Kapitel 38 – Man weiß nie
Jetzt bin ich wieder zurück in meiner Wohnung. Es ist einfacher, mich hier um Phoebe zu kümmern, während Taron im Club arbeitet. Der Sommer ist vorbei. Nachmittags sieht man lange Schatten auf dem Rasen in meinem Garten und die bläuliche Dunkelheit kommt jeden Abend ein bisschen früher. An den Hecken gibt es Brombeeren, wenn ich mit Phoebe spazieren gehe und obwohl ich sie gerne probieren würde, pflücke ich sie nicht, falls Hunde auf sie gepinkelt haben. Bald wird wieder dieser metallische Geruch in der Luft sein, wenn die Jahreszeiten wechseln und die Menschen nur noch für ein Lagerfeuer oder ein Feuerwerk in ihre Gärten gehen, so als wäre der Sommer nie da gewesen.
Jeff ist weggezogen, vielleicht weil ich ihn vernachlässigt habe, vielleicht weil es ihm zu peinlich ist, mich wiederzusehen. Ich kann ihn nicht kontaktieren, um herauszufinden, was der Grund ist, weil ich nicht weiß, wo er wohnt. Ich bin innerlich viel zu gelähmt, um mich zu fragen, wie er sich wohl fühlt, oder um darüber nachzudenken, wie ich mich fühle, aber jetzt, wo es zu spät ist, weiß ich, dass ich ihn vermisse. Ich bin mir nicht sicher, wie lang es dauert, bis ich Rüsselkäfer im Porridge habe, aber ich hoffe, dass die Zeit immer noch auf meiner Seite ist. Ich ertrage es nicht, meine Frühstücksflocken wegzuwerfen, weil das wie ein Eingeständnis wäre, dass er nicht mehr zurückkommt.
Der übersinnliche Postbote hat heute Morgen ein paar Briefe für Jeff gebracht, als ich gerade mit Phoebe das Haus für einen Spaziergang verließ.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte ich und nahm die Briefe.
»Das ist schade, Sie werden ihn vermissen«, sagte der Postbote und streifte die Asche von seiner Zigarette. »Es ist ein schöner Tag für den Herbst, nicht wahr? Haben Sie mal von einem Park in der Nähe des Bart’s Hospital gehört, der Postman’s Park heißt? Er wurde um die Jahrhundertwende von einem Künstler gekauft. Er machte sein Geld mit einem Gemälde von der Hoffnung, die mit verbundenen Augen auf der Erdkugel sitzt. Er brachte Keramikfliesen rund um die Mauern des Parks an, die er unbesungenen Helden widmete: Menschen, die Kinder aus dem Feuer retteten, gerettete Findelkinder, Dinge dieser Art.« Er schaute mich sehr bedacht an, als er die Findlinge erwähnte. »Sie sollten diesen Knirps eines Tages dort hinbringen, solang das Wetter noch gut ist. Bestimmt fänden Sie es dort interessant.«
Er reichte mir eine Postkarte von Jeff, auf der ein Gedicht geschrieben stand:
FRIEDE
Herz schlägt wie eine
Trommel
Es bringt mir keinen Frieden
Ich kann die Sonnenstrahlen nicht einfangen
Auf deinem Küchenboden
Vielleicht bedeutet das, dass er fortgegangen ist, um den Mönchen beizutreten. Auch wenn ich die ganze Welt absuchen würde, würde ich nie wieder jemanden finden, der mich so sehr liebt wie er. Ich bin mir nicht sicher, wann es passiert ist, vielleicht, als ich bei Taron wohnte, aber es scheint, als hätte ich eine Wahl getroffen und mich für Phoebe anstatt für ihn entschieden. Das nächste Mal, wenn ich mit Phoebe die Statue des Braunen Hunds im Battersea Park streichele, werde ich nach ihm Ausschau halten.
Wir besuchen den Braunen Hund oft, obwohl man ein bisschen nach ihm suchen muss, weil er abseits des Glamours der Friedenspagode und der Brunnen steht, auf einem dunklen Pfad in der Nähe des altenglischen Gartens. Die jetzige Statue, im Jahr 1985 vom Greater London Council enthüllt, das sich in jenem Jahr sehr um die Monumente im Park bemüht hat, ersetzt das Originalmonument des leidenden braunen Terriers, das im Jahr 1906 aufgestellt worden war.
»Männer und Frauen von England
Wie lang sollen diese Dinge bestehen?«,
fragt die Plakette.
Phoebe liegt neben mir auf dem Bett, während ich nach draußen in den Garten schaue und zusehe, wie das Licht sich ändert und das Grün der Blätter in den Ecken dunkler werden lässt. Wie alle neugeborenen Babys kam Phoebe ohne jeglichen Besitz in diese Welt und wir haben schnell welchen für sie angesammelt. Anders als alle Neugeborenen hatte sie jedoch, als sie zu uns kam, bereits eine rosa Decke und eine Box. Taron und ich wollten die Box aufheben, um ihr, wenn sie groß ist, ihre Herkunft zu zeigen. Aber sie löst sich bereits in ihre Bestandteile auf. Ich strecke meine Hand aus, damit Phoebe eine Faust um einen meiner Finger machen kann. Der CD-Spieler erwacht zum Leben. Es ist Hi-Gloss, »You’ll Never Know.«
Manchmal, wenn Phoebe und ich an späten Nachmittagen wie diesem allein sind, schleicht sich bei mir ein Gefühl ein, das ich gut kenne, weil ich schon immer Angst davor hatte. Es ist wie eine Art Melancholie, die Erkenntnis, dass ich auf einmal erwachsen geworden bin, weil ich nun für jemanden Verantwortung trage. Ich habe Phoebe, aber ich vermisse Taron. Ich vermisse Jeff. Ich liebe ihn. Wenn ich jetzt in den Garten hinausgehen würde, könnte ich euch genau die Schattierung von Grün zeigen, die mit seinen Augen übereinstimmt.
Das Gefühl ist Bedauern.