5

 

Es war fünf Minuten vor zwölf, als ich das Büro betrat. Ein Schild an der Tür verkündete, daß keine weiteren Bewerbungen berücksichtigt würden. Trotzdem kamen immer noch Männer auf das Inserat. Zwei standen gerade vor der Tür und lasen das Schild, als ich ankam. Sie drehten sich um und gingen mit dem trägen, entschlußlosen Tritt von Soldaten nach verlorener Schlacht an mir vorüber.

Elsie Brand war mit ihrer Tipperei fertig, sie saß an ihrem Schreibtisch, dessen oberste linke Schublade herausgezogen war. Sie schob sie zu, als ich die Tür öffnete.

»Was ist los?« fragte ich. »Dürfen Sie zwischendurch nicht mal in einer Illustrierten blättern?«

Sie musterte mich von oben bis unten, dann zog sie die Schublade langsam wieder heraus und las weiter. Wie ich sah, war es ein Filmmagazin.

»Vielleicht sind Sie so gut und klingeln unsere hohe Chefin mal an und lassen sie wissen, Agent dreizehn sei im Vorzimmer und wolle gern Bericht erstatten«, schlug ich vor.

Sie sah von ihrem Magazin auf. »Mrs. Cool ist zu Tisch.«

»Wann kommt sie zurück?«

»Um zwölf.«

Ich beugte mich über ihren Schreibtisch. »Unter diesen Umranden hab’ ich also noch fünf Minuten Zeit. Möchten Sie sich lieber mit mir unterhalten oder weiterlesen?«

»Lohnt sich eine Unterhaltung mit Ihnen überhaupt?«

Ich sah sie an und sagte: »Nein.«

Einen Augenblick blitzte es humorvoll in ihren Augen, »Lohnende Unterhaltungen langweilen mich nämlich«, eröffnete sie mir. »Das da in der Schublade ist ein Filmmagazin; ich habe weder >Die Zitadelle< noch >Vom Winde verweht< noch sonst jemals ein lohnendes Buch gelesen und habe das auch nicht vor. Worüber hatten Sie sich mit mir unterhalten wollen?«

»Also, wie wär’s, wenn wir gleich mit Mrs. Cool anfangen. Wann geht sie immer zum Essen?«

»Um elf.«

»Und kommt um zwölf zurück? Und Sie gehen um zwölf und kommen um eins wieder?«

»Richtig.«

Ich sah, daß sie älter war, als ich sie zuerst geschätzt hatte. Anfangs hatte ich auf Ende Zwanzig getippt, jetzt kam sie mir eher wie Mitte Dreißig vor. Sie pflegte zwar ihr Gesicht und achtete auf ihre Figur, aber es gab doch manches unverkennbare Fältchen am Hals, und die Linien unter ihrem Kinn, so schwach sie waren, ließen doch auf mehr schließen als die sieben- oder achtundzwanzig Jahre, die ich ihr anfangs zugebilligt hatte.

»Alma Hunter wartet unten im Wagen auf mich«, sagte ich, »wenn Mrs. Cool vielleicht nicht pünktlich zurückkommen wird, laufe ich besser ’runter und sage Bescheid.«

»Sie kommt pünktlich zurück«, versicherte mir Elsie Brand, »auf jeden Fall nicht später als zwei oder drei Minuten nach zwölf. Eins muß man Bertha Cool lassen, sie hält darauf, daß man pünktlich zu seinen Mahlzeiten kommt und läßt einen nie sitzen.«

»Sie scheint mir eine Persönlichkeit zu sein«, sagte ich.

»Das kann man wohl sagen!«

»Wie ist sie denn an diesen Detektivberuf gekommen?«

»Als ihr Mann starb.«

»Es gibt doch viele andere Dinge, womit eine Frau sich ernähren kann«, faselte ich.

»Als da sind?«

»Nun, sie hätte zum Beispiel als Mannequin arbeiten können. Wie lange sind Sie schon bei ihr tätig?«

»Von Anfang an.«

»Und wie lange ist das her?«

»Kannten Sie sie schon, ehe ihr Mann starb?«

»Ich war die Sekretärin ihres Mannes«, sagte sie, »Bertha hat mir die Stelle bei ihm besorgt. Sie...«

Elsie Brand brach ab, denn draußen wurden Schritte vernehmbar. Kurz darauf zeichnete sich auf der Milchglasscheibe der Eingangstür ein Schatten ab, und Bertha Cool rauschte majestätisch herein. »Okay, Elsie«, sagte sie, »Sie können jetzt gehen. Und Sie, Donald, was wollen Sie hier?«

»Ich möchte Bericht erstatten.«

»Kommen Sie ’rein.«

Sie schritt auf ihr Privatbüro zu, in gerader Haltung, während Busen und Hüften unter ihrem weiten, dünnen Kleid elastisch hin und her wogten.

»Setzen Sie sich!« befahl sie. »Haben Sie ihn ausfindig gemacht?«

»Den Mann noch nicht, aber ich habe mit ihrem Bruder gesprochen.«

»Dann also los, suchen Sie ihn!«

»Das tue ich ja auch.«

»Und ob Sie das tun. Können Sie gut rechnen?«

»Worum handelt sich’s?«

»Ich habe eine Pauschale für sieben Tage Arbeit bekommen. Wenn Sie sieben Tage brauchen, hab’ ich hundertfünfzig Dollar. Wenn Sie nur einen Tag brauchen, hab’ ich auch hundertfünfzig Dollar. Wenn Sie den Fall heute noch hinkriegen, kann ich sechs Arbeitstage von Ihnen einem andern Klienten andrehen. Rechnen Sie das mal durch, dann wissen Sie, was das bedeutet. Wenn Sie sich hier im Büro ’rumdrücken, können Sie die Vorladung nicht zustellen. Also marsch los und die verdammte Ladung überbracht!«

»Ich kam vorbei, um Bericht zu erstatten.«

»Ich pfeife auf Berichte. Resultate will ich.«

»Vielleicht brauche ich Hilfe.«

»Wofür?«

»Ich muß ein Mädchen beobachten. Ich habe Morgan Birks Freundin ausfindig gemacht, und ich muß ihr irgend etwas vorerzählen, daß sie sofort zu Morgan rennt, und dann muß ich sie verfolgen.«

»Und was hindert Sie daran?«

»Ich habe mir einen Wagen besorgt, Miss Hunter fährt mich.«

»Gut, lassen Sie sie fahren. Noch etwas«, fuhr sie fort »sobald Sie Morgan Birks gefunden haben, rufen Sie Sandra an.«

»Das könnte uns die Zustellung vermasseln.«

Sie lächelte. »Deswegen machen Sie sich mal keine Sorgen. Es ist ja alles bezahlt!«

»Ich könnte sonstwie in die Bredouille kommen. Die Leute sind mir nicht ganz geheuer. Sandras Bruder deutete mir an, daß viel mehr für Birks spricht als für seine Schwester.«

»Wir werden nicht bezahlt, um Partei zu ergreifen, sondern wir werden bezahlt, um die Vorladung zuzustellen.«

»Das ist mir schon klar, aber vielleicht gibt’s Scherereien. Geben Sie mir doch irgendwas, womit ich mich ausweisen kann, daß ich für Ihre Agentur arbeite.«

Sie sah mich kurz an, dann öffnete sie ihre Schreibtischschublade, nahm ein Formular und füllte es mit meinem Namen, meinem Alter und mit meiner Personalbeschreibung aus. Sie unterschrieb es und hielt es mir hin.

»Und dann vielleicht auch noch eine Pistole.«

»Nein.«

»Ich kann doch in Druck kommen.«

»I wo!«

»Und wenn?«

»Dann gebrauchen Sie Ihre Fäuste.«

»Eine Pistole ist viel wirksamer.«

»Kann auch mal zu wirksam werden. Sie haben Kriminalromane gelesen.«

»Wie Sie wollen«, sagte ich, »Sie haben zu bestimmen«, und ging nach der Tür.

»Halt mal, kommen Sie noch mal zurück. Ich will Ihnen noch was sagen, wo Sie schon mal hier sind.«

Ich kehrte um.

»Ich weiß jetzt genau, was mit Ihnen los ist, Donald«, sagte sie mit mütterlicher Stimme. »Sie haben sich verraten, als Sie heute früh die Gerichtspapiere überflogen. Ich hab’ sofort gesehen, daß Sie Jura studiert haben. Sie sind noch jung, und Sie haben Schwierigkeiten gehabt. Sie haben nicht versucht, bei einem Anwalt anzukommen, und als ich Sie nach Ihrer Ausbildung fragte, haben Sie Ihre juristische Tätigkeit unterschlagen.«

Ich gab mir alle Mühe, keine Miene zu verziehen.

