Die Geschütze von Carabobo

Die Brigg sah einem britischen Kriegsschiff zum Verwechseln ähnlich, und das war am Ende kein Wunder, weil sie die längste Zeit ihres Lebens - bis sie nämlich zum Verkauf kam - wirklich eines gewesen war. Auch als sie jetzt in den Hafen einlief, hätte sie jedermann für ein Kriegsschiff gehalten, wenn sie nicht anstelle des Kommandowimpels den Stander des Königlichen Yachtgeschwaders im Topp geführt hätte.

Hornblower setzte das Glas ab, mit dem er voll Neugier verfolgt hatte, wie dieser seltsame Vogel durch die Hafeneinfahrt von Kingston hereinglitt, und nahm noch einmal Barbaras zwei Monate alten Brief zur Hand, der vor nunmehr vierzehn Tagen hier angelangt war.

Mein allerliebster Mann, (schrieb Barbara. Sie mißbrauchte zuweilen ihre Superlative, denn strenggenommen konnte die Anrede ›allerliebster‹ nur besagen, daß sie mindestens drei Männer besaß, unter denen Hornblower allerdings die erste Stelle einnahm.)

Du wirst bald einen interessanten Besuch bekommen. Es handelt sich um einen Millionär namens Charles Ramsbottom, der sich ein ausgedientes Marinefahrzeug kaufte und es auf den Namen Bride of Abydos taufte. Er gedenkt das Schiff als Yacht zu benutzen und damit die Westindischen Inseln zu besuchen. In der hiesigen Gesellschaft trat er erst vor kurzer Zeit in Erscheinung, nachdem er seines Vaters Vermögen als Erbe übernommen hatte - Bradford-Wolle, glaube ich, und langfristige Verträge auf Lieferung von Armeeuniformen!

Erstaunlich, daß es ihm trotz seiner etwas zwielichtigen Herkunft so rasch gelang, in der Gesellschaft Fuß zu fassen!

Aber es fiel eben doch so manches für ihn ins Gewicht. Er ist noch sehr jung, besonders charmant, ledig, etwas exzentrisch und, wie schon gesagt, ein Millionär. In letzter Zeit bin ich ihm in sehr guten Häusern häufig begegnet und möchte ihn Dir hiermit herzlich empfehlen. Vielleicht habe ich dafür keinen anderen Grund, als daß er mir mit seiner köstlichen Mischung von Ehrerbietung und Warmherzigkeit ein ganz klein wenig den Kopf verdreht hat. Wäre ich nicht mit dem unwiderstehlichsten Mann der Welt verheiratet, ich glaube, ich wäre seinem Gehaben hoffnungslos erlegen. Er hat denn auch überall den allerbesten Eindruck hinterlassen, sowohl in den Kreisen der Regierung wie bei der Opposition, und wenn er sich in irgendeiner Richtung engagieren wollte, dürfte er in der Politik bald eine wichtige Rolle spielen. Ich bin überzeugt, daß er Dir Empfehlungsschreiben von Persönlichkeiten vorlegen wird, die ungleich größeren Einfluß besitzen als Deine Dich herzlich liebende Frau...«

Hornblower konnte nicht umhin, den Brief noch einmal bis zum Ende durchzulesen, obwohl von Mr. Charles Ramsbottom weiterhin nicht die Rede war. Dann aber kehrte er wieder zum ersten Absatz zurück. Hier war ihm vor allem der Ausdruck ›Millionär‹ aufgefallen, der gleich zweimal darin vorkam und den er bis dahin noch nie gehört oder gelesen hatte.

Er mochte dieses Wort von Anfang an nicht leiden. Konnte man sich vorstellen, daß ein einziger Mensch eine Million Pfund sein eigen nannte, und das wahrscheinlich nicht in Ländereien, sondern in Fabriken, Aktien und Obligationen, zu denen dann womöglich noch ein dickes Paket Staatspapiere und ein gewaltiges Bankkonto zu rechnen waren? Daß es solche Burschen gab - ob sie nun zur Gesellschaft zählten oder nicht - war ihm ebenso widerwärtig wie diese neumodische Bezeichnung, die man ihnen beigelegt hatte. Und dieser hier hatte seiner Barbara gegenüber den Kavalier gespielt - man konnte bezweifeln, ob das wirklich eine Empfehlung für ihn war. Er griff wieder nach dem Glas und verfolgte, wie die Brigg vor Anker ging. Die Schnelligkeit, mit der sie ihre Segel wegnahm, verriet, daß sie eine starke Besatzung fuhr.

Hornblower wußte nur zu genau, was dieser Sport kostete, weil er ja selbst als Geschwaderchef den knausrigen Lords über jeden ausgegebenen Penny Rechenschaft zu geben hatte. Um das Geld, das dieser Mr. Ramsbottom für seine seemännische Spielerei zum Fenster hinauswarf, hätten sich an die tausend arme Familien an Brot, Bier und Schinken satt essen und satt trinken können.

Die Brigg drehte auf und zeigte ein Ankermanöver, an dem wirklich nichts auszusetzen war. Hornblower hätte nicht umhin gekonnt, anerkennend vor sich hin zu brummen, wenn es sich um ein Schiff seines eigenen Verbandes gehandelt hätte. Auch jetzt ließ er ein leises Knurren vernehmen, das aber nur einer aus Mißgunst und Hohn zusammengesetzten Regung Ausdruck gab.

Dann wandte er sich ab, um in der Abgeschiedenheit des Admiralitätsgebäudes auf das Eintreffen des ungebetenen Gastes zu warten.

Als er ihm gemeldet wurde, griff er nach der Visitenkarte, auf der in schlichten Lettern ›Mr. Charles Ramsbottom‹ stand, und stellte mit leiser Genugtuung fest, daß er endlich auf einen Namen gestoßen war, der noch weniger Klang und Wohllaut besaß als sein eigener. Aber der Träger dieses Namens machte dann gleich einen weit besseren Eindruck. Er stand noch im Anfang der Zwanziger, war klein und schlank von Gestalt und - um es ehrlich zu sagen - auffallend hübsch. Seine Augen waren so schwarz wie seine Haare, sein Gesicht, dessen Züge in ihrer Regelmäßigkeit wie gemeißelt wirkten, war von der wochenlangen Seefahrt tief gebräunt, kurzum, er sah keineswegs so aus, wie man sich einen Wollfabrikanten aus Bradford vorstellen mochte. Sein dunkelgrüner Rock und die der offiziellen Gelegenheit angemessene weiße Kniehose wirkten unaufdringlich und zeugten von bestem Geschmack.

»Meine Frau schrieb mir von Ihnen, Mr. Ramsbottom«, sagte Hornblower.

»Das war sehr liebenswürdig von Lady Hornblower, aber sie ist ja überhaupt die Güte selbst. Darf ich Ihnen meine Empfehlungsbriefe von Lord Liverpool und Bishop Wilberforce vorlegen, Mylord?«

Barbara hatte also mit ihrer Vorhersage recht behalten, daß sich Ramsbottom bei beiden politischen Parteien lieb Kind machen werde. Der eine Brief stammte vom Premierminister selbst, der andere von einem sehr prominenten Mitglied der Opposition. Hornblower las sie beide durch und konnte sich nicht verhehlen, daß sie trotz ihrer offiziellen Fassung auffallend warm und herzlich gehalten waren. »Ausgezeichnet, Mr. Ramsbottom«, sagte Hornblower und bemühte sich, den Ton zu treffen, der ihm nach der Lektüre eines vom Premierminister eigenhändig gezeichneten Empfehlungsschreibens angemessen zu sein schien. »Kann ich Ihnen in irgendeiner Form behilflich sein?«

»Fürs erste wüßte ich nicht, worum ich Sie bitten sollte, Mylord. Ich muß natürlich Wasser und Proviant ergänzen, aber mein Zahlmeister ist ein tüchtiger Mann. Dann möchte ich meine Reise durch diese entzückende Inselwelt möglichst bald fortsetzen.«

»Natürlich«, sagte Hornblower verständnisinnig. In Wirklichkeit konnte er beim besten Willen nicht begreifen, wie ein Mensch dazu kam, sich aus freien Stücken in diesen Gewässern umherzutreiben, wo es hier und dort immer noch Seeräuber gab, was der Mann ausgerechnet in diesen Ländern suchte, wo die Malaria und das Gelbe Fieber grassierten, wo Bürgerkriege, Revolutionen und Massaker oft noch mehr Menschenleben forderten als diese Seuchen. »Sind Sie mit der Bride of Abydos zufrieden?« fragte Hornblower. Die Achtzehn-Kanonen-Briggs der Royal Navy genossen keinen guten Ruf, weil sie rank waren und der Besatzung nicht genug Lebensraum boten. »Danke der Nachfrage, Mylord, ich kann mich nicht beklagen«, gab Ramsbottom zur Antwort. »Dadurch, daß ich ihr eine andere Bestückung gab, habe ich ihr Gewicht etwas verringert. Sie führt jetzt nur noch zwölf Geschütze statt achtzehn - zwei lange Sechspfünder und zehn Kanonaden, aber Vierundzwanzigpfünder an Stelle der bisherigen Zweiunddreißigpfünder.«

»Sie könnten also immer noch mit einem Seeräuber fertig werden?«

»Ganz bestimmt, Mylord. Mit dieser Verminderung der Decksgewichte - sie macht volle zehn Tonnen aus - habe ich die Bride of Abydos in ein wirklich seetüchtiges Fahrzeug verwandelt. Jedenfalls ist das meine feste Überzeugung.«

»Das ist auch ohne Zweifel der Fall«, sagte Hornblower.

Wahrscheinlich hatte der Mann recht. Diese Kriegsbriggs waren natürlich bis an die Grenze ihrer Stabilität, und soweit es der bescheidenste Raumbedarf der Besatzung irgend zuließ, mit Geschützen und Kriegsgerät aller Art vollgepackt. Eine maßvolle Verminderung dieser toten Gewichte konnte ein solches Schiff darum sehr wohl angenehmer und handiger machen.

»Eure Lordschaft würden mir die große Freude bereiten«, fuhr Mr. Ramsbottom fort, »wenn Sie sich dazu herbeilassen wollten, mich an Bord zu besuchen. Für mich wäre das eine hohe Ehre, und meine Besatzung würde sich aufrichtig darüber freuen.

Vielleicht kann ich Eure Lordschaft sogar dafür gewinnen, bei mir an Bord zu dinieren?«

»Zunächst möchte ich Sie meinerseits zum Dinner gebeten haben, dann können wir uns weiter darüber unterhalten«, sagte Hornblower. Er hatte sich gerade noch rechtzeitig daran erinnert, was sich geziemte. Wer so gewichtige Empfehlungsschreiben vorlegen konnte, mußte natürlich zum Dinner gebeten werden.

»Sie sind außerordentlich liebenswürdig, Mylord«, meinte Mr. Ramsbottom. »Aber mir scheint, ich sollte mich ohne Verzug zu Seiner Exzellenz begeben, um auch ihm meine Empfehlungsschreiben vorzulegen.«

Das sagte er mit höflichem und dabei ganz besonders gewinnendem Lächeln. Offenbar kannte er die Regeln der Etikette sehr genau und wußte sich darein zu fügen. Jeder Besucher Jamaikas war natürlich gehalten, dem Gouverneur als aller erstem seine Aufwartung zu machen. Aber Ramsbottom war eben kein gewöhnlicher Reisender. Da er Kapitän eines Schiffes war, hatte die Marine, das hieß also Hornblower, das erste Anrecht auf seinen Besuch. ›Eine Kleinigkeit‹, schien sein Lächeln zu sagen, ›aber Etikette bleibt Etikette, da sind auch Kleinigkeiten von Bedeutung und müssen entsprechend genau beachtet werden.‹ Als Ramsbottom sich verabschiedete, hatte Hornblower trotz allen Widerstrebens den besten Eindruck von ihm gewonnen. Er hatte wie ein vernünftiger Mensch von Schiffen und Seefahrt gesprochen, er gab sich ungezwungen und natürlich, ganz anders als jener Lord Byron, der wahrscheinlich mehr als jeder andere dazu beigetragen hatte, daß sich das Yachtsegeln bei reichen Leuten zunehmender Beliebtheit erfreute. Hornblower war sogar bereit, ihm nachzusehen, daß er Barbara ›ein wenig den Kopf verdreht hatte‹ . Während der folgenden Tage, die der junge Mann noch in Jamaika verbrachte, wuchs er Hornblower sogar richtig ans Herz, besonders als er bei einer verbissenen Whistpartie zwei Pfund an ihn verloren hatte und beim nächsten Spiel, bei dem Ramsbottom zugegebenermaßen vom Pech verfolgt war, zehn Pfund von ihm zurückgewann. Die Gesellschaft von Jamaika nahm Ramsbottom mit herzlicher Wärme auf, selbst der gestrenge Gouverneur war mit ihm einverstanden, und seine Gattin, Lady Hooper, erging sich in lauten Lobsprüchen über seine Aufmerksamkeit und sein vollendetes Benehmen.

»Dem Sohn eines Bradforder Wollfabrikanten hätte ich so etwas weiß Gott nicht zugetraut«, mußte Hooper gegen seinen Willen gestehen.

»Dinieren Sie auch an Bord der Bride of Abydos, Exzellenz?« fragte ihn Hornblower.

»Ja, ich gehe hin«, erwiderte ihm Hooper, der gerne gut aß.

»Aber das Schiffchen ist schließlich nur eine Yacht, darum erwarte ich mir nicht allzuviel von diesem Dinner.«

Auf Ramsbottoms Anregung hin kam Hornblower so zeitig an Bord, daß er noch Gelegenheit fand, das Schiff zu besichtigen.

Als er das Deck betrat, wurde er ganz nach Marineart mit Fallreepsgasten und einem langgedehnten Triller der Bootsmannsmaatenpfeifen empfangen. Seine Blicke wanderten schon forschend über das Schiff, während er Ramsbottom noch zur Begrüßung die Hand schüttelte. Hier deutete wahrhaftig nichts darauf hin, daß dies kein Kriegsschiff seiner Majestät des Königs war. Das Deck schimmerte in makellosem Weiß, das Tauwerk war in kunstvollen Figuren aufgeschossen, am Querschott standen sauber aufgereiht die blitzenden Piken und Entermesser, das Messing schimmerte blank in der Sonne, die angetretene Besatzung machte in ihren blauen Jumpern und weißen Hosen einen ordentlichen, wohldisziplinierten Eindruck.

»Darf ich Ihnen meine beiden Offiziere vorstellen, Mylord?« fragte Ramsbottom.

Sie waren beide Leutnants auf Halbsold, Männer, die das Schicksal hart angefaßt hatte. Hornblower schüttelte ihnen die Hand und sagte sich dabei unwillkürlich, daß ihn selbst wahrscheinlich nur ein halbes Dutzend Glücksfälle davor bewahrt hatten, immer noch als Leutnant dahinleben zu müssen.

Dann führe er vielleicht wie diese beiden zur Aufrundung seines kümmerlichen Halbsolds auf der Yacht irgendeines reichen Mannes zur See. Als ihn Ramsbottom nach vorn führte, erkannte er einen der Männer, die an den Geschützen angetreten waren.

»Sie waren doch früher mit mir auf der Renown, auch in dieser Gegend, nicht wahr?« sagte er.

»Jawohl, Sir - Mylord, das stimmt, Sir«, gab der Mann zur Antwort und griff mit verlegenem Grinsen nach der Hand, die ihm Hornblower entgegenstreckte. »Und Charlie Kemp, Sir, Mylord, der da drüben, Sir, der war mit Ihnen in der Ostsee.

Und Bill Cummings, dort auf der Back, der war Vortoppgast auf der Lydia und fuhr mit Ihnen um Cap Hoorn.«

»Ich freue mich, euch alle wiederzusehen«, sagte Hornblower.

So war es in der Tat, aber fast ebenso froh war er, daß es ihm erspart geblieben war, sich auf die Namen der Leute besinnen zu müssen. Langsam schritt er weiter.

»Sie haben ja eine richtige Marinebesatzung an Bord, Mr. Ramsbottom«, bemerkte er. »Ja, Mylord, es sind fast alles Kriegsschiffsleute.« In dieser Friedenszeit und bei der schlechten Wirtschaftslage, überlegte Hornblower, war es wohl ein leichtes, eine Schiffsbesatzung anzuheuern. Man konnte mit einigem Recht der Meinung sein, daß sich Ramsbottom ein öffentliches Verdienst erwarb, indem er diesen Männern, die sich wirklich um ihre Heimat verdient gemacht hatten, ein richtiges Brot verschaffte. Als er dann die scharfen Kommandos hörte, nach denen ihm die Mannschaft anschließend vorexerzieren mußte, konnte er sich doch eines Lächelns nicht erwehren. Ramsbottom hatte offenbar Spaß daran, sich als Kommandant eines Kriegsschiffes zu fühlen, und Hornblower sagte sich, daß er mit diesem Steckenpferd wirklich niemand wehtat.

