Ehe überhaupt zu vollziehen. Erst nachdem sein Vater
gestorben und er als Shah sein Nachfolger in Shiraz geworden
war - und Shams dreißig oder gar noch mehr Jahre zählte -,
kam ihr einziges Kind zur Welt, leider auch nur eine Tochter.
Diese war gleichfalls wunderschön, hat man mir gesagt, doch
mit ihrer Mutter konnte sie sich nicht vergleichen. Das war
Zahd, die jetzt Shahryar von Baghdad ist; sie muß, wenn ich
mich nicht irre, selbst schon eine fast erwachsene Tochter
haben.«
»Ja, das hat sie«, wisperte ich ganz leise.
Vizan fuhr fort: »Hätte es diese Ereignisse, von denen ich
erzählt habe, nicht gegeben -und hätte Prinzessin Shams eine
andere Wahl getroffen -, wer weiß, vielleicht wäre ich dann
immer noch...« Wieder stocherte er im Feuer herum, doch die
Glut wurde immer fahler und erlosch. »Ach ja, mich packte es,
in die Wildnis zu gehen und zu suchen. Ich suchte, und was ich
fand, das war die wahre Religion und diese meine
umherziehenden Brüder, und mit ihnen ein neues Leben.
Irgendwo nähre ich die geringe Hoffnung, dermaleinst in den
Himmel zu kommen... und im Himmel, wer weiß...?«
Die Stimme schien ihm zu versagen. Er sagte nichts mehr,
wünschte uns nicht einmal mehr eine gute Nacht, sondern
stand einfach auf, ging fort -wirbelte den Geruch von
Schafwolle und Schafsmist auf - und verschwand in seinem von
den Unbilden der Witterung mitgenommenen und oft geflickten
kleinen Zelt. Nein, ich habe ihn nie für den Prete Zuäne der
Legenden gehalten.
Als auch mein Vater und Onkel sich in ihre Decken eingerollt
hatten, saß ich noch lange gedankenverloren an der fast
erloschenen Glut und versuchte im Geist, die alte Großmutter
mit der unvergleichlich schönen Prinzessin Sonnenlicht in
Einklang zu bringen. Ich war verwirrt. Wenn Vizan sie heute sähe - würde er dann die betagte und häßliche Alte in ihr sehen oder die herrliche Jungfrau, die er einst gekannt hatte? Und ich, würde ich weiterhin Abscheu empfinden, weil sie auch in ihrem hohen Alter, da man sie als Frau kaum noch anerkennen konnte, weiterhin von den Sehnsüchten einer Frau getrieben wurde? Oder sollte ich Mitleid mit ihr haben, weil sie gezwungen war, zu Täuschungen Zuflucht zu suchen, bloß um diese Sehnsüchte zu befriedigen, wo sie einst jeden Prinzen hätte haben können?
Oder noch anders: Sollte ich mich selbst beglückwünschen und mich darüber freuen, die Prinzessin Sonnenlicht genossen zu haben, nach der eine ganze Generation von Männern sich einst vergeblich verzehrt hatte? Da ich diesen Gedanken weiterverfolgte, merkte ich, daß ich Gegenwart und Vergangenheit mit Gewalt in eines zusammenzudrängen versuchte und mich plötzlich noch weniger greifbaren Fragen gegenübersah -denn ich fragte mich plötzlich: Beruht die Unsterblichkeit auf der Erinnerung? Doch mit so tiefer Metaphysik konnte mein Geist einfach nicht fertig werden.
Meinen Geist gibt es immer noch, wie die meisten Geister. Aber eines weiß ich heute, was ich damals nicht wußte. Ich weiß es aus eigener Erfahrung und aus Selbstkenntnis heraus. Der Mensch bleibt irgendwo tief in seinem Inneren immer im selben Alter. Nur sein Äußeres wird älter -seine körperliche Hülle sowie die wiederum sie umgebende Hülle, welche die ganze Welt ist. Im Inneren erreicht er ein gewisses Alter, und in diesem bleibt er für den Rest seines Lebens stehen. Dieses beständig gleichbleibende innere Alter mag von Mensch zu Mensch
verschieden sein. Im allgemeinen, so nehme ich an, verfestigt es sich wohl im frühen reifen Erwachsenensein, da der Geist Erwachsenen-Bewußtsein und Erwachsenen-Schärfe erlangt hat, ohne daß Gewohnheit und Desillusion ihn hat erstarren lassen; wenn der Körper voll ausgewachsen, aber noch neu ist und das Feuer des Lebens spürt, nicht aber bis jetzt die As che des Lebens. Kalender, Spiegel und Eifer von Jüngeren können einem Menschen sagen, daß er alt ist; er sieht auch von sich aus, daß die Welt und alles um ihn herum gealtert sind insgeheim jedoch weiß er, daß er immer noch ein junger Mann von achtzehn oder zwanzig Jahren ist.
Und was ich vom Manne behauptet habe, habe ich behauptet, weil ich eben ein Mann bin. Dasselbe muß aber noch mehr auf eine Frau zutreffen, der noch viel mehr als einem Mann daran gelegen sein muß, Jugend, Schönheit und Lebenskraft zu schätzen und zu bewahren. Ich bin sicher, nirgends gibt es eine Frau vorgerückten Alters, die in sich nicht das junge Mädchen birgt. Ich glaube, daß die Prinzessin Shams -auch als ich sie kannte -in ihrem Spiegel immer noch die strahlenden Augen, die Rosenlippen und die Weidenbiegsamkeit ihrer Anmut sah, die ihr Freier Vizan auch über ein halbes Jahrhundert, nachdem er Abschied von ihr genommen, immer noch sehen konnte genauso wie er den Duft des Klees nach dem Regen riechen konnte, den köstlichsten Duft, den Gott auf der Erde hat entstehen lassen.
DIE GROSSE SALZWÜSTE
Kashan war die letzte Stadt, in der wir im bewohnbaren grünen Teil Persiens Station machten; östlich davon erstreckte sich die leere Ödnis, die da Dasht-e-Kamroder Große Salzwüste heißt. Einen Tag vor unserem Eintreffen in dieser Stadt sagte der Sklave Nasenloch:
»Seht, ihr Herren, das Lastkamel hinkt. Ich nehme an, es hat sich den Huf wundgescheuert. Wenn die Stelle nicht vorher ausheilt, könnte uns das in der Wüste böse Überraschungen bringen.«
»Kameltreiber bist du«, sagte mein Onkel. »Was rätst du uns
als solcher?«
»Die Behandlung ist einfach, Herr. Ein paar Tage Ruhe für das
Tier. Drei Tage sollten reichen.«
»Nun denn«, sagte mein Vater. »Dann werden wir in Kashan Station machen und werden diesen Aufenthalt nutzen. Fülle unseren Reiseproviant wieder auf. Laß unsere Kleider waschen und so weiter!«
Während der Reise von Baghdad bis hierher hatte Nasenloch sich so trefflich und so unterwürfig angestellt, daß wir seine Neigung zu grobem Unfug ganz vergessen hatten. Doch bald hatte zumindest ich Grund zu der Annahme, daß der Sklave dem Kamel die kleine Wunde absichtlich beigebracht hatte, bloß um zu ein paar freien Tagen zu kommen.
Wichtigstes Gewerbe in der Stadt (und auch der Ursprung des Namens Kashan) war seit Jahrhunderten die Herstellung von kashi oder Mosaiksteinen, wie wir sagen; jener kunstvoll glasierten Steinplättchen, die in der gesamten muslimischen Welt zur Verschönerung der mashid-Tempel, Paläste und anderer Prachtbauten Verwendung finden. Hergestellt werden diese kashi in geschlossenen Werkstätten, so daß man nichts davon sieht; weit augenfälliger bot sich uns jedoch Kashans zweitwichtigster Handelsartikel dar, als wir in die Stadt einritten:
ihre schönen Knaben und jungen Männer. Bei den Mädchen und Frauen, die wir auf den Straßen sahen, jedenfalls soweit wir das durch ihren chador hindurch erkennen konnten -, handelte es sich um das Gemisch, dem man im Orient überall begegnet: von nichtssagend bis hübsch und hier und da etwas wirklich bemerkenswert Schönem. Im Gegensatz dazu waren fast ausnahmslos alle jungen Männer von auffallend schönem Gesichtsschnitt und Körperbau und herrlicher Haltung. Wieso das so ist, kann ich nicht sagen. Das Kashaner Klima sowie Essen und Wasser dort unterschieden sich in nichts von dem, was wir auch sonst in Persien angetroffen hatten, und ich vermochte auch nichts Besonderes in und an jenen Einheimischen erkennen, die in dem Alter standen, Mütter und Väter besagter junger Männer zu sein. Ich habe daher nicht die geringste Ahnung, wieso ihre männlichen Sprößlinge den Knaben und jungen Männern anderswo so weit überlegen waren -aber das waren sie, daran ist nicht im geringsten zu zweifeln.
Selbstverständlich, da ich selbst ein junger Mann war, hätte ich es vorgezogen, in das Gegenstück von Kashan -Shiraz einzureiten, wo es dem Vernehmen nach ebenso viele wunderschöne Frauen geben soll. Dennoch -selbst mein nicht sonderlich empfängliches Auge mußte bewundern, was es in Kashan zu sehen bekam. Die Knaben und Jünglinge waren weder schmutzig noch verpickelt oder grindig; sie besaßen eine makellos reine Haut, schimmerndes Haar, blitzende Augen und eine helle, nahezu durchscheinend wirkende Hautfarbe. Auch machten sie kein finsteres Gesicht oder standen mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf da; vielmehr reckten sie sich frei und stolz und hatten einen offenen Blick. Sie redeten auch nicht schlampig und undeutlich, sondern befleißigten sich einer klaren und verständlichen Sprache. Einer wie der andere, gleichgültig, welcher Schicht er angehörte, war so hübsch und reizvoll wie Mädchen -und zwar wie Mädchen von hoher Geburt, wohlerzogen und mit guten Umgangsformen. Die kleineren Jungen waren wie die köstlichen kleinen Cupidi, die wir aus den Bildern der alexandrinischen Künstler kennen. Die größeren hingegen wirkten wie die Engel auf den Tafelbildern von San Marco. Obwohl ehrlich beeindruckt und sogar ein wenig neidisch auf sie, gab ich das nach außen hin nicht zu erkennen. Schließlich schmeichelte ich mir, nicht gerade ein häßliches Beispiel meines Geschlechts und meines Alters zu sein. Meine drei Reisebegleiter jedoch konnten sich nicht genugtun, immer wieder Rufe des Erstaunens auszustoßen.
»Non persiani, ma preziom -keine Perser, sondern Schmuckstücke sind das«, ließ mein Onkel sich bewundernd vernehmen.
»Ein köstlicher Anblick, ja«, sagte mein Vater.
»Wahre Juwelen«, erklärte Nasenloch und blickte sich lüstern um. »Sind sie nun alle junge Eunuchen«, fragte mein Onkel, »oder
dazu bestimmt, dazu gemacht zu werden?« »Aber nein, Mirza Mafio«, sagte Nasenloch. »Sie können genauso gut geben wie nehmen, falls Ihr versteht, was ich meine. Weit entfernt, in ihrem Geschlecht etwa verstümmelt zu sein, hat man sie in ihren unteren Regionen sogar noch verbessert. Das heißt, man hat sie zugänglicher und aufnahmewilliger gemacht, falls Ihr wißt, was ich meine. Begreift Ihr die Bedeutung der Wörter fa'il und mafa'ul.Nun, alfa'il bedeutet, ›der, der tut‹, und al-mafa'ul, ›der, dem es getan wird‹. Die Kashaner Knaben werden herangezogen, um schön zu sein, und dazu erzogen, willfährig zu sein; außerdem werden
sie körperlich -nun ja -sagen wir: angepaßt, so daß sie gleichermaßen köstlich sind als al-fa'il wie als al-mafa'ul.«. »Nach dem, was du sagst, sind sie also weniger engelhaft, als
sie aussehen«, sagte mein Vater voller Abscheu. »Aber Shah Zaman hat gesagt, die jungfräulichen Knaben, die er als Geschenke an andere Herrscher weitergibt, beziehe er hier aus Kashan.«
»Ach, die jungfräulichen Knaben - das ist etwas anderes. Solche werdet Ihr auf der Straße nicht zu sehen bekommen, Mirza Nicolö. Die werden genauso streng in pardah gehalten,
als wären sie jungfräuliche Prinzessinnen. Denn ihnen bleibt es
vorbehalten, die Konkubinen jener Fürsten und anderer reicher
Männer zu werden, die nicht nur einen anderun unterhalten,
sondern deren zwei: einen für Frauen und einen für Knaben.
Bis die jungfräulichen Knaben gleichsam geschenkreif sind,
halten ihre Eltern sie in einem Zustand ständiger Trägheit. Die
Jungen tun den ganzen Tag nichts weiter als sich auf daiwan-
Kissen zu räkeln und werden zwangsweise mit gekochten
Kastanien ernährt.«
»Gekochten Kastanien? Warum um alles in der Welt denn
das?«
»Durch eine solche Ernährung werden sie unendlich pummelig
und bekommen eine ganz blasse Haut; sie werden so weich,
daß man mit dem Finger kleine Gruben in sie hineindrücken
kann. Knaben von solch madenförmigem Aussehen werden
von den Zulieferern für die anderunass ganz besonders hoch
geschätzt. Über Geschmack läßt sich wahrhaftig nicht streiten.