»Donald«, fuhr sie fort, »ich kenne Ihren richtigen Namen und weiß genau, was mit Ihnen los war. Sie waren als Anwalt zugelassen und sind disqualifiziert worden wegen Verstoßes gegen die Berufsethik.«

»Ich bin nicht disqualifiziert worden«, erwiderte ich, »und ich habe nicht gegen die Berufsethik verstoßen.«

»Im Bericht des Beschwerdeausschusses steht das aber.«

»Der Beschwerdeausschuß ist nichts als ein Haufen von Pedanten und Pharisäern. Ich hab’ ein bißchen zuviel geredet, mehr nicht.«

»Worüber, Donald?«

»Bei der Bearbeitung eines Falles kam ich mit dem Klienten auf das Gesetz zu sprechen. Ich behauptete, es gäbe kein Gesetz, das man nicht straflos übertreten könne, man müsse es nur richtig anpacken.«

»Alter Schnee«, bemerkte sie. »Das weiß doch jeder.«

»Das schlimmste ist nur, ich ließ es dabei nicht bewenden«, gestand ich. »Ich hab’ Ihnen schon mal gesagt, daß ich ein raffinierter Tüftler bin. Kenntnisse sind für mich nur dann etwas wert, wenn man sie auch auszunutzen versteht. Ich habe mir eine ganze Menge juristischer Tricks ausgeknobelt; und ich wüßte etwas mit ihnen anzufangen.«

»Erzählen Sie weiter«, sagte sie offensichtlich interessiert. »Was passierte dann?«

»Ich habe diesem Mann also erzählt, es sei möglich, einen Mord zu begehen, ohne daß jemand das geringste unternehmen könne. Er bestritt das. Ich wurde wütend und bot ihm eine Wette um fünfhundert Dollar an, daß ich recht hätte und es beweisen könnte. Er erklärte sich bereit, sowie ich den Betrag vorweisen könnte. Wir verabredeten uns auf den nächsten Tag. In der Nacht wurde er verhaftet. Wie sich herausstellte, war er ein Gangster minderer Sorte. Er quasselte ohne Ende bei der Polizei. Unter anderem erzählte er auch, daß ich mich bereit erklärt hätte, ihm zu verraten, wie er einen Mord begehen könne, ohne überführt zu werden. Daß er mir fünfhundert Dollar für diesen Tip zahlen sollte und daß er geplant hätte, gegebenenfalls einen Gangsterrivalen auf diese Tour um die Ecke zu bringen.«

»Weiter?«

»Die Anwaltskammer war sofort hinter mir her. Sie entzogen mir auf ein Jahr meine Zulassung. Sie sagten, ich sei ein Winkeladvokat. Ich erklärte ihnen, es hätte sich um eine rein juristische Wette gehandelt. Wie die Dinge lagen, glaubten sie mir das aber nicht. Natürlich konnten sie ja auch gar nicht anders, denn nach ihrer Auffassung durfte man einfach keinen Mord begehen und straffrei dabei ausgehen können.«

»Geht das denn wirklich, Donald?«

»Klar.«

»Und Sie wissen, wie?«

»Ja. Ich habe Ihnen ja gesagt, das ist ein Hobby von mir, ich baldowere gerne Sachen aus.«

»In Ihrem Kopf haben Sie also sozusagen einen Plan fertig, wie ich jemanden umbringen kann, ohne daß mir das Gesetz an den Kragen kann?«

»Jawohl!«

»Sie meinen, wenn ich nur gerissen genug wäre, mich nicht schnappen zu lassen?«

»Keine Spur, nichts dergleichen. Sie müßten sich mir restlos anvertrauen und genau tun, was ich Ihnen sage.«

»Sei meinen nicht etwa die alte Geschichte mit der Leiche, die man nicht finden kann und ohne die der Staatsanwalt machtlos ist?«

»Das ist Humbug«, antwortete ich. »Ich rede hier von einem Loch im Gesetz, das man sich zunutze machen kann, wenn man einen Mord begangen hat.«

»Das müssen Sie mir verraten, Donald.«

Ich lachte. »Vergessen Sie nicht, daß mir das Reden schon einmal übel bekommen ist.«

»Wann ist das Jahr um?«

»War schon vor zwei Monaten um.«

»Warum arbeiten Sie dann nicht wieder als Anwalt?«

»Ein Büro kostet Geld, man braucht Möbel, Gesetzbücher, und man muß auf Klienten warten können.«

»Könnten Sie denn nicht in einem Anwaltsbüro Arbeit bekommen?«

»Völlig aussichtslos.«

»Was wollen Sie denn dann mit all Ihren juristischen Kenntnissen anfangen, Donald?«

»Vorladungen zustellen«, sagte ich; damit drehte ich mich auf dem Absatz um und ging ins Vorzimmer. Elsie Brand war zum Essen gegangen.

Unten wartete Alma Hunter im Wagen. »Ich mußte inzwischen bei einem Verkehrspolizisten meinen ganzen Sex-Appeal spielen lassen«, sagte sie.

»Recht so«, antwortete ich. »Wir wollen jetzt zu den Milestone Apartments fahren, ich will mir diese Sally Durke mal vorknöpfen.«

Sie drehte sich um nach dem Verkehr hinter mir. Als sich ihr Hals aus dem hohen Kragen der Seidenbluse reckte, fiel mein Blick wieder auf die merkwürdigen dunklen Flecken, diese Spuren, die ein Daumen und Finger an ihrem Hals hinterlassen hatten. Ich sagte aber nichts. Ich hatte reichlich genug mit meinen eigenen Gedanken zu tun.

Sie fädelte den Wagen geschickt in den Verkehrsstrom ein, und bald kamen wir bei den Milestone Apartments an.

»’ran an den Speck«, sagte ich.

»Hals- und Beinbruch!« erwiderte sie lächelnd.

»Danke.«

Ich ging über die Straße, las die Namen an den Klingelschildern neben der Tür durch und drückte bei Durke auf den Knopf. Ich überlegte, was ein gewiegter Detektiv wohl tun würde, wenn Miss Durke nicht zu Hause wäre. Ehe ich zu einem Ergebnis gekommen war, tat mir der Summer jedoch kund, daß sie zu Hause war und Besucher ohne vorheriges Palaver durch den Sprechapparat annahm. Ich stieß die Tür auf und ging einen Korridor entlang, auf dem es nicht sehr gut roch. Ein schwacher Lichtschimmer verriet mir den Lift, ich drückte auf den Knopf und schoß nach oben.

Als ich gerade an die Tür von 314 klopfen wollte, wurde diese von einem Mädchen in dunkelblauem seidenem Pyjama geöffnet.

»Was wünschen Sie?«

Das Mädchen war blond; wie mir schien, war das Blond künstlich. Sie war noch unter Dreißig, ihre Figur wölbte sich mir m üppigen Kurven unter der Seide ihres Pyjamas entgegen.

»Was wünschen Sie denn?« wiederholte sie ungeduldig.

Diese Stimme war das einzige an ihr, was der Weichheit entbehrte.

»Ich möchte ’reinkommen.«

»Warum?«

»Ich möchte Sie sprechen.«

»Also bitte.«

Sie war gerade dabei, ihre Fingernägel zu polieren. Das Kissen lag auf einem Tisch neben der Couch. Sie setzte sich bequem ln> nahm das Polierkissen wieder zur Hand, betrachtete kritisch ihre Fingernägel und fragte, ohne aufzublicken: »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin Detektiv«, klärte ich sie auf.

Jäh blickte sie zu mir hin. Einen Augenblick malte sich Schrecken in ihren Zügen, dann fing sie an zu lachen. Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, wurde sie ernst und fragte: »Sie? Tatsächlich?«

Ich nickte.

»Ansehen kann man Ihnen das aber gar nicht«, bemerkte sie, als ob sie die Wirkung ihres Lachens abschwächen wolle.

»Sie sehen aus wie ein furchtbar netter Junge mit Idealen und einer guten Mutter. Ich hoffe, ich habe Sie mit meinem Lachen nicht gekränkt.«

»Nein. Daran bin ich gewöhnt.«

»Prima. Sie sind also Detektiv. Weiter!«

»Ich arbeite für Sandra Birks. Sagt Ihnen das was?«

Sie bearbeitete unentwegt ihre Nägel, offensichtlich nur von dem einen Interesse beseelt, diesen den gewünschten leuchtenden Glanz zu verleihen.