»Sie haben ein besonders kampfkräftiges Schiff mit einer glänzend ausgebildeten Besatzung«, sagte Hornblower. »Dies Urteil Eurer Lordschaft gereicht mir zur besonderen Freude.«

»Sie selbst haben wohl nicht gedient?«

»Nein, Mylord.«

Ältere Leute waren immer noch etwas erstaunt, daß es in diesem Jahre 1821 erwachsene Männer, ja sogar schon Familienväter gab, die dennoch zu jung gewesen waren, um an jenen Kriegen teilzunehmen, die ein ganzes Menschenalter lang die Welt verwüstet hatten. Hornblower kam sich in diesem Augenblick wie ein hundertjähriger Greis vor. »Ach, da kommen noch Gäste, Mylord. Wollen Sie mich für eine Sekunde entschuldigen.«

Es waren zwei Pflanzer - Hough und Doggart, und dazu der Oberste Richter der Insel. Kam noch der Gouverneur dazu, dann zählte die Tischgesellschaft sechs Personen, drei Staatsdiener und drei Privatleute. Die Anwesenden versammelten sich unter dem Sonnensegel, das über den Großbaum hinweg ausgeholt war und dem Achterdeck Schatten bot. Von dort aus beobachteten sie den feierlichen Empfang Seiner Exzellenz.

»Glauben Sie, daß das Dinner diesem Zeremoniell die Waage halten wird?« fragte Doggart.

»Ramsbottoms Zahlmeister kaufte gestern zwei Tonnen Eis«, sagte Hough.

»Kostet mindestens Sixpence das Pfund«, meinte Doggart.

Jamaika war der Mittelpunkt eines kleinen Handelsverkehrs in Eis, das mit schnellen Schoonern von Neuengland eingeführt wurde. Dort schnitt man es in Stücke und lagerte es während des Winters in tiefen Kellern ein, dann wurde es dick in isolierendes Sägemehl gepackt und auf dem schnellsten Wege ins Karibische Meer gebracht. Hier erzielte man im Hochsommer phantastische Preise dafür. Hornblower hörte der Schilderung dieser Vorgänge aufmerksam zu, noch aufmerksamer aber verfolgte er das Tun eines Matrosen, der auf dem Mitteldeck rastlos an einer Kurbel drehte. Die Arbeit war wohl nicht schwer, aber gewiß sterbenslangweilig. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welche Aufgabe diese Kurbel hier an Bord zu erfüllen hatte... Die Gäste verbeugten sich vor Seiner Exzellenz und nahmen, seinem Beispiel folgend, auf den bequemen Stühlen Platz. Zugleich erschien ein Steward und reichte Sherry herum.

»Donnerwetter, das schmeckt!« rief der Gouverneur nach dem ersten vorsichtigen Probeschluck. »Das ist etwas anderes als euer Oloroso, euer süßes, pappiges dunkles Zeug, das ihr Sherry zu nennen wagt.«

Der Gouverneur durfte sich dank der königlichen Abstammung, die man ihm nachsagte, wie dank seiner hohen Stellung Bemerkungen erlauben, die man einem gewöhnlichen Sterblichen übelgenommen hätte. Aber der Sherry war in der Tat ein köstliches Getränk, er besaß eine erlesene Blume und genau die richtige Temperatur, kühl, aber nicht eiskalt. Plötzlich hörte Hornblower ein neues Geräusch, so daß er auf seinem Platz herumfuhr und nach vorn blickte. Am Fuß des Großmastes hatte soeben ein kleines Orchester zu spielen begonnen, die Musiker spielten verschiedene Saiteninstrumente, deren Namen ihm, abgesehen von der Geige, zeitlebens fremd geblieben waren, weil sie ihn nicht interessierten. Hätte ihn diese greuliche Musik nicht gestört, so wäre es wirklich ein reiner Genuß gewesen, unter dem Sonnensegel an Deck eines guten Schiffes zu sitzen, sich von der eben aufkommenden Seebrise umfächeln zu lassen und dazu diesen herrlichen Sherry zu trinken. Der Gouverneur gab einen kleinen Wink, worauf ihm sofort ein zweites Glas serviert wurde.

»Sieh einer an!« sagte Hooper, »Sie haben ein recht gutes Orchester.« Man wußte allgemein, daß die Freude an der Musik ein Erbgut der königlichen Familie war. »Ich darf Eurer Exzellenz für Ihre freundlichen Worte danken«, sagte Ramsbottom, und wieder wurden die Gläser herumgereicht.

Danach neigte sich Ramsbottom zu einem Steward, der ihm etwas zuflüsterte.

»Eure Exzellenz, Mylord, meine Herren, das Dinner ist serviert.«

Einer nach dem anderen verschwanden sie durch den Niedergang unter Deck. Offenbar hatte man im achteren Teil des Schiffes alle Schottwände herausgerissen, um eine zwar niedrige, aber sehr geräumige Kajüte zu erzielen. Die Karronaden auf beiden Seiten verliehen der üppigen Szene eine kriegerische Note, die allerdings in dem Meer von Blumen kaum noch zu verspüren war. Der Eßtisch stand, von schimmerndem Leinen bedeckt, in der Mitte. Windfänger in den Bullaugen lenkten den Passat in die Kajüte herein, die im doppelten Schutz des Sonnensegels und des Decks angenehm kühl war. Außerdem entdeckte Hornblower gleich auf den ersten Blick zwei seltsame Vorrichtungen, eine Art kleiner Räder, die in zwei Bullaugen gesetzt waren und unaufhörlich herumwirbelten. Jetzt wußte er auch, wozu der Matrose an Oberdeck die Kurbel drehte. Er trieb damit diese beiden Räder an, die durch ihren genialen Mechanismus einen Luftstrom von außenbords in die Kajüte trieben. Die Dinger arbeiteten dabei genau wie die Flügel einer Windmühle, nur im umgekehrten Sinne. Die Gäste nahmen in der Ordnung Platz, die ihnen der Gastgeber höflich nahelegte, und harrten nun gespannt der Dinge, die da kommen sollten. Der erste Gang wurde aufgetragen. Er bestand aus zwei großen Schüsseln, die von noch größeren, mit zerhacktem Eis gefüllten Schalen umschlossen waren. Die Schüsseln enthielten eine graue, körnige Masse.

»Kaviar!« rief Seine Exzellenz und löffelte nach dem ersten überraschten Blick eine tüchtige Portion auf seinen Teller. »Ich hoffe, er ist nach Ihrem Geschmack, Sir«, sagte Ramsbottom.

»Und ich möchte Sie bitten, dazu diesen Wodka zu versuchen.

Es ist der gleiche, wie er in Rußland an der kaiserlichen Tafel serviert wird.«

Während des ersten Ganges drehte sich das Gespräch der Tafelrunde nur um Kaviar und Wodka. Hornblower hatte diese Zusammenstellung das letztemal im Jahr 1812 während der Verteidigung von Riga zu kosten bekommen und konnte daher seinen Teil zu dieser Unterhaltung beitragen. Dann wurde der nächste Gang aufgetragen. »Dieses Gericht dürfte den Herren nicht unbekannt sein«, erklärte Ramsbottom. »Aber ich brauche Sie darum kaum um Nachsicht zu bitten, da es wohl mit das Köstlichste ist, was diese Insel zu bieten hat.« Es waren Fliegende Fische.

»Bei dieser Zubereitung haben Sie es gewiß nicht nötig, sich zu entschuldigen«, bemerkte Seine Exzellenz. »Ihr Chef de cuisine ist ein wahres Genie.«

Die Sauce, die dazu auf den Tisch kam, hatte nur eine leise Spur von Senfgeschmack.

»Rheinwein oder Sekt?« murmelte eine Stimme in Hornblowers Ohr. Er hatte schon vorher gehört, wie der Gouverneur auf dieselbe Frage geäußert hatte: »Ich möchte zuerst den Rheinwein versuchen.« Der Sekt war trocken und von verführerischem Wohlgeschmack, eine vollendete Beigabe zu solch vortrefflicher Speise. Die großen Eßkünstler der Antike, ein Nero, ein Vitellius, ein Lucullus, wußten noch nichts von dem Genuß, den Fliegende Fische mit Sekt dem Feinschmecker bieten konnten.

»Sie werden bald andere Dinge zu essen bekommen, was, Hornblower?« sagte Seine Exzellenz.

»Ohne Zweifel, Sir.«

Ramsbottom warf ihm einen höflich fragenden Blick zu.

»Eure Lordschaft gehen in See?«

»Ja, nächste Woche«, gab ihm Hornblower zur Antwort. »Ich will noch einmal mit meinem Geschwader exerzieren, ehe die Hurrikan-Periode beginnt.«

»Sicherlich dient das zur Erhaltung der Schlagkraft Ihres Verbandes«, sagte Ramsbottom. »Werden diese Übungen von längerer Dauer sein?«

»Ein paar Wochen, vielleicht auch länger«, sagte Hornblower.

»Ich muß dafür sorgen, daß meine Männer wieder einmal die einfache Seemannskost, Hartbrot, Salzfleisch und Wasser aus dem Faß zu kosten bekommen, damit sie sich ihrer nicht ganz entwöhnen.«

»Und Sie selbst machen da wohl tüchtig mit«, meinte der Gouverneur lachend.

»Selbstverständlich«, bestätigte ihm Hornblower mit einer leisen Regung des Bedauerns.

»Holen Sie dazu Ihr ganzes Geschwader zusammen, Mylord?« fragte Ramsbottom.

»Alle Schiffe, die irgend verfügbar sind. Ausnahmen gibt es nur im äußersten Notfall.«

»Gewiß ein nützlicher Grundsatz«, bemerkte Ramsbottom.

Nach den Fliegenden Fischen folgte eine scharf mit Curry gewürzte Geflügelsuppe, die dem westindischen Gaumen so recht behagte.

»Gut!« ließ sich der Gouverneur kurz vernehmen, als er den ersten Löffel versucht hatte. Der Champagner machte erneut die Runde, und die Unterhaltung wurde immer lebhafter, zumal Ramsbottom geschickt dazu beitrug, die Gespräche in Gang zu halten.

»Haben Sie neue Nachrichten vom Festland, Sir?« fragte er den Gouverneur. »Was macht dieser Bursche, der Bolivar?

Hatte er in letzter Zeit Erfolg?«

»Er kämpft weiter«, antwortete der Gouverneur, »aber Spanien schickt in aller Eile Verstärkungen heraus, soweit die Unruhe im eigenen Land das irgend zuläßt. Die Regierung in Caracas erwartet, soviel mir bekannt ist, zur Zeit wieder einen Transport. Dann könnte es immerhin sein, daß sie das flache Land zurückerobert und Bolivar wieder über die Grenze treibt.

Sie wissen doch, daß er vor einigen Jahren als Flüchtling hier auf dieser Insel lebte?«

»Das ist mir neu, Sir.«

Die ganze Tischgesellschaft nahm lebhaften Anteil an dem blutigen Bürgerkrieg, der zur Zeit auf dem Festland Südamerikas tobte. Mord und Menschenschlächterei, großartiges Heldentum und unerhörter Opfermut, Treue gegen den König und unbändiger Freiheitsdrang, das alles erlebte man zur Zeit in Venezuela. Krieg und Pestilenz verwandelten die fruchtbaren Ebenen in eine Wüste, entvölkerten die menschenwimmelnden Städte.

»Welche Folgen wird es für die Spanier haben, daß jetzt in Maracaibo der Aufstand ausgebrochen ist?« wollte der Gouverneur von Hornblower wissen. »Das ist wohl kein ernster Verlust, Sir. Solange sie La Guaira fest in Händen haben, sind auch ihre Seeverbindungen gesichert - die Straßen sind ja so schlecht, daß Caracas den ganzen Verkehr mit der Außenwelt von jeher über La Guaira leitete. La Guaira hat zwar nur eine offene Reede, aber diese bietet guten Ankergrund.«

»Hat sich denn Maracaibo gegen Spanien erhoben?« fragte Ramsbottom in beiläufigem Ton.

»Ja, die Nachricht kam heute morgen. Diese Feder kann sich Bolivar nach seinen letzten Niederlagen an den Hut stecken.

Seine Truppen waren wohl schon drauf und dran, den Mut zu verlieren.«

» ›Seine Truppen‹, Sir?« meldete sich jetzt der Oberrichter zum Wort. »Die Hälfte seiner Leute sind britische Infanteristen.«

Das war auch Hornblower nicht unbekannt. Britische Veteranen bildeten das Rückgrat der Armee Bolivars. Die Llaneros - aus den Ebenen Venezuelas stammend - stellten wohl eine ausgezeichnete Kavallerie, waren jedoch zur dauernden Besetzung eroberter Gebiete nicht zu gebrauchen. »Auch der britische Soldat kann in hoffnungsloser Lage den Mut verlieren«, sagte der Gouverneur. »Die Spanier beherrschen immerhin den größten Teil der Küste - fragen Sie nur den Admiral hier.«

»Das stimmt«, pflichtete ihm Hornblower bei, »sie machen Bolivars Kaperschiffen die Hölle heiß.«

»Hoffentlich kommen Sie nicht auf den Einfall, sich in diesen Hexenkessel hineinzuwagen, Mr. Ramsbottom«, warnte der Gouverneur.

»In einem solchen Falle würde man kurzen Prozeß mit Ihnen machen«, fügte der Oberrichter hinzu. »Die Dons dulden keine Einmischung. Man nähme Sie ohne Umstände fest, dann würden Sie vielleicht auf Jahre hinaus in einem spanischen Gefängnis schmachten, bis es gelänge, Sie den Klauen König Ferdinands zu entringen - wenn Sie nicht schon vorher dem Gefängnisfieber zum Opfer fielen oder als Pirat aufgeknüpft würden.«

»Ich habe gewiß nicht die Absicht, mich in die Nähe des Festlandes zu wagen«, meinte Ramsbottom, »zum mindesten nicht, solange dort Kriegszustand herrscht. Es fällt mir allerdings bitter schwer, ausgerechnet Venezuela meiden zu müssen, weil es die Heimat meiner Mutter ist. Ich hätte mich besonders gefreut, einmal dorthin zu kommen.«

»Wie sagten Sie? Ihre Mutter stammt aus Venezuela?« fragte der Gouverneur interessiert.

»Gewiß, Sir. Meine Mutter war eine vornehme Venezolanerin. Dort hieß ich Carlos Ramsbottom y Santona.«

»Ein interessanter Name«, bemerkte der Gouverneur. Ja, er nahm sich sogar noch seltsamer aus als ›Horatio Hornblower‹ . Es war immerhin bezeichnend für den weltweiten Umfang britischer Handelsbeziehungen, daß ein Wollfabrikant aus Bradford eine Venezolanerin zur Mutter hatte. Jedenfalls erklärte sich damit Ramsbottoms südländisch dunkle männliche Schönheit.

»Ich kann ohne weiteres abwarten, bis der Krieg auf diese oder jene Art ein Ende nimmt«, sagte Ramsbottom mit wegwerfender Gebärde. »Bis dahin gibt es schließlich auch noch andere Reiseziele. Und nun, meine Herren, bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit für den nächsten Gang.«

»Zusammengekochtes?« fragte der Gouverneur skeptisch.

Sein Ton ließ vermuten, daß ihm jetzt ein handfester Braten lieber gewesen wäre.

»Bitte, versuchen Sie es einmal«, redete ihm Ramsbottom zu.

Der Gouverneur bediente sich und kostete mit sichtlicher Zurückhaltung.

»Hm, nicht übel«, meinte er nickend. »Aber nun sagen Sie mir doch, was es ist.«

»Ein Ragout aus konserviertem Ochsenfleisch«, erklärte Ramsbottom. »Meine Herren? Mylord? Bitte, machen Sie einen Versuch.«

Das war einmal etwas ganz Neues; Hornblower hatte noch nie etwas auch nur entfernt Ähnliches gegessen - am wenigsten aber hatte dieses Gericht mit dem in Salzlake konservierten Fleisch gemein, das Hornblower volle zwanzig Jahre seines Lebens vorgesetzt bekommen hatte. »Es schmeckt wirklich ausgezeichnet«, sagte Hornblower. »Und wie wird es konserviert?«

Ramsbottom gab dem wartenden Steward einen Wink, worauf dieser eine viereckige, offenbar metallene Dose auf den Tisch setzte. Das Ding wog ziemlich schwer in Hornblowers Hand.

