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Die Adresse, die auf Carleton Allens Visitenkarte vermerkt war, verriet nicht viel. Sie lautete schlicht: »Carleton Allen, Präsident, Allen Enterprises«, dazu seine Büroanschrift.
Was ich in Wirklichkeit vorfand, war viel imposanter und entpuppte sich als die »Getchell & Allen Investment Management Corporation«; die »Allen Enterprises« war nur eine von einem halben Dutzend Tochtergesellschaften, die ebenfalls namentlich aufgeführt waren.
Ich klemmte mir meine Aktenmappe mit den Fingerabdruckutensilien unter den Arm und erzählte der Empfangsdame, daß ich mit Mr. Allens Privatsekretärin über eine äußerst wichtige Angelegenheit sprechen müßte. Sie wäre so wichtig, daß ich nur Mr. Allens Privatsekretärin darüber Aufschluß geben könnte.
Nach einem längeren Telefongespräch schickte sie mich weiter. Ich passierte eine Tür, trabte einen langen Korridor hinunter und landete in einem mit dicken Teppichen ausgelegten Büro, wo eine ungewöhnlich attraktive, Tüchtigkeit ausstrahlende junge Frau hinter einem Schreibtisch thronte. Sie bewachte zwei Türen mit der Aufschrift »Carleton Allen« und »Marvin Getchell«.
In dem Raum befanden sich mehrere umfangreiche Polstersessel, in denen aber glücklicherweise im Moment niemand saß. Ich hatte das Feld für mich.
Ich ging auf den Schreibtisch zu, die Aktenmappe noch immer unter dem Arm. »Sind Sie Mr. Allens Privatsekretärin?« fragte ich.
»Ja, ich bin Miss Beal. Sie wollten in einer vertraulichen Angelegenheit mit mir sprechen, nicht wahr?«
»Ganz recht.« Ich überreichte ihr eine meiner Geschäftskarten. »Ich bin Donald Lam von der Firma Cool & Lam. Sagt Ihnen der Name was?«
Ihre Augen verengten sich. »Sie sind Donald Lam?«
»Ja.«
»Können Sie sich ausweisen, Mr. Lam?«
Ich gab ihr meinen Führerschein.
Sie besah ihn sich genau. »Danke, Mr. Lam. Also, worum handelt es sich? Möchten Sie, daß ich Mr. Allen etwas ausrichte?«
»Ich hätte gern mit ihm gesprochen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, war er gerade bei uns im Büro. Leider wurde ich durch gewisse Vorkommnisse daran gehindert, ihm etwas recht Wichtiges mitzuteilen, und das möchte ich baldmöglichst nachholen. Wann erwarten Sie ihn zurück?«
»Er rief an, daß er binnen einer halben Stunde hier sein würde. Das war vor fünf Minuten.«
Ich runzelte die Stirn. »Verflixt noch mal! Ich muß unbedingt mit ihm sprechen.«
»Wollen Sie nicht auf ihn warten, Mr. Lam?«
»Tja...« Ich warf einen Blick in die Runde und schüttelte den Kopf. »Lieber nicht, wenigstens nicht hier. Ich möchte nicht gesehen werden. Passen Sie auf, ich weiß, was ich tue; ich werde in seinem Privatbüro warten. Sagen Sie ihm Bescheid, sobald er kommt, aber achten Sie drauf, daß sonst niemand meinen Namen hört oder erfährt, daß ich drinnen bin.«
Es bedurfte meiner ganzen Selbstsicherheit, um an ihrem Schreibtisch vorbeizugehen und die Tür von Allens Privatbüro zu öffnen. Ich durfte nicht zu schnell gehen, aber auch nicht zu langsam; es durfte nicht so aussehen, als benötigte ich ihre Erlaubnis. Ich mußte bei ihr den Eindruck erwecken, als wäre ich mit ihrem Boss so intim, daß mein eigenmächtiges Vorgehen sich von selbst verstand.
Für den Bruchteil einer Sekunde schien sie unschlüssig zu sein. Dann schickte sie sich, wenn auch zögernd, in die Lage. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Ich machte die Tür von Allens Privatbüro hinter mir zu.
Der Raum wirkte sachlich. Bei seiner Ausstattung hatte man offenbar vor allem auf Zweckmäßigkeit geachtet. Der Stahlschreibtisch mit großer Platte hatte Karteikästen und unterteilte Fächer für Akten aller Art. Die Stühle waren modern, aber bequem. Ein Bücherregal enthielt ein paar Dutzend Nachschlagewerke.
Die Ohren spitzend, wartete ich ein Weilchen an der Tür. Als ich sicher war, daß die Sekretärin mir nicht folgte, peilte ich den Schreibtisch an. Ich nahm den Zerstäuber aus meiner Aktenmappe und bedeckte den mit Metallornamenten verzierten, polierten Rand des Schreibtischs mit grauem Pulver. Eine ganze Reihe latenter Fingerabdrücke kam zum Vorschein. Sechs oder acht waren verwischt, aber die übrigen waren einwandfrei. Ich nahm sie rasch ab und rieb dann die bestäubten Stellen mit einem Lederläppchen aus meiner Aktenmappe blank.
Ich ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit.
»Miss Beal, würden Sie bitte hereinkommen?«
Sie hopste von ihrem Stuhl hoch, als hätten meine Worte einen elektrischen Schlag ausgelöst.
Als sie die Tür aufstieß, trat ich zurück und ließ sie vorbei.
»Ist jemand im äußeren Büro?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Leider kann ich nicht länger auf Mr. Allen warten, Miss Beal. Deshalb möchte ich Sie bitten, ihm etwas Wichtiges auszurichten.«
»Ja?«
»Sagen Sie ihm, er dürfte sich unter keinen Umständen mit der jungen Frau, die ich gestern nacht gesehen habe, in Verbindung setzen.«
»Mit der jungen Frau, die Sie gestern nacht gesehen haben?«
»Richtig.«
»Könnten Sie mir nicht ihren Namen nennen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Sagen Sie ihm nur, was ich Ihnen aufgetragen habe — die junge Frau, die ich gestern nacht gesehen habe. Aber vergessen Sie's nicht.«
»Weiß er, wen Sie damit meinen?«
»Ja.«
»Gut, ich sag's ihm.«
»Er darf sie um keinen Preis auf suchen, denken Sie dran.«
»Ich verstehe, und ich werde ihm sagen, daß Sie die Nachricht hinterlassen haben.«
»Tun Sie das, bitte. Und jetzt schauen Sie bitte ins äußere Büro, und geben Sie mir ein Zeichen, ob die Luft rein ist. Wenn nicht, versuchen Sie den Betreffenden loszuwerden, und sagen Sie mir Bescheid, wenn er weg ist.«
Sie machte die Tür auf, sah hinaus und wandte sich um. »Okay, Mr. Lam.«
Ich marschierte an ihr vorbei. Bevor ich das äußere Büro verließ, blickte ich mich um und bedachte sie mit einem beruhigenden Lächeln.
Sie lächelte nicht zurück. Zweifel umwölkten ihre Stirn, und ihre Augen waren starr auf die Aktenmappe unter meinem Arm geheftet.