»Was hat denn Sandra Birks damit zu tun?« fragte sie schließlich.

»Möglicherweise eine ganze Menge.«

»Ich kenne die Dame nicht.«

»Sie ist die Frau von Morgan Birks.«

»Wer ist Morgan Birks?«

»Lesen Sie nicht die Zeitung?«

»Und wenn schon. Was habe ich damit zu tun?«

»Wissen Sie«, sagte ich, »Mrs. Birks könnte ziemlich unangenehm werden, wenn sie es darauf anlegte.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Sie wissen ganz gut darüber Bescheid!«

»Woher, wenn ich fragen darf?«

»Sie brauchen nur Ihr Gewissen zu fragen.«

Sie sah mich an und lachte heiser. »Ich habe keins. Das habe ich schon vor langer Zeit über Bord geworfen.«

»Mrs. Birks könnte Sie vors Gericht zerren, wenn sie wollte.«

»Aus welchem Grunde?«

»Auf Grund dessen, daß Sie intime Beziehungen mit ihrem Mann haben.«

»Setzen Sie da nicht eine Menge voraus?«

»Weiß ich nicht. Tu ich das?« »Also schießen Sie los. Ich höre zu... eine Zeitlang.«

»Ich führe ja nur meinen Auftrag aus.«

»Nämlich?«

»Morgan Birks Papiere zuzustellen.«

»Was für Papiere?«

»Scheidungsklage.«

»Warum kommen Sie dann zu mir?«

»Weil Sie vermutlich sagen können, wo er ist.«

»Da haben Sie sich geirrt.«

»Wenn Sie’s könnten, würde das nicht Ihr Schaden sein.«

Ihre Augen leuchteten interessiert auf. »Wieviel?«

»Vielleicht ’ne ganze Menge. Kommt drauf an.«

»Worauf?«

»Was Mrs. Birks dabei ’rausholt.«

»Danke, kein Interesse! Diese blöde Gans? Nicht einen Cent wird sie sehen.«

»Ihre Scheidungsklage klingt aber gar nicht danach.«

»Zu einer Scheidung gehört mehr als die Klage. Man braucht ein Gerichtsurteil. Mrs. Birks ist eine von diesen Heuchelkatzen, die in Ehrbarkeit machen. Sie betrügt Morgan seit dem Tag ihrer Hochzeit. Wenn Morgan nur die Hälfte von dem auspacken würde, was er von ihr weiß... Aber Sie wollten ja reden. Ich bin ganz Ohr.«

»Mrs. Birks kann ihre Scheidung durchsetzen.«

»So?«

»Sie wissen das ganz genau«, sagte ich. »Und wenn sie Lust dazu hat, kann sie auch Sie mit reinziehen, Beweise hat sie genug. Sie wird Sie ganz so behandeln, wie Sie sie behandeln.«

»Also so liegen die Dinge«, antwortete sie. Sie legte den Polierkasten hin und sah mich an.

»Richtig!« antwortete ich.

Sie seufzte. »Und Sie machten einen so netten Eindruck! Wie ^är s mit ’nem Schnaps?«

»Danke. Ich trinke nicht, wenn ich arbeite.«

»Arbeiten Sie denn jetzt?«

»Ja.«

»Sie tun mir leid.«

»Das können Sie sich sparen.«

»Womit droht sie eigentlich?«

»Droht?«

»Ja.«

»Sie droht überhaupt nicht. Ich bin es, der Ihnen lediglich Ihre Lage klarmacht.«

»Aus reiner Freundschaft natürlich«, sagte sie sarkastisch.

»So ist es!«

»Wollen Sie mir dann bitte mal genau sagen, was Sie von mir erwarten?«

»Sie sollen Morgan Birks dazu bringen, diese Vorladung freiwillig zu akzeptieren, oder aber mir helfen, ihn zu stellen. Schließlich ist es ja auch in Ihrem Interesse, wenn die Scheidung durchgeht, nicht wahr?«

»Das weiß ich nicht«, entgegnete sie und machte ein besorgtes Gesicht. »Ich wollte, ich wüßte es.«

Ich schwieg.

»Was soll ich denn tun, daß Sie die Papiere zustellen können?«

»Sie verabreden sich hier mit Morgan Birks«, sagte ich. »Dann rufen Sie B. L. Cool an, Main 6-9321. Ich komme dann her und stell ihm die Papiere zu.«

»Und wann kriege ich mein Geld?«

»Sie kriegen überhaupt nichts.«

Sie warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. »So, mein Lieber, ich wollte Ihnen nur mal auf den Zahn fühlen. Jetzt weiß ich Bescheid. Scheren Sie sich zum Teufel! Sagen Sie Ihrer Mrs. Birks, sie soll sich einsalzen lassen. Und wenn sie mich in ihre Scheidung ’reinziehen will, dann soll sie sich erst mal über ihren süßen Archie Holoman äußern. Fragen Sie sie, ob sie glaubt, ihr Mann sei ganz von allen guten Geistern verlassen.«

Sie lachte noch, als ich schon auf dem Korridor war.

Ich ging zum Wagen zurück. »Haben Sie mit ihr gesprochen?« fragte Alma.

»Und ob!«

»Wie ist sie denn?«

»Wasserstoffblond«, antwortete ich.

»Was hat sie gesagt?«

»Ich soll ihr den Buckel ’runterrutschen!«

»Wollten Sie das denn nicht hören?«

»In gewisser Beziehung, ja.«

»Ich dachte wirklich, darauf hätten Sie’s abgesehen. Sie sollte Sie doch an die Luft setzen und dann zu Morgan hinleiten.«

»So hatten wir uns die Sache ja wohl gedacht.«

»Was hat Ihnen denn dann an ihr so mißfallen?«

»Es gibt Dinge bei meiner Detektivarbeit, die mir nicht behagen. Als Detektiv muß man wahrscheinlich eine Art Prolet sein können. Jedenfalls schien sie das zu denken.«

Alma Hunter sagte lange nichts. Schließlich fragte sie: »Hat sie Sie selbst auch davon überzeugt?«

»Ja«, antwortete ich und kletterte zu ihr in den Wagen.

»Wir stellen uns wohl am besten dort in die Seitenstraße. Wir sehen von dort genausogut und fallen nicht so auf.«

Sie fuhr bis zur Seitenstraße und rückwärts in diese hinein. An einer schattigen Stelle hielt sie an. »I wo, Sie sind kein Prolet«, sagte sie. »Sie sind ein netter Kerl.«

»Sehr liebenswürdig gesagt«, antwortete ich. »Aber das genügt nicht, den schalen Geschmack wird man deshalb doch nicht los.«

»Was hatten Sie sich denn unter Ihrer Arbeit vorgestellt?«

»Ich wußte nicht, daß ich mir überhaupt was darunter vorgestellt hätte.«

»Hat Sie nicht vielleicht die Romantik und das Abenteuerliche daran gereizt?«

»Mich hat lediglich die Aussicht auf zwei Mahlzeiten pro Tag und ein Dach über dem Kopf gereizt. Als ich auf das Inserat antwortete, wußte ich noch nicht mal, um was für eine Art Arbeit es sich handelte, und mir war das auch ziemlich Wurst!«

Sie legte mir die Hand auf den Arm. »Nicht bitter werden, Don. So schlimm, wie Sie glauben, ist es ja gar nicht. Diese Durke ist eine ganz abgefeimte Person, sie will Morgan lediglich ausnehmen, sonst macht sie sich überhaupt nichts aus ihm.«

»Weiß ich«, sagte ich, »aber mir gefällt das gar nicht, hier en Proleten spielen zu sollen. Nicht, daß ich Ihnen hier was vorwinseln will. Es behagt mir nur einfach nicht, mehr ist nicht darüber zu sagen.«

»Sonst ist es Ihnen aber gelungen?«

»Ich glaube sogar, recht gut.«

Sie lachte, aber ihr Lachen kam mir nicht ganz geheuer vor. k »Sie führen so sonderbare Reden, Donald, wahrscheinlich das von Ihrer Lebensauffassung. Verraten Sie mir doch, was Ihnen zugestoßen ist, daß Sie sich so mit Gott und der Welt überworfen haben.«

»Um Himmels willen! Mach’ ich den Eindruck?«

»In gewisser Weise, ja.«

»Ich werde mir Mühe geben, mich zu ändern.«

»Mal ehrlich, Don, hab’ ich nicht recht?«

»Ich habe ziemliches Pech gehabt«, erwiderte ich. »Hat man sich jahrelang abgeschuftet, um es zu was zu bringen, alle möglichen Hindernisse überwunden, schließlich auch erreicht, was man wollte, und dann muß man es sich von jemand aus der Hand schlagen lassen... Da wird man dann so.«

»War es eine Frau, Don?«

»Nein.«

»Wollen Sie es mir erzählen?«

»Nein.«

Sie blickte versonnen durch die Windschutzscheibe, ihre Finger spielten an meinem Ärmel herum.

