SECHZEHN
Mit den Schuhen in der Hand schlich sich Chelsea so leise wie möglich auf Zehenspitzen in Bos Wohnung.
»Wo warst du heute Nacht?«
Ihre Schuhe plumpsten zu Boden, als sie erschreckt herumwirbelte. In der Küche stand Jules, wieder mal oben ohne. »Herrgott«, keuchte sie und griff sich ans Herz. »Was machst du denn hier?«
Er zuckte mit den Achseln. »Kaffee kochen.«
Kaffee klang gut. »Bin gleich wieder da«, flötete sie, verschwand in ihrem Zimmer und warf sich in einen weiten Kapuzenpulli und eine abgeschnittene Jogginghose. Ihr Bett war noch gemacht, als sei es nicht benutzt worden. Auf dem Weg durch den Flur warf sie einen Blick ins Zimmer ihrer Schwester. Bo lag splitterfasernackt auf den gelben Laken und schlief.
Chelsea trottete in die Küche und nahm sich eine große Tasse. »Nun sag schon.« Sie schenkte sich Kaffee ein und warf dem Mann, der inzwischen am Tisch saß, einen neugierigen Blick zu. »Hast du vor, aus meiner Schwester eine ehrbare Frau zu machen?«
Er blickte von seiner Zeitung auf. »Hat Bressler vor, aus dir eine ehrbare Frau zu machen?«
»Wer behauptet, dass ich bei Mr Bressler war?« Himmel, hoffentlich hatte das sonst keiner spitzgekriegt.
»Als du gingst, hattest du seine Jacke an.«
Allerdings. »Woher weißt du, dass es seine war?«
»Da waren nur zwei Männer mit dunkelgrauen Hugo-Boss-Anzügen. Mark und Ty Savage.«
Typisch Jules, dass ihm so was auffiel.
»Und ich weiß, dass du nicht mit Ty nach Hause gegangen bist«, fuhr Jules fort und senkte den Blick wieder auf die Sportseite. »Außerdem hat Bo mir gesagt, dass du ihn nach Hause fahren wolltest.«
»Das bedeutet noch lange nicht, dass ich dort übernachtet – du weißt schon – übernachtet habe. Nicht so wie du und Bo.« Sie pflanzte sich ihm gegenüber hin und nippte an ihrem Kaffee. »Das Haus hat sechs Schlafzimmer.« Und dann tischte sie ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, eine faustdicke Lüge auf. »Mr Bressler mag mich nicht mal besonders. « Sie zog die Augenbrauen zusammen. So faustdick war die Lüge vielleicht gar nicht. Klar, als sie ihn ritt wie den mechanischen Bullen bei Gilley’s, hatte er sie gemocht. Genau wie in seinem Whirlpool und später in seinem Bett.
»Und in einem davon hast du geschlafen?« Jules sah skeptisch aus, war aber kurz davor, ihr zu glauben.
Noch während sie zur Bekräftigung nickte, schoss ihr die Erinnerung an ihr letztes Mal durch den Kopf. Gütiger Himmel, noch nie im Leben hatte sie sich so wunderbar missbraucht gefühlt. Der Mann bat für nichts um Erlaubnis. Er machte es einfach, und zwar so gut, dass sie ihn anflehte, nicht aufzuhören. Chelsea lief knallrot an und wich seinem Blick aus.
»Du lügst.«
»Und du bist jetzt mit meiner Schwester zusammen? Oder ist das nur ein One-Night-Stand?«
Er runzelte die Stirn. »Lenk nicht vom Thema ab.«
Sie grinste und wiederholte ihre Frage.
»Ich mag Bo. Sehr. Ich würde sie niemals benutzen.«
Das war als Spitze gegen Mark gedacht, doch seltsamerweise fühlte sie sich nicht benutzt. Ein bisschen nervös und ängstlich vielleicht, weil sie nicht wusste, wie Mark sie am Montagmorgen behandeln würde. Aber nicht benutzt.
»Wann bist du nach Hause gekommen?«, fragte Bo verschlafen, die aus ihrem Zimmer geschlurft kam und sich den Morgenmantel zuband.
»Gerade eben.« Bo wollte zu einem Kommentar ansetzen, doch Chelsea hielt abwehrend die Hand hoch. »Mark hat sechs Schlafzimmer. Ich hab mir eins davon ausgesucht.« Was sogar stimmte. Nämlich seins.
»Ich dachte, das heißt Mr Bressler«, stichelte Jules.
Chelsea zuckte mit den Achseln und beobachtete ihre Schwester, die sich eine Tasse Kaffee einschenkte. Als Bo den Blick langsam zu Jules hob, umspielte ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. Jules fing den Blick auf und lächelte zurück. Für die zwei war es letzte Nacht um mehr als nur um Sex gegangen. Um mehr als nur gegenseitige Befriedigung.
