Sieben
Der Sonntag verlief ereignislos, was den Mordfall Landmann anging.
Ackermann verbrachte den Tag bei der Familie seiner Frau in Cujk. Es war warm genug, im Garten zu sitzen, und um drei Uhr schlug sein holländischer Schwager das erste Fass an. Man tauschte die alten Witze über «Kaasköppe» und «Moffe», geriet sich wie üblich gegen Ende des Fasses in die Haare, um sich nach dem ersten Drittel des zweiten Fasses wieder in den Armen zu liegen. Als Ackermann gegen Mitternacht sein Bett fand, hatte er nicht einen Gedanken an Landmann verschwendet.
Günther Breitenegger verbrachte das Wochenende im Präsidium. Er hatte Bereitschaft und sollte die hereinkommenden Anrufe zum Fall Arno Landmann entgegennehmen. Am Sonntagmorgen stellte er fest, dass es ausnahmsweise einmal nicht regnete. Normalerweise hätte er an einem Tag wie diesem um sechs Uhr früh seine Frau geweckt. Während sie dann Kaffee machte und den Proviant in den Rucksack packte, hätte er kalt geduscht und wäre in seine Kniebundhosen und seine Wanderstiefel gestiegen. Um sieben Uhr hätten sie mit Franz-Josef, ihrem Dackel, das Haus verlassen und wären in die «Hooge Veluwe» gefahren, um zu wandern. Gegen neunzehn Uhr wären sie zurückgekommen und hätten alle drei das Gefühl gehabt, einen großartigen Tag verbracht zu haben.
So aber saß er lesend und Pfeife rauchend an seinem Schreibtisch. Dreimal nahm er den Telefonhörer in die Hand. Einmal, um dem Staatsanwalt den Termin der Tagesbesprechung am Montag mitzuteilen, zweimal, um seine Frau aufzumuntern.
Van Appeldorn hatte eigentlich ausschlafen wollen. Anna, Marions Tochter, verbrachte das letzte Ferienwochenende bei den Großeltern, und er hatte voller Vorfreude abends den Wecker abgestellt. Mit Marion hatte er nicht gerechnet. Sie machte es gern morgens, nach dem Aufwachen. Er hatte nichts dagegen. Danach schlief er wieder ein, bis er Marion im Bad singen hörte. «Komm duschen», rief sie, und er kannte den Tonfall gut. Einen Augenblick zweifelte er an seinen Kräften, aber seine Bedenken waren, wie fast immer, unbegründet.
Später las er ausgiebig den «Kicker» der letzten Woche und aß ausgesprochen gut zu Mittag, denn Marion hatte tatsächlich Ruhe und Lust gehabt zu kochen. Am Nachmittag holten sie gemeinsam das Kind ab, machten noch einen Spaziergang und gingen früh zu Bett.
Van Appeldorn hatte ein paarmal an Landmann gedacht und einen Moment lang sogar mit dem Gedanken gespielt, bei Toppe vorbeizufahren und sich den Kalender anzusehen, den Toppe am Telefon erwähnt hatte, ihn dann aber sofort wieder verworfen.
Toppe hatte so seine Probleme an diesem Sonntag. Den ganzen Vormittag lag er im Bett und pflegte seinen Kater. Nicht sehr erfolgreich allerdings, denn Gabi hatte anscheinend beschlossen, keine Rücksicht auf ihn zu nehmen. Sie ließ die Jungen in der Diele Fußball spielen, mit den Türen knallen und auf höchster Lautstärke «Don’t worry, be happy» hören, siebenmal hintereinander.
Um halb zwölf gab er auf und schälte sich vorsichtig aus dem Bett. Das Schwindelgefühl kam in kurzen Wellen, und der Geschmack in seinem Mund war einfach widerlich.