»Sie waren natürlich enttäuscht, als Sie entdeckten, daß ich gar kein erfahrener Detektiv bin«, sagte ich.

»Hab’ ich den Eindruck gemacht?«

»Ja... Warum waren Sie enttäuscht?«

»Ich bin mir dessen gar nicht bewußt geworden.«

Ich setzte mich so, daß ich ihr Profil sehen konnte.

»Vielleicht weil Sie jemand zu erwürgen versucht hat und Sie gern meinen Rat und meine Hilfe wollten.«

Ihr Gesicht verzerrte sich krampfhaft, ihr Blick wurde unruhig, unwillkürlich griff sie sich an die Kehle, als wolle sie sie vor meinem prüfenden Auge verbergen.

»Wer hat Sie erwürgen wollen, Alma?« fragte ich.

Ihre Lippen zitterten, Tränen schimmerten in ihren Augen. Ich legte den Arm um sie und zog sie an mich. Sie lehnte den Kopf an meine Schulter und weinte, es war ein gequältes Schluchzen, das den zerrütteten Zustand ihrer Nerven verriet. Ich faßte ihr mit der linken Hand unter das Kinn und streichelte mit der rechten ihren Arm.

»Nicht... nicht«, schluchzte sie; ich sah ihr in die angsterfüllten tränenüberfluteten Augen, ihre Lippen bebten mir leicht geöffnet entgegen.

Ich hatte nicht die Absicht, sie zu küssen, ich merkte nur, wie sich meine Lippen auf ihren Mund gepreßt hatten. Dann drehte sie sich ganz zu mir hin und hielt mich fest umklammert. Nach ein paar Augenblicken lösten sich unsere Lippen wieder.

Sie lag regungslos in meinem Arm, ohne jeden Widerstand' Das Schluchzen hatte nachgelassen.

»Wann ist das passiert, Alma?«

»Gestern abend.«

»Wie kam es und wer war’s?«

Sie preßte sich an mich, ich fühlte, wie sie zitterte.

»Armes Kind«, sagte ich und küßte sie wieder.

So saßen wir eine Zeitlang, hielten uns fest umschlungen und küßten uns. Alle Bitterkeit, meine ganze Nervosität waren verschwunden, ich haßte die Welt nicht mehr. Ein Gefühl tiefer Ruhe erfüllte mich. Es war nicht Leidenschaft, von der Art waren unsere Küsse nicht. Wie sie eigentlich waren, hätte ich auch nicht sagen können, ich hatte so etwas noch nicht erlebt, sie machten einen neuen Menschen aus mir.

Sie hörte auf zu weinen, befreite sich aus meinen Armen und stieß einen leisen Seufzer aus, sie nahm ein kleines Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Ich sehe sicher schandbar aus«, sagte sie und betrachtete sich in ihrem Taschenspiegel. »Ist Sally Durke schon herausgekommen?«

Diese Frage riß mich mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück. Ich blickte durch die Windschutzscheibe zum Eingang des Wohnblocks hinüber. Beängstigend ruhig und einsam lag er da, ein Dutzend Sally Durkes hätten inzwischen herauskommen und fortgehen können, ohne daß ich auch nur das geringste gemerkt hätte.

»Sie wird doch nicht etwa schon fort sein?« fragte Alma.

»Ich weiß es nicht, hoffentlich nicht!«

Sie lachte ein wenig heiser. »Hoffentlich nicht!« wiederholte sie. »Mir ist aber entschieden besser. Ich... Ich habe es gern, wenn du mich küßt, Donald.«

Ich wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Es war mir, als sah ich, als hörte ich sie zum erstenmal. Kleine rhythmische Schwingungen in ihrer Stimme, kleine Nuancen im Ausdruck - alles das kam mir jetzt zum erstenmal zum Bewußtsein. Ich mußte vor den Kopf geschlagen gewesen sein, aß ich das nicht eher entdeckt hatte. Stundenlang war ich mit

r zusammen gewesen, und trotzdem sah ich sie erst jetzt zum erstenmal mit Bewußtsein.

Sie schien sich wieder völlig in der Gewalt zu haben, machte ihr Make-up zurecht und zog sich mit der Fingerspitze die Lippen nach.

Noch einmal setzte ich zum Sprechen an und brachte nichts heraus. Ich wußte nicht einmal, was ich hatte sagen wollen. Es war, als wolle man singen, hätte aber nicht die Stimme dazu.

Ich beobachtete jetzt den Wohnblock wieder und versuchte, mich auf Sally Durke zu konzentrieren. Hätte ich doch nur eine Möglichkeit gehabt, festzustellen, ob sie inzwischen ausgegangen war. Ich wollte schon zurückgehen und nochmals an ihrer Tür klingeln. Dann hätte ich zwar gewußt, was los war, aber mir fiel nichts ein, was ich ihr hätte sagen können, wenn sie aufgemacht hätte; sie würde dann sofort wissen, daß ich ihr nachspionierte oder mich jedenfalls noch in der Nachbarschaft herumtrieb.

»Willst du mir jetzt die Geschichte erzählen?« fragte ich Alma.

»Ja«, antwortete sie. Kurz darauf sagte sie noch: »Ich habe solche Angst, Donald. Ich glaube, ich bin eine richtige dumme Göre.«

»Wovor hast du denn Angst?«

»Ich weiß es nicht.«

»Glaubst du nicht, daß durch die Rückkehr von Sandras Bruder manches anders werden wird?«

»Nein - oder eigentlich sollte ich das nicht sagen... Ich weiß es einfach nicht.«

»Was weist du von ihm, Alma?«

»Nicht viel. Wenn Sandra ihn erwähnt, sagt sie nur immer, daß sie sich nicht besonders verstehen.«

»Du meinst, in letzter Zeit?«

»Ich glaube.«

»Was sagt sie denn über ihn?«

»Nur, daß er ein sonderbarer Mensch ist und sehr eigenwillig; die Tatsache, daß Sandra seine Schwester ist, ist ihm völlig unwichtig.«

»Und trotzdem, als sie Hilfe brauchte, wandte sie sich an ihn?«

»Das weiß ich nicht. Ich glaube eher, daß er zu ihr gekommen ist. Er hat sie, glaube ich, von irgendwoher angerufen, genau weiß ich das nicht. Da kommt mir übrigens ein Gedanke. Hör mal, Donald, hälst du es für möglich, daß er Morgans Partner ist?«

»Wie? In dieser Spielautomatensache?«

»Ja.«

»Möglich ist alles. Wie kommst du darauf?«

»Ich weiß nicht... So, wie er sich benimmt, und von einer Bemerkung, die Sandra fallenließ, und... Als du bei ihm im Zimmer warst, habe ich einen Teil der Unterhaltung mitgekriegt, nicht alles, aber hier und da ein paar Worte, und die haben mir die Idee eingegeben.«

»Morgen ist ein verheirateter Mann, gegen den ein Scheidungsprozeß läuft. Die Vorladung wird ihm zugestellt, und dann muß er entweder vor Gericht erscheinen, oder aber er erscheint nicht, dann verliert er so und wird geschieden. Warum sich also noch lange den Kopf darüber zerbrechen?«

»Weil ich nicht glaube, daß man ihn so einfach loswerden wird, ich bin davon überzeugt, daß er gefährlich ist.«

»Aha, damit kommen wir endlich zu dem Punkt, über den ich mit dir reden wollte.«

»Was ist das?«

»Diese Stellen an deinem Hals.«

»Oh, mit denen hat er nichts zu tun.«

»Dann erzähl jetzt mal. Wer war es?«

»Ein... ein... Einbrecher.«

»Wo war das?«

»In die Wohnung ist jemand eingebrochen.«

»Wann?«

»Letzte Nacht.«

»Wart ihr beiden Mädchen allein?«

»Ja.«

»Wo war Sandra?«

»Sie schlief in dem andern Zimmer.«

»Und du schliefst in dem Zimmer mit dem Doppelbett?«

»Ja.«

»Sandra schlief in dem Zimmer, wo Bleatie jetzt ist?«

»Ja.«

»Und weiter?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ach, ich sollte dir das überhaupt nicht erzählen. Ich habe Sandra versprochen, niemand etwas davon zu sagen.«

