Vom Glücksschwein zum Trüffelschwein
Im Schlafzimmer ist es
brütend heiß und ich wache schon das dritte Mal in der Nacht auf
und wische mir den Schweiß ab.
»Hast du etwa die Heizung
angestellt?«
»Natürlich nicht«, sagt Martin
und öffnet das Fenster. Er folgt mir in die Küche und schaut dabei
zu, wie ich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank nehme, sie
ansetze und zur Hälfte austrinke.
»Und du willst wirklich mit mir
in den Süden ziehen?«, lacht er mich aus. »Dann achte darauf, dass
das Haus eine Klimaanlage hat, damit wir wenigstens in Zukunft mal
wieder eine Nacht durchschlafen können.« Er hat ja Recht.
Mittlerweile haben meine Wechseljahresbeschwerden ein solches
Ausmaß angenommen, dass an ungestörte Nachtruhe nicht mehr zu
denken ist. Ob ich nicht doch der Hormontherapie zustimmen möchte,
die mir mein Frauenarzt empfohlen hat, will er wissen. Aber ich
schüttle energisch den Kopf. Keine Therapie. Mein Bedarf an
Therapien ist gedeckt. Erst Anjas Chemotherapie, danach das Bangen
während des riskanten Eingriffs und schließlich die lange Reha, in
der sie ihre Sprachstörung wieder in den Griff bekommen musste.
Geduldig und diszipliniert hat sie mitgearbeitet. Nach drei Monaten
ist sie fast wieder ganz die Alte. Gerald stand ihr während der
ganzen Zeit wie ein Fels in der Brandung zur
Seite.
»Eher wie ein Dauerschatten«,
sagte sie gestern zu mir, als ich sie besuchte. Sie darf selber
noch nicht Autofahren. Dass sie auf seine ständige Unterstützung
angewiesen ist, geht ihr langsam aber sicher gegen den Strich.
Meine selbstbewusste und selbstständige Freundin ist die Rolle der
Pflegebedürftigen endgültig leid.
»Bitte nimm mich mit. Ich
brauche dringend einen Tapetenwechsel und kann seine lieb gemeinte,
aber völlig übertriebene Fürsorge nicht einen Tag länger ertragen«,
bettelte sie mich an.
»Anja, ich fahre nicht in den
Urlaub. Das wird ein anstrengender Besichtigungsmarathon. Martin
hat rund zwanzig Häuser in die nähere Auswahl gezogen, die ich mir
ansehen werde. Das wird eher kräftezehrend als
erholsam.«
»Erholung hatte ich genug. Nimm
mich mit, bitte.« Wer kann dieser Frau etwas abschlagen? Ich
nicht.
Mit einer dicken Mappe Exposés im Handgepäck
checken Anja und ich zum Flug nach Nizza ein. Während des Fluges
betrachten wir die mondänen Villen und meiner Freundin verschlägt
es glatt die Sprache, als sie die Kaufpreisforderungen der
Immobilien sieht. Wieder einmal hält sie mir unter die Nase, was
für ein Glücksschwein ich doch bin. Dass Martin vermögend ist, ist
ja kein Geheimnis. Nur wie reich er tatsächlich ist, wird ihr jetzt
erst richtig klar.
»Diese Paläste schauen wir uns
gar nicht erst an. Das ist nicht meine Welt. Allerdings brauchen
wir ein großes Haus. Wenigstens zwei Gästezimmer müssen es sein.
Sollte mein Riese tatsächlich irgendwann ganz mit mir umsiedeln,
brauchen wir Platz für die Kinder und die Enkel.«
»Du solltest deinen Riesen
endlich ehelichen. Wie lange willst du es noch hinausschieben?
