2. Abschnitt

 

7. April – 00:02 Uhr

Amore, warum bist Du denn verstummt? Seit einer Stunde keine Mail!

Habe ich was Falsches geschrieben? Oder bist Du tot?

Eva

 

 

7. April – 00:08 Uhr

Mein Liebling,

Du kannst jetzt nichts mehr sagen, was mich verstimmt oder zum Verstummen bringt. Auf unsere wunderschönen gemeinsamen Stunden kann kein Schatten mehr fallen!

Ich hatte mich nur in die Deutsch-Jüdische Geschichte der Neuzeit (Band 2) vertieft. Also etwas lese ich doch noch, jedenfalls dann, wenn ich nichts oder nur sporadisch von Dir höre.

Die Geschichten vom Preußischen Hof könnten Dich doch interessieren, wenn Du auf Rahel Varnhagen und die Mendelssohns stößt.

Schlafe nun schön! Streichle dich dort, wo ich Dich gern streichle. Aber denke dabei an mich und stelle Dir vor, ich würde es tun. Versprochen?

Ich freue mich darauf, vierzehn Tage mit Dir allein zu sein.

Du siehst, meine Liebste, tot bin ich noch nicht. Ich habe mir vorgenommen, in 33 oder 34 Jahren sanft, von einem wunderschönen Leben beglückt und mit strahlenden Augen in Deinen Armen einzuschlafen! Bis dahin werde ich noch recht munter sein, selbst wenn es Dir manchmal etwas zu viel wird, und das rechte Schultergelenk am nächsten Tag noch wehtut.

 

Warum bist Du nicht hier, meine geliebte Eva?

Dein stolzer Geliebter Max

 

 

7. April – 01:32 Uhr

Amore,

wir werden irgendwann, wenn wir die 14 Tage gut überstanden haben, zusammen nach Leipzig fahren, und dann wirst Du die große und vielfältige Musikkultur dieser Stadt kennen und lieben lernen. Das kann gar nicht anders sein.

Bach, Mendelssohn, Clara und Robert Schumann, Wagner, Leibniz, Körner, Hiller, Blüthner, Sternheim, Max Beckmann und viele, die mir jetzt nicht einfallen, lebten dort, und ihr Geist ist noch immer spürbar. Deswegen, nur wegen der Künste kommen die Menschen nach Leipzig und staunen. Nicht wegen des ›Leipziger Allerlei‹, um nur kurz das Thema Kochen zu streifen.

 

Kunst hat mich immer hochgehalten, wenn es mir schlecht ging, sie ist mit dem Heiligen verbunden. Aber sie ist nichts von uns Abgehobenes oder Abgetrenntes. Sie vereinigt alles – auch den Gott Eros.

 

Ich liebe Dich, mein Max, es ging alles so schnell und so leicht. Hilfe!

Deine Eva

 

PS: Apropos Nachteule:

es ist doch ganz egal, ob man am Tag oder in der Nacht lebt.

Hauptsache, man lebt.

Egal, ob man sich am Tag oder in der Nacht liebt.

Hauptsache, man liebt sich.

Ob man am Tag oder in der Nacht liest.

Hauptsache, man liest. Usw. Meinst Du das nicht auch?

 

 

7. April – 10:21 Uhr

Es ist auch egal, ob man am Tag oder bei Nacht faulenzt. Hauptsache, man faulenzt. Es ist auch egal, wie viel Wein man trinkt. Hauptsache, man trinkt! Es ist auch egal, was man isst. Hauptsache, es ist Lammfleisch! Es ist auch egal, wie viel Geld man hat. Hauptsache, die Börse ist immer leer! Und es ist auch egal, was Du machst. Hauptsache, Du liebst mich!

 

 

7. April – 19:55 Uhr

Mein geliebtes Evachen,

ich möchte Dir vorm ins Bett Gehen noch mitteilen, was Dich in unserem mecklenburgischen Häuschen erwartet. Ich denke, ich bin Dir diese ehrliche Auskunft schuldig! Bisher habe ich mich ja nur von der gesellschaftskonformen Seite präsentiert. Du solltest nun endlich wissen, wie es tatsächlich um mich steht und kannst Dich dann frei entscheiden, ob Du mich sehenden Auges in den tiefen Wald begleiten oder doch lieber die Zeit in wohltemperierten Konzertsälen verbringen willst.

 

Wie Dir bekannt sein dürfte, haben alle männlichen Mitglieder uradliger Familien auffallend lange, spitze Eckzähne. Ich habe sie nicht, weil man meine – wegen der Gefahr für reinrassige, blauhäutige und blondäugige deutsche Jungfrauen – schon kurz vor der Pubertät gezogen hat. Mein Zahnverlust hat zwar auf Jungfrauen schützende Wirkung, macht sich aber durch besonderen Appetit auf Frauen bemerkbar, die über einen differenzierten und breit sortierten Erfahrungsschatz mit unterschiedlichen Liebhabern verfügen!

Aus eigener, lustvoller Gier, aber auch aus einem tief verwurzelten Traditionsbewusstsein mache ich mich dann nachts über die Auserwählte her. Es kommt dann einfach über mich, es ist über mir und in mir, und nichts kann mich zurückhalten!

