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Der Mann, der in Bertha Cools Büro auf und ab marschierte, tat sich selbst so schrecklich leid, daß er für alles andere blind und taub war. Als ich hereinkam, nahm er keine Notiz von mir.

»Mein Gott, was war ich bloß für ein Idiot! Wenn meine Frau dahinterkommt, bin ich geliefert. Dann ist mein Job zum Teufel und meine gesellschaftliche Position und — oh, es ist einfach entsetzlich! Nicht auszudenken! Mir wird ganz...«

Bertha unterbrach ihn. »Das ist Donald Lam, Mr. Allen.«

Er sah mich an, nickte und jammerte weiter. Sein Wehgeheul richtete sich an niemand im besonderen. Er schwelgte förmlich in Selbstmitleid.

»Wie konnte ich mich bloß so weit vergessen! Es ist nicht zu fassen — eine solche Dummheit. Und dabei bin ich sonst ein so solider Mensch. Es gibt nur eine einzige Erklärung dafür: Ich muß vorübergehend den Verstand verloren haben, Mrs. Cool.«

Bertha verlagerte ihre 165 Pfund Lebendgewicht. Die Diamanten an ihren dicken Fingern funkelten, als sie ungeduldig auf einen Stuhl zeigte. »Setzen Sie sich, Mr. Allen. Das ist Donald Lam, mein Partner, von dem ich Ihnen erzählt habe. Er kann Ihnen helfen.«

»Mir kann niemand helfen, fürchte ich«, sagte Allen niedergeschlagen. »Mit mir ist es aus. Ich sitze bis zum Hals in.. .«

»Worum geht es eigentlich?« fragte ich rasch, bevor er eine neue Klagehymne anstimmen konnte.

»Um eine kleine Unbesonnenheit, die wahrhaft katastrophale

Ausmaße angenommen hat und mich ruinieren wird, falls nicht ein Wunder geschieht. Das ist das einzige, was Dawn sich nicht bieten läßt.«

»Wer ist Dawn?« fragte ich.

»Meine Frau.«

»Setzen Sie sich doch endlich, zum Kuckuck noch mal«, sagte Bertha erbost. »Hören Sie auf, den Teppich zu malträtieren, und erzählen Sie Donald, worum es sich handelt. Er kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie ihn nicht informieren.«

Allen setzte sich, konnte aber anscheinend an nichts anderes denken als an das Verhängnis, das so plötzlich über ihn hereingebrochen war. »Ich verstehe einfach nicht, wie ich so etwas tun konnte. Es ist sonst nicht meine Art...«

Bertha wandte sich mir zu und beantwortete meine Frage. »Er hat eine Prostituierte in ein Motel mitgenommen.«

»Nein, nein, nein!« Allen verzog das Gesicht, als hätte er Zahnweh. »Sie war keine Prostituierte. Ersparen Sie mir wenigstens das, Mrs. Cool.«

»Na schön, was war sie dann?«

»Eine sehr nette junge Dame. Schön, tolerant, großzügig; modern im weitesten Sinne des Wortes, aber absolut nicht vulgär; und finanzielle Erwägungen spielen bei ihren... ihren kleinen Indiskretionen nicht die mindeste Rolle.«

»Welches Motel?« erkundigte ich mich.

»Das Bide-a-wee-bit«, sagte Bertha.

»Eine von diesen Absteigen, wo Zimmer stundenweise vermietet werden?«

»Himmel, nein!« sagte Allen. »Das ist ein hochanständiges Motel. Absolute Klasse. Swimming-pool, sehr hübsche Bungalows, Telefon in jedem Zimmer. Einwandfreier Service, Fernsehen, Klimaanlage. Das Beste vom Besten.«

»Wie kam es, daß Sie ausgerechnet dort hingingen?«

»Sie schlug es vor. Sie war schon mal bei einem Kongreß dort.«

»Und so ließen Sie sich von dem Mädchen dahin lotsen.«

»Nun, es war nicht... Sie sehen das Ganze falsch, Mr. Lam. Ich wollte, Sie würden versuchen, es zu verstehen.«

»Gerechter Strohsack!« rief Bertha ungeduldig. »Er versucht's ja in einem fort. Wie soll er Sie denn verstehen, wenn Sie egalweg um den Brei herumreden?«

»Erzählen Sie mir etwas über das Mädchen«, sagte ich. »Wo sind Sie ihm begegnet? Wie lange kennen Sie es schon?«

»Ich kenne es seit Monaten.«

»Intim?«

»Nein, nein, nein! Ich wünschte, Sie würden wenigstens versuchen, mich zu verstehen, Mr. Lam.«

Bertha holte Luft und wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Ihre Augen funkelten gereizt.