Willst du etwa so lange warten, bis ein junges Huhn die Krallen
nach ihm und seiner Asche austreckt?«
»So ganz haben die Ärzte deinen
Dachschaden nicht wegbekommen, oder? Du redest zwar wieder deutlich
und verständlich, aber einen solchen Blödsinn, dass ich dir darauf
keine Antwort gebe.«
Während unserer einstündigen Fahrt mit dem
Leihwagen staune ich über die üppige Vegetation. In Hamburg
herrscht noch Schnee und Eis, während hier die Mimosen in voller
Blüte stehen. Bunte Frühlingsblumen entfalten sich an der Küste, an
den Hängen entlang und rechts und links der Promenadenstraßen. Sie
leuchten in allen Schattierungen aus gelb, blau, rosa, rot und
violett.
»Ja, Frau Talbach. Der Frühling
ist auch meine liebste Jahreszeit«, begrüßt uns Christopher
Hinrichs. Der Besitzer des kleinen Weinhotels, in dem Martin und
ich während unseres letzten Aufenthaltes wohnten, nimmt uns die
Koffer ab und zeigt uns die beiden Zimmer in der ersten Etage.
Christopher ist gebürtiger Bremer und betreibt das kleine Hotel
gemeinsam mit seiner Frau, der Französin Nicole. Lavendel steht an
meiner Tür und ich betrete den Raum, der in zarten Violetttönen
eingerichtet ist. Die Ausstattung in Anjas Zimmer ist grün
gehalten, passend zum Namen Herbes de Provence. Die beiden
nebeneinander gelegenen Suiten teilen sich einen Balkon, der zur
Gartenseite ausgerichtet ist. Von hier haben wir einen weiten Blick
auf die angrenzenden Weinfelder, deren Stöcke noch keine Blätter
tragen.
»Im Sommer muss es hier
traumhaft sein«, schwärmt Anja, aber ich finde es auch im März
schon unbeschreiblich schön. In der Vorsaison ist das Haus nur
schwach belegt. Wir luschern vom Balkon auf die Terrasse und werfen
einen Blick auf die wenigen Hotelgäste, die bei Kaffee oder Wein
die ersten Sonnenstrahlen genießen. Auch uns steht der Sinn nach
einem Getränk und ich nehme meine Mappe mit den Immobilienangeboten
unter den Arm. An der Rezeption liegt eine Umgebungskarte aus, die
ich mir gleich schnappe. Während ich Anja die Straßennamen ansage,
sucht sie den Weg im Plan heraus. Wir sitzen noch keine zehn
Minuten im Garten und warten noch auf unseren Kaffee, als sich die
beiden Männer vom Nebentisch für uns
interessieren.
»Auf Urlaub hier?«, fragt der
ältere der beiden. Ich schätze den übergewichtigen Anzugträger auf
Anfang sechzig. Sein Begleiter dürfte in meinem Alter sein. Auf
jeden Fall fällt keiner der beiden in Anjas Beuteschema.
Dementsprechend unfreundlich antwortet sie ihm.
»Nein, wir sind zur
Zwangsarbeit hier. Eine Resozialisierungsmaßnahme, die aus EU
Geldern gefördert wird.« Ich könnte schon wieder im Erdboden
versinken. Mein böser Blick soll sie auffordern, auf der Stelle
ihre freche Klappe zu halten. Schließlich soll diese Gegend
irgendwann mal mein Zuhause werden. Und es wäre schön, wenn sie
mich nicht schon vorher unmöglich macht.
»Halte dich zurück«, zischel
ich ihr zu. Aber zu spät. Der Anzugträger scheint nicht dünn
besaitet zu sein und fragt, was wir denn verbrochen hätten und
bietet an, uns auf dem Weg zurück in die Gesellschaft behilflich zu
sein.
»Sie sind aber mutig, mein
Herr. Wissen Sie denn nicht, wer wir sind? Lesen Sie keine
Zeitung?« Ich ahne schon was jetzt kommt und schaue Anja
beschwörend an. Bitte jetzt nicht die Geschwistergeschichte! Aber
mein Hoffen ist vergeblich.
»Haben Sie denn nicht von den
männermordenden Schwestern Hallbach gehört? Das sind wir. Meine
Schwester Lilo Hallbach und ich heiße Josefine.«
Na bravo, ich hab mal wieder den doofen
Vornamen abgekriegt. Gleich sagt sie wieder, dass wir auf Bewährung
raus sind und er uns besser nicht in Versuchung führen sollte. Und
richtig, sie lässt die alte Story los. Aber er lässt sich nicht
abschrecken.
