Vor wenigen Wochen begann ich einen bettlägrigen Tag im Zustand akuter Machtlosigkeit und unter gemeinen Schmerzen. Wie ich dalag, unfähig, mich zu rühren, aber durch vergangene Erfahrungen gefestigt, hörte ich eine beruhigende und kompetente Stimme sagen: »Jetzt kommt ein kleiner Pikser.« Und fast sofort fühlte ich mich beruhigt, denn diese Stimme und dieser Tonfall und dieser winzige Stich bedeuteten, dass der Schmerz sich verflüchtigen würde, dass meine Gliedmaßen sich entkrampften, mein Tag begann. Und so war es.

Was aber, wenn – wie ich einmal in ähnlichen Umständen mit halbem Bewusstsein zu hören glaubte – die freundliche Stimme ein wenig spöttisch geklungen hätte? Wenn sie mit einem Zug von Hohn gesagt hätte: »Das tut jetzt nicht weh – nicht besonders weh jedenfalls?« Das ganze Machtverhältnis hätte sich gewaltsam umgekehrt, und ich wäre wehrlos und wie gelähmt dagelegen. Ich hätte mich auch sofort gefragt, wie lange ich unter einer solchen Drohung leben könnte. Das subtile Werk des Folterers hätte begonnen.

Ich betone die Subtilität, denn die Folter ist keineswegs eine Angelegenheit grober Gewalt und schieren Schmerzes. Wie ich feststellte, als ich tatsächlich ein Opfer der Folter war, ist sie vor allem eine Frage delikater Kalibrierung. »Wie geht es uns heute? Stimmt etwas nicht?« Solche Tonfälle werden noch problematischer durch die Neigung der modernen Medizin, sich so oder so immer eines Euphemismus zu bedienen, wobei die höfliche Maske des Wortes »unwohl« eine Hauptrolle spielt. Eine andere Form des Euphemistischen ist das vorgeblich Durchgeplante, voll Koordinierte: »Haben Sie schon unser Schmerzmanagementteam kennengelernt?« Wenn man eine solche Formulierung einmal falsch gehört hat, kann sie einem immer als Echo der Praxis der Folterer erscheinen – man zeigt dem Opfer die Instrumente vor, die an ihm angewendet werden sollen, man beschreibt ihm Ausmaß und Reichweite der Praktiken und lässt diese Drohungen eigentlich schon den größten Teil der Arbeit tun. (Es heißt, dass Galilei diesen Ankündigungstechniken ausgesetzt war, während man ihn mit wachsendem Druck überredete, seiner wissenschaftlichen Position abzuschwören.)

Ich wurde zum Folteropfer, weil ich wollte, dass die Leser von Vanity Fair eine ferne Vorstellung davon bekommen, worum es sich bei der schmutzig-schäbigen Kontroverse um das sogenannte Waterboarding eigentlich handelt. Und die einzige Möglichkeit, die argumentativ noch übrigblieb beziehungsweise unerprobt war, bestand darin, dass ich mich selbst probeweise für diese Prozedur zur Verfügung stellte. Natürlich gibt es für die Authentizität einer solchen Rekonstruktion Grenzen (und ich musste in gewisser Weise die Situation immer kontrollieren), aber ich war entschlossen, herauszufinden (soweit dies möglich ist), was ein Mensch, der dem Waterboarding unterworfen wird, tatsächlich durchmacht. Mit Hilfe von einigen sehr ernsthaft-entschlossenen ehemaligen Angehörigen der Special Forces, die wussten, dass sie auf amerikanischem Boden amerikanische Gesetze brachen, organisierte ich ein Treffen in den Bergen von North Carolina. Ehe wir auch nur beginnen konnten, hatte ich ein Dokument unterzeichnet, das sie juristisch von ihrer Verantwortung entband, falls sie mich durch Zufügung eines körperlichen oder psychischen Traumas töteten. Das Wort »Trauma« hat hier eine massivere Bedeutung als gewöhnlich.

