Kapitel 4 – Untreue

Ich habe im Moment einige Fälle laufen. Eine Frau sagt, ihre Katze sei von Nachbarn gestohlen worden und erzählt mir, sie sähe sie aus deren oberem Fenster starren, mit einem, wie sie es nennt, anklagenden Ausdruck. Außerdem habe ich noch ein paar UntreueNachforschungen anstehen.

Wenn ich einen Fall annehme, bei dem der Mann eine Affäre hat, besuche ich immer erst die Ehefrau zuhause. Was verspricht sie sich von der Ermittlung? Wenn der Fall einem gängigen Affärenmuster entspricht – und üblicherweise tut er das – dann will die Ehefrau einfach nur eine Risikoeinschätzung. Es gibt immer irgendwelche ehefraulichen Fotos von ihr, mit Haarreif und an der Seite eines großen Mannes im Anzug. Wenn wir uns treffen, ist ihr Haar um einige Töne dunkler als auf dem Foto, ihr Gesicht dünner und leicht verhärmt, aber sie ist immer noch gekleidet wie für einen Arbeitstag im Büro. Wir reden darüber, wie schwierig es ist, drei Kinder unter fünf Jahren großzuziehen. Üblicherweise knickt sie ein unter der Belastung durch das Jüngste. Sie kämpft, um im Auto genug Platz für drei Kindersitze zu finden, mit der Zubereitung dreier unterschiedlicher Gerichte (plus irgendetwas für ihn, wenn er nachhause kommt), mit verschiedenen Schlafgewohnheiten der Kinder, mit wenig Schlaf für sich selbst. Wir unterhalten uns beiläufig über das Problem, genug Zeit für Romantik zu finden. Die Frau interessiert es offen gesagt selten, ob er jemanden vögelt. Es mag sogar eine Erleichterung sein. Einige schuldbewusste Geschenke mehr, ein paar weniger körperliche Scherereien an den Wochenenden. Wenn er nicht mehr länger daran interessiert ist, mit ihr herumzumachen, dann ist es jetzt auch okay, das Baby mit ins Ehebett zu bringen, um es ruhigzukriegen.

Die Ehefrau will wissen, wie die Freundin so ist. Ist sie gewöhnlich, verfügbar, außer Acht zu lassen? Oder ist sie eine jüngere Blonde mit Haarreif? Macht sie ihn glücklich oder ist sie hinter seinem Nobelsperma her und einem teuren Haus, um es auszubrüten? Bleibt er oder geht er? Ich meine nicht, dass die Ehefrau ihn nicht liebt. Sie tut es, normalerweise. Obwohl sie ein paar Zugeständnisse hat machen müssen. Er mag etwa lange arbeiten und bringt auch noch Arbeit mit nachhause. Vielleicht geht er einmal im Monat auf Geschäftsreise oder einmal die Woche. Er verliert die Haare oder wird dicker. Natürlich liebt sie ihn. Es ist wie beim Kauf eines Gegenstands, den man im Geschäft sehr gerne mochte, eine antike Kommode oder eine wunderschöne Halskette. Aber kaum hat man diesen Gegenstand zuhause, kommt der Ladeninhaber immer und immer wieder vorbei und sagt: »Eigentlich habe ich ja gesagt, er kostet hundertzwanzig Pfund, ich weiß, aber ich habe beschlossen, dass er, um genau zu sein, hundertdreißig Pfund kostet. Können Sie mir noch zehn Pfund geben?« Und dann nochmal zehn Pfund und nochmal zehn Pfund. Am Anfang also, wenn du deinen Ehemann kennenlernst, ist es okay, dass er so lang arbeitet; es scheint, dass seine Liebe den Preis wert ist, ihn immer erst nach neun Uhr abends zu sehen. Aber dann nimmt irgendjemand seine Wochenenden weg, sein Haar, seinen Sinn für Humor. Danach folgt ein Klopfen an der Tür und jemand anderes will auch den Sex wegnehmen oder will, dass du ihn teilst. Die Ehefrau liebt ihn, den mickrigen Mann im Anzug, selbst wenn er sie nicht verdient hat. Sie hofft einfach nur, dass es jemand Einfaches und Durchschnittliches ist, den er gefunden hat, um ihm seinen Schwanz zu lutschen, und keine zart anmutende Blondine mit Haarreif, deren Bauch nervös zuckt, weil sie auf die dreißig zugeht. Sie vergessen, dass er genauso wie sie älter geworden ist, dass er Glück hat, jemanden gefunden zu haben, der es mit ihm treibt, ganz egal, wie die Haare aussehen. Aber dann vergesse ich, dass Männer oft Glück haben. Ich vergesse, dass ich auch auf die dreißig zugehe und wahrscheinlich ihren Ehemann vögeln würde, wenn er Lust auf mich hätte, obwohl ich weiß, dass es eine Sünde ist, mit einem verheirateten Mann zu schlafen.

