7

 

Beharrliches und heftiges Klopfen an meiner Zimmertür rüttelte mich aus meinem bleiernen Schlaf in einen halbbewußten Dämmerzustand zurück. Ich vernahm die Stimme meiner Wirtin: »Mr. Lam... So hören Sie doch! Mr. Lam... Mr. Lam... Aufstehen!«

Ich tastete nach dem Lichtschalter. Mir war, als wolle ich entzweibrechen. Endlich fand ich den Schalter, knipste Licht an und humpelte zur Tür meiner kleinen Dachkammer.

Meine Wirtin hatte sich einen verschossenen grünen Morgenrock übergeworfen und sah aus wie ein Kartoffelsack. Unten guckte der Saum eines weißen Nachthemdes hervor. Mit keifender Stimme rief sie: »Ich weiß zwar nicht, was das mit Ihrer neuen Arbeit auf sich hat, aber ich habe es jetzt jedenfalls satt mit Ihnen! Seit Wochen lasse ich Sie hier wohnen, ohne auch nur einen Cent von Ihnen zu sehen, und jetzt...«

»Was ist denn los?« unterbrach ich sie.

»Eine Frau ist am Telefon und schreit, sie muß Sie unbedingt sprechen. Es sei eine Sache auf Leben und Tod. Das Telefon klingelt ununterbrochen, das ganze Haus ist wach. Und ich muß noch die drei Treppen hochklettern und stundenlang gegen Ihre Tür hämmern, bis Sie sich endlich bequemen...«

»Ich bin Ihnen ja so dankbar, Mrs. Smith«, sagte ich.

»Dankbar - daß ich nicht lache! Was ist das für ’ne Art und Weise, alle Leute zu stören!«

Ich ging ins Zimmer zurück, warf meinen Bademantel über und fuhr in meine Pantoffeln. Der Weg in die Halle hinunter wollte gar nicht enden. Mein einziger Gedanke war: Alma. Ich hoffte, es wäre Bertha Cool mit einem neuen Auftrag. Ich wußte, sie war durchaus dazu fähig, aber... Der Hörer hing an ¿er Schnur. Ich griff danach, nahm ihn ans Ohr und sagte: »Hallo?« Es war Alma.

»Donald, was für ein Glück, daß ich dich kriege, es ist etwas Furchtbares passiert.«

»Was denn?«

»Das kann ich dir am Telefon nicht sagen. Du mußt herkommen.«

»Wo bist du denn?«

»Hier bei Sandra, in einer Telefonzelle.«

»Schön. Und wo wollen wir uns treffen?«

»Ich bleibe hier.«

»In der Wohnung, meinst du?«

»Nein... In der Telefonzelle. Was Fürchterliches ist passiert. Komm bitte ganz schnell!«

»Ich bin sofort da«, sagte ich, legte auf und ging wieder nach oben, so schnell meine Muskeln es eben erlaubten. Ich kam an Mrs. Smith vorbei, die die Treppe herunterkeuchte. »Ein paar Leute hier möchten gern wieder einschlafen, wenn Sie so gut sein wollen«, bemerkte sie bissig.

Ich schaffte es in mein Zimmer zurück, schmiß Bademantel und Pyjama aufs Bett, zog mich schnell an, so schnell ich konnte, und hatte die Krawatte noch nicht richtig um, da war ich schon auf der Treppe und auf der Straße. Unterwegs knöpfte ich mir das Hemd zu. Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern, bis endlich ein nächtliches Taxi angewackelt kam. Ich winkte dem Fahrer und gab ihm die Adresse. Dann stieg ich ein und fragte: »Wieviel Uhr mag’s wohl sein?«

»Halb drei«, antwortete der Chauffeur.

Meine Armbanduhr lag oben auf meinem Nachttisch. Ich griff in die Tasche und vergewisserte mich, daß ich meinen Ausweis von Bertha Cool bei mir hatte. Ich holte mein Kleingeld hervor, hielt es auf der flachen Hand und zählte im Licht der hellen Taxiuhr. Als wir vor dem Hause hielten, blieben mir gerade noch fünf Cent. Ich gab dem Fahrer das ganze Geld, bedankte mich kurz und rannte gegen die Tür. Fast hätte ich den Arm dabei gebrochen, sie war nämlich fest verschlossen. In der Halle schien Licht, aber kein Portier war da. Ich trat fest gegen die Tür in der Hoffnung, Alma würde mich hören. Nach einer Weile kam sie auch aus der Telefonzelle, die weiter hinten in der Halle lag, und öffnete mir.