Ich machte eine beschwichtigende Handbewegung.

»Sharon«, sagte er, »vielmehr Miss Barker ist Hostess in einer Cocktailbar, wo ich gelegentlich einen Drink nehme.«

»Was meinen Sie mit Hostess?«

»Nun, eine Art Oberkellnerin. Sie weist den Gästen Plätze an, nimmt Vorbestellungen entgegen, überwacht die Kellnerinnen und sorgt für prompte Bedienung und dergleichen.«

»All right, Sie brachten sie also in das Motel, und dort wurden Sie vermutlich erwischt.«

»Nein, nein, so war es nicht, Mr. Lam. Sie sind auf einer ganz falschen Fährte. Ich fürchte — nun, die Affäre dürfte sehr unangenehme Komplikationen zur Folge haben — und ich brauche jemanden, der mir die Last von den Schultern nimmt. Ich gedenke nicht, mich widerstandslos überrumpeln zu lassen, Mr. Lam. Ich werde kämpfen, verlassen Sie sich darauf.«

»So gefallen Sie mir«, sagte ich. »Was haben Sie vor?«

»Also, ich brauche jemanden, der...«

»Erklären Sie ihm lieber zuerst mal, was passierte und wie es passierte«, sagte Bertha Cool. »Danach können Sie uns immer noch Ihren Schlachtplan auseinandersetzen.«

Allen sagte: »Ich mag Frauen, Mr. Lam. Ich bin kein Wüstling, aber ich reagiere sehr stark auf weibliche Reize.«

»Sharon sieht gut aus?«

»Ja, unwahrscheinlich gut. Sie hat eine wundervolle Haltung, kühl, kompetent, und beim Gehen ist da ein gewisses Etwas, ein...«

»Schwenken«, warf Bertha ein.

»Nein, nein, nichts dergleichen. Ein rhythmisches Wiegen, ein... ein Schweben.«

»Weiter«, sagte ich.

»Nun, ich mache Frauen gern Komplimente über ihr Aussehen. Frauen, die mir gefallen, sage ich — das ist nun mal meine Natur. Ich kann einfach nicht anders, Mr. Lam. Wenn eine Frau ein Kleid anhat, das ihr steht und ihre Figur gut zur Geltung bringt, dann sage ich ihr das.«

»Und Sie machen auch Bemerkungen über ihre Figur?«

»Auch darüber, ja.«

»Und über ihre Beine«, sagte Bertha trocken.

»Nun ja... ich habe eben ein Auge dafür.«

»Okay«, sagte ich, »Sie beglückwünschten Sharon also zu ihrem Gang und...«

»Nein, nein, das wäre viel zu plump gewesen. Ich äußerte mich über das Kleid, das sie trug, und ihre Frisur. Und sie hat wunderschöne, sehr ausdrucksvolle Hände. Ich... also, ich gratulierte ihr dazu.«

»Und zu diesem und jenem«, bemerkte Bertha Cool.

»Na ja, es kam eins zum anderen, und schließlich pflegte sie sich immer für ein Weilchen zu mir zu setzen, und wir plauderten. Das war alles.«

»Aber zu guter Letzt landeten Sie in einem Motel«, sagte ich.