Chelsea stand abrupt auf, als die Reue, auf die sie schon gewartet hatte, mit voller Wucht auf sie einstürmte. Aber die Reue war anders als gedacht. Sie bereute es nicht, die Nacht mit Mark Bressler verbracht zu haben. Nein, sie bedauerte zutiefst, dass er sie nie so ansehen würde wie Jules gerade Bo.
»Ich leg mich wieder ins Bett«, verkündete sie und nahm Reißaus. Die Nervosität von vorhin steigerte sich noch. Wie sollte sie sich am Montagmorgen verhalten? Würde er zu seiner üblichen Strategie zurückkehren und sie ignorieren?
Sie brauchte nicht bis Montag zu warten, um es zu erfahren. Mark rief sie um die Mittagszeit an. Obwohl sie fest schlief, wusste sie, noch bevor sie die Augen öffnete, dass er es war. Nicht etwa, weil sie hellsehen konnte, sondern wegen seines Klingeltons.
»Wo bist du?«, fragte er. Der Klang seiner Stimme wärmte ihr Herz und umnebelte ihr Hirn.
»Im Bett.«
»Wie lange brauchst du, um dich fertig zu machen?«
Sie setzte sich kerzengerade auf. »Wozu?«
»Um nach Issaquah zu fahren.«
»Und was soll ich da?«
»Ich will mir das Haus dort angucken. Und du kommst mit.«
Typisch für ihn, nicht mal zu fragen. »Ich hab heute frei.«
»Na und?«
»Also frag.«
Er seufzte, und sie konnte fast seinen Atemhauch an ihrem Ohr spüren. »Chelsea, fährst du bitte mit mir nach Issaquah? «
Sie schwang die Füße über den Bettrand. »Um das Haus zu besichtigen, das ich dir letzten Monat gezeigt habe?«
»Ja. Ist es noch auf dem Markt?«
»Keine Ahnung. Warum hast du nicht früher was gesagt?«
Er lachte. »Weil ich wollte, dass du mir noch mehr Häuser zeigst.«
Das ergab überhaupt keinen Sinn.
»Schaffst du es in einer halben Stunde?«
Sie dachte an ihre Schwester und an Jules. »Gib mir eine Stunde, und wir treffen uns vor dem Haus.« Die beiden sollten nicht mitkriegen, dass sie sich mit dem Mann, für den sie arbeitete, verdünnisierte, aber die Sorge hätte sie sich sparen können. Bis sie aus der Dusche stieg, waren Bo und Jules schon längst weg.
Chelsea wollte sich vor allem bequem anziehen und entschied sich für einen blauen knöchellangen Rock und eine Bauernbluse. Sie band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und schlüpfte in mit Glitzersteinen besetzte Flip-Flops. Als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog, bog Marks Mercedes gerade in den Wohnkomplex. Das Auto glänzte in der Nachmittagssonne. Mark parkte in einer Lücke direkt vor Chelsea, und die Wagentür schwang auf. Er umklammerte mit seiner großen Hand den Rahmen und stieg aus. In der gewohnten Montur aus weißem T-Shirt und blauer Nylon-Jogginghose kam er auf sie zu, und ihr fiel auf, dass seine Schritte heute langsamer waren.
»Alles in Ordnung?«
»Klar.« Die Brauen über seinen braunen Augen waren zusammengezogen, als wäre er wegen irgendwas sauer. Nicht so sehr wie damals, als er gedroht hatte, sie umzubringen, aber trotzdem ziemlich sauer. Vielleicht hatte er auch Schmerzen.