»Glas tut die gleichen Dienste«, erklärte Ramsbottom, »aber es ist an Bord nicht so praktisch.«

Der Steward bearbeitete jetzt die Dose mit einem kräftigen Messer. Er schnitt sie auf, bog den Deckel zurück und zeigte den Gästen den Inhalt.

»Diese Dose besteht aus verzinntem Blech«, fuhr Ramsbottom fort, »und wird bei hoher Temperatur luftdicht verschlossen. Ich wage zu behaupten, daß dieses neue Verfahren eine wesentliche Verbesserung der Bordverpflegung zur Folge haben wird. Das Fleisch kann kalt, so wie es aus der Dose kommt, gegessen werden, oder aber gehackt und zubereitet, wie es vor Ihnen auf dem Tisch steht.«

»Und das Spiegelei?« fragte der Gouverneur. »Das allerdings verdanken wir einem guten Einfall meines Kochs.«

Die Unterhaltung drehte sich weiter um diese interessante Erfindung - und um den wunderbaren Burgunder, der zu diesem Gang gereicht wurde; die Unruhen in Venezuela, ja sogar Ramsbottoms exotische Mutter waren alsbald vergessen. Je reichlicher der Wein floß, desto wirrer und zusammenhangloser wurden die Gespräche. Hornblower hatte soviel getrunken wie ihm schmeckte und vermied es in seiner eingewurzelten Abneigung gegen jeden Exzeß auf listige Art, sich mehr als dieses maßvolle Quantum einverleiben zu müssen.

Erstaunlicherweise blieb auch Ramsbottom völlig nüchtern, überlegt und leise, während die anderen immer rötere Gesichter bekamen und allmählich so laut wurden, daß die Kajüte von dem Gebrüll ihrer Trinksprüche und dem unzusammenhängenden Gegröle ihrer Lieder richtig dröhnte.

Hornblower glaubte zu erraten, daß der Abend seinen Gastgeber ebenso zu langweilen begann wie ihn selber. Er war darum heilfroh, als sich Seine Exzellenz endlich, am Tisch Halt suchend, von seinem Platz erhob, um Abschied zu nehmen.

»Ihr Dinner war verdammt gut«, sagte er, »und Sie sind ein verdammt guter Gastgeber, Ramsbottom. Ich wollte, es gäbe mehr Ihres Schlages.«

Hornblower reichte Ramsbottom die Hand. »Ich bin Ihnen besonders dankbar, daß Sie gekommen sind, Mylord«, sagte dieser. »Jedenfalls bedaure ich sehr, daß ich diese Gelegenheit benutzen muß, um mich von Eurer Lordschaft zu verabschieden.«

»Wollen Sie denn schon so bald in See gehen?«

»Voraussichtlich in einigen Tagen, Mylord. Ich hoffe und wünsche Ihnen, daß die Übungsreise Ihres Geschwaders zu Ihrer vollen Zufriedenheit ausfallen möge.«

»Besten Dank für Ihren liebenswürdigen Wunsch. Welches wird denn Ihr nächstes Ziel sein?«

»Ich werde durch den Windward-Kanal zurückkreuzen, Mylord. Vielleicht treibe ich mich eine Weile zwischen den Bahama-Inseln herum.«

"Nehmen Sie sich dort auf alle Fälle gut mit Ihrer Navigation in acht. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute und eine glückliche Reise. Dieser Tage schreibe ich an meine Frau und berichte ihr natürlich auch über Ihren Besuch.«

»Darf ich Sie bitten, Lady Hornblower bei dieser Gelegenheit meine ergebensten Wünsche und Empfehlungen zu übermitteln, Mylord?«

Ramsbottoms gutes Benehmen bewährte sich bis zum letzten Augenblick. Er vergaß nicht einmal, seine Karten mit dem Vermerk: ›Pour prendre conge‹ an alle Bekannten zu schicken, und manche Mutter einer unverheirateten Tochter bedauerte im stillen, ihn scheiden zu sehen. Hornblower sah noch, wie die Bride of Abydos in der Dämmerung des Morgens mit halbem Wind nach Osten ablief, um Morant Point mit der Landbrise zu runden; dann hatte er sie im Eifer der Vorbereitungen für die Übungsfahrt seines Geschwaders bald vergessen.

Er konnte sich nie eines verkniffenen Lächelns erwehren, wenn er den Blick über ›Seiner Majestät Schiffe und Fahrzeuge in Westindien‹ wandern ließ, die seinem Oberbefehl unterstanden. In Kriegszeiten hätte er hier eine mächtige Flotte unter sich gehabt, jetzt waren es nur drei kleine Fregatten und dazu ein bunt zusammengewürfeltes Gemisch von Briggs und Schoonern. Aber das konnte ihn in seinen Absichten nicht irremachen. Für die Dauer der Übung mußten die Fregatten die Rolle von Dreideckern spielen, aus den Briggs wurden Vierundsiebzigkanonen-Schiffe und aus den Schoonern Fregatten, so daß er über einen Aufklärungsschirm, ein Gros und eine Nachhut verfügte. Mit diesem Verband kreuzte er in den verschiedensten Formationen, immer bereit, gegen einen imaginären Feind ins Gefecht zu gehen. Wenn ein Schiff nicht genau Position hielt, stiegen sofort Flaggen an seinen Signalleinen hoch, die einen scharfen Tadel bedeuteten. Er ließ den Verband Klarschiff anschlagen, er schwenkte divisionsweise zur Gefechtslinie ein, er wendete, um auf die angenommene Linie des Gegners zuzustoßen. In stockfinsterer Nacht brannte er Blaulichter ab, was ›Feind in Sicht‹ bedeutete und die Wirkung hatte, daß ein Dutzend Kommandanten und an die tausend Matrosen Hals über Kopf aus ihren Kojen stürzten, um den nicht vorhandenen Gegner zu bekämpfen.

Durch ein überraschendes Flaggensignal befahl er den Kommandanten, das Kommando an ihre jüngsten Leutnants abzugeben, und begann dann sofort mit den kompliziertesten Manövern im Verbande, bei denen den wirklichen Kommandanten, die dem Wirbel tatenlos zusehen mußten, der Angstschweiß auf die Stirne trat - aber diese jungen Leutnants kamen vielleicht eines Tages in die Lage, selbst ein Linienschiff in eine Schlacht zu führen, von deren Ausgang das Wohl und Wehe ganz Englands abhing. Darum galt es jetzt schon, ihre Nerven zu stählen und sie mit der Führung eines Schiffes in gefährlichen Lagen vertraut zu machen. Mitten beim Segelexerzieren konnte er signalisieren: ›Flaggschiff brennt. Alle Boote zu Wasser!‹ Er ließ Landungsabteilungen ausschiffen, um nicht vorhandene Batterien auf irgendeinem harmlosen, unbewohnten Inselchen zu stürmen, und musterte diese Landungstruppen, kaum daß sie das Ufer erreicht hatten, bis zum letzten Flintstein in der letzten Pistole. Entschuldigungen wies er so unerbittlich zurück, daß mancher Betroffene ingrimmig mit den Zähnen knirschte. Er befahl seinen Kommandanten, Überfälle zu planen und durchzuführen; hinterher zerpflückte er dann ihre Maßnahmen zur Abwehr wie auch ihre Angriffsmethoden mit bissigen Worten der Kritik. Er teilte seine Schiffe paarweise ab, um Einzelgefechte Schiff gegen Schiff zu üben, angefangen vom ersten Insichtkommen am Horizont über die möglichst geschickte Annäherung bis zu dem Augenblick, in dem die entscheidende erste Breitseite fallen konnte. Trat eine Flaute ein, so nutzte er sie aus, um die Schiffe mit Booten oder mit langen Riemen fortbewegen zu lassen, immer mit dem hartnäckig verfolgten Ziel, den Vordermann einzuholen. So arbeitete er seine Besatzungen durch, bis sie am Umfallen waren, und hatte dann gleich wieder neue Aufgaben bereit, damit sie beweisen konnten, daß sie immer noch etwas herzugeben hatten. Wahrscheinlich wurde ›Old Horny‹ in diesen Tagen häufiger im stillen verflucht als anerkannt oder bewundert.

Das Geschwader war wieder in bester Form, als es Hornblower nach Kingston zurückführte. Die Clorinda war eben noch beim Einlaufen, als ihr ein Boot von Land entgegengepullt kam. Es brachte einen Adjutanten des Gouverneurs, der Hornblower ein Schreiben übergab. »Sir Thomas, möchten Sie die Güte haben, mein Chefboot klarmachen zu lassen?« sagte Hornblower. Hier war offenbar Eile geboten, denn das Schreiben des Gouverneurs lautete kurz und bündig:

Mylord, es scheint unbedingt erforderlich, daß Eure Lordschaft sobald wie irgend möglich hier erscheinen, um zur Lage in Venezuela eine Erklärung abzugeben. Eure Lordschaft werden daher ersucht und angewiesen, sich umgehend bei mir zu melden.

August Hooper Gouverneur Hornblower hatte natürlich keine Ahnung, was sich in den letzten drei Wochen in Venezuela zugetragen hatte. Er machte darum gar nicht erst den Versuch, zu erraten, worum es sich handeln mochte, während ihn der Wagen im schnellsten Trab zum Gouverneur brachte. Aber wenn er auch noch soviel herumgerätselt hätte, auf das, was er nun hörte, wäre er gewiß nicht gekommen. »Was soll das alles heißen, Hornblower«, waren die ersten zornigen Worte des Gouverneurs. »Wer hat Ihnen Vollmacht gegeben, die venezolanische Küste zu blockieren? Warum wurde ich nicht von diesem Schritt unterrichtet?«

»Ich habe nichts dergleichen unternommen«, entgegnete Hornblower aufgebracht.

»Aber - zum Donnerwetter, Mann, hier sind doch die Beweise! Die Holländer, die Spanier und wer weiß welche Staaten sonst noch legen dagegen Protest ein.«

»Ich gebe Ihnen die Versicherung, Sir, daß ich an der venezolanischen Küste nichts unternommen habe. Ich war die ganze Zeit über fünfhundert Meilen davon entfernt.«

»Was bedeutet dann dies hier?« schrie der Gouverneur.

»Schauen Sie sich das einmal an!«

Er hielt mit der Rechten einige Papiere in die Höhe und hieb mit der Linken wie wild darauf ein, so daß es Hornblower nicht ganz leicht fiel, sie ihm abzunehmen. Hornblower war über diese Szene an sich schon bestürzt, aber seine Bestürzung wuchs noch von Sekunde zu Sekunde, als er nun zu lesen begann. Eins der Papiere war eine in französisch abgefaßte dienstliche Depesche des holländischen Gouverneurs von Curacao, das andere war größer und deutlicher geschrieben, darum las er dieses zuerst. Ein großer Bogen Papier trug in schwungvoller Handschrift folgenden Text:

Sintemalen die mit der Verwaltung der Behörde des Lordgroßadmirals beauftragten Lordkommissare von dem hochehrenwerten Vicomte Castlereagh, einem der ersten Staatssekretäre Seiner Britischen Majestät davon in Kenntnis gesetzt wurden, daß es für erforderlich gehalten werde, über die Küste des Dominiums Venezuela Seiner Allerkatholischsten Majestät sowie über die zum Dominium Seiner Majestät des Königs der Niederlande gehörigen Inseln, Curacao, Aruba und Bonaire mit Namen, die Blockade zu verhängen, gebe ich, Horatio, Lord Hornblower, Ritter des Großkreuzes des allerhöchsten Bath-Ordens, Konteradmiral des Weißen Geschwaders und Oberbefehlshaber Seiner Britannischen Majestät Schiffe und Fahrzeuge in den Westindischen Gewässern, folgendes bekannt: Die Küste des Festlandes von Südamerika von Cartagena bis zum Dragons Mouth sowie die vorgenannten niederländischen Inseln Curacao, Aruba und Bonaire befinden sich vom heutigen Tage an im Zustand der Blockade. Jedes Fahrzeug irgendwelcher Art und Größe, gleichgültig ob mit Kriegsmaterial beladen oder nicht, das irgendeinen Hafen oder eine Reede innerhalb des genannten Gebiets anzulaufen versucht oder in der Absicht, einen solchen Hafen oder eine solche Reede anzulaufen, vor den blockierten Küsten verweilt, wird geentert und zur Aburteilung durch Seiner Britannischen Majestät Oberstes Prisengericht eingebracht, wird in der Folge als gute Prise erklärt und ohne Entschädigung für die Eigentümer, die Eigentümer der Ladung, die Charterer, den Kapitän und die Besatzung beschlagnahmt.

Gegeben und mit eigener Hand unterzeichnet am ersten Tag des Junimonats 1821

Hornblower, Konteradmiral Als Hornblower das Dokument durchgelesen hatte, überflog er rasch das zweite Schriftstück. Es war ein geharnischtes Protestschreiben des holländischen Gouverneurs von Curacao, in dem Erklärungen, Entschädigungen, die sofortige Aufhebung der Blockade und eine exemplarische Wiedergutmachung gefordert wurden. Hornblower starrte Hooper sprachlos vor Überraschung an.

»Dies hier«, sagte er endlich und wies mit dem Finger auf die Bekanntmachung, »ist durchaus richtig und in den gesetzlich vorgeschriebenen Wendungen abgefaßt, aber ich habe es nicht unterzeichnet. Das ist nicht meine Unterschrift.«

»Von wem rührt sie denn her?« polterte Hooper los. »Das ist ja... und ich dachte, Sie hätten vielleicht Geheimbefehle aus London erhalten.«

»Davon ist keine Rede, Sir.« Hornblower starrte Hooper wieder sekundenlang schweigend an, dann kam ihm plötzlich die Erleuchtung: »Ramsbottom!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Er hat sich für mich oder zum mindesten für einen meiner Offiziere ausgegeben. Ist der holländische Offizier, der dieses Schreiben überbrachte, erreichbar?«

»Ja, er wartet im Nebenzimmer. Außer ihm ist noch ein Spanier da, den uns Morillo mit einem Fischerboot von La Guaira herübersandte.«

»Könnten Sie sie vielleicht hereinbitten, Sir?« Beide, der Holländer wie der Spanier, waren außer sich vor Entrüstung, mit der sie auch nicht hinter dem Berge hielten, als sie dem Admiral vorgestellt wurden, der nach ihrer festen Überzeugung für diese Störung ihres Seeverkehrs die Verantwortung trug. Der Holländer sprach fließend Englisch, darum richtete Hornblower das Wort zuerst an ihn.

»Wie wurde Ihnen diese Bekanntmachung zur Kenntnis gebracht?« fragte er.

»Durch eines Ihrer Schiffe, durch einen Ihrer Offiziere.«

»Was für ein Schiff war das?«

»Die Kriegsbrigg Desperate. «

»In meinem Verband gibt es kein Schiff dieses Namens und in der Schiffsliste der Navy ebenso wenig. Von wem wurde Ihnen das Schreiben überbracht?«

»Vom Kommandanten persönlich.«

»Wer war das? Wie sah er aus?«

»Es war ein Seeoffizier, ein Commander mit Epauletten.«

»Er trug Uniform?«

»Ja, volle Uniform.«

»Jung? Alt?«

»Sehr jung.«

»Klein? Schlank? Gut aussehend?«

»Ja.«

Hornblower tauschte einen Blick mit Hooper. »Und wie sah die Brigg, die Desperate, aus? Etwa 170 Tonnen groß, Bugspriet fast waagerecht, Großmast ziemlich weit achtern?«

»Das stimmt.«

»Damit ist der Fall geklärt, Sir«, sagte Hornblower zu Hooper und wandte sich dann wieder an den Holländer: »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie einer Täuschung zum Opfer gefallen sind. Jener Mann war ein Betrüger, die Bekanntmachung ist gefälscht.« Der Holländer stampfte wütend mit dem Fuß. Er fand sekundenlang keine Worte, um sich auf englisch verständlich zu machen. Zuletzt tauchte in seinem Gestammel ein Name auf, den er so oft wiederholte, bis er zu verstehen war.

»Die Helmond! Die H elmond

»Was ist denn die Helmond, Sir?« fragte Hornblower.

