Gedenke, dass auch du sterblich bist – der Hinweis erwischte mich in bester Form und genau in dem Augenblick, als die Dinge alle hervorragend liefen. Meine beiden Trumpfkarten sind die Feder und die Stimme; es musste natürlich die Speiseröhre sein. Schon sehr lange hatte ich die Kerze an beiden Enden brennen lassen, war in die Arena des schlechten Befindens hineingeschlendert – und jetzt hat sich »ein vulgärer kleiner Tumor« gezeigt. Dieser Alien kann eigentlich nichts von mir wollen – wenn er mich umbringt, muss er sterben, aber er scheint trotzdem sehr entschlossen und zielbewusst. Im Grunde ist das eine Angelegenheit ohne Ironie. Ich muss äußerste Sorgfalt daransetzen, nicht selbstmitleidig oder egozentrisch zu sein.

War immer stolz auf meine Vernunft und meinen stoischen Materialismus. Ich habe keinen Körper, ich bin ein Körper. Trotzdem habe ich mich bewusst und regelmäßig so verhalten, als stimme das nicht oder als würde für mich eine Ausnahme gemacht werden. Fühlst du dich auf der Lesereise heiser und schlapp? Geh dann mal zum Arzt, wenn alles vorbei ist.

Habe vierzehn Pfund abgenommen, ohne mich anzustrengen. Endlich dünn. Fühle mich aber nicht leichter, weil der Gang zum Eisschrank wie ein Gewaltmarsch ist. Wiederum sind die gemeinen Pusteln dieses Ekzems, für die kein Doktor eine Therapie wusste, ebenfalls weg. Muss schon ein beeindruckendes Gift sein, das ich da zu mir nehme. Und man schläft wunderbar dabei… Aber all diese Schlafhilfen und diese seligen Nickerchen scheinen doch eine große Verschwendung von Lebenszeit – es gibt noch eine lange Zukunft, in der man bewusstlos sein kann.

Die netten Herren mit dem Sauerstoff und der fahrbaren Liege und dem Krankenwagen deportieren mich sehr sanft über die Grenze des Lands der Gesunden in ein anderes Reich.

Der Alien hat sich bereits damals in mich hineingegraben, als ich die kecken Sätze über meinen vorzeitig angekündigten Tod zu Papier brachte.

Nun lese ich so viele Würdigungen meiner selbst, dass es scheint, als sei auch die Nachricht von meinem Leben stark übertrieben gewesen (um Mark Twain zu paraphrasieren). Ich habe lang genug gelebt, um das meiste zu Gesicht zu bekommen, was über mich geschrieben werden sollte – auch das ist erheiternd, doch dann fällt einem ein, wie bald all dies »Hintergrundinformation« sein wird.

Julian Barnes über John Diamond …

À bout de souffle, mit Jean Seberg und Belmondo. Komisch, wie beiläufig man »atemlos« oder »außer Atem« sagt. Auf dem Flughafen von Boston: Ich kann nicht mehr atmen! Nächster Halt Terminal. Nächster Halt terminal.

Tragödie? Falsches Wort. Hegel gegen die Griechen.

Morgen der Biopsie, ich wache auf und sage: Egal, was kommt, dies ist der letzte Tag meines alten Lebens. Keine Illusionen von Jugend oder Jugendlichkeit mehr. Von jetzt an anstrengende Bewusstheit.

Im New Yorker ein Cartoon über Nachrufseiten … Habe mir früher die Todestage von Orwell, Wilde usw. gemerkt. Jetzt vielleicht so lange wie Evelyn Waugh.

Erstaunlich, wie lange Herz und Lunge und Leber durchgehalten haben. Es wäre gesünder gewesen, wenn ich kränklicher gewesen wäre.

Gebet: Interessante Widersprüche auf Kosten derer, die beten – ein allzu einfacher Pascalscher Notausgang, ich bin diesmal auf der richtigen Seite der Wette: Welcher Gott könnte solche Bitten überhören? Ebenso: Diejenigen, die sagen, ich würde nun bestraft, behaupten, Gott könne sich nichts Rächenderes ausdenken als Krebs für einen starken Raucher.

Nasenhärchen weg: die Nase läuft ständig. Verstopfung und Durchfall wechseln sich ab …

»Die alte Ordnung wechselt, Neues kommt / und Gott erfüllt sich selbst auf viele Weis’, /

Und bald, so nehm ich an, reißt mich davon / Ein vulgärer kleiner Tumor …«

Vor einigen Jahren erfuhr ein britischer Journalist, John Diamond, dass er Krebs hatte, und er machte aus seinem Zustand eine wöchentliche Kolumne. Zu Recht behielt er denselben munteren Tonfall bei, den seine übrigen Texte hatten – er gab Feigheit und Panik zu, daneben berichtete er von Neugier und gelegentlicher Courage. Seine Mitteilungen schienen völlig authentisch; genau so war es, wenn man mit einem Krebs leben musste – die Krankheit machte einen nicht zu einem anderen Menschen und verhinderte nicht, dass man sich auch weiterhin mit seiner Frau stritt. Wie viele andere Leser sprach ich ihm von Woche zu Woche im Stillen Mut zu.