»Ja, aber nur in der einen Nacht.«

»Wie kam es dazu?«

»Ich hatte im Büro Überstunden gemacht, und meine Frau verbrachte das Wochenende in Reno bei ihrer Mutter. Sie fährt zweimal im Jahr nach Haus, und ich fühle mich dann ein bißchen einsam.«

»So schauten Sie in der bewußten Cocktailbar vorbei?«

»Ja.«

»Und es war schon spät?«

»Ja.«

»Und das Geschäft war flau?«

»So ziemlich.«

»Und Sharon kam an Ihren Tisch und setzte sich zu Ihnen?«

»Ja.«

»Und Sie unterhielten sich mit ihr über ihre Arbeit und ihre Ambitionen und ihr Äußeres und sagten ihr, sie müßte von Rechts wegen beim Film sein. Und dann erwähnten Sie ihren rhythmischen Gang.«

»Ja. Woher wissen Sie das alles, Mr. Lam?«

»Ich habe mir lediglich Ihre Andeutungen ausgelegt.«

»Im großen ganzen stimmt es. Und dann stellte sich heraus, daß sie immer erst nach der Arbeit zum Essen geht.«

»Und das war wann?«

»Um elf Uhr nachts. Sie ißt am frühen Abend nur einen Happen und erst um elf, wenn sie mit der Arbeit Schluß macht, eine richtige Mahlzeit.«

»Folglich luden Sie sie zum Dinner ein?«

»Ja.«

»Und wohin?«

»In irgendein Restaurant, wo man besonders gutes Gulasch bekommt — ein ungarisches Lokal, das sie kannte.«

»Man kannte sie auch in dem Restaurant?«

»Ja.«

»Sie auch?«

»Nein.«

»Waren Sie schon mal dort gewesen?«

»Nein.«

»Okay. Danach machten Sie also Anstalten, sie nach Haus zu fahren.«

»Sharon hat selbst einen Wagen.«

»Fuhr jeder im eigenen Wagen?«

»Nein. Wir waren in meinem Wagen zu dem Restaurant gefahren, und wir machten uns auf den Heimweg — das heißt, ich wollte sie zu dem Parkplatz unweit der Cocktailbar, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte, zurückbringen —, aber vorher fuhr ich ein bißchen durch die Gegend, und wir landeten oben auf dem Mulholland Drive, von wo wir auf die erleuchtete Stadt hinunterschauen konnten. Ich hielt also an und — nun, ich legte den Arm um sie, und sie schmiegte sich an mich, und dann sagte ich was, und sie hob das Gesicht und —, na ja, ich küßte sie. Es schien die natürlichste Sache von der Welt zu sein.«

»Und dann?«

»Tja, für eine Weile war das alles, und dann küßten wir uns wieder, und so ging es weiter, und ehe ich mich's versah, hatten wir völlig die Beherrschung verloren und — sie hatte vorher über das Motel Bide-a-wee-bit gesprochen und wie hübsch es da wäre, und so fuhr ich einfach hin, es war nicht allzu weit weg —, und als sie merkte, was ich vorhatte, erhob sie keinen Widerspruch, und da — also, da wurde mir plötzlich klar, daß ich nicht mehr zurück konnte.«

»Haben Sie sich eingetragen?«

»Sie war sehr taktvoll. Sie sagte, sie wolle das übernehmen, falls ich ihr das Geld für die Kabine gebe.«

»Und sie hatte nichts dagegen, daß Sie als Mann und Frau abstiegen?«

»Nein. Sehen Sie, inzwischen hatten wir — hatten wir beide Feuer gefangen. Sie lief in das Motel und...«

»Gaben Sie ihr Geld?«

»Ja.«

»Wieviel?«

»Zwanzig Dollar.«

»Wieviel kostete die Kabine?«

»Dreizehn Dollar.«

»Gab sie Ihnen den Rest zurück?«

»Ja, ja, natürlich. Herrgott, Mr. Lam, ich wollte, Sie würden die Dinge im richtigen Licht sehen. Finanzielle Erwägungen spielten dabei wirklich keine Rolle. Sie hätten alles nur beschmutzt.«

»Ich gebe mir wirklich Mühe, mir ein zutreffendes Bild von der Sache zu machen«, versicherte ich ihm. »Wie ging's weiter?«

»Was glaubst du wohl?« fragte Bertha bissig.