»Du siehst aus …« Sein Mund verschloss ihren mitten im Satz. Wie vieles, was er letzte Nacht mit ihr angestellt hatte, war es ein regelrechter Überfall. Als sie gerade Geschmack daran fand, zog er sich zurück und brummte: »Schleich dich nie wieder aus meinem Haus.«
Sie betastete ihre feuchte Unterlippe. »Ich hab mich nicht weggeschlichen.«
»Hast du doch.«
War er wirklich sauer, weil sie mitten in der Nacht verschwunden war? »Bist du etwa beleidigt, weil ich dich nicht geweckt habe, bevor ich gegangen bin?«
»Ich bin nicht beleidigt.« Er wich ihrem Blick aus. »Ich bin nie beleidigt.«
Und ob er das war. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht kränken.«
Er sah sie wieder an und seufzte frustriert. »Ich bin nie gekränkt. Ich bin doch kein Mädchen.«
Das war eine so lächerliche Feststellung, dass sie sich vergebens bemühte, ein Lächeln zu unterdrücken. »Ich weiß, dass du kein Mädchen bist. Das hast du letzte Nacht bewiesen. «
Sein Mundwinkel zuckte. »Bist du wund?«
»Ein bisschen. So hab ich mich schon lange nicht mehr verausgabt.«
Er nahm ihr Gesicht in die Hände und sah ihr in die Augen. »Du bist nicht irgendeine Schnalle, die ich in einer Bar aufgegabelt habe, Chelsea. Du bist für mich kein One-Night-Stand. Also stiehl dich nicht bei mir raus.«
Wenn sie kein One-Night-Stand war, was war sie dann? »Okay.«
Er nahm sie bei der Hand und brachte sie zur Beifahrertür. »Ich sterbe vor Hunger. Willst du hier irgendwo was essen oder in Issaquah?«
Sie drehte sich zu ihm und schaute zu ihm auf. Die Sonne schimmerte in seinem Haar. Sie mochte kein One-Night-Stand für ihn sein, aber seine Freundin war sie auch nicht. Sie befand sich nicht mal in dem Schwebezustand, mit dem alle Beziehungen beginnen. Sie arbeitete für Mark. Sie konnte nicht mit ihm essen gehen. Was dachte sie sich bloß dabei, zu ihm ins Auto zu steigen? »Wie weit ist es nach Issaquah?«
»Wir waren doch erst vor ein paar Wochen dort.«
»Wir waren in den letzten Wochen an vielen Orten.« Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und sah zu ihm auf. »Ich werfe sie alle durcheinander.« Andererseits ging es bloß um ein Sandwich. Ein Sandwich bedeutete gar nichts. Es kostete fünf Mäuse, und sie konnte es selbst bezahlen.
»Zirka zehn Minuten von hier.« Er schloss die Tür und lief zur Fahrerseite. »Oder wir nehmen Plan B«, schlug er vor, während er einstieg. »Wir fahren zu mir, bestellen uns eine Pizza und essen im Bett.«
Sie lachte. »War Issaquah bloß ein Vorwand?«
»Nein, aber wir landen sowieso bei mir zu Hause im Bett. Warum also Zeit vergeuden?« Er legte den Rückwärtsgang ein und steuerte den Mercedes aus der Parklücke.
Vielleicht hätte sie pikiert sein sollen, dass er einfach davon ausging, sie würde wieder mit ihm in die Kiste springen. Vielleicht sollte sie sich ein bisschen zieren. Sich unnahbarer geben. Oder der Versuchung ganz widerstehen. »Willst du das Haus jetzt doch nicht sehen?«
»Ich kann es morgen mit dem Makler besichtigen.« Er warf ihr einen Blick zu und sprach mit rauer Stimme weiter. »Du hast die Wahl.«
»Plan B.« Sie war schwach. Eine Sünderin ohne jede Willenskraft.
Er lachte amüsiert. »Gute Antwort. Du wirst es nicht bereuen. «
Und das tat sie auch nicht. Sie aßen Pizza im Freizeitraum und sahen sich auf dem gigantischen Fernseher Filme an. Natürlich hatte er so gut wie alle Sender.
»Sogar dein Fernseher hat die Premium-Ausstattung«, witzelte sie.
Lachend nahm er ihr den leeren Teller weg. »Du brauchst dir nur um eine Ausstattung Gedanken zu machen«, scherzte er, während er ihn neben der Chaiselongue auf den Boden stellte. Er zog sie auf sich, bis sie rittlings auf ihm saß. Sie legte die Hände auf seine kräftige Brust und sah in seine tiefbraunen Augen.
»Beim Aufwachen wollte ich dich schon wieder.«
»Wir haben es viermal gemacht.« Mannomann. Sie hatte es nicht mehr viermal in einer Nacht gemacht, seit … vielleicht noch nie.
Er fuhr mit seinen warmen Händen über ihre Schenkel. »Das war nicht genug. Ich will mehr. Ich will dich.« Er strich mit den Daumen über den Seidenzwickel ihres Slips. Als Reaktion darauf wurde ihr Lustzentrum heiß und empfänglich. »Sag mir, dass du mich auch willst.«
Sie leckte sich ihre plötzlich trockenen Lippen und nickte.
Er fuhr mit dem Daumen unter ihren Slip und berührte ihre nackte Scham. »Sag es.«
Es schien ihm wichtig zu sein, also sagte sie: »Ich will dich, Mark.« Sie griff nach dem Saum ihrer Bluse und zog sie sich über den Kopf.
»Warum?« Er strich mit dem Daumen über ihr schlüpfriges Innerstes, und sie stöhnte laut.