»Für Geschwister habe ich Sie
nun wirklich nicht gehalten. Ich sehe nicht die Spur einer
Ähnlichkeit.«
»Josefine kommt nach unserem
fetten Vater, während ich die zarte Figur meiner Mutter geerbt
habe«, sage ich und kann mein Lachen kaum noch unterdrücken. Damit
habe ich Anja vorläufig ausgebremst und sie ist endlich still. Ich
entschuldige mich für das unmögliche Benehmen meiner Freundin und
erkläre es mit ihrem gerade repariertem Dachschaden. Nach langem
Warten kommt unser Kaffee und ich begrüße Nicole Hinrichs, die sich
noch gut an mich erinnern kann.
»Kommt Ihr Mann auch noch?«,
will sie wissen und ich erzähle ihr von meinem
Sondierungsauftrag.
»Wenn ich fündig werde, dann
sind wir spätestens Ostern wieder gemeinsam hier.« Ich schaue der
Enddreißigerin auf ihren Bauch und sie lächelt mir
zu.
»Ja, im siebten Monat. Ein
Wunschkind. Es wird bestimmt ein Mädchen, so wie ich unter der
Schwangerschaft leide.« Wieder fühlt sich der Anzugsträger
angesprochen und mischt sich ein.
»Nicole, Sie sehen blendend
aus. Wenn Sie Leiden sehen wollen, dann schauen Sie mich an. Ich
sitze hier seit einer halben Stunde auf dem Trockenen und würde
gern noch eine Karaffe Wein bestellen.« Die Wirtin nickt freundlich
und flüstert mir zu, dass wir uns später noch unterhalten wollen.
Die Sonne versteckt sich hinter dunklen Wolken und ich trinke
meinen Kaffee schnell aus. »Lass uns zu Hause anrufen«, schlage ich
Anja vor. Als ich die Landkarte zurück an den Empfangstresen
bringe, fragt Christopher, ob ich und meine Begleitung heute bei
ihnen zu Abend essen möchten. Außerhalb der Saison wird nur auf
Bestellung gekocht. Heute steht Lapin aux Vin auf der
Karte.
»Lecker. Wann soll es
losgehen?«
»Zwanzig Uhr. Für zwei
Personen?« Ich nicke und gehe mit Anja die Treppe hinauf. Was Lapin
ist, will sie wissen und ich antworte ihr, dass es genau ihren
Geschmack trifft.
»Rammler in Wein. Das sollte
dir doch entgegenkommen.«
Ich habe mir schon früh abgewöhnt, gleich
»Hey, Schatz« oder ähnliches ins Telefon zu rufen, wenn ich die
direkte Durchwahl von Martin bei Solution Partner anrufe. Gut, dass
ich auch heute gewartet habe, bis sich jemand am anderen Ende der
Leitung meldet. Seine Assistentin, Julia, 27 Jahre jung und
bildhübsch, sagt, dass Herr Seibert noch in einer Besprechung
steckt. Ob es wichtig ist und sie stören soll. Nein, soll sie
nicht. Ich schreibe ihm eine SMS.
Sind gut gelandet. Hier ist schon Frühling.
Habe ein zauberhaftes Zimmer bei Christopher mit Blick in den
Garten. Werden heute Abend Nicoles Köstlichkeiten genießen. Leider
ohne dich!!! Kuss!! Vielleicht bis später. Lotte
Das Abendessen findet nicht wie üblich im
Restaurant, sondern im kleinen Salon statt. Die Wirtsleute haben
eine Tafel für acht Personen gedeckt und servieren die Gänge
persönlich. Anja und ich sitzen den beiden freiwilligen
Bewährungshelfern vom Nachmittag gegenüber und ich halte es für
eine gute Idee, uns den Anwesenden mit richtigem Namen
vorzustellen.