»Eines unserer Schiffe. Ihr Schiff - die Desperate - hat sie gekapert.«

»Ist sie denn ein besonders wertvolles Schiff?«

»Sie hatte Geschütze für die spanische Armee an Bord zwei Batterien Feldartillerie, Geschütze, Protzen, Munition und alles, was dazu gehört.«

»Das ist glatte Seeräuberei!« brach Hooper los. »Ja, es nimmt sich ganz so aus«, sagte Hornblower. Der spanische Offizier hatte ungeduldig zugehört, offenbar verstand er nur zur Hälfte, was auf englisch gesprochen wurde. Hornblower wandte sich jetzt zu ihm und raffte mühsam sein halbvergessenes Spanisch zusammen, um ihm einigermaßen deutlich zu machen, worum es ging. Der Spanier sprudelte ihm sogleich einen wahren Wortschwall entgegen, er sprach so rasch, daß ihn Hornblower wiederholt bitten mußte, doch etwas langsamer zu reden. Es stellte sich heraus, daß Ramsbottom samt seinem kostbaren Dokument in La Guaira eingelaufen war. Die bloße Nachricht, daß die britische Navy die Blockade verhängen wollte, hatte die erstaunliche Wirkung, daß sich vor der Küste Südamerikas kein Schiff mehr sehen ließ, ausgenommen allein die Helmond, die schon mit solcher Ungeduld erwartet wurde. Bolivar marschierte gegen Caracas, die Schlacht, deren Ausgang für den Bestand der spanischen Herrschaft in ganz Venezuela entscheidend war, stand unmittelbar bevor. Morillo und die spanische Armee brauchten dringend Artillerie. Diese blieb ihr jetzt vorenthalten, aber damit nicht genug. Nach den vorliegenden Nachrichten konnte es als sicher gelten, daß die Geschütze, zwei volle Batterien Feldartillerie, Bolivar in die Hände gefallen waren.

Der spanische Offizier rang in heller Verzweiflung die Hände.

Hornblower übersetzte das Gehörte kurz dem Gouverneur, und dieser wiegte dazu mitfühlend den Kopf. »Bolivar hat die Geschütze. Darüber gibt es kaum einen Zweifel. Ich kann Ihnen nur versichern, meine Herren, daß ich Ihr Mißgeschick auf das lebhafteste bedauere. Zugleich aber muß ich mit allem Nachdruck feststellen, daß die Regierung Seiner Majestät für das Geschehene keine Verantwortung trifft. Da Ihre zuständigen Stellen nichts unternommen haben, um den Betrüger zu entlarven...« Diese Worte hatten einen neuen Ausbruch zur Folge. Die britische Regierung solle doch dafür sorgen, daß sich solche Verbrecher nicht einfach der britischen Uniform bedienen und als britische Offiziere auftreten könnten. Hooper mußte seine ganze, grobschlächtige Verhandlungskunst aufbieten, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen. »Wenn Sie mir jetzt gestatten wollten, mich mit dem Admiral zu besprechen, dann kommen wir vielleicht doch noch zu einer annehmbaren Lösung.« Als Hornblower wieder allein mit dem Gouverneur war, mußte er mühsam das Lachen verbeißen. Er war sein Leben lang nicht davon losgekommen, daß ihn in kritischen Lagen irgend etwas zum Lachen reizte. Wie sollte man auch ernst bleiben, wenn man sich vor Augen hielt, daß ein Zweispitz und ein paar Epauletten vollauf genügten, einen umstürzenden Wandel im Verlauf eines Feldzugs herbeizuführen. War es nicht ein Beweis für die Macht der Navy, daß ein einzelnes, winziges Schiffchen imstande war, einen so unwiderstehlichen Druck auszuüben? »Dieser Ramsbottom und seine venezolanische Mutter!« ließ sich Hooper vernehmen. »Seine Handlungsweise ist nicht nur Seeräuberei, sondern glatter Hochverrat. Wir werden ihn hängen müssen.«

»Hm«, sagte Hornblower. »Wahrscheinlich hat ihm Bolivar einen Kaperbrief ausgestellt.«

»Hat er sich nicht als britischer Offizier ausgegeben? Hat er nicht offizielle Dokumente gefälscht?«

»Das war eine Kriegslist. Fast in der gleichen Weise täuschte ein amerikanischer Offizier 1812 die brasilianischen Behörden.«

»Und Sie selbst haben sich dem Vernehmen nach früher schon ähnliche Streiche geleistet, nicht wahr?« fügte Hooper lachend hinzu.

»Selbstverständlich, Sir, wer als Kriegführender unbesehen glaubt, was ihm gesagt wird, ist ein Dummkopf.«

»Aber wir führen doch keinen Krieg.«

»Nein, Sir. Uns ist ja auch weiter kein Schaden erwachsen.

Die Holländer und die Spanier haben sich die Folgen ihrer Leichtgläubigkeit selbst zuzuschreiben.«

»Aber Ramsbottom ist immerhin Untertan Seiner Majestät.«

»Gewiß, Sir, dessen ungeachtet kann er als Offizier der Revolutionsarmee handeln, wenn er ein Patent Bolivars besitzt.

Als Privatmann könnte er das nicht.«

»Wollen Sie damit sagen, daß wir ihm erlauben sollen, seine Blockade fortzusetzen? Das geht doch nicht, Mann.«

»O nein, Sir. Ich werde ihn bei erster Gelegenheit festnehmen und sein Schiff einem Prisengericht überstellen. Aber zunächst geht es doch darum, daß eine befreundete Macht Ihnen, Sir, als dem Vertreter Seiner Britischen Majestät, die Frage vorgelegt hat, ob die Blockade von Ihnen verhängt wurde. Mir scheint, Sie müßten jetzt alles in Ihrer Macht Stehende tun, um in dieser Angelegenheit Klarheit zu schaffen.«

»Jetzt reden Sie endlich wie ein vernünftiger Mensch. Ja, wir müssen Caracas und Curacao sofort entsprechend unterrichten.

Das ist Ihre vordringlichste Aufgabe. Am besten übernehmen Sie ihre Durchführung in Person.«

»Jawohl, Sir. Ich gehe mit der Landbrise in See. Haben Sie sonst Befehle für mich, Sir?«

»Nicht, daß ich wüßte. Was sich auf hoher See begibt, ist Ihre Sache, mich geht das nichts an. Sie sind über die Admiralität dem Kabinett Rechenschaft schuldig - ich beneide Sie nicht darum.«

»Den Kopf wird es schon nicht kosten, Sir. Ich selbst segle nach La Guaira, ein weiteres Schiff sende ich nach Curacao.

Vielleicht könnten Eure Exzellenz auf die an Sie gerichteten Anfragen noch dienstliche Antwortschreiben ausfertigen, so daß ich sie vor dem Auslaufen an Bord bekomme.«

»Ja, ich werde die Briefe gleich entwerfen.« Der Gouverneur mußte seinem Herzen noch einmal Luft machen: »Dieser Ramsbottom - mit seinem Corned Beef und seinem verdammten Kaviar!«

»Er warf mit der Wurst nach der Speckseite, Exzellenz!« sagte Hornblower.

So kam es, daß sich die Besatzung der Clorinda an diesem Abend nicht in den Vergnügungsstätten Kingstons austoben konnte, wie sie wohl gehofft hatte. Statt dessen schufteten die Männer bis zum Morgengrauen, um Wasser und Proviant zu ergänzen, und das in einem Tempo, daß sie nicht einmal Zeit fanden, ihrem Admiral zu fluchen, der ihnen das antat. Beim ersten Morgenlicht warpten sie ihr Schiff, unterstützt von den schwachen Puffs der Landbrise, aus dem Hafen. Dann ging die Clorinda, im Kreuztopp die Flagge ihres Admirals, hart am Wind mit südöstlichem Kurs auf die tausend Meilen weite Reise nach La Guaira. Sie hatte Morillos Abgesandten, den Brigadegeneral Don Manuel Ruiz, an Bord, der Hornblowers Einladung gefolgt war, sich für die Rückreise in sein Hauptquartier bei ihm einzuschiffen. Der Mann fieberte förmlich danach, zurückzukommen und Ramsbottoms Blockade ein Ende zu bereiten, zumal die königlichen Truppen in Venezuela offenbar in arger Bedrängnis waren. Er war während der ganzen Reise keines anderen Gedankens fähig. Die prachtvollen Sonnenuntergänge sagten ihm nur, daß wieder ein Tag um war, ohne ihn ans Ziel zu bringen. Das hinreißende Schauspiel, das die Clorinda bot, als sie sich hart am Wind gischtübersprüht gegen die anrollenden Seen stemmte, vermochte ihn nicht zu fesseln, weil sie dabei weniger Fahrt lief, als wenn sie vor dem Wind dahingejagt wäre. Jeden Mittag, wenn der Schiffsort eingetragen wurde, stand er lange über die Karte gebeugt und schätzte brennend vor Ungeduld die Strecke ab, die noch zurückzulegen war. Aus Mangel an See-Erfahrung wußte er nichts von der alten Weisheit der Fahrensleute, daß alles Aufbegehren gegen die jeder Menschenmacht hohnsprechenden Naturgewalten sinnlos war. Als der Wind dann gar zwei Tage hintereinander südlicher einkam, so daß die Clorinda nicht mehr anliegen konnte, war er drauf und dran, Hornblower zu beschuldigen, daß er mit seinen Gegnern im Bunde sei. Er gab sich gar nicht erst Mühe, den beruhigenden Worten Hornblowers zu folgen, der ihm erklärte, daß sie auf dem Backbordschlag, den sie notgedrungen einlegen mußten, wertvolle Ostlänge gewannen, die später vielleicht von unschätzbarem Nutzen sein konnte. Dann wieder nahm er Kapitän Fell die seemännische Vorsicht übel, die ihn veranlaßte, Segel zu kürzen, als sie sich den gefährlichen Untiefen von Grand Cayman näherten. Als der folgende Morgen anbrach, enterte er in die Fockwanten, so hoch er sich getraute, um nach den Bergen von Venezuela Ausschau zu halten - und erkannte schließlich den blauen Streifen in der Kimm doch nicht als das ersehnte Land.

Ehe noch der Anker gefallen war, erschien bereits von Land her ein Boot, dann gab es auf dem Achterdeck gleich einen hastigen Meinungsaustausch zwischen Ruiz und dem Offizier, der mit dem Boot an Bord gekommen war. »Mein General ist in Carabobo«, sagte Ruiz zu Hornblower. »Dort wird es in Kürze zu einer Schlacht kommen. Bolivar rückt gegen Puerto Cabello vor, und mein General verlegt ihm mit seiner Armee den Weg.«

»Und wo ist Ramsbottom mit seinem Schiff?« Ruiz warf einen fragenden Blick nach dem Ankömmling. »In der Nähe von Puerto Cabello.«

Dort durfte man ihn auch am ersten vermuten. Die Stelle lag nicht ganz hundert Meilen weiter westlich, es gab dort eine offene Reede, wo Nachschub an Land gebracht werden konnte.

Überdies bot jenes Revier die beste Aussicht, jeden Verkehr zwischen Curacao und La Guaira zu unterbinden.

»Gut, dann laufe ich sofort nach Puerto Cabello weiter«, sagte Hornblower. »Wenn Sie wünschen, Don Manuel, können Sie gerne mitkommen. Der Wind ist günstig, ich bringe Sie auf jeden Fall schneller an Ihr Ziel als das schnellste Pferd.«

Ruiz zögerte einen Augenblick. Mit Pferden kannte er sich aus, gegen Schiffe hegte er Mißtrauen. Aber der Vorteil lag so klar auf der Hand, daß er das Angebot annahm. »Also schön«, sagte Hornblower. »Sir Thomas, wollen Sie die Güte haben, den Anker wieder zu lichten. Bitte, setzen Sie Kurs auf Puerto Cabello ab.«

Jetzt hatte die Clorinda den frischen Passat aus der Richtung, die ihr am besten behagte, nämlich vier Strich von achtern. Sie hatte alsbald ihre Leesegel stehen und flog unter allem Zeug, das sie führen konnte, in jagender Eile dahin. Ein Pferd in voller Karriere wäre vielleicht etwas schneller gewesen, aber kein Gaul der Welt hätte ein solches Tempo Stunde um Stunde durchgehalten, wie es die Clorinda mühelos tat, kein Gaul der Welt hätte außerdem auf den Bergpfaden der Seeanden je seine größte Geschwindigkeit erreicht. Aber Ruiz ging es natürlich immer noch zu langsam. Er starrte so lange mit dem Glas nach der vorübergleitenden Küste, bis er vor Anstrengung fast blind war, und wanderte dann ruhelos auf dem Achterdeck umher. Die Schweißtropfen rieselten ihm über Stirne und Wangen, als die Sonne ihre Mittagshöhe erreichte und senkrecht auf ihn nieder brannte. Hornblower wurde von ihm mit einem argwöhnischen Blick bedacht, als die Mannschaft der Clorinda in die Riggen enterte, um Segel zu kürzen.

»Wir gehen jetzt unter Land, Herr General«, erklärte Hornblower, um ihn zu beruhigen.

Die Lotgasten standen in den Rüsten, als die Clorinda die Reede ansteuerte. Während sie mit ihrem Singsang die Wassertiefen meldeten, hob Ruiz plötzlich lauschend den Kopf, um andere, von weither kommende Laute zu vernehmen. Dann sagte er zu Hornblower: »Hören Sie? Artillerie!«

Hornblower horchte gespannt. Da, ein leises, kaum vernehmbares Wummern, dann war es wieder verstummt, es blieb nur das Rauschen des Kielwassers und das lärmende Treiben der Männer, die die Vorbereitungen zum Ankern trafen.

»Bitte, befehlen Sie für einen Augenblick ›Ruhe an Deck‹, Sir Thomas!«

Jetzt hörten die Lotgasten auf, die Tiefen auszusingen, die Arbeit stockte, und jedermann an Deck der Clorinda blieb lautlos stehen, wo er gerade stand. Nur der Wind spielte noch in den Riggen, und die Seen klatschten nach wie vor geschwätzig gegen die Bordwand. Jetzt hörte man es wieder. Eine schwache, ganz ferne Detonation - noch eine - dann zwei.

»Danke, Sir Thomas, Sie können weitermachen.«

»Artillerie!« stellte Ruiz abermals fest. »Die Schlacht ist im Gange!«

Irgendwo in der Gegend von Puerto Cabello mußte es zwischen den Royalisten und den Republikanern zum Kampf gekommen sein. Und die Geschütze, die bis hierher zu hören waren? Ob es wohl jene waren, die die Helmond herangeschafft hatte? Dann waren sie jetzt in den Händen der Aufständischen und spien Tod und Verderben gegen ihre rechtmäßigen Eigentümer. Der Einsatz von Artillerie deutete darauf hin, daß eine regelrechte Schlacht und nicht nur ein kleines Geplänkel im Gange war. Dort fielen also die Würfel über das künftige Schicksal Venezuelas. Ruiz hieb sich verzweifelt mit der Faust in die hohle Hand. »Sir Thomas, lassen Sie bitte sofort ein Boot klarmachen, damit der General ohne Verzug an Land gebracht werden kann.«

Als die Gig abgesetzt hatte, blickte Hornblower kurz nach dem Sonnenstand, rief sich das Kartenbild der venezolanischen Küste ins Gedächtnis und faßte ohne Verzug seinen nächsten Entschluß. Die lange, ereignislose Zeit, die hinter ihm lag, war vergessen. Wie seit je im Dienst der Navy, so war sie auch diesmal nur der Vorbote neuen spannenden Geschehens gewesen. Als die Gig in eiliger Fahrt zurückkam, hatte er seine Anordnung schon bereit. »Haben Sie die Güte, wieder Segel zu setzen, Sir Thomas. Solange es Tag ist, können wir unsere Suche nach Ramsbottom in westlicher Richtung fortsetzen.«

Zwar wäre es wünschenswert gewesen, sobald wie irgend möglich Nachricht über den Ausgang der Schlacht zu erhalten, ebenso wichtig aber, wenn nicht noch wichtiger, war es, Ramsbottom ohne Verzug das Handwerk zu legen. Zwischen La Guaira und Puerto Cabello hatten sie ihn noch nicht gesichtet, viel weiter westlich konnte er jetzt nicht mehr sein. Die Sonne neigte sich zum Abend und blendete die Ausgucksposten, denen sie in die Augen schien, während die Clorinda an der Küste der Provinz Carabobo entlang steuerte. Nicht allzuweit voraus bog das Festland unvermittelt in Richtung auf das Cap San Juan nach Norden zu aus und bildete hier eine ausgesprochene Legerwall. Seltsam, daß sich Ramsbottom so dicht an diese Leeküste herangewagt haben sollte! Vielleicht hatte er schon längst das Ruder herumgeworfen und das Weite gesucht, weil er sich denken konnte, daß seine Gnadenfrist abgelaufen war. »An Deck!« rief der Ausguck von der Vorbramsaling herab, »Backbord voraus ist etwas in Sicht, grade gegen die Sonne! Es kann ein Schiff sein, Sir. Masten und Rahen, Sir, aber ohne Segel!«

Unvorstellbar, wenn Ramsbottom wirklich an dieser gefährlichen Leeküste geankert hätte! Aber im Kriege konnte man ja oft genug nicht umhin, Unvorstellbares dennoch zu wagen. Die Clorinda hatte ihre Leesegel längst geborgen. Nach einem scharfen Kommando Fells und fünf Minuten angestrengter Arbeit der Besatzung glitt sie nur noch unter Marssegeln und Klüvern ihrem Ziel entgegen. Die Sonne verschwand hinter einer Wolkenbank und färbte sie mit brandroten Tinten.