In unterschiedlichen Fällen treffe ich spätere Ausgaben derselben Frauen. Sie bezahlen immer noch ihre zehn Pfund für etwas, das schon vor langer Zeit seinen Wert verloren hat. Es ist dasselbe Konzept wie bei Frauen in Sozialwohnungen, die Dinge aus Katalogen kaufen und immer noch zweiundzwanzig Pence pro Woche für etwas bezahlen, das sie vor so langer Zeit gekauft haben, obwohl es längst kaputt ist oder geklaut wurde. Mittlerweile zahlen sie die metaphorischen zehn Pfund für die Kinder. Die Kinder nehmen harte Drogen und dealen mit ihnen. Manchmal zeigen Ehemänner ihre Verachtung für Frauen, die ihrer Mutter ähneln, damit, dass sie ihre Ehefrauen verprügeln.

Oft gehört es zu meinen Nachforschungen, verdeckt in die Firma zu gehen, in der der Ehemann arbeitet. Ich bekomme ziemlich viele meiner Aufträge auf persönliche Empfehlung hin, also erkläre ich der Ehefrau, dass sie meine Methoden unter gar keinen Umständen mit Freunden oder der Familie bereden sollte. Eines Tages brauchen sie vielleicht auch einmal meine Hilfe und die kann ich nur geben, wenn sie ihrem Ehemann nicht erzählt haben, wie ich arbeite.

Ein wachsender Bereich in unserer Branche ist die Überprüfung von Nachbarn für potenzielle Hauskäufer, jetzt, wo der Immobilienmarkt angeblich wieder anzieht. Innerhalb der letzten sieben Jahre hatte es in Großbritannien siebzehn Morde und Selbstmorde wegen Lärmstreitigkeiten gegeben, deswegen ist das nicht ganz so verrückt, wie es klingt. Mrs. Fitzgerald führt gerade eine Überwachungs- und Nachforschungsoperation mit dem Codenamen Projekt Brauner Hund durch und sie hat mich gebeten, mit ihr daran zu arbeiten. Sie macht ein großes Geheimnis darum. Wir haben normalerweise keine Codenamen für die Jobs, die wir machen. »Weibliche Agenten müssen sich in dieser Branche mehr beweisen als Männer«, sagt sie mir ernst. »Erinnerst du dich an den McLibel-Fall? Die junge Agentin hatte eine Affäre mit dem Mann, den sie beobachtete. Genau das gleiche wie bei Deborah Winger und Tom Berenger, als sie wegen der Rassenhass-Morde ermitteln sollte. Die öffentliche Wahrnehmung ist, dass Frauen schwach und leicht zu verführen sind. Ich bin stolz, dass meine Organisation nicht so gesehen wird.«

Ich bin mir nicht sicher, was sie mit dieser Einleitung bezwecken will. Glaubt sie wirklich, dass ich Sex haben könnte mit jemandem, den wir überwachen? Es passiert selten, dass sich die Männer gegenseitig überbieten, um an mich ranzukommen, wenn ich verdeckt ermittle. Der Punkt ist ja gerade, so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen. Wenn ich manchmal frühmorgens zur Arbeit laufe, geben mir Männer in Lieferwagen sehr deutlich zu verstehen, dass ich nur ein Wort sagen müsste und sie würden es mir besorgen. Aber ich glaube nicht, dass das wirklich zählt, weil ich nie in der Stimmung bin und außerdem glaube ich, dass sie jede Frau, an der sie auf ihrer Tour vorbeikommen, so anmachen. »Feine Titten«, schrie mir einer von denen heute Morgen zu. Oder war es »kleine Titten«? Als ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es mir egal war.