»Weil du gut darin bist, mein Verlangen nach dir zu wecken. « Sie senkte ihr Gesicht zu seinem. »Weil ich dich brauche. «
Der Rest des Nachmittags ging damit drauf, ihn zu brauchen. Sie stillte ihre Bedürfnisse an Marks hartem Körper, bis sie ganz verschwitzt war. Sie ging erst um zehn Uhr abends und fiel daheim erschöpft ins Bett. Bo hatte ihr einen Zettel hingelegt, dass sie bei Jules übernachtete, und Chelsea sah ihre Schwester erst wieder, als sie am nächsten Morgen beide zur Arbeit fuhren. Sie hatte wieder Bauchschmerzen, weil ihr die Unwissenheit zu schaffen machte, vor allem jetzt, da sie vor Marks Haustür stand. Es war Montagmorgen, und das Wochenende mit ihm kam ihr plötzlich so real vor. Sie hatte nie zu den Frauen gehören wollen, die eine Affäre mit dem Promi anfingen, für den sie arbeiteten, und schon gar nicht mit ihrem Chef. Sie hatte nie zu den Frauen gehören wollen, die danach mit nichts als einem gebrochenen Herzen und ohne Job dastanden.
Marks Haustür war nicht verschlossen. Sie fand ihn im Arbeitszimmer, wo er mit dem Zwei-Finger-Suchsystem etwas tippte. »Der Preis für das Haus in Issaquah ist um zwanzigtausend Dollar gefallen«, erklärte er, ohne aufzublicken. »Ist das nicht das mit dem begehbaren Schrank, der dir so gefallen hat?« Er tippte auf »Senden« und griff nach seinem Stock, der am Schreibtisch lehnte.
»Ja. Der mit den vielen drehbaren Schuhständern.« Was spielte es für eine Rolle, ob er ihr gefiel? »Geht’s dir auch gut? Ich sehe dich seit Tagen zum ersten Mal wieder mit Stock.«
»An manchen Tagen bin ich eben fitter als an anderen.« Er stand auf und kam auf sie zu. »Wenn du dir Sorgen um mich machst, kannst du ja mit nach oben kommen und mich massieren. « Er strich ihr zärtlich eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Das steht nicht in meiner Stellenbeschreibung.« Sie trat einen Schritt zurück, bevor sie noch der Versuchung nachgab und ihr Gesicht in seine Handfläche schmiegte. »Wenn ich weiter für dich arbeiten soll, müssen wir gewisse Grenzen einhalten.« Wenn es Regeln gäbe, würde sie vielleicht doch nicht zu einem traurigen Klischee.
Er stemmte die Hand in die Hüfte. »Was denn für Grenzen? «
»Kein Sex von Montag bis Freitag.«
»Das ist doch Schwachsinn. Dann bleiben nur noch die Wochenenden.«
»Okay«, lenkte sie ein. »Kein Sex während der Arbeitszeiten. « Und sie meinte es ernst. Wenn sie das bisschen Selbstachtung, das sie noch hatte, behalten wollte, musste sie zumindest versuchen, ihre berufliche und private Beziehung zu Mark zu trennen.
»Ich will versuchen, dran zu denken.«
Aber das tat er nicht. Er bemühte sich nicht mal. Es blieb an ihr hängen, stark zu sein und Distanz zu wahren. Sie musste ihn daran erinnern, dass es sich während der Arbeitszeiten nicht ziemte, die Hand in ihr Kreuz gleiten zu lassen oder ihren Schenkel zu streicheln. Und ihr beim Dreier-Hockey an den Po zu fassen war eindeutig regelwidriger Körperkontakt. Auch wenn sie auf den Hintern gefallen war. Später, als Derek weg war und die Uhr fünf schlug, durfte er ihn dann heil küssen.
Während der ganzen Woche sah sie nicht viel von ihrer Schwester. Aber das überraschte sie nicht. So war Bo eben. Ob es ein Job war oder ein neuer Freund, sie hängte sich immer voll rein. Meist endeten ihre Beziehungen in Kummer und Schmerz. Doch bei Jules hatte Chelsea ein gutes Gefühl. Sie hatte das Gefühl, dass es diesmal funktionieren würde. Sie wünschte nur, dasselbe auch von sich behaupten zu können.
Sie wusste nicht, wohin ihr Verhältnis mit Mark führen würde. Es war alles so neu und furchteinflößend. Am furchteinflößendsten von allem war, dass ihr Plan, wieder nach L.A. zu ziehen, an Reiz verlor. Sie wollte nicht zu den Frauen gehören, die für einen Mann ihre Träume aufgaben. Ihr Herz und ihr Verstand bekriegten sich, und sie hatte schreckliche Angst, dass ihr Herz die Schlacht gewann.