Allen sagte: »Sie kam zurück und sagte, daß sie dem Angestellten in der Rezeption erzählt hätte, sie und ihr Mann wären von San Franzisko herübergefahren und schrecklich müde und wünschten ein gutes ruhiges Zimmer; die Eintragung hätte nicht den geringsten Verdacht erregt.«

»Welchen Namen hat sie angegeben?«

»Carleton Blewett.«

»Herrje, wie kam sie gerade auf den?«

»Also, das ist an sich schon eine kleine Geschichte. Sie hatte den Namen mal gehört, sich unwillkürlich gemerkt und aus einem unerfindlichen Grund mit San Franzisko in Verbindung gebracht. Als sie am Empfang sagte, wir kämen aus San Franzisko, fiel ihr der Name wieder ein, und sie schrieb ihn ins Register.«

»Und die Zulassungsnummer des Wagens?« fragte ich. »Für gewöhnlich erkundigen sie sich in Motels danach.«

»Da hat sie sich sehr geschickt aus der Klemme gezogen. Sie hatte nicht daran gedacht, und als der Angestellte sie danach fragte, wollte sie rasch eine erfinden, aber dann sah sie aus der Tür, und da fiel ihr ein Wagen auf, der direkt vor der Rezeption geparkt war. Sie gab die Zulassungsnummer dieses Wagens an und veränderte bloß den Buchstaben.«

»Wann ereignete sich das alles?«

»Am Samstag.«

»Meinen Sie am letzten Samstag? Vorgestern?«

»Ja.«

»Na schön«, sagte ich. »Die junge Frau kam dann also zurück und sagte Ihnen, Sie wären Mr. und Mrs. Carleton Blewett aus San Franzisko, und Sie begaben sich auf die Suche nach Ihrem Bungalow. Was dann?«

»Wir brauchten ihn nicht zu suchen. Ein Boy führte uns hin.«

»Okay, er führte Sie hin, und Sie gaben ihm ein Trinkgeld.«

»Ja.«

»Wieviel?«

»Einen Dollar.«

»Sie hatten kein Gepäck?«

»Nein.«

»Wußte das der Boy?«

»Nein. Ich sagte ihm, ich würde das Gepäck selbst aus dem Kofferraum holen, er sollte uns nur den Bungalow zeigen.«

»Und Sie glauben, er hat das geschluckt?«

»Nun, er hat sich nichts anmerken lassen.«

»Bestimmt nicht«, sagte ich. »Reden Sie weiter. Was geschah dann? Sie gingen ins Haus. Ich nehme an, Sie wurden in flagranti erwischt?«

»Nein, das nicht, aber... Oh, es ist entsetzlich! Es wird noch mein Ruin sein. Das...«

»Still!« sagte Bertha Cool gemütsroh. »Hören Sie auf zu winseln und sagen Sie Donald, was Sie von ihm wollen. Kommen Sie endlich zur Sache.«

»Also, ich möchte, daß Sie Mr. Blewett sind.«

»Moment mal«, sagte ich verdutzt. »Ich soll Mr. Blewett sein?«

»Ja. Sie sollen mit Sharon in das Motel gehen und sich als Mr. Blewett ausgeben.«

»Mit Sharon Barker?«

»Ja.«

»Wann?«

»Heute nacht. So bald wie möglich.«

»Und was sagt Sharon dazu?«

»Sharon ist kein Spielverderber. Sie ist sich meiner schwierigen Lage bewußt und will mir helfen.«

»Inwiefern ist Ihre Lage so besonders schwierig?«

»Tja, das ist eine merkwürdige Geschichte. Sehen Sie, Mr. Lam, praktisch ist in dem Motel überhaupt nichts passiert.«

»Nichts passiert? Was meinen Sie damit?«

»Wir bekamen Streit.«

»Weshalb?«

»Offen gesagt, das weiß ich selbst nicht genau. Ich hatte den Fehler gemacht, eine Flasche Whisky mitzubringen, und wir bestellten Eis und Gläser ins Zimmer und fingen an zu trinken. Dann fing ich an — also, sie nannte es betatschen —, auf jeden Fall klappte es nicht mehr richtig zwischen uns. Es war nicht mehr so spontan und natürlich wie vorher im Wagen. Die Situation war irgendwie verfahren. Sharon sagte, es wäre ihr zuwider, >betatscht< zu werden; sie hätte nichts gegen Sex, solange alles offen und ungezwungen zuginge, aber sie ließe sich nicht gern — na ja, sie langte mir eine, und ich wurde wild, und sie stand auf und lief hinaus. Ich wartete auf ihre Rückkehr, aber sie kam nicht. Später fand ich heraus, daß sie ein Taxi gerufen hatte und nach Haus gefahren war.«