Überrascht starrte ich sie an. Sie war in einem seidenen Pyjama und hatte irgendein durchsichtiges Gewand übergezogen.

»Was ist denn passiert, Alma?« fragte ich.

»Ich hab’ auf jemanden geschossen«, flüsterte sie heiser.

»Wer war’s?«

»Weiß ich nicht.«

»Ist er tot?«

»Nein.«

»Hast du die Polizei angerufen?«

»Nein.«

»Schön. Dann machen wir das jetzt sofort.«

»Sandra wird das aber nicht recht sein, und Bleatie sagt...«

»Die beiden sollen sich zum Teufel scheren«, sagte ich. »Geh sofort in die Zelle und ruf die Polizei an.«

Ich schob sie zur Telefonzelle hin.

»Donald, soll ich dir nicht lieber erst erzählen, was los war?«

»Wenn du auf jemanden geschossen hast«, sagte ich, »dann rufst du sofort die Polizei, und der kannst du deine Geschichte dann erzählen.«

»Dann mußt du mir bitte Geld geben.«

Ich suchte in den Taschen, aber ich hatte nicht einen einzigen Cent mehr, ich hatte dem Taxifahrer doch alles gegeben.

»Wie hast du mich denn anrufen können?« fragte ich.

»Es kam gerade ein Mann herein, der war betrunken. Ich erzählte ihm, mein Mann hätte mich ausgesperrt. Er gab mir eine Münze.«

»Na schön. Dann aber jetzt ’rauf in die Wohnung.«

»Ich kann doch nicht ’rein, ich hab’ keinen Schlüssel, die Tür hat ein Schnappschloß.«

»Dann holen wir den Hausmeister. Erzähl erst mal, was passiert ist.«

»Ich schlief. Plötzlich wachte ich auf, jemand war in meinem Zimmer. Es beugte sich jemand über mein Bett, eine Hand war gerade über meinem Gesicht und wollte mir die Kehle abschnüren. Nach dem gräßlichen Erlebnis der letzten Nacht war ich gelähmt vor Entsetzen. Aber du hattest mir ja eingeprägt, was ich in dem Fall tun sollte, und daß es sinnlos wäre, auf ihn einzuschlagen. Also riß ich die Pistole unter meinem Kissen hervor und drückte ab. Entsichert hatte ich sie schon, als ich zu Bett ging. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie solche Angst ausgestanden. Die Pistole knallte so furchtbar, daß ich dachte, mir platze das Trommelfell.«

»Und dann?« fragte ich.

»Dann ergriff ich meinen Morgenrock... Muß ich wohl... Ich erinnere mich zwar nicht dran, aber ich hatte ihn überm Arm, als ich aus dem Zimmer war.«

»Du bist also ins Nebenzimmer gelaufen.«

»Ja, und von da auf den Korridor.«

»Dann ist er womöglich noch dort, wenn es ihm nicht gelungen ist, durchs Fenster zu entkommen. Nicht sehr wahrscheinlich, daß du ihn getroffen hast.«

»Aber ich habe ihn bestimmt getroffen«, meinte sie, »ich hörte einen fürchterlichen Schlag, als wäre jemand von einer Kugel getroffen worden — und dann fiel auch jemand hin.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weil ich’s gehört habe.«

»Und hast du danach gehört, ob er sich bewegt hat?«

»Ich glaube, ja. Irgendwas habe ich gehört. Und dann verlor ich den Kopf. Ich stürzte hinaus auf den Korridor und rannte, so schnell ich konnte, zum Aufzug. Die Tür schnappte hinter mir ins Schloß. Ich blieb einen Augenblick im Aufzug, und dann erst wurde mir klar, wie sehr ich in der Klemme saß. Guck, ich habe nicht mal Pantoffeln an.«

