4. Abschnitt
26. Juli – 16.12 Uhr
Mon amour,
heute habe ich den ganzen Tag frei für Regina. Sie sitzt augenblicklich in einem Café um die Ecke und liest. Ich gehe gleich mit Claudio raus, und dann wandern wir drei im Schlosspark herum. Danach rufe ich Dich an, um zu erfahren, ob Du mit in die Franzosenausstellung kommen willst. Um 18 Uhr treffen wir dann Marinchen in ihrer Kneipe Makom am Zionskirchplatz im Prenzlauer Berg, die Regina noch nicht gesehen hat und neugierig ist. Anschließend gehen wir in ›Clärchens Ballhaus‹, ein Ossilokal, von dem ich noch keine Vorstellung habe. Du bist mir bei beiden Unternehmungen willkommen.
Gestern waren wir zu müde, um noch auszugehen. So kam Sybille rüber und wir haben einen traumhaften Film auf DVD angesehen ›Toscas kiss‹. Sehr berührend und ebenso komisch. Verdi hat vor seinem Tod ein Seniorenheim ›Casa di Riposo‹ – molto elegante – für Musiker gestiftet, die ›weniger Glück im Leben hatten als ich‹. Rührend, ergreifend ist diese Bemerkung von ihm!
Es besteht noch heute. Die dort lebenden Künstler werden mit viel Liebe porträtiert.
Sei umarmt. Bis nachher.
Deine Eva
26. Juli – 23:21 Uhr
Amore,
ich habe vorhin eine Miniatur mit 256 Abbildungen aus dem Kamasutra bei eBay erstanden. Die besten werde ich vergrößern lassen, einrahmen und an die Wand meines Bettes hängen. Wir haben nun die Chance, wenn wir uns mal wieder langweilen, uns von diesen hinreißenden Darstellungen inspirieren zu lassen und neue halsbrecherische Stellungen bis zur Konzertreife einzuüben.
Du hast mehr Erfahrung gehabt und hattest mehr Liebhaber. Aber was bedeuten die vielen Liebhaber denn schon, wenn für Dich so vieles im Bett neu ist? Darüber bin ich sehr froh, denn es ist für mich doch ein Beweis, dass Du noch nie eine Beziehung in vergleichbarer Intensität und Vertrautheit erlebt hast.
Deshalb ist mir doch alles, was früher war, egal und trifft mich nicht. Hättest Du aber abgewogen und gesagt, hier bist Du etwas besser, dort waren die anderen besser, dann hätte mich der Zweifel zerfressen!
Was ist denn besonders an der letzten Liebesnacht mit der Dusche? Ich habe vor Monaten Dich und Dein Perlchen erst mit der Hand, dann mit der Zunge gestreichelt. Du hast das Gleiche mit meinem Max gemacht. Ich habe später Deinen Po in unser Liebesspiel mit einbezogen und Du nun meinen. Wir haben uns beide selbst entäußert und geöffnet, weil wir uns lieben, uns vertrauen und auch süchtig nacheinander sind. Ich hoffe, dass es noch viele neue Aspekte geben wird. Schließlich hast Du mir ja auch ein Buch geschenkt, damit unser Horizont sich erweitert, und wir uns immer weiter öffnen und ›selbst entäußern‹ können!
Du sagtest beim Spaziergang zu mir: »Du bist nun sexuell ›erweckt‹, aber Gefühle haben bei Dir eine weniger wichtige Bedeutung als bei mir.« Arroganter Schmarrn. Mehr kann man dazu nicht sagen. Ist es nur Peer, der Gefühle hat, oder nicht ebenso Solvejg?
Dann: »Ich habe das Gefühl, dass ich nicht mehr als Deine Erweckerin bin (vielleicht war das der tiefere Sinn unsrer Begegnung), dass ich alles mit Dir tue, was Dir und mir gefällt, Du das aber als etwas wahrnimmst, das Dich nun neu auszeichnet, worauf Du stolz bist, und nun mit anderen Frauen auch teilen kannst. So ist es ja auch. Warum also nicht? Ich vertraue Dir – trotz allen Liebesbekenntnissen – nicht ganz und gar, was Deine Liebe zu mir betrifft. Wir sind eben erst am Anfang und vieles muss sich erst noch bewähren. Was sind denn vier Monate?«
Ja, ich erfreue mich daran, von Dir erweckt worden zu sein. Du hast mir eine neue Seite des Lebensbuchs geöffnet. Aber Du hast mich doch für Dich erweckt. Und ich bin stolz darauf, dass ich nun nicht mehr – wie in der ersten Nacht – versage.
Ich bin auch stolz, dass ich noch lernfähig bin. Ich höre es auch gern, wenn Du auf meine Potenz anspielst. Ich habe großen Zweifel, dass es mit anderen Frauen genauso wäre. Vielleicht habe ich jetzt ›technisch‹ etwas drauf. Aber die gleiche Sehnsucht, die Potenz kann ich sicher nicht bei anderen Frauen entwickeln.
Du denkst (objektiv) falsch, aber was schlimmer ist, vor allem destruktiv. Nach einer so schönen Nacht zerstörst Du die Schönheit der Erinnerung, zumindest wirfst Du Schatten darauf. Und immer denkst Du nur an Dich. Warum kannst Du denn nicht an uns denken? Ich öffne mich Dir genauso wie Du Dich mir!
Deine Art, zu nehmen und – sicher großzügig – zu geben ist immer selbstbezogen. Wenn es nicht klappt, dann gehst Du eben weiter Deinen Weg. Ich könnte mir als Erklärung vorstellen, dass Künstler so sein müssen, wenn sie Kraft haben und sich durchsetzen wollen. Sei aber einfach ein bisschen mehr Mensch und Frau als immer nur Künstler, zumindest wenn Du nicht allein bist.
Der Tag wird kommen, an dem ich Angst vor Deinen nächtlichen Mails habe. Wenn wir uns sehen oder nur miteinander telefonieren, bist Du ganz anders als nachts, wenn Du allein bist und Gedanken von Misstrauen und Zweifel Dich zerfressen. Dann holst Du selbst witzig gemeinte, unsinnigste Bemerkungen als Beweis heran.
Evachen, mache es Dir und mir nicht so schwer. Was Du anstellst, ist keine tiefe Seelenanalyse oder ähnlich Bedeutungsvolles, sondern einfach Destruktion. Wir haben das Höchstmaß an Vertrautheit erreicht. Das ist doch wunderschön. Vertrauen müsstest Du doch auch nach vier Monaten gewonnen haben. Soll denn am Ende unserer Liebe stehen, dass das fehlende Vertrauen die schönste Liebesgeschichte der Welt zerstört?
Morgen werde ich bei einem türkischen Schneider den Stoff abgeben, den ich unter der Matratze des oberen Bettes befestigen werde. Ich hoffe, Du wirst, wenn Du Dein Bild auf diesem Stoff siehst – geht nur, wenn Du unten liegst -, bei meinem Stapelbett nicht mehr an Jugendherbergen und Kasernen in Moskau denken.
Was gibt es noch? Claudio schläft den Schlaf der Ungerechten, Verzweifelten und Unwissenden. Und nun gehe ich allein ins Bett, obwohl zahlreiche Tussis dieses gern mit mir teilen würden. Es gibt wenige Menschen, die soooooo dooof sind wie ich!
Schlaf gut! Ich freue mich, Dich morgen bei Dollinger zu sehen.
Dein Barone
27. Juli – 18:56 Uhr
Carissimo,
der Besuch meiner liebsten Freundin ist wunderbar, anstrengend sind das viele Reden und die ganzen Unternehmungen! Deshalb bin ich nun nicht mit in die Ausstellung gegangen. Man muss sich auch mal trennen und schweigen und etwas von einander erholen.
Morgen fliegt sie zurück, und wenn Du Zeit und Lust hast, können wir uns am Abend treffen. Das Ritual könnten wir beibehalten: Kochen, speisen, trinken und uns dann nach Herzenslust lieben. Du hast mir sehr gefehlt in den letzten Tagen.
Kuss
Deine Eva
PS: Amore, ich vergaß, Dir zu danken, dass Du meinen Claudio so liebevoll betreut hast, was ich hiermit nachhole.
Kuss
27. Juli – 19:26 Uhr
Mein Liebling,
Zuhören ist aber noch anstrengender als Reden, vor allem wenn man den ersten Satz nicht ausformulieren darf! Ich komme sehr gern morgen Abend. Ich habe richtig Lust, mal wieder gepflegt zu essen! Lass uns doch, nach den vielen Tagen der Abstinenz, einen richtig schönen Abend und eine noch schönere Nacht verbringen. Es regt sich schon wieder was bei mir, wenn ich an Dich alte Verführerin denke.
Küsschen
Dein Amore
27. Juli – 20:04 Uhr
Mein Liebling,
ich könnte mich über Spargel oder ein zartes Rinderfilet freuen. Ich kann augenblicklich allerdings nichts kaufen und hoffe, dass mein Geld reicht, bis ich die neue Karte benutzen kann.
Baci
Eva
27. Juli – 23:47 Uhr
Die Spargelzeit ist vorbei! Offizielles Ende war der 21.6.! Spargel kann ab Juli nur noch für nicht kulinarische Zwecke verwendet werden! War dies Dein Wunsch?
Mit einem lieben, sehr, sehr zärtlichen Gruß an Dein Perlchen
Dein Barone
28. Juli – 02:32 Uhr
Lieber Max,
geht das schon wieder los! Vielleicht ist Dein Mündchen ein Schwänzchen, Züngelchen kommt über das Perlchen nicht hinaus, vielleicht grüßt Du am Ende auch nur noch das Perlchen … Das Fötzchen muss vielleicht kötzchen … ist das humorvoll? Hör doch endlich damit auf!
Buona notte
Eva
28. Juli – 07:10 Uhr
??????Zu viel getrunken????
Max
28. Juli – 10:18 Uhr
Nein, mein Liebling.
28. Juli – 15:22 Uhr
Den gestreiften Stoff habe ich zum Nähen abgegeben und werde diesen auf dem Lattenrost des oberen Bettes fixieren. Auf den Stoff lasse ich Dein Bild drucken, sodass ich Dir beim Einschlafen immer die Zunge rausstrecken kann. Wenn Du mich wieder mal abends beschimpfst, kann ich mich so an Dir rächen. Irgendwie muss ich doch den Frust loswerden, und wenn es nur am Foto von Dir ist. Hast Du dich ausnahmsweise mal gut benommen, kriegst Du abends auch ein Küsschen. Du wirst sehen, das wird noch eine super Wohnung! So, jetzt mache ich mich an die Annoncen dran. Wirst Du noch heute erhalten.
Dein (ich weiß schon nicht mehr, was)
28. Juli – 17:13 Uhr
Mein Liebster,
ich freue mich, wenn Du Deine Wohnung schöner machst, all die vielen Kisten auf dem Boden verschwinden, Du endlich mal gründlich putzt und dann nicht mehr alles so voll Staub ist. Ich verstehe gar nicht, wie Du so leben kannst. Dann wird Dein Wohnzimmer auch viel größer wirken, außer Du stellst es immer weiter mit neuen eBay-Erwerbungen zu! Solltest Du Dich einst bis zur Bücherwand vorgearbeitet haben, fliege ich als Staubfee mit manischer ABC-Prägung für Deine Bücher ein. Bis dahin muss aber auch das Bett fertig sein, denn ich werde so lange bei Dir wohnen, bis alle Bücher am richtigen Platz stehen.
Jetzt schicke ich Dir mal unsere allerersten Mails zu. Ach, Amore, da wussten wir noch nichts von unseren schrecklichen Defekten. Welch fröhliche Zeit!
Eva
28. Juli – 17:20 Uhr
Eigentlich beschrieb ich nur die Änderungen, die ich im Schlafzimmer in der nächsten Woche vornehmen wollte. Beim Wohnzimmer bin ich noch lange nicht. Allerdings ist die Aussicht, dass Du so lange bei mir wohnst, bis alle Bücher sortiert sind, sehr verlockend. Da ich ein Frühaufsteher bin, werde ich dann wohl allmorgendlich und heimlich die alte Unordnung wieder herstellen, damit Dein Aufenthalt sich etwas verlängert. Hast wohl noch nie was von Sisyphus gehört!
Dein Max
28. Juli – 18:13 Uhr
Mein Liebling,
hier nun zuerst mein zweiter Rundbrief, den ich an die Damen sandte, die sich von dem ersten (Hinweis keine Knete und Witz als Basis meiner Kopulationsfähigkeit) nicht abschrecken ließen, und den ich verschickte, wenn ich zum Telefonieren, zum Treffen im Park oder im Restaurant eingeladen wurde:
Liebe …,
vielen, vielen Dank für Ihren Abendgruß und Ihre Mail. Ihre Gedanken, Ihre Vorschläge und Ihre Sprache strahlen sehr viel Natürlichkeit und Frische aus. Ich bin dagegen etwas verquer, wohl mit Tendenz zum Altersstarrsinn.
Ihre Idee bzw. Ihr Vorschlag, sich im Park zu treffen, ist nicht ganz uninteressant, allerdings kommt es auf den Park an. Ich bin nicht völlig unsportlich, und so denke ich, dass Sie keine Chance beim Weglaufen hätten. Nur lautes Schreien würde Ihnen helfen, sich aus den Klauen eines alten Lüstlings zu befreien. Wenn wir uns nun in einem versteckten, unbekannten Park verabreden würden – denn nur dort würde ich überhaupt ein Date akzeptieren –, in dem Ihnen kein Mensch Schutz und Hilfe anbieten könnte, wären sie also verraten und verkauft.
Ich habe mir zur Form und Methode des Kennenlernens meine Gedanken und mich auch in der einschlägigen Fachliteratur kundig gemacht. Es gibt hierzu zwei Möglichkeiten oder Theorien:
Entweder (alte Theorie)
man telefoniert ein paarmal, testet die Stimmlage, tauscht Bildchen aus, verabredet sich dann an einem unverfänglichen Ort (Park oder Kaffee), putzt sich vorher die Zähne, säubert die Fingernägel, stärkt den Hemdkragen, hält eine (noch nicht dunkelrote) Rose in der Hand, klemmt sich als verabredetes Erkennungszeichen eine FAZ oder Süddeutsche unter den Arm, beginnt dann nach dem schüchternen Druck der vor Aufregung schweißnassen Hände die zarte Kontaktaufnahme mit einigen höflichen Bemerkungen über das viel zu heiße Wetter, um nach einem Exkurs über den unerträglichen Parkplatzmangel stringent zur Gehaltsklasse, Pensionsberechtigung und zum Immobilienvermögen überzuleiten.