»An Deck! Es sind zwei Schiffe, Sir, beide vor Anker, eins davon ist eine Brigg, Sir!«

Eine Brigg! Das konnte nur Ramsbottom sein. Jetzt, da sich die Sonne versteckt hatte, war es möglich, den Kieker auf die vom Ausguck bezeichnete Stelle zu richten. Da lagen sie beide, in der klaren Abendbeleuchtung hoben sie sich wie schwarze Silhouetten gegen die feuerrote Wolke ab. Man erkannte die Masten und Rahen eines Vollschiffs und einer Brigg, die beide vor Anker lagen. Sir Thomas sah Hornblower fragend an, um den nächsten Befehl entgegenzunehmen.

»Bitte, laufen Sie so nahe heran, wie es Ihnen geraten scheint, Sir Thomas, und teilen Sie ein Prisenkommando ab, das zur Wegnahme beider Schiffe ausreicht.«

»Soll das Enterkommando bewaffnet sein, Mylord?«

»Das stelle ich Ihnen anheim. Ich glaube allerdings nicht, daß er es wagen wird, uns mit Gewalt entgegenzutreten.«

Die Geschütze der Brigg waren nicht ausgerannt, sie hatte auch keine Enternetze ausgebracht. Das kleine Schiffchen hatte auf seinem ungeschützten Ankerplatz gegen eine Fregatte nichts zu bestellen.

»Wenn Mylord einverstanden sind, möchte ich jetzt ankern.«

»Bitte sehr.«

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, daß dies die Bride of Abydos war. Ihr Rumpf und ihre Riggen schlossen jede Verwechslung aus. Und das andere Schiff?

Höchstwahrscheinlich war das die Helmond. Durch die Revolte von Maracaibo war dieser Küstenstrich den Aufständischen in die Hände gefallen. Die beiden Batterien Feldgeschütze, die der Holländer geladen hatte, konnten hier ungestört auf Flößen an Land geschafft werden - in einer kleinen Bucht gab es einen flachen Strand, der dies ermöglichte. Dann waren sie wahrscheinlich ohne Verzug der Armee der Aufständischen zugeführt worden, die sich zum Vormarsch auf Puerto Cabello sammelte. Ramsbottom hatte seine Aufgabe mit Glanz gelöst, jetzt ging es ihm wahrscheinlich darum, den Erfolg gehörig auszumünzen, indem er - wie Hornblower schon vermutet hatte - von Bolivar einen Kaperbrief erwirkte.

»Ich schließe mich dem Prisenkommando an, Sir Thomas.«

Fell quittierte mit einem verwunderten Blick. Ein Admiral gehörte nun einmal nicht in ein Boot, das den Auftrag hatte, ein fremdes Schiff zu entern. Auch wenn der Bootsbesatzung keine Kugeln entgegenpfiffen, war er dort fehl am Platz. Es genügte schon anzunehmen, daß einer jener ungezählten Zwischenfälle eintrat, denen kleine Boote nun einmal ausgesetzt waren. Wie leicht konnte es da geschehen, daß ein Stabsoffizier, der infolge seines Alters nicht mehr so flink und wendig war, über Bord fiel und nicht mehr zum Vorschein kam. Dann gab es hinterher endlose Scherereien für den betreffenden Kommandanten.

Hornblower erriet, was Fell dachte, aber es fiel ihm nicht ein, ruhig auf dem Achterdeck der Clorinda zu warten, bis man ihm über die Bride of Abydos Meldung machte - nicht solange ein Wort von ihm genügte, ihm die Wahrheit um Minuten eher zu entschleiern.

»Ich hole rasch Ihren Säbel und Ihre Pistolen, Mylord«, sagte Gerard.

»Unsinn«, sagte Hornblower. »Schauen Sie doch hinüber.«

Er hatte die vor Anker liegenden Schiffe eifrig durch das Glas beobachtet und in ihrer Nähe eine auffallende Betriebsamkeit festgestellt. Mehrere Boote pullten in aller Hast von den Schiffen weg und strebten der Küste zu. Ramsbottom schien sich aus dem Staub zu machen. »Los, kommen Sie mit!« sagte Hornblower. Er eilte zur Reling, sprang nach einer Bootstalje und rutschte ungeschickt daran hinunter, wobei sich ein paar Fetzen Haut von seinen weichen Händen schälten. »Absetzen!

Ruder an!« befahl er, kaum daß Gerard auf allen vieren neben ihm gelandet war. Und dann ein zweites Mal: »Pull aus!« Das Boot schor von der Bordswand ab und taumelte wie trunken über den Kamm einer mächtigen Dünung und jenseits wieder zu Tal. Die Bootsgasten legten sich mit aller Kraft in die Riemen.

Das Boot, das eben die Bride of Abydos verließ, wurde gewiß nicht nach Kriegsschiffsart gehandhabt, wie man es von Ramsbottom eigentlich erwartet hätte. Seine Riemen fanden sich nicht zu einem gleichmäßigen Schlag zusammen, es wurde von der Dünung herumgeworfen und drehte wieder zurück, als einer der Männer ›einen Krebs fing‹ . So gelangte Hornblower in kürzester Zeit längsseit des hilflosen Fahrzeugs. Die Männer an seinen Riemen waren keine sauberen Matrosen wie er sie an Bord der Bride of Abydos gesehen hatte, sondern samt und sonders dunkelhäutige, in elende Lumpen gehüllte Kerle. Und in der Achterplicht saß nicht etwa Ramsbottom, sondern ein Unbekannter mit einem mächtigen schwarzen Schnurrbart, der eine völlig zerfetzte blausilberne Uniform trug. Die Abendröte übergoß ihn mit ihrem unheimlichen Glanz.

»Wer sind Sie?« fragte Hornblower und wiederholte dann seine Frage auf Spanisch.

Das Boot hatte mit seinem Gezappel Schluß gemacht, es lag jetzt ›auf Riemen‹ und schwang in der Dünung ohne Fahrt auf und nieder.

»Leutnant Perez, Erstes Infanterieregiment der Armee von Groß-Columbien.«

Groß-Columbien nannte Bolivar die Republik, die er durch seine Rebellion gegen Spanien ins Leben rufen wollte. »Wo ist Mr. Ramsbottom?«

»Der Admiral ist schon seit einer Woche an Land.«

»Der Admiral?«

»Gewiß, Don Carlos Ramsbottom y Santona, Admiral der Marine von Groß-Columbien.« Ein Admiral - alle Achtung.

»Und was hatten Sie selbst an Bord dieses Schiffes zu tun?«

»Ich hatte es in Obhut, bis Eure Exzellenz hier erschienen.«

»Jetzt ist also niemand mehr an Bord?«

»Nein, kein Mensch.«

Beide Boote wurden von einer mächtigen Dünung gehoben und schwebten auf ihrer Rückseite wieder zu Tal. Hornblower stand hier vor einer höchst unerfreulichen Aufgabe, bei der ihm die Logik keinen Schritt weiterhalf. Er war darauf vorbereitet gewesen, Ramsbottom festzunehmen, nun sah er sich diesem Infanterieleutnant gegenüber, der sich obendrein in den Hoheitsgewässern seines eigenen Landes befand. Konnte, durfte er diesen Mann seiner Freiheit berauben?

»Wo befindet sich die Besatzung des Schiffes?«

»Mit dem Admiral an Land. Bei der Armee.« Zweifellos kämpften diese Männer für Bolivar und bedienten wohl jetzt als Artilleristen die geraubten Geschütze. »Ich danke Ihnen, Sie sind frei.«

Es reichte hin, wenn er sich der Bride of Abydos versicherte, man durfte nicht von ihm erwarten, daß er Soldaten Bolivars in Gewahrsam nahm, die nur die Befehle ihrer Vorgesetzten ausgeführt hatten.

»Bringen Sie mich längsseit der Brigg«, befahl er dem Bootssteuerer.

Soviel man in der Dämmerung ausmachen konnte, herrschte an Bord der Bride of Abydos keine nennenswerte Unordnung.

Die Besatzung hatte offenbar alles aufs beste hinterlassen, und das Wachkommando der südamerikanischen Soldaten hatte an diesem Zustand wenig oder nichts geändert. Wie es unter Deck aussah, war natürlich eine andere Frage. Was sich allerdings abgespielt hätte, wenn ein richtiger Sturm über diese gefährliche Reede hingefegt wäre, daran wagte man nicht zu denken.

Wahrscheinlich hatte sich Ramsbottom nicht mehr darum gekümmert, was aus seinem kleinen Schiff wurde, als sein Coup erst richtig gelandet war.

»Ahoi! Ahoi!« rief es durch ein Megaphon vom anderen Schiff herüber. Hornblower nahm den Sprechtrichter aus seiner Halterung neben dem Ruder und rief zurück: »Ich bin Admiral Lord Hornblower im Dienst Seiner Britannischen Majestät. Ich komme an Bord.« Es war schon fast dunkel, als er das Deck der Helmond betrat, wo ihm ein paar Laternen den Weg wiesen. Der Kapitän, der ihn begrüßte, war ein großer, beleibter Mann, der ein ausgezeichnetes Englisch sprach, wenn man von einem auffallenden, wahrscheinlich holländischen Akzent absah.

»Sie kommen reichlich spät, Sir«, polterte er gleich los. Es gehörte sich wirklich nicht, einen Offizier der Royal Navy in dieser ungehobelten Art anzulassen, am wenigsten, wenn der Angeredete ein Admiral und Peer von England war.

Hornblower stieg denn auch gleich das Blut zu Kopf. »Ich bitte mir einen anständigen Ton aus«, herrschte er den Holländer an. Die beiden maßen einander im Flackerlicht der Laternen mit zornigen Blicken. Schließlich kam der Kapitän doch zu der Einsicht, daß es für ihn besser war, seine Gereiztheit im Zaum zu halten, wenn er mit einem Mann verhandelte, der hier an dieser einsamen Küste immerhin die Macht besaß, seinen Willen durchzusetzen.

»Bitte, kommen Sie unter Deck, Sir«, sagte er einlenkend.

»Darf ich Ihnen ein Gläschen Schnaps anbieten?« Die Kajüte war ein behaglicher, mit guten Möbeln ausgestatteter Raum. Der Kapitän bot Hornblower einen Sessel an und setzte ihm ein Glas Genever vor. »Ich war heilfroh, als ich Ihre Marssegel in Sicht bekam«, sagte er. »Sie ahnen nicht, was ich in den letzten zehn Tagen ausgestanden habe. Mein Schiff - meine Ladung - diese Küste...« Seine zusammenhanglosen Worte gaben einen Begriff von all den Schrecken, die er durchgemacht haben mußte, als er sich in den Händen der Aufständischen sah und gezwungen wurde, mit einer bewaffneten Wache an Bord vor dieser gefährlichen Leeküste zu ankern. »Wie ist das denn gekommen?« fragte Hornblower. »Diese verdammte kleine Brigg feuerte mir einen Schuß vor den Bug, ehe Bonaire noch aus Sicht gekommen war. Als ich daraufhin beidrehte, wurde ich von den Burschen geentert. Ich hielt die Brigg für ein Kriegsschiff - eins von den Ihren. Sie brachten mich hier zu Anker, dann kamen gleich die Soldaten zu uns herauf. Da merkte ich erst, daß diese Brigg überhaupt kein Kriegsschiff war, jedenfalls kein britisches.«

»Und dann holten die Kerle wohl Ihre Ladung weg?«

»Ja, zwölf Neunpfünder Feldgeschütze samt Protzen und Munitionswagen, einen Reparaturwagen samt Werkzeug, zweitausend Schuß Munition, eine Tonne Pulver in Fässern, kurz, alles, was da war.«

Der Holländer zitierte offenbar wörtlich aus seinem Konossement.

»Wie haben sie denn das alles an Land gebracht?«

»Auf Flößen. Diese Engländer gingen wie die Wilden ins Zeug. Es waren auch gute Seeleute darunter, daß muß man den Brüdern lassen.«

So etwas hörte man trotz allem gern, zumal wenn es so freimütig eingestanden wurde. Wahrscheinlich hatten sie Faßpontons dazu benutzt, und Hornblower gab sich darüber Rechenschaft, daß er das Problem wahrscheinlich in ähnlicher Weise angepackt hätte. Sicherlich waren die Aufständischen an Land mit einer erklecklichen Zahl ungelernter Hilfskräfte beigesprungen, aber das konnte diesem seemännischen Meisterstück keinen Abbruch tun. »Und dann sind die Leute alle mit den Geschützen abgezogen?« fragte Hornblower.

»Ja, alle bis auf den letzten Mann. Für zwölf Geschütze waren es nicht einmal allzuviele.«

Nein, zu viele waren es bestimmt nicht. Die Bride of Abydos fuhr an die fünfundsiebzig Mann Besatzung, das reichte wirklich kaum aus, um zwei volle Batterien im Gefecht zu bedienen.

»Sie ließen Ihnen eine venezolanische Wachmannschaft an Bord zurück, nicht wahr?«

»Ja, Sie haben sie abfahren sehen, als Sie kamen. Die Kerle zwangen mich, hier auf Legerwall liegen zu bleiben.« Das war natürlich geschehen, damit der Holländer die Kunde von dem an ihm verübten Betrug nicht so rasch verbreiten konnte.

»Diese - diese Räuberbande hat ja keine Ahnung von einem Schiff«, fuhr der Kapitän in seiner Leidensgeschichte fort.

»Einmal geriet die Desperate ins Treiben, da mußte ich meine eigenen Leute hinüberschicken...«

»Sie können immerhin froh sein, daß man Ihnen Ihr Schiff nicht angezündet hat«, sagte Hornblower. »Oder stellen Sie sich vor, Sie wären bis aufs Hemd ausgeplündert worden und säßen womöglich an Land in irgendeinem Gefängnis.«

»Gewiß, das mag alles sein, und doch...«

»So wie die Dinge liegen, Sir«, sagte Hornblower und erhob sich dabei von seinem Stuhl, »sind Sie jetzt frei. Sie können die Landbrise ausnutzen, um Seeraum zu gewinnen. Und morgen Abend können Sie schon in Willemstad ankern.«

»Aber meine Ladung, Sir? Man hat mich mit Gewalt festgehalten. Man hat mich in Gefahr gebracht. Man hat die Flagge meines Landes...«

»Ihre Reeder können alle Schritte unternehmen, die ihnen nützlich und richtig scheinen. Soviel ich weiß, ist Ramsbottom ein vermögender Mann. Es ist durchaus möglich, ihn für den Schaden haftbar zu machen.«

»Aber... aber...« Der Holländer fand keine angemessenen Worte, um seiner Entrüstung über die Behandlung, die ihm widerfahren war, und über Hornblowers Mangel an Verständnis gebührend Luft zu machen. »Ihre Regierung kann natürlich Protest einlegen, sei es bei der Regierung von Groß-Columbien, sei es bei König Ferdinand.«

Hornblower bemühte sich, möglichst ausdruckslos dreinzuschauen, als er diesen lächerlichen Vorschlag machte.

»Jedenfalls möchte ich Sie beglückwünschen, Sir, daß Sie so ernsten Gefahren heil entronnen sind. Ich hoffe, daß nun Ihre Heimreise rasch und günstig vonstatten geht.« Er hatte die Helmond befreit und die Bride of Abydos beschlagnahmt.

Insoweit, überlegte Hornblower, als ihn das Boot zur Clorinda zurückbrachte, war also sein Unternehmen von Erfolg gewesen.

Nun konnten sich die Regierungen zu Hause über die Rechtslage unterhalten, wenn sie sich diese Last auftun wollten. Was das Kabinett und die Admiralität über sein Vorgehen dachte, ahnte er nicht. Er fühlte nur, daß ihn ein leichtes Frösteln überlief, wenn er in Gedanken länger bei diesem Aspekt des Falles verweilte. Aber als Admiral durfte er dieses Gefühl der Beklemmung beileibe niemand verraten, am wenigsten einem Kommandanten, der so beschränkt war wie Sir Thomas Fell.

»Ich wäre Ihnen verbunden, Sir Thomas«, sagte er, als er das Deck der Clorinda betrat, »wenn Sie ohne Verzug ein Prisenkommando an Bord der Brigg schicken würden. Wollen Sie bitte ferner dem führenden Offizier die Anweisung geben, sich stets in unserer Nähe zu halten. Sobald es Ihnen gelegen ist, segeln wir nach Puerto Cabello zurück.« Fell mochte ein beschränkter Mensch sein, aber er war gewiß ein ausgezeichneter Seemann.