Ich sah auf ihre lackierten Zehennägel hinunter und sagte: »Wir werden doch den Hausmeister holen müssen. Keine Angst, Alma. Wahrscheinlich war’s ein Einbrecher, jemand, der es auf Schriftstücke von Morgan Birks abgesehen hatte oder vielleicht auch dachte, er hätte Geld versteckt. Wo war übrigens Sandra die ganze Zeit?«

»Ausgegangen.«

»Und Bleatie?«

»Keine Ahnung. Im Bett, nehme ich an, im anderen Zimmer.«

»Hat er den Schuß nicht gehört?«

»Das weiß ich nicht.«

»Hör mal, Alma, hältst du es für möglich, daß es vielleicht Bleatie war?«

»Was hätte der denn in meinem Zimmer zu suchen?« fragte sie.

Darauf wußte ich keine Antwort, die ich gern ausgesprochen hätte, und so sagte ich: »Wir wollen erst mal den Hausverwalter suchen und...« Hier brach ich ab und schob sie flink in die

Telefonzelle, weil draußen ein großer Wagen vorfuhr. »Es kommt jemand«, sagte ich. »Vielleicht kann ich ein Geldstück schnorren und die Polizei anrufen. Das wäre mir lieber, als den Hausmeister zu benachrichtigen.«

»Ich habe noch Geld im Portemonnaie, wenn wir nur die Wohnungstür aufkriegten«, sagte Alma.

»Wollen erst mal sehen, wer das hier ist.«

Ich sah undeutlich die Gestalt des Mannes am Steuer eines schweren Wagens. Ein Mädchen befand sich bei ihm, und sie zerdrückte ihn fast, als sie ihm gute Nacht sagte. Er stieg nicht erst aus, um die Wagentür für sie zu öffnen und sie ins Haus zu bringen, sondern sobald sie sich endlich losgerissen hatte und ausgestiegen war, fuhr er wieder weiter und verschwand im Dunkel der Nacht. Ich ging zur Tür und blieb stehen. Die Frau nahm einen Hausschlüssel aus ihrer Handtasche, und als sie auf die Tür zukam, erkannte ich sie: Es war Sandra Birks. Ich ging zur Telefonzelle zurück.

»Da kommt Sandra«, sagte ich, »dann kannst du mit ihr ’raufgehn. Aber sag, mal, Alma, wie kommt es eigentlich, daß niemand einen Schuß gehört hat?«

»Das weiß ich nicht.«

Sandra kam herein, mit raschen, kurzen und entschlossenen Schritten. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen leuchteten, irgend etwas beflügelte sie. Ich trat hinter dem Pult hervor und sagte: »Einen Augenblick mal.«

Sie stockte und hielt den Atem an. Dann sah sie Alma und starrte diese an in ihrem Morgenrock, im Pyjama und barfuß.

»Was ist denn passiert?« fragte sie.

»Wenn Sie mir eine Münze geben können«, sagte ich, »dann rufen wir die Polizei an. Alma hat in Ihrer Wohnung auf jemanden geschossen.«

»Auf wen denn?«

»Einbrecher«, sagte Alma schnell.

»Derselbe, der...« Sandra brach ab und sah nach Almas Kehle.

Alma nickte. »Ich glaube.«

»Woher kam die Waffe?«

Ich wollte gerade sagen >von mir<, als Alma mir zuvorkam. »Meine, ich habe sie aus Kansas City mitgebracht, sie war in meinem Koffer.«

»Gehen wir doch lieber nach oben und sehen uns die Geschichte mal an«, schlug Sandra vor.

»Kommt nicht in Frage«, unterbrach ich sie. »Es ist schon genug Zeit verlorengegangen. Wir rufen die Polizei.«

»Was? Und Sie haben kein Geld bei sich?« fragte Sandra.

Ich sah ihr in die Augen. »Nein«, antwortete ich.