Es vollzieht sich hier – hat man Ihnen vielleicht gesagt – eine »Simulation« des Gefühls des Ertrinkens. Falsch. Was geschieht, ist, dass man langsam, aber unerbittlich ertränkt wird. Und wenn man es an irgendeinem Punkt fertigbringt, dem tödlich regelmäßigen Tropfen des Wassers auszuweichen, wird es der Folterer bemerken. Er (oder sie) wird eine kleine, aber effektive Adjustierung vornehmen. Als ich meine Folterer später befragte, war ich an diesem Aspekt besonders interessiert. O ja, sagten sie mit einer gewissen Genugtuung, es gibt da viele kleine Bewegungen und Rucke und Drehungen, die dafür sorgen, dass die Sache stimmt, und dabei keine Spuren hinterlassen. Da bemerkt man wieder den Stolz auf die technische Perfektion und den beinahe humanistischen Tonfall von Professionalität. Die Sprache der Folterer …

Ich schreibe aus folgendem Grund in diesem Zusammenhang über das Thema: Seit ich den ursprünglichen Artikel geschrieben und veröffentlicht habe – einige Zeit, ehe bei mir der Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde –, habe ich an einer Form von Nach-Folter-Stress gelitten, die man wahrscheinlich erst noch klassifizieren und benennen muss. In meinem Falle hat sie jedenfalls mit Erstickungsgefühlen zu tun. Und das »Aspirieren«, das unfreiwillige Einatmen von Feuchtigkeit kann eine Flutwelle von Panik auslösen; es hat sich mit den stärkeren und tödlicheren Symptomen meiner verschiedenen Lungenentzündungserlebnisse verknüpft. Und jeden Tag bin ich gezwungen, mich darauf vorzubereiten, dass mir flüssige Nahrung durch einen Schlauch zugeführt wird oder dass man mich (bei unterschiedlichen Graden des Eintauchens ins Wasser) wäscht oder dass ich mich sonstwie in höchst verletzlichen Positionen finde. So dass ich großes Glück habe, insofern ich nie das hassenswerte Flüstern des Folterers gehört habe, nie beim Gedanken erzittern musste, dass ich nur eine kleine Drehung oder einen winzigen Ruck entfernt bin von großer Angst und Bedrängnis (distress, ein Wort, das auf der Euphemismusskala ziemlich weit oben steht). Aber ich weiß jetzt, wie der Trick, der sehr effektive Trick geht.

Ich bin im Verlauf meiner Krankheit durch verschiedene bedeutende amerikanische Kliniken gewandert, von denen mindestens eine dafür berühmt ist, dass sie von einer historischen Ordensgemeinschaft betrieben wird. In jedem Zimmer dieses Hospitals wird – egal, in welcher Perspektive man im Bett liegt – die Sicht von einem großen schwarzmetallenen Kruzifix beherrscht, das hartnäckig an der Wand fixiert ist. Ich hatte dagegen einerseits nichts Besonderes einzuwenden, da das Kruzifix kaum etwas anderes tat, als den Namen des Krankenhauses zu wiederholen. (Ich streite mich eigentlich nur dann mit den Herrschaften vom Seelsorgerbüro herum, wenn ich ein gewichtiges Argument habe. In Texas stimmten sie mir am Ende prinzipiell zu, dass es ein wenig idiotisch sei, in einer nagelneuen Anlage, deren Türme mit über zwei Dutzend Geschossen aufragten, auf den dreizehnten Stock zu verzichten und gleich von zwölf zu vierzehn zu springen. Es kommt doch gewiss niemand her, um sich über kosmische Ängste zu beklagen, die von jener Zahl erzeugt werden; es würde doch gewiss niemand deswegen das Hospital verlassen. Wir sind übrigens offenbar nicht in der Lage, festzustellen, wo dieser feuchtklamme kleine Aberglaube seinen Ursprung hat.)