»Ich hab deinen Klingelton geändert«, informierte sie ihn, als sie zusammen im Bett lagen und sich Big Trouble in Little China reinzogen. Für einen Eishockeyspieler konnte er sich überraschend gut Dialoge merken.
Als er sich sein Telefon vom Nachttisch schnappte und wählte, ertönte Trouble von Pink aus ihrer Handtasche.
»Du machst Trouble«, scherzte er. »So viel steht fest.«
»Du bist es, der hier Trouble macht.«
Er gab ihr einen Handkuss. »Seit dem Tag, als du auf meiner Veranda standst, hast du mir nichts als Scherereien gemacht. « Und wieder fragte sie sich, wohin diese Beziehung führte.
Am Samstag nach der Stanley-Cup-Party überraschte Mark sie mit Karten für Oklahoma!, und ihr Herz gewann an Boden. »Magst du Musicals?«
»Ja.«
Was für ein Lügner.
Nach der Aufführung fuhren sie zu ihm nach Hause. Doch statt sie ins Schlafzimmer zu bugsieren, nahm er sie bei der Hand und zog sie durch das dunkle Haus. Er öffnete die Schiebetür zum formalen Wohnzimmer, in dem gähnende Leere herrschte – bis auf den Stanley-Cup mitten auf dem weißen Teppich, in dessen Kelch, in Eis gebettet, eine Flasche Dom Pérignon lag, während der Kristalllüster Lichtprismen über das glänzende Silber schoss.
»Oh mein Gott.« Chelsea näherte sich andächtig der knapp einen Meter großen Trophäe. »Du nimmst den Tag doch in Anspruch.«
»Ja.«
Sie sah sich in dem leeren Raum um. »Ich dachte, ein Repräsentant der Hall of Fame müsste jederzeit zugegen sein.«
»Nicht jederzeit.« Er umarmte sie von hinten. »Alle anderen haben den Pokal mit in Strip-Clubs oder Sportbars geschleppt. Walker hat ihn auf die Turmspitze des Space Needle mitgenommen, und Daniel ist in seinem Cabrio damit rumgekurvt. Jeder Mann, der je den Herzenswunsch hatte, den Pokal zu gewinnen, hat einen Traum, was er damit anstellen will. Es ist an der Zeit, dass ich meinen auslebe.« Er küsste sie auf den Scheitel. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern Champagner auf deinen nackten Körper sprühen und dich vor dem Pokal lieben.«
»Das ist der Traum, den du immer hattest?«
Er schüttelte den Kopf, und seine Lippen streiften ihr Haar. »Das ist besser als der Traum, den ich hatte.«
Sie angelte nach dem Reißverschluss am Rücken ihres leichten Sommerkleids. Ein Glücksgefühl übermannte sie, und in dem Moment, als sie dort stand, fiel ihr kein einziger guter Grund mehr ein, warum sie diesen Mann je verlassen sollte. Es gab so viele Menschen, die es verdient hatten, diesen Augenblick mit ihm zu teilen, und er hatte sich für sie entschieden.
Das Kleid glitt zu Boden, und sie stand nur noch mit BH, Slip und zehn Zentimeter hohen Schlangenledersandalen vor ihm.
»Lass die Schuhe an«, bat er, während er sich die Champagnerflasche schnappte und das Drahtkörbchen abdrehte. »Die machen mich scharf.«
Soweit sie es beurteilen konnte, machte ihn alles scharf. »Du bist leicht zu haben.«
»Und billig dazu.«
Wohl kaum. Sie schleuderte BH und Slip beiseite, während er den Korken mit den Daumen herausschob. »Der Teppich wird ganz nass und klebrig.«
»Eigentlich hab ich vor, dich ganz nass und klebrig zu machen.« Mit einem leisen Plopp schoss der Korken durchs Zimmer und prallte gegen die zugezogenen Vorhänge. Ein feiner, gasartiger Nebel waberte aus der Flaschenöffnung, gefolgt von einem Guss aus Schaum. Er hob die Flasche an die Lippen und trank ein paar große Schlucke. »Schließ die Augen.«
Das tat sie, und ein kalter Schwall aus Champagner traf ihre Brust. Er roch nach Rosenblättern. »Das ist schweinekalt«, beschwerte sie sich.
»Ich wärm dich gleich wieder auf.« Er küsste sie, während er den Rest der Flasche über ihren Köpfen ausgoss. Der Schampus floss über ihre geschlossenen Augen und ihre Wangen. Durch den Kontrast zwischen dem kalten Champagner und seinem heißen Mund richteten sich ihre Nippel auf, und die Lust konzentrierte sich zwischen ihren Schenkeln. Er warf die leere Flasche weg und ließ Hände und Mund über ihren nassen, klebrigen Körper wandern.