Oder (neue Theorie)
man mailt heftig einige Tage hin und her, wird zunehmend ungeduldiger auf die Antwort, verliebt sich dabei in den Witz, Humor, Geist und die umfassende Bildung des potenziellen Partners, wechselt sacht, kaum merkbar, das Thema von den philosophischen Gesprächsinhalten in Richtung Erotik und wird dabei so erregt, dass die Spannung unerträglich wird, man sich in unbändiger Freude, heftigster Neugier und unbeherrschbarer Leidenschaft an einem für beide höchst verfänglichen, den Ablauf des Abends eindeutig vorgebenden Ort trifft, sich voller Gier in die Arme fällt und alles Weitere willig, mit Lust und Hingabe der Natur überlässt.
Die erste Theorie wird nur noch von pubertierenden jungen Männern, von jungen Damen mit intaktem Hymen und in Ländern mit einem hohen Anteil konfessionsgebundener Bürger vertreten.
Die zweite Alternative hat auch den Vorteil, dass Damen nicht mehrere Sitzungen bis zur abschließenden Meinungsbildung benötigen, nicht wertvolle Zeit für das Unwesentliche verschwenden und sich im Falle eines Flops sofort der nächsten Anzeige im Tagesspiegel zuwenden können. Schließlich übersieht jeder im Stadium der Erregt- und Verliebtheit dickste Buckel, eklige Hautekzeme, Fettflecken auf der Krawatte oder eine Laufmasche in der Strumpfhose. Bei einer leisen Anfrage »Willst Du?« und der hingehauchten Antwort: »Ja, sofort« nimmt auch keiner mehr wahr, ob die Stimme des Gegenübers näselnd oder fipsig ist.
Nun wissen Sie, wie die zurzeit herrschende Theorie das unwichtige Problem des Aussehens und der Sprache elegant lösen kann. Es gibt, liebe … wenige Theorien, die, wie in Alternative zwei beschrieben, in sich so schlüssig und frei von inneren Widersprüchen sind. Nun bin ich neugierig, ob Sie sich der oben vorgestellten neuen Theorie gegenüber aufgeschlossen zeigen oder lieber der alt hergebrachten, etwas verstaubten und Zeit vergeudenden Vorgehensweise zuneigen.
Sollten Sie wissenschaftskritisch Zweifel an der Schlüssigkeit der neuen Theorie haben und vor der Akzeptanz eine eigene Versuchsreihe zur Verifizierung bzw. Falsifizierung wünschen, stehe ich Ihnen natürlich in Form einer Laborratte oder eines Meerschweinchens höchst persönlich und vollumfänglich zur Verfügung.
Dies waren meine theoretischen Überlegungen zum Kennenlernen.
Liebe Grüße von Ihrem etwas theoriesüchtigen
Maximilian
Evachen,
dies war der 2. Rundbrief, mit dem ich die Bewerberinnen schockte und zur Aufgabe im Concours d’amour bewegte. Einen Kerl, der sich ums Aussehen genauso wenig schert wie um den Klang der Stimme, wollten die Damen trotz ihres drängenden Partnerinteresses dann doch nicht kennenlernen. Schließlich dachten sich wohl die meisten, wer so etwas zu Papier bringt, wird in der Wirklichkeit noch viel schlimmer sein. Aber zugeben musst Du doch, dass die Sprache schön, ergreifend und unterhaltsam war. Und nun ein Auszug aus einer Korrespondenz bis zum zweiten Tag. Erstes Mail am Tag der Anzeige:
Lieber Großvater!
Es ist mir sehr angenehm zu erfahren, dass auch Großeltern sich mit dem Computer auskennen und in der Lage sind, elektronische Briefe zu versenden und zu empfangen. Deshalb komme ich gerne auf Ihre Anzeige zurück und erhoffe mir eine interessante Antwort. Ich bin eine mehrfache und leidenschaftliche Großmutter, 155 groß, 55 Jahre, sehr schlank und schwarzhaarig und lebe im lieblichen Teil von Steglitz. Ich habe Freude am Leben und suche einen sehr gebildeten, fantasievollen und zärtlichen Partner, mit dem ich alle Facetten des Lebens verwirklichen kann. Meine berufliche Tätigkeit fordert mich, und ich suche Anregung und zugleich Entspannung nicht nur im Alltag.
Auf eine Antwort hoffend bin ich
Ihre Christine
Meine Antwort:
Liebe Christine,
herzlichen Dank für Ihre Mail. Wie viele Großkinder beglücken Sie denn mit Ihrer Leidenschaft? Ich habe, bei vier Kindern, erst zwei Enkel! Da sich meine Brut aber vervierfachen will, erwarte ich in den nächsten Jahren weitere vierzehn Enkel. Ich hoffe, mich geistig fit zu halten, und mir alle Namen merken zu können.
(Nun kommt der erste Standardtext, der obige Satz war individuell.)
PS: Sie suchen einen gebildeten, fantasievollen und zärtlichen Partner? Sie erwarten ja eine ganze Menge! Also, zum ersten Adjektiv hatte ich oben schon mein Herz ausgebreitet.
Vom zweiten verstehe ich nicht mehr als eine klanglose Mülltonne von einem Bach-Oratorium. Um das dritte erfüllen zu können, müsste ich wohl über einen längeren Zeitraum sehr geduldig und verständnisvoll eingewiesen werden.
Ihre Antwort am nächsten Tag:
Lieber Herr Baron,
herzlichen Dank für Ihre Mail. Ich habe vier Kinder und bereits vier Enkelkinder. Bei uns heißt es eben, seid fruchtbar und mehret euch, damit wir unsere eigene Hausmusik optimal gestalten können. Sie haben sich noch viel mehr vorgenommen, um einer großen Fußballmannschaft mit Ersatzspielern als Familienoberhaupt vorstehen zu können. Geistig fit können Sie sich schon halten, indem Sie mit den Jüngsten Memory spielen, das soll helfen, und ab und an einen Kopfstand machen, dazu werden Sie bestimmt oft aufgefordert. Die Kleinen sind ja immer zu Scherzen aufgelegt, sie werden es bei so vielen Nachfahren schon noch erleben.
Angela ist eine tüchtige Frau und die Landschaften blühen jetzt in der Sommerzeit auch ohne ihr Zutun, und die lieben Kinderchen können dort schön spielen.
Wenn die Marktlage so gut ist, wie Sie es erfahren haben, dann können Sie sich glücklich schätzen und sehr gut auswählen, ehe sie die richtige optimale Großmutter an ihre männlich-starke Seite holen, um die gemeinsamen Freuden des kommenden Alters zu erleben.
Konkurrenz belebt das Geschäft, auch im Anzeigenmarkt, und es ist ein Gerangel um attraktive und gebildete Mannsbilder und Frauensleute, die es leider nicht immer mit allen Eigenschaften gibt. Meist fehlt die eine oder die andere Fähigkeit, und man will sich ja auch als Großmutter nicht bescheiden. Einen Fernsehapparat habe ich auch nicht, deshalb suche ich ja einen Großvater, um mir die Zeit mit ihm zu vertreiben, wenn die süßen Kleinen mich gerade nicht brauchen. Fantasie beflügelt meine Gefühle, und ich hoffe nicht, dass Ihr letzter Satz (Anm. als ich das Wort ›zärtlich‹ ansprach) ernst gemeint ist, denn ich bin noch jung und nicht nur leidenschaftlich im Umgang mit meinen lustigen Enkelchen.
Ich bin eine sehr aktive, temperamentvolle und fantasievolle Großmutter und erhoffe das von dem zukünftigen Großvater an meiner Seite auch.
Liebe Grüße
Christine
Meine Antwort – immer noch am nächsten Tag:
Liebe Christine,
Donnerwetter, ich erhalte sogar eine Antwort! Ob ich diese denn wirklich verdient habe? (Anm. weil ich doch schrieb, von Zärtlichem keine Ahnung zu haben) Ein Gerangel um attraktive und gebildete Mannsbilder? Na ja, solange mich noch keine in natura gesehen hat, und ich nicht den Mund aufmachen musste, kann das ja stimmen. Wie die ganze Welt, so lebe auch ich nur vom Schein.
»… Großvater, um mir die Zeit mit ihm zu vertreiben«. So so! Mit memory?
»Ich hoffe nicht, dass Ihr letzter Satz ernst gemeint ist, denn ich bin noch jung und nicht nur leidenschaftlich im Umgang mit Enkelkindern«.
Erstens: Ich sage alles im vollsten Ernst. Wenn Sie selbst eine aufrichtige und mit tiefstem Gefühl vorgetragene Aussage anzweifeln, wie wird es dann erst mit unaufrichtigen, schnell dahergesagten Meinungen sein?
Zweitens: Sie sind anscheinend äußerst ungeduldig, wenn Sie nicht bereit sein sollten, einen Großvater über einen längeren Zeitraum verständnisvoll einweisen zu können oder zu wollen. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung müssten richtig gute Omas auf allen Ebenen Geduld haben.
Drittens: O Gott, Sie haben auch keinen Fernseher? Dabei suche ich doch eine Dame mit einem korrekt bezahlten, gebührenpflichtigen Anschluss, der Zugang zu allen Kanälen gewährleistet! Wie sollen wir denn die »Freuden des kommenden Alters« (ich dachte, das wäre schon da) genießen, wenn keine Glotze da ist, und Sie ungeduldig sind, zumal ich kein Instrument spiele, dafür gern, aber wunderbar falsch singe?
»Meist fehlt die eine oder die andere Fähigkeit und man will sich ja auch als Großmutter nicht bescheiden«.
Fähigkeiten wollen Sie auch noch! Welche sollen es denn, bitte schön, sein? Also Fragen über Fragen!
Liebe Grüße
Maximilian
Mit dieser Mail habe ich sie etwas provoziert und wollte wissen, wie sie mit diesen kleinen Anspielungen umgeht. Ihre Antwort (noch Montag):
Lieber Baron,
ob Sie eine Antwort verdienen oder nicht, das kann ich nicht beantworten. Jedoch ist es höflich, auf Ihre Antwort auf meine Anfrage zu antworten.
Zum Aussehen: Sind Sie so wenig ansehnlich, dass Sie sich verstecken müssen, oder ähneln Sie dem Glöckner von Notre Dame? Es kommt auf innere Werte an und auf die Mannhaftigkeit, die ich doch voraussetze. Ungeduld ist eine Tugend, Langeweile ist mir unerträglich. Mit einem Fernseher kann ich leider nicht dienen, das bedauere ich, doch dann hätten Sie in Ihrer Anzeige einen entsprechenden Hinweis geben müssen.
Bei meinen Enkelkindern bin ich sehr geduldig, jedoch suche ich nicht noch ein Enkelkind, um Geduld zu beweisen und Luftballons aufzublasen. Können Sie vielleicht auf dem Kamm blasen oder mit Topfdeckeln Musik machen? Falsch singen ist kein Problem, dafür singe ich wunderschön, in jeder Lebenslage.
Sie wollen wissen, welche Fähigkeiten ich mir erhoffe:
einen exquisiten Briefeschreiber,
begeisterten Großvater,
tollen Gesprächspartner,
kundigen Reisebegleiter im In- und Ausland,
waghalsigen Autofahrer,
Gourmet,
großzügigen Partner,
ausdauernden Liebhaber.
Ist das vorerst ausreichend?
Jetzt muss ich mich noch mit einem Überraschungsrezept für meine Lieblinge beschäftigen und hoffe, Deine Fragen beantwortet zu haben.
Liebe Grüße
Christine
Meine Antwort (aber mir war nun schon bewusst, dass sie von Knete ausgeht und das Einkommen aufbessern möchte: Reisen, großzügig etc. – wir sind immer noch bei Montag)
Liebe Christine,
kurz vorm ins Bett Gehen werde ich noch etwas auf dem Kamm blasen und mit meinen alten, ungewaschenen Topfdeckeln üben. Guter Tipp, um meine Funktion als Großvater auszufüllen.
Sie schreiben: »Sie wollen wissen, welche Fähigkeiten ich mir erhoffe: einen exquisiten Briefeschreiber, begeisterten Großvater, tollen Gesprächspartner, kundigen Reisebegleiter im In- und Ausland, waghalsigen Autofahrer, Gourmet, großzügigen Partner, ausdauernden Liebhaber. Ist das vorerst ausreichend?«
Hilfe!! Schaffe ich nie!
Hätte ich doch besser keine Anzeige aufgegeben!
Geht es denn auch mit einem tollen Briefeschreiber, exquisiten Großvater, großzügigen Gesprächspartner, begeisterten Reisebegleiter im In- und Ausland, ausdauernden Autofahrer, einem Gourmand statt eines Gourmets, einem überlebenswilligen Partner und einem kundigen Liebhaber?
Gute Nacht
Ihr Maximilian
Ihre Antwort am Vormittag des zweiten Tages nun richtig auf den Punkt gebracht, zudem duzt sie mich ungefragt:
Na, hast Du gut geübt mit Kamm und Deckeln, damit Du heute Deinen Enkelkindern eine große Freude machen kannst und ihnen ein guter Lehrmeister bist?
Ich hatte schon so meine bestimmten Vorstellungen bei den Begriffen ›waghalsig‹, ›großzügig‹ und ›ausdauernd‹. Kundig ist die Grundlage des Liebhabers, ausdauernd sein, ist ein Muss. Du als Gourmet solltest auch ein Gourmand sein und mich unendlich und überall verwöhnen können. Ich werde heute mit meinen Enkelkindern viel Spaß haben und wünsche Dir einen ebensolchen Tag.
Liebe Grüße
Christine
Ende der individuellen Korrespondenz, denn nun kam das Rundschreiben mit dem Hinweis, dass ich keine Knete habe. Darauf Ende der Mailerei.
Ich hätte mir das Rundschreiben – zumindest an diese Christine – natürlich ersparen und Sie bitten können, als Grundlage für alle späteren Verwöhnungen mal meine Ausdauer zu testen. Dann hätte ich spätestens am folgenden Tag für diesen Test antreten dürfen und hätte das erhalten, was ich in dieser Woche so dringend benötigte. Ein Abend im Bett wäre ohne Bilderaustausch und ohne Stimmprobe spätestens am dritten Tag, mit etwas Druck wohl schon am zweiten Tag erfolgt! Ganz schön schnell für Opa und Oma, oder?
Stattdessen habe ich lieber Claudio beaufsichtigt und zu mir genommen. Da kannst Du mal sehen, worauf ich verzichte, und wie ich Dich liebe. Aber Spaß hat mir alles doch gemacht.