»Und was machten Sie?«

»Ich wartete eine Weile und muß dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war ich höllisch wütend, setzte mich in meinen Wagen und fuhr heim.«

»Und warum das ganze Geschrei?« fragte ich. »Bloß weil sie Ihnen ausgebüchst ist?«

»Der Mord«, sagte er.

»Welcher Mord?«

Bertha sagte: »Es war am letzten Samstag, in der Nacht, in der Ronley Fisher ermordet wurde.«

»Der Bursche, der eins über den Kopf bekam und in den Swimming-pool geschubst wurde?« fragte ich.

Bertha nickte.

Ich überlegte. »Das passierte in einem Motel dort irgendwo in der Nähe, stimmt's?«

»Ganz recht«, sagte Allen. »Die Zeitungen erwähnten den Namen des Motels nicht; sie sprachen lediglich von einem feudalen Motel. Nur eine Zeitung nannte auch den Namen — in Fällen von Mord oder Selbstmord an öffentlichen Orten ist das sonst nicht üblich. Im allgemeinen begnügt man sich mit dem Hinweis, daß es sich um eines der Hotels im Stadtzentrum handelt, und das gilt auch für die besseren Motels.«

»Okay, in der Samstagnacht passierte in dem Motel also ein Mord. Was hat das mit Ihnen zu tun?«

»Nun, das liegt doch auf der Hand. Die Polizei ist bestrebt, sämtliche Gäste zu verhören. Sie erhofft sich davon irgendeinen Hinweis. Der Todesfall muß einfach aufgeklärt werden. Ronley Fisher war stellvertretender Bezirksstaatsanwalt und bearbeitete gerade eine wichtige Mordsache. Sein Tod kann ein Unfall gewesen sein. In der fraglichen Nacht war kein Wasser im Schwimmbassin; es wird einmal wöchentlich abgelassen und erneuert. Vielleicht hatte Fisher einen sitzen und sprang ins Becken, um sich abzukühlen; dabei schlug er sich dann auf dem Zementboden den Schädel ein. Oder jemand hat ihm eins übergezogen und ihn danach ins Bassin gestoßen.

Wie dem auch sei, die Todesursache muß um jeden Preis geklärt werden, und die Polizei wird nicht ruhen, bis der Fall nicht gelöst ist.

Hier habe ich einen Zeitungsbericht, der gestern erschien. Darin heißt es, die Polizei hätte sich die Namen sämtlicher Personen verschafft, die in der fraglichen Nacht in dem Motel wohnten; sie beschäftige sich zur Zeit damit, sie aufzuspüren.«

»Verstehe«, sagte ich. »Folglich wird die Polizei in San Franzisko nach einem Mr. und einer Mrs. Carleton Blewett suchen und dabei feststellen, daß die Adresse falsch war.«

»Genau«, sagte er und ließ den Kopf hängen.

»Na schön, und was kann ich für Sie tun?«

»Sie sollen heute nacht mit Sharon Barker in das Motel gehen. Ich habe dort unter dem Namen Carleton Blewett angerufen und ihnen gesagt, daß wir den Bungalow behalten wollten, aber einen kleinen Abstecher nach San Diego machen würden; und ich habe ihnen sechsundzwanzig Dollar durch Boten übersandt. Der Bungalow bleibt also für uns reserviert, und da die Polizei inzwischen darüber informiert ist, daß die Bewohner zurückkehren, wird sie sich über die falsche Adresse in San Franzisko nicht allzusehr aufregen. Sie wird uns für ein Pärchen halten, das sich amüsieren will.