»Friedrich Kapellmann« sagt der
Anzugträger und stellt seinen Begleiter als Jan Degenhardt vor. Das
Ehepaar zu meiner rechten Seite sind Birte und Tim Meister aus
Köln. Sie machen Fahrradurlaub und gönnen sich in dieser Auberge
eine Auszeit, bis es morgen weiter in Richtung Italien gehen soll.
Die älteren Schneiders zu meiner Linken haben bei Christopher
überwintert. Sie bleiben nur noch eine Woche.
»Dann beginnt die Nebensaison
und wir müssen«, sagt Herr Schneider und reibt Daumen und
Zeigefinger gegeneinander.
»Ja«, stimmt Anja ihnen zu.
»Das ist hier wirklich ein recht teures Pflaster. Bei den
Immobilienpreisen wird einem ja geradezu schwindelig.« Kapellmann
schenkt den Wein aus und wir prosten uns alle zu. Birthe berichtet
von ihren anstrengenden Etappen, die hinter ihr liegen und Frau
Schneider erklärt, welche Sehenswürdigkeiten wir uns auf keinen
Fall entgehen lassen dürfen. Endlich gibt es Essen. Das
Kaninchengericht ist genauso köstlich, wie der Duft, der mir
bereits seit Stunden den Mund wässrig gemacht hat. »Wunderbar«,
schwärme ich und auch Anja ist begeistert. Auch Schneiders und die
beiden Fahrrad Reisenden loben Nicoles Kochkünste. Nur Kapellmann
nicht. Er meint, er hätte schon besseres Lapin aux Vin
stehenlassen.
»Dann lassen Sie heute mal eine
Mahlzeit aus und zehren von Ihren Reserven. Die sind ja
offensichtlich im Überfluss vorhanden«, faucht Anja ihn
an.
»Sie haben Recht. Das bisschen,
was es hier zu essen gibt, kann ich auch trinken. Nicole! Noch eine
Karaffe Wein bitte.« Auch nach dem zweiten Glas Wein und einem
Absacker nach dem Dessert werden Kapellmann und sein schweigender
Begleiter mir nicht sympathischer. Wir bedanken uns bei den
Wirtsleuten für den netten Abend und verabschieden uns. Zum
Frühstück werden wir uns alle wiedersehen.
»Was für ein unausstehlicher
Fettsack«, schimpft Anja und ich muss ihr diesmal vollkommen
zustimmen.
Obwohl ich bei geschlossenem Fenster
geschlafen habe, hatte ich in der Nacht nicht eine einzige
Schwitzattacke. Ausgeruht und in bester Laune klopfe ich bei Anja
an die Tür und hole sie zum petit déjeuner ab. Ich warne sie
bereits auf dem Weg ins Erdgeschoss vor.
»Erwarte kein umfangreiches
Buffet, wie es bei dir in der Alten Mühle üblich ist. In Frankreich
gehört zum Frühstück ein Kaffee, vielleicht ein Croissant oder eine
andere Backware, ein Stück Butter und Marmelade. Mit Glück gibt es
einen Saft, aber das war’s.« Völlig in Ordnung, findet sie. Aber
diese Einstellung scheint der feiste Kapellmann nicht mit ihr zu
teilen. Er fragt, wo die Aufschnittplatten und der Käse stehen. Und
ob es kein Vollkornbrot gibt. Er hätte besser im Schwarzwald Urlaub
gemacht, denke ich und grüße nur kurz in die Runde. Christopher
bietet ihm an, Eier zuzubereiten. Und Kapellmann bestellt sich
vier.
»Rühreier, aber nicht so
trocken. Allerdings glibbern sollen sie auch nicht mehr.« Ich flehe
Anja an, sich zurückzuhalten. An guten Tagen hätte sie ihm in ihrem
Lokal angeboten, sich die Eier selbst zuzubereiten. An schlechten
Tagen, hätte sie den Meckerpott gleich im hohen Bogen vor die Tür
gesetzt.