Ich persönlich ziehe einen sehnig-geschmeidigen und
athletischen Jungen bei weitem vor und mache mir überhaupt
nichts aus so einem trägen, wabbeligen...«
»Der Verruchtheit ist hier offensichtlich genug«, schnitt mein
Vater ihm das Wort ab. »Erspar uns die deine.«
»Wie Ihr befehlt, Herr. Gestattet mir nur noch zu bemerken, daß
jungfräuliche Knaben sehr, sehr teuer sind und nicht gedungen
werden können. Doch andererseits -seht selbst! Selbst die
Straßenrangen hier sind wunderschön! Man kann sie für wenig
Geld kaufen, um sie zu behalten, oder für noch geringeres
Entgelt für einen schnellen...«
»Schweig! habe ich gesagt«, versetzte mein Vater bissig. »Sag
lieber, wo wir unterkommen können.«
»Gibt es nicht so etwas wie eine jüdische karwansarai« mischte
mein Onkel sich ein. »Ich würde zur Abwechslung gern wieder
einmal richtig essen.«
Diese Bemerkung muß ich erklären. In den vergangenen
Wochen hatten wir, wie nicht anders zu erwarten, festgestellt,
daß die meisten Gasthäuser unterwegs Muslime gehörten;
einige waren freilich auch von nestorianischen Christen betrieben worden. Die entartete Ostkirche beachtet jedoch soviel Fasten-und Festtage, daß praktisch jeder Tag entweder das eine oder das andere ist. Folglich hatten wir in diesen Stätten der Gastlichkeit entweder fromm hungern oder uns fromm überfressen müssen. Außerdem befanden wir uns in jenem Monat, den die persischen Muslime ramazan nennen. Das bedeutet eigentlich ›Heißer Monat‹, doch da der islamische Kalender dem Mond folgt, fällt der ›Heiße Monat‹ in jedem Jahr in eine andere Zeit; er kann genauso gut auf den Januar wie auf den August fallen oder irgendwo dazwischen liegen. Doch wann auch immer -kommt der ramazan, heißt es für die Muslime fasten. Ein Muslim darf an jedem einzelnen der dreißig Tage des ramazan von der Morgenstunde an, da man einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kann, bis zum Einbruch der Nacht weder essen noch trinken noch sich der Fleischeslust zwischen Mann und Frau hingeben. Auch darf er in dieser Zeit keinem Gast, welcher Religion dieser auch sei, irgendwelchen Verzehr anbieten. So hatten wir Reisenden tagsüber in keinem muslimischen Gasthaus auch nur eine Kelle Brunnenwasser erhalten können; in der Nacht jedoch hatten wir uns in ebendiesen selben Stätten der Gastlichkeit bis zur Besinnungslosigkeit mit Essen vollstopfen können. Aus diesem Grunde hatten wir schon seit geraumer Zeit mit Verdauungsbeschwerden zu tun, und so entsprang Onkel Mafios Vorschlag keineswegs irgendeiner Grille oder Laune des Augenblicks.
Ich brauche wohl kaum darauf hinzuweisen, daß die Juden im Orient selten darauf verfallen, vorüberziehenden Fremden gegen Entgelt eine Lagerstatt und Essen zur Verfügung zu stellen - was sie ja im Abendland auch nur selten tun -, und das auch zweifellos schon allein deshalb, weil das weit weniger profitbringend und mit mehr Arbeit verbunden ist als das Verleihen von Geld und andere Formen des Wuchers. Doch wie dem auch sei, unser Sklave Nasenloch war ein überaus findiger Bursche. Es bedurfte bei ihm nur weniger Erkundigungen bei Vorübergehenden, da erfuhr er von einer älteren jüdischen Witwe, deren Haus neben einem schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzten Stall gelegen war. Dorthin führte Nasenloch uns und schaffte es, bei der Witwe vorgelassen zu werden, und erwies sich offenbar als ein überaus beredter und überzeugender Abgesandter. Als er wieder aus ihrem Haus herauskam, berichtete er, sie gestatte, daß wir unsere Kamele in ihren Stallungen unterbrächten und wir selbst in dem darüber-gelegenen Heuboden nächtigten.
»Außerdem«, erklärte er, als wir unsere Reittiere hineinführten und uns anschickten, sie von ihren Traglasten zu befreien, »hat die Almauna Esther eingewilligt, uns -da all ihre Diener Kashaner Perser sind, die sich den Vorschriften des ramazan zu beugen haben -eigenhändig zu bekochen und zu beköstigen. Ihr werdet also wieder zur gewohnten Zeit essen können, und sie hat mir versichert, sie sei eine gute Köchin. Und die Bezahlung, die sie verlangt, ist auch nicht übertrieben.«
Mein Onkel starrte den Sklaven fassungslos an und sagte dann geradezu ehrfürchtig: »Du bist ein Muslim, also das, was ein Jude am meisten verachtet, und wir sind Christen, also das, was sie gleich danach am meisten verachten. Wenn das nicht schon ausreichte, Witwe Esther zu veranlassen, uns davonzujagen, mußt du doch das ekelerregendste und abstoßendste Geschöpf sein, das sie jemals erblickt. Wie in Gottes Namen hast du all dies zuwege gebracht«
»Ich mag zwar nur ein Sindi und Sklave sein, Herr, aber dumm und einfallslos bin ich nicht. Außerdem kann ich lesen und habe schließlich Augen im Kopf.«
»Dazu gratuliere ich dir. Trotzdem beantwortet das weder
meine Frage, noch wirst du deshalb weniger häßlich.« Nachdenklich kratzte Nasenloch sich den schütteren Bart. »Mirza Mafio, Ihr werdet in den heiligen Büchern Eurer und meiner Religion und auch in dem der Almauna Esther das Wort Schönheit zwar oft erwähnt finden, niemals jedoch das Wort Häßlichkeit, jedenfalls nicht in besagten Schriften. Vielleicht fühlen sich unsere verschiedenen Götter durch das häßliche Aussehen von so etwas Geringem wie einem Sterblichen nicht beleidigt, und vielleicht ist die Almauna Esther eine gottesfürchtige Frau. Gleichviel -denn noch ehe diese heiligen Bücher geschrieben wurden, gehörten wir ein und derselben Religion an -meine Ahnen, die der Almauna und vielleicht auch die Euren -, der alten babylonischen Religion nämlich, die jetzt als heidnisch verteufelt wird.«
»Unverschämter Emporkömmling! Wie kannst du es wagen, so etwas Ungeheuerliches zu behaupten?« herrschte mein Vater ihn an. »Der Name der Almauna lautet Esther«, fuhr Nasenloch ungerührt fort, »und es gibt auch christliche Damen, die diesen Namen tragen. Selbiger leitet sich von der furchtbaren Göttin Ishtar her. Der verstorbene Gatte der Almauna, so hat sie mir gesagt, hieß Mordecai, und dieser Name wiederum leitet sich von dem furchtbaren Gott Marduk her. Aber längst ehe es diese Götter in Babylon gab, gab es Noah und seinen Sohn Sein, und die Almauna und ich sind Abkömmlinge ebendieses Sein. Nur die späteren Unterschiede unseres Glaubens trennen uns Semiten; allzu trennend kann dieser Unterschied jedoch nicht sein. Denn Muslime und Juden meiden gewisse Speisen, beide besiegeln wir durch die Beschneidung unserer Söhne unseren Glauben, beide glauben wir an die himmlischen Engel und verabscheuen denselben Feind, ob dieser nun Satan genannt wird oder Shaitan. Beide halten wir die heilige Stadt Jerusalem hoch in Ehren. Vielleicht wißt Ihr nicht, daß der Prophet (Der Friede und der Segen seien mit Ihm!) uns Muslime ursprünglich angehalten hat, uns beim Verrichten unserer Andacht in Richtung Jerusalem zu verneigen und nicht nach Mekka. Die ursprünglich von den Juden wie von dem Propheten (Aller Segen und Friede ruhe auf Ihm!) gesprochene Sprachen unterschieden sich kaum voneinander, und...«
»... und Muslime wie Juden«, fiel mein Vater ihm trocken in die Rede, »haben Zungen, die in der Mitte an Scharnieren hängen, um nach beiden Seiten hin zungenfertig zu sein. -Kommt, Mafio und Marco. Gehen wir und machen wir unserer Gastgeberin selbst die Aufwartung. Nasenloch, du lädst weiter ab und schaffst dann Futter für die Kamele herbei.«
Die Witwe Esther war eine weißhaarige kleine Frau mit einem liebenswerten Gesicht und begrüßte uns mit einer Freundlichkeit, als wären wir keine Christen. Sie ließ es sich nicht nehmen, uns zum Platznehmen zu nötigen und das zu trinken, was sie ihren »Aufmunterer für Reisende« nannte und was sich als heiße, mit Kardamom gewürzte Milch erwies. Die Dame bereitete dies Getränk höchst eigenhändig, denn noch war die Sonne nicht untergegangen, und noch wäre es keinem ihrer muslimischen Diener eingefallen, die Milch zu erhitzen oder das Gewürz im Mörser zu zerstoßen.
Es machte in der Tat ganz den Eindruck, als ob diese jüdische Dame eine, wie mein Vater sich auszudrücken beliebt hatte, in der Mitte an Scharnieren aufgehängte Zunge hätte, denn sie plauderte unausgesetzt und hielt uns damit eine ganze Weile fest. Oder vielmehr war es so, daß mein Vater und mein Onkel mit ihr plauderten; ich für mein Teil sah mich um. Das Haus war früher offensichtlich einmal ein sehr vornehmes und üppig eingerichtetes Haus gewesen, das jedoch -nach des Hausherrn Mordecai Tod, wie ich vermutete -ziemlich heruntergekommen war, denn jetzt machte die Einrichtung einen eher schäbigen Eindruck. Es gab offensichtlich immer noch die gleiche Dienerschaft doch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Dienstboten nicht des Lohnes wegen blieben, sondern aus Treue ihrer Herrin Esther gegenüber und - was diese freilich nicht ahnte -weil sie hier Gelegenheit hatten, an der Hintertür Wäsche zum Waschen entgegenzunehmen oder durch irgendeinen anderen frommen Betrug dieser Art ihren eigenen Lebensunterhalt als auch den ihrer Herrin zu verdienen.
Zwei oder drei von den Dienstboten waren so alt und so wenig bemerkenswert wie ihre Herrin, doch drei oder vier andere gehörten zu den übernatürlich hübschen Khasaner Knaben und jungen Männern. Bei einem Dienstboten handelte es sich, wie ich freudig bemerkte, um eine junge Frau, genauso hübsch wie die jungen Männer, ein Wesen mit kastanienrotem Haar und üppigem Leib. Um mir die Zeit zu vertreiben, während die Witwe daherredete, spielte ich dieser Dienerin gegenüber den cascamorto, warf ihr schmachtende Blicke zu und bedachte sie mit einem vielsagenden Augenzwinkern. Wenn ihre Herrin nicht gerade hinsah, ging sie darauf ein und erwiderte mein Lächeln.
Während das Kamel sich am nächsten Tag ausruhte und auch die vier anderen sich von den Anstrengungen erholten, gingen wir Reisende jeder für sich hinaus in die Stadt. Mein Vater wollte sich eine kashi-Werkstatt ansehen, um etwas über die Herstellung dieser kleinen Fliesenplättchen zu erfahren; er hielt dies für ein nützliches Gewerbe, das den Handwerkern in Kithai beizubringen sich später vielleicht einmal lohnte. Unser Kameltreiber Nasenloch ging, um irgendeine Salbe für den geschundenen Huf des Kamels zu kaufen, und Onkel-Mafio ging, seinen Vorrat an dem Enthaarungsmittel mumum zu ergänzen. Wie es sich herausstellte, bekam keiner das, was er suchte, weil während des ramazan kein Mensch in Kashan arbeitete. Da ich selber nichts Bestimmtes vorhatte, ging ich einfach spazieren und machte meine Beobachtungen.
Wie ich das fortan in jeder noch weiter im Osten gelegenen Stadt erleben sollte, schwebten am Himmel über Kashan unablässig zahllose der großen, dunklen, schwalbenschwänzigen Aasgeier, drehten ihre Kreise und fuhren im Sturzflug herab. Und genauso wie in jeder anderen von hier an ostwärts gelegenen Stadt schien der zweithäufigste Vogel dortselbst ständig auf der Erde damit beschäftigt, Aas zu vertilgen. Bei letzterem handelt es sich um den Hirtenstar, der angriffslustig einherstolzierte und dabei den unteren Schnabel vorschob wie ein kleines Männchen, das streitsüchtig das Kinn reckt. Und was sonst an Bewohnern Kashans noch auffiel, waren selbstverständlich die vielen hübschen auf der Straße spielenden Knaben. Sie sangen ihre Lieder zum Prellballspiel, zum Versteckspiel und zum Ringelreihen genauso wie die venezianischen Kinder, nur daß die Lieder hier sich eher anhörten, als schrien irgendwelche Katzen. Nicht anders übrigens hörten sich die Instrumente an, die von Musikanten gespielt wurden, die nach bakhshish heischten. Sie schienen übrigens keine anderen Instrumente zu kennen als den changal, der nichts anderes ist als eine guimbarde oder
Judenharfe, und die chimta, die nichts anderes ist als eine
eiserne Küchenzange, so daß ihre Musik nichts anderes war
als ein aus Schwirren und Klirren bestehender Ohrengraus. Ich
glaube, die Vorübergehenden, die ihnen ein oder zwei kleine
Münzen hinwarfen, taten das nicht, um für die Unterhaltung zu
danken, sondern um diese zumindest für einen kurzen
Augenblick zu unterbrechen.
Ich bin an diesem Morgen nicht weit gegangen, denn mein
Spaziergang brachte mich wie im Kreis durch die Straßen
zurück, und so stellte ich bald fest, daß ich mich dem Haus der
Witwe wieder näherte. Aus dem Fenster winkte mir die hübsche
Dienerin, gerade so, als hätte sie nur darauf gewartet, daß ich
vorüberkäme. Sie ließ mich ins Haus eintreten und führte mich
in einen Raum, der mit einigermaßen abgetretenen qali und
daiwan-Kissen ausgestattet war, und sagte mir im Vertrauen,
ihre Herrin sei anderweitig beschäftigt; im übrigen heiße sie
Sitare, was soviel heiße wie Stern.
Wir setzten uns auf einen Haufen Kissen. Da ich längst kein
unerfahrener Grünschnabel mehr war, bedrängte ich sie nicht
mit ungeschickter jugendlicher Gier. Ich begann vielmehr mit
leisen Worten artig Komplimente zu drechseln und rückte ihr
erst nach und nach etwas näher, bis mein Geflüster in ihren
hübschen Ohren sie so kribbelig machte, daß sie hin-und
herrutschte und kicherte; erst da hob ich den chador-ScUeier in
die Höhe, näherte meine Lippen den ihren und küßte sie ganz
zart.
»Das ist nett, Mirza Marco«, sagte sie. »Aber Ihr braucht keine
Zeit zu verschwenden.«
»Ich halte das keineswegs für Zeitverschwendung«, sagte ich.