Dann öffnete sie ihre Tasche, nahm eine Münze heraus und gab sie mir. Ich ging wieder zur Telefonzelle, Sandra und Alma blieben beim Lift stehen und sprachen leise miteinander. In dem Augenblick ertönte ganz in der Nähe das langgezogene Sirenengeheul eines Polizeiwagens. Ich hatte gerade den Hörer abgenommen, als der Streifenwagen vor der Tür hielt. Ich wählte einfach drauflos, um nicht aufzufallen. Ein Polizist kam die Stufen herauf, versuchte zu öffnen und rüttelte an der Klinke. Sandra ging hin und ließ ihn herein. Durch die Tür der Telefonzelle hörte ich ihn: »Jemand hat angerufen, im Apartment 419 sei ein Schuß gefallen. Wissen Sie etwas darüber?«

»Ich wohne da«, sagte Sandra.

»Soso.«

»Jawohl!«

»Ist tatsächlich geschossen worden?«

»Ich komme eben nach Hause.«

»Und wer ist die Dame?«

»Sie wohnt bei mir. Es ist wohl geschossen worden, sie hat es, glaube ich, gehört.«

»Also ’rauf!«

Er schob die beiden in den Lift. Das Gitter rasselte zu, und der Aufzug setzte sich schlingernd in Bewegung. Aus dem Telefon hörte ich eine schlaftrunkene Männerstimme »Hallo!« sagen. Ich überlegte kurz, dann legte ich den Hörer wieder auf.

Ich beobachtete, wie sich der Zeiger am Lift bis zur Vier drehte und dort stehenblieb. Ein paar Minuten wartete ich, ob der Lift wieder herunterkommen würde. Als er das nicht tat, drückte ich selber auf den Knopf. Der Zeiger rührte sich aber nicht. Sie hatten offenbar oben die Tür aufgelassen. Zu dieser Nachtzeit war nur ein Aufzug in Betrieb, und das war einer mit Selbstbedienung.

Ich brauchte etliche Minuten, um die vier Treppen hinaufzusteigen und den Korridor bis zum Apartment 419 entlangzugehen.

Die Tür stand offen, und aus dem Schlafzimmer auf der rechten Seite kamen Stimmen. Das Licht brannte. Ich ging hinein und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Die beiden Frauen standen vor dem Polizeibeamten, Alma Hunter verbissen und bleich, Sandra Birks mit undurchdringlicher Miene. Auf dem Boden, den einen Arm weit ausgestreckt, lag Morgan Birks. Er lag auf dem Rücken, in seinen starren Augen spiegelte sich das Licht der Deckenbeleuchtung.

Der Beamte wandte sich an Alma. »Woher hatten Sie diese Pistole?«

»Die hatte ich.«

»Wann haben Sie sie gekauft?«

»Ich hab’ sie nicht gekauft.«

»Wer hat sie Ihnen gegeben?«

»Ein Freund von mir.«

»Wo? Wann?«

»In Kansas City. Doch schon vor einiger Zeit. Ich weiß nicht mehr, wie lange das her ist.«

Sandra Birks sah von dem Polizeibeamten weg und entdeckte mich. Sie kniff die Augen etwas zusammen, dann führte sie ihre Hand zum Mund, und als sie sie wieder sinken ließ, gab sie mir einen leichten Wink zu verschwinden.

Der Beamte hatte entweder diese Bewegung oder aber Sandras Augenausdruck bemerkt. Er schnellte herum und sah mich in der Tür stehen.

»Wer ist denn das?« fragte er.

»Was ist passiert?« fragte ich zurück und starrte auf die Gestalt am Boden.

»Ich glaube, der Herr wohnt hier in diesem Stockwerk«, entgegnete Sandra Birks, ohne mit der Wimper zu zucken.

Der Beamte kam auf mich zu. »Verschwinden Sie hier«, sagte er. »Hier ist ein Mord geschehen, wir wollen keine Zuschauer hier. Wer sind Sie überhaupt, und was haben Sie hier zu suchen?«

»Warum hängen Sie kein Schild an die Tür?« erwiderte ich. »Ich dachte, hier ist etwas nicht in Ordnung. Sie haben die Tür sperrangelweit offengelassen.«

»Schön, schön«, antwortete er, »hauen Sie ab, und die Tür machen wir zu!«

»Kein Grund, mich so anzufahren. Ich habe ein Recht, hier ’reinzukommen, wenn die Tür offensteht, Sie können mir das nicht verbieten. Außerdem...«