Für einen ausgiebigen Plausch fehlt uns die
Zeit. In einer halben Stunde sind wir mit der Immobilienmaklerin
verabredet. Wir verabschieden die Radler und wünschen ihnen
trockenes Wetter auf ihrer Tour und machen uns auf den
Weg.
Madame Joulivez erwartet uns bereits vor dem
ersten Objekt. Eine 240 qm große Villa älteren Baujahres in den
Anhöhen mit freiem Blick auf das Meer. Mein Blick fällt nicht wie
vorgeschlagen auf die blaue Bucht, sondern auf die hohen Baukräne,
die zahlreich auf den Nachbargrundstücken stehen und für die
nächsten Jahre reichlich Lärm voraussagen. Vermutlich war das die
schnellste Besichtigung, die Madame je durchgeführt hat. Weiter
geht es zum nächsten Objekt.
Ein Landhaus mit 6 Zimmern und direktem
Zugang zum Meer. Klingt vielversprechend.
»Une maison bord de mer«, lobt
die Maklerin die direkte Meerlage. »Die Franzosen lieben es.
Objekte dieser Art sind ganz besonders begehrt und äußerst rar.«
Dass genau vor dem Eingang des Hauses die Schnellstraße verläuft,
hat sie versäumt, zu erwähnen.
»Wir lassen es besser in
französischer Hand«, sage ich und steige erst gar nicht aus dem
Wagen aus.
Eine Villa am Golfplatz ist unser nächstes
Ziel. Beim Anblick der Golfsportler, die offensichtlich alle im
Einheitsdress gekleidet sind, vergeht mir gleich die
Lust.
»Madame, ich suche kein
Ferienhaus. Ich will hier nicht einmal im Jahr Urlaub machen,
sondern hier irgendwann meinen Lebensmittelpunkt haben. Bitte
zeigen Sie mir keine Clubhäuser und keine Ferienobjekte. Meerblick
wäre wunderbar, ist aber nicht zwingend.« Sie überlegt und schlägt
uns vor, einige Kilometer ins Landesinnere zu fahren. Dort wartet
eine restaurierte Bastide auf einen neuen
Besitzer.
Nach zwanzig Kilometer durch die Serpentinen
erreichen wir ein Waldgrundstück.
»Hat es hier gebrannt?«, fragt
Anja beim Anblick der verkohlten Bäume. Die Maklerin zieht die
Brauen hoch und erklärt, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass es im
Hochsommer in dieser Region zu Waldbränden kommt. Das aus
Natursteinen erbaute Mas hat Charme. Mehr aber auch nicht. Bei
einer Deckenhöhe von knapp zwei Metern müsste mein Riese allerdings
die ganze Zeit in Bückstellung laufen.
»Hat die sich etwa auf
Schrottimmobilien spezialisiert?«, fragt Anja und zieht sich die
Schuhe aus. »Wo sind die Luxusvillen, die du mir auf dem Papier
gezeigt hast?« Anja kramt die Exposés aus der Mappe und reicht sie
Madam Joulivez zur Ansicht. Die Maklerin unterzieht uns einem
prüfenden Blick und merkt an, dass es sich bei diesen Angeboten um
Häuser für ein besonderes Klientel handelt.
»Wo Geld keine Rolle spielt,
wenn Sie verstehen was ich meine, Frau Talbach.« Nein ich verstehe
nicht. Meint diese Maklertussi, wir könnten uns diese Häuser nicht
leisten? Glaubt sie tatsächlich, ich würde meine Zeit an der Cote
d’Azur damit verbringen, mir Villen anzuschauen, die ich mir gar
nicht leisten kann. Hält die mich etwa für blöd? Egal. Ich halte
sie für blöd und beschließe, dass sie nicht einen Euro Provision
durch mich verdienen wird. Was für ein Reinfall. Der erste Tag
meiner Immobiliensuche endet enttäuschend und mit zwei dicken
Blasen an meinen Füßen.