»Denn ich genieße das Vorspiel genauso wie die Erfüllung. Wir
können uns den ganzen Tag Zeit dafür nehmen, wenn...«
»Ich meine, Ihr braucht Euch durchaus nicht mit mir
abzugeben.«
»Du bist ein sehr verständiges Mädchen, Sitare, und sehr
freundlich. Nur muß ich dir sagen, daß ich kein Muslim bin. Ich
brauche am ramazan nicht enthaltsam zu sein.«
»Ach, daß Ihr ein Ungläubiger seid, macht nichts.«
»Es erfreut mein Herz, das zu hören. Dann laß uns zur Tat
schreiten.«
»Gern. Entlaßt mich nur aus Eurer Umarmung, und ich werde
ihn holen.«
»Wie bitte?«
»Ich habe es Euch doch gesagt. Ihr braucht nicht fortzufahren,
mit mir zu tun als ob. Er wartet bereits darauf
hereinzukommen.«
»Wer wartet?«
»Mein Bruder Aziz.«
»Warum zum Teufel sollte dein Bruder den Wunsch haben, hier
mit uns zusammenzusein?«
»Nicht mit uns. Mit Euch. Ich werde verschwinden.«
Ich lockerte meine Umarmung, setzte mich auf und sah sie an.
»Entschuldige mich, Sitare«, sagte ich ganz auf meiner Hut,
und da ich einfach nicht wußte, wie sie anders fragen, fragte ich
sie rundheraus: »Bist du vielleicht divane?«. Divane aber heißt
verrückt.
Ehrlich verblüfft sah sie mich an. »Ich bin natürlich davon
ausgegangen, daß Ihr die Ähnlichkeit bemerkt habt, als Ihr
gestern abend hier wart. Aziz ist der Junge, der so aussieht wie
ich, auch rotes Haar hat wie ich - nur daß er noch viel hübscher
ist als ich. Sein Name bedeutet soviel wie Geliebter. Gewiß
habt Ihr mich deshalb doch angelächelt und mir zugezwinkert?«
Jetzt war es an mir, verblüfft zu sein. »Und wenn er so hübsch
wäre wie eine peri, warum sollte ich dir dann schöne Augen
machen - außer, du wärest diejenige, die ich...?«
»Und ich sage Euch, es bedarf keines Vorwands. Aziz hat Euch
gleichfalls angesehen und war augenblicklich entzückt; und
jetzt wartet er begierig draußen...«
»Und mir soll es gleich sein, ob Aziz für alle Ewigkeit im
Fegefeuer schmort!« rief ich nun doch erzürnt. »Laß es mich so
deutlich sagen, wie ich kann. Ich bin im Augenblick dabei, dich
zu verführen, mir zu Willen zu sein.«
»Mich? Ihr möchtet mit mir zina begehen? Und nicht mit
meinem Bruder Aziz?«
Für einen Moment hämmerte ich auf einem Kissen herum, das
mir überhaupt nichts getan hatte, doch dann sagte ich: »Sag
mir eines, Sitare. Verausgabt jedes Mädchen in ganz Persien
ihre Energie damit, die Kupplerin für jemand anders zu
spielen?«
Darüber mußte sie nachdenken. »In ganz Persien? Das weiß
ich nicht. Aber hier in Kashan, jawohl, hier ist das oft der Fall.
Es ist die Folge eines feststehenden Brauchs. Ein Mann sieht
einen anderen Mann, oder einen Knaben, und ist von ihm
entflammt. Nur ihm rundheraus den Hof machen kann er nicht,
denn das verstößt gegen das Gesetz des Propheten.«
»Friede und Segen seien mit Ihm!« brummelte ich.
»Jawohl. Und deshalb macht der betreffende Mann der
nächsten Blutsverwandten des anderen Mannes den Hof.
Notfalls heiratet er sie sogar. Denn dann hat er einen Vorwand,
in der Nähe dessen zu sein, den sein Herz eigentlich begehrt den Bruder der Frau vielleicht oder ihren Sohn, wenn es sich
um eine Witwe handelt, oder gar ihren Vater -und hat dann jede
Gelegenheit, zina mit ihm zu begehen. Auf diese Weise,
versteht Ihr, wird der Anstand jedenfalls gewahrt.«
»Himmelherrgott!«
»Deshalb, meinte ich, machtet Ihr mir den Hof. Aber
selbstverständlich, wenn Ihr meinen Bruder gar nicht wollt,
könnt Ihr mich nicht haben.«
»Und warum das nicht? Du schienst erfreut, als du feststelltest,
daß ich dich wollte und nicht ihn.«
»Ja, das bin ich auch. Erfreut und erstaunt zugleich. Wer hätte
das gedacht -daß Ihr mich vorziehen würdet; eine christliche
Schrulle, möchte ich meinen. Aber ich bin nun einmal noch
Jungfrau und muß um meines Bruders willen auch Jungfrau
bleiben. Ihr seid mittlerweile durch viele muslimische Länder
gekommen, und so werdet Ihr dies eine begriffen haben. Das
ist der Grund, warum eine Familie ihre unberührten Töchter und
Schwestern in strenger pardah hält und eifersüchtig über ihre
Tugend wacht. Nur wenn eine Jungfrau unberührt bleibt oder eine Witwe keusch, kann sie hoffen, eine gute Ehe einzugehen. Zumindest hier in Kashan ist das so.«
»Nun, das ist mehr oder minder auch dort so, wo ich
herkomme...«, mußte ich zugeben. »Nun, ich werde mich bemühen, mich mit einem guten Mann zu verheiraten, der gut für uns beide sorgt und ein guter Liebhaber für uns ist, denn Aziz ist der einzige aus meiner Familie, den ich noch habe.«
»Moment, Moment«, sagte ich entsetzt. »Die Keuschheit einer Venezianerin ist häufig ein hoher Einsatz beim Feilschen und wird auch oft eingesetzt, um sich einen reichen Ehemann zu angeln und eine vorteilhafte Ehe zu schließen, gewiß. Doch das nur zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg der gesamten Familie. Willst du mir jetzt weismachen, die Frauen seien damit einverstanden, daß ein Mann sich nach einem anderen verzehrt, und bereit, ein Auge darüber zuzudrücken? Du würdest absichtlich die Frau eines Mannes werden, damit du ihn mit deinem Bruder teilen könntest?«
»Oh, nicht mit jedem Mann, der daherkommt«, sagte sie hochmütig. »Ihr solltet Euch geschmeichelt fühlen, daß Ihr mir und Aziz zugleich gefallen habt.«
»Gesü!«
»Euch mit Aziz zu paaren, verpflichtet Euch zu gar nichts,
versteht Ihr? Schließlich hat ein Mann kein sangar-Häutchen.
Wollt Ihr jedoch das meine durchstoßen, müßt Ihr mich schon
heiraten und uns beide nehmen.«
»Gesü!« Ich erhob mich von dem diwan.
»Ihr geht? Dann wollt Ihr mich also nicht? Und was ist mit Aziz?
Ihr wollt ihn nicht einmal, ein einziges Mal?«
»Ich glaube nicht, nein danke, Sitare.« Ich schlich mich zur Tür.
»Ich hatte einfach keine Ahnung von den Bräuchen hier in
Kashan.«
»Er wird untröstlich sein, zumal, wenn ich ihm auch noch sagen
muß, daß ich es war, die Ihr begehrt habt.«
»Dann tu's nicht«, murmelte ich. »Sag ihm einfach, ich hätte keine Ahnung gehabt von den Kashaner Bräuchen.« Damit ging ich zur Tür hinaus.
Zwischen Haus und Stallung eingeklemmt lag ein Kräuter-und Gemüsegärtlein, in dem Witwe Esther sich gerade aufhielt. Sie hatte nur einen Pantoffel an, der andere Fuß war nackt; den ausgezogenen Pantoffel hielt sie in der Hand und schlug damit auf den Boden ein. Neugierig näherte ich mich und sah, daß sie immer und immer wieder auf einen großen schwarzen Skorpion einhieb. Nachdem dieser bis zur Unkenntlichkeit zermalmt war, ging sie weiter und drehte einen Stein um; träge kroch ein zweiter Skorpion darunter hervor, und auch diesen erschlug sie.
»Anders wird man mit den häßlichen Viechern nicht fertig«, sagte sie zu mir. »Auf Beute gehen sie nachts aus, wenn man sie einfach nicht sehen kann. Deshalb muß man sie bei Tageslicht aufstöbern. Die Stadt ist völlig verseucht von ihnen. Warum, weiß ich nicht. Mein verstorbener guter Gatte Mordecai (alav ha-sholom) hat insgeheim immer gemurrt, der Herr habe sich schändlich geirrt, als er Ägypten bloß eine Heuschreckenplage schickte, wo er doch auch diese giftigen Kashaner Skorpione hätte können über die Ägypter herfallen lassen.«
»Euer Gatte muß ein mutiger Mann gewesen sein, Mirza Esther, wenn er es wagte, den Herrgott persönlich zu kritisieren!«
Sie lachte. »Lest nur Eure Heilige Schrift, junger Mann. Die Juden haben Gott von den Tagen Abrahams an immer Rügen wie Ratschläge erteilt. Ihr könnt schon im Ersten Buch Mosis nachlesen, wie Abraham sich seinerzeit mit dem Herrn angelegt und dann angefangen hat, mit Ihm zu feilschen. Mein Mordecai hat nicht minder Bedenken gehabt, Gottes Tun zu bekritteln.«
Ich sagte: »Ich habe mal einen Freund gehabt -der war Jude und hieß Mordecai.«
»Ein Jude und Euer Freund?« Das klang skeptisch, doch vermochte ich nicht zu sagen, ob sie bezweifelte, daß ein Christ mit einem Juden befreundet sein könne oder ein Jude mit einem Christen.
»Nun, jedenfalls war er Jude, als ich ihn kennenlernte und er selbst sich Mordecai nannte. Freilich scheine ich ihm unter anderem Namen und in anderer Gestalt immer wieder zu begegnen. Einmal habe ich ihn sogar im Traum gesehen.«
Dann berichtete ich von den verschiedenen Begegnungen und damit verbundenen Hinweisen, die offensichtlich alle darauf hinausgelaufen waren, mir unter die Nase zu reiben, wie »blutrünstig Schönheit« sei. Während ich erzählte, starrte die Witwe mich an, ihre Augen weiteten sich, und als ich fertig war, sagte sie:
»Bar maze Und dabei seid Ihr ein Goi. Was immer er Euch begreiflich zu machen versucht -ich kann Euch nur raten, es Euch zu Herzen zu nehmen. Wißt Ihr, wem Ihr da immer wieder begegnet? Das muß einer von den Lamed-vav sein. Einer von den sechsunddreißig.«
»Von den sechsunddreißig was?« »Tzaddikim. Laßt sehen - Heiligen, glaube ich, würden Christen sie wohl nennen. Es ist ein alter jüdischer Glaube. Daß es immer nur sechsunddreißig wahrhaft Gerechte auf der Welt gibt. Kein Mensch weiß, wer sie sind, und wüßte einer von ihnen, daß er dazugehört, würde das seine Vollkommenheit beeinträchtigen. Gleichwohl ziehen sie ständig durch die Welt und tun Gutes, nicht für Lohn noch Anerkennung. Manche behaupten, die Tzaddikim stürben nie. Andere hinwieder sagen, wenn ein Tzaddik sterbe, werde ein anderer guter Mensch von Gott dazu berufen, ohne daß er eine Ahnung hätte, welche Ehre ihm zuteil geworden ist. Noch andere behaupten, in Wahrheit gäbe es überhaupt nur einen einzigen Tzaddik, der, wenn er will, an sechsunddreißig Orten zugleich sein könne. Alle jedoch, die an diese Legende glauben, stimmen darin überein, daß Gott die Welt untergehen ließe, sollten die Lamedvav aufhören, ihre guten Werke zu verrichten. Eines freilich
muß ich sagen -daß ich noch nie von einem gehört habe, der
einem Goi Gutes angetan hätte.«
Ich sagte: »Derjenige, dem ich in Baghdad begegnet bin, war
vielleicht noch nicht einmal Jude. Er war ein fardarbab -
Zukunftsleser, und der hätte auch Araber sein können.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Die Araber haben eine ähnliche
Legende. Sie nennen den Gerechten einen abdal. Nur Allah
allein weiß, wer ein solcher abflaust, und nur ihretwegen läßt
Allah Hip Welt weiter existieren. Ich weiß nicht, ob die Araber
die Legende von unserem Lamed-vav entlehnt haben, oder ob
es dabei um eine Geschichte geht, die ihnen und uns
gemeinsam gehört hat seit der Zeit, da wir alle beide Kinder
Sems gewesen sind. Aber wer immer es auch ist, der Euch
begegnet, junger Mann -ein abdal, der einem Ungläubigen
seine Gunst zuteil werden läßt, oder ein Tzaddik, der einem Goi
wohlgesonnen ist -, Ihr gehört zweifellos zu den Bevorzugten
und solltet Euch dessen bewußt sein.«
Ich sagte: »Sie scheinen nie von anderem denn von Schönheit
und Blutrünstigkeit zu mir zu sprechen. Nun trachte ich bereits
nach dem einen und versuche das andere zu meiden, soweit
ich kann. Ich bedarf also kaum weiterer Ratschläge in bezug
auf eines von beiden Dingen.«
»Mir scheinen diese Dinge die beiden Seiten ein und derselben
Medaille zu sein«, sagte die Witwe und hieb wieder mit ihrem
Pantoffel auf einen Skorpion ein. »Wenn Schönheit Gefahr birgt
-birgt nicht auch Gefahr Schönheit» Oder aus was für einem Grunde sonst macht ein Mensch sich glücklich auf die Reise?«
»Ich? Ach, ich reise rein aus Neugier, Mirza Esther.«
»Nur aus Neugier? Hör sich das einer an! Junger Mann, nie
solltet Ihr die Neugier genannte Leidenschaft geringachten. Wo
blieb die Gefahr ohne sie und wo die Schönheit?«
Ich konnte nicht recht den Zusammenhang zwischen den drei Dingen erkennen, und abermals fragte ich mich, ob ich womöglich mit jemand redete, der leicht divane war. Ich wußte, daß alte Leute manchmal wunderlich Unzusammenhängendes
reden konnten, und genau so kam es mir vor, als sie jetzt
fortfuhr:
»Soll ich Euch die traurigsten Worte sagen, die ich jemals
gehört habe?«
Wie alte Leute nun einmal häufig sind, wartete sie mein Ja oder
Nein gar nicht erst ab, sondern fuhr einfach fort:
»Es waren die letzten Worte, die mein Mann Mordecai (alav hasho-lom) zu mir sagte. Als er schon im Sterben lag. Der
darshan war anwesend sowie andere Mitglieder unserer kleinen
Gemeinde; und ich selbstverständlich, in Tränen aufgelöst und
doch bemüht, meine Tränen still und würdevoll zu vergießen.