»Das wollen wir doch mal sehen, ob ich Ihnen das nicht verbieten kann«, sagte er und packte mich beim Kragen. Er drehte seine Hand, um besseren Halt zu haben, und schob mich voran» Ich flog so schnell in den Flur hinaus, daß ich kaum Zeit fand, den Arm auszustrecken und nicht einfach gegen die Wand zu hauen. Hinter mir knallte die Tür ins Schloß, und der Schlüssel wurde umgedreht. Polizisten sind nun mal nicht anders. Hätte ich versucht, mich dünnezumachen, hätte er mich ’reingezerrt und gründlich ausgefragt. Daß ich grob wurde und hartnäckig darauf bestand, mit dabeizusein, hatte zur Folge, daß ich ’rausflog und ungeschoren blieb. Er hatte gezeigt, wer er war, hatte seine Autorität als Polizeibeamter bewiesen und dem steuerzahlenden Untertan gezeigt, wo er hingehörte. Was eigentlich passiert war, wußte ich nicht, aber Sandra Birks’ Wink hatte mir genug gesagt. Man brauchte mich nicht erst mit der Nase draufzustoßen. Ich ging zum Lift und fuhr nach unten. Bei jedem Atemzug taten mir die Rippen weh, und der Rausschmiß durch den Polizeibeamten war für meine Schmerzen auch nicht gerade Balsam gewesen.

Der Streifenwagen wartete vor dem Haus. Der andere Beamte hörte die Radiomeldungen darin an. Er machte sich Notizen, als ich aus dem Haus trat, und warf mir einen prüfenden Blick zu. Aber das Radio plärrte gerade den Steckbrief eines Mannes, der aus irgendeinem Grunde gesucht wurde, und so ließ er mich passieren.

Ich bemühte mich, möglichst unbeteiligt bis zur nächsten Ecke zu schlendern, und trat ein- oder zweimal an den Straßenrand, als hielte ich nach einer Taxe Ausschau. Hinter mir hörte ich das Plärren des Polizeifunks und eine näselnde, monotone Stimme: »... etwa siebenunddreißig oder achtunddreißig, Größe ein Meter fünfundachtzig, hundertachtzig Pfund, trägt grauen Filzhut mit breiter schwarzer Krempe... Hemd... Krawatte rot gepunktet. Zuletzt gesehen, als er vom Tatort fortrannte...«

Ich bog um die Ecke. Ein Taxi kam in Sicht, ich winkte ihm.

»Wohin?« fragte der Fahrer.

»Immer geradeaus«, antwortete ich, »bis ich Ihnen Bescheid sage.«

Wir waren schon ein ganzes Stück gefahren, als mir plötzlich einfiel, daß ich ja nicht einen Cent bei mir hatte. Bis zu Bertha Cools Wohnung würde es etwa fünfundsechzig Cent kosten, rechnete ich. Ich gab ihm die Adresse und ließ mich in die Polster zurücksinken.

»Warten Sie hier«, sagte ich, als ich ausstieg. Ich ging zur Haustür und suchte Bertha Cools Namen auf dem Klingelschild. Dann drückte ich auf den Knopf. Ich war auf einige peinliche Augenblicke gefaßt, sollte Bertha Cool etwa nicht zu Hause sein.

Zu meiner Erleichterung ertönte aber fast augenblicklich der Summer. Ich drückte gegen die Tür und betrat den dunklen Hausflur. Ich tastete mich vor, fand einen Lichtschalter und entdeckte den Lift. Bertha Cool wohnte im fünften Stock, ich fand ihre Wohnungstür ohne Schwierigkeit. Das Licht brannte, ich klopfte, und sie öffnete selbst. Ihr Haar, vom Schlafen noch zerwühlt, hing ihr in Strähnen um das Gesicht. Ihr Gesicht wirkte aufgedunsen, aber über den prallen Fettpolstern blitzten mir ihre Augen wie harte, kalte Brillanten entgegen. Sie hatte einen seidenen Morgenrock um, dessen Ausschnitt die Wölbung ihres massigen Halses und einen Teil ihres gewaltigen Busens erkennen ließ.