Dein Barone
PS: Wenn Du mich nicht »erweckt« hättest, hätte ich dieses Selbstbewusstsein nicht gehabt, und eine Frau nie so zielgerichtet dahin führen können, wo ich sie – verbal – haben wollte. Ich bin nur glücklich, dass die Korrespondenz mit Dir nicht so anfing! Dann hätte ich den Abend »Was war das denn, Dottore?« wohl nicht überlebt.
28. Juli – 19:58 Uhr
Mein Schlawiner,
Du musst ja von morgens bis abends geschrieben haben! Ich werde mich rächen! Aber, es ist wirklich lustig und auch interessant zu lesen. Deine Mails sind natürlich tausendmal besser und ich fühle, mit welcher Freude Du Dich dieser überflüssigen Arbeit hingegeben hast.
Kuss
Deine Eva
28. Juli – 20:52 Uhr
Lieber Koch,
ich glaube, Du hattest heute einen dramatischen Tag. Wahrscheinlich haben Dich Deine Brieffreundinnen zu sehr aufgeregt. Ich habe sooo viel an Dich gedacht! Ich bin ja schrecklich eifersüchtig, auch wenn ich das nicht zugebe.
Aber dann denke ich wieder: Keine wird meinen Geliebten so glücklich machen können, dass er dreimal (!!!) hintereinander kann – und das im hohen Alter von 64 (in Worten: vierundsechzig)! Kann gar nicht sein! Und dann beruhigen sich mein Eifersuchtswellen wieder. Ich möchte Dich für mich ganz alleine haben. Mindestens für zwei Jahre.
Schlaf gut, mein Teufelchen.
29. Juli – 10:53 Uhr
Wieso denn nur zwei Jahre? Bei mir gilt:
Alles für immer und ewig oder nichts!
Dein Barone
29. Juli – 12:49 Uhr
Mein Gott, Amore, seit gestern Abend bin ich ganz und total in Dich verliebt. Es ist, als würde mich eine riesige Meereswoge überrollen. Ich habe doch mindestens zwei Jahre geschrieben! Wieso meckern Sie schon wieder?
Küsse
Eva
29. Juli – 12:59 Uhr
Ich will nur kein neuer Lebensabschnittspartner sein! Wieso bist Du erst seit gestern Abend ganz und total in mich verliebt? Warum nicht seit gestern, morgen, vorgestern oder Längerem. Gestern wolltest Du mich doch nicht sehen!
Amore
29. Juli – 13:31 Uhr
Da musst Du die Sterne befragen! Den Biorhythmus errechnen, die Gehirnwindungen untersuchen, aber niemals Fragen stellen. Verliebtsein fällt vom Himmel … man hat gar keinen Einfluss darauf.
Ach, Schätzlein, ich brauchte wirklich Ruhe, Schweigen, für mich sein. Und ich hatte den Eindruck, dass Du das erkannt hattest, denn der Vorschlag, uns am Sonntag nicht zu treffen, kam schließlich von Dir. Es war auch bestens so. Wir haben ja »alle Zeit der Welt«, wie Du immer sagst. Ich beschäftige mich gerade mit Tantra.
Küsse
Eva
29. Juli – 14:53 Uhr
In meinem jugendlichen Leichtsinn denke ich mir, dass Verliebte sehr gern und, so oft sie können, zusammen sein wollen. Sie, verehrte Maestra, lieben mich nun seit gestern – so weit, so gut – aber sehen wollen Sie mich nicht! Dunkel ist Gnädigster Seele Sinn. Morgen wird schlechtes Wetter sein. Mit dem Fahrradfahren, zumindest einer längeren Tour wird es nichts. Vielleicht abends? Du nix morgen mir sehen wollen?
Ich traurig sein!
Amore
29. Juli – 22:09 Uhr
Amore – bis jetzt war ein Musikwissenschaftler aus Paris hier. Wir haben uns über Claude Debussy ausgetauscht, endlos Musik gehört, DVDs angesehen. Ein Tag, ganz nach meinem Geschmack.
Es freut mich ja riesig, dass Musikwissenschaftler nach Berlin reisen, um mit mir über einen Komponisten, dessen Werke ich vor 18 Jahren einspielte, zu reden. Der HR hatte mein Konzert damals aufgezeichnet. Er will eine CD in sein Buch einlegen mit dieser Aufführung von mir. Das freut mich.
Statt immer im Bett zu liegen oder zu essen, sollten wir auch mal so einen Tag zusammen verbringen! Findest Du nicht? Hoffentlich hattest Du einen schönen Abend!
Eva, la tua anima
29. Juli – 23:12 Uhr
Mein Liebling,
mein Keller ist so klein, dass ich nicht richtig oder nur sehr mühselig weiterkam. In einem großen mit Werkbank und Kreissäge wäre alles in 30 Minuten erledigt. Na, ja man kann im Leben nicht alles haben.
Ich habe ja Dich, dann kann ich auch auf Werkbank und Kreissäge verzichten. Aber solltest Du Dir eine Wohnung kaufen, achte bitte auf den Keller! Der ist für mich genauso wichtig, wie für Dich Dein Flügel. Jeder hat eben sein eigenes Handwerkszeug!
Oder willst Du mich nicht mehr? Schlaf und träume schön, mein Liebling. Wenn Du mich morgen sehen willst, dann sage oder maile es mir. Ich eile doch mit Flügeln zu Dir!
Dein Amore
29. Juli – 23:39 Uhr
Mon chèr chou-chou,
Deine Frage ist einfach zu beantworten: Ich will Dich und auch morgen Dich sehen. Den Keller für Dich werde ich kaufen. Sonst noch Wünsche? Bitte um Mitteilung.
Zwei Küsse hinters Ohr (links).
Eva
30. Juli – 00:55 Uhr
Eva,
ich komme gerade zurück, stürze ans Internet in der Hoffnung, eine Mail von Dir vorzufinden, ein Liebessäuseln von Dir, sozusagen als Einschlafhilfe. Ich rufe Dich an: Es klingelt und klingelt und klingelt. Nüscht!
Meine Geliebte ist mal wieder aushäusig! Tiefste Enttäuschung! Schluchz. Sie sitzt und wartet nicht, und ich dachte, ich hätte eine Traumfrau wie Solvejg gefunden.
Bin ich denn noch Dein Amore?
30. Juli – 01:16 Uhr
Ja, natürlich bist Du noch mein Amore! Ich liebe Dich. Habe stundenlang mit meinem Exmann Milan telefoniert. So konntest Du mich nicht erreichen! Habe gerade angerufen, aber Du schläfst. Bis morgen also, mein Teufelchen.
Eva
30. Juli – 01:42 Uhr
Ma chatte,
ich denke, ich werde morgen auf den Flohmarkt gehen. Wenn Du willst, komme ich danach zu Dir. Sag mir doch bitte, ob und wann Du geruhst, mich zu empfangen. Dein Diener fühlt sich natürlich auch geehrt und ausgezeichnet, wenn er beim Levée assistieren darf.
Dein Barone
30. Juli – 01:54 Uhr
Amore, ich möchte mit Dir auf den Flohmarkt gehen.
30. Juli – 13:05 Uhr
Maestrissima,
als ich heute Morgen den Tagesspiegel las, sah ich eine interessante Anzeige! Das bist Du!
Aparte 60-jährige Künstlerin (60 kg, 163 cm), Halbitalienerin mit sanftem, aber ebenso feurigem Wesen, sucht gebildeten, musikbegeisterten und unternehmungslustigen, fröhlichen Partner zwischen 55 und 65, der sie als Neu-Berlinerin auf den Erkundungswegen durch diese spannende Stadt begleiten möchte.
Du schamlose Lügnerin!
Die Daten! Und ›sanft‹ schreibt mein Evalein! Sanft und erregend ist nur Deine Haut, nicht Deine Seele und schon gar nicht Dein Gemüt. Aber auf ›feurig‹ werden sicher viele Herren anspringen. Der Ausdruck ist schon sehr eindeutig! Immer musst Du mit gleicher Münze heimzahlen!
Hört denn dieses Theater mit uns beiden nie auf? So wild habe ich es mit meiner Anzeige jedenfalls nicht getrieben.
Ich bin sicher, die nächste Woche kann ich abschreiben, denn Du wirst wohl mit der Beantwortung der zahlreichen Zuschriften vollauf beschäftigt sein. Ich bin sehr traurig, dass Du Dich nicht meldest. Ich hatte gehofft, Dich zu sehen und etwas mit Dir zu unternehmen.
Dein Amore
30. Juli – 13:44 Uhr
Geliebte Regina,
mit Max und mir ist und bleibt es ein ewiges Hin und Her!!!
Wieder schrieb er mir deftige Sexmails, und das war erneut Anlass zu einem massiven Krach. Seine spätere Entschuldigung nahm ich dann nicht an, da er selbst in diesem Mail seine Pornosprache fortsetzte.
Da gab er kurzerhand eine Kontaktanzeige auf!
Unglaublich! Absolut krass!
Wir einigten uns, unsere Beziehung als Freundschaft weiterzuführen, und blieben so in Kontakt. Wie konnte es anders sein: Nach zehn Tagen lagen wir wieder zusammen im Bett!
Trotzdem setzt er seine Korrespondenz mit den Frauen fort, er hatte über 20 Antworten erhalten. Es war eine Bestätigung für ihn, und scheint ihm großen Spaß zu machen.
Die Korrespondenz mit den Frauen schickt er mir immer zu. Er schreibt völlig aberwitzig und tobt seinen skurrilen Humor voll an Ihnen aus!
Aber ich bemerkte an seinen Mails an die Damen, dass er gar kein Interesse hat, ihnen persönlich zu begegnen. Das war auch kein Wunder, denn es war keine darunter, die ihn wirklich faszinierte, keine mit der er sich auf ›gleicher Augenhöhe‹ befand, wie er sich auszudrücken pflegt.
Ich hatte gleich nach seinem Inserat Rache geschworen! Du kennst mich ja! Ich gab natürlich dann auch eine Anzeige auf. Aber, es kommt noch besser:
Heute habe ich ihm unter falschem Namen und mit falscher Mailadresse einen Superbrief (finde ich!) geschrieben. Diese Frau wird ihn bestimmt interessieren! Ich muss wissen, wie weit er sich auf sie einlassen wird. Vielleicht will er sich doch ein Hintertürchen aufhalten und wird vielleicht Feuer fangen, wenn ihm eine interessante, vor allem humorvolle Frau schreiben wird.
MARION – also ich schrieb:
30. Juli -13:17 Uhr
Verehrter Inserent,
Ihr intelligentes, charmantes, selbstironisches Inserat im Tagesspiegel hat mir gefallen. Ich antworte etwas verspätet, weil ich in der vergangenen Woche meinen 64. Geburtstag in Hamburg feierte, der Stadt, in der ich geboren wurde. Zurück in Berlin überreichte mir mein Enkel (10 Jahre) sein Geschenk: ein silbernes, kleines Couvert. Als ich es öffnete, fand ich eine Kontaktanzeige und einen hinzugefügten Zettel meines kleinen Lieblings mit dem Text ›Oma, das ist der Richtige für Dich.‹
Ich folge seiner Empfehlung, wenn ich mich – vielleicht ist es schon zu spät, und Sie haben bereits die Dame Ihres Herzens gefunden – als Bewerberin um Ihre Gunst vorstelle. Ich bin seit 14 Jahren geschieden, habe drei Kinder und zwei Enkel. Mein Freundeskreis ist eine wichtige Bereicherung in meinem Leben, das mich bisher mit Höhen und Tiefen beschenkt hat.
Ich bin ein positiv denkender und optimistischer Mensch, was Sie schon daran erkennen können, dass ich auf Ihre Kontaktanzeige antworte. Nach meiner Scheidung hatte ich zwei Beziehungen, die mich letztlich nicht glücklich machen konnten, sodass ich mich von beiden Herren wieder trennte.
Das Auf und Ab in den Gefühlen der Liebe (bitte nehmen Sie meine Formulierung nicht im Sinne von körperlicher Bewegung), der Wechsel von Glück und Enttäuschung hat mich frustriert zurückgelassen, sodass ich nun vier Jahre ohne Partner gelebt habe.
Da ich seit einem Jahr Pensionärin bin (Oberstudienrätin Deutsch und Religion), habe ich mehr Zeit als je zuvor und würde sie gerne mit einem gebildeten, lebensfrohen Mann teilen. Dabei denke ich an Wanderungen (den ›neuen‹ Osten unseres Landes kenne ich noch gar nicht), Konzert- und Opernbesuche (ich liebe Wagners gigantische Musik!) oder Fahrradtouren, Zusammensein mit netten Menschen, und – natürlich – sollten Sie mir gefallen und ich Ihnen, mit den Freuden, die die körperliche Liebe schenken kann.
Letzteres erwähne ich deshalb, weil die meisten älteren Herren diesen wunderschönen und wichtigen Teil in einer Altersbeziehung für vernachlässigbar halten, sei es aus Unvermögen (Impotenz), oder geistiger Trägheit, also Fantasielosigkeit.
Meine ›Schönheit‹ anzupreisen, widerstrebt mir. Deshalb nur so viel: 168 cm, 68 kg, blond, Augen groß und blau. Ich lebe seit meiner Scheidung in einem schönen Haus in Berlin Spandau und fühle mich darin sehr wohl. Hier wird gefeiert und roter Wein getrunken, gelacht und getanzt, meine Enkel sind gerne hier und auch deren Freunde.
Und nun würde ich mich freuen, etwas von Ihnen zu erfahren. Zwei HSA! O là, là! Habe ich nebenbei auch. Ob uns noch mehr verbindet?
Mit herzlichem Gruß
Marion
Was sagst Du? Gut, ne? Und auch er schrieb mir auf mein Inserat, ich habe natürlich gleich seinen Schreibstil erkannt. Zusätzlich hatte er in seiner Schusseligkeit auf der Rückseite des Couverts seine Adresse per Hand geschrieben!
Lass es Dir gut gehen und sei nicht zu traurig, dass Robert in Wien auf der Bühne steht! Ihr seht Euch ja bald wieder.
Sei umarmt
Deine Eva-Marion
Dr. Ingo Kalisch
Dernburgstr. 25
14057 Berlin
e-mail:kalisch44@web.de
Berlin, den 30.7.
Liebe, verehrte Inserentin,
mehrere Stunden bin ich mit dem Problem schwanger gegangen, ob ich Ihnen überhaupt schreiben darf. Ich bin nämlich ebenfalls Neuberliner (seit 1. Juli!) und kann Ihnen Berlin noch nicht zeigen. Schließlich dachte ich, den Mut, den Sie haben, müsste ich doch auch zusammenkratzen können!