Andererseits weiß ich zufällig auch, dass es in den Religionskriegen und bei den Prozessen der Inquisition Brauch war, den zum Tode Verurteilten den Anblick des Kreuzes aufzuzwingen, bis sie gestorben waren. Auf einigen der leidenschaftlichen Bilder von den großen autos da fé (den »Glaubensbezeugungen«) – ich glaube, auch auf denen, wo Goya das Lebendig-Verbrannt-Werden auf der Plaza Mayor darstellt – sehen wir Flammen und Rauch um das Opfer hochschlagen, während ihm das Kreuz mit grimmiger Unausweichlichkeit vor die sich schließenden Augen gehalten wird. Ich muss sagen: Auch wenn dies Kreuzvorzeigen heute auf sozusagen palliative Weise geschieht, empfinde ich dabei Missbilligung, weil zwangsläufig Erinnerungen an die alte sadistische Praxis aufkommen. Es gibt banale, alltägliche Hospitäler und Arztpraxen, die einen an die staatlich verordnete Tortur erinnern. In meinem eigenen Fall gibt es auch medizinische Praktiken, die ich gar nicht von der Hölle früherer Gräuel trennen kann. Der bloße Gedanke an irgendeine unorthodoxe Verwendung von Wasser oder Gas (wie etwa an eine Atembehandlung, die mit angefeuchteter oder »nebularer« Luft arbeitet), reicht schon aus, dass mir in kritischem Maße schlecht wird. Als ich zuerst über einen Titel für dieses Buch nachdachte, überlegte ich mir, ob ich die halbe Gedichtzeile »Obszön wie Krebs« annektieren sollte – aus Wilfred Owens entsetzenerregendem Gedicht über den Tod an der Westfront im Ersten Weltkrieg, »Dulce et decorum est«. (Der Anfang der alten lateinischen Phrase, die übersetzt lautet: »Süß und schicklich ist es, fürs Vaterland zu sterben.«) Das Poem beschreibt, wie eine Gruppe erschöpfter britischer Nachzügler an der Front in freiem Gelände von einem Gasangriff überrascht wird, auf den sie schlecht vorbereitet ist.

[…]

Gas! GAS! Quick, boys! – An ecstasy of fumbling,

Fitting the clumsy helmets just in time;

But someone still was yelling out and stumbling,

And flound’ring like a man in fire or lime …

Dim, through the misty panes and thick green light,

As under a green sea, I saw him drowning.

In all my dreams, before my helpless sight,

He plunges at me, guttering, choking, drowning.

If in some smothering dreams you too could pace

Behind the wagon that we flung him in,

And watch the white eyes writhing in his face,

His hanging face, like a devil’s sick of sin;

If you could hear, at every jolt, the blood

Come gargling from the froth-corrupted lungs,

Obscene as cancer, bitter as the cud

Of vile incurable sores on innocent tongues, –

My friend, you would not tell with such high zest

To children ardent for some desperate glory,

The old lie: Dulce et decorum est

Pro patria mori.

[…]

Gas! GAS! Rasch, Jungs! Ekstatisch fummelnd, hastend

Bringt man die Maske eben noch zusammen…

Doch einer schrie noch, stolpernd, ringend, tastend

Und taumelnd wie in Löschkalk oder Flammen

Schwach durch das trübe Glas, grünlich und dick

Sah ich in grünen Wogen ihn ertrinken.

In allen Träumen sieht mein starrer Blick

Ihn vor mir wanken, würgen und ertrinken.

Erstickend träumst auch du’s – siehst du ihn nicht?

Wir schmissen ihn ganz hilflos auf den Wagen

Er hing herab, wir sahen sein Gesicht

Wie aus der Hölle, grinsend, nicht zu sagen

Hörst du nicht auch bei jedem Stoß das Blut

Wie’s gurgelt aus der schaumzerfressnen Lunge

Obszön wie Krebs und bitter wie die Glut

Ekliger Giftgeschwüre auf der Zunge…

Wenn man ihn sehn und hören würde, lässt

Sich nicht so einfach reden von der Glorie

Der alten Lüge: Dulce et decorum est

Pro patria mori.

Wenn auch ich manchmal zur Unzeit aus dem Schlaf aufschrecke, weil ich eine erstickende, würgende Alptraumempfindung habe, dann wird mir klar, wie wichtig es ist, dass die Grenzen der Medizin so streng und skrupulös patrouilliert werden. Ich weiß es zu schätzen, dass innerhalb des Berufsstands keine noch so kleine Abweichung vom strengen Maßstab geduldet wird. Die Betreiber des berühmten Krankenhauses sollten sich der historischen Rolle schämen, die ihr Orden bei der furchtbaren Legalisierung und Anwendung von Folter gespielt hat, und ich habe dasselbe Recht, nein, die Pflicht, mich ebenso sehr der offiziellen Folterpolitik einer Regierung zu schämen, die ein Land repräsentiert, dessen Staatsbürgerschaft ich erst vor kurzem erworben habe.