»Fein sehen Sie aus«, begrüßte sie mich. »Wer hat Sie denn so zugerichtet? Kommen Sie ’rein.«

Sie schloß hinter mir die Tür. Es war eine Zweizimmerwohnung mit einer kleinen Küche hinter dem Wohnzimmer. Die Schlafzimmertür stand halb offen, man konnte das Bett sehen, die Bettdecke war zurückgeworfen, am Kopfende stand ein Tischchen mit einem Telefon darauf. Von einer Stuhllehne baumelten ein Paar Strümpfe, und ein undefinierbarer Haufen von Kleidungsstücken war auf ihr hängengeblieben, der wohl auf einem anderen Stuhl hatte landen sollen. Die Luft im Wohnzimmer war dick, es stank nach kaltem Tabakrauch. Bertha ging zum Fenster und riß es auf, dann blickte sie mich scharf an und sagte: »Was ist los? Vom Lastwagen überfahren worden?«

»Ein paar Schweinehunde haben mich verprügelt, und außerdem hat mich die Polizei ’rumgestoßen«, antwortete ich.

»Was-Sie nicht sagen!«

»Jawohl!«

»Schön. Warten Sie, bis ich meine Zigaretten gefunden habe. Wo sind denn die verdammten Biester? Als ich ins Bett ging, hatte ich doch noch ein ganzes Päckchen voll.«

»Da nebenan liegen sie, auf dem Sessel am Bett«, sagte ich.

Sie sah mich scharf an und meinte: »Sie wissen hier ja schon ganz gut Bescheid, mein Herr.«

Dann ließ sie sich in einen schweren Polstersessel fallen und fuhr gelassen fort: »Gehn Sie mal eben ’rein, und holen Sie sie mir, Donald, aber quasseln Sie nicht eher los, als bis ich ein paar anständige Züge intus habe.«

Ich holte die Zigaretten, gab ihr Feuer, und als sie dann auf einen Fußschemel deutete, schob ich ihn heran. Sie nahm die Füße hoch, schlenkerte ihre Pantoffeln weg, räkelte sich so lange hin und her, bis sie endlich bequem saß, lehnte sich behaglich zurück und sagte: »Also, nun los.«

Ich erzählte ihr alles, was ich wußte.

»Warum haben Sie mich nicht angerufen, ehe Sie zu Bett gingen? Sie hätten mir gleich Bescheid geben müssen.«

»Aber da lebte er ja noch«, erwiderte ich, »ich habe den Anruf doch erst...«

»Ach was, der Mord«, unterbrach sie mich, »der interessiert mich überhaupt nicht, damit soll sich die Polizei amüsieren. Nein, diese andere Sache mit den Kerls, die Sie entführt haben und die gern mit Morgan Birks Verbindung haben wollten, die scheint mir äußerst lukrativ auszusehen. Da haben Sie sich was entgehen lassen. Sie...« Das Telefon klingelte. Bertha seufzte.

»Donald, holen Sie mir das Telefon, ziehen Sie den Stecker dort ’raus, und hier wieder ’rein damit. Die Verbindungsschnur ist lang genug. Schnell, ehe die einhängen.«

Ich sauste ins Schlafzimmer, verfolgte die Strippe, zog den Stecker ’raus, reichte Mrs. Cool den Hörer und schloß das Telefon im Wohnzimmer wieder an. Sie nahm den Hörer ans Ohr, sagte: »Hier Bertha Cool« und wartete.

Das Zwinkern in ihren Augen verriet, daß ihr das Gespräch Vergnügen bereitete.

»Und was soll ich dabei tun?« fragte sie schließlich.

Das Geräusch ging wieder los; dann sagte Bertha Cool: »Fünfhundert Dollar Anzahlung; später will ich dann wahrscheinlich noch mehr. Garantieren tue ich für nichts... Dann müssen Sie es sich eben besorgen, Kleine... Safes interessieren mich nicht, die werden sowieso gesperrt... Gut, Kleine. Fünfzig Dollar gehen in Ordnung bis morgen... Nein, nein, ich laß ihn nicht ’raus... Richtig, besser, ich komme nicht sofort, lassen wir erst mal die Polizei abziehen, hat keinen Zweck, sie zu ärgern. Wie spät ist es denn jetzt... Aha, sagen wir also in ein

bis anderthalb Stunden. Warten Sie dort auf mich, falls Sie nicht mit auf die Wache müssen. Aber das wird wohl nicht passieren.«

Sie legte auf und lächelte zufrieden.