Also, Sie und Sharon gehen ins Motel. Sharon wird in der Rezeption den Schlüssel holen, und der Angestellte wird sie wiedererkennen. Auf jeden Fall hat er die Polizei über mein Telefongespräch informiert, und wenn nicht schon ein paar Beamte dort warten, dürften sie bald aufkreuzen, um Sie zu befragen.«

»Und wie geht's weiter?«

»Wie am Schnürchen, sozusagen. Daß es sich um ein Wochenendpärchen handelt, wird die Polizei kaum erschüttern. Sie will nur sichergehen, daß sie die zwei Gäste gefunden hat, die in der Samstagnacht dort waren. Folglich werden Sie ihr sagen, Sharon hätte in der fraglichen Nacht einen Streit vom Zaun gebrochen, Sie sitzengelassen und sich bereit erklärt, Sie heute dafür zu entschädigen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Bedaure, da muß ich passen.«

»Wieso?«

»Ich bin nicht scharf darauf, mir die Finger zu verbrennen.«

»Schauen Sie«, sagte Allen, »ich bin mir der Tragweite der Situation durchaus bewußt. Ich habe Mrs. Cool bereits gesagt, daß ich eintausend Dollar dafür zahle, wenn Sie für diese eine Nacht meine Rolle übernehmen und der Polizei sagen, daß Sie in der Samstagnacht weder etwas gesehen noch gehört haben. Das ist die Wahrheit, weil ich wirklich nichts gesehen habe und... Verstehen Sie denn nicht? Die Polizei erwartet doch gar nicht, daß irgend jemand ihr einen wichtigen Hinweis gibt; das Ganze ist Routine, eine Geste, wenn Sie so wollen. Und dazu gehört nun mal, daß sie sich sämtliche Motelgäste vorknöpfen. Ich kann mir ein Verhör durch die Polizei einfach nicht leisten.«

»Wer sind Sie?« fragte ich.

»Carleton Allen.«

»Ihr Beruf?«

»Effektenmakler.«

»Gehen Sie zur Polizei, erklären Sie sich zu einer vertraulichen Aussage bereit, lassen Sie sich verhören und Ihre Aussage von Sharon bestätigen, und damit hat es sich. Die Polizei wird Ihr Geheimnis für sich behalten; ihr geht's bloß um die Informationen.«

Er schüttelte heftig den Kopf. »So einfach ist das nicht, Mr. Lam. Ich habe tausend Dollar geboten. Ich erhöhe auf fünfzehnhundert.«

Bertha schoß im Sessel kerzengerade in die Höhe; ihre gierigen kleinen Augen blitzten.

»Wo drückt Sie der Schuh?« fragte ich. »Warum können Sie nicht zur Polizei gehen und ihr die ganze Geschichte von Anfang an erzählen?«

»Meine Frau«, sagte er.

»Was ist mit Ihrer Frau?«

»Ich bin mit Dawn Getchell verheiratet.«

»Dawn Getchell? Ich kapiere nicht...« Plötzlich ging mir ein Licht auf.

»Mein Gott«, sagte Bertha, »meinen Sie Marvin Getchells Tochter?«

»Ja.«

»Getchell mit all seinen Millionen kann das im Handumdrehen für Sie deichseln«, sagte Bertha. »Er könnte...«

Allen unterbrach sie. »Er wäre imstande, mir die Kehle durchzuschneiden. Er mag mich nicht, hat mich nie gemocht — diese Affäre würde meiner Ehe ein Ende machen... Oh, warum hab' ich mich bloß auf so eine Eselei eingelassen! Ich muß verrückt gewesen sein. Ich bin schon ein paarmal in der Klemme gewesen, aber diesmal ist's eine Katastrophe. Mein Untergang!«

Ich schüttelte den Kopf. »Nix«, sagte ich zu Bertha. »Die Sache ist zu brenzlig.«

»Hör mal, Donald, du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Du findest immer einen Dreh, wenn du willst.«

»Tja, aber diesmal will ich nicht«, sagte ich.

Bertha funkelte mich wütend an.

Ich peilte zur Tür.

»Nein, nein, warten Sie«, rief Carleton Allen. »Es muß doch irgendeinen Ausweg geben.«

»Warum kommen Sie mit dem Auftrag zu uns, Allen?« fragte ich.

