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Belsey ging nicht sofort. Er blieb noch ein bisschen. Er setzte sich auf das Gartenmäuerchen gegenüber und schaute einfach das Haus an. Es kam ihm jetzt sehr klein vor, geduckt, als ob der ganze Planet durchhing. Ihm war schwindlig. Er hatte einen langen Tag hinter sich. Er betrachtete das Haus, sah zum Himmel hinauf und hielt nach Sternen Ausschau. Schließlich fiel sein Blick auf das Kuvert in seinen Händen. Wollte er überhaupt eine Erklärung? Er riss das Kuvert auf und zog ein Bündel Geldscheine mit Bankbanderole heraus. Dann das nächste. Das Kuvert war voller druckfrischer Fünfziger und Zwanziger. Belsey kniete sich auf den Boden und baute an dem Mäuerchen fein säuberlich kleine Geldstapel auf. Er musste sich zusammenreißen, damit er nicht zu lachen oder zu weinen anfing. Zwölf Stapel. Er schätzte achtzigtausend, vielleicht neunzigtausend. Nicht schlecht, dachte er. Er stopfte sich ein paar Bündel in die Taschen, den Rest wieder in das Kuvert und setzte sich schwer atmend auf den Boden.

Nicht schlecht, dachte er wieder. Und dann, einen Augenblick später: Das ist ein Anfang.

Das musste gefeiert werden. Er nahm sich ein Taxi zum Dorchester Hotel und ging in die Bar. Es ging lebhaft zu. Überall hingen Spiegel, die polierten Tische waren besetzt, eilfertige Kellner wuselten herum. An der langen geschwungenen Bar saßen Männer und Frauen, die alle sehr berühmt aussahen. Belsey bestellte eine Flasche Krug Grande Cuvée. Er betrachtete die Deckenbeleuchtung, die Glasskulpturen, den Samt. Nie zuvor hatte er so teuren Champagner getrunken. Aber es war kein Getränk, das man allein genießen sollte. Als er die Flasche halb ausgetrunken hatte, streifte er die Banderole von einem Geldbündel und nahm ein Taxi über den Fluss zum Wishing Well.

»Die nächste Runde auf mich«, rief er, als er das Pub betrat.

»Nick!«

Die berüchtigte Sonntagabendrunde des Wishing Well hieß ihn herzlich willkommen.

»Was hab ich jetzt wieder verbrochen, Officer?« Er steckte freundschaftliche Schläge ein und antwortete mit angetäuschten Haken. Er gab noch weitere Runden aus, und mit jeder wurde es voller im Well.

»Was feiern wir, Nick?«

Die Männer zückten ihre Handys und verbreiteten die Kunde, dass eine Party im Gange war. Belsey bestellte die zwei Flaschen Cava, die schon so lange hinter der Bar verstaubten, wie er Gast im Well war. Er trank jede Menge Sambuca und ein paar Bier. Schließlich ging er nach draußen zu einer Telefonzelle.

Er rief im St. Thomas’ Hospital an. Charlotte Kelson war schon entlassen worden. Mehr wollten sie ihm nicht sagen. Belsey versuchte es auf ihrem Handy, aber sie ging nicht ran. Er stand in der Telefonzelle und überlegte, ob er zu ihr nach Hause fahren sollte.

Er fuhr ins Lorenzo’s.

»Nicky, auch mal wieder da?«

»Nicky, was darf’s sein?«

Er kam gerade rechtzeitig zum chaotischen Endspurt einer Geburtstagsparty oder eines Junggesellinnenabschieds. Ein stockbesoffener DJ legte auf, und Frauen, die nicht danach aussahen, als hätte man sie extra dafür angeheuert, tanzten auf den Tischen. Der Boden war klebrig. Der Wirt bandagierte sich gerade einen Arm.

Belsey ließ wieder zahllose Runden springen und lernte ein paar neue Leute kennen. Irgendwann fand er sich hinter der Bar wieder und mixte Drinks. Ein Mädchen fragte ihn: »Bist du der neue Barkeeper?« Und er sagte: »Ich bin Polizist«, und fühlte sich ganz gut dabei.

Er zog weiter ins Roxy’s und schaute dann gegenüber im Blue Eyed Maid vorbei, Touristenfallen und Absturzkneipen für Leute, die nicht ins Bett fanden. Als auch da dichtgemacht wurde, nahm er ein Taxi zur Spanish Bar in Soho. Dort traf er einen Mann, der für eine Fährgesellschaft arbeitete. Sie tranken Wodka Martini und schauten Verkäuferinnen dabei zu, wie sie Schnäpse anzündeten. Nach seinem fünften oder sechsten Drink war er gegangen und marschierte nun die Euston Road entlang. Er hatte zwar kein Zuhause, aber doch das Gefühl, als würde er gerade von zu Hause weggehen. Die Nacht war noch jung. Als London auffiel, dass er immer noch da war, verkniff es sich ein Lächeln. So, so, schien es sich zu sagen, da wären wir also wieder, wir beide.

London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
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