»Sandra Birks«, sagte sie.

»Sie sollen wahrscheinlich den Tod ihres Mannes aufklären?«

»Ich soll mich um Alma Hunter kümmern, sie wird verhaftet.«

»Die sind ja wohl wahnsinnig!« rief ich. »Wo er versucht hat, sie zu erwürgen!«

»Mal langsam«, fiel sie mir ins Wort. »Morgan Birks ist nämlich von hinten erschossen worden.«

»Von hinten?« schrie ich.

»Jawohl, von hinten. Er wollte wohl durch die Tür entkommen, als er getroffen wurde. Die Kugel ist glatt durch ihn durch und dann in der Tür steckengeblieben. Nach der Kugelbahn im Körper hat man seine Position rekonstruiert, und die Polizei nimmt an, daß er die Klinke schon in der Hand hatte und den Raum verlassen wollte, als ihn der Schuß traf.«

»Na und? Was hat der Kerl überhaupt in ihrem Zimmer zu suchen gehabt? Was wollte er da?«

»Vermutlich einen Schluck Wasser oder was weiß ich; jedenfalls hat die Polizei nicht viel übrig für Frauen, die Männer von hinten erschießen und dann auch noch behaupten, sie seien angegriffen worden.«

»Es war doch dunkel im Zimmer.«

»Und er wollte ’raus.«

»Die Nacht davor hat er versucht, sie zu erwürgen.«

»Er?«

»Jawohl.«

»Erzählen Sie mal.«

Ich berichtete. Sie hörte aufmerksam zu, dann fragte sie: »Woher will sie wissen, daß das Morgan Birks war, der sie zu erwürgen versucht hat?«

»Das liegt doch klar auf der Hand«, behauptete ich.

»Es gehört mehr dazu, die Polizei von etwas zu überzeugen«, erwiderte sie. »Seien Sie mal so nett, Donald, und rufen Sie die Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge an. Melden Sie sich als Cools Detektivbüro, und lassen Sie sich angeben, wem 5 N 1525 und 5 M 1525 gehören. Ich ziehe mich inzwischen an.«

Sie drückte ihre Zigarette aus, stieß noch voller Behagen eine

letzte Rauchwolke in die Luft, erhob sich ächzend aus dem Sessel und ruderte auf das Schlafzimmer zu, wobei sie den Morgenrock unterwegs bereits auszog. Die Tür machte sie gar nicht erst zu. Indessen hörte sie meinem Telefongespräch mit der Polizeistelle zu, daß die Nummer 5 N 1525 unter dem Namen George Salisbery, Main Street 938, Centerville, zugelassen war und daß 5 M 1525 unter dem Namen William D. Cunweather, Willoughby Drive 907, lief.

Nachdem ich Namen und Adressen notiert und den Hörer aufgelegt hatte, rief Mrs. Cool aus dem Schlafzimmer: »Dieser Salisbery wird nicht viel sein, aber die andere Adresse klingt mir ganz verheißungsvoll. Was meinen Sie, Donald?«

»Möglich. Das Haus machte ganz den Eindruck, als ob es in die Gegend hineinpassen könnte.«

»Bestellen Sie ein Taxi.«

»Meines wartet noch.«

»Sind Taxis Ihr gewöhnliches Beförderungsmittel«, erkundigte sie sich, »oder haben Sie sich vielleicht eingebildet, dieses hier ginge über Spesen?«

Ich fuhr hoch: »Worauf Sie sich verlassen können!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ich war gespannt, ob sie jetzt explodieren und mich hinausschmeißen oder es einstecken würde.

»Also schön«, sagte sie in ihrer mütterlichen Art, »wir können ’runtergehen und Ihr Taxi nehmen. Ich werde mir den Betrag auf dem Zähler notieren und ihn von Ihrem Gehalt abziehen. Los.«