Mordecai hatte von allen Abschied genommen, hatte sein
Shema Yisrael gesprochen und sah dem Tod gefaßt entgegen.
Die Augen hatte er geschlossen, die Hände gefaltet, und wir
alle dachten, daß er friedlich entschlummerte. Doch dann ohne die Augen aufzumachen oder sich an jemand Bestimmtes
zu wenden -sprach er noch einmal ganz klar und deutlich. Und
was er sagte, war folgendes...«
Die Witwe führte mir stumm die Situation auf dem Sterbelager
vor. Sie schloß die Augen und kreuzte die Hände überm Busen,
wobei eine von ihnen immer noch einen schmutzigen Pantoffel
hielt; sie legte den Kopf ein wenig zurück und sagte mit
Grabesstimme:
»Ich habe immer hingehen wollen... und es tun... und doch
habe ich es nie getan.«
Die Witwe verharrte in dieser Pose; offensichtlich erwartete sie
von mir, daß ich etwas sagte. Und so wiederholte ich die Worte
des Sterbenden: »Ich habe immer hingehen wollen... und es
tun...« Und dann fragte ich: »Aber was hat er gemeint? Wohin
gehen? Und was tun?«
Die Witwe schlug die Augen auf und drohte mir mit dem
Pantoffel. »Genau das hat auch der darshan gefragt, nachdem
wir etwas gewartet hatten, ob er nicht noch mehr sagte. Er
lehnte sich über das Bett und sagte: ›Wohin gehen, Mordecai?
Und was tun?‹ Aber Mordecai gab keine Antwort. Er war tot.«
Ich sagte das einzige, was mir in diesem Augenblick in den
Sinn kam. »Das tut mir leid, Mirza Esther.«
»Mir auch. Aber ihm auch. Da lag ein Mensch buchstäblich im
allerletzten Moment seines Lebens und bedauerte etwas, was
einst seine Neugier geweckt; er jedoch hatte es versäumt,
hinzugehen und es zu sehen oder zu tun oder zu haben -und
jetzt würde er es nie mehr können.«
»War Mordecai ein Reisender?«
»Nein. Er war ein Tuchhändler, und zwar ein sehr erfolgreicher.
Er ist von hier aus nie weiter gereist als bis nach Baghdad oder
Basra. Aber wer weiß, was er gern gewesen wäre oder getan
hätte?«
»Ihr glaubt also, er sei unglücklich gestorben?«
»Zumindest, ohne Erfüllung gefunden zu haben. Ich weiß zwar
nicht, wovon er sprach, aber ach' -wie sehr ich wünschte, er
hätte es zu Lebzeiten getan und wäre hingegangen, wo immer
es sein mochte und was immer es hat sein können.«
Taktvoll versuchte ich darauf hinzuweisen, daß ihn das jetzt
nicht mehr kümmere.
Doch sie erklärte mit Entschiedenheit: »Aber es hat ihn
gekümmert, als es wirklich wichtig war. In dem Augenblick
nämlich, da er wußte, daß die Chance für immer vorbei war.«
In der Hoffnung, es ihr leichter zu machen, sagte ich: »Aber
wenn er die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen hätte -wer
weiß, ob Ihr dann jetzt nicht unglücklicher wäret. Schließlich
hätte etwas -nun ja, es hätte etwas sein können, das niemand
hätte billigen können. Mir ist aufgefallen, daß es in diesem Land
unendlich viele sündige Versuchungen gibt. In allen Ländern,
vermutlich. Ich selber habe einst einem Priester beichten
müssen, allzu hemmungslos meiner Neugier gefolgt zu sein
und...«
»Beichtet das, wenn Ihr müßt, aber ihr abschwören oder sie
einfach nicht beachten, das solltet Ihr nie. Genau das ist es,
was ich Euch begreiflich zu machen versuche. Wenn ein Mann
schon einen Fehler haben muß, dann sollte es zumindest ein
leidenschaftlicher sein wie die unersättliche Neugier, die Besessenheit, neues zu erfahren. Ein Jammer, für etwas Armseligeres verdammt zu werden.«
»Ich hoffe, nicht verdammt zu werden, Mirza Esther«, erklärte ich fromm-ergeben, »und ich bin sicher, Mirza Mordecai ist der Verdammnis auch nicht anheimgefallen. Schließlich könnte er die Chance auch aus Tugendhaftigkeit haben verstreichen lassen -worin immer sie auch bestanden haben mag. Und da Ihr es nicht wißt, braucht Ihr auch nicht darum zu weinen...«
»Ich weine nicht. Ich bin nicht auf dieses Thema zu sprechen
gekommen, um heiße Tränen darüber zu vergießen.« Woraufhin ich mich fragte, aus welchem Grunde es ihr dann so wichtig gewesen war, es zur Sprache zu bringen. Und als antwortete sie mir auf meine stumme Frage, fuhr sie fort:
»Ich wollte, daß Ihr Euch darüber klar werdet. Es kann sein, daß, wenn es ans Sterben geht, Ihr dann frei seid von allen anderen drängenden Bedürfnissen, daß Ihr Eurer Sinne und Eurer Fähigkeiten beraubt seid -aber immer noch die Leidenschaft der Neugier kennt. Das ist etwas, wovon selbst Tuchhändler nicht frei sind, vielleicht sogar Schreiberlinge und derlei Kreaturen nicht. Ein Reisender kennt sie gewiß. Und diese Leidenschaft ist es, die Euch in Euren letzten Augenblicken wie Mordecai dazu bringt, nicht irgend etwas zu bedauern, was Ihr zu Lebzeiten getan habt, sondern die Dinge, die Ihr einfach nicht über Euch gebracht habt zu tun.«
»Mirza Esther«, verwahrte ich mich. »Der Mensch kann nicht ständig in der Angst leben, irgend etwas zu verpassen. So erwarte ich zum Beispiel nie, Papst zu werden oder Shah von Persien; trotzdem hoffe ich, daß dieser Mangel sich nicht wie Meltau über mein Leben legt. Auch nicht dann, wenn ich auf dem Sterbelager liege.«
»Unerreichbares meine ich nicht. Mordecai beklagte im Augenblick seines Todes etwas, das im Bereich seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten lag, etwas, das greifbar nahe war und das er dann hat einfach vorüberziehen lassen. Stellt Euch vor, Ihr klagtet über die Anblicke und Köstlichkeiten und Erfahrungen, die hätten Euer sein können, die Ihr aber habt vorübergehen lassen -vielleicht aber auch nur um eine einzige kleine solche Erfahrung -und verginget vor Sehnsucht danach, wenn es zu spät ist, wenn diese bestimmte Sache für immer unerreichbar geworden ist.«
Folgsam bemühte ich mich, mir das vorzustellen. Und so jung ich auch war, und in wie entrückter Ferne diese Aussicht für mich auch lag - es überlief mich ein leiser Schauder.
»Stellt Euch vor, es ginge für Euch ans Sterben«, fuhr sie ungerührt fort, »ohne daß Ihr alles, was diese Welt zu bieten hat, gekostet hättet. Das Gute, das Schlechte und auch das Belanglose. Und dann in diesem letzten Augenblick zu wissen, daß es kein anderer war als Ihr selbst, der Euch darum gebracht, und zwar durch Eure eigene übergroße Vorsicht oder durch eine unbesonnene Wahl, oder durch Euer Versagen, dem Weg zu folgen, den Eure Neugier Euch wies. Sagt mir, junger Mann, könnte es auf der anderen Seite des Todes Schmerzlicheres geben als das7 Ist das nicht sogar noch schmerzlicher als die ewige Verdammnis?«
Es kostete mich eine Weile, den Schauder abzuschütteln, der mich gepackt hatte, doch dann sagte ich so fröhlich, wie es ging: »Nun, vielleicht gelingt es mir mit Hilfe der Sechsunddreißig, von denen Ihr gesprochen habt, zu vermeiden, mir im Leben etwas zu versagen und im Tode der ewigen Verdammnis zu entgehen.«
»Aleichem sholem«, sagte sie. Doch da sie in diesem Augenblick mit ihrem Pantoffel gerade wieder auf einen Skorpion einhieb, wußte ich nicht, ob sie mir Frieden wünschte oder ihm.
Sie ging weiter den Garten hinunter, drehte Steine um, und ich schlenderte müßig zu den Stallungen hinüber, um nachzusehen, ob irgend jemand von unserer Reisegruppe schon wieder von seinem Stadtgang zurückgekehrt sei. Auf einen traf das in der Tat zu, doch war er nicht allein, und sein Anblick ließ mich innehalten und Luft holen.
Da stand unser Sklave Nasenloch zusammen mit einem Fremden, einer der hinreißenden jungen Kashaner Männer. Vielleicht hatte meine Unterhaltung mit der Dienerin Sitare mich vorübergehend gegen jeden Ekel gefeit, denn weder stieß ich einen Schrei der Empörung aus, noch zog ich mich still zurück. Ich sah genauso unbeteiligt hin wie unsere Kamele, die nur mit den Hufen scharrten, schnaubten und kauten. Beide Männer waren nackt, und der Fremde hatte sich im Stroh auf Hände und Knie hinuntergelassen, und unser Sklave beugte sich über seinen Rücken und rammelte wie ein brünstiger Kamelhengst. Die sich dergestalt lüstern paarenden Sodomiten wandten bei meinem Eintritt den Kopf, grinsten mich jedoch nur an und fuhren in ihrem unanständigen Treiben fort.
Der junge Mann war, was seinen Körper betraf, genauso ansprechend wie sein Gesicht. Nasenloch hingegen bot selbst in vollständig bekleidetem Zustand jenen abstoßenden Eindruck, wie ich ihn bereits beschrieben habe. Ich kann nur noch sagen, daß er in gänzlich unbekleidetem Zustand mit seinem aufgetriebenen Bauch, seinen verpickelten Gesäßbacken und spindeldürren Gliedmaßen die meisten Zuschauer wohl dazu gebracht hätte, ihre letzte Mahlzeit zu erbrechen. Es war mir unfaßlich, daß ein derart widerwärtiges Geschöpf es geschafft hatte, jemand, der ein auch nur um ein geringes weniger abstoßend wirkender Mensch war als er selbst, zu überreden, seinem al-fa'/'/dem al-mafa'ulzu spielen.
Nasenlochs /«'//-Gewerk konnte ich dort, wo er es hineingesteckt hatte, nicht erkennen, doch das Organ des jungen Mannes war unter seinem Bauch zu voller candeloto-Größe aufgerichtet und sichtbar versteift. Ich fand das ziemlich merkwürdig, da weder er noch Nasenloch es in irgendeiner Weise mit der Hand bearbeiteten. Noch merkwürdiger wollte es mir vorkommen, als Nasenloch schließlich stöhnte und sich verkrampfte und der candeloto des Fremden -immer noch ohne gestreichelt oder überhaupt berührt zu werden -seinen spruzzo ins Stroh schoß.
Nachdem sie sich keuchend eine Weile erholt hatten, hob Nasenloch seinen schweißschimmernden Körper vom Rücken des jungen Mannes herunter. Ohne sich aus der Kameltränke Wasser zum Waschen zu holen, ja, ohne sein bedauernswert kleines Ge werk auch nur mit einer Handvoll Stroh abzuwischen, zog er seine Kleider wieder an und summte dabei lustig vor sich hin. Der junge Mann hingegen stieg betont lässig und langsam in seine Kleider, als genieße er es offen, seinen nackten Leib selbst unter so schändlichen Umständen zur Schau zu stellen.
Gegen eine Stallwand gelehnt, sagte ich zu unserem Sklaven, als hätten wir die ganze Zeit über freundschaftlich miteinander geplaudert: »Weißt du was, Nasenloch7 In Liedern und Geschichten hört man ja von allerlei Gaunern und Halunken -Burschen wie Encolpios und Reinecke Fuchs. Die führen ein lustiges Vagabundenleben, leben kraft ihrer füchsischen Verschlagenheit, aber irgendwie schaffen sie es stets, sich nie wirklich eines Verbrechens oder einer Sünde schuldig zu machen. Alles, was sie tun, sind bloß Possen und Schelmenstreiche. Sie bestehlen nie jemand anders als Diebe, ihre Liebesabenteuer haben nie etwas Schmutziges und Gemeines, sie trinken und zechen, ohne jemals wirklich trunken zu werden oder sich närrisch aufzuführen, und wenn sie mit dem Schwert herumfuhrwerken, fügen sie anderen nie etwas Schlimmeres als Fleischwunden bei. Sie haben eine gewinnende Art, lustig zwinkernde Augen, sind stets bereit zu lachen, selbst am Galgen noch, denn wirklich gehängt werden sie nie. Welche Abenteuer sie auch immer bestehen -diese abenteuerlustigen Galgenvögel sind stets bezaubernd und fesch, klug und amüsant. Solche Geschichten machen einem wirklich Appetit, endlich einmal einen solch beherzten, unerschrockenen und liebenswerten Gauner kennenzulernen.«
»Und jetzt habt Ihr einen solchen erlebt«, sagte Nasenloch. Er zwinkerte mit seinen Schweinsäuglein, ließ lächelnd seine Zahnstummel sehen und nahm eine Haltung ein, von der er wohl annahm, daß sie fesch wäre.