Aber es gibt ja in dieser schönen Stadt Pläne und Fremdenführer, die wir uns kaufen und dann Seite für Seite abwandern könnten. Ich habe Zeit und möchte Berlin ebenfalls genauer kennenlernen. Wenn mir dies in sanfter, fröhlicher oder feuriger Begleitung (mit einer einzigen Eigenschaft wäre ich schon äußerst zufrieden) möglich wäre, würde ich die Stadterkundung natürlich noch mehr genießen.
Es ist doch in Berlin wohl genauso wie in anderen Städten. Die Urbevölkerung kennt meistens nur den eigenen Stadtteil und hat die Nase selten über die Grenze dessen Postleitzahl gesteckt. Wenn es mir gelungen sein sollte, diese erste Hürde übersprungen zu haben, wäre ich sehr glücklich, denn eine sanfte Musikerin in meinem Leben zu haben, wäre für mich ein Traum.
Ich selber habe nach vier Semestern Musikgeschichte zwar auf allgemeine Geschichte gewechselt, bin aber der Musik – zumindest hörend – immer noch mit großer Begeisterung verbunden.
Vor meiner Scheidung (2001) pflegten wir in der Familie kleine Hausmusikabende, die auch unsere Freunde und Nachbarn genossen (das sagten sie jedenfalls). Meine Tochter spielt Klavier, meine Exfrau Geige, ich quälte das Cello und mein Sohn ist fast mit der Klarinette verheiratet.
Ich bin italophil – vielleicht sogar italoman. Mein Häuschen in der Toscana ging leider im Rahmen der Scheidung an meine Exfrau über, sodass mir dieses wunderschöne Domizil in dem noch schöneren Land nicht mehr zur Verfügung steht.
Ob ich Ihre – nicht gerade bescheidenen – Anforderungen: belesen, gebildet, feurig, zärtlich etc. erfülle oder erfüllen kann, weiß ich nicht.
Ganz fremd sind mir allerdings diese Eigenschaften nicht. Zumindest habe ich in meinem bisherigen Leben gelernt, dass ich nur feurig und zärtlich sein kann, wenn mich die Partnerin dazu inspiriert. Ich hoffe, meine Antwort auf Ihre Anzeige hat sie neugierig gemacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich in den nächsten Tagen eine kleine Mail d’amour in meiner box vorfinden würde.
Liebe Grüße
Ihr Ingo
PS: 58 Jahre, 174, 66.
Ich besitze immer noch kein Telefon! Es ist unerträglich, in einer Metropole muss man länger als vier Wochen auf den Anschluss warten! Ein Glück, dass es IN-Cafés gibt.
pockroy@web.de
31. Juli – 13:36 Uhr
Liebe Marion,
Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt, Baron Isolani! Aber herzlichen Glückwunsch zu Ihrem pfiffigen Enkel! Der oder die liest schon in der Rubrik Kontaktanzeigen? Pfui, da gibt es doch so viele Seitensprungangebote und ähnlich Anstößiges zu lesen. Sie sollten die Mutter dieses frühreifen Kindes doch etwas auf die elterlichen Erziehungs- und Sorgepflichten hinweisen.
Ich habe mit meiner Anzeige die Büchse der Pandora aufgemacht. Opas scheinen doch nicht uninteressant zu sein. Sie sind nun die 26., die mir sehr nett schrieb. Die 27. hat sich auch schon gemeldet.
Ich will mich aber nicht an Gorbatschows Weisheit von ›Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‹ halten, denn ich halte mich für einen Philanthrop, na, die Hälfte nicht so sehr, deshalb genauer: Ich bin gynophil. Da ich in meinem jugendlichen Leichtsinn vollmundig in meiner Anzeige versprach, jede Zuschrift zu beantworten, ging die letzte Woche mit Mailen an liebenswerte Damen drauf.
Am Dienstag letzter Woche (Stand: 21 Zuschriften) versandte ich folgendes Rundschreiben, um den Damen die Möglichkeit eines eleganten Rückzugs zu bieten:
1. Rundschreiben (siehe Seite 299)
Nunmehr zogen sich etliche Damen zurück, vor allem wohl diejenigen, die sich wegen der 2 x HSA (Medizin und Architektur) eine Verbesserung der Vermögensverhältnisse erhofften. Andere, weil wohl Witz und Esprit als Voraussetzungen für Erotik nicht deren Naturell entsprach. Diejenigen, die trotz meiner skurrilen Lebensvorstellungen nicht aufgaben, wollten mich sehen, zumindest aber mit mir telefonieren – immerhin noch elf. Da mir dies zu früh erschien, versandte ich einen weiteren Rundbrief, den ich Ihnen übersende, sofern Sie von dem ersten nicht erschreckt waren.
Liebe Grüße
Maximilian
2regenbogen@web.de
31. Juli – 17:39 Uhr
Lieber Maximilian,
zuerst meinen herzlichen Gruß!
Ich habe mich gefreut, dass Sie mir so schnell geantwortet haben. Dies besonders im Hinblick darauf, dass Sie ja von reger Korrespondenz so stark in Anspruch genommen sind! Unabhängig davon habe ich aber auch den Eindruck, dass Sie sich gerne schriftlich äußern. Was aber schreiben Sie denn da? Gynophil sind Sie! Also homo- oder transsexuell. Ist dem so? Oder haben Sie sich vertippt?
Auch Sie ein Wagnerfreund! Das beglückt mich geradezu, denn ich teile mit seiner Musik schon viele Jahre meine Tageszeit. Besonders mit Tristan kann ich stundenlang am Klavier sitzen (ich spiele recht und schlecht, aber mit Begeisterung).
Die Beschreibung und Ihre Haltung zu Ihrem finanziellen ›auf die Nase fallen‹ hat mich beeindruckt. Die meisten Menschen streben heute nach Statussymbolen, ständig ist Geld Gegenstand letztlich langweilender Gespräche, und meist ist das Interesse für Themen aus geistigen Bereichen längst abgestorben, sollte es in der Jugend einmal vorhanden gewesen sein.
Betrachtet man die Weltwirtschaftslage, so ist eindeutig, dass wir in Westeuropa, und da besonders in unserem Land, seit 60 Jahren enorm privilegiert sind – ja, auch diejenigen, die nach unserer Vorstellung bescheiden leben müssen. Auch sie werden durch unseren Sozialstaat nicht alleingelassen. Verhungern muss in Deutschland niemand.
Reichtum ist nicht von Geld abhängig. Reichtum ist Liebesfähigkeit, Fantasie, Fähigkeit zu sozialem Engagement. Reichsein heißt für mich auch, die tiefen Gefühle zu erkennen, die uns die Kunst in Musik, Literatur, Malerei, auch in Religion, Geschichte oder durch fremde Sprachen u. v. m. vermitteln kann. Botanik, ein Zoobesuch … welche Schätze sind das!
Auch mein Selbstbewusstsein hat mit Fünfsternerestaurants, Fernreisen oder einem Mercedes (auch wenn ich glücklicherweise einen kutschieren kann) nichts zu tun. Ich bin die gleiche Marion, wenn ich mit Turnschuhen auf meinem Fahrrad durch Steglitz radle.
Leider kenne ich das Erdbeermund-Gedicht nicht. Sicher eine Bildungslücke! Verzeihen Sie mir das? Aber umfassend gebildet, was Sie verlangen, ist doch wohl niemand! Um diese, meine unverzeihliche Bildungslücke schließen zu können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir dieses Gedicht mailen würden.
Ja, und natürlich interessiert mich der weitere Brief an Ihre Damen! Ich möchte Sie schließlich kennenlernen! Ihrem Schreiben entnehme ich, dass Sie sich mit dem Kennenlernen Zeit lassen wollen. ›Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben‹ – das ist nun gar nicht meine Devise! Ich weiß, schon durch meine jahrelange Unterrichtstätigkeit, dass ein ganz anderes Motto mindestens so gültig ist: ›Die Letzten werden die Ersten sein!‹ Zusätzlich ist hier nicht von Bestrafung die Rede, was ich als Pädagogin mit förderndem Blick immer abgelehnt habe.
Darf ich fragen?
Wie viele Kinder haben Sie? Und was treiben diese?
Die Entwicklung junger Menschen, ihr Werdegang liegt mir von jeher am Herzen, interessiert mich noch immer, auch wenn ich heute nicht mehr so hautnah das Leben junger Menschen teile, wie ich es viele Jahre tat.
Welche der elf Damen werden Sie wohl wählen? Wahrscheinlich wissen Sie es selbst noch nicht, dennoch würde es mich interessieren, was für Sie dabei entscheidend sein wird.
Ihre Marion
pockroy@web.de
31. Juli – 19:16 Uhr
Liebe Marion,
so, die erste Hürde wurde nun übersprungen. Meinen Glückwunsch! Die nächste Stange wird deutlich höher liegen. Aber vorweg zu Ihren Fragen:
Ist denn der Gynäkologe für Homo- und Transsexuelle zuständig, oder evtl. für androgyne Kassenpatienten?
Zur Brut: Vier Kinder, zwei Jungs und zwei Mädchen. Die älteste Tochter ist verheiratet und mit zwei süßen Jungs auf dem besten Wege, das besagte Plansoll von vier Kindern zu erfüllen.
Selbst wenn Sie nur für Deutsch und Religion zuständig waren, müssten Sie sofort erfassen, dass ich von 16 Enkeln ausgehe. Ich freue mich schon sehr auf diese große Schar, habe aber etwas Angst davor, ob ich mir alle Namen merken werde.
Der nächste ist ein Sohn, der bereits als Kind durch seinen biegsamen Körper überall Eindruck machte. Er arbeitet heute in einem weltberühmten Zirkus, und seine akrobatischen Leistungen gehören zum Höhepunkt der Veranstaltung.
Dann kommt einer, der vor vier Wochen sein Examen als Statiker ablegte, und nun auf Arbeitssuche ist. Bei der gegenwärtigen Konjunkturlage und dem Studium dürfte eine interessante Stellung sicher sein. Dann kommt meine jüngste Tochter, die Theaterwissenschaften studiert.
Auch ich liebe, neben Parzival und dem Ring, den Tristan am meisten. Ich besuchte im letzten November die Aufführung in der Staatsoper unter den Linden. Als ich das wunderschön gesungene ›Sieh, wie mild und leis er lächelt …‹ hörte, schossen mir zum dritten Mal die Tränen in die Augen.
Villons ›Erdbeermund‹ kennen Sie nicht? Ich dachte, jede Dame würde dieses Gedicht rauf- und runterbeten können. Und mit Google kommen Sie anscheinend auch noch nicht klar! Heute kann man sich doch schneller und umfassender bei Google über alles informieren, als bei der Suche in der eigenen Bibliothek, und man braucht noch nicht einmal aufzustehen. Da ich eine lange und teure Erziehung genoss, will ich Sie nicht auf die Folter spannen und Ihre Wissenslücke beheben (dennoch: einer Studienrätin kann man verzeihen, dass sie das Gedicht nicht kennt, einer Oberstudienrätin aber nicht!) Sie finden es als Anhang zu dieser Mail.
Ich hoffe, dass Sie sich nun wegen Ihrer Wissenslücken ausgiebig geschämt haben. Wenn ja, können Sie weiterlesen, mir ja nun etwas über das 4. Laterankonzil erzählen und mich mit interessanten Überlegungen zur Kriegsgeschichte erfreuen, indem Sie mir erläutern, aus welchen Gründen Caesar bei Pharsalus die X. Legion auf den rechten Flügel stellte. Sie haben Generationen von Schülern gequält und geärgert. Irgendwann bestraft der liebe Gott auch die Pensionsempfänger (Gottes Mühlen …!).
Eigentlich sind Sie noch gar nicht so weit, dass Sie sich den zweiten Rundbrief verdient haben. Aber man weiß ja nie, ob die Geschichte mit den Letzten und den Ersten nicht vielleicht doch stimmt. Ich stelle mich in einer Schlange ja auch nie als Letzter an, weil da ja schon einer steht.
Anhang:
Liebe …,
wegen Ihres Angebotes, mal zu telefonieren bin ich hin- und hergerissen, denn einerseits möchte ich, andererseits weiß ich, dass ich ausgesprochen drösig, fast geschäftlich am Telefon bin. Ich muss einen Menschen entweder schon kennen oder ihm in die Augen schauen können, vor allem einer Dame. Da ich noch kein Bildtelefon besitze, möchte ich doch auf die erste Alternative ›schon kennen‹ zurückkommen.
Auch ich habe mir zum Kennenlernen meine Gedanken und mich auch in der einschlägigen Fachliteratur kundig gemacht. Es gibt hierzu zwei Möglichkeiten oder Theorien:
2. Rundschreiben (siehe Seite 310)
Die meisten Damen waren nun vollständig verschreckt von diesem atypischen Weg, sich kennenzulernen. Aber wer mit dem Zeitgeist auf Kriegsfuß steht, und wer sich nicht mit den neuesten Forschungsergebnissen auseinandersetzt (ich lese immer als Erstes morgens im Tagesspiegel die Seite Wissen und Forschen), dem entgeht so manches.
Liebe Marion, Sie hatten nun sehr viel zu lesen und wurden vollständig über den aktuellen Stand des Ergebnisses meiner Annonce informiert. Wenn sie immer noch neugierig sein sollten, wäre ich nicht unglücklich.
Liebe Grüße
Maximilian
31. Juli – 19:30 Uhr
Amore,
die gestrigen, wunderschönen Stunden stecken mir doch in den Knochen oder wo auch immer. Jedenfalls bin ich leer im Kopf, werde heute Abend etwas Puccini hören, mich mit dem Inhalt Deines Briefes beschäftigen und ganz, ganz früh ins Bett gehen. Meistens habe ich mich nach acht Stunden Schlaf in meiner Höhle wieder voll erholt. Ich nehme Dich nun (leider nur) in Gedanken fest, aber dennoch zärtlich in die Arme.
Dein Max
31. Juli – 21:09 Uhr
Mein Liebling,
über die Planung Deines nächsten Salonabends habe ich noch einmal nachgedacht. Könntest Du Dich denn dazu durchringen, ihn als ›unsere Veranstaltung‹ zu arrangieren? Ich würde natürlich auch die Hälfte der Kosten übernehmen. Denk mal bitte darüber nach. Es ist sicherlich noch etwas neu für Dich, auch außerhalb des Bettes von ›uns‹ zu sprechen. Aber irgendwann einmal musst Du bereit sein, von ›uns‹ und nicht nur von ›Max und ich‹ zu sprechen. Es handelt sich dabei formal zwar nur um eine winzige Differenz in der Sprache, aber es wäre ein großer Schritt und eine große Veränderung gegenüber Deinem jetzigen Denken und Empfinden. Ich werde Dich aber auch ohne ›uns‹ lieben.