»Sie sollten sich einmal in Port Grimaud
umsehen. Eine Lagunenstadt. Wie Venedig. Das ideale Domizil für
Segler. Es gibt Häuser und Wohnungen mit direktem Liegeplatz vor
dem eigenen Garten«, sagt Kapellmann. Christopher reicht mir eine
Visitenkarte von der Firma Prestige Immobilien und rät mir, mich an
Jerome zu wenden. Während ich meine geschundenen Füße versorge,
wird in der Küche wieder lecker gekocht. Ich habe einen unbändigen
Hunger, denn das Butter Croissant vom Morgen war das Einzige, was
ich meinem Magen heute gegönnt habe. Ich schließe mein Notebook an
und gehe auf die Webseiten der empfohlenen Immobilienfirma. Die
Kaufpreisforderungen treiben mir die Tränen in die Augen. Das ist
nicht meine Welt. Das habe ich mir nie erträumt. Ein einfaches Haus
im Süden. Keinen Prunkschuppen und auch keine baufällige Bruchbude.
Ist denn das so schwer zu kapieren? Jerome hat vornehmlich Objekte
direkt in Saint Tropez im Angebot. Unter fünf Millionen ist da gar
nichts zu machen. Ich zerreiße die Visitenkarte gleich und schreibe
Martin eine Mail.
Heute war kein guter Tag. Bin total
erledigt und frustriert. Habe es mir einfacher vorgestellt. Bin
traurig und vermisse dich. Deine Lotte
Nur wenige Minuten später erhalte ich
Antwort.
Mission Savoir vivre gescheitert? Dann komm
nach Hause. Ich vermisse dich auch. Kuss Martin
Ha! Da kennt er mich aber schlecht.
Charlotte Talbach und aufgeben? Nicht nach so kurzer
Zeit.
Anja und ich sind die einzigen Gäste, die
Abendessen bestellt haben. Nicole fragt, ob es uns etwas ausmachen
würde, wenn wir mit ihr und ihrem Mann zu viert im privaten Rahmen
speisen würden. Ganz im Gegenteil. Anja erzählt von der Alten Mühle
und dass auch sie vom Fach ist.
»Dann weiß du ja, was wir hier
gerade durchmachen. Außerhalb der Saison lohnt es sich nicht.
Christopher und ich machen uns krumm, für einige Gäste, die man an
einer Hand abzählen kann. Frühstück, Mittag, Zimmer sauber machen.
Abendessen und dann das ewige Genörgel über die Preise.
Südfrankreich ist nun mal nicht billig, stöhnt
Nicole.
»Und während der Saison fressen
uns die Kosten auf. Allein das Personal. Kellner, Zimmermädchen,
Küchenhilfen. Da bleibt am Ende nicht viel hängen«, fügt
Christopher an.
»Nee, Leute. Ihr habt keinen
Grund zum Stöhnen. Ihr seid jung, kerngesund und ihr erwartet euer
erstes Kind. Also freut euch und macht ein anderes Gesicht!«, sagt
die Expertin Anja. Nicole verlässt weinend den Tisch und
Christopher ist in Erklärungsnot. Bei einem Glas Wein erzählt er
uns, dass er mit seinem Bruder vor fünf Jahren das Anwesen gekauft
hat. Zusammen mit ihm wollte er das riesige Grundstück mit
Ferienhäusern bebauen. Ein Club Vineyard sollte entstehen. Mit
gehobener Gastronomie und erlesenen Weinen. Aber schon nach zwei
Jahren ging sein Bruder mit seiner Baufirma in Bremen
pleite.
»Die ersten beiden Häuser
konnten noch nicht einmal fertiggestellt werden. Jetzt droht Nicole
und mir wegen ihm die Zwangsversteigerung.«
»Welche Häuser?«, frage
ich.
»Das Clubhaus und der erste
Pavillon. Die Gebäude liegen in Mitten der Weinberge. Drei Minuten
Fußweg von hier.«
»Warum verkauft ihr
nicht?«
»Weil die Baugenehmigungen
abgelaufen sind und nicht erneuert werden. Der neue Gemeinderat hat
entschieden, dass keine Neubauten mehr errichtet werden dürfen. Wir
haben teures Geld für Bauland bezahlt. Jetzt hat es nur noch den
Wert von Ackerland.« Puh. Das ist wirklich ein starkes
Stück.
