möglich überbringen!«

»Verzeiht, Herr Leutnant, aber genau diesen Beweis haben wir nicht!«, wandte Jupp ein. »Das Leintuch wird Erkenwaldt nicht gelten lassen, und wenn doch, wird Scheller erklären, der Abdruck käme von Pfefferles Hand. Das Gegenteil beweisen könnt Ihr nicht, da der Emissär mittlerweile begraben worden ist. Ihn wieder auszugraben, wird Hinggendorffs Beichtvater Rosen Euch gewiss nicht gestatten!«

»Aber wir wissen, dass Scheller mit dem Mörder im Bunde sein muss. Er hat schon mehrfach Geschäfte mit Jockel Frisch getätigt, und der hat Pfefferles Dragoner betäubt. Bei dem Dragoner, der Stakke den Wein gebracht hat, würde ich Stein und Bein schwören, dass er zu Schellers Leibwache gehört.«

»Eure Vermutungen könnten sich als zutreffend erweisen. Allerdings glaube ich nicht, dass Erkenwaldt oder ein anderer Offizier sie als Beweise akzeptieren werden.«

Martin erinnerte sich daran, wie Erkenwaldt ihn am Vortag behandelt hatte, und seine Rechte wanderte zum Degengriff. Er sagte sich jedoch selbst, dass ein Duell ihm nicht weiterhelfen würde. Auch wenn er Erkenwaldt eine Niederlage beibrachte, hatte er es immer noch mit Scheller zu tun, und der Zahlmeister schien ihm mittlerweile der wahre Schurke zu sein.

»Bei Jesus, das ist doch Bruno Schäfflein! Wieso läuft der vor uns davon?«

Jupps Ausruf riss Martin aus seinen Gedanken. »Was ist los?«, fragte er. Als er Jupps ausgestreckter Hand folgte, sah er einen jungen Mann, der eilig das Stadttor passierte.

»So ein Lump!«, schimpfte Jupp. »Vor unserem Kriegszug wollte er meine Schwester heiraten, und jetzt reißt er vor mir aus. Ich habe Käthe immer gesagt, sie soll sich mit keinem Rheinschiffer einlassen. Das ist Ges…«

»Rheinschiffer, sagst du?«, unterbrach Martin seinen Burschen und trieb Minta an. Nachdem er das Tor passiert hatte, hätte er den Schiffer sehen müssen. Doch die Straße war leer.

»Verflucht!«, stieß er hervor, sah dann aber einen zerlumpten Bettler, der auf die Stadt zukam, und stellte sich ihm mit Minta in den Weg.

»Hast du eben jemanden gesehen, der die Straße verlassen hat?«

Der Bettler sah zu ihm auf und schien zu überlegen. Schließlich streckte er die Hand aus. »Eine milde Gabe, der Herr!«

Martin warf ihm einen Silbergroschen zu. Der Mann sah die Münze an, steckte sie weg und grinste. »Jemand ist dort hinten bei diesem Gebüsch in Richtung Rhein abgebogen. Wenn Ihr rasch reitet, holt Ihr ihn noch ein!«

»Hab Dank!«, antwortete Martin und lenkte Minta in die Richtung.

»Herr, was soll das?«, maulte Jupp. »Lasst diesen Lumpen doch laufen! Käthe findet auch einen anderen Mann, wenn er sie nicht mehr haben will.«

»Aber ich will ihn haben!«, antwortete Martin und ließ Minta die Zügel.

»Warum?«

»Um ihm ein paar Fragen zu stellen!«

Nach kurzer Zeit tauchte Martin in ein Wäldchen ein, das die Sicht auf den Rhein versperrte. Da die Bäume dicht genug standen, damit ein Mann sich darin verstecken konnte, hielt er Minta an und lauschte. Nicht weit von ihm entfernt raschelte es in einem Busch. Er sprang aus dem Sattel, zog seinen Degen und eilte dorthin. Ein Mann versuchte zu entkommen, doch nach ein paar Schritten hatte Martin ihn eingeholt und bedrohte ihn mit der blanken Klinge.

»Stehen bleiben, sonst …«

»Bitte, Herr, was wollt Ihr von mir? Ich …«, stotterte der Schiffer.

»Ich will wissen, warum du vor deinem zukünftigen Schwager davonläufst.«

»Wieso Schwager?«, fragte der Bursche verblüfft.

Da war Jupp heran und funkelte ihn zornig an. »Das hätte ich von dir nicht gedacht, Bruno, dass du mir plötzlich aus dem Weg gehst. Wenn du Käthe nicht heiraten willst, hättest du es auch offen und ehrlich sagen können.«

»Jupp, du? Und was heißt das, dass ich Käthe nicht heiraten will? Natürlich will ich das!«, erklärte der Schiffer.

»Und warum bist du vorhin vor mir davongelaufen?« So leicht war Jupps Ärger nicht zu besänftigen.