»Warum all die Geheimniskrämerei?«

»Weil sie ohnehin schon genug Unannehmlichkeiten mit der Polizei hat. Sie suchen doch Morgan und kommen zu jeder Tages- und Nachtzeit angerückt, um die unmöglichsten Fragen zu stellen. Es ist furchtbar lästig.«

»Kann ich mir vorstellen, aber das ist noch lange kein Grund, daß man dich würgt.«

»Ich hab’ ihn ja vertrieben.«

»Jetzt erzähl mal den ganzen Hergang.«

»Es war eine furchtbare heiße Nacht, ich hatte nur sehr wenig an. Plötzlich wachte ich auf und merkte, wie ein Mann sich über mein Bett beugte. Ich fuhr hoch und schrie. Der Mann packte mich am Hals, und ich trat um mich. Ich versetzte ihm einen Tritt gegen den Leib, stemmte dann meine Knie gegen seine Schultern und stieß ihn zurück. Wäre ich nur eine Sekunde später erwacht und er etwas näher an mich ’rangekommen, hätte er mich bestimmt erwürgt. Dadurch, daß ich meine Knie hochbekam, konnte ich um mich treten und mich schließlich befreien.«

»Und dann?«

»Dann rannte er weg.«

»Wohin?«

»’rüber ins Nebenzimmer.«

»Was geschah weiter?«

»Dann weckte ich Sandra. Wir machten Licht und durchsuchten die Wohnung. Alles war in bester Ordnung.«

»Konntet ihr feststellen, wie er ’reingekommen war?«

»Er muß über die Feuerleiter gekommen sein, denn die Haustür war verschlossen.«

»Hatte der Mann einen Mantel an?« fragte ich.

»Das kann ich nicht sagen, ich konnte ihn nicht sehen.«

»Aber fühlen konntest du das doch.«

»Nun ja, in etwa schon.«

»Und gesehen hast du überhaupt nichts von ihm? Du würdest ihn also nicht wiedererkennen?«

»Nein. Es war eine zu dunkle Nacht.«

»Jetzt will ich dir mal was sagen, Alma: Du bist sehr aufgeregt. Diese Sache hat mehr auf sich, als du mich wissen lassen willst. Warum gibst du mir keine Möglichkeit, dir zu helfen?«

»Nein«, erwiderte sie. »Ich kann nicht... Ich meine, da ist nichts anderes... Ich habe dir nichts verheimlicht.«

Ich lehnte mich zurück und rauchte schweigend eine Zigarette. Nach einer Weile sagte sie: »Du bist also doch ein richtiger Detektiv, nicht wahr? Ich meine, mit Lizenz?«

»Klar!«

»Und du darfst eine Waffe tragen?«

»Ich denke doch.«

»Könntest du... Könntest du mir eine Pistole besorgen?«

»Wozu?«

»Als Schutz.«

»Warum eine Pistole?«

»Warum keine Pistole? Mein Gott, wach du mal mitten in der Nacht auf und jemand beugt sich über dein Bett und packt dich plötzlich an der Kehle...«

»Dann glaubst du also, es wird noch mal passieren?«

»Das weiß ich nicht, aber ich will bei Sandra bleiben. Ich glaube, ihr droht Gefahr.«

»Was für eine Gefahr?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, jemand will sie umbringen.«

»Wieso sie?«

»Weil ich nämlich in ihrem Bett schlief.«

»Ihr Mann vielleicht?«

»Das glaube ich nicht, oder... Er kann es auch gewesen sein.«

»Geh weg aus dieser Wohnung«, sagte ich, »miete dir anderswo ein Zimmer und...«

»Nein, das kann ich nicht. Sie ist meine Freundin. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Sie hat mich auch nicht im Stich gelassen.«

»Tatsächlich?«

»Ja.«

»Ihr Bruder sagt, sie denkt nur an sich, sie...«

»Stimmt gar nicht«, unterbrach sie mich. »Was weiß denn ihr Bruder schon von ihr? Der Lümmel hat sich nie im geringsten um sie gekümmert. In den letzten fünf Jahren hat er ihr, soviel 'eh weiß, nicht einmal geschrieben.«

»Er scheint aber genau über sie Bescheid zu wissen.«

»Deshalb gerade nehme ich an, daß er mit Morgan unter einer Decke steckt. Morgan hat ihm diese Ideen sicher in den Kopf gesetzt. Morgan hat mit ihm über sie gesprochen und sie furchtbar bei ihm schlechtgemacht, sie sei mannstoll und habe immer neue Männer am Bändel und all solches Zeug, das kein anständiger Mann über seine Frau sagt, am allerwenigsten über seine eigene.«

»Sehr glücklich war diese Ehe wohl nicht?«

»Natürlich nicht. Aber das ist noch lange kein Grund, die Frau, der er Liebe und Treue geschworen hat, überall zu verleumden... Manchmal können einen die Männer tatsächlich anwidern.«

»Ich möchte noch einmal auf dein Interesse an Mrs. Cools ehelichen Abenteuern zu sprechen kommen. Woher kommt das?«

»Was willst du damit sagen?«

»Du warst so auffallend daran interessiert.«

»Es war doch auch interessant genug.«

»Doppelt interessant natürlich für jemanden, der sich selbst mit Heiratsgedanken trägt.«

»Oder davor wegläuft«, erwiderte sie und lächelte mich an.

»Tust du das etwa?«

Sie nickte.

»Magst du darüber sprechen?«

Sie zögerte kurz, dann sagte sie: »Nein, Donald, ich möchte lieber nicht - oder jedenfalls nicht gerade jetzt.«

»Aus Kansas City?«

»Ja. Einer von diesen krankhaft eifersüchtigen Männern, die immer nur nach einer Gelegenheit suchen, sich zu betrinken und dann alles kaputtschlagen.«

»Laß ihn doch fahren«, sagte ich. »Ich kenne diese Brüder, sie sind alle gleich. Sie sind fanatisch darauf aus, eine Frau restlos zu besitzen. Vermutlich wollte er dir weismachen, er sei nur deshalb so eifersüchtig, weil du nicht sein angetrautes Eheweib bist und er dich nicht so lieben und beschützen darf, wie er gern möchte... Wenn du nur erst seine Frau wärst, würde er ja nicht mehr so sein, und wenn du dann nicht willst, geht er los und betrinkt sich. Dann kommt er zurück, macht eine neue Szene und schlägt alles kurz und klein...«

»Das klingt ja, als ob du ihn kenntest«, fiel sie mir ins Wort.

»Stimmt, wenn auch nicht das Individuum, so doch den Typ.«

»Und du rätst mir, Schluß zu machen?«

»Ganz entschieden! Wenn ein Mann seine Charakterstärke sich und anderen nur dadurch beweisen kann, daß er Geschirr zertöppert, anstatt den eigenen Fehlern zu Leibe zu gehen, dann gibt man ihm am besten den Laufpaß.«

»Seine Spezialität sind Gläser in den Bars.«

»Du willst ihn doch nicht heiraten?«

»Nein.«

»Ist er in Kansas City?«

»Ja… Das heißt, er war da, als ich von dort fortging. Wenn er wüßte, wo ich bin, würde er mir folgen.«

»Und dann?«

»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich würde es wieder Scherben geben!«

»Solche Männer sind eine Plage«, sagte ich, »jedes Mittel ist ihnen recht, wenn sie nur ihr Geltungsbedürfnis befriedigen können.«

»Ich weiß«, antwortete sie, »man kann das ja täglich in der Zeitung lesen, diese Männer, die ihren Frauen nachspüren, sie über den Haufen schießen und sich selber hinterher dazu - die letzte, jämmerliche Geste der Schwächlinge. Ich hasse das, und es ist mir auch unheimlich.«

Ich blickte sie scharf an. »Und deshalb möchtest du die Pistole haben?«

Sie sah mir ins Auge. »Ja«, antwortete sie.

»Willst du eine kaufen?«

»Ja, natürlich.«

»Hast du das Geld dazu?«

»Ja.«

»Sie wird ungefähr fünfundzwanzig Dollar kosten.«

Sie machte ihre Tasche auf, nahm zwei Zehn- und eine Fünfdollarnote heraus und gab sie mir.

»Ich kann sie nicht gleich besorgen«, sagte ich zu ihr, »weil wir auf die Durke aufpassen müssen. Ich möchte bloß wissen, warum Bleatie so überzeugt war, daß sie zu Morgan gehen würde. Das Nächstliegende wäre doch, einfach mit ihm zu telefonieren.«

»Wahrscheinlich wird ihre Leitung überwacht«, meinte Alma.