»Ja, das habe ich«, erklärte ich. »Und es ist nichts Liebenswertes noch Bewundernswertes an dir. Du bist der Gauner, wie er im Buche steht, denn all diese Geschichten sind nichts als Lügen, und ein Schuft ist ein Schwein. Du strotzt in deiner Person und in deinen Gewohnheiten vor Dreck, dein Äußeres wie dein Inneres widern mich an, und in deinen Neigungen steigst du hinab in einen Morast. Du hast tausendmal verdient, in das Faß mit siedendem Öl gesteckt zu werden, vor dem ich dich viel zu nachsichtig gerettet habe.«
Der hübsche Fremde stieß bei diesen Worten ein heiseres Lachen aus. Nasenloch schniefte und brummelte: »Mirza Marco, als frommer Muslim muß ich mich dagegen verwahren, mit einem Schwein verglichen zu werden.«
»Ich kann nur hoffen, daß du dich auch dagegen verwahrst, dich mit einer Sau zu paaren«, sagte ich. »Das allerdings bezweifle ich.«
»Bitte, junger Herr, ich halte fromm die Gebote des ramazan, die verbieten, daß Muslim-Männer während dieser Zeit Muslim-Frauen beiwohnen. Freilich muß ich zugeben, daß es mir selbst in den erlaubten Monaten manchmal schwerfällt, zu einer Frau zu kommen -und das, seit mein hübsches Gesicht durch das Unglück verunstaltet wurde, das meiner Nase widerfuhr.«
»Nun übertreibe mal nicht«, sagte ich. »Irgendwo gibt es immer eine Frau, die verzweifelt alles nimmt, was sie bekommen kann. Ich selbst habe in meinem jungen Leben bereits eine Slawin sich mit einem Schwarzen paaren sehen und eine Araberin mit einem leibhaftigen Affen.«
Hochmütig erklärte Nasenloch: »Ihr wollt mir doch hoffentlich nicht unterstellen, ich würde mich dazu herablassen, einer Frau beizuwohnen, die genauso häßlich ist wie ich. Ah, aber dieser Jafar hier -Jafar kann es wahrhaftig mit der hübschesten der Frauen aufnehmen.«
Daraufhin fuhr ich ihn an: »Sag deinem erbärmlichen hübschen Freund, sich mit dem Ankleiden zu beeilen und zu machen, daß er hier rauskommt, sonst werfe ich ihn den Kamelen vor.«
Der erbärmliche hübsche Bursche funkelte mich an, bedachte Nasenloch dann mit einem schmelzend-flehentlichen Blick, der mich augenblicklich mit einer unverschämten Frage beleidigte: »Warum probiert Ihr ihn nicht mal selbst aus, Mirza Marco? Die
Erfahrung könnte dazu beitragen, Euren Horizont zu
erweitern.«
»Und ich werde dir dein eines Nasenloch erweitern, Schuft«,
knurrte ich und zog den Dolch aus dem Gürtel. »Ich werde es
rings um deinen ganzen häßlichen Kopf herum aufschneiden'
Wie kannst du es wagen, deinem Herrn gegenüber so zu
sprechen? Für wen hältst du mich?«
»Für einen jungen Mann, der noch viel zu lernen hat«, sagte er.
»Jetzt seid Ihr ein Reisender, Mirza Marco, und ehe Ihr wieder
heimkehrt nach Hause, werdet Ihr noch viel weiter gereist sein
und viel, viel mehr gesehen und erfahren haben. Kommt Ihr
endlich wieder heim, werdet Ihr mit Recht bitterböse auf
Menschen sein, die Berge hoch und Sümpfe tief nennen, ohne
jemals einen Berg bestiegen oder einen Sumpf ausgelotet zu
haben. Auf Menschen, die sich nie aus ihren engen Gassen
und ihren alltäglichen Gewohnheiten, ihren vorsichtigen
Vergnügungen und ihrem engen kleinen Leben hinausgewagt
haben.«
»Das mag schon so sein. Aber was hat das mit deiner galineta-
Hure zu tun?«
»Es gibt Reisen, die tragen einen Menschen aus dem Bereich
des Gewöhnlichen hinaus, Mirza Marco -nicht in bezug auf die
Entfernungen, die zurückgelegt werden müssen, sondern in der
Tiefe des Verständnisses. Bedenkt! Ihr habt diesen jungen
Mann hier als Hure verunglimpft, wo er doch nur das ist, wozu
er erzogen, gemacht und trainiert wurde und was zu sein man
von ihm erwartet.«
»Ein Sodomit dann, wenn dir das lieber ist. So einer zu sein, ist
für einen Christen Sünde -er ist dann Sünder und begeht eine
Sünde, die jeden Abscheu erregen muß.«
»Ich fordere Euch auf, Mirza Marco, nur eine kurze Reise in die
Welt dieses jungen Mannes zu machen.« Ehe ich dem Einhalt
gebieten konnte, sagte er: »Jafar, erzähle dem Fremden, wie
du behandelt worden bist.«
Immer noch seine Beinkleider festhaltend und mich unsicher ansehend, begann Jafar: »Ach, junger Mirza, du Spiegelung des Lichtes Allahs...«
»Das laß jetzt mal beiseite«, fiel Nasenloch ihm ins Wort. »Erzähle nur, wie du körperlich für den Geschlechtsverkehr hergerichtet wurdest.«
»Ach, Segnung der Welt«, hob Jafar von neuem an. »Von frühester Kindheit an, soweit ich mich zurückerinnern kann, hat man mir, während ich schlief, immer ein golule in meine hintere Öffnung geschoben, einen aus kashi-Keramik gefertigten Pfropfen, eine Art spitz zulaufender Zapfen. Jedesmal, wenn ich mich zum Zubettgehen fertiggemacht hatte, wurde der golule in mich hineingesteckt, nicht ohne zuvor mit irgendeiner Droge eingefettet worden zu sein, welche die Entwicklung meines badäm anregen sollte. Von Zeit zu Zeit pflegte meine Mutter oder die Kinderfrau ihn ein Stück tiefer hineinzustecken, und als ich imstande war, ihn ganz in mich aufzunehmen, wurde er durch einen größeren golule ersetzt. So wurde mein Hinterausgang nach und nach geweitet, ohne den Muskel zu beschädigen, der ihn ringförmig abschließt.«
»Ich danke dir für die Geschichte«, sagte ich, freilich betont kühl, und zu Nasenloch gewandt: »So geboren oder dazu gemacht - ein Sodomit ist in jedem Fall ein Greuel.«
»Ich glaube, er ist mit seiner Geschichte noch nicht fertig«, sagte Nasenloch. »Setzt die Reise nur noch ein kleines bißchen weiter fort.«
»Als ich fünf oder sechs Jahre alt war«, fuhr Jafar fort, »brauchte ich den golule glücklicherweise nicht mehr zu tragen. Statt dessen wurde mein nächstälterer Bruder ermutigt, sich meiner zu bedienen, sooft ihn der Drang überkam und er ein erigiertes Glied hatte.«
»Adriö de vu!« entfuhr es mir, und Mitleid verdrängte
nachgerade meinen Abscheu. »Welch grauenhafte Kindheit!« »Sie hätte schlimmer sein können«, erklärte Nasenloch. »Wenn ein Junge Banditen oder Sklavenjägern in die Hände fällt und dieser Junge nicht sorgfältig auf so etwas vorbereitet worden
ist, pfählt der Sieger ihn brutal mit einem Zeltpflock, um die Öffnung für den späteren Gebrauch zuzurichten. Dabei aber wird der Ringmuskel zerrissen, der Junge kann hinterher seinen Stuhl nie mehr halten und sondert ständig Kot ab. Auch kann er diesen Muskel später nicht mehr nutzen, um beim Akt angenehme Kontraktionen zustande zu bringen. Fahre fort, Jafar.«
»Als ich mich daran gewöhnt hatte, von meinem Bruder benutzt zu werden, trug mein nächstälterer und besser ausgestatteter Bruder zu meiner weiteren Entwicklung bei. Und als mein badäm reif genug war, daß ich anfing, den Akt zu genießen, hat mein Vater...«
»Adriö de vu!« entfuhr es mir nochmals. Doch mittlerweile hatte meine Neugier den Sieg über den Abscheu und das Mitleid bei mir davongetragen. »Was meinst du mit dem badäm!«
Worum es dabei ging, hatte ich nicht begriffen, denn das Wort
badäm bedeutet Mandel. »Das habt Ihr nicht gewußt?« sagte Nasenloch verwundert. »Aber Ihr habt doch selbst einen. Jeder Mann hat das. Wir nennen es deshalb Mandel, weil es in Form und Größe eben einer Mandel gleicht; Ärzte nennen es freilich bisweilen den dritten Hoden. Er sitzt hinter den beiden anderen, nicht im Sack, sondern hoch oben verborgen in der Leiste. Steckt man einen Finger oder -hm - irgend etwas anderes weit genug in den After, streift es diese Mandel und reizt sie auf die angenehmste Art und Weise.«
»Ah«, sagte ich, dem ein Licht aufgegangen war. »Daran also liegt es, daß Jafar gerade eben seinen spruzzo abgeschossen hat, ohne - soweit ich sehen konnte -gestreichelt worden oder in irgendeiner anderen Weise gereizt worden zu sein.«
»Diesen Spritzer nennen wir Mandelmilch«, erklärte Nasenloch geziert. »Manche begabte und erfahrene Frauen wissen von dieser unsichtbaren männlichen Drüse und kitzeln sie auf diese oder jene Weise, wenn sie mit einem Mann zusammen sind, und wenn er die Mandelmilch ausstößt, stellt das den Gipfel seiner Lust dar.«
Ziemlich fassungslos schüttelte ich den Kopf und sagte: »Du hast recht, Nasenloch. Wer reist, lernt immer dazu.« Mit diesen Worten stieß ich den Dolch wieder in die Scheide. »Aber merk dir: Dies ist das letztemal, daß ich es dir durchgehen lasse, so unverfroren mir gegenüber zu reden.«
Selbstgefällig sagte er: »Ein guter Sklave stellt die Nützlichkeit vor die Unterwürfigkeit. Mirza Marco, hättet Ihr nicht vielleicht Lust, Eure andere Waffe in etwas anderes einfahren zu lassen? Seht nur Jafars prächtige Scheide...«
»Scagamn!« fauchte ich. »Daß ich derlei Gepflogenheiten dulde, solange ich in diesen Landen bin, bedeutet noch lange nicht, daß ich mich ihnen anschließe. Selbst wenn Sodomie keine widerwärtige Sünde wäre -die Liebe der Frauen wäre mir immer noch lieber.«
»Liebe, Herr?« rief Nasenloch, und Jafar lachte auf seine rauhe Art, und eines der Kamele rülpste. »Von Liebe hat niemand gesprochen. Die Liebe zwischen Mann und Mann ist etwas ganz anderes, und ich glaube, nur wir warmherzigen Muslimkrieger kennen dieses erhabendste aller Gefühle. Daß ein kaltblütiger und friedenpredigender Christ sich zu dieser Liebe aufschwingen kann, wage ich zu bezweifeln. Nein, Herr, ich schlug nur etwas vor, Euch bequem Erleichterung und Befriedigung zu verschaffen. Und was macht es da schon aus, welchen Geschlechts der andere ist?«
Ich schnaubte wie ein hochmütiges Kamel. »Du hast leicht reden, Sklave, denn dir macht es ja nicht einmal was aus, ob es sich um Mensch oder Tier handelt. Ich für meine Person muß sagen, solange es Frauen auf dieser Welt gibt, habe ich kein Verlangen, mich mit Männern zu paaren. Mann bin ich selbst, und so bin ich viel zu sehr mit meinem eigenen Körper vertraut, als daß ich an dem eines anderen Mannes Interesse nehmen könnte. Frauen jedoch -ach, Frauen! Die sind so herrlich anders als ich, und eine jede wieder so wunderbar anders als die andere - ich kann sie einfach nicht hoch genug einschätzen!«
»Sie einschätzen, Herr?« Das klang belustigt.
»Ja.« Ich hielt inne und erklärte dann mit gebührender
Feierlichkeit: »Ich habe einmal einen Mann umgebracht,
Nasenloch - aber ich könnte es nie über mich bringen, eine
Frau zu töten.«
»Ihr seid noch jung.«
»Und jetzt, Jafar«, wandte ich mich an den jungen Mann, »zieh
den Rest deiner Kleider an und verschwinde, ehe mein Vater
und mein Onkel zurückkehren.«
»Ich habe sie beide gerade eben kommen sehen, Mirza
Marco«, sagte Nasenloch. »Sie sind mit der Almauna Esther in
ihr Haus hineingegangen.«
Daraufhin ging auch ich dorthin, und wieder wurde ich von der
Dienstmagd Sitare aufgehalten, als sie mir öffnete. Ich wäre
einfach an ihr vorbeigegangen, doch sie packte mich am Ärmel
und flüsterte: »Nicht laut sprechen, bitte.«
Ohne mich daran zu halten, sagte ich mit normaler Stimme:
»Ich habe nichts mit dir zu bereden.«
»Psst! Die Herrin ist drinnen, und Euer Vater und Euer Onkel
sind bei ihr. Laßt sie also nichts hören, sondern antwortet mir.
Mein Bruder Aziz und ich haben über die Angelegenheit
gesprochen, die Euch und...«
»Ich bin keine Angelegenheit«, sagte ich eigensinnig. »Und ich
habe es nicht gern, wenn über mich geredet wird.«
»Ach, redet doch bitte leise, bitte' Seid Ihr Euch darüber im
klaren, daß übermorgen eid-alt'al-fitr ist?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, was das ist.«
»Morgen bei Sonnenuntergang endet der ramazan. In diesem
Augenblick beginnt der Monat Shawal, und der erste Tag
dieses Monats ist das Fest des Fastenbrechens, was bedeutet,
daß wir Muslime nicht mehr enthaltsam sein und fasten
müssen. Folglich können wir -Ihr und ich -jederzeit nach
Sonnenuntergang morgen zina machen.«
»Nur, daß du noch Jungfrau bist«, erinnerte ich sie, »und es um
deines Bruders willen auch bleiben mußt.«
»Darüber haben Aziz und ich ja gerade geredet. Wir möchten
Euch um einen kleinen Gefallen bitten, Mirza Marco. Und wenn
Ihr einwilligt, willige auch ich ein -mit Einwilligung meines
Bruders -, mit Euch zina zu machen. Selbstverständlich könntet
Ihr auch ihn haben, wenn Ihr wollt.«
Argwöhnisch sagte ich: »Dein Angebot erscheint mir übergroß
als Belohnung für einen kleinen Gefallen. Und was dein
geliebter Bruder sagt, klingt in der Tat brüderlich. Ich kann es
kaum erwarten, dieses kupplerische und affektierte Bürschchen
kennenzulernen.«
»Aber Ihr kennt ihn! Es ist der Küchenjunge, der mit dem
kastanienroten Haar, so wie ich...«
»Nicht, daß ich wüßte!« sagte ich; trotzdem konnte ich ihn mir
vorstellen: wie einen Zwilling von Nasenlochs Jafar im Stall,
einen stattlichen, muskulösen, hübschen jungen Mann mit der
Öffnung einer Frau, dem Witz eines Kamels und den
moralischen Grundsätzen eines windigen Wiesels.