Dein Max
31. Juli – 22:39 Uhr
Amore,
ich habe bisher alles, was Du mir über Dich zusandtest, gelesen. Es hat mich sehr beeindruckt, was meine kleine temperamentvolle und beim Blick in die Augen rot werdende Eva geleistet und geschrieben hat. Ich frage mich, warum wurde diese Frau, die so viel Selbstbewusstsein und noch mehr Durchsetzungskraft hat rot, als ich sie ansah? Aber es war hinreißend! Madonna mia! Wie fehlt mir Dein Lächeln und der Geruch Deiner Haut.
Ich umarme Dich!
Dein Max
1. August – 02:34 Uhr
Ich würde jetzt auch gerne in Deinen Armen einschlafen, Dich riechen, mich an Dich schmiegen, bei Dir geborgen sein.
Es wird bestimmt wieder so sein.
Deine Eva
2. August – 09:48 Uhr
Na, mein Liebling, hast Du denn nun die unermessliche Zahl von Zuschriften feuriger Bewerber erhalten? Wie viele haben sich denn gemeldet? Lass mich doch bitte auch an Deinem neuen Glück teilhaben!
Dein Amore
2. August – 10:05 Uhr
Caro mio,
meine Post beinhaltete die Tageszeitung, eine Mahnung von Vattenfall, Kontoauszüge und einen Brief einer Freundin aus der Schweiz. Kein einziger Bewerber! Wie soll ich denn so unter die Haube kommen?
Dein Schmusekätzchen
2. August – 11:10 Uhr
Mein Mitgefühl ist Dir gewiss! Tja, was mache ich denn nun mit Dir? Ich lerne häkeln, mache mich an die Arbeit und überreiche Dir die Haube mit Kniefall, Handkuss und formvollendet am 28.8. in Gegenwart aller Gäste. Wenn Dein Bruder kommen sollte, werde ich ihn natürlich vorher fragen, ob ich um Deine Hand anhalten darf.
Dein Caro mio (mein Kater?)
2. August – 17:12 Uhr
Liebste Regina,
ich habe entsetzliche Stunden hinter mir!
Claudio ist mir im Schlosspark davongelaufen, und ich konnte ihn nicht mehr finden!!! Ich rief ihn, war in jeder Ecke des Parks, aber er war weg. Ich ging heulend nach Hause, denn ich fühlte, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein musste. Er rast ja sonst immer wie ein Blitz zu mir, wenn ich nach ihm pfeife.
Ich bat Max um Hilfe, und er ging sofort auf die Suche, lief nochmals alle Wege im Park ab – vergebens. Er befragte Passanten, aber die hatten keinen Hund bemerkt. Nach zwei Stunden kam Max niedergeschlagen zu mir, und wir telefonierten mit den 19 Hundeasylen, die es in Berlin gibt.
Die vier Hunde, die heute in Asylen abgegeben worden waren, waren ein Spitz, ein Beagle, ein Boxermischling und ein Dackel. Claudio, eine Mischung aus belgischem Schäferhund und Border Collie, war also nicht darunter.
Wir sahen ständig aus dem Fenster, in der Hoffnung, dass Claudio vielleicht von selbst wieder zurückkommen würde. Danach ging Max wieder in den Schlosspark. Ich blieb zu Hause und achtete auf die Straße. Er lief wieder alle Wege ab, rief und pfiff, aber alle seine Bemühungen blieben erfolglos. Claudio war verschwunden.
Auf dem Rückweg sah Max an dem Eisenzaun, der den Park zum Spreeufer hin abgrenzt, einige Leute zusammenstehen. Er lief zu ihnen und entdeckte Claudio, dessen Hinterlauf an einem Pfahl feststeckte, blutüberströmt im Gras liegen. Er war schwerverletzt, an der linken Flanke klaffte eine große Wunde.
Claudio rührte sich nicht, die Augen waren offen und starr, und die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er atmete sehr flach. Als Maximilian ihn ansprach, rührte er sich nicht, wedelte aber kaum sichtbar etwas mit dem Schwanz.
Die Passanten hatten die Polizei bereits verständigt. Zusammen mit einem Beamten trug Maximilian Claudio in den Polizeiwagen. In der Tierklinik in Charlottenburg wurde Claudio genäht und versorgt. Max rief mich an und erzählte mir alles.
Zwei Stunden später stand er mit dem schweren, noch immer narkotisierten Claudio auf den Armen völlig erschöpft vor meiner Tür.
Ich war so glücklich, dass Claudio noch lebte! Du weißt ja, wie ich an ihm hänge. Und Max! Er war einfach großartig.
Ich glaube, ich sollte ihn heiraten.
Sei für heute umarmt von
Deiner Eva
2. August – 22:35 Uhr
Ach, welch ein Glück, liebste Eva!
Für Claudio, für Dich und für mich auch, denn ich liebe ihn ja auch so sehr. Er ist ein so kluger und schöner, ja inniger Hund. Wie konnte das nur passieren? Morgen rufe ich Max an und bedanke mich persönlich. Das hat er wirklich toll gemacht.
Heiraten musst Du aber nicht gleich. Sei nicht wieder so schnell! Die Ehe ist nichts für Dich. Aber sei froh, dass Max so treu für Dich da ist. Du hast mehr Glück als ich! Ich würde mir auch so einen Partner wünschen. Robert fehlt mir sehr. Vielleicht sollte ich mir auch einen Hund zulegen?
Wie immer Deine Regina
3. August – 08:45 Uhr
Mein geliebter Max,
es tat so gut, in Deinen Armen einzuschlafen! Danke, Dank, Dank für Deine Hilfe und Deinen Beistand. Ich bin ja so froh, dass Claudio wieder da ist. Als ich aufwachte, warst Du schon weg, und ich sah, dass Du seinen Verband erneuert hast. Wie kann ich das alles nur wieder gutmachen?
Claudio ist noch ganz ermattet, aber seine Augen sind schon etwas klarer als gestern. Noch immer rührt er sich nicht, aber er verfolgt jede meiner Bewegungen. Natürlich hat er aufs Parkett gepinkelt. Ich habe alles freudig weggewischt. Hauptsache, er lebt und wird wieder gesund. Ich werde heute den ganzen Tag bei ihm bleiben und ihn trösten.
Und Du, mein Engel, konntest Du noch ein bisschen schlafen?
Ich liebe Dich
Deine Eva
3. August – 12:17 Uhr
Liebes Evachen,
ehrlich gesagt, ich konnte mich auf dem Rückweg kaum aufrecht auf dem Fahrrad halten. Ich war total k. o. und fiel sofort ins Bett. Habe noch nicht mal geduscht. Aber jetzt geht es wieder, habe bis eben geschlafen. Ich freue mich, dass es Claudio schon etwas besser geht. Er wird sicher den ganzen Tag schlafen. Sag mir, wann Du mich brauchst. Ich komme dann vorbei.
Dein Retter
2regenbogen@web.de
4. August – 19:16 Uhr
Lieber Maximilian,
vielen Dank für Ihr Mail, das mich unter ganz verschiedenen Aspekten in Erstaunen versetzte. Ich gehe im Folgenden Ihrem Schreiben nach. Veranstalten Sie einen Wettbewerb für Damen im Stabhochsprung?
Zur griechischen Sprache: gynophil – schauen Sie am besten mal bei Wikipedia nach. Ich möchte Sie ja nicht belehren, da ich als Lehrerin diesbezüglich genug zu tun hatte. Wikipedia kann das außerdem viel besser als ich.
Es sieht so aus, als sei aus allen Ihren Kindern etwas geworden! Gratulation. Sie wissen es: Das ist ein Geschenk des Himmels. Meine erste Tochter war wie ich Germanistin und glücklich in ihrem Lehrerberuf. Von ihr sind mir meine beiden Enkelkinder geblieben. Vor drei Jahren ist sie an Krebs gestorben.
Mehr möchte ich darüber nicht schreiben.
Dann kam ein Sohn, der heute in Paris lebt und ein erfolgreicher Fotograf geworden ist. Mein Ex-Mann und ich unterrichteten einige Jahre am Deutsch-Französischen Gymnasium in Buc bei Versailles, eine staatliche französische Schule mit deutsch-französischem Abitur. Sie besitzt eine deutsche und eine französische Abteilung, an denen deutsche und französische Schüler bilingual und bikulturell unterrichtet werden. Es war eine wunderbare Zeit!
Mein Sohn fotografierte bereits in der Kindheit sehr besonders, er wählte ganz eigenwillig unbedeutende Details aus. Es kam für ihn eigentlich kein anderer Beruf infrage. Er ist in Frankreich geblieben, fühlt sich als Franzose und kann sich ein Leben in Deutschland gar nicht mehr vorstellen.
Meine ›kleine‹ Tochter wurde Tänzerin und fand an der Oper in Lyon eine solistische Anstellung. Wegen ihrer Ehe gab sie ihre Stelle auf. Die Scheidung vor vier Jahren warf sie noch heftiger aus der Bahn, eine Anstellung als Solistin konnte sie nicht finden, und im Ensemble wollte sie nicht tanzen. Heute leitet sie in Berlin ein Gymnastikstudio.
So viel zu meiner Brut, wie Sie sich ausdrücken. Haben Sie denn jemals gebrütet? Auch hier können Sie bei Wikipedia fündig werden, sollten Sie etwas verwirrt sein!
Nun zu Ihren beiden Vorschlägen zum Kennenlernen!
Die Entweder (alte Theorie) scheinen Sie ja gut zu kennen! Ihre Beschreibung ist so präzise, dass Sie Ihre verlorene Zeit bei diesem Unterfangen wahrscheinlich noch heute beklagen.
Die Oder (neue Theorie) lässt auf eine verklemmte Fantasie schließen, wenn überhaupt. Eigentlich zeichnet sie sich durch Fantasielosigkeit aus. Gar nicht mein Stil. Und hier noch die Frage: Suchen Sie in der Tat eine umfassend gebildete Partnerin? Oder wollen Sie sich als Witzbold profilieren? (Pardon)
Ich neige in Liebesangelegenheiten nicht zu Theorien, dennoch hätte ich bessere Vorschläge zu machen: Wenn sich die beiden Kandidaten ausgiebig über Mail ausgetauscht haben und sich immer noch kennenlernen wollen, treffen sie sich in einem Berliner Bistro. Dort trinken sie einen Merlot, und wenn sie sich gefallen, auch zwei oder drei.
In dieser Stimmung bringt der Herr die Dame nach Hause – und, wenn Amor seinen Pfeil bereits abgeschossen hat, wird es – natürlich – die Dame sein, die zu weiteren Unternehmungen einladen wird. Was sind wir ohne Wein und ohne Amor? Sollte Amor keinen Pfeil mehr in seinem Köcher gehabt haben, da er schon so viele Kontaktanzeigenbewerber beglückt hat, sind beide müde und sehnen sich nach dem Alleinsein.
Es war nicht die beste Idee, Ihren geschichtsträchtigen Namen preiszugeben, denn mit Ihren etwas verkorksten Theorien haben Sie Ihrer Familie weiß Gott keine Ehre gemacht. Oder wollten Sie umfassend gebildete Damen mit dem ›Baron‹ beeindrucken? Wir sollten uns doch nicht mit unserer Herkunft brüsten! Haben Sie das nicht in Ihrem Elternhaus gelernt?
Dennoch – ich habe ein Faible für Witzbolde. Sie dürfen mir wieder schreiben.
Aus Paritätsgründen unterzeichne auch ich mit vollem Namen.
Marion Freifrau von Hutten
pockroy@web.de
4. August – 20:22 Uhr
Liebe Marion,
den Hinweis mit meinem Namen nehme ich sehr ernst. Es war aber nur Nachlässigkeit! Ich hatte vor dem Versenden meist unter ›Absender bearbeiten‹ die Urheberschaft entfernt und wollte eigentlich im Stil der Dunkelmänner Briefe versenden. Manchmal war eben nicht der Absender, sondern der Inhalt dunkel. Insgesamt habe ich über zweihundert Mails erhalten oder geschrieben. Dabei kann schon mal die Übersicht abhandenkommen. Meine Familie hat aber ganz andere schwarze Schafe überlebt! Ich mache mir darüber keine Sorgen, zumal ich ja mehr zum Fortbestand beigetragen habe, als etliche Vettern und Cousinen zusammen.
Ich habe bei Wikipedia nachgelesen. Ein modischer Bedeutungswechsel geht aber nicht zu meinen Lasten. Wir Mediziner denken nun einmal simpel. Gynäkologe ist ein Frauenarzt (oder stimmt das auch nicht mehr?), und wenn ich ›-logie‹ wegnehme, bleibt ›Frau‹ übrig. Der hänge ich dann ›Freund‹ an, und schon hammer’s, dachte ich mir so in meinem jugendlichen Leichtsinn.
Ihre Sätze über Ihre Kinder haben mich sehr betroffen gemacht. Ich bin glücklich, dass zwei noch in Berlin sind, und ich sie dauernd sehen kann. Die junge Mutter lebt in Bielefeld, auch nur vier Stunden entfernt, sodass ich häufig meine Enkel sehen und mich an deren Entwicklung erfreuen kann. Wo meine Jüngste mal landen wird, weiß ich noch nicht.
Ja, ja, ich hatte die Latte sehr hoch gehängt. Es waren einfach zu viele Zuschriften! Ich dachte, nur die außergewöhnlichen Damen, die sich nicht abschrecken lassen und nicht im ›das tut man nicht‹ verhaftet sind oder die genau so unsinnig antworten, kommen für ein Treffen infrage. Also den Witzbold unter den Damen habe ich gesucht, eine Leserin, die genau verstand, dass alles nicht ernst gemeint war, denn ich hatte anfangs doch schon geschrieben, dass ich über alles und jedes meine Sparwitzchen mache.
Aber die Formulierung, ›Liebe und verehrte Marion,
Oberstudienrätin und Freifrau‹, war doch wohl gut? In einen einzigen Satz – über ca. 18 Zeilen und ›mit der Natur ihren Lauf‹ endend – so viele Informationen hineinzupacken, müsste eine Germanistin doch loben – oder?