»Ach was, die Polizei weiß ja gar nichts von ihr. Wenn sie Bescheid wüßte, würde sie sie beobachten.«

»Wahrscheinlich glaubt sie aber, ihr Telefon werde übergeht, oder vielleicht fürchtet Morgan das.«

»Das will mir nicht einleuchten«, antwortete ich, »aber schließlich muß ja im Leben nicht immer alles... Pst, da kommt sie!«

Sally Durke kam mit einem Köfferchen bewaffnet aus der Haustür. Sie hatte ein elegantes blaues Kostüm an; der Rock war ziemlich kurz und ließ ein paar Beine sehen, die allein schon lohnten, daß man sich nach ihr umdrehte. Sie trug ein keckes blaues Hütchen mit einer schicken gleichfarbigen Samtschleife schräg an den Kopf geschmiegt, ihr goldblondes Haar hob sich licht und weich gegen die dunkle Farbe ab.

»Warum soll das Blond nicht echt sein?« fragte Alma und ließ den Motor an.

»Ich weiß nicht, der Ton der Farbe - er ist mir irgendwie zu...«

»Von hier sieht das Haar echt aus.«

»Es liegt mir fern, mich über die weibliche Schönheit mit einer Expertin zu streiten«, erwiderte ich. »Vorsicht, daß du nicht zu nahe ’rankommst. Sie geht in Richtung Boulevard. Laß ihr genug Vorsprung, daß sie sich nicht umsieht und uns bemerkt. Das würde sie sofort mißtrauisch machen.«

»Ich wollte in die Straße einbiegen und erst mal abwarten, was sie unternimmt.«

»Kluges Kind! Soll ich fahren?«

»Wenn du magst, gern. Ich bin ziemlich nervös.«

»Einverstanden. Komm, wir tauschen.«

Sie hob sich vom Steuer über mich hinweg, und ich rutschte unter ihr durch. Dann trat ich auf die Kupplung, legte den Gang ein und ließ den Wagen ganz langsam am Gehsteig entlangrollen.

Sally Durke ging bis zur nächsten Ecke und winkte dort ein Taxi heran. Ich trat auf das Gas und bog etwa fünfzehn Meter hinter dem Taxi in den Boulevard ein. Dann blieb ich nach und nach wieder zurück, um festzustellen, ob sie sich umschaute.

Sie tat es aber nicht. Man konnte ihren Kopf deutlich in’ Rückfenster des Taxis erkennen.

»Scheint ja ganz glatt zu gehen«, sagte ich und holte langsam wieder auf. Das Taxi rollte gemächlich dahin, man hatte nicht den Eindruck, als wolle es einen Verfolger abschütteln. Schließ' lieh bog es an der Sechzehnten Straße links ein und fuhr zuH1 Hotel Perkins. Kein Parkplatz war in Sicht.

»Jetzt mußt du wieder ’ran«, sagte ich zu Alma. »Setz dich ans Steuer und fahr immer um den Block. Ich will gleich ’reif’ sobald sie sich eingetragen hat, und sehen, welches Zimmer sie bekommen hat. Ich lasse ihr nur Zeit, aus der Hotelhalle zu verschwinden, dann geht’s los.«

»Donald«, sagte Alma, »ich möchte aber mit dabeisein.«

»Du bist ja dabei.«

»Das meine ich nicht. Ich möchte alles bis zum Ende miterleben. Was hast du jetzt vor?«

»Feststellen, welches Zimmer sie hat und mir dann möglichst eins genau gegenüber geben lassen.«

»Ich möchte bei dir bleiben.«

»Kommt nicht in Frage«, antwortete ich. »Tut mir leid, aber das ist ausgeschlossen. In den besseren Hotels wird man recht ungemütlich, wenn ein Mann Frauen mit aufs Zimmer nimmt. Die Pagen würden außerdem sofort zu erpressen versuchen und...«

»Ach, Unsinn! Sei doch nicht so ängstlich, trag uns einfach als Ehepaar ein. Was für einen Namen willst du angeben?«

»Donald Helforth.«

»Fein. Ich bin Mrs. Helforth. Ich komme später nach.«

»Los!«

Ich ging ins Hotel. Sally Durke war nirgends zu sehen. Ich nahm den Portier beiseite und weihte ihn in mein Vorhaben ein: »Vor etwa zwei Minuten ist eine blonde Frau in einem blauen Kostüm hereingekommen. Ich möchte gern wissen, unter welchem Namen sie sich eingetragen hat, welches Zimmer sie bekommen hat und welche Zimmer in ihrer Nähe noch frei sind. Ich möchte nach Möglichkeit gern auf dem gleichen Korridor ein Zimmer daneben haben.«

»Was soll das alles?« wollte er wissen.

Ich zog eine Fünfdollarnote aus der Tasche, faltete sie, wickelte sie um meinen Zeigefinger und sagte: »Ich bin hier im Auftrag der Regierung, um würdigen Hotelangestellten zu einer höheren Einkommensstufe zu verhelfen, damit Vater Staat mehr Steuern einheimsen kann.«

»Der Regierung stehe ich jederzeit zur Verfügung«, antwortete er grinsend, »einen Augenblick!«

Ich setzte mich in die Halle, bis er mit den Auskünften zurückkam. »Der Name lautete Mrs. B. F. Morgan, und sie hat Zimmer Nr. 618. In Kürze soll auch ihr Mann kommen. Das einzige freie Zimmer in diesem Flügel des Hotels ist 620; Mrs. Morgan hat im Lauf des Tages 618 telefonisch reservieren lassen, dabei gesagt, daß sie 620 vielleicht ebenfalls benötigen werde, und die Direktion gebeten, beide Zimmer freizuhalten. Bei ihrer Ankunft erklärte sie dann jedoch, sie habe sich wegen anders besonnen und brauche nur 618.«

»Ich bin Donald Helforth«, sagte ich. »Meine Frau wird in fünf bis zehn Minuten nachkommen; sie ist etwa fünfundzwanzig und hat kastanienbraunes Haar und braune Augen. Halten Sie bitte nach ihr Ausschau und führen Sie sie dann zu mir aufs Zimmer.«

»Ihre Frau?« fragte er.

»Jawohl, meine Frau.«

»Aha.«

»Und noch was. Ich brauche eine Pistole.«

Der freundliche Ausdruck in seinen Augen verschwand. »Was für eine Pistole?«

»Eine kleine, die man hübsch in die Tasche stecken kann. Und dazu eine Schachtel Patronen.«

»Man braucht einen Waffenschein, wenn man eine Pistole kaufen will«, bemerkte er.

»Richtig, und wenn ich einen Waffenschein habe, dann kaufe ich meine Pistole in einem Laden und zahle fünfzehn Dollar dafür«, antwortete ich. »Warum, glauben Sie wohl, bin ich bereit, fünfundzwanzig Eier für sie anzulegen?«

»So, Sie wollen fünfundzwanzig Dollar für sie bezahlen?«

»Wie ich bereits sagte.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Ich ließ ihn den Empfangschef gar nicht erst warnen, sondern ging gleich hin und meldete mich an. Der Angestellte gab mir das Formular. Ich schrieb: »Donald Helforth mit Frau« und gab eine fingierte Adresse an.

»Ein Zimmer für etwa sieben Dollar, Mr. Helforth?«

»Was haben Sie im sechsten Stock noch frei? Wir möchten nicht zu hoch wohnen, andererseits hoch genug über dem Verkehrslärm, damit wir nicht jede Straßenbahn hören.«

Er sah auf seinen Plan. »Ich könnte Ihnen 675 geben.«

»In welchem Flügel ist das?«

»Nach Osten.«

»Was haben Sie im westlichen frei?«

»Ich kann Ihnen 605 oder 620 geben.«

»Dann bitte 620.«

»Doppelzimmer mit Bad. Der Preis ist siebeneinhalb.«

»Können Sie es mir nicht für sieben geben?«

Er musterte mich und erklärte dann, er werde mir entgegenkommen.

»Ausgezeichnet«, sagte ich. »Meine Frau kommt später mit dem Gepäck, ich will die Rechnung gleich bezahlen.«

Ich gab ihm das Geld, erhielt eine Quittung und fuhr mit dem portier zu meinem Zimmer hinauf. »Für fünfundzwanzig Dollar kriegt man keine neue Pistole«, erklärte er.

»Wer hat denn was von einer neuen Pistole gesagt? Besorgen Sie eine gebrauchte. Mehr als fünfundzwanzig geb’ ich nicht aus, beschubsen Sie mich nicht zu sehr dabei, mindestens fünfzehn muß sie kosten.«

»Ich mache mich doch strafbar dabei«, meinte er.