»Weil Sharon nur mit Ihnen Zusammenarbeiten will.«

»Sharon kennt mich?«

»Vom Sehen. Man hat ihr Ihren Namen genannt.«

»Wann?«

»Als Sie in der Cocktailbar waren.«

»Dann ist Sharon also Hostess im Cock and Thistle?«

»Richtig.«

»Wir können den Auftrag trotzdem nicht übernehmen.«

»Warum vertreten Sie sich nicht ein bißchen die Beine, Allen?« sagte Bertha. »Gehen Sie fünf Minuten ins Vorzimmer. Ich rede inzwischen mit Donald.«

»Es hat keinen Zweck, Bertha. Ich...«

Allen sprang auf und steuerte auf die Tür zu. »In fünf Minuten in ich zurück«, sagte er und verschwand.

Bertha starrte mich wütend an, und wenn Blicke töten könnten, wäre ich eine Leiche gewesen. »Fünfzehnhundert Dollar für eine lumpige Nacht, und du brauchst dich dabei, weiß Gott, nicht zu überanstrengen. Du bist doch sonst nicht so zimperlich.«

»Schau«, sagte ich zu ihr, »hier handelt's sich um einen taufrischen Mordfall, und man verlangt von uns, daß wir die Polizei auf eine falsche Fährte locken. Kommt noch hinzu, daß wir uns dieser Sharon Barker völlig ausliefern. Sie braucht bloß zur Polizei zu rennen, und wir sind unsere Lizenz los. Möchtest du vielleicht von einer obskuren Bardame abhängig sein, die uns ans Messer liefern kann, wann es ihr in den Kram paßt?«

Bertha zwinkerte und dachte angestrengt nach.

»Warum so vorsichtig? Das ist doch sonst nicht deine Art. Du predigst mir in einem fort, daß man alles mal probieren soll. Warum probierst du's also nicht?«

Ich schüttelte den Kopf. »Dieser Carleton Allen mag ja mit Dawn Getchell verheiratet sein, aber ich traue dem Burschen nicht über den Weg. Er weiß mehr, als er zugibt, und hat uns gerade nur so viel erzählt, um uns zu ködern. Es wird schließlich darauf hinauslaufen, daß wir die Suppe auslöffeln dürfen.«

Bertha seufzte und griff nach dem Telefonhörer. »Sagen Sie dem Burschen, der draußen wartet, diesem Allen, er soll wieder reinkommen.«

Allen riß gleich danach die Tür auf, sah Bertha erwartungsvoll an, erspähte nichts Ermutigendes, sah daraufhin mich an und verfiel wieder in eine Orgie des Selbstmitleids.

Er machte die Tür zu, plumpste auf einen Stuhl und sagte: »Ich kann die Antwort von Ihren Gesichtern ablesen. Warum geben Sie mir keine Chance?«

»Weil wir uns das Risiko nicht leisten können«, entgegnete ich.

»Hören Sie, Lam, die Sache ist sehr ernst. Es ist nicht allgemein bekannt, aber meine Frau hat nicht mehr lange zu leben. Ich dürfte wohl so an die zwanzig Millionen Dollar erben. Schauen Sie, Lam, wenn Sie mir aus der Patsche helfen, werde ich dafür sorgen, daß Ihre Agentur ganz groß ins Geschäft kommt.«

Berthas Sessel quietschte protestierend.

Ich sagte: »Okay, Allen, ich will nicht so sein. Ich werde über Ihren Vorschlag nachdenken. Falls ich mitspiele, dann tu ich's auf meine Art und nicht auf Ihre. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es Ihnen nur darum, daß die Polizei Sie nicht als Carleton Blewett identifiziert. Stimmt das?«

»Ja. Sie soll zu der Überzeugung kommen, daß sie Mr. und Mrs. Blewett unter die Lupe genommen hat und von der Liste streichen kann.«

»Und falls ich das — egal, wie — zuwege bringe, sind Sie zufrieden, ja?«

»Oh, Lam, das wäre meine Rettung!« Er sprang auf, sein Gesicht strahlte. »Sie haben — Sie können nicht ahnen, was das für mich bedeuten würde. Herrje, ich fühle mich wie neugeboren!«

»Sie haben bereits mit Sharon Barker darüber gesprochen?«

»Ja.«

»Rufen Sie sie an«, sagte ich. »Ich möchte mit ihr reden.«

Er fischte ein kleines schwarzes Buch aus der Tasche und wählte mit seinem kurzen, dicken, gut manikürten Finger die Nummer.