Hornblower konnte ihm unbesorgt die kitzlige Aufgabe überlassen, das Schiff nachts an der Küste entlang zurückzuführen. Mochte die Landbrise auch launisch und unzuverlässig sein, so bot sie doch Gelegenheit, die leewärts vertanen kostbaren Meilen wiederzugewinnen, und diese Gelegenheit mußte man unbedingt nutzen. Hornblower konnte sich indessen getrost in seine erstickend heiße Kajüte begeben, um zu schlafen. Er war körperlich müde, denn der Tag war recht anstrengend für ihn gewesen. Nun lag er auf seiner Koje und spürte gereizt, wie ihm die Schweißtropfen über die Rippen rieselten. Es wollte ihm beim besten Willen nicht gelingen, sich die endlosen Erwägungen über die Lage aus dem Kopf zu schlagen, in die er förmlich verstrickt war. Das britische Volk zeigte viel Verständnis und Sympathie für den Drang nach Freiheit, der sich hier und dort in der Welt immer mächtiger regte. Britische Freiwillige wirkten dabei oft genug entscheidend mit: Richard Church leitete schon seit Jahren den Aufstand Griechenlands gegen die Türkei, Cochrane focht gegenwärtig drüben im Pazifik für die Unabhängigkeit Südamerikas, und in nächster Nähe, gleich drüben auf dem Festland, dienten Tausende britischer Soldaten in Bolivars Revolutionsarmee. So wie der junge Ramsbottom sein Hab und Gut eingesetzt hatte, war in England schon manches große Privatvermögen für die Sache der Freiheit hingegeben worden.

Dennoch durfte man sich nicht erlauben, aus all dem einen Schluß auf die Einstellung des Kabinetts zu ziehen, weil es durchaus im Bereich der Möglichkeit lag, daß sich die offizielle Politik nicht mit der öffentlichen Meinung des Landes deckte.

Und die Lords der Admiralität? Die waren und blieben unberechenbar, soviel stand ein für alle Male fest. Ähnliches galt sogar von seiner Majestät, König Georg IV. Hornblower hegte nämlich im stillen den Verdacht, daß der erste Gentleman Europas die liberalen Ideen, die er ohnedies nur halben Herzens vertreten hatte, nicht mehr so recht schätzte. Es war also durchaus denkbar, daß die nahe Zukunft für Seiner Majestät Oberbefehlshaber in Westindien eine scharfe Zurechtweisung, wenn nicht gar eine desavouierende Abberufung in ihrem Schoß barg. Diese Überlegungen hatten Hornblower wenigstens die Gewißheit verschafft, daß die Zukunft zwar dunkel und unsicher vor ihm lag, daß er aber in den nächsten Stunden doch nichts unternehmen konnte, um diesen Zustand zu ändern. Mit dieser Erkenntnis hätte er friedlich schlafen können und war auch wirklich schon im Begriff, zu entschlummern, als er auf den nackten Rippen ein Kitzeln fühlte. Er dachte, es sei ein Schweißtropfen und wollte ihn achtlos wegwischen. Aber er hatte sich geirrt. Seine Fingerspitzen verrieten ihm, daß er eine Kakerlake gegriffen hatte, die munter auf ihm hemmgekrabbelt war. Angewidert sprang er aus der Koje. Das Karibische Meer war wegen seiner Kakerlaken berüchtigt, aber er hatte sich nie mit diesem ekelhaften Ungeziefer abfinden können. Im Dunkeln schritt er durch seinen Schlafraum und öffnete die Tür zur Achterkajüte, um das Licht der Lampe hereinzulassen, die dort am Deckbalken schwang. Da mußte er entdecken, daß ein gutes Dutzend dieser ekligen Käfer in seiner Schlafkammer umherrannte.

»Mylord?« Das war die Stimme des treuen Gerard, der ebenfalls aus der Koje gesprungen war, als er seinen Admiral rumoren hörte.

»Gehen Sie ruhig wieder schlafen«, sagte Hornblower. Er schlüpfte in das seidene Nachthemd mit dem gefältelten Einsatz, das für ihn bereitlag, und ging an Deck. Der Mond war aufgegangen, die Clorinda zog mit der Landbrise, die jetzt frisch von querein kam, stetig durchs Wasser. Die Kakerlaken hatten mit einem Schlag alle seine Sorgen verjagt, er konnte über die Reling gelehnt die Schönheit der Nacht mit vollen Zügen genießen. Als der Morgen dämmerte, wurde es flau, aber kaum eine halbe Stunde später setzte wieder eine günstige Brise ein, die es der Clorinda und der in einer Meile Abstand folgenden Bride ob Abydos erlaubte, ihren Kurs nach Puerto Cabello weiter anzuliegen. Die Stadt auf ihrer Halbinsel war schon durch das Glas zu erkennen, und die Clorinda kam ihr rasch näher.

Viele Fischerboote strebten von der Stadt nach See zu, lauter kleine Fahrzeuge, die die Riemen benutzten, um trotz des ungünstigen Windes von der Küste wegzukommen. Als die Clorinda näher kam, stellte sich heraus, daß sie eine Menge Menschen an Bord hatten und geradezu lächerlich überladen waren. Dennoch holten ihre Besatzungen unentwegt an den Riemen und steuerten nach dem Runden der Halbinsel kühn in die offene See hinaus, um mit östlichem Kurs in Richtung auf La Guaira zu verschwinden.

»Es sieht mir ganz so aus, als ob General Morillo seine Schlacht verloren hätte«, sagte Hornblower. »Gewiß, Mylord«, bestätigte Fell unterwürfig. »In Puerto Cabello dürfte es eine Menge Leute geben, denen alles daran liegt, sich nicht erwischen zu lassen, wenn El Liberador einmarschiert«, bemerkte Hornblower ergänzend.

Er hatte gehört, daß dieser Unabhängigkeitskrieg mit echt spanischer Wildheit geführt wurde und daß Erschießungen und Metzeleien sogar Bolivars Ruf bedrohten. Hier war der Beweis, daß es sich wirklich so verhielt, vor allem aber deuteten diese überfüllten Boote darauf hin, daß die Einnahme Puerto Cabellos durch Bolivar unmittelbar bevorstand. Er hatte die Schlacht von Carabobo gewonnen, ein Sieg in offener Feldschlacht, so nahe der Hauptstadt Caracas, konnte nur den Zusammenbruch der Sache Spaniens bedeuten. Carabobo ging als das Yorktown des südamerikanischen Befreiungskrieges in die Geschichte ein, daran war nicht zu zweifeln. Gemessen an dem Erreichten - der Befreiung eines ganzen Kontinents - konnte der Verlust der Bride of Abydos für Ramsbottom nur noch wenig bedeuten.

Für Hornblower war es erforderlich, daß er sich unverzüglich vergewisserte, ob seine Vermutungen zutrafen. Das Kabinett in London brannte darauf, über die Lage in Venezuela rasch und aus erster Hand unterrichtet zu werden. »Sir Thomas«, sagte er darum, »ich gehe an Land.«

»Wollen Sie eine bewaffnete Eskorte, Mylord?«

»Wie Sie meinen.« Ein kümmerliches Dutzend mit Musketen ausgerüsteter Matrosen konnte ihm wenig helfen, wenn er unversehens einer siegestrunkenen Soldateska in die Hände fiel.

Aber er stimmte dem Kommandanten doch lieber zu, weil ihm auf diese Art lange Erörterungen und vorwurfsvolle Blicke erspart blieben.

Als Hornblower im blendenden Licht der Mittagssonne den Fuß auf die Pier setzte, lag der kleine Hafen völlig verlassen da.

Kein Fischerboot war zurückgeblieben, der Kai und die anliegenden Straßen wirkten wie ausgestorben. Er drängte rasch voran, die Wache marschierte hinterher, und Gerard ging an seiner Seite. Die lange, gewundene Straße, der sie folgten, wirkte nicht mehr so tot, hier und dort spähten einzelne Frauen, alte Männer oder Kinder neugierig aus den Häusern. Er hörte zur Rechten Musketenfeuer, das nach kurzem Aufflackern wieder erstarb, und dann kam ihnen eine ganze Marschkolonne des Elends entgegen, lauter Kranke und Verwundete, die sich halbnackt und stumpfen Sinnes dahinschleppten. Manche stürzten, um sich sogleich wieder aufzuraffen, andere aber brachen vor Hornblowers Augen kraftlos zusammen und kamen nicht wieder hoch. Von diesen hatten einige wenigstens noch soviel Besinnung, daß sie sich an den Straßenrand rollten, die übrigen blieben liegen, wo sie lagen, und alle, die folgten, stolperten gefühllos über sie hinweg. Verwundete, Halbnackte, Barfüßige, Leute in Fieberdelirien und solche, die sich in Krämpfen wanden, taumelten ihnen entgegen, während das Musketengeknatter im Rücken dieses Elendshaufens immer näher und bedrohlicher klang. Kaum war der letzte Verwundete vorbei, als auch schon die ersten Männer der Nachhut erschienen. Die Fetzen, die sie am Leibe trugen, hatten nur noch eine schwache Ähnlichkeit mit dem Blau-Weiß der Königlich Spanischen Armee. Immerhin konnte Hornblower feststellen, daß diese Armee trotz ihrer Niederlage noch über eine geordnete Nachhut verfügte, so daß man nicht gut von ›voller Auflösung‹ reden konnte. Diese Nachhut war nur jämmerlich klein, kaum ein paar hundert Mann stark, und zehrte offensichtlich auch schon an den letzten Kraftreserven. Aber noch setzten sie ihren Widerstand unverdrossen fort.

Die Männer bissen ihre Patronen auf, rammten die Pulverladungen in die Läufe und setzten die Kugeln darauf, dann warteten sie allein oder zu zweit hinter irgendeiner Deckung, bis sie wieder einen Schuß auf ihre Verfolger anbringen konnten. Unter ihnen befand sich ein Dutzend Offiziere, deren blanke Säbel in der Sonne blitzten. Der berittene Kommandeur der Truppe entdeckte Hornblower mit seinen Leuten und riß überrascht seinen Gaul herum. »Wer sind Sie?« rief er. »Engländer«, antwortete Hornblower. Ehe noch weitere Worte gewechselt werden konnten, lebte das Feuer im Rücken der Nachhut wieder gewaltig auf. Aber es kam gleich noch schlimmer: Aus einer Seitengasse, schon in gleicher Höhe mit der weichenden Truppe, erschienen urplötzlich ein Dutzend Kavalleristen, deren Lanzenspitzen in der Sonne funkelten. Jetzt hörte auch bei der Nachhut der letzte Rest von Ordnung auf, die Männer rasten in wilder Flucht die Straße entlang, um nicht abgeschnitten zu werden. Hornblower sah, wie ein Reiter einem der Fliehenden seine Lanzenspitze zwischen die Schultern jagte, wie der Getroffene auf sein Gesicht fiel und einen Meter weit durch den Staub geschleift wurde, bis sich die Lanze endlich wieder aus der Wunde riß, und er wie ein Tier mit gebrochenem Rückgrat hilflos zappelnd liegen blieb. Über ihn hinweg stürmten alsbald die Flankier der Vorhut Bolivars, eine ausgeschwärmte Schar von Männern jeder erdenklichen Hautfarbe, die abwechselnd laufend, ladend und schießend vorrückten. Bald pfiffen die Kugeln von allen Seiten.

»Mylord...«, sagte Gerard besorgt.

»Ach, lassen Sie nur, der Spuk ist ja schon vorbei«, antwortete Hornblower.

Das Gefecht zog sich weiter die Straße entlang, die sie gekommen waren. Mit Ausnahme des berittenen spanischen Offiziers hatte niemand auf sie geachtet. Jetzt wurden sie aber von der kleinen Infanterieabteilung bemerkt, die in geschlossener Ordnung hinter den Plänklern hermarschierte. Das glänzende Gold, die Epauletten und die Zweispitze machten die Leute aufmerksam. Wieder riß ein berittener Offizier sein Pferd herum und stellte die gleiche Frage wie vorhin der Mann aus dem anderen Lager. Hornblower gab denn auch wieder die gleiche Antwort. »Ingleses?« wiederholte der Offizier, »Engländer? Was - Sie sind ein britischer Admiral?«

»Ja, der Chef des britischen Geschwaders in Westindien«, sagte Hornblower.

»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir. William Jones ist mein Name, früher Hauptmann im Zweiunddreißigsten Infanterieregiment, jetzt Major und Bataillonskommandeur in der Armee von Groß-Columbien.«

»Es war mir ein besonderes Vergnügen, Sie kennen zulernen, Herr Major.«

»Leider muß ich um Entschuldigung bitten, aber die Pflicht ruft«, sagte Jones, legte die Schenkel an und trabte davon.

»Hurra für England!« rief einer der Männer aus der marschierenden Kolonne, und sein Ruf wurde sofort in einem dünn klingenden Chor wiederholt. Diese zerlumpten Vogelscheuchen waren wohl gut zur Hälfte britischer Herkunft und bildeten jetzt im Verein mit Negern und Südamerikanern eine Gemeinschaft, in der es keine Stammesunterschiede gab.

Der Infanterie folgte Kavallerie, Regiment um Regiment, eine wahre Flut von Menschen und Pferden, die die Straße füllte, als wäre sie ein Flußbett bei Hochwasser. Da gab es Lanzenreiter und leichte Reiterei, wund gerittene Pferde und lahmende Pferde, die meisten Männer hatten eine aufgeschossene Leine am Sattelknopf hängen, alle waren sie zerlumpt, alle hingen sie todmüde auf ihren Gäulen, man merkte es Menschen und Tieren an, daß sie weite Märsche und harte Kämpfe hinter sich hatten und jetzt noch ihre letzten Kräfte zusammenrissen, um dem geschlagenen Feind auf den Fersen zu bleiben. Gut tausend Mann waren nach Hornblowers Schätzung bis jetzt vorübergekommen, und er war noch immer eifrig dabei, sich ein ungefähres Bild von der Stärke der anrückenden Kolonnen zu machen, als sich neue Laute in das eintönige Hufgeklapper der Pferde mischten. Man hörte ein unregelmäßiges Rumpeln und Klirren, das allmählich näher kam. Da rollten sie an, die Geschütze. Sie wurden von müden Gäulen gezogen, und neben den Köpfen der Gäule marschierten zerlumpte, bärtige Männer - was sie am Leibe hatten, waren einmal blaue Jumper und weiße Hosen gewesen. Es war die Besatzung der Bride of Abydos.

Einer von ihnen hob den müden Kopf und erkannte die Gruppe am Straßenrand.

»Hallo Horny, alter Junge!« rief er. Er hatte vor Erschöpfung eine ganz dünne Stimme, die einem alten Mann zu gehören schien.

In dem Offizier, der neben der Kolonne herritt, erkannte Hornblower einen von Ramsbottoms Leutnants. Er saß nach Seemannsart auf seinem abgerackerten Gaul und hob den Arm zu einem müden Gruß. Das erste Geschütz ratterte vorüber, ein zweites folgte ihm. Das waren also die Geschütze von Carabobo, die einem Erdteil die Freiheit errungen hatten.

Es fiel Hornblower auf, daß er Ramsbottom selbst noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, obwohl man doch annehmen durfte, daß er an der Spitze der Artillerieabteilung reiten würde.

Eben als er sich darüber Gedanken machte, entdeckte er neben dem zweiten Geschütz einen seltsamen Aufzug. Es handelte sich um eine aus zwei Stangen und Segeltuch zurechtgemachte Tragbahre, die so zwischen zwei Pferden aufgehängt war, daß das erste das vordere, das zweite das hintere Ende trug. Die Segeltuchmulde zwischen den beiden Stangen war von einem Sonnendach überschattet, darinnen aber lag ein Mensch, ein kleiner, schwarzbärtiger Mann, dessen Kopf kraftlos auf den stützenden Kissen ruhte. Die beiden Pferde wurden von je einem Matrosen geführt, bei jedem ihrer schweren Schritte schlingerte die Bahre kräftig hin und her, und der Bärtige ließ dieses ständige Wiegen und Schwanken offenbar geduldig über sich ergehen. Jetzt wurde er auf die am Wegrand stehende Gruppe aufmerksam, er versuchte, sich aufzurichten und gab den Pferdeführern eine kurze Weisung, worauf diese ihre Tiere zur Seite führten und neben Hornblower halt machten.

»Guten Tag, Mylord«, sagte er. Seine Stimme hatte jenen schrillen Klang, den man oft bei Hysterikern beobachten konnte.