»Wir sind mit einer sehr heiklen Aufgabe betraut worden«, unterbricht Mrs. Fitzgerald meine Gedanken. »Wir sind beauftragt, einige verdächtige Aktivitäten an der Südküste zu untersuchen. Es kann sein, dass es gar nichts ist, aber es gibt Anzeichen dafür, dass etwas Unmoralisches oder Illegales vor sich geht. Ein alter Feind von mir ist angeheuert worden, ein Netz von Fehlinformationen um diese Aktivitäten zu spinnen und Sicherheitslücken zu kontrollieren. Das bedeutet üblicherweise, dass sich da etwas ziemlich Ernstes abspielt.«

»Ihr Feind?« Ich stellte mir Mrs. Fitzgerald vor, wie sie sich an einem Wasserfall duelliert, so wie Sherlock Holmes mit Moriarty.

»Ja, also, im Prinzip ist er nicht mein Feind. Er ist ein Ermittler wie wir, obwohl er seine Organisation eine Agentur für Geschäftsnachrichtendienste nennt und traditionell die Art von Aufträgen übernimmt, die ich niemals anfassen würde. Deshalb befinden wir uns auf entgegengesetzten Seiten.«

»Wer hat uns beauftragt?«

»Das kann ich dir nicht sagen. Wenn ich es dir sagen würde, könnte dich das in Gefahr bringen. Du musst allerdings mehr wissen über die Art von Leuten, hinter denen wir her sind. Wusstest du, dass es da eine Agentur gibt, die ungefähr drei Millionen Pfund verdient hat mit Fotos der Gegner der Newbury-Umgehungsstraße und die aktenweise Informationen über sie angelegt hat?«

Mrs. Fitzgeralds Moralvorstellungen erlauben es ihr nicht, selbst solche Aufträge anzunehmen. Sie würde eher Geld von den Gegnern nehmen, wenn sie welches hätten, aber natürlich haben sie keins. Sie holt einen Stapel beschrifteter Fotos von zwei Männern aus dem Ordner vor ihr, nimmt eins nach dem anderen und knallt es mit dem Bild nach oben vor mich auf den Tisch, als ob sie Tarotkarten auslegen würde. »Flower«, sagt sie, »und Bird, meine alten Gegenspieler. Ihre Dienste wurden eingesetzt von Emphglott, einem pharmazeutischen Unternehmen, das sich auf Tierversuche und genetische Manipulationen an Tieren spezialisiert hat. Vor kurzem haben sie ohne Betäubung die Beine von siebenunddreißig Beagle-Hunden gebrochen, um ein neues Medikament zu testen, das Knochenbrüche heilen soll.«

»Warum haben sie keine Betäubungsmittel benutzt? Oder warum haben sie nicht einfach Hunde genommen, die bereits verletzt waren? Davon gibt es haufenweise bei Animal Hospital

»Ganz genau«. Anscheinend habe ich das Richtige gesagt. »Kennst du die Bedeutung des Codenamens Brauner Hund?« Mein Schweigen zeigt, dass ich das nicht tue, aber es widerstrebt mir, es zuzugeben. Ich will das beiderseitige Einvernehmen nicht zerstören, das ich gerade mit meiner geistreichen Animal-Hospital-Bemerkung geschaffen habe.

»Der Braune Hund starb bei Tierversuchen im Universitätscollege im Jahr 1903. Er war Versuchsobjekt für zwei Monate, weitergereicht von einem Versuchsleiter zum nächsten. Seine Behandlung rief öffentliche Empörung hervor. Es gibt im Battersea Park am Rand eines schattigen Weges eine Statue zu seinem Gedenken. Ich dachte, wir hätten unsere Lektion aus 1903 gelernt und uns weiterentwickelt, so dass wir Tiere mit Moral, Würde und Respekt behandeln, aber ich weiß, dass das nicht der Fall ist.«

Sie knallt ein letztes Foto auf den Tisch, ein Foto von einer verhärmt aussehenden Frau in den Vierzigern. »Miss Lester, Leiterin des Dienstleistungsbereichs bei Emphglott. Mein Klient wüsste gerne, was Miss Lester in einigen angeblich leer stehenden Regierungsgebäuden im Südwesten Englands vorhat. Und ich auch, Alison.«

Ich habe Mrs. Fitzgerald niemals so ungeduldig gesehen. Tja, jeder nach seinem Geschmack. Es ist interessant herauszufinden, wofür sich jemand interessiert. Ich starre sie eine Weile lang an, bis sie es bemerkt, dann schaue ich weg.