»Keine Rede!«

»Wieso nicht?«

Ich zog den Ausweis von Mrs. Cool hervor.

»Ich bin Privatdetektiv«, erklärte ich.

Er las ihn, und der fragende Ausdruck verschwand alsbald von seinem Gesicht.

»Jawohl, mein Herr, ich werde sehen, was sich machen läßt.«

»Und bitte etwas plötzlich«, ermahnte ich ihn. »Aber warten Sie, bis meine Frau da ist. Sie soll sofort ’raufgeführt werden.«

»In Ordnung«, sagte er und verschwand.

Ich sah mich im Zimmer um. Es war ein normales Doppelzimmer in einem normalen Hotel. Ich ging in das Badezimmer. Es hatte zwei Türen, so daß 618 und 620 als Flucht benutzt werden konnten, mit dem Bad dazwischen. Ich drückte leise und behutsam die Klinke an der Verbindungstür. Die Tür war verschlossen. Ich horchte und hörte, wie jemand sich im Nebenzimmer bewegte. Ich ging ans Telefon und rief Sandra Birks an. »Alles scheint gut zu laufen«, sagte ich zu ihr. »Ich bin ihr zum Hotel Perkins gefolgt. Sie wohnt im Zimmer 618 unter dem Namen Morgan. Bei ihrer Ankunft hat sie gesagt, ihr Mann werde nachkommen. Alma und ich haben Zimmer 620 als Mr. und Mrs. Helforth.«

»Als Mr. und Mrs.?« fragte Sandra hörbar erstaunt.

»Ja. Alma wollte unbedingt dabeisein.«

»Wobei?«

»Bei der Zustellung der Scheidungspapiere.«

»Und ich, damit Sie es wissen, möchte ebenfalls dabeisein. Bedaure, Ihre Flitterwochen unterbrechen zu müssen, aber Bleatie und ich kommen auch gleich.«

»Seien Sie doch vernünftig!« widersprach ich. »Wenn Morgan Birks sich vielleicht in der Nähe des Hotels ’rumtreibt und Sie hier vorfahren sieht, ist alles verdorben, und wir kriegen ihn nie nieder zu fassen.«

»Darüber bin ich mir im klaren«, antwortete sie. »Ich werde vorsichtig sein.«

»Das können Sie gar nicht, weil Sie nicht wissen, ob Sie ihm nicht vielleicht schon in der Halle, im Lift oder auf dem Korridor in die Arme laufen.«

»Sie hätten Alma nicht mit in Ihr Zimmer nehmen dürfen«, sagte Sandra Birks würdevoll. »Das kann nämlich unter Umständen vor Gericht mit zur Sprache kommen, Mr. Lam.«

»Unsinn! Ich stelle ja nur die Papiere zu«, erwiderte ich.

»Sie verstehen gar nicht, was ich meine«, säuselte sie. »Alma kann es sich nicht leisten, in die Zeitung zu kommen. Bleatie und ich machen uns jetzt auf den Weg. Bis gleich!«

Ich legte den Hörer auf, zog meinen Rock aus, wusch mir Gesicht und Hände, ließ mich auf einen Stuhl nieder und zündete mir eine Zigarette an. Es klopfte. Ehe ich noch Zeit hatte aufzustehen, öffnete der Portier die Tür.

»Bitte schön, Mrs. Helforth.«

Alma kam herein und sagte betont harmlos: »Tag, Liebling! Ich hab’ schnell erst den Wagen weggebracht. Es werden noch ein paar Pakete für mich abgegeben.«

Ich wandte mich dem Portier zu, dem man anmerkte, daß ihn Almas tapsiger Versuch, die Ehefrau zu spielen, höchst amüsierte.

»Ich erwarte noch ein paar Leute«, sagte ich. »Sie müssen in zehn bis fünfzehn Minuten hiersein. Ich möchte die Pistole haben, ehe sie kommen.«

»Ich muß dann etwas Geld haben.«

Ich gab ihm die beiden Zehner und den Fünfer.

»Beeilen Sie sich«, sagte ich zu ihm, »und vergessen Sie die Patronen nicht. Lassen Sie sich alles in Packpapier einwickeln, und geben Sie mir das Paket persönlich. Hauen Sie ab!«

»Bin gleich wieder da«, sagte er und flitzte zur Tür hinaus.

»Von welcher Pistole sprichst du... Ist es die, welche du für mich besorgen wolltest?« fragte Alma.

»Ja. Sandra und Bleatie sind unterwegs hierher. Deine Freundin Sandra scheint zu meinen, daß ich deinen guten Ruf rettungslos ruiniert habe, indem ich dich hier mit hineingezogen habe. Vor allem, daß du mit in meinem Zimmer wohnst.«

Alma lachte. »Die gute Sandra«, sagte sie. »Immer so ängstlich auf meinen Ruf bedacht, während sie selbst...«

»Während sie selbst was?« warf ich ein, als sie auf einmal

zögerte.

»Nichts«, murmelte sie.

»Also bitte, heraus mit der Sprache!«

»Es ist nichts. Wirklich nichts. Ich wollte wirklich nichts sagen-«

»Ich möchte gern wissen«, erwiderte ich, »was ist mit Sandra?«

»Es ist völlig unwichtig.«

»Auf jeden Fall möchte ich mir, ehe sie kommen, deinen Hals noch mal ansehen.«

»Meinen Hals?«

»Ja, diese Druckstellen. Ich möchte etwas feststellen.«

Ich ging auf sie zu, legte meinen Arm um ihre Schulter und griff nach den Seidenschlaufen am Kragen ihrer Bluse.

»Nicht, nicht, bitte nicht...«, bat sie. Sie versuchte, mich wegzustoßen, ich ließ aber die Schlaufen über die Knöpfe gleiten und streifte die Bluse etwas zurück. Sie legte den Kopf nach hinten, ihre Lippen näherten sich den meinen. Ich schloß sie in meine Arme. Nach einer Weile machte sie sich frei.

»Oh, Donald«, flüsterte sie, »was mußt du jetzt bloß von mir denken!«

»Daß du ein wunderbares Mädchen bist«, entgegnete ich.

»Donald, ich tue so was sonst nie. Ich war nur so schrecklich einsam, so ganz allein... Und vom ersten Augenblick an...«

Ich küßte sie wieder. Danach streifte ich behutsam die Bluse von ihrem Hals zurück und sah mir die dunklen Stellen an. Sie hielt ganz brav still, und ich hörte ihre ruhigen, regelmäßigen Atemzüge, nur ihre Halsschlagader klopfte heftig.

»Wie groß war der Mann, der dich erwürgen wollte?«

»Ich weiß nicht, ich hab’ doch gesagt, es war dunkel.«

»War er groß und dick oder klein und mager?«

»Dick war er nicht.«

»Er muß ziemlich kleine Hände gehabt haben.«

»Ich weiß einfach nicht.«

»Hör mal, da sind lauter kleine Kratzer auf der Haut, wie v°n Fingernägeln; bist du ganz sicher, daß es nicht vielleicht eine Frau war?«

Sie hielt erschrocken den Atem an. »Kratzer?« fragte sie.

»Jawohl! Kratzer von Fingernägeln. Die Person, die dich ge-

würgt hat, muß lange, spitze Fingernägel gehabt haben. Also, warum soll es nicht eine Frau gewesen sein?«

»Weil ich... Nein, ich glaube bestimmt, es war ein Mann.«

»Aber du konntest doch gar nichts sehen.«

»Nein.«

»Es war stockfinster?«

»Ja.«

»Und, wer immer es war, er hat keinen Laut von sich gegeben?«

»Nein.«

»Einfach nur so drauflosgewürgt, und du hast ihn dann abgeschüttelt?«

»Ja. Ich habe ihn zurückgestoßen.«

»Und du hast absolut keine Ahnung, wer es war?«

»Nein.«

»Keinerlei Spuren oder so?«

»Nein.«

Ich streichelte ihre Schulter. »Gut, mein Kind, das wollte ich nur gern wissen.«

»Ich... Ich möchte mich hinsetzen; wenn ich davon spreche, werde ich ganz nervös.«

Damit ließ sie sich in den Sessel fallen.

»Jetzt erzähl mir mal von deinem Freund«, sagte ich zu ihr.