Seine Berührungen kamen ihr irgendwie anders vor. Sanfter, und er verweilte bei jeder erogenen Zone. Er nahm sich Zeit, ohne jede Hast, die Sache zu Ende zu bringen. Selbst, als sie ihm die Klamotten vom Leib riss, bis er so nackt war wie sie, leckte er in aller Ruhe ihre Schulter und ihren Hals. Er fuhr mit dem Mund über ihre Brüste zu ihrem Bauch und bettete sie direkt vor den Stanley-Cup. Lichtprismen schossen über ihren Busen, ihren Bauch und seine Wange. Er hob den Kopf und sah zu ihr auf.
»Verhütest du?«
Sie wusste, warum er danach fragte, und beim Gedanken an heiße Haut auf heißer Haut kam sie fast. »Ich war bei der alljährlichen Vorsorgeuntersuchung und hab mir eine Dreimonatsspritze geben lassen, kurz bevor ich hierher gezogen bin. Ich bin sauber wie eine Jungfrau.«
Er lächelte. »Nach meinem Unfall haben sie mich auf den Kopf gestellt. Ich bin zwar sauber, aber eine Jungfrau dann doch nicht.« Er rutschte nach oben, bis sein Gesicht über ihrem war. »Vertraust du mir?«
»Ja. Vertraust du mir auch?«
Statt einer Antwort glitt er in sie, heiße Haut an heißer Haut. So gut, dass sie aufstöhnte. »Oh Gott.«
Er nahm ihr Gesicht in die Hände und sah sie an. »Du und der Pokal«, raunte er. »Zwei meiner größten Fantasien.« Er küsste sie auf die Nasenspitze, während er langsam die Hüften bewegte, in sie stieß und sie zur süßesten Ekstase ihres Lebens trieb. Ihr ganzer Körper reagierte, entflammte und brannte unkontrolliert. Er hämmerte in sie, wieder und wieder. Schleuderte sie zum Gipfel. Beim Aufprall zerschellten ihr Herz und ihre Seele, und sie rief seinen Namen.
Und als es vorbei war, nahm er sie bei der Hand und wusch sie in der Dusche sauber. Seine Berührungen waren noch sanfter als zuvor. Sanfter, als sie je gewesen waren. »Danke.«
»Ich danke dir.« Sie rubbelte ihm Rücken und Schultern trocken. »Ich bin nur erstaunt, dass du diesen Abend mit mir verbringen wolltest.«
»Mit wem denn sonst?« Er nahm ihr das große kuschelweiche Handtuch aus den Händen und schlang es um ihre Schultern. »Du bist bei mir geblieben, obwohl ich dich vergraulen wollte.« Er sah ihr in die Augen. »Das bedeutet mir etwas.«
»Und was?«
»Ich weiß nicht so genau. Vielleicht heißt es nur, dass du hartnäckig bist.« Er strich ihr eine nasse Haarsträhne hinters Ohr. »Oder dass du kaputte Eishockeyspieler magst.«
Sie sollte ihm von dem Zehntausend-Dollar-Bonus erzählen. Sein Daumen strich über ihren Kieferknochen, und seine Augenfarbe verwandelte sich in ein sattes, samtiges Braun. »Du bist nicht kaputt.« Jetzt sofort. Sie sollte es ihm jetzt sofort sagen. Doch als sie den Mund aufmachte, kam etwas ganz anderes heraus. »Du hast mich gebraucht.« Und sie ihn vielleicht auch ein kleines bisschen.
»Ich brauche dich noch immer.«
Sie schloss die Augen, in denen die Tränen brannten, und ihre Brust schmerzte. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch das Undenkbare tun. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich noch in Mark Bressler verlieben. Und das wäre übel. Sie wollte bald weg, und da wäre sich zu verlieben richtig übel. So übel, dass sie sich dagegen schützen musste. Und das tat sie auch. Bis zu dem Morgen, an dem er darauf bestand, sie zu ihrem Arzttermin zu fahren. Er blieb im Wartezimmer sitzen und schmökerte in einer Golfzeitschrift, während sie das Beratungsgespräch mit dem Schönheitschirurgen führte, und auf der Heimfahrt wartete er geduldig auf ihren Bericht.
»Der Arzt sagt, ich verliere wahrscheinlich das Gefühl in den Brüsten«, erklärte sie ihm, als sie über die Evergreen-Point-Pontonbrücke fuhren. Jetzt, wo sie mehr über die Risiken wusste, bekam sie ein bisschen Angst.
»Wie lange?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sechs bis zwölf Monate. Vielleicht auch für immer.« Sie hatte schon vorher über die Risiken und Nebenwirkungen Bescheid gewusst, aber es aus dem Mund des Arztes zu hören, machte es sehr real.