Hornblower mußte den Mann genau und immer wieder ins Auge fassen, ehe er wußte, wen er vor sich hatte. Der schwarze Backenbart, die fiebrig glänzenden Augen, die erschreckende Blässe, die seine natürliche Bräune wie aufgeschminkt wirken ließ, das alles machte ihm das Erkennen unendlich schwer.

»Ramsbottom!« rief er endlich.

»Derselbe, nur ein wenig verändert«, sagte Ramsbottom und brach in ein seltsam schepperndes Gelächter aus. »Sind Sie verwundet?« fragte Hornblower. Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er sah, daß Ramsbottoms linker Arm dick mit Leinenfetzen umwickelt war - er hatte sich so in das Studium seiner Gesichtszüge vertieft, daß ihm dies bis jetzt ganz entgangen war. »Ja, mein persönliches Opfer für die große Sache der Freiheit«, sagte Ramsbottom und stieß wieder das gleiche Gelächter aus - fast klang es wie Hohn, oder war es doch nur Hysterie?

»Was ist Ihnen denn zugestoßen?«

»Meine linke Hand liegt auf dem Schlachtfeld von Carabobo«, kicherte Ramsbottom, »ich fürchte, sie bekam nicht einmal ein christliches Begräbnis.«

»Großer Gott!«

»Sehen Sie dort meine Geschütze? Meine wunderbaren Geschütze! Bei Carabobo rissen sie die Dons in Stücke!«

»Aber Sie selbst - Ihre Verletzung - wer hat Sie denn behandelt?«

»Der Feldscher, wer sonst? Siedendes Pech für den Stumpf.

Wissen Sie, wie das tut, Mylord?«

»Meine Fregatte liegt auf der Reede vor Anker, der Schiffs-Arzt ist an Bord...«

»Nein, das ist ausgeschlossen. Ich muß mit meinen Geschützen weiter, um El Liberador den Weg nach Caracas zu bahnen.«

Wieder dieses Gelächter. Nein, das war kein Hohn - viel eher das Gegenteil. Der Mann war am Rande des Deliriums und rang verzweifelt darum, seinen klaren Kopf zu behalten, damit er auf keinen Fall sein Ziel aus den Augen verlor. Man konnte auch nicht sagen, er hätte gelacht, um nicht weinen zu müssen. Auch das traf nicht zu. Er lachte, weil er nicht den Helden spielen wollte. »Aber das geht doch nicht...«

»Sir, Sir, Mylord!«

Hornblower wandte sich um. Da stand, die Hand grüßend am Hut, ein Fähnrich von der Fregatte, den die Dringlichkeit seiner Meldung sichtlich aufregte. »Was ist denn los?«

»Meldung vom Kommandanten, Mylord: Zwei Kriegsschiffe an der Kimm in Sicht. Eine spanische und wahrscheinlich eine holländische Fregatte, Mylord. Beide halten auf uns zu.«

Weiß Gott eine böse Kunde. Auf der Clorinda mußte umgehend wieder seine Flagge wehen, damit er die fremden Schiffe in Empfang nehmen konnte. Das Ärgste an der ganzen Sache war für ihn, daß er ausgerechnet in diesem Augenblick davon erfuhr. Sein Blick wanderte zwischen Ramsbottom und dem Fähnrich hin und her, die blitzschnelle Art zu überlegen, die man bei ihm gewohnt war, schien ihn diesmal im Stich zu lassen. »Gut«, stieß er mit rauher Stimme hervor, »melden Sie dem Kommandanten, ich käme sofort.«

»Aye, aye, Mylord.«

Nun wandte er sich wieder an Ramsbottom: »Ich muß gehen, ich muß - leider.«

»Mylord«, sagte Ramsbottom. Die fiebernde Lebhaftigkeit von vorhin war von ihm gewichen. Er sank müde in seine Kissen zurück und mußte ein paar Sekunden Kraft schöpfen, ehe er wieder sprechen konnte. Und selbst dann kamen ihm die Worte nur schleppend und zögernd über die Lippen. »Haben Sie die Bride gekapert, Mylord?«

»Ja«, sagte er. Aber nun Schluß, endlich Schluß. Er mußte sofort auf sein Schiff zurück.

»Meine schöne, meine liebe Bride. Hören Sie, Mylord, im achten Stauraum liegt noch ein Fäßchen Kaviar. Lassen Sie sich den gut schmecken, Mylord.«

Wieder dieses scheppernde Gelächter. Ramsbottom lachte immer noch, als er wieder mit geschlossenen Augen auf seiner Bahre lag. Die flüchtigen Abschiedsworte Hornblowers schien er gar nicht zu hören, und diesem war, als ob ihn jenes unheimliche Lachen immer noch verfolgte, als er längst der Pier zueilte, wo sein Boot schon auf ihn wartete.

»Absetzen! So, und nun legt euch einmal ordentlich ins Kreuz!«

Dort lag die Clorinda und ganz in ihrer Nähe die kleine Bride of Abydos. Und was man draußen an der Kimm sah, waren ohne Zweifel die Marssegel zweier Fregatten, die auf seine beiden Schiffe zuhielten. Er kletterte in höchster Eile das Fallreep hoch und hatte kaum einen Blick für die Ehrenbezeigungen, mit denen er empfangen wurde, weil die taktische Lage, der Verlauf der Küste, die augenblickliche Position der Bride of Abydos und die Annäherung der beiden fremden Schiffe seine Aufmerksamkeit voll in Anspruch nahmen.

»Setzen Sie meine Flagge«, befahl er barsch, dann bekam er sich sofort wieder in die Gewalt und fuhr mit der üblichen ausgesuchten Höflichkeit fort: »Sir Thomas, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie von den Achterpforten aus Springs nach der Ankertroß ausbringen wollten.«

»Springs, Mylord? Aye, aye, Mylord.« Diese Springs waren Trossen, die man durch die Achterpforten am Schiff entlang nach vorn nahm und dort auf die Ankertroß steckte. Wenn man die eine oder die andere mit dem Spill einholte, konnte man das Schiff vor Anker drehen und seine Geschütze in jeder beliebigen Richtung zum Tragen bringen. Es war dies nur eins jener vielen Manöver, die Hornblower bei seiner letzten Übungsfahrt mit den Besatzungen durchexerziert hatte. Es verlangte von der ganzen Mannschaft kräftiges Zupacken und beste Zusammenarbeit.

Alsbald hallte das Schiff von lauten Befehlen wider, die Maate und Deckoffiziere eilten zu ihren Arbeitsgruppen, um die Trossen aus dem Raum und achteraus zu holen.

»Sir Thomas, bitte befehlen Sie der Brigg, sie solle weiter herein warpen. Ich möchte sie zwischen uns und dem Land liegen haben.«

»Aye, aye, Mylord.«

Jetzt stellte sich heraus, daß sie doch noch mehr Zeit hatten, als Hornblower zunächst einmal annahm. Die aufkommenden Fregatten, deren Rümpfe vom Achterdeck aus durch das Glas gesehen schon über die Kimm ragten, nahmen nämlich überraschend Segel weg. Während sie Hornblower weiter im Gesichtsfeld seines Kiekers hielt, konnte er erkennen, wie sich ihre Großmarssegel für den Blick des Beobachters plötzlich verbreiterten. Das bedeutete, daß die Großmarssegel soeben rund gebraßt wurden. Die Fregatten drehten also zunächst einmal bei, und einen Augenblick später konnte man sehen, wie das holländische Schiff ein Boot aussetzte, das zu dem Spanier hinüberpullte. Das bedeutete höchst wahrscheinlich, daß sich die beiden miteinander berieten. Wegen ihrer verschiedenen Sprachen konnten sie ja auch kaum darauf hoffen, ihre Maßnahmen durch Signale oder auch nur durch den Gebrauch von Megaphonen aufeinander abzustimmen. »Der Spanier führt den Breitwimpel eines Kommodore, Sir Thomas. Halten Sie sich bitte klar zum Salutieren, sobald er meine Flagge salutiert.«

»Aye, aye, Mylord.«

Die Beratung dauerte einige Zeit, sie nahm die zweite Hälfte eines Stundenglases und den Beginn des nächsten in Anspruch.

Ein gewaltiges Knarren und Knirschen unter Deck und das Klappern des Spills gaben Kunde, daß die Springs eben erprobt wurden. Die Clorinda schor zuerst ein wenig nach Steuerbord und dann ein wenig nach Backbord aus dem Wind. »Die Springs sind geprüft und klar, Mylord.«

»Danke, Sir Thomas. Möchten Sie jetzt die Güte haben, die Leute auf Gefechtsstationen zu schicken und Klarschiff anzuschlagen.«

»Klarschiff zum Gefecht? Aye, aye, Mylord.« Daß man um diese Vorsichtsmaßregel nicht herumkam, war schlimm genug.

Es bedeutete für Hornblower, daß sein Kojenzeug, seine Bücher und seine ganze persönliche Ausrüstung in einem heillosen Durcheinander untertauchten und daß es hinterher womöglich Tage dauerte, bis wieder einige Ordnung in den entstandenen Wirrwarr kam. Gesetzt jedoch den Fall, jene Fregatten waren entschlossen, den Kampf mit ihm aufzunehmen, so war es ein für alle Male um seinen Ruf geschehen, wenn er nicht darauf vorbereitet war, sie gebührend zu empfangen. Jeder Versuch, erst im feindlichen Feuer die Geschütze klarzumachen und die Munition an Deck zu mannen, hätte unweigerlich ein Chaos zur Folge gehabt, und das Gefecht - wenn es schon dazu kam - wäre verloren gewesen, ehe es noch begonnen hatte. Jetzt bewirkten diese ganzen Vorbereitungen um ihn her, das Trillern der Pfeifen, die heiseren Stimmen der Unteroffiziere, das sinnvolle Durcheinander der an die Geschütze eilenden Männer, der stampfende Gleichschritt der Seesoldaten auf dem Achterdeck und die scharfen Kommandos ihres Offiziers, daß ihn sogar wieder etwas von dem alten, halb vergessenen Kampffieber packte. »Schiff ist klar zum Gefecht, Mylord.«

»Danke, Sir Thomas. Wollen Sie bitte veranlassen, daß sich die Leute auf ihren Stationen klarhalten.« Auch wenn die fremden Schiffe unverzüglich herangekommen und ohne langes Palaver ins Gefecht gegangen wären, hätte die Zeit eben ausgereicht, einen heißen Empfang für sie vorzubereiten. Durch raschen Gebrauch der Springs war er imstande, gleich den ersten, der herankam, von vorn nach achtern zu bestreichen und derart zuzurichten, daß seinem Kommandanten sicherlich Hören und Sehen verging. Aber noch war es nicht so weit, noch galt es zu warten, und die Besatzung an ihren Geschützen wartete mit ihm. Die Lunten schwelten in ihren Baijen, die Löschmannschaften standen mit ihren Eimern klar, die Pulverjungen hatten bereits die Kartuschtragen in der Hand und warteten darauf, daß das Rennen vom Pulvermagazin zu den Geschützen und wieder zurück seinen Anfang nahm.

»Sie kommen, Mylord.«

Die Marssegel wurden wieder schmäler, die Masten kamen in Linie. Jetzt hielten die beiden Fregatten wieder recht auf die Clorinda zu. Hornblower hielt sie ununterbrochen im Sehfeld seines Kiekers. Wohl erkannte er, daß sie keine Geschütze ausgerannt hatten, aber wer hätte daraus mit Sicherheit folgern können, daß sie nicht doch klar zum Gefecht waren? Näher und näher kamen sie heran, nun waren sie schon fast in Reichweite eines mit großer Erhöhung auf gut Glück abgegebenen Schusses. In diesem Augenblick löste sich vom Steuerbordbug des Spaniers eine Wolke Mündungsqualm, und Hornblower konnte ums Sterben nicht vermeiden, daß ihm bei ihrem Anblick die Kehle plötzlich wie zugeschnürt war. Die Brise verwehte den Qualm, aber gleich darauf löste sich schon der nächste Puff, und zugleich drang die dumpfe Detonation des ersten Schusses an Hornblowers Ohr. Der hätte nicht übel Lust gehabt, gleich im Kopf aus der Schallgeschwindigkeit und dem Fünfsekundentakt der Salutschüsse den Abstand der beiden Schiffe zu errechnen, aber für solche Spielereien war jetzt wirklich keine Zeit. Es galt, ganz bei der Sache zu sein.

»Sie können den Breitwimpel salutieren, Sir Thomas.«

»Aye, aye, Mylord.«

Dreizehn Schuß für die Flagge eines Konteradmirals, elf für den Breitwimpel eines Kommodore, das machte zusammen vierundzwanzig Schuß, die in hundertzwanzig Sekunden oder zwei Minuten gefeuert waren. Da sich die Schiffe mit vier Meilen Fahrt näherten, hatte sich ihr Abstand bis zum Ende des Saluts um eine Kabellänge verringert, das hieß, daß sie sich dann bereits in Reichweite einer auf größere Entfernung feuernden Batterie befanden. »Sir Thomas, ich wäre Ihnen besonders verbunden, wenn Sie die Steuerbord - Spring ein paar Törns einhieven wollten.«

»Aye, aye, Mylord.«

Man hörte wieder das gleiche Knarren und Knirschen wie vorhin, langsam drehte sich die Clorinda zur Seite und zeigte den Ankömmlingen ihre drohende Breitseite. Es konnte auf keinen Fall schaden, wenn sie von vornherein wußten, was ihnen blühte, falls sie unfreundliche Absichten hegen sollten.

Diese brutale Offenheit mochte ihm später allerlei Schwierigkeiten ersparen. »Sie nehmen Segel weg, Mylord.«

Das hatte Hornblower auch schon gesehen, aber es war wirklich nichts gewonnen, wenn man sich darüber ausließ.

Beide Schiffe hatten augenscheinlich sehr starke Besatzungen an Bord, das konnte man schon aus dem Tempo schließen, in dem die Segel von den Rahen verschwanden. Jetzt drehten sie gleichzeitig in den Wind. Hornblower glaubte den donnernden Lärm ihrer Ankertrossen zu hören, als sie ihre Anker fallen ließen. Für sein Empfinden war dieser Augenblick irgendwie entscheidend, und er wollte das gerade noch unterstreichen, indem er seinen Kieker mit dem üblichen ›Klick‹ zusammenschob, als er sah, daß der Spanier ein Boot zu Wasser brachte. »Ich wette, wir bekommen bald Besuch«, sagte er. Das Boot schien über das flimmernde Wasser nur so hinzufliegen, die Bootsgasten rissen offenbar wie die Wilden an ihren Riemen - wahrscheinlich herrschte bei ihnen der gleiche Ehrgeiz wie in allen Marinen der Welt, der fremden Marine zu zeigen, was man konnte. »Boot ahoi!« rief der Wachhabende Offizier. Der spanische Offizier in der Achterplicht, erkennbar an seinen Epauletten, rief irgend etwas zurück. Hornblower hatte nicht genau gehört, was es war, aber der Brief, den er zugleich in der Luft schwenkte, sagte schon alles. »Wollen Sie ihn bitte empfangen, Sir Thomas.« Der spanische Leutnant sah sich gleich mit forschenden Blicken um, als er das Deck betrat. Es schadete nichts, wenn er gewahr wurde, daß sich die Männer auf ihren Gefechtsstationen befanden und daß das Schiff gefechtsbereit war. Er hatte auch Hornblower auf den ersten Blick entdeckt und reichte ihm den Brief mit einem militärischen Gruß und einer höflichen Verbeugung.

Su Excelencia el Almirante Sir Hornblower, lautete die Adresse. Hornblower erbrach das Siegel; es fiel ihm nicht schwer, die spanischen Sätze zu verstehen.

Der Brigadier Don Luiz Argote würde sich hochgeehrt fühlen, wenn ihm Seine Exzellenz, Sir Hornblower, Gelegenheit zu einer Rücksprache bieten würde. Der Brigadier würde sich ein besonderes Vergnügen daraus machen, Seine Exzellenz auf Dero Schiff zu besuchen, er wäre aber nicht minder erfreut, wenn Seine Exzellenz es vorzögen, das Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät mit seinem Besuch zu beehren.

Hornblower wußte, daß ein ›Brigadier‹ in der spanischen Marine nichts anderes war als ein Kommodore. »Ich werde gleich schriftlich darauf antworten«, sagte er. »Sir Thomas, bitte übernehmen Sie einstweilen die Pflichten des Gastgebers.