»Als ich sagte, ›einen kleinen Gefallen‹«, fuhr Sitare fort,
»meinte ich einen, der klein ist für mich und Aziz. Für Euch wird
es ein großer Gefallen sein, denn Ihr werdet etwas davon
haben, ja, sogar Geld damit verdienen.«
Da stand ein wunderschönes Mädchen mit kastanienrotem
Haar und bot mir ihr Jungfernhäutchen und Geld dafür
obendrein -plus, wenn ich wollte, ihren dem Vernehmen nach
noch schöneren Bruder. Das selbstverständlich ließ mich
wieder an den Satz denken, den ich nun schon mehr als einmal
gesagt bekommen hatte, den Satz von der »Blutrünstigkeit der
Schönheit«. Was selbstverständlich zur Folge hatte, daß ich
augenblicklich auf der Hut war - nicht jedoch übervorsichtig, das
Angebot rundheraus auszuschlagen, ohne mir wenigstens
anzuhören, worum es überhaupt ging.
»Erzähle mir mehr«, sagte ich.
»Nicht jetzt. Da kommt Euer Onkel. Pssst!«
»Nun, ja!« dröhnte mein Onkel, als er sich aus dem dunkleren
Inneren des Hauses näherte. »Fiame sammeln, was?« Und
sein schwarzer Bart barst in einem strahlenden weißen
Lächeln, als er sich an uns vorüberzwängte und durch die Tür
hinausging zum Stall. Was er gesagt hatte, lief auf ein Wortspiel hinaus, denn im Venezianischen bedeutet ›fiame‹ nicht nur einfach ›Flamme‹, sondern ist auch eine Bezeichnung für Rothaarige oder ein heimliches Liebespaar. Ich nahm daher an, daß mein Onkel sich scherzhaft über das lustig machte, was für ihn offensichtlich eine Liebelei zwischen einem Jungen und einem Mädchen war.
Sobald er außer Hörweite war, sagte Sitare zu mir: »Morgen. An der Küchentür, wo ich Euch schon einmal eingelassen habe. Zur gleichen Stunde.« Gleich darauf war sie irgendwo im hinteren Teil des Hauses verschwunden.
Ich schlenderte den vorderen Gang entlang und betrat den Raum, aus dem ich die Stimmen meines Vaters und der Witwe Esther hörte. Als ich eintrat, sagte er gerade mit gedämpfter, sehr ernst klingender Stimme: »Ich weiß, nur Euer gutes Herz hat Euch dazu gebracht, das vorzuschlagen. Ich wünschte nur, Ihr hättet mich zuerst gefragt und keinen anderen.«
»Ich wäre nie darauf gekommen«, sagte sie gleichfalls in gedämpftem Ton. »Und wenn er, wie Ihr sagt, sich edelmütig bereit erklärt hat, sich bessern zu wollen, würde ich nicht gern den Anlaß für einen Rückfall geben.«
»Nein, nein«, sagte mein Vater. »Euch trifft überhaupt keine Schuld, selbst dann, wenn die gute Absicht sich als etwas erweist, was das Gegenteil zur Folge hat. Wir werden darüber reden, und ich werde ihn freimütig fragen, ob dies eine unwiderstehliche Versuchung wäre. Auf der Basis werden wir dann entscheiden.«
Dann bemerkten sie meine Anwesenheit und ließen augenblicklich das Thema fallen, über das sie gerade geredet hatten. Mein Vater sagte: »Ja, es hat gutgetan, daß wir die paar Tage hiergeblieben sind. Es gibt mehrere Dinge, die wir brauchen und die während des ramazan im bazär einfach nicht zu bekommen sind. Wenn der Fastenmonat morgen zu Ende geht, wird man sie wieder kaufen können; auch das lahmende
Kamel wird dann wieder auf den Beinen sein, und wir werden
zusehen, daß wir am nächsten Tag Weiterreisen können. Wir
können Euch nicht genug für die Gastfreundschaft danken, die
Ihr uns während unseres Aufenthaltes hier bewiesen habt.«
»Was mich übrigens daran erinnert«, sagte sie, »daß Euer
Abendessen fast fertig ist. Ich werde es Euch so bald wie
möglich in Euer Quartier bringen.«
Mein Vater und ich kletterten beide zum Heuboden hinauf, wo
wir Onkel Mafio dabei vorfanden, wie er die Karten unseres
Kitab studierte. Er sah von der Landkarte auf, in die er gerade
vertieft war, und sagte: »Unser nächstes Ziel ist Mashhad, und
es ist keine Kleinigkeit, dorthin zu gelangen. Wir müssen uns
darauf gefaßt machen, daß zwischen Kashan und Mashhad
sich nur Wüste dehnt -es ist die breiteste Stelle des Dasht-e-
Kavir überhaupt. Hinterher sind wir bestimmt ausgedörrt und
verschrumpelt wie ein bacalä -wie ein Stockfisch.« Er hielt
inne, um sich kräftig am linken Ellbogen zu kratzen. »Irgendein
verdammter Käfer hat mich gebissen, und jetzt juckt es.«
Ich sagte: »Die Witwe meint, in dieser Stadt wimmelt es von
Skorpionen.«
Mein Onkel bedachte mich mit einem verächtlichen Blick.
»Solltest du jemals von einem gestochen werden, asenazzo,
wirst du die Erfahrung machen, daß Skorpione nicht beißen.
Nein, was mich gebissen hat, war eine winzige kleine Fliege,
die ein vollkommenes gleichschenkliges Dreieck bildete. Und
so klein war, daß ich es einfach nicht fasse, was für einen
quälenden Juckreiz ihr Biß ausgelöst hat.«
Witwe Esther überquerte mehrere Male den Hof, um das
Geschirr zu bringen, von dem wir essen sollten; und während
wir aßen, beugten wir drei uns gemeinsam über den Kitab.
Nasenloch aß für sich unten im Stall bei den Kamelen, aber fast
genauso laut wie ein kauendes Kamel. Ich versuchte, das
Geräusch einfach zu überhören und mich auf die Karten zu
konzentrieren.
»Du hast recht, Mafio«, sagte mein Vater. »An dieser Stelle ist
die Wüste am breitesten. Gott steh uns bei!«
»Dabei aber eine Route, der man leicht folgen kann, denn
Mashhad liegt nur ein wenig nordöstlich von hier. Um diese
Jahreszeit brauchen wir daher unser Ziel nur einmal am Tag,
bei Sonnenaufgang, anzuvisieren.«
»Und ich«, ließ ich mich vernehmen, »werde die Richtung
häufig mit unserem kamäl kontrollieren.«
»Mir fällt auf«, sagte mein Vater, »daß al-Idrisi in der ganzen
Wüste keinen einzigen Brunnen und nicht eine karwansarai
eingezeichnet hat.«
»Trotzdem muß es so was geben. Schließlich ist es eine
vielbenutzte Handelsstraße. Mashhad bildet genauso wie
Baghdad eine wichtige Station auf der Seidenstraße.«
»Und ist genauso groß wie Kashan, wie die Witwe mir gesagt
hat. Und außerdem liegt die Stadt Gott sei Dank in den
Bergen.«
»Aber nach Mashhad kommen wir in wirklich kalte
Bergregionen. Wahrscheinlich müssen wir dort irgendwo
überwintern.«
»Nun, wir brauchen uns nicht einzubilden, daß wir immer mit
achterlichem Wind durch die Welt kommen.«
»Und werden auch nicht durch Landstriche kommen, die wir
kennen, Nico -das fängt erst wieder an, wenn wir in Kashgar
sind, also in Kithai selbst.«
»Aus den Augen, aus dem Sinn, Mafio. Was der Tag an Bösem
bringt, reicht und so weiter. Im Moment reicht es, wenn wir uns
Gedanken machen darüber, wie wir Mashhad erreichen.«
Den nächsten Tag -den letzten Tag des ramazan -verbrachten
wir größtenteils damit, daß wir müßig im Haus der Witwe
herumsaßen. Ich glaube, ich habe unterlassen zu sagen, daß
der Tagesbeginn in muslimischen Ländern nicht vom
Morgengrauen an gerechnet wird, wie man eigentlich erwarten
sollte, und auch nicht von der Mitternachtsstunde an, wie sonst
in zivilisierten Ländern, sondern vom Sonnenuntergang an. Gleichviel, es hatte, wie mein Vater erklärt hatte, keinen Sinn, den bazär von Kashan aufzusuchen, ehe die Lager nicht alle wieder aufgefüllt wären. Wir hatten auch weiter keine Aufgaben, als unsere Tiere zu füttern und sie zu tränken und den Mist zur Stalltür hinauszuschaufeln. Damit jedoch gab sich Nasenloch ab - und auf Bitten der Witwe verstreute er den Kamelmist im Gemüsegarten. Dann und wann begaben ich, mein Vater oder mein Onkel uns hinaus, um einen Spaziergang auf den Gassen der Stadt zu machen, und wenn seine Verpflichtungen es erlaubten, tat auch Nasenloch das und brachte es, woran ich nicht zweifle, fertig, zwischendurch seinen verwerflichen Neigungen zu frönen.
Als ich am Spätnachmittag in die Stadt ging, stieß ich auf eine große Menschenmenge, die sich an einer Straßenkreuzung versammelt hatte. Die meisten von ihnen waren jung gutaussehende Männer und nichtssagende Frauen. Nun hätte ich angenommen, daß sie der Lieblingsbeschäftigung der Menschen im Osten nachgingen und nur dastünden und gafften -oder, wenn es um orientalische Männer ging, dastünden, gafften und sich im Schritt kratzten -, wäre da nicht eine dröhnende Stimme gewesen, die sich aus der Mitte der Menge vernehmen ließ. Ich blieb daher stehen, gesellte mich zu den Zuhörern und schob mich nach und nach durch sie hindurch, bis ich den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit erblickte.
Es handelte sich um einen im Schneidersitz am Boden hockenden alten Mann, um einen sha'ir oder Dichter, der dabei war, die Leute mit einer Geschichte zu unterhalten. Von Zeit zu Zeit und offensichtlich immer dann, wenn er besonders blumig sprach oder eine ungewöhnlich glückliche Wendung fand, ließ einer der Umstehenden eine Münze in die neben dem Erzähler stehende Bettelschale fallen. Mein Farsi war nicht gut genug, mir zu gestatten, alles wirklich zu würdigen, reichte aber immerhin, dem Faden der Erzählung zu folgen. Und da es sich um eine interessante Geschichte handelte, blieb ich stehen und lauschte. Der sha'ir berichtete, wie Träume entstehen.
Zu Anbeginn, sagte er, habe es unter all den vielen Geistern, die es gibt - den jinn und afant, den peri und so fort -, auch einen Schlaf genannten Geist gegeben. Damals wie jetzt sei er verantwortlich gewesen für den nichtwachen Zustand alles Lebendigen. Nun besaß Schlaf einen ganzen Schwarm Kinder, die Träume hießen, doch in jenen ach so fernen Zeiten hatte weder der Schlaf noch seine Kinder jemals gedacht, daß die Träume in den Kopf der Leute hineingelangen könnten. Doch eines Tages -eines wunderschönen Tages -, da Schlaf tagsüber nicht viel zu tun hatte, beschloß dieser gute Geist, mit all seinen Jungen und Mädchen ans Meer zu gehen und sich einen freien Tag zu machen. Dort ließ er sie ein kleines Boot besteigen, das sie dort vorfanden, und sah ihnen liebevoll nach, wie sie ein kurzes Stück aufs Wasser hinausruderten.
Unseligerweise, berichtete der alte Dichter, habe der Geist Schlaf jedoch zuvor etwas getan, was den mächtigen, Sturm genannten Geist erzürnt hätte; Sturm aber hatte nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet, sich zu rächen. Als also die kleinen Träume des Schlafs sich aufs offene Meer hinauswagten, peitschte der böse Sturm die See zu einer brodelnden Raserei hoch, ließ einen wütenden Wind blasen und trieb das schwache Boot weit hinaus aufs Meer und ließ es an den Felsriffen einer verlassenen Insel namens Langeweile zerschellen.
Und seit jener Zeit, sagte der sha'ir, säßen all die Traumjungen und -mädchen auf dieser öden Insel fest. (Und ihr wißt ja, sagte er, wie unruhig Kinder werden, wenn sie nichts zu tun haben und sich langweilen.) Tagsüber müssen die armen Träume es nun erdulden, von der Welt der übrigen Lebenden verbannt zu sein. Nachts aber -al-hamdo-lil-lah! -muß der Geist Sturm von seiner Macht abgeben, denn nachts herrscht der gütigere Geist Mond. Um diese Zeit können daher die Traumkinder am leichtesten für eine Zeitlang ihrer Langeweile entkommen. Das nutzen sie auch weidlich aus. Denn nächtens verlassen sie die Insel, streifen durch die Welt und beschäftigen sich damit, in die Köpfe der schlafenden Männer und Frauen einzudringen. Das ist der Grund, sagte der sha'ir, warum man nachts zu jeder
Stunde von einem Traum unterhalten, belehrt, gewarnt oder in
Angst und Schrecken versetzt werden kann, je nachdem, ob
der betreffende Traum in dieser bestimmten Nacht ein
wohlwollender Kleine-Mädchen-Traum oder ein
boshaftbösartiger Kleiner-Jungen-Traum ist und in welcher
Stimmung der Schläfer oder die Schläferin sich gerade
befinden.