Da ich in meiner Zeit, als ich noch jung und rüstig war und als Redakteur eines Kammerblättchens gelegentlich die Kolumne schreiben musste, weil der vorgesehene Autor ausfiel, ging auch manchmal die sprachliche Fantasie mit mir durch.
Also Hutten! Ihr Name ist doch deutlich geschichtsträchtiger als meiner. Während meine Ahnen seit 1209 nur für den Fortbestand der Gene sorgten, schrieben andere Briefe an die deutsche Nation.
Ich denke, meine Vorfahren konnten gar nicht schreiben. Wozu auch? Die Vermehrung funktioniert auch ohne Schriftkenntnisse, oder irre ich mich schon wieder?
Aber eins möchte ich doch noch loswerden. Ich habe alle Damen davor gewarnt, das in der Klammer Geschriebene zu lesen. Sie sind ein Schlitzohr! Erst lesen und dann Vorwürfe machen! Das giltet nicht!
Wenn’s auch ein Cabernet sauvignon sein darf, würde ich über Ihren Vorschlag nachdenken. Wie die Sache auch ausgehen sollte, Ihren aufmerksamen und mitfühlenden Enkel dürfen Sie nicht enttäuschen.
Mit einem gehorsamen Handkuss bin ich Ihr
Maximilian
PS: Als dritte Hürde erhalten Sie nun ein Foto von mir und meinen beiden Enkeln. Den Hautausschlag hat der Fotograf wegretuschiert.
5. August – 16:42 Uhr
Evachen,
ich bin so wahnsinnig kaputt! Das merkte ich erst, als ich hier in meiner schönen Höhle ankam. Wenn alle Mannequins des Universums an mir vorbeilaufen würden, ich bin zu schlapp, um die Augenlider zu öffnen und den Kopf zu drehen.
Mein Herz, was machst Du nur aus mir? Ich freue mich so aufs Bett, aber allein, ganz allein!
Dein Katerchen
PS: Wegen der Ferien wird kaum ein feuriger Mann in Berlin sein! Ätsch! Und die Hälfte der Mitarbeiter beim Tagesspiegel ist auch im Urlaub. Das wird der Grund sein, warum Du erst nächste Woche eine einzige schlappe Zuschrift erhalten wirst.
5. August – 17:22 Uhr
Mein Liebster,
überraschenderweise bin ich topfit. Aber es sind letztlich immer zwei Tage, die bei unserer Begegnung dahingehen. 1. Tag Liebe, 2. Tag Erholung!!!
Kommst Du, um Claudios Verband zu wechseln? Er ist schon wieder fröhlich, auch wenn er noch nicht laufen kann.
Kuss
ta cherie
5. August – 18:41 Uhr
Dass Du top bist, weiß ich auch, aber ob fit?
Nach etwas Schlaf geht es mir nun besser. Heute werde ich mir etwas mit wahnsinnig viel Knoblauch kochen. Soll die Potenz heben und die nächste Liebesnacht droht mir ja am Samstag! Ganz, ganz früh und ganz, ganz allein ins Bett, das ist das Einzige, woran ich noch denken kann.
Dein Amore
5. August – 21:01 Uhr
Na, Du scheinst mir ja doch ein bißchen wehleidig zu sein!
Und wenn es wirklich so schlimm ist: Wer ist denn so maß- und hemmungslos, dass er nach einer rauschhaften und erfüllten Liebesnacht ungefragt nach dem Aufwachen seine noch schlafende Bettgenossin einfach so benutzt? Du doch!
Ich habe mich extra nicht gerührt oder bewegt, in der Hoffnung, dass es dann schneller vorübergeht.
Nach dem Frühstück weiche ich unauffällig zum PC aus, erneut in der Hoffnung auf Ruhe und Gelassenheit. Höchstens drei Sekunden später sitzt Du hinter mir und streichelst mich so besitzergreifend, dass ich Sternchen sehe und nichts mehr auf die Reihe kriege, und dann schimpfst Du auch noch, dass ich mich so oft vertippe und alles durcheinanderbringe.
Dann lege ich mich ins Bett, um noch ein bisschen zu schlafen. Du verfolgst mich heimlich, und eh ich es bemerke, liegst Du schon wieder neben mir, nackt wohlgemerkt, und ich wusste gleich, was das bedeutet! Und tatsächlich! Dann stecktest Du einfach wieder Dein Stängelchen in meine Vase.
Um diese Bedrängung zu beenden, erwähne ich, dass ich jetzt ein Bad nehmen will. Statt Dich nun endlich zurückzuziehen und zu kapieren, dass Deine Bettgenossin Busen und Perle sich erholen lassen will, springst Du ins Wasser, obwohl es fast kochend heiß ist, und besetzt den größten Teil der Wanne.
Da ich kaltes Wasser nachlaufen lasse, bevor ich einsteige, bist Du böse, weil Du so lange warten musst, bis ich endlich ins Wasser komme, mich setze – und was machst Du dann?
Sofort in medias res. Dein Kopf verschwindet zwischen meinen Beinen!
Amore, sieh also ein, dass Du es einfach zu bunt treibst!
Und dann willst Du auch noch Knoblauch zur Potenzförderung nehmen?
Deine Eva
5. August – 21:28 Uhr
Amorissima, ich habe herzlich gelacht!
Aber es war doch ganz anders! Du bist einfach da, mit Deiner Haut, Deinem Geruch und Deiner Ausstrahlung! Alles verwirrt mich.
Mit meiner jüngsten Tochter gab es eben ein erfreuliches Gespräch. Sie hat gesagt, Sie habe die Zeit und die Unterhaltung mit Dir genossen und Dich sehr gern. Sie meinte, Du würdest zu mir passen (hört, hört, so ein Grünschnabel!).
Gute Nacht, mein Liebling, schlafe schön.
Amore
6. August – 00:16 Uhr
Mein Geliebter,
heute, erst nach 14 Uhr, kam doch die Post noch an. Drei Briefe. Mir schrieb u. a. ein professioneller Stadtführer! Ist das nicht süß? Aber das Foto, das er beilegte! Hilfe! Nicht die kleinste körperliche Annäherung wäre mir möglich. Schrecklich! Ich werde es Dir zeigen.
Dann ein Diplom-Betriebswirt, aus dessen Brief so viel Einsamkeit und Erlösungshoffnung spricht, dass ich ganz traurig wurde.
Dann ein Historiker, der netteste Brief. Dem werde ich auch antworten. Und dann denke ich: Welches Glück wir haben, dass wir uns so gut riechen können und so gerne zusammen sind.
Zu Deiner Tochter: Ich kenne sie natürlich nur von unserer kurzen Unterhaltung, denke aber, dass ich viel und auch offen mit ihr sprechen kann, und vielleicht kann ich ihr zu einem besseren Verständnis für Dich verhelfen. So wie Du vielleicht zwischen meinem Vater und mir vermitteln kannst. Wer weiß? Wir werden sehen.
Angelo mio, ich schließe Dich in meine Arme.
Deine Eva
6. August – 00:43 Uhr
Amore,
vergiss alle Gedanken über Deine Potenz, liebe mich einfach von Herzen. Wenn ich das fühle, kommt alle körperliche Hingabe bei mir wie von selbst, wie Sternenregen, wie eine wahnsinnige Raserei! Ich liebe Dich. Du bist zauberhaft.
Deine Eva
6. August – 08:12 Uhr
Mein Evachen,
vielen Dank für Deine süßen Mails. Zunehmend erkenne ich, dass ich einen Sechser – mit Zusatzzahl! – im Lotto gewonnen habe. Heinrich scheint Deine Freundschaft mit Dir wieder zu suchen. Dies freut mich. Ich fände es wunderbar, wenn alle Deine ›Leichen im Keller‹, also inklusive Vater, zum Leben erweckt würden. Ich glaube, man trägt an einer ewigen Last, wenn eine Beziehung und Freundschaft, die einmal große Bedeutung hatte, abrupt endet.
Wir werden nicht nur älter, sondern auch weiser und ruhiger. So wie wir Fehler machen und Freunde und Verwandte – meist nur unbewusst, unbeabsichtigt oder auch fremdbestimmt – vor den Kopf stoßen (das passiert Dir ja gelegentlich auch) und deshalb nicht den Menschen verlieren möchten, sollten wir anderen auch deren Fehler verzeihen.
Dein Katerchen
6. August – 09:56 Uhr
Mein Evachen,
Deine gestrigen Mails haben mich sehr glücklich gemacht. Danke. Ich bin nun zum ersten Mal seit unserem Kennenlernen ruhig und im tiefsten Inneren sehr, sehr glücklich.
Die Unsicherheit, die natürlich immer noch da war, ist weg. Wenn wir uns nun weiter aufeinander zubewegen und die verbleibenden Irritationen immer liebevoll besprechen, kann wirklich was aus uns beiden werden: Die schönste Liebesgeschichte auf der ganzen Welt. Du weißt ja, dass ich einsichtig bin. Mein taktloser Spruch in der Philharmonie geht mir nicht aus dem Kopf.
Die neue innere Ruhe wird mir auch helfen, viel produktiver zu sein. Ich umarme Dich immer liebevoller und liebevoller, bis es nicht mehr weitergeht.
Dein Amore
2regenbogenweb.de
6. August – 14:26 Uhr
Lieber Maximilian,
herzlichen Dank für das sympathische, mich anrührende Foto, das Sie mir freundlicherweise – und dazu ungefragt, was ich als Zeichen Ihres weiteren Interesses an mir deuten möchte – zugesandt haben.
Wissen Sie, durch meinen Beruf wie durch meine Forschungsarbeit ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen, Texte, die in Klammern stehen, zu lesen. Auch dann, wenn ich darin mit dem größten Unsinn konfrontiert werde.
Um Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit zu praktizieren, sende ich Ihnen nun auch eine Ablichtung meines äußeren Daseins.
Herzlichen Gruß
Marion
6. August – 14:27 Uhr
Evachen,
es ist für mich immer wieder eine Freude, mit Dir zu sprechen. Das kämpferische und kontradiktorische ist in den letzten Tagen aus unserer Unterhaltung verschwunden. Ich habe noch mal über Italien nachgedacht. Natürlich würde ich gern 14 Tage oder noch länger mit Dir in Deinem Liebesnest verbringen. Über einen Teil meiner Bedenken habe ich Dich ja informiert. Die Entscheidung, mitzufahren, wäre ganz leicht und würde sofort von mir getroffen, wenn ich eine Einkommensquelle hätte.
Dein Katerchen
pockroy@web.de
6. August – 14:48 Uhr
Liebe Marion,
es ist witzig, aber gerade in dem Moment, als Ihre Mail einging, öffnete ich meine Box, um meiner Empörung Luft zu machen. Sie sind ein viel größeres Schlitzohr, als ich dachte, und bei mir klingelt der Groschen nicht mehr so schnell und hell, seit wir die Eurowährung haben.
Eine Lehrerin an einer bilingualen Schule in Frankreich behauptet ungeniert, sie kenne Villons Erdbeermund-Gedicht nicht! Und ich mache mir Arbeit, suche bei Google, kopiere umständlich und füge das Werk sorgfältig an der richtigen Stelle ein. In Zukunft werde ich mich nur noch selber auf den Arm nehmen.
Hat es aber eine tiefere Bedeutung, dass Sie mir zweimal das gleiche Bild sandten? Bei Ihnen bin ich mir mittlerweile nicht mehr sicher. Ich freute mich, nachdem mir schon das erste gefiel, nun auf das zweite, da ich annahm, mir wird nun eine Ganzkörperaufnahme im Bikini oder noch verführerischer präsentiert. Nüscht!
Liebe Grüße
Ihr Maximilian
PS: Sie können es einfach nicht sein lassen! Ich habe mich doch zum Thema gynophil offenbart und meine Unkenntnis zugegeben. Und nun kommen Sie mit Brüderlichkeit an. Ich hab’s nicht mit Brüdern, ob warm oder kalt. Bei Schwestern steigt allerdings mein Puls kräftig an.
6. August – 15:04 Uhr
Amore,
Du und ich sollten unsere Gemeinsamkeit nicht vom Geld abhängig machen! Ich kann Dir ja etwas leihen. Geht das nicht? Irgendwann kommt schon die Knete, und dann gibst Du es mir wieder zurück. Ja?
Kuss und Liebe
Deine Eva
6. August – 15:52 Uhr
Mein liebes Evachen,
süß gemeint, Dein Angebot. Ich nehme es auch gern an, wenn ich absolut sicher bin, es in absehbarer Zeit zurückzahlen zu können. Im Moment bin ich aber noch nicht davon überzeugt.
Ich möchte Dich heute gern sehen und in den Arm nehmen. Es reicht mir, wenn es ganz kurz ist, vielleicht beim Spaziergang, bevor der Pianist kommt. Du gibst mir soviel Lebensfreude und Mut! Ich finde, einmal täglich, wenn auch nur für Minuten, sollten wir uns sehen. Ich bin doch immer ganz schnell da.
Dein Amore – so richtig tief, fest und glücklich!
6. August – 16:54 Uhr
Geliebte Regina,
das Spiel geht weiter, und wer weiß, ob es wirklich nur ein Spiel ist und bleibt! Ich bin total verunsichert.
Max und ich sind augenblicklich im schönsten und harmonischsten Liebesglück, er schreibt mir die süßesten Mails, im Bett ist es auch wunderbar. Trotzdem schreibt er beständig an Marion weiter! Und wie!
Ist es doch so, dass er letztlich nur Sex bei mir sucht? Wie oft hat er das – wenn auch scherzhaft – schon gesagt!
Als ich ihn fragte, ob er noch an die Lehrerin mailt, sagte er: kaum. Und als ich fragte, ob er schon ein Foto von ihr gesehen habe, verneinte er.
Ich hatte ihm aber gerade wenige Stunden davor ein Foto geschickt, das ich aus den Suchanzeigen im IN herausgenommen hatte: eine schöne, elegante 60-jährige blonde, feine Dame. Er hatte ihr sofort geantwortet und bat sie um ein Foto im Bikini- oder um ein Nacktfoto! Er belügt mich!!!
Was mich besonders verletzte: Er schickte ihr ›unser Liebesgedicht‹ von Villon. Das hat mir einen schmerzhaften Stich versetzt.
Ist Max ein Benutzer und Heuchler?
Mir macht das alles gar keinen Spaß mehr! Aber ich habe es mir ja selbst eingebrockt und wer weiß, vielleicht kommt dabei sein wahres Gesicht zu Tage! Ich habe heute auf seinen (der sympathische Dr. Kalisch) Anzeigenbrief geantwortet, damit die Verwirrung noch größer wird. Und jetzt hinein ins Chaos!