»Er ist in Kansas City.«

»Du glaubst aber nicht, daß er dort bleiben wird?«

»Wenn er herauskriegt, wo ich bin, kommt er vielleicht her.«

»Meinst du nicht, er weiß das längst?«

»Nein, das kann er gar nicht.«

»Und doch glaubst du, daß vielleicht er...«

»Donald, bitte«, unterbrach sie mich. »Ich halt’s nicht mehr aus!«

»Gut, gut«, sagte ich. »Ich laß dich auch in Ruhe. Knöpf dir mal fix die Bluse zu. Sandra und Bleatie können jeden Augenblick erscheinen.«

Sie tat, was ich ihr sagte, ihre Finger zitterten dabei.

Die Nachmittagssonne flutete ins Zimmer und verbreitete eine heiße, schwüle Atmosphäre. Kein Lüftchen regte sich, und die offenen Fenster schienen die Hitze noch anzusaugen, die die Wände der Häuser ausstrahlten.

Der Portier klopfte an und übergab mir ein braun eingewickeltes Paket. »Hier, mein Freund. Jetzt machen Sie nur keine

Sachen mit dem Ding! Es ist eine gute Pistole. Ich mußte das Blaue vom Himmel lügen, damit der alte Moses sie herausrückte.«

Ich bedankte mich und schloß die Tür. Dann riß ich das Papier auf, und eine stahlblaue Browningpistole kam zutage. Ihre Farbe war stellenweise abgegriffen, aber der Lauf war noch in guter Verfassung. Ich öffnete die Schachtel mit den Patronen, füllte das Magazin und fragte Alma Hunter: »Weißt du, wie man damit umgeht?«

»Nein.«

»Dies hier ist die Sicherung, die man mit dem Daumen bedient«, erklärte ich ihr. »Du brauchst die Pistole also nur in die Hand zu nehmen, diesen kleinen Hebel ’runterzuschieben und abzudrücken. Hast du mich verstanden?«

»Ich glaube, ja.«

»Dann wollen wir mal sehen.« Ich nahm das Magazin heraus, dann spannte ich die Pistole, sicherte und reichte sie ihr.

»So, erschieß mich mal!« sagte ich zu ihr.

»Donald, so etwas darf man überhaupt nicht sagen.« Sie nahm die Pistole in die Hand.

»Los jetzt, ziel und schieß auf mich. Du mußt, ich will dich nämlich erwürgen. Los, Alma. Reiß dich zusammen. Zeig mal, daß du zielen und abdrücken kannst.«

Sie zielte und versuchte abzudrücken. Die Haut über ihren Knöcheln wurde weiß, aber sonst passierte nichts.

»Entsichern!« rief ich.

Sie schob mit dem Daumen die Sicherung nach unten. Ich hörte den Bolzen mit einem Klick gegen die Patronenkammer schlagen, dann sank sie auf das Bett, als versagten ihr die Knie, die Pistole entglitt den kraftlosen Fingern und fiel auf den Teppich. Ich hob sie auf, schob das Magazin hinein und eine Patrone in den Lauf, dann überzeugte ich mich, daß gesichert war, nahm das Magazin noch einmal heraus und schob eine weitere Patrone für die im Lauf befindliche hinein. Darauf steckte ich sie in ihre Handtasche. Sie sah mir mit angstvoll faszinierten Blicken zu.

Ich wickelte die übrigen Patronen wieder ein und legte sie in die Schreibtischschulade. Dann setzte ich mich neben sie aufs Bett.

»Nun hör zu, Alma«, sagte ich, »diese Pistole ist jetzt geladen. Schieß auf niemanden, wenn du nicht unbedingt mußt. Sollte sich aber wieder jemand an deinem Hals zu schaffen machen, dann knall feste los. Du brauchst ja nicht gleich zu treffen, knall nur feste in die Gegend. Du wirst sehen, wie das hinhaut.«

Sie streckte sich auf dem Bett aus und schmiegte sich mit ihrem zarten, schlanken Körper wie ein verspieltes Kätzchen an mich.

Etwa eine Stunde war vergangen, da klopfte es mehrere Male. Ich öffnete. Vor der Tür standen Sandra Birks und ihr Bruder.

»Wo ist Alma?« fragte Sandra.

»Im Badezimmer«, antwortete ich, »sie kühlt sich die Augen. Sie ist nervös und aufgeregt, sie hat geweint.«

»Und ich darf annehmen«, sagte Sandra mit einem Blick auf das zerwühlte Bett, »daß Sie zu trösten verstanden.«

Bleatie starrte auf das Kissen. »Was denn sonst«, bemerkte er, »eine wie die andere.«

Sandra schnellte herum. »Halt du bloß den Mund, Bleatie, du mit deiner dreckigen Phantasie, anständige Frauen gibt’s für dich überhaupt nicht.«

»So? Woran hattest du denn gedacht?«

»Sind Sie Morgan Birks irgendwo begegnet?« erkundigte ich mich.

Sandra wechselte das Thema nur zu gern. »Nein«, sagte sie, »wir sind durch den hinteren Eingang ’reingekommen und haben den Portier bewogen, uns mit dem Gepäckaufzug ’raufzufahren.«

Dann kam Alma aus dem Badezimmer.

»Die? Geweint hat die bestimmt nicht«, bemerkte Bleatie.

Sandra hörte gar nicht hin.

»Was ist da in dem anderen Zimmer los?« fragte sie.

»Miss Sally Durke hat sich in eine Mrs. B. F. Morgan verwandelt«, erklärte ich. »Sie wartet auf Mr. Morgan, der wohl noch vor dem Abendessen eintreffen dürfte. Sie werden sich möglicherweise auf dem Zimmer servieren lassen.«

»Wir können diese Tür offenhalten und horchen«, schlug Sandra Birks vor.

»Sie scheinen keine allzu hohe Meinung von der Intelligenz Ihres Mannes zu haben«, sagte ich.

»Wieso?«

»Er bemerkt doch die offene Tür, ehe er halb durch den Korridor ist. Nein, wir horchen abwechselnd an der Badezimmertür. Wir hören, wenn er ankommt.«

»Ich habe eine viel bessere Idee«, sagte Bleatie. Er zog einen kleinen Bohrer aus der Tasche, schlich ins Badezimmer, horchte eine Minute und sagte: »Bei Türen bohrt man Löcher am besten in die Ecken der Türfüllung.«

»Tun Sie das Ding weg«, sagte ich, »Sie streuen nur Späne bei ihr auf den Fußboden und verraten alles.«

»Wissen Sie vielleicht etwas Besseres?« fragte er mich.

»Haufenweise. Ich sagte ja schon, wir horchen abwechselnd im Badezimmer. Sobald wir einen Mann drüben hereinkommen hören, gehe ich hinüber und stelle ihm die Papiere zu, wenn es Morgan Birks ist.«

»Werden Sie ihn nach den Fotos erkennen?« fragte Sandra.

»Jawohl, ich habe sie mir genau angesehen.«

»Wie wollen Sie denn hineinkommen?« fragte Bleatie.

»Ich rufe an, tue, als wäre ich jemand vom Büro, ein Telegramm für Mr. B. F. Morgan sei angekommen, und frage, ob ich es ’raufschicken soll.«

»Der Trick dürfte nicht hinhauen. Sie werden dadurch nur mißtrauisch und Ihnen sagen, Sie möchten das Telegramm unter der Tür durchstecken.«

»Keine Sorge. Kein Telegramm ohne Unterschrift im Postbuch. Das Buch kann ich nicht unter der Tür durchschieben. Ich werde tun, als ob ich es versuche.«

»Sie werden die Tür einen Spalt aufmachen, Sie erkennen und sie Ihnen wieder vor der Nase zuschlagen.«

»Das werden sie nicht, wenn sie mich in meinem Aufzug sehen«, erwiderte ich. »Ich gehe jetzt und besorge die Requisiten. Sie halten einstweilen die Stellung. Verlieren Sie nicht den Kopf, wenn Morgan inzwischen eintrifft. In einer halben Stunde bin ich zurück, so lange bleibt er bestimmt hier. Vergessen Sie nicht, sie hat doch ’nen kleinen Koffer mitgebracht.«

»Gefällt mir gar nicht«, sagte Bleatie, »das klingt mir alles viel zu primitiv.«

»Alles klingt primitiv, wenn man es so nüchtern darlegt«, erwiderte ich. »Wie man es hinzaubert, darauf kommt es an. Denken Sie doch nur, was es alles für Gaunertricks gibt. Man liest sie in der Zeitung und kann sich einfach nicht vorstellen, wie jemand darauf hereinfällt, und doch fallen die Idioten immer wieder darauf ’rein, Tag für Tag. Alles nur die Regie!«

»Und trotzdem kommt mir’s zu primitiv vor. Ich...«

Ich hielt es für sinnlos, noch lange mit ihm herumzustreiten. Deshalb ließ ich ihn stehen und machte mich davon.