Einen Moment später sagte er: »Hallo, Sharon? Rate mal, wer da ist... Stimmt. Schau, ich bin gerade im Büro von Cool & Lam — na, du weißt schon —, und Donald Lam möchte mit dir sprechen.«

Ich nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Hallo, Sharon.«

»Hallo, Donald.« Sie hatte eine kühle, aber verführerische Stimme.

»Das Geschäft, das man mir vorgeschlagen hat, ist Ihnen doch bekannt?«

»Ja.«

»Und Sie sind bereit mitzumachen?«

»Mit Ihnen ja. Ich würde nicht jeden akzeptieren, aber bei Ihnen in ich einverstanden.«

»Wieso eigentlich?«

»Weil ich Sie vor einer Woche oder so gesehen habe. Sie waren mit einer jungen Frau in dem Lokal, in dem ich arbeite.«

»Woher wußten Sie, wer ich war?«

»Jemand sagte mir, Sie seien Donald Lam, der Privatdetektiv.«

»Das ist schlecht.«

»Warum?«

»Ein Privatdetektiv versucht anonym zu bleiben.«

»Na, ich fürchte, das ist Ihnen nicht gelungen, Donald. Ich mußte einfach zu Ihnen hinsehen.«

»Warum?«

»Weil Sie so ein Gentleman waren.«

»Wirklich?«

»Das Mädchen, das Sie bei sich hatten, war schrecklich verliebt in Sie, und Sie benahmen sich unwahrscheinlich anständig. Sie — ach, ich weiß nicht. Sie waren rücksichtsvoll und — na ja, eben nett. Sie begönnerten sie nicht und nutzten ihre Verliebtheit nicht aus, und dabei wäre das so leicht gewesen.

Und deshalb will ich nur mit einem einzigen Privatdetektiv Zusammenarbeiten, mit Ihnen. Aber damit wir uns recht verstehen, Donald: Wir sind bloß Geschäftspartner.«

»Ich weiß.«

»Im Bungalow ist ein Doppelbett, und es muß auch benutzt werden. Ich hoffe, Sie werden sich auch bei mir wie ein Gentleman benehmen.«

»Ich werde es wenigstens versuchen.«

»All right. Kommen Sie vorher noch mal vorbei, damit wir die Einzelheiten besprechen können?«

»Was für Einzelheiten?«

»Schauen Sie, Donald, ich beabsichtige nicht, die ganze Nacht wach zu bleiben und mich mit Ihnen herumzustreiten. Wenn ich sage, Licht aus, dann wird das Licht ausgeknipst, und mehr ist nicht drin. Ich denke, Sie verstehen mich...«

»Sicher. Ich komme vorbei.«

»Aber allein.«

»Bis später.« Ich legte auf und konzentrierte mich auf Allen.

»Wir übernehmen Ihren Auftrag gegen Zahlung von zweitausend Dollar und sämtlicher Spesen. Die Spesen werden nicht von Pappe sein. Es geht Ihnen darum, nicht mit dem Carleton Blewett in Verbindung gebracht zu werden, der in der Nacht, in der Ronley Fisher ermordet wurde, im Motel Bide-a-wee-bit wohnte. Wie ich das bewerkstellige, ist Ihnen schnuppe. Ist das so richtig?«

»Jawohl.«

»Geben Sie's uns schriftlich«, sagte ich und wandte mich an Bertha. »Ruf eine Stenotypistin, setz den Text auf und laß den Wisch von ihm unterschreiben.«

»Wohin gehst du, Donald?«

»Aus.«

Ich marschierte zur Tür und sagte über die Schulter: »Und vergiß nicht, dir die zweitausend Dollar als Vorschuß geben zu lassen.«

Berthas Gesicht lief rot an vor Wut.