Aber nach einem Jahr und noch länger … Nun, es setzte unausweichlich eine gewisse erzähltechnische Erwartung ein. Hallo – Wundertherapie! Hallo – ich hab nur Spaß gemacht! Nein, beides würde als Schluss nicht funktionieren. Diamond musste sterben, und das tat er denn auch, korrekterweise (erzähltechnisch betrachtet). Obwohl – wie soll ich es sagen? … Ein strenger Literaturkritiker hätte vielleicht bemängeln wollen, dass seiner Geschichte gegen Ende die Solidität fehlte, das Kompakte …

Tendenz mancher Mitleidsbekundungen, sich (ohne Absicht) endgültig anzuhören, entweder durch eine Vergangenheitsform oder ein anderes Indiz, das den endgültigen Abschied ausdrückt. Blumen vorbeizuschicken ist auch nicht so nett, wie’s vielleicht aussieht.

Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, er kämpft gegen mich.

Mut? Pah! Heb ihn dir auf für einen Kampf, vor dem du nicht davonlaufen kannst.

Saul Bellow: Der Tod ist der dunkle Hintergrund, den der Spiegel braucht, wenn wir darin irgendetwas erkennen wollen.

Schwindelerregendes Gefühl, mit Tritten voraus in die Zeit geschleudert zu werden, katapultiert in Richtung Ziellinie. Ich versuche, nicht mit meinem Tumor zu denken, was überhaupt kein Denken wäre. Die Leute versuchen, so darüber zu reden, als sei es nur eine Episode im Leben.

Onkologie/Ontologie: Unter der alten religiösen Ordnung verurteilte der Himmel einen einfach dazu, üppig gefoltert und dann hingerichtet zu werden. Montaigne: »Die sicherste menschliche Grundlage der Religion war stets die Lebensverachtung.«

Angst führt zum Aberglauben. Beim Großen K jedoch scheint sich gnädigerweise nichts Besonderes herausgebildet zu haben, und ich bin froh, dass niemand um meinetwillen irgendwelche gefährdeten Tierarten abschlachten möchte.

Es geht nur dann in Ordnung, wenn ich etwas Objektives und Stoisches sage: Ian bemerkt, es würde eine Zeit kommen, da ich loslassen müsste. Carol fragt wegen Rebeccas Hochzeit: »Hast du Angst, dass du England nie wiedersehen wirst?«

Auch gewöhnliche Ausdrücke wie »abgelaufen« … Werde ich meine American-Express-Karte überleben? Meinen Führerschein?

Die Leute fragen: Ich bin am Freitag in der Stadt, bist du da? Was für eine Frage!

Kalte Füße (bis jetzt nur nachts) – »periphere Neuropathie« ist wieder eins von diesen Wörtern (wie »nekrotisch«), die den Tod-im-Leben des Systems beschreiben.

Und du verlierst Gewicht, aber der Krebs ist nicht daran interessiert, dein Fett zu fressen. Er will die Muskeln. Die Tumorhausen-Diät hilft da nicht viel.

Am schlimmsten ist das Chemohirn. Abgestumpft, wie betäubt. Und wenn die ausgedehnte üppige Folter nur das Vorspiel zu einer grausamen Hinrichtung ist?

Der Körper wird vom verlässlichen Freund zum eher Neutralen, dann zum tückischen Feind … Proust?

Wenn ich mich bekehre, dann deswegen, weil es besser ist, dass ein Gläubiger stirbt als ein Atheist.

Man hört nicht einmal etwas von einem Wettlauf bei der Entwicklung einer Therapie …

Papierkram, der Fluch von Tumorhausen.

Das Elend, sich selbst auf alten Videos oder YouTube-Clips zu sehen …

»Graduelle Aufklärung« noch kein Problem für mich.

Michael Kordas Buch Man to Man

Man gewöhnt sich so an schlechte Nachrichten, dass man bei guten reagiert wie Breytenbach im Fall der Torte. Angenehm, sagen zu dürfen: Nun, wenigstens muss ich jetzt das nicht machen.

Larkin in »Aubade« gut, was die Angst betrifft, mit implizitem Vorwurf gegen Hume und Lukrez wegen ihres Stoizismus. In gewisser Weise angemessen: Auch Atheisten sollten keinen Trost anbieten.

Banalität der Krebserkrankung. Riesiges Pesthaus voller Nebeneffekte. Spezialität des Tages.

Vgl. Szymborskas Gedicht über die Folter und den Körper als Vorratskammer des Schmerzes.

Aus Alan Lightmans komplexem Roman Einstein’s Dreams (1993 erschienen, spielt 1905 in Bern):

Mit dem unendlichen Leben geht eine unendliche Liste von Verwandten einher. Großeltern sterben niemals, ebenso wenig Urgroßeltern, Großtanten und so fort, immer weiter zurück durch all die Generationen, die alle am Leben sind und gute Ratschläge erteilen. Söhne können nie aus dem Schatten ihres Vaters heraustreten. Und Töchter nicht aus dem der Mutter. Niemand kommt je zu seinem Recht … Das ist der Preis der Unsterblichkeit. Niemand ist ganz. Niemand ist frei.