Statt mit Kapellmann und den Schneiders zu
frühstücken, trinken Anja und ich bei Nicole in der Küche einen
Kaffee. Sie entschuldigt sich für ihre Tränen vom Vorabend und ich
tröste die werdende Mama.
»Das sind die Hormone. Gib mir
einfach deinen Überschuss ab. Ich kann ihn gut gebrauchen.« Aber
sie lacht nicht, sondern erzählt uns im Vertrauen, dass wenn sie
nicht binnen zehn Tagen eine gewaltige Summe aufbringen, Kapellmann
das Anwesen ersteigert.
»Zum Schnäppchen Preis. Er
lungert hier schon seit Wochen herum und wartet nur darauf, dass er
zuschlagen kann.« Ich bin entsetzt. Wie dreist, dass sich dieser
übergewichtige Leichenfledderer auch noch bei den beiden netten
Leuten einquartiert und sich von ihnen bedienen
lässt.
Nach dem das Frühstück beendet ist, bitte
ich Christopher, mir die Rohbauten zu zeigen. Wir machen uns auf
einen kurzen Spaziergang über einen schmalen Weg durch die
Weinberge. Nach der Biegung sehe ich schon die roten Dachziegel
eines langen Gebäudes. Es ist einstöckig und hat eine ungestrichene
Putzfassade. Fünf bodentiefe Rundbogenfenster mit Sprossen und
Klappläden geben diesem Gebäude ein Gesicht. Es liegt auf einem
prächtigen Naturgrundstück, auf dem uralte Korkeichen wachsen. Kurz
vor den Weinstöcken ist ein riesiger Pool
errichtet.
»Und das ist der Pavillon.
Unser Prototyp für die geplanten Ferienhäuser.« Der quadratische
Baukörper von rund 60 qm ist in zwei Zimmer, Küchenzeile und Bad
aufgeteilt.«
»Warum vermietest du die beiden
Häuser nicht? Dann hättet ihr wenigstens
Einnahmen.«
»Für die Endarbeiten und die
Einrichtung fehlte mir das Geld, nachdem die Bank den Hahn
zugedreht hat.« Ohne lange zu überlegen rufe ich
aus
»Ich kaufe es! Nenne mir einen
angemessenen Preis.« Ich bin völlig aus dem Häuschen. Genau das ist
der Platz, den ich gesucht habe. Anja sieht mich entgeistert an. Ob
ich ohne Martin, so eine Entscheidung treffen kann, will sie
wissen. Ja, ich kann. Ich habe ein gutes Bauchgefühl. Und darauf
konnte ich mich immer blind verlassen. Christopher schaut mich
entgeistert an. Er glaubt mir scheinbar nicht und
sagt
»Zahle noch diese Woche und es
gehört dir.« Wie groß das Grundstück ist, will ich wissen und was
an notwendigen Baukosten anstehen würde. Schließlich werde ich
gleich zurückfliegen, um meinen Riesen zu
mobilisieren.
Während ich die Koffer packe, suchen Nicole
und Christopher Unterlagen für mich zusammen. 7000 qm ist das
Naturgrundstück groß. Beide Häuser verfügen bereits über Elektrik,
Wasser und Heizung. Der Rest sollte für Charlotte Talbach doch ein
Kinderspiel sein. Noch bevor wir in Richtung Flughafen Nizza
starten, halte ich noch einmal an den Bauten an und fotografiere
Häuser und Grundstück aus allen Ecken und Winkeln. Vergiss es
Kapellmann! Hier werde ich wohnen. Zusammen mit Martin. Meinem
geliebten Riesen. Oh, meine Güte. Ich kann es kaum erwarten, ihm
davon zu berichten.