Durch seine Sonnenbrille sah Mark sie besorgt an.
»Vielleicht kann ich auch nicht mehr stillen.« Sie starrte auf ihre Hände, die sie umklammert im Schoß hielt. Trotz dieser Informationen wollte sie es durchziehen. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Meine Familie wird ausrasten«, murmelte sie, doch im Grunde wollte sie wissen, was Mark dachte. Sie hatte nur zu viel Angst, ihn direkt zu fragen. Zu viel Angst, dass er es ihr ausreden würde.
Das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge, bevor er sagte: »Ich liebe deinen Körper. Du bist wunderschön, so wie du bist.« Er griff nach ihrer Hand, und sie rechnete fest damit, dass er ihrer Familie recht geben würde. »Aber wenn du mit der Größe deiner Brüste nicht glücklich bist, unternimm was dagegen.« Er streichelte mit dem Daumen ihre Fingerknöchel. »Tu, was dich glücklich macht.«
Da passierte es. Ihr Herz öffnete sich weit, in ihren Augen brannten Tränen, und sie verliebte sich an Ort und Stelle in Mark Bressler, an der ersten Ausfahrt nach Medina. Verliebte sich so heftig und unumkehrbar in ihn, dass es ihr den Atem raubte. Verliebte sich, obwohl sie es besser wusste.
Am dritten Montag im August sprang Mark in seinen Mercedes und fuhr zur Chinooks-Zentrale, wo er einen Termin hatte, um über die Stelle als Assistenztrainer zu sprechen. Er war nicht mehr so rigoros dagegen wie noch vor Monaten; inzwischen erwärmte er sich sogar für die Idee. Sich mal anzuhören, was sie zu sagen hatten, konnte ja nichts schaden.
Er fuhr aus der Einfahrt und brauste in Richtung Seattler Innenstadt. Er brauchte einen Job. Nur dumm rumzusitzen und zu faulenzen machte ihn wahnsinnig. Er brauchte eine Aufgabe, eine andere Betätigung, als ständig darüber nachzugrübeln, wie er Chelsea von ihrer »Kein Sex am Arbeitsplatz«-Politik abbringen konnte.
Die totaler Schwachsinn war. Er hatte nur eingewilligt, weil er geglaubt hatte, sie umstimmen zu können, aber sie war nie von ihrem Standpunkt abgewichen. Nicht in der ersten Woche, und auch nicht in der zweiten. Nicht mal auf der Rückfahrt von einer Hausbesichtigung in Queen Anne, als er zu ihr rübergelangt und die Hand an ihrem nackten Schenkel hochgeschoben hatte. Als er den Finger in ihren Slip steckte, war sie feucht und fast bereit. Sie hatte seine Berührung kurz zugelassen und dann seine Hand weggestoßen. Worauf er hart und ganz und gar bereit gewesen war. Den Rest des Tages hatte er gegen eine Erektion angekämpft, bis sie ihn um fünf Uhr nachmittags in der Garage aufgespürt hatte, wo er gerade Dereks Schläger und ein paar Pucks verstaute. »Ich hab jetzt Feierabend«, hatte sie verkündet, sich ihm praktisch an den Hals geworfen und ungeduldig an seiner Hose gezerrt. Worauf er sie über die Motorhaube des Mercedes gebeugt, ihr den Rock hochgeschoben und sie von hinten genommen hatte. Es war hemmungslos gewesen. Schnell und derb.
Und süß.
Aber nicht annähernd so süß wie an dem Abend, als er sie vor dem Stanley-Cup lieben durfte. Er hatte in seinem Leben schon Sex mit vielen Frauen gehabt. Auch mit Chelsea, doch an jenem Abend war es anders gewesen. Er hatte sich gefühlt, als explodierte jede Zelle seines Körpers. Er hatte sich gefühlt wie auseinandergesprengt, und als die Teile wieder zusammengesetzt waren, hatte er sich verändert. Genau wie seine Lebensanschauung. Und seine Sicht auf sie.
Er konnte nicht behaupten, in Chelsea verliebt zu sein. Die Art von Liebe, die einen Riesenklunker und ein Ehegelübde mit sich brachte. Diese Art Verliebtheit kannte er, aber das hier fühlte sich anders an. Es war ungezwungen und angenehm, als ließe er sich in ein warmes Wasserbecken gleiten statt in einen Whirlpool.
Nein, dass er sie liebte, konnte er nicht behaupten, doch er vermisste sie trotzdem, wenn sie nicht da war. Vermisste den Klang ihrer Stimme und das Klappern ihrer klobigen Schuhe auf seinen Fliesenböden.