Als der Dichter schloß, gaben die Zuhörer ihre Dankbarkeit
durch das eine oder andere Geräusch zu verstehen, und die
Bettelschale klirrte von den vielen Münzen, die hineingeworfen
wurden. Ich selbst gab einen Kupfer-shahi, denn ich fand die
Geschichte lustig -und nicht unglaubwürdig, wie so viele
andere orientalische Mythen der eher närrischen Art. Mir schien
die Vorstellung des Dichters von den zahllosen Traumkindern
beiderlei Geschlechts, die von munterem, vorwitzigem Wesen
waren, recht einleuchtend. Jedenfalls könnte sie sogar ein paar
Phänomene erklären, wie sie im Abendland häufig auftreten,
von denen man weiß und für die man noch nie eine richtige
Erklärung gefunden hat. Ich meine die gefürchteten nächtlichen
Heimsuchungen durch jene Buhlteufelchen, die sonst keusche
Frauen und sonst doch wohl keusche Priester verführen.
Als mit dem Sonnenuntergang auch das Ende des ramazan
nahte, klopfte ich wieder an Witwe Esthers Haus, und Sitare
ließ mich durch die Küche ein. Sie und ich waren die einzigen
Menschen darin, und sie schien in einem Zustand kaum
verhohlener Erregung, denn ihre Augen leuchteten und ihre
Hände flogen. Sie war offensichtlich in ihr schönstes
Feiertagsgewand gekleidet, hatte die Lidschatten mit al-kohl
vertieft und die Lippen mit Beerensaft gerötet, doch daß ihre
Wangen lieblich erblühten, hatte mit irgendwelchen Hilfsmitteln
nichts zu tun.
»Du bist für den Festtag gekleidet«, sagte ich.
»Richtig, aber auch, um Euch zu gefallen. Ich will nichts
vortäuschen, Mirza Marco. Ich habe gesagt, daß ich froh wäre,
Gegenstand Eurer Glut zu sein, und das bin ich wirklich. Seht,
ich habe uns dort drüben ein Lager bereitet. Und habe dafür
gesorgt, daß die Herren und die anderen Diener alle
anderweitig beschäftigt sind. Es wird also keine unliebsamen Unterbrechungen geben. Offen gestanden, zittere ich vor Vorfreude auf unsere...«
»Moment«, sagte ich, wenn auch nicht sehr nachdrücklich, »ich habe mich einverstanden erklärt, nicht zu feilschen. Ihr seid eine Schönheit, bei deren Anblick einem Mann das Wasser im Mund zusammenläuft, was bei mir gerade jetzt der Fall ist, aber zuerst muß ich ganz sicher sein. Um welchen Gefallen geht es, für den du bereit bist, dich zu verkaufen.«
»Habt nur noch ein kleines bißchen Nachsicht, dann werde ich es Euch sagen. Zuvor möchte ich Euch jedoch ein Rätsel aufgeben.«
»Handelt es sich dabei wieder um einen hiesigen Brauch?« »Nehmt nur auf der Bank dort drüben Platz. Legt die Hände an die Seite - nein, haltet Euch an der Bank fest -, damit Ihr nicht in Versuchung geratet, mich anzufassen. Und jetzt schließt die
Augen. Fest. Und haltet sie fest geschlossen, bis ich es Euch sage.« Achselzuckend tat ich, wie geheißen, und hörte sie kurz hin und
her gehen. Dann küßte sie mich auf die Lippen, auf eine scheue, unerfahrene und jungfräuliche, gleichwohl jedoch überaus köstliche Weise und ausgiebig lange. Dieser Kuß reizte mich dermaßen, daß mir ganz schwindlig wurde. Hätte ich mich nicht an der Bank festgehalten, würde ich mich vermutlich in der Tat hin-und hergewiegt haben. Ich wartete, daß sie etwas sagte, statt dessen küßte sie mich noch einmal, und zwar diesmal so, als ob die Übung sie nur dazu brächte, den Kuß noch mehr zu genießen und noch mehr in die Länge zu ziehen. Wieder gab es eine Pause, und ich wartete auf den dritten Kuß, doch hörte ich sie sagen: »Und jetzt könnt Ihr die Augen aufmachen.«
Ich tat es und lächelte sie an. Sie stand unmittelbar vor mir, und der rosige Hauch auf den Wangen hatte sich über ihr ganzes Gesicht ausgebreitet. Ihre Augen leuchteten, ihre Rosenknospenlippen verrieten Lustigkeit, und sie fragte: »Nun, könnt Ihr die Küsse voneinander unterscheiden?«
»Unterscheiden? Nein, wieso?« sagte ich galant -und fügte
dann noch im Stil persischer Dichter, wie ich meinte, hinzu:
»Wie soll ein Mann von gleich süßen Düften oder gleich trunken
machendem Geschmack sagen, daß der eine besser sei als
der andere? Er begehrt einfach nur mehr. Und das tue ich
auch, tue ich auch.«
»Und mehr sollt Ihr auch haben. Aber von mir? Ich war es, die
Euch zuerst küßte. Oder von Aziz, der Euch als nächster
küßte?«
Diesmal wiegte ich mich nicht so sehr hin und her, als daß ich
vielmehr auf meiner Bank wankte. Sie griff um sich herum und
zog ihn vor, daß ich ihn vor mir sah - und ich wankte womöglich
noch mehr wie von einem Schlag getroffen.
»Aber er ist ja noch ein Kind!«
»Er ist mein kleiner Bruder Aziz.«
Kein Wunder, daß ich ihn unter den Dienstboten des Hauses
nicht bemerkt hatte. Er kann unmöglich älter gewesen sein als
acht oder neun und war selbst für sein Alter klein. Doch hatte
man ihn erst einmal wirklich wahrgenommen, hielt es in Zukunft
wohl schwer, ihn zu übersehen. Wie alle Kashaner Knaben, die
ich gesehen hatte, war auch er ein alexandrinischer Cupido, nur
womöglich noch schöner als die Kashaner Knaben sonst,
genauso, wie seine Schwester schöner war als die Kashaner
Mädchen, die ich sonst gesehen hatte. Buhlteufelchen in
Mädchen- und in Knabengestalt, dachte ich völlig verwirrt.
Da ich immer noch auf der niedrigen Bank saß, befanden
meine und seine Augen sich auf gleicher Höhe. Und diese
seine blauen Augen waren klar und ernst und wirkten in seinem
kleinen Gesicht womöglich noch größer und schimmernder als
die seiner Schwester. Er hatte den gleichen rosenknospenroten
Mund wie sie. Sein Körper war vollkommen gebildet bis
hinunter zu den winzigen schlanken Fingern. Er hatte die
gleichen glutvoll-kastanienfarbenen Haare wie seine
Schwester, und seine Haut war genauso elfenbeinfarben wie
die ihre. Unterstrichen wurde die Schönheit des Jungen noch
dadurch, daß man auch ihm die Lidschatten durch al-kohl
vertieft und mittels Beerensaft die Lippen gerötet hatte. Mir schien beides für überflüssig, doch ehe ich etwas sagen konnte, hob Sitare an:
»Jedesmal, wenn ich in meiner Freizeit Schönheitsmittel auftragen und auflegen darf« - sie sprach raschzüngig, als gelte es, mögliche Einwände von meiner Seite von vornherein abzuwehren -, »bemühe ich mich, das auch bei Aziz zu tun.« Abermals einem erwarteten Einwand von mir zuvorkommend, sagte sie: »Ach, laßt mich Euch etwas zeigen, Mirza Marco.« Mit flinken Fingern nestelte sie die Bluse auf, die ihr Bruder trug. »Da er ein Junge ist, hat er selbstverständlich keinen Busen, aber seht nur, welch zarte und schön vorstehende Brustwarzen er hat!«
Ich starrte sie an, denn sie waren mit hinna leuchtendrot gefärbt. Sitare sagte: »Sind sie nicht genau wie meine?« Jetzt riß ich die Augen erst richtig auf, denn inzwischen hatte sie ihrerseits ihre Bluse ausgezogen und präsentierte mir ihre gleichfalls hinna-gefärbten Brustwarzen, damit ich beide miteinander vergliche. »Seht Ihr? Seine richten sich genauso auf wie meine.«
Sie plauderte unbekümmert weiter, ich jedoch war inzwischen außerstande, überhaupt irgend etwas einzuwenden. »Und als Junge hat Aziz selbstverständlich etwas, das ich nicht habe.« Sie knotete eine Schnur auf, die seinen pai-jamah zusammenhielt, ließ die Hose zu Boden fallen und kniete neben ihm nieder. »Hat er nicht einen vollkommenen zab en miniaturel Und schaut, was geschieht, wenn ich ihn streichle. Wie bei einem kleinen Mann. Und jetzt seht dies hier.« Sie drehte den Jungen herum und zog mit den Händen seine grübchenbesetzten, rosigen Hinterbacken auseinander. »Unsere Mutter war sehr gewis senhaft in der Anwendung des golule, und nach ihrem Tod habe auch ich mich darum bemüht
-seht Ihr, wie wundervoll das Ergebnis ist?« Noch eine rasche Bewegung, und sie streifte selbst ihren pai-jamah ab. Dann drehte sie sich um, drückte den Leib durch und ließ mich ihre unteren Regionen betrachten, die nicht von dunkelrotem Flaum beschattet waren. »Meines liegt zwei oder drei Fingerbreit weiter vorn, aber seht Ihr wirklich einen Unterschied zwischen
meinem mihrab und seinem...?« »Hör auf!« gelang es mir endlich hervorzustoßen. »Du versuchst mich zur Sünde mit dem Knaben zu verleiten, der noch ein Kind ist.« Was sie nicht leugnete, wohl aber der Knabe, der noch ein Kind war. Aziz drehte sich um, so daß wir einander wieder Auge in Auge gegenüberstanden, und ergriff zum ersten Mal selbst das Wort. Seine Stimme klang sehr melodisch, wie die eines Singvögelchens, aber es mangelte ihr nicht an Festigkeit. »Nein, Mirza Marco. Meine Schwester will Euch nicht verleiten. Und ich auch nicht. Meint Ihr wirklich, ich würde das jemals nötig haben?«
Betroffen von dieser direkten Frage, mußte ich mit »Nein« antworten. Doch dann rief ich alle meine christlichen Überzeugungen zur Hilfe auf und sagte vorwurfsvoll: »Damit zu prahlen, ist genauso abzulehnen, wie jemand rundheraus zu verführen. Als ich so alt war wie du, mein Kind, kannte ich kaum den normalen Zweck, dem diese Körperteile dienten. Gott bewahre, daß ich sie jemals so bewußt und verrucht und verletzlich -hergezeigt hätte! Allein so dazustehen, wie du es tust, ist schon Sünde.«
Aziz sah verletzt aus, als hätte er eine Maulschelle bekommen; entsprechend verblüfft runzelte er die weichen Brauen und die Stirn. »Ich bin noch sehr jung, Mirza Marco, und vielleicht unwissend, denn niemand hat mich gelehrt, eine Sünde zu sein. Nur entweder al-fa'il oder al-mafa'ul -je nachdem, was gewünscht wird.«
Ich stieß einen Stoßseufzer aus. »Ach, da habe ich doch schon wieder die hiesigen Gebräuche vergessen!« Ich ließ also vorübergehend meine Grundsätze zugunsten meiner Ehrlichkeit fahren und sagte: »Als der, der tut, oder der, dem getan wird, würdest du einen Mann wahrscheinlich vergessen lassen, daß es Sünde ist. Und wenn es das für dich nicht ist, bitte ich um Verzeihung, dich ungerecht getadelt zu haben.«
Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln, und sein ganzer
nackter kleiner Leib schien im dunkler werdenden Raum zu
glühen.
Ich setzte noch hinzu: »Ich bitte dich gleichfalls um Verzeihung,
daß ich andere unzutreffende und unberechtigte Dinge von dir
gedacht habe, ohne dich überhaupt gekannt zu haben. Du bist
ganz ohne jeden Zweifel das bezauberndste und schönste
Kind, das ich je gesehen habe, sei es Mädchen oder Junge und verführerischer als so manche erwachsene Frau. Du bist
wie eines der Traumkinder, von denen ich kürzlich gehört habe.
Wäre deine Schwester nicht da -du könntest selbst einen
Christen in Versuchung bringen. Doch da sie so überaus
begehrenswert ist, mußt du an die zweite Stelle treten - und ich
bin überzeugt, das wirst du verstehen.«
»Das verstehe ich«, sagte der Knabe immer noch lächelnd.
»Ich kann Euch nur beipflichten.«
Sitare, im Dämmerlicht gleichfalls eine von innen heraus
glühende Alabastergestalt, sah mich nicht wenig erstaunt an.
Fassungslos fast hauchte sie: »Ihr wollt mich immer noch?«
»Sehr. Jawohl, so sehr sogar, daß ich jetzt bete, es liegt in
meiner Kraft, dir den Gefallen zu tun, den du von mir erbittest.«
»O ja, das könnt Ihr.« Sie hob ihre Kleider vom Boden auf und
hielt sie zusammengeknüllt vor sich hin, auf daß ich von ihrer
Nacktheit nicht abgelenkt würde. »Wir bitten nur darum, daß Ihr
Aziz in Eurer karwan mitnehmt -und zwar nicht weiter als bis
Mashhad.«
Ich blinzelte. »Warum?«
»Ihr habt selbst gesagt, Ihr hättet nie ein schöneres und
einnehmenderes Kind gesehen. Und in Mashhad treffen viele
Handelsstraßen aufeinander. In dieser Stadt ergeben sich viele
Gelegenheiten.«
»Ich selbst habe keine große Lust hinzugehen«, sagte Aziz.
Auch seine Nacktheit lenkte ab, und so hob ich seine Kleider
auf und reichte sie ihm. »Eigentlich möchte ich meine
Schwester nicht verlassen, denn sie ist die einzige Verwandte,
die ich habe. Aber sie hat mich überzeugt, daß es so zum
besten wäre.« »Hier in Kashan«, fuhr Sitare fort, »ist Aziz nur einer von unzähligen hübschen Jungen, die alle darin wetteifern, einem der durchreisenden anderun-Beschaffer aufzufallen. Hier kann Aziz bestenfalls hoffen, einem solchen aufzufallen und Konkubine irgendeines Edelmanns zu werden, von dem sich nicht vorhersagen läßt, ob er ein guter oder ein böser, ein lasterhafter Mensch ist. In Mashhad hingegen könnte er einem der reichen durchziehenden Kaufleute vorgestellt werden; vielleicht mag der ihn und kauft ihn. Möglich, daß er sein Leben als Konkubine dieses Mannes beginnt, aber er hat dann zumindest Gelegenheit zu reisen, erlernt möglicherweise den Beruf seines Herrn und kann etwas Besseres aus sich machen, als nur ein anderun-Spielzeug zu sein.«
Herumzuspielen war dasjenige, wonach auch mir im Augenblick der Sinn am meisten stand. Es wäre mir ein Vergnügen gewesen, mit dem Reden Schluß zu machen und anzufangen, anderes zu tun. Gleichwohl ging mir in diesem Augenblick eine Wahrheit auf, die, wie ich meine, nicht vielen Reisenden jemals dämmert.