Ich lasse Anja nur kurz aussteigen. Danach
fahre ich wie auf Speed nach Hause. Es brennt noch Licht, obwohl es
schon auf Mitternacht geht. Martin liegt schlafend auf dem Sofa und
der Fernseher läuft. Ich stelle den Ton aus und setze mich behutsam
auf die Kante. Als er die Augen öffnet, falle ich ihm sofort um den
Hals. Ich ignoriere den Schreck, den er bekommen hat und juche
gleich los.
»Ich hab’s, Martin. Ich hab das
Paradies für uns gefunden. Wir dürfen keine Zeit verlieren, sondern
müssen sofort handeln.«
»Guten Abend, Lotte. Danke,
dass du mich gerade zu Tode erschreckt hast.«
»Tut mir leid. Das war ganz und
gar nicht meine Absicht, denn ich brauche dich lebendig. Quietsch
lebendig. Komm bitte und stehe auf. Ich habe Wichtiges mit dir zu
besprechen.« Ich koche Kaffee und Tee und zeige die Unterlagen, die
Fotos und warte auf sein »Hurra!«. Aber Martin gibt sich bedächtig.
Er mag keine Schnellschüsse und findet, wir sollten wohlüberlegt
handeln.
»Ich will dieses Anwesen.
Unbedingt! Fast genauso sehr, wie ich dich damals wollte.« Endlich
habe ich ihn soweit und er stimmt zu, übermorgen mit mir nach
Frankreich zu fliegen.
»Du wirst begeistert sein und
es lieben, genau wie ich. Keine Nachbarn. Kein King Kong. Kein
Lärm. Es dürfen keine weiteren Häuser gebaut werden. RUHE! Endlich
ungestört leben. Und bei der Innenausstattung brauchen wir keine
Kompromisse einzugehen. Wir können alles nach unseren Wünschen
gestalten.«
»Kann man zwischen den Bäumen
eine Hängematte spannen? Davon habe ich immer
geträumt.«
»Du bekommst deine Hängematte,
Liebling. Und wenn ich sie selber knüpfen muss.«
Auch 36 Stunden später sprudel ich noch
immer vor Begeisterung über. Während des Fluges und auf der Fahrt,
die uns direkt zum Anwesen führt, ohne dass wir uns zuvor bei
Christopher melden, schwärme ich und überschütte Martin mit Ideen.
Ich kann das Haus schon fertig eingerichtet vor meinen Augen sehen.
Martin nicht. Fast entsetzt sagt er, dass die Häuser ja noch im
Rohbauzustand sind.
»Ich dachte, du wolltest aufs
Meer blicken können.«
»Wir schauen auf die Weite der
Weinfelder. Das ist doch auch schön. Außerdem ist es hier viel
milder als direkt am Wasser. Und in zehn Minuten können wir am
Strand sein.«
»Lotte, im Ernst, sehr
repräsentativ ist es nicht.«
»Repräsentativ? Es ist ideal,
Martin. Ich will keinen Prunkpalst auf drei Etagen. Wer soll denn
so ein 400 qm Haus sauber halten. Etwa ich? Ich hasse Hausarbeit!
Dieses Haus hat genau die richtige Größe für uns. Und wenn wir
Besuch bekommen, dann wohnen unsere Gäste in einem eigenen
Pavillon. Denk doch auch mal an die Zukunft. Wir werden nicht
jünger und im Alter sind wir bestimmt froh, wenn wir keine Treppen
mehr steigen müssen. Wie viele Argumente brauchst du denn noch, um
endlich überzeugt zu sein?«
»Ach, Lotte. Ich nehme dich
doch nur hoch. Du hattest mich doch schon in Hamburg überzeugt. Es
ist so amüsant, zu sehen, wie sehr du dich für eine Sache ins Zeug
legst. Dabei könnte ich dir stundenlang zusehen.«
»Du findest es also
schön?«
»Schön? Es ist ein Juwel. Aber
ich werde nicht blind unterschreiben. Im Französischen
Vertragsrecht kenne ich mich nicht aus. Deshalb habe ich meinen
Bruder gebeten, die Formalitäten zu übernehmen. Sicher ist
sicher.«