Er war auch gern mit ihr zusammen. Er redete gern mit ihr und brachte sie gern zum Lachen. Ihm gefielen die unerwarteten Wendungen, die ihre Gedanken nahmen, und ihr Sinn für Humor. Ihm gefiel, dass sie sich für impulsiv hielt, obwohl sie eindeutig alles um sich herum kontrollierte. Ihm gefiel der Ausdruck in ihren Augen, wenn sie entschlossen war zu kriegen, was sie wollte.
Nein, das gefiel ihm nicht an ihr. Er liebte das an ihr. Er liebte es, wie sie ihn anfasste und küsste und die Kontrolle übernahm. Er liebte die Dinge, die sie mit ihren Händen und ihrem Mund mit ihm anstellte, und die gehauchten kleinen Laute, die sie von sich gab, wenn er sie anfasste. Er liebte es, ihr ins Gesicht zu sehen, wenn er tief in ihr vergraben war. Wenn der entschlossene Ausdruck in ihren Augen träge wurde, benommen, wenn er in sie stieß. Und vor allem liebte er die festen Kontraktionen ihrer Scheidenwände, die ihn packten, fest zusammenpressten und ihm einen Orgasmus aus tiefster Seele entlockten.
Wenn er an den Tag zurückdachte, als sie zum ersten Mal auf seiner Veranda gestanden hatte, war er heilfroh, dass ihre Entschlossenheit, die ihn damals tierisch genervt hatte, dieselbe Entschlossenheit war, die sie zum Bleiben veranlasst hatte. Sie hätte weiß Gott einen besseren Job kriegen können. Lukrativer noch dazu.
Er war nicht mehr derselbe wie vor acht Monaten. Er war kein Eishockey-Superstar mehr. Er lebte nicht mehr auf großem Fuß. Sportjournalisten hatten kein Interesse mehr an ihm, und Angebote für millionenschwere Werbeverträge blieben aus. Er war ein kaputter Ex-Profisportler, der morgens mit Muskelschmerzen aufwachte und die Hälfte der Zeit einen Gehstock brauchte.
Er fuhr ins Parkhaus und stellte den Wagen neben dem Fahrstuhl ab. Chelsea schien das nichts auszumachen. Bei ihr fühlte er sich wieder lebendig. Wie ein Mann, aber es war mehr als nur Sex. Wäre es nur darum gegangen, hätte es jede Frau getan. Es war die Art, wie sie ihn ansah. Als sähe sie seine Narben und sein kaputtes Leben nicht. Sie war bei ihm geblieben, während andere das Weite gesucht hatten. Warum, wusste er nicht. Er dankte einfach nur Gott dafür, dass sie noch Teil seines Lebens war.
Es war jetzt zwei Monate her, seit er die Key Arena zuletzt betreten hatte. Acht Monate seit seinem letzten Spiel. An jenem Abend hatte er gegen die Penguins einen Hattrick erzielt. Er hatte geglaubt, sein Leben sei einzigartig. Er war der glücklichste Mensch auf der Welt gewesen.
Er fuhr mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock. Dumm gelaufen. Das Leben änderte sich. Es war Zeit, nach vorne zu blicken und die Vergangenheit loszulassen. Die Türen glitten auf, und Connie Backus, Leiterin der Abteilung für Zusatzleistungen und Entschädigungen, stand vor ihm. Er kannte Connie aufgrund zahlreicher Auseinandersetzungen wegen seiner Pflegerinnen.
»Hallo, Mark.«
Er hielt ihr die Tür auf. »Hallo, Connie.«
»Sie sehen gut aus«, flötete sie und drückte einen Stapel Akten an ihre Brust.
»Danke. Ich fühle mich auch endlich wieder gut.«
»Ich hab neulich mit Chelsea Ross gesprochen. Sie sagte, Sie kämen miteinander klar.«
Das konnte man laut sagen. »Alles wunderbar. Kein Grund zur Sorge.«
»Gut. Wir waren etwas beunruhigt, als wir sie vor ein paar Wochen auf der Pokal-Party in einem Herrenjackett gesehen haben. Wir dachten, es wäre vielleicht Ihres.«
Er sah auf seine Uhr. Schon zwei Minuten zu spät. »War es auch. Ihr war kalt. Keine große Sache.«
»Gut.« Connie trat zu ihm in den Fahrstuhl, und Mark ließ die Hand sinken. »Wir würden nur ungern annehmen, dass sie versucht, sich das Prämiengeld auf andere Art und Weise zu verdienen.« Connie drückte einen Knopf und lachte, als teilten sie einen kleinen privaten Scherz.
Die Türen glitten langsam zu, und er hob die Hände und schob sie wieder auf. »Welche Prämie?«