Sei lieb gegrüßt von Deiner Eva
6. August – 17:23 Uhr
Liebste,
jetzt bin ich aber auch verblüfft. Ich war mir immer sicher, dass Max Dich wirklich liebt! Aber was Du nun schreibst, klingt gar nicht gut. Du musst alles auf die Spitze treiben! Marion muss ihn nun zu einem Wein einladen. Mal sehen, ob er sie treffen will. Mensch, Eva! Das ist ja direkt ein Theaterstück! Sag ihm ja nicht in einer schwachen Stunde, dass Du Marion bist! Halte durch!
Ich muss zum Theater!
Umarmung von Deiner Regina
EvaMariaGlaser@web.de
6. August – 17:55 Uhr
Sympathischer Herr Dr. Kalisch!
Ja, diesen Eindruck habe ich sofort gewonnen, als ich Ihren Brief gelesen hatte! Und was mir besonders gefällt, zwei Neu-Berliner wandern demnächst – Seite für Seite in einem Stadtführer blätternd – durch diese spannende Stadt!
Gerade weil Ihr Brief mir so gefällt, und weil ich in Partnerschaftsangelegenheiten größten Wert auf Ehrlichkeit lege (alle anderen Fehltritte kann ich verzeihen, aber Lügen nicht), möchte ich Ihnen etwas zu meiner momentanen Situation mitteilen. Dann sind Sie informiert und können entscheiden, ob Sie weiter mit mir in Kontakt bleiben wollen oder nicht.
Die gleiche Anzeige, die Sie gelesen haben, habe ich Mitte März schon einmal im Tagesspiegel veröffentlicht und habe mich in einen Mann verliebt, trotz aller Verschiedenheiten in Lebensweise und Wahrnehmung, was ich schnell erkannte.
Da ich seinen konservativen Lebensvorstellungen nicht folgen wollte, mich heftig dagegen wehrte, kam es oft zu Streitereien. Nach vier Monaten haben wir die Beziehung freundschaftlich beendet.
Aberwitzigerweise schlug er mir nach einigen Tagen vor, weiterhin mein Bett mit ihm zu teilen, unser Herz, unsere Gefühle müssten wir ja nicht mit einbeziehen! Ich war sehr verletzt und musste erkennen, dass er in erster Linie Sex mit mir haben wollte. Mehr war da nicht. Ich lehnte das Angebot natürlich dankend ab.
Männer sind anders, das weiß ich. Und da Sie ein Mann sind, frage ich Sie, ob Sie das verstehen können? Bitte teilen Sie mir Ihre Meinung über sein Verhalten mit, ich wäre Ihnen sehr dankbar.
Nun kommt es noch heftiger: Da ich das nicht wollte, gab er noch am gleichen Tag eine Kontaktanzeige auf! Unsere Trennung hielt so circa zehn Tage an. Dann haben wir uns wieder versöhnt. Wir können nicht mit und nicht ohne einander sein!
Aber bei mir blieben Misstrauen und Unsicherheit zurück, denn er korrespondiert noch bis heute mit einer Lehrerin. Kann ich ihm wirklich noch einmal rückhaltlos vertrauen?
Bitte nehmen Sie mir diesen Brief nicht übel. Mit Sicherheit haben Sie ein anderes Schreiben erwartet. Aber ich wollte Ihnen nichts vormachen. Wir können doch auch gemeinsam Berlin besichtigen, ohne von einer Partnerschaft zu träumen.
Ich suche wirklich einen Freund, der mit mir auf Entdeckungsreise in Berlin geht, und Sie schreiben ja, dass Sie Zeit dafür haben. Mein Freund hat mir fast täglich Berlinerkundungen versprochen, aber bis heute kenne ich immer noch nicht mehr als die Straße, in der ich wohne.
Welchen Beruf üben Sie denn aus?
Damit Sie etwas mehr über mich – und nicht nur über meine momentanen Sorgen erfahren, schauen Sie sich doch mal meine homepage an: www.Piano.E-M-Glaser.de
Vielleicht weckt das ja Ihr Interesse als Stadtführer. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Mit herzlichem Gruß
Ihre Eva-Maria
kalisch44@web.de
6. August – 20:14 Uhr
Madonna mia,
welch ein Brief, welche Gefühle, welch eine Frau! Liebe Eva, (darf ich doch sagen, obwohl Sie mich so formal anredeten?) Kontakt mit Ihnen! Mit Eva Maria Glaser!
Seit fast 30 Jahren kenne und bewundere ich Sie.
Ich wohnte berufsbedingt damals in Frankfurt und kann mich noch genau an Ihr Konzert mit Beethovens V. Klavierkonzert erinnern. Es muss im Hochsommer gewesen sein. Ich entsinne mich, mit welchem Elan, vor allem mit welcher Kraft sie spielten. Es war ein wunderbarer Abend, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist. Ihre Körperbewegungen, an denen man das Kommende schon vorausahnen konnte, und Ihre Konzentration, mit der sie das Publikum in Ihren Bann zogen, waren einzigartig!
Da ich nun über Ihre Homepage viel über Sie weiß, muss ich auch mich vorstellen. Ich hatte den ganz seltenen Beruf des Redenschreibers, nicht für Politiker, sondern für Männer der Wissenschaft, der Wirtschaft etc.
Immer wenn’s um Karnevalreden oder um Laudationes ging, die unterhaltend und witzig sein sollten, kam ich ins Spiel. Ich war dann häufig bei den Reden auf den hinteren Stuhlreihen dabei und genoss es ungemein, wenn der Redner Applaus erhielt, denn ich wusste ja, letztlich galt dieser meinen Formulierungen.
Redenschreiber sind ›ultrageheim‹, scheuen die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser, denn niemand darf wissen, dass die Worte, mit denen Prof. X, Dr.Y oder Aufsichtsratsvorsitzender Z Applaus und Anerkennung erhielt, nicht von ihm selber stammen. Sie finden mich deshalb auch nicht unter Google.
Das Unglück, meine Eltern zu verlieren, hat mich vor elf Jahren allerdings in die Lage versetzt, mich vom schnöden Gelderwerb zu verabschieden. Nun sitze ich seit drei Jahren an einer Biografie über den brillantesten italienischen Gelehrten der Renaissance, Giovanni Pico Baron de Mirandola, der Ende des 15. Jahrhunderts in Florenz lebte.
Liebe Eva Maria, bitte nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich heute noch nicht zu Ihren Fragen, ob man einem Mann trauen darf oder nicht, Stellung nehme.
Ich kenne Sie und Ihre Gefühle noch viel zu wenig, um Ihnen den Rat in einer fast shakespearehaften Komplikation geben zu können. Wenn ich Sie etwas besser kenne, werde ich mich Ihren Fragen aber nicht verweigern. Ich hoffe jedoch sehr, dass ich irgendwann von Ihnen nicht nur zum Umblättern des Berlinführers benötigt werde!
Liebe Grüße
Ihr Ingo
2regenbogen@web.de
7. August – 16:52 Uhr
Lieber Maximilian,
ein herrlicher Sonntag! Ich verbringe ihn mit Gartenarbeit, die ich sehr liebe und die immer eine beruhigende, ja meditative Wirkung auf mich hat. Wie verbringen Sie eigentlich Ihre Wochenenden? Gibt es da ein Reglement oder fällt jedes We anders aus?
Ja, was denken Sie denn? Glauben Sie wirklich, dass Sie das einzige Schlitzohr in Berlin sind? Wenn ich will, kann ich es faustdick hinter den Ohren haben! Und ausschließlich als Schlitzohr führe ich meine Korrespondenz mit Ihnen! Und das macht mir ebenso viel Spaß wie Ihnen! Ich entwerfe zwar keine verqueren Theorien über das Kennenlernen, aber wenn man sie so neckisch serviert wie Sie, lese ich sogar armselige Klammerinhalte!
Augenblicklich bin ich von einer anderen Lektüre gefangen: ›Im Schatten des Windes‹ von Carlos Ruiz Zafon. Sehr spannend und in seinem philosophischen Tiefgang aufwühlend geschrieben. Ich kann Ihnen diesen Roman nur empfehlen, sollten Sie nicht wissen, was Sie lesen sollen.
Gern und oft beschäftige ich mich sonst mit dem Fin-de-siècle, einer Epoche, die mit ihrer dekadenten Lässigkeit wie mit ihrer Melancholie eine große Faszination auf mich ausübt. Hofmannsthal, Ibsen, Wilde, Tschechow in der Literatur, in der Musik Mahler, Strauss, Sibelius, Wagner und in der bildenden Kunst besonders Beardsley und Klimt.
Die Wiener Kaffeehäuser jener Epoche, die fantasievollen Maskenbälle in Paris, das Dandytum in England, das macht mir Spaß und weckt meine Vorstellungskraft. Welcher Lektüre geben Sie denn den Vorzug?
Vom 10.-12.8. besuche ich meinen Sohn in Paris. Damit ich ihm nicht nur von unseren fröhlichen Mails, sondern auch von einer Begegnung beim Wein berichten kann, wäre es mir angenehm, wenn Sie nun mit dem Nachdenken beginnen würden und mir das Resultat mitteilen.
›Wenn’s auch ein Cabernet sauvignon sein darf, würde ich über Ihren Vorschlag nachdenken‹, schreiben Sie doch. Also, ich schlage nächsten Dienstagabend oder auch Mittwoch vor. Sie dürfen wählen.
So, so, eine Ganzkörperaufnahme im Bikini oder noch eine verführerischere Präsentation wünschen Sie sich von mir … Anspruchvoll sind Sie wohl gar nicht.
Ich bitte um Verständnis, dass ich Sie damit so lange warten lassen muss, bis ich weiß, ob Sie mir wirklich zugetan sind. Ich verspreche Ihnen aber, dass ich auch bekleidet keine schlechte Figur abgebe. Ich freue mich auf eine Nachricht und grüße Sie herzlich
Marion
pockroy@web.de
7. August – 22:16 Uhr
Liebe Marion,
vielen Dank für Ihre lange und informative Mail. Sie stellen viele Fragen, einige versuche ich zu beantworten.
Ich habe kein Wochenendritual. Mal treffe ich mich mit Freunden oder den Kindern, mal fummle ich in meinem Kellerlabor herum, mal setze ich meine Wohnungsrenovierung fort, mal suche ich in eBay.de oder eBauy.fr nach Empire, mal lese ich nur. Pas de système!
Ihre Aufzählung schlauer Kerlchen bringt mich etwas in Verlegenheit. Beardsley, vor allem den Lysistrata-Zyklus, liebe ich wegen der Eleganz der Formen und wegen seines Humors. Von Klimt verstehe ich nichts, ebenso wenig von Hofmannsthal. Ibsens nordisch-puritanisch-schwermütige Denkweise ist mir immer fremd geblieben.
Ich bin aber ein großer Freund von Griegs Peer Gynt, besonders Solvejgs Lied. Von den aufgeführten Komponisten, Ausnahme Wagner, der übrigens alles ist, bloß kein Fin-de-siècle-Vertreter, verstehe ich nicht so viel, um meinen Mund aufmachen zu dürfen.
Aber Dorian Gray ist schon wahnsinnig. Das ist Dekadenz, Lässigkeit und Dandytum pur und in Perfektion. Ich liebe den Titel eines tschechischen Films: ›Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins‹. Der Film hielt allerdings nicht, was der wunderschöne Titel versprach.
Im Prinzip bin ich auch ein großer Bewunderer der Fin-de-siècle-Mentalität (Tschechow war’s genauso wenig wie Ibsen!). Die fast morbide Verfeinerung des Stils und der Lebensweise üben eine große Faszination auf mich aus. Mein bester Freund, Francois (hat sich leider totgesoffen) war ein Franzose (zweitbestes Examen am Polytechnikum 1964). Er hat mich sehr stark beeinflusst und mich an Formen der Verfeinerung herangeführt, die mir bisher fremd waren.
Vielen Dank für den Buchtipp. Vielleicht werde ich dem folgen, um ein adäquater Unterhalter zu sein. Vor wenigen Tagen las ich ›Die Schule der Lügen‹, es war beeindruckend, umfassend von dem Autor Wolfram Fleischhauer recherchiert, spannend geschrieben und blendend konstruiert, aber es war auch ›nur‹ ein Roman.
In wirklich guten Biografien, besser noch: In thematisch eng begrenzten Monografien fühle ich mich mehr zu Hause. Die Diskussionen in den Konzilien von Nicea und Chalcedon finde ich immer noch spannender als manchen Roman mit aktueller Beziehungskistenthematik.
Ich preferiere Mittwoch für einen Cabernet. Dienstags trinke ich nur trockene Rieslingsweine. Irgendein System muss der Mensch doch haben! Mit Wehmut, dass das zweite Foto nicht den Neuigkeitswert hatte wie das erste, bin ich mit lieben Grüßen
Ihr Maximilian
7. August – 22:40 Uhr
Mein geliebtes Evachen,
Dein Vorschlag, mich mit der Lehrerin in dem gleichen Lokal wie Du mit dem Historiker zu treffen, ist doch absurd! Was soll denn dabei schon herauskommen? Noch mehr Irrungen und Wirrungen! Ich gehe jetzt allein ins Bett und schlafe mich aus.
Schlafe auch mal früh ein und träume von mir so wie ich von Dir.
Dein Max
8. August – 02:12 Uhr
Mein süßer Schatz,
ich fand meinen Vorschlag gar nicht so schlecht! Du könntest von Deinem Tisch zu mir herübersehen und den Historiker begutachten, und ich täte das ebenso von meinem Tisch aus bei Deiner Lehrerin. Aber leider geht es nicht, denn der Historiker hat mir nicht mehr geantwortet. Ich wollte ihn nicht, das hat er natürlich gemerkt.
Was ich Dir aber bisher verschwieg: Ich korrespondiere schon längere Zeit und wesentlich intensiver mit einem Dramaturgen vom Berliner Max-Gorki Theater. Den würde ich gerne treffen, denn er schreibt originell und lustig. Da ich ihn sowieso mal kennenlernen will, böte sich mein Vorschlag erneut an! Was sagst Du dazu?
Es wäre eine kleine Inszenierung im Café Dollinger, von der nur wir beide wüssten! Das ist doch toll! Und Deine Lehrerin würde sich sicher auch freuen, zumal Du ihr ja kaum und dann nur wenig und ganz kurz schreibst, wie Du mir gesagt hast. Also los!
Lass uns das kleine Abenteuer wagen!