Wir, die wir durch die Welt ziehen, verweilen flüchtig in dieser oder jener Stadt; eine jede stellt nur ein Bündel flüchtiger Eindrücke unter einer ganzen Reihe solcher Bündel dar. Menschen sind für sie nur nebelhafte Gestalten, die für einen Augenblick aus den Staubwolken auftauchen, die unseren Pfad begleiten. Wir Reisende haben für gewöhnlich ein Ziel und verbinden einen Zweck damit, dieses zu erreichen; jeder Schritt auf dieses Ziel zu ist nur ein Meilenstein auf dem Weg dorthin. In Wirklichkeit ist es jedoch so, daß die Menschen, die dort leben, auch schon gelebt haben, ehe wir dorthin kamen, und weiterleben werden, nachdem wir längst fort sind. Sie haben ihre eigenen Sorgen -Hoffnungen, Ehrgeiz und Pläne -, die für sie selbst von so großer Bedeutung sind, daß sie gelegentlich sogar zu uns Vorüberziehenden davon reden. Folglich dachte ich wohlwollend über die ernsten Worte sowie die glühenden Gesichter von Sitare und Aziz nach, da sie von ihren
Hoffnungen und Plänen und ihrem Ehrgeiz sprachen. Und von
diesem Augenblick an habe ich mich auf all meinen Reisen
bemüht, auch noch den unbedeutendsten Ort in seiner
Gesamtheit zu sehen und die niedrigsten Bewohner darin
ausführlich zu betrachten.
»Wir bitten Euch daher nur, Aziz mit nach Mashhad zu
nehmen«, sagte Sitare, »und dort einen reichen kanvan-
Händler von freundlichem Wesen und anderen guten
Eigenschaften auszusuchen...«
»Jemand wie Ihr selbst einer seid, Mirza Marco«, sagte der
Junge.
»... und Aziz an ihn zu verkaufen.«
»Deinen Bruder verkaufen?« entfuhr es mir.
»Ihr könnt ihn schließlich nicht einfach mit dorthin nehmen und
dann sich selbst überlassen -einen kleinen Jungen in einer
fremden Stadt. Unser Wunsch ginge dorthin, daß Ihr ihn bei
dem bestmöglichen Herrn und Gebieter unterbringt. Und, wie
ich schon gesagt habe, werdet Ihr aus diesem Geschäft einen
hübschen Gewinn schlagen. Für die Mühe, die es Euch bereitet
hat, ihn mitzunehmen, und die Mühe, genau den richtigen
Käufer für ihn zu finden, könnt Ihr den ganzen Betrag behalten,
den Ihr für ihn erzielt. Für einen solchen hübschen Jungen
sollte das ein erkleckliches Sümmchen sein. Das ist doch mehr
als recht und billig, oder?«
»Ja, durchaus«, sagte ich. »Vielleicht ließen mein Vater und
mein Onkel sich durch diese Aussicht bewegen einzuwilligen,
aber versprechen kann ich das nicht. Schließlich bin ich nur
einer von dreien. Ich muß ihnen den Vorschlag unterbreiten.«
»Das erübrigt sich«, sagte Sitare. »Unsere Herrin hat bereits
mit ihnen gesprochen. Denn Mirza Esther ist gleichfalls viel
daran gelegen, daß Aziz auf einen Weg gebracht wird, der in
ein besseres Leben für ihn führt. Soweit ich weiß, denken Euer
Vater und Euer Onkel über den Vorschlag nach. Solltet also Ihr
nichts dagegen haben, Aziz mitzunehmen, würde Eure Stimme
den Ausschlag geben.«
Wahrheitsgemäß sagte ich: »Die Stimme der Witwe hat vermutlich mehr Gewicht als die meine. Und da dem so ist, Sitare, warum warst du dann bereit« - mit einer entsprechenden Handbewegung deutete ich ihren unbekleideten Zustand an -, »zu solchen Mitteln zu greifen, um mich zu bewegen, zu tun, was du möchtest?«
»Nun«, sagte sie lächelnd und nahm die Kleider, die sie in der Hand hielt, beiseite, um mir noch einen ungehinderten Blick auf sie zu gewähren. »Ich hatte gehofft, Ihr würdet ganz besonders gefällig sein...«
Immer noch wahrheitsgemäß sagte ich: »Das würde ich so und so sein. Nur gibt es noch ein paar andere Dinge, die man berücksichtigen sollte. Zunächst einmal geht es darum, daß wir eine gefährliche und im höchsten Maße unangenehme Wüstendurchquerung vor uns haben. Die Wüste ist nichts für Männer -von einem kleinen Jungen ganz zu schweigen. Wie allseits bekannt, treibt der Satansteufel in der Ödnis der Wüstenstriche ganz besonders sein Unwesen und ist dort besonders mächtig. In die Wüste gehen mit Vorliebe heiligmäßige Christen, bloß um ihre Glaubensstärke auf die Probe zu stellen - ich meine, über die Maßen fromme Christen wie der heilige Antonius. Und unheilige Sterbliche wagen sich nur unter großen Gefahren da hinein...«
»Das mag schon sein, aber sie gehen hinein«, sagte Aziz, dem Klang seiner Stimme nach offenbar völlig ungerührt von den Aussichten, die sich ihm boten. »Und da ich kein Christ bin, bin ich vielleicht auch weniger in Gefahr. Möglich sogar, daß ich für euch andere einen gewissen Schutz darstelle.«
»Wir haben noch einen anderen Nichtchristen, der mit uns zieht«, sagte ich säuerlich. »Und das ist etwas, worüber du auch nachdenken solltest. Unser Kameltreiber ist ein Tier, das gewohnheitsmäßig mit den niedrigsten Tieren verkehrt und sich mit ihnen paart. Nun, seine tierische Natur mit einem begehrenswerten und zugänglichen kleinen Jungen in Versuchung zu bringen...«
»Ah«, ließ Sitare sich vernehmen. »Das muß der Einwand sein,
den Euer Vater erhoben hat. Ich wußte, daß die Herrin sich
wegen irgend etwas Sorgen machte. Dann muß Aziz eben
versprechen, dem Tier aus dem Wege zu gehen, und Ihr, Mirza
Marco, müßt versprechen, über Aziz zu wachen.«
»Ich werde nie von Eurer Seite weichen, Mirza Marco«,
beteuerte der Junge, »weder bei Tag noch bei Nacht.«
»Aziz mag Euren Vorstellungen entsprechend nicht keusch
sein«, fuhr seine Schwester fort, »aber er treibt es auch nicht
mit jedem. Solange er bei Euch ist, wird er nur Euch gehören
und weder seinen zab noch seine Hinterbacken, ja, nicht einmal
seine Augen zu irgendeinem anderen Mann erheben.«
»Ich werde nur Euch gehören, Mirza Marco«, bestätigte er mit
einer vielleicht bezaubernden Unschuld, nur, daß er die Kleider
in seiner Hand beiseite hielt, genauso wie Sitare es getan,
damit ich mich an ihm satt sähe.
»Nein, nein und nochmals nein«, erklärte ich einigermaßen
erregt. »Aziz, du mußt versprechen, keinen einzigen von uns in
Versuchung zu bringen. Unser Sklave ist nur ein Tier, aber wir
anderen drei sind Christenmenschen. Du wirst völlig enthaltsam
bleiben müssen, von hier bis Mashhad.«
»Wenn Ihr unbedingt wollt«, sagte er, schien jedoch ein wenig
enttäuscht. »Dann schwöre ich es. Beim Barte des Propheten
(Segen und Frieden seien mit Ihm).«
Skeptisch fragte ich Sitare: »Gilt ein solcher Schwur von einem
Kind, das noch keinen Bart hat?«
»Das tut er sehr wohl«, sagte sie und sah mich von der Seite
an. »Eure trostlose Wüstendurchquerung wird durch nichts
gestört werden. Ihr Christen müßt irgendein krankhaftes
Vergnügen daran finden, Euch jedes Vergnügen zu versagen.
Aber sei's drum! Aziz, du kannst dich wieder anziehen.«
»Und du auch, Sitare«, sagte ich, und wenn Aziz enttäuscht
ausgesehen hatte -sie sah aus wie vom Donner gerührt. »Ich
versichere dir, liebes Mädchen, daß ich das höchst ungern,
aber mit den besten Vorsätzen sage.«
»Das verstehe ich nicht. Wenn Ihr die Verantwortung für
meinen Bruder übernehmt, wiegt meine Jungfräulichkeit nichts
dagegen, daß er vorankommt. Deshalb schenke ich sie Euch,
und zwar aus dankbarem Herzen.«
»Und ich danke dafür, Sitare. Und zwar aus einem Grunde,
dessen du dir gewiß bewußt bist. Denn -wenn dein Bruder mit
fortzieht - was soll dann aus dir werden?«
»Was spielt das für eine Rolle? Ich bin ja nur eine Frau.«
»Eine wirklich wunderschöne Frau! Folglich kannst du deinen
Körper, sobald Aziz versorgt ist, für dein eigenes Fortkommen
einsetzen. Für eine gute Ehe oder ein vorteilhaftes Konkubinat
oder was sonst für dich erreichbar ist. Nur weiß ich, daß Frauen
soviel nur erreichen können, wenn ihre Jungfräulichkeit
unangetastet ist. Und aus diesem Grunde will ich sie dir
lassen.«
Beide starrten sie mich an, und der Junge murmelte:
»Wahrhaftig, Christen sind divane!«
»Manche zweifellos. Aber manche bemühen sich auch, sich zu
verhalten, wie es Christen geziemt.«
In Sitares Augen und Blick kam etwas Weiches, und mit sanfter
Stimme sagte sie: »Und vielleicht gibt es einige, denen das
gelingt.« Doch wieder hielt sie herausfordernd die Kleider von
ihrem schönen Körper fort. »Seid Ihr ganz sicher, dies
zurückweisen zu wollen? Bleibt Ihr fest in Eurer gütigen
Entschlossenheit?«
Ein wenig unsicher lachte ich auf. »Ich bin alles andere als
standfest. Und deshalb laßt mich rasch fort von hier. Ich will mit
meinem Vater und meinem Onkel über Aziz und sein
Mitkommen reden.«
Die Besprechung dauerte nicht lange, denn als ich in den
Stallungen zu ihnen trat, redeten sie just darüber.
»Also«, sagte Onkel Mafio zu meinem Vater, »Marco ist auch
dafür, den Jungen mitkommen zu lassen. Damit steht es zwei
gegen einen, der im übrigen auch noch schwankt.«
Stirnrunzelnd fuhr mein Vater sich durch den Bart.
»Wir werden ein gutes Werk tun«, sagte ich.
»Wie könnten wir es von uns weisen, ein gutes Werk zu tun?«
wollte mein Onkel wissen.
Woraufhin mein Vater widerwillig knurrend eine alte Weisheit
von sich gab: »Die heilige Caritas ist tot, und ihre Tochter
Clementia, die Nachsichtige, siecht dahin.«
Doch mein Onkel hielt dem eine andere Weisheit entgegen:
»Höre auf, an die Heiligen zu glauben, und sie hören auf,
Wunder zu vollbringen.«
Dann sahen sie einander verlegen schweigend an, bis ich das
Schweigen zwischen ihnen brach und sagte:
»Ich habe den Jungen schon gewarnt, daß die
Wahrscheinlichkeit, belästigt zu werden, für ihn groß ist.« Beide
ließen daraufhin den Kopf herumfahren und sahen erstaunt
mich an. »Ihr wißt doch«, murmelte ich voller Unbehagen, »wie
groß Nasenlochs Neigung ist, hm, Dummheiten zu machen.«
»Ach das«, sagte mein Vater. »Ja, auch das muß bedacht
werden.«
Ich war froh, daß er darüber nicht sonderlich besorgt schien. Ich
hatte nämlich keine Lust, derjenige zu sein, der von Nasenlochs
jüngster Ungeheuerlichkeit berichtete, was dem Sklaven nur
eine verspätete Tracht Prügel eingetragen hätte.
»Ich habe Aziz eingeschärft«, erklärte ich, »allen verdächtigen
Annäherungen gegenüber auf der Hut zu sein. Und ich habe
versprochen, auf ihn aufzupassen. Was seinen Transport
betrifft, so meine ich, das Las tkamel ist keineswegs überladen,
und der Junge wiegt kaum etwas. Seine Schwester hat sich
erboten, uns alles zu überlassen, was wir bei einem Verkauf für
ihn erzielen, und das sollte eine ganze Menge sein. Ich jedoch
meine, wir sollten davon nur abziehen, was er uns an Unterhalt
gekostet hat, um dem Jungen dann den Rest auszuhändigen.
Als eine Art Schenkung für ihn, ein neues Leben damit zu
beginnen.«
»Also, was gibt's da noch zu überlegen«, sagte Onkel Mafio
und kratzte sich am Ellbogen. »Der Junge hat bereits ein
Reittier und einen Wächter, der auf ihn achtgibt. Er bezahlt
seine eigene Überführung nach Mashhad und verdient noch die
eigene Mitgift. Was könnte es da noch für Einwände geben?«
Ernst, ja, geradezu feierlich sagte mein Vater: »Wenn wir ihn
mitnehmen, bist du für ihn verantwortlich, Marco. Du
garantierst, den Jungen vor jedem Schaden zu bewahren?«
»Ja, Vater«, sagte ich und legte die Hand bedeutsam an
meinen Dolch. »Jedes Ungemach muß mich nehmen, ehe es
ihn nimmt.«
»Du hörst, Mafio.«
Ich spürte wohl, daß das, was ich schwor, ein sehr ernster
Schwur war, denn mein Vater forderte meinen Onkel
ausdrücklich auf, Zeuge dieses Schwurs zu sein.
»Ich höre, Nico.«
Mein Vater seufzte auf, sah erst ihn an und dann mich, kratzte