Sein zukünftiger Schwager begann zu lachen. »Es tut mir leid, aber ich habe nur auf den Herrn Offizier geschaut und dich nicht gesehen. Wir dürfen uns nämlich keinem Österreicher oder Berrinsburger zeigen.«

»Genau darüber will ich mit dir reden«, sagte Martin lächelnd. »Ich wüsste gar zu gerne, weshalb sich harmlose Stromschiffer vor uns Berrinsburgern verbergen sollen.«

Da Bruno nicht sofort antwortete, sprach er weiter: »Gehörst du zu den Kerlen, die vor drei Tagen Jockel Frisch geholfen haben, ein Dutzend österreichische Dragoner unter den Tisch zu trinken?«

»Um Gottes willen, nein! Wir sind erst gestern hierhergekommen, Herr Leutnant. Eigentlich sollten wir schon in der letzten Nacht nach …« Bruno brach kurz ab und sah Martin flehend an. »Herr Offizier, versprecht Ihr mir, dass Ihr niemandem sagt, von wem Ihr es wisst? Sie werden mich sonst umbringen!«

»Bruno, dieser Offizier ist Martin von Hallberg, der Sohn meiner Herrin! Du kannst unbesorgt sein«, erklärte Jupp.

»Wer wird dich umbringen?«, fragte Martin scharf. »Jockel Frisch oder die Franzosen?«

Bruno wurde grau im Gesicht. »Die Franzosen! Ihretwegen sind wir hier. Wir sollen Nachschub für sie nach Oppingen bringen. Jetzt wisst Ihr es! Sie haben drei große Prähme die Mosel heruntergebracht, voll mit Vorräten und Munition. Das dürfen die Menschen in Rippweiler aber nicht wissen. Die haben nämlich Angst, dass Euer Heer sonst kommt und ihre Stadt einnimmt.«

»Hinkefüßchen würde nicht einmal einen Schweinekoben einnehmen, geschweige denn eine Stadt«, antwortete Martin bissig und forderte den Schiffer auf, ihm alles zu berichten.

»Das werde ich!«, versprach Bruno. »Wie ich sagte, sind wir mit drei Prähmen die Mosel herabgekommen. Wir Schiffer wussten nicht, dass unser Patron mit den Franzosen Geschäfte macht, und den meisten ist es auch gleichgültig. Bei mir ist es anders. Ich liebe Käthe und will sie heiraten. Aber dafür muss dieser Kriegszug gegen Oppingen vorbei sein, sonst laufe ich Gefahr, dass Euer Reichsgraf mich doch noch zu seinen Soldaten steckt.

Eigentlich sollten wir bereits gestern Nacht die Stadt erreichen, doch wir mussten auf die holländische Aak warten, die zu uns stoßen sollte. Die ist heute eingetroffen. Ihre Ladung war eigentlich für Euch Berrinsburger bestimmt, wurde aber von Jockel Frisch an die Franzosen ausgeliefert. Er hat die Fracht in Amsterdam übernommen und bis hierher gebracht, es aber nicht gewagt, damit selbst in Oppingen anzulegen. Das sollen wir jetzt in der kommenden Nacht für ihn tun. So plant es wenigstens der Jeausac.«

»Wer ist Jeausac?«, fragte Martin.

»Der Anführer der Franzosen! Es sind zwanzig französische Soldaten an Bord der drei Prähme, und die halten unsere Leute in Schach. Ich bin nur losgeschickt worden, weil einer der Franzosen einen argen Furunkel am Hintern hat und dringend Heilsalbe braucht. Hier habe ich sie!« Bruno zog einen Tiegel aus einem Beutel hervor und hielt ihn Martin hin.

»Schon gut, ich glaube dir!«

»Ich darf nicht viel länger ausbleiben«, drängte der Schiffer, »sonst werden die Franzosen misstrauisch. Es soll nicht bekannt werden, dass sie nach Oppingen wollen. Sie haben sonst Angst, ihr könntet versuchen, sie abzufangen.«

»Was wir auch tun werden!«, stieß Martin hervor. »Du sagst, ihr bringt die Prähme in dieser Nacht nach Oppingen?«

»Wohl, wohl, das tun wir – und die holländische Aak auch. Darauf sind mehrere hundert Musketen geladen, Fässer voller Schießpulver und sogar zwei große Kanonen, wie man sie braucht, um Mauern zusammenschießen zu können.«

»Wenn diese Waren nach Oppingen gelangen, ist unser Kriegszug gescheitert.« Martin wurde es flau bei dem Gedanken. Gleichzeitig packte ihn die Wut auf Jockel Frisch und die anderen Verräter, die ihnen Steine in den Weg rollten.

»Das muss ein Ende haben!«, fuhr er ansatzlos fort. »Du, Bruno, kehrst jetzt zu deinem Schiff zurück. Kein Wort davon, dass du uns getroffen hast, verstanden?«

Der Schiffer nickte. »Ich verrate schon nichts. Ihr wollt die Prähme abfangen, nicht wahr? Aber wenn Ihr das tut, verschont bitte mich und meine Kameraden.«

»Notfalls müsst ihr schwimmen«, antwortete Martin, während sich in seinen Gedanken bereits ein Plan formte.

Er klopfte Bruno auf die Schulter und sah dann zu, wie dieser davoneilte. Als der Schiffer im Grün untergetaucht war, schwang er sich in den Sattel und ritt den Weg zurück, den er gekommen war.

Jupp brauchte ein wenig länger, schloss aber dann zu ihm auf und sah ihn fragend an. »Was habt Ihr vor, Herr?«

»Den Franzosen die Beute wieder abzujagen und damit Stakkes Unschuld zu beweisen! Komm, wir müssen reiten, was die Pferde hergeben. Ich bin schon auf Hinggendorffs und Erkenwaldts Gesichter gespannt, wenn wir ihnen diese Neuigkeit überbringen.«