Mühsam versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, und stellte erschrocken fest, dass er tatsächlich einen Filmriss hatte. Irgendwann gestern Abend in Arends Weinkeller musste er mächtig abgestürzt sein. Das passierte ihm selten, und wenn, dann war es ihm, so wie auch jetzt, ziemlich peinlich. Er kramte Erinnerungsfetzen hervor. Am Anfang des Abends hatten sie ganz kurz über Arends Befund und den Toten geredet. Dann hatten sie lange und gut gegessen, und später waren Sofia und Gabi ins Atelier gegangen, und Arend hatte ihn in sein neues Refugium, den Weinkeller, mitgenommen. Worüber hatten sie nur gesprochen? Er bekam es nicht mehr zusammen. Er wusste nur, dass er sich seit langer Zeit mal wieder sauwohl gefühlt hatte. Und dann?
Er tappte in die Küche. «Morgen.»
Gabi drehte sich nicht einmal um, sondern schnitt weiter Porree für die Rindfleischsuppe.
Ächzend ließ er sich auf den Stuhl fallen.
«War’s schlimm?», fragte er kleinlaut.
Sie drehte sich ruckartig um und blitzte ihn an. «Noch viel schlimmer. Du hast dich total danebenbenommen. Gekotzt hast du auch.»
«Was? Ich? Gekotzt? Wann?» Er rülpste.
«Auf dem Heimweg. Ich musste zweimal anhalten. Und außerdem hast du gesungen, und zwar laut.»
Toppe blieb der Mund offenstehen. «Ich habe gesungen? Was denn?»
«Na, irgend so ein Lied mit Gaudi … Ich weiß nicht, wie das heißt.»
«Gaudeamus igitur? Kann ich das denn? Das kann ich doch gar nicht!»
«Gesungen hast du jedenfalls. Auch im Hausflur hast du weitergesungen und Sachen gesagt.»
«Sachen?»
Sie war wirklich sauer und drehte sich wieder weg.
«Was denn für Sachen?»
«Ich soll mich ausziehen. Und über meinen Hintern und so.»
«Ich?» Toppe fasste es nicht.
Er stand auf und nahm sie in die Arme. «Muss ich jetzt meinen Anwalt anrufen?» Er kuschelte sich an sie.
«Die Funke muss alles mitgekriegt haben. Was meinst du, was ich mir jetzt wieder anhören darf?», schimpfte sie.
«Tut mir ehrlich leid, Gabi. Aber weißt du, die Funke hätte auch was zu quatschen, wenn nichts passiert wäre.» Er rieb sich die Stirn. «Ich kriege den ganzen Abend nicht mehr auf die Reihe.»
«Das glaub ich gern. Arend war wohl auch nicht besser dran, das tröstet mich. Sofia hat mich eben angerufen. Aber die wohnen ja wenigstens alleine da draußen. Willst du einen Kaffee?»
«Nee, ich glaube, den verkrafte ich noch nicht. Machst du mir einen Tee?»
Er setzte sich wieder an den Tisch und bewegte vorsichtig den Kopf hin und her. «Und eine Tablette brauche ich auch.»
«Nichts da, mein Schatz. Wer saufen kann, der braucht keine Tablette.»
Er litt fast den ganzen Sonntag hindurch. Jedes Geräusch war ihm zu laut, jede Bewegung zu hektisch, das Licht viel zu grell. Aber er bemühte sich redlich. Sie unternahmen einen Spaziergang in Kessel, die Niers entlang, und langsam besserten sich sein Zustand und seine Laune. Er warf mit den Jungen Steine und Stöcke ins Wasser, spielte auf einer Wiese Fußball mit ihnen und küsste Gabi oft.
Gegen Abend war er wieder klar, und als Gabi sich vor den Fernseher setzte, um sich den neuen Schimanski-Tatort anzusehen, fasste er die ersten vernünftigen Gedanken zum Fall Arno Friedrich Landmann.
Er telefonierte mit van Gemmern. Danach nahm er den Kalender und blätterte ihn sorgfältig, Seite für Seite, durch. Ab und zu notierte er etwas.
Als Gabi ins Bett gegangen war, machte es ihm fast Spaß, seine Berichte zu tippen.