Kommen Sie, Gerard.«

Unter Deck hatten sie auf dem gefechtsklaren Schiff zunächst alle Mühe, Schreibpapier und Tinte aufzutreiben, noch lästiger aber war es, diesen Brief in spanischer Sprache abfassen zu müssen. Man mußte sich dabei mächtig in acht nehmen, weil falsche Orthographie und grammatikalische Schnitzer in einem Schriftstück viel mehr auffielen als beim mündlichen Verkehr.

Glücklicherweise gab der Brief des Brigadiers selbst die beste orthographische Stütze und half ihm sogar bei der richtigen Verwendung der kniffligen Konditionalform.

Konteradmiral Sir Horatio Hornblower würde sich besonders freuen, den Brigadier Don Luiz Argote auf seinem Flaggschiff zu empfangen, wann immer es ihm angenehm ist.

Jetzt galt es, Siegellack, Siegel und Kerze aufzustöbern. Es war gerade in diesem Augenblick völlig unmöglich, daß man sich in solchen Äußerlichkeiten eine Blöße gab. Der erste Versuch ging daneben. Erst der zweite Abdruck bewog Hornblower zu einem zögernden: »Hm, das mag angehn.« Dann fiel ihm plötzlich etwas ein. »Lassen Sie sich ein Boot geben und sausen Sie wie der Blitz auf die Bride of Abydos hinüber.

Dort schauen Sie nach, ob noch etwas von dem Sherry vorhanden ist, den uns Ramsbottom bei seinem Dinner anbot.«

Der Brigadier kam das Fallreep der Clorinda herauf und wurde mit dem ihm zustehenden Zeremoniell empfangen. Mit ihm erschien noch eine zweite Gestalt in Schiffhut und Epauletten. Hornblower verbeugte sich und stellte sich vor. »Ich nahm mir die Freiheit, Kapitän van der Maesen von der Königlich Niederländischen Marine um seine Begleitung zu bitten«, sagte der Brigadier.

»Ich heiße auch Kapitän van der Maesen mit größtem Vergnügen willkommen«, sagte Hornblower. »Vielleicht kommen die Herren mit mir unter Deck. Ich bedaure aufrichtig, daß die Bequemlichkeit in meiner Kajüte etwas zu wünschen übrig läßt, aber wie Sie sehen, war ich eben im Begriff, meine Besatzung in ihren Dienstpflichten zu üben.« Im ausgeräumten Achterschiff war in aller Eile eine Trennwand gezogen worden, dahinter hatte man den Kajütentisch und die Stühle wieder an ihren Platz gebracht. Der Brigadier nippte angenehm überrascht und mit sichtlichem Behagen an dem Glas, das ihm gereicht worden war. Wie immer in solchen Fällen, verstrichen die ersten Minuten in unverbindlicher Unterhaltung - sie wurde auf spanisch geführt, da dies die einzige Sprache war, in der sich alle miteinander verständigen konnten. Dann kam der Brigadier endlich auf das zu sprechen, was ihn hergeführt hatte. »Sie haben ein wunderbares Schiff, Mylord«, sagte er. »Um so aufrichtiger ist mein Bedauern, Sie in Gesellschaft eines Piraten zu finden.«

»Sie meinen die Bride of Abydos, Senior?«

»Gewiß, Mylord.«

Hornblower sah sofort die Falle, die sich da vor ihm auftat.

»Sie nennen die Brigg ein Piratenschiff, Senior?«

»Was ist sie denn in Ihren Augen, Mylord?«

»Ich bin gespannt zu hören, was Sie selbst davon halten, Señor.«

Ihm kam es jetzt vor allem darauf an, daß er sich in keiner Weise festlegte.

»Das Vorgehen der Bride of Abydos bedarf dringend der Aufklärung. Sie hat ein holländisches Schiff aufgebracht und geplündert. Das wäre nach den geltenden Gesetzen ohne Zweifel als Seeräuberei zu betrachten. Man mag vielleicht dagegen einwenden, daß ihr Kapitän eine sogenannte Bestallung in Händen hatte, die von den Aufständischen ausgestellt war. Aber das fällt hier nicht ins Gewicht, denn im ersten Fall wird sie von Kapitän van der Maesen als Seeräuber beschlagnahmt, im zweiten Fall von mir selbst, weil sie sich feindseligen Verhaltens gegen mein Land schuldig machte.«

»Bis zur Stunde, Señor, hat noch kein Prisengericht im einen oder anderen Sinne ein Urteil gesprochen. Im übrigen möchte ich die Herren daran erinnern, daß sich das Schiff in meiner Gewalt befindet.«

Jetzt war es soweit, die Fehde war angesagt. Hornblower gab sich alle Mühe, den Blicken der beiden anderen mit möglichst undurchdringlicher Miene zu begegnen. Wie immer die Entscheidung über die Bride of Abydos ausfallen mochte, eins wußte er gewiß: Weder die britische Regierung noch die öffentliche Meinung Englands würden es ihm jemals verzeihen, wenn er sich dieses Schiff kleinmütig entwinden ließ.

»Mylord, ich habe Kapitän van der Maesen meine Unterstützung bei allen Maßnahmen zugesagt, die er in der Folge für geboten hält, und von ihm die gleiche Zusicherung erhalten.«

Der holländische Kapitän bestätigte dies mit einem Nicken und ein paar halb verständlichen Worten. Damit standen zwei gegen einen, ein Kräfteverhältnis, bei dem die Clorinda alle Hoffnung begraben konnte.

»Dann, meine Herren, möchte ich in aller Aufrichtigkeit der Hoffnung Ausdruck geben, daß mein Verhalten Ihre Billigung findet.«

Damit brachte er auf die denkbar höflichste Art zum Ausdruck, daß er ihrer Drohung Trotz bot. »Ich kann mich nur schwer damit abfinden, Mylord, daß Sie den Schutz der Marine Seiner Britischen Majestät Piraten- und Kaperschiffen angedeihen lassen, die an einem Kriege teilnehmen, in dem sich seine Majestät, Ihr Herrscher, selbst neutral verhält.«

»Es wird Ihnen nicht entgangen sein, Señor, daß die Bride of Abydos die Flagge Seiner Britischen Majestät führt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich als Seeoffizier niemals zugeben kann, daß diese Flagge niedergeholt wird.«

Jetzt war es heraus. Der Gegner war in die Schranken gefordert. Noch zehn Minuten, dann sprachen vielleicht schon die Geschütze, dann lagen auf diesem Deck vielleicht schon überall Tote und Verwundete umher. Und einer der Toten war womöglich er selbst.

Der Spanier tauschte einen Blick mit dem Holländer und wandte sich dann wieder an Hornblower. »Wir würden es wirklich zutiefst bedauern Mylord, wenn wir unsere Zuflucht zur Gewalt nehmen müßten.«

»Es freut mich ungemein, das zu hören, Señor. Ich fühle mich dadurch in meiner Auffassung bestärkt. Wir können also in bestem Einvernehmen auseinandergehen.«

»Aber…«

Der Brigadier hatte nicht im entferntesten daran gedacht, daß man seine Worte als Nachgiebigkeit auslegen könnte. Er meinte ganz im Gegenteil seine Drohung damit unterstrichen zu haben.

Jetzt raubte ihm Hornblowers Deutung sekundenlang die Sprache.

»Ich bin hocherfreut, meine Herren«, fuhr Hornblower fort, »daß damit das Einvernehmen zwischen uns wiederhergestellt ist. Nutzen wir den glücklichen Augenblick, Señor, um noch ein Glas dieses Weines auf das Wohl unserer Landesherren zu trinken, wobei ich nicht verhehlen möchte, zu betonen, daß Ihrem Land für dieses ausgezeichnete Gewächs der Dank der ganzen Welt gebührt.« Er nahm ihre Kapitulation vorweg und versetzte sie dadurch in die Lage, sich elegant aus der Affäre zu ziehen. Ehe sie es noch recht gewahr wurden, war der bittere Augenblick gekommen und gegangen, da sie sich eingestehen mußten, daß sie überspielt worden waren. Vergebens tauschten der Spanier und der Holländer wieder lange Blicke aus, während Hornblower schon eifrig dabei war, neuen Wein einzuschenken.

»Auf Seine Allerkatholischste Majestät, Señor. Auf Seine Majestät, den König der Niederlande.« Er hob dazu sein Glas mit einladender Geste. Die beiden anderen mußten ihm wohl oder übel Bescheid tun, obgleich der Mund des Brigadiers immer noch auf- und zuklappte, weil er seine Empörung vergeblich in Worte zu fassen suchte. Jetzt forderte obendrein der internationale Brauch, daß er den Toast zu Ende sprach, worauf Hornblower bereits mit erhobenem Glas wartete. »Auf Seine Britannische Majestät.« Sie tranken zum zweitenmal miteinander. »Ich danke Ihnen für Ihren anregenden Besuch, meine Herren«, sagte Hornblower. »Noch ein Glas? Nein? Sie wollen doch nicht schon gehen? Aber ich vergaß wohl, daß noch eine Fülle dienstlicher Verpflichtungen auf Sie wartet.«

Während die Fallreepsgasten weiß behandschuht zu beiden Seiten der Relingspforte aufzogen, während die Bootsmannsmaate mit ihren Pfeifen trillerten und die immer noch an den Geschützen angetretene Mannschaft stillstand, um den scheidenden Gästen ihre Ehrenbezeigung zu erweisen, fand Hornblower einen Augenblick Zeit, einen Blick in die Runde zu werfen. Diese Fallreepsgasten und Bootsmannsmaate, alle diese Geschützbedienungen hätten schon in dieser Sekunde den drohenden Tod vor Augen gehabt, wenn die soeben beendete Unterredung stürmischer verlaufen wäre. Er verdiente wohl ihre Dankbarkeit, aber dieser Dank wurde ihm natürlich niemals wirklich zuteil. Während er dem Brigadier zum Abschied die Hand schüttelte, sorgte er noch einmal für eine abschließende Klärung der Lage. »Eine glückliche Reise, Señor. Ich hoffe, ich werde bald das Vergnügen haben, Sie wiederzusehen. Sowie die Landbrise einsetzt, gehe ich nach Kingston in See.« Einer von Barbaras regelmäßigen Briefen, der Monate später eintraf, gab ihm endlich die Gewißheit, daß er den Fall Ramsbottom als erledigt betrachten durfte.

Mein allerliebster Mann, (schrieb Barbara wie immer, und Hornblower mußte wie immer lächeln, als er diese Worte las.

Der Brief füllte mehrere Bogen, auch der erste davon enthielt für Hornblower viel Interessantes, aber Barbara wandte sich erst auf dem zweiten den üblichen Klatschgeschichten zu, die in der Gesellschaft und in Kreisen der Marine kursierten.)

Beim Dinner gestern Abend war der Lordkanzler mein linker Tischnachbar. Er wußte mir viel über die Bride of Abydos zu erzählen und zu meiner größten Freude mindestens ebensoviel über meinen lieben Mann. Die spanische und die holländische Regierung haben natürlich durch ihre diplomatischen Vertreter beim Staatssekretär des Äußeren Proteste eingelegt. Der mußte sich darauf beschränken, den Empfang zu bestätigen und den Herren zu versprechen, daß ihnen nach Klärung der Rechtslage eine weitere Stellungnahme zugehen werde. Dabei, meinte der Lordkanzler, sei in der ganzen Geschichte des Seerechts noch kein so verwickelter Fall vorgekommen wie dieser. Die Versicherer machen Fahrlässigkeit von seiten des Versicherten gehend (ich hoffe nur, Liebster, daß mir bei diesen Fachausdrücken kein Fehler unterläuft), weil der Kapitän der Helmond nichts unternahm, um sich von der bona fides der Bride of Abydos zu überzeugen. Außerdem bezichtigen sie auch die holländische Regierung der Fahrlässigkeit, weil die Wegnahme des Schiffes vor Bonaire innerhalb der niederländischen Hoheitsgewässer erfolgt sei. Die Holländer weisen den Vorwurf der Fahrlässigkeit mit größtem Nachdruck zurück und machen dagegen geltend, daß die Helmond in Wirklichkeit außerhalb ihres Hoheitsgebietes gekapert worden sei. Dazu kommt, daß das Schiff erst in spanischen Hoheitsgewässern ausgeplündert und festgehalten wurde.

Unvorstellbare weitere Verwicklungen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Bride of Abydos von ihrer Mannschaft verlassen war, als Du sie fandest. Hast Du gewußt, Liebster, daß es für die Rechtslage von größter Bedeutung ist, ob ihr Anker in diesem Augenblick den Grund berührte oder nicht!

Jedenfalls hat bis jetzt noch kein Gericht ein Verfahren eingeleitet, weil allem Anschein nach niemand entscheiden kann, welche Gerichtsbarkeit für den Fall zuständig ist. (Ich hoffe, Liebster, Du wirst es Deiner Frau hoch anrechnen, daß sie so gut aufpaßte und sich alle diese gräßlichen Fachausdrücke merkte.) Da jede zur Beweiserhebung angeordnete Reise nach Westindien mit der Rückreise vier Monate in Anspruch nehme, und da man überdies bestimmt mit Einsprüchen, Berufungen und Revisionen rechnen könne, meinte der Lordkanzler, würden siebenunddreißig Jahre ins Land gegangen sein, ehe der Fall im Haus der Lords zur Vorlage käme. Bis dahin, fuhr er zwischen zwei Löffeln Suppe kichernd fort, sei aber wohl unser Interesse an dieser Angelegenheit schon erheblich geschrumpft.

Aber das ist noch längst nicht alles, Liebster, was ich Dir an Neuigkeiten zu berichten habe. Mir kam noch etwas ganz anderes zu Ohren, eine Nachricht, die mir größten Kummer bereiten würde, wenn ich nicht wüßte, daß sich mein Mann, der Admiral, bestimmt darüber freuen wird. Als ich heute bei Lady Exmouth zum Tee war (ich sehe schon, wie sich Deine geliebten Augen vor Entsetzen darüber weiten, daß solche Geheimnisse vor Frauenohren nicht sicher sind), hörte ich, daß Dein Verhalten gegenüber den spanischen und holländischen Seeoffizieren bei ihren Lordschaften der Admiralität den denkbar besten Eindruck hinterließ. - O Liebster, ich bin ja so stolz und froh darüber, obwohl ich nie im geringsten daran zweifeln konnte. Es wurde daraufhin bereits beschlossen, Dein Kommando um ein weiteres Jahr zu verlängern. Mein Glück über die große Freude, die Dir diese Anerkennung bereiten wird, wiegt fast - nein, voll und ganz - das Leid auf, das mich beschleichen will, wenn ich daran denke, daß unsere Trennung immer noch kein Ende nimmt. Glaub mir, Liebster, es gibt keine Frau auf der ganzen Welt, die Dich - nein, die irgendeinen Mann so lieben könnte, wie ich Dich liebe, Dich, den treuesten, den tapfersten, den kühnsten, den fähigsten aller Männer. Aber nein, ich darf nicht in diesem Stile fortfahren, weil es ja noch mehr Neues zu erzählen gibt.

Unsere Regierung hat offenbar die Bestrebungen der spanischen Kolonien, ihre Unabhängigkeit zu gewinnen, von jeher mit Wohlwollen verfolgt. Dagegen nahm sie mit entschiedener Mißbilligung von dem Beschluß der spanischen Regierung Kenntnis, Streitkräfte aus Europa in jene Länder zu entsenden, um mit ihrer Hilfe deren Rückeroberung zu versuchen. Man sprach davon, daß die anderen Mächte, denen jene Freiheitsbewegung irgendwie unheimlich ist, mit dem Gedanken umgehen, Spanien in Spanisch-Amerika militärisch zu unterstützen. Der Sieg bei Carabobo, zu dessen Erringung der arme Mr. Ramsbottom und seine Geschütze so entscheidend beitrugen, hat diesen Interventionsplänen allerdings einen Stoß versetzt. Es ist ein großes Staatsgeheimnis - so geheim, daß man über den Teetassen nur im Flüstertöne davon spricht - daß die britische Regierung eine Erklärung vorbereitet, in der sie zum Ausdruck bringen will, daß sie keinerlei militärische Einmischung der Mächte in Spanisch-Amerika dulden werde.

Vieles deutet darauf hin, daß unsere Regierung dabei in voller Übereinstimmung mit den Amerikanern vorgeht, jedenfalls heißt es allgemein, Präsident Monroe plane seinerseits mit einer Doktrin gleichen Inhalts vor die Öffentlichkeit zu treten. Wo man hinkommt, wird von diesen amerikanischen Absichten gesprochen, und die Meinungen platzen oft hart aufeinander.

Wie Du siehst, mein Teuerster, bist Du wieder einmal genau im Zentrum des Weltgeschehens, so wie Du seit je in jenem Zentrum weilst, um das die Gedanken und Gefühle Deiner treuen Gefährtin kreisen.