Claudio hat heute den ersten Gehversuch gemacht. Er schleppte sich, das Bein nachziehend, über den Boden. Ein Jammerbild. Aber ich denke, ab morgen kann er sein Geschäft wieder vor dem Haus am Baum machen. Gott sei Dank habe ich einen Aufzug!
Deine Geliebte
8. August – 09:03 Uhr
Mein Evachen,
ich versuchte mehrfach, Dich anzurufen, aber nur Claudio war da. Er sagte, er wisse nicht, wo Sie sich gerade rumtreiben. Etwas undeutlich bellte er was von Fremdenführern und Dramaturgen ins Telefon.
Ich weiß nicht, wofür dieses kleine Abenteuer, wie Du es nennst, gut sein soll. Vor allem gefällt mir nicht, dass wir dabei mit den Gefühlen anderer Menschen spielen. Wer weiß, was sich der Dramaturg von Dir erhofft? Und warum soll ich die nette Lehrerin, sie heißt übrigens Marion, so an der Nase herumführen? Also, sei mir nicht böse, aber ich bin gegen dieses Treffen. Denke noch mal darüber nach. Wie würdest Du Dich fühlen, wenn Du nur zum Spaß zu einer Verabredung bestellt würdest?
Dein treuer und redlicher Geliebter
8. August – 11:24 Uhr
Amore mio!
So kenne ich Dich ja gar nicht! Du sagst doch immer, dass Du nichts und niemanden ernst nimmst, von Gelassenheit geprägt seist und kein Scherzlein versäumen möchtest, das Leben leicht und fröhlich, ja pfiffig nimmst. Warum nicht auch bei diesem Doppelrendezvous, das uns sicher viel Spaß bringen wird?
Ich verstehe Deinen plötzlichen Ernst und Deine bedeutungsvollen Überlegungen überhaupt nicht. Ausgerechnet Du!
Und was die Gefühle Deiner Lehrerin betrifft, die Du verletzen könntest: Ihr habt doch kaum Kontakt! Kein Foto ausgetauscht! Nur ein paar kurze Mails! Da sind doch noch gar keine Gefühle geweckt worden. Na also.
Ich habe eine große Liebe für das Theater, und im Café könnte ich das voll ausleben. Also, bitte sei wieder pfiffig und komme mit. Du sagst doch immer, der Wunsch einer Dame sei Dir Befehl!
Nun stehe mal zu Deinen großen Worten. Wie wäre es am kommenden Mittwoch? Da könnte ich gut.
Kuss Eva
8. August – 14:45 Uhr
Meine geliebte Schlingeline,
Du weißt ja, dass ich Deinen Wünschen nicht widerstehen kann. Nun gut – oder schlecht – ich werde Marion für Mittwoch einladen. Ich entwickle inzwischen eine richtige Abneigung gegen Kontaktanzeigen! Aber ohne diese wären wir uns nie begegnet. Und nur deshalb werde ich also mitkommen.
Dein Knecht
pockroy@web.de
8. August – 15:26 Uhr
Liebe Marion,
wenn Sie einverstanden sind, könnte der Cabernet am Mittwochabend durch unsere Kehlen fließen. Ich sehe ein, dass Sie Ihrem Sohn wenigstens beschreiben wollen, welch langweiliger, geistloser und geiziger Inserent Ihnen begegnet ist, denn ich werde Sie zu Ihrem vin rouge nicht einladen, da ich die Frauenemanzipation hochhalte und völlig respektiere. Dies widerspricht zwar den Gesetzen unserer uralten Familien, aber wir leben nicht mehr in feudalen Zeiten, sondern genießen die Autonomie der Frauen auf allen Gebieten.
Darf ich Sie also um 20 Uhr im Café Dollinger am Stuttgarter Platz in Berlin-Charlottenburg erwarten, oder haben Sie einen anderen, vielleicht besseren Vorschlag?
Ihr zunehmend ungeduldiger und sehr neugieriger
Maximilian
2regenbogen@web.de
8. August – 16:52 Uhr
Lieber Maximilian,
ja, ich komme gerne ins Café Dollinger, das ich noch nicht kenne. Ich freue mich immer über Neuentdeckungen in anderen Berliner Stadtteilen. 20 Uhr ist okay. Sie werden mich an einem großen, blütengeschmückten Hut erkennen. Ich gehe ohne Hüte nie aus dem Haus, ein Tick von mir. Und, verehrter Maximilian Baron von Clausenthal, es wird mir ein Vergnügen sein, Ihren Cabernet – es dürfen auch zwei sein – zu begleichen. Wenn es sonst nichts ist, kann doch frau nicht klagen!
Auch ich bin neugierig und grüße Sie herzlich.
Marion
8. August – 17:12 Uhr
Meine Schlingeline,
jetzt wirst Du staunen: Ich habe Marion geschrieben, und sie hat mir für Mittwochabend im Dollinger um 20 Uhr zugesagt! Du hast es so gewollt! Jetzt musst Du nur noch Deinen Dramaturgen – wie heißt der eigentlich? – einladen. Was machst Du nur mit mir, Evachen? Bisher war ich doch ein anständiger Bürger, und jetzt das! Wer weiß, was Du noch weiterhin mit mir vorhast! Aber ich werde alles mitmachen, was Du mit mir unternehmen willst. Das sagte ich ja schon öfter, Amore. Und um ehrlich zu sein: Ich finde so langsam Geschmack an dem kleinen Abenteuer und bin neugierig auf Deinen Dramaturgen und natürlich auch auf Marion.
Immer der Deine
8. August – 20:32 Uhr
Geliebter Schlingel,
gerade komme ich vom Einkauf zurück. In der Galerie Lafayette fand ich einen großen, blumengeschmückten Hut, der so schön ist, dass Du in Ohnmacht fallen wirst. Das hattest Du Dir doch immer gewünscht! Dennoch, Amore: Du darfst nicht zu oft zu mir herüberschauen!
Du hast mich nicht enttäuscht! Ich hatte ja gehofft, dass Deine Neugier, Deine Lebenslust wie Dein verstecktes Theatertalent siegen würden!!!
Also, dann bis morgen. Der Dramaturg heißt Burkhard und wird auch zur Stelle sein. Und jetzt: Vorhang auf!
Deine Eva
Da stand nun Maximilian vor der Eingangstür des Cafés. Die rechte Hand auf einen Elfenbeinstock gestützt, Standbein, Spielbein, korrekter Haarschnitt, Brille. Herrenpopelinmantel, alles in sich stimmig, und Eva-Maria dachte: Ja, das ist er, das ist der, den ich liebe. Sie ließ ihn aber ein Weilchen warten und beobachtete mit Gelassenheit, wie er begann, unruhig auf und ab zu gehen. Zu ihrer Erleichterung hielt er keine rote Rose in seiner, mit einem Glaceehandschuh bekleideten Hand.
Mit wiegenden Hüften überquerte sie ganz langsam die Straße und hielt mit der rechten Hand ihren großen Hut fest. Maximilian Baron von Clausenthal traute seinen Augen nicht, er wusste in der Tat nicht, wen er da kommen sah. War das Marion? Ja oder nein? Oder doch, oder doch nicht?
»Guten Abend, ich bin Marion Freifrau von Hutten«, säuselte Eva-Maria.
»Du Biest!«, schrie Max so laut, dass alle Gäste aufschauten. »Du bist ja das durchtriebenste Geschöpf, dem ich jemals begegnet bin!«
Und dann fielen sich die beiden in die Arme, lachten, quietschten und küssten sich und drehten sich im Kreis, sodass plötzlich ein Kaffeehaustisch klirrend umkippte.
»Du hast nichts gemerkt, mein Liebster, aber ich wusste gleich, dass Du Dr. Kalisch warst.«
»Wieso, ich hatte doch so gut geschrieben!«
»Ja, aber Du hattest auf der Rückseite des Couverts Deine Adresse handschriftlich notiert!«
»Ich gebe mich geschlagen, Eva. Du hast auf der ganzen Linie gesiegt. Eine Flasche Rotwein«, rief Max dem Ober zu und stellte den Tisch wieder auf die Beine.
»Wie geht es Claudio? Und wo, Du Teufelin, ist Burkhard, der Dramaturg?«
»Den gibt es doch gar nicht! Mensch, denkst Du langsam!«, lachte Eva.
Er hielt sie fest, küsste sie und sah ihr über den Rand seiner Brille tief in die Augen, was sie zu ihrem eigenen Ärgernis verunsicherte und sich deshalb nun eine nicht zu übersehende Röte über ihrem Gesicht ausbreitete.
»Ein zartes Rosé ist meine Lieblingsfarbe, Amore«, sagte Max und ergriff ihre Hand.
»Weißt Du, Max, nachdem wir nun auch das überstanden haben, sollte sich unser Leben ändern. Wir sollten nun endlich ›Wir‹ sagen.«
Maximilian sah sie verdutzt an. »Bin ich heute Abend nur von Verwandlungen umgeben? Was meinst Du damit?«
»Da wir uns nicht ändern können, müssen wir eben die Umstände ändern. Was hältst Du davon, wenn wir uns eine gemeinsame Wohnung suchen? Unsere Sehnsuchtsanfälle würden sich normalisieren, und wir könnten uns darin üben, unsere Gegensätze in Harmonie zu verwandeln. Wir blicken schon auf ein langes Leben zurück. Jeder von uns ist in diesem Alter verwundet, und so könnten wir uns doch gegenseitig manchmal die Wunden lecken!«
»Eine wunderschöne Vision, Amore, wie stellst Du Dir das vor? Wo darf ich Dich lecken?«
»Wir gehen ab morgen auf Wohnungssuche«, antwortete Eva-Maria mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Wie viele Zimmer brauchen wir?«
»Also, einen Salon, ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer für mich und eins für Dich, ein Gästezimmer und Küche und Bad.«
»Denke aber auch an einen Keller für meine Versuche!«
»Natürlich, Barone, das weiß ich doch. Einen trockenen, beheizbaren Keller.«
»Evachen, ich sehe schon alles vor mir! Der Salon wird in zartem lindgrün gestrichen und mit zauberhaften Bordüren umrahmt. Die Vorhänge werden aus Damast sein und gerafft von traumhaften dunkelgrünen Kordeln gehalten. Ich werde die elegantesten Empire-Applikationen anbringen. Du musst endlich wissen, was Stil ist, Evachen. Es wird umwerfend schön werden.«
»Bordüren, Empire-Applikationen, dunkelgrüne Kordeln und vielleicht solche Lampen wie in Deiner Wohnung? Niemals! Das soll Stil sein? Meinst Du, ich will in einem Museum leben? Nein! Ich will nichts Vorgegebenes. Der Salon wird Ateliercharakter haben, mein Flügel, zwei Notenständer, weiße Sessel, moderne Bilder, meine Konzertplakate. Das reicht.«
»Liebling, Du musst noch viel lernen. Wenn Du erst Möbel aus Mahagoni, Ebenholz und Zeder mit Applikationen aus Goldbronze, wie z. B. Löwenfüße um Dich herum haben hast, wirst Du erst richtig glücklich sein können! Samt und Marmor, Würde und Eleganz werden uns umgeben, und Du wirst Dich damit anfreunden, dass die Wände der Räume nach und nach mit zarten Stoffen verkleidet werden. Evachen, das wird ein Traum!«
»Nein!!!«, echauffierte sich Eva. »Mach das bei Dir zu Hause! Ich würde mich nie mit einer solchen Umgebung identifizieren können.«
Ein beeindruckender Schlagabtausch zwischen Zeitgeist und Konservativismus ging hin und her, und schon wieder saßen sie da wie zwei begossene Pudel. Eva war die Lust vergangen, Maximilian mit zu sich nach Hause zu nehmen, wo der edelste Whisky für ihn bereitstand. An eine Liebesnacht war nicht mehr zu denken, obwohl sie sich das schon den ganzen Tag ausgemalt hatte.
Und Maximilian?
Er sah in weite Fernen und Brokatvorhänge wehten durch seine Träume. Ihn schien die Auseinandersetzung gar nicht weiter zu berühren. Stur und besserwisserisch beharrte er weiter auf seinen Vorstellungen.
Immer will er mich belehren und mir etwas aufzwingen, dachte Eva. Er wird sich nie ändern!
Sie stand auf und ging traurig alleine nach Hause.
9. August – 12:17 Uhr
Meine Amore,
ich dachte heute sehr häufig über Marion nach und bin Dir sehr dankbar, dass Du mir kleine Unwahrheiten (eigentlich Deinetwegen) und Stillosigkeiten verziehen hast.
Ich inserierte ja überhaupt nur, weil ich sauer und verletzt war, aber auch, weil ich in meiner Naivität dachte, eine vergleichbare, erfüllte Sexualität könnte ich auch mit einer 08/15-Frau erleben. Diesen Fehlschluss habe ich ja auch den langweiligen Antworten entnommen. Ich sehnte mich doch gleich nach Deiner Umarmung.
Schlafe und träume schön.
Mir fehlt meine Penthesilea tags und nachts!
Dein Schätzlein
9. August – 15:35 Uhr
Ich finde es schön und bin sehr froh darüber, dass wir nun endlich Waffenstillstand geschlossen haben und nur darauf warten, dass Fröhlichkeit und Leichtigkeit wieder einkehren werden.
Deine Gioia
9. August – 16:12 Uhr
Mein Liebling,
wieso Waffenstillstand? Mit dem überbrückt man doch nur kurzfristige Zeiträume, bis zum Ausbruch des nächsten Krieges.
Dann, liebste Gioia, sag mir doch bitte frühzeitig, wann Deine Aufrüstung abgeschlossen, und der Waffenstillstand zu Ende ist, damit ich nicht wieder unvorbereitet, schutz- und arglos Deinem nächsten, hinterhältigen Angriff ausgesetzt sein werde.
Gehen wir bald auf Wohnungssuche?
Dein Dich ewig liebender Max
10. August – 13:46 Uhr
Mein Geliebter,
morgen um 11 Uhr habe ich einen Besichtigungstermin in der Knesebeckstr. 43 vereinbart. Ich erwarte Dich im ›Ehrenkleid‹ mit Schärpen, Kokarden und Schleifen in rot-weiß-blau, mit dazu passendem Rock mit roten Aufschlägen und einer weißen Weste. Treffen wir uns am Hauseingang?
Deine Eva für immer und ewig!
Am 1. Dezember bezogen Eva-Maria Glaser und Maximilian Baron von Clausenthal eine gemeinsame Wohnung in der Leonhardstr. 17 in Charlottenburg.
Liebe Leserinnen und Leser: Ich werde Sie auf dem Laufenden halten. Fortsetzung folgt garantiert!