Vielleicht bist Du in Deiner grenzenlosen Güte und Hingabe sogar bereit, Dich zu opfern und mich von meinem Fluch zu erlösen. Dann könnte ich endlich zum Zahnarzt um die Ecke gehen und mir ein anständiges, gutbürgerliches Gebiss herstellen lassen. Der etwas ältere Zahnarzt im Nachbarhaus schaut mich schon immer so komisch an, wenn ich an ihm vorbeigehe. Ich traue mich gar nicht mehr, in seiner Gegenwart zu lachen, was ich doch eigentlich gern tue. Aber vielleicht ahnt er ja nichts und hofft nur, dass ich privat versichert bin.

Wie das so ist mit den 68ern: Die haben keine Ahnung vom Adel, dessen Stärken und Schwächen, haben nur Marcuse, Adorno und Hegel im Kopf, sind unwissend in der Mythologie, und im Alter denken die Jungs doch nur an die Rente. Wenn sie dann aber gebissen werden, wundern sie sich.

 

Ach, mein liebes Evachen. Ich freue mich, wenn ich Dir viele lustige Mails gesandt und Dich zum Lachen verführt habe. Aber es gibt leider Dinge und Situationen im Leben, die nicht komisch sind, die als Fluch über Familien hängen, und in denen versteckt in schwarzen Nebeln das pure Grauen aus den unermesslichen Tiefen des ewig Bösen hochkommt. Trotz allem wünsche ich Dir eine gute Nacht ohne Albträume und Schreckensvisionen (meine Großmutter hat Jungfrauen in deren höchster Angst immer den Tipp gegeben: Streichle dich dort, wo es am schönsten ist). – Auch ich möchte Dir in meiner grenzenlosen Liebe raten: Streichle Dich lieber einmal zu viel, als zweimal zu wenig! Ich liebe Dich!

Dein Baron Maxula

 

 

7. April – 20:46 Uhr

Meine geliebte Eva,

Du hast ja einen großen, wohl auch sehr netten, treuen und liebenswerten Freundeskreis. Mehrfach sagtest Du, der oder die sind ganz neugierig auf mich. Woher kommt diese Neugier?

Wollen Deine Freunde nur wissen, was man so auflesen kann, wenn eine Dame sich »per Inserat wegwirft« (Zitat Deiner strengen Freundin Uschi)? Interessiert sie die Exotik? Ein Adliger, der in einer Schlägerverbindung ist (gibt es ja auch sehr selten, weniger als 0,1 % eines Studentenjahrgangs), also so ähnlich wie das Eisbärbaby Knut, die neue Attraktion des Berliner Zoos?

Ein paar Informationen über das, was mich, und was man von mir erwartet, wären schon sehr hilfreich. Ich möchte ja niemanden enttäuschen.

Alles gerät in Unruhe, wenn ich an Dich denke. Meine Süße, nun schlaf gut!

Deine aufgelesene, exotische Mülltonne

 

 

7. April – 21:12 Uhr

Amore,

Du wirst es mir vielleicht nicht glauben: Es ist mir völlig egal, was meine Freunde von Dir erwarten.

Auch wenn ich sie schätze, ich muss mein Leben leben. So wie sie ihres. Wenn ich Dich lieben will, so ist das unabhängig von deren Meinung und allein meine Sache. Und so lange Du so liebevoll mit mir bist wie bisher, lege ich mich in Deine Arme, habe Sehnsucht nach Dir und wünsche mir, dass es ewig so bleiben möge.

Eva

 

 

8. April – 00:04 Uhr

Schade, ich dachte Du würdest mir in dem gleichen Stil antworten, in dem ich die Mail verfasste. Ich fragte Dich nach den Gründen der Neugier. Es hat mich doch beschäftigt, dass Heide mich als ›sehr konservativen Partner‹ in ihrer Mail bezeichnet hat. Deine Freunde haben einen äußerst überholten Begriff vom Konservatismus.

Die 68er waren mal fortschrittlich, denn als sie – neben vielen anderen, positiven politischen Zielen – die Gleichheit der Geschlechter forderten, standen sie einer großen Phalanx Konservativer gegenüber, die das alte Rollenbild der Frau verteidigten.

Die Gleichheit ist heute zwar noch nicht im vollen Umfang erreicht, aber sie ist in der Gesellschaft nunmehr unstreitig und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Überall gibt es Gender Studies. Merkel und von der Leyen – und Du selbst ja auch – sind Beispiele für die Veränderung der letzten 30 Jahre. Das Ziel der damaligen Bewegung ist im Prinzip erreicht. Und dafür müssen nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer den engagierten Studenten, Soziologen, Denkern der 68er Bewegung danken.

 

Wer also heute noch das Thema Chancengleichheit der Geschlechter und Emanzipation der Frauen in Deutschland diskutiert, ohne sich mit den zahllosen neuen, dringenden, existentiellen Problemen wie Globalisierung, Umweltverschmutzung, insbesondere Klimaveränderung, unser Konsumverhalten, das zur Ausbeutung der Dritten Welt führt etc. auseinanderzusetzen, verharrt noch an Themen, die nicht mehr aktuell und fortschrittlich sind. Dies tun nur noch die Konservativen der heutigen Zeit. An Äußerlichkeiten wie Schlips und Jackett überprüfen zu wollen, ob einer konservativ ist oder nicht, kann nur als oberflächlich und rückwärts gewandt bezeichnet werden.

Es erinnert mich, wie ich Dir heute schon sagte, an die bürgerlichen Schriftsteller des Fin-de-siècle wie O. Wilde, Th. Mann, Ibsen etc. Wunderschöne Literatur und elegante Sprache! Psychoanalysen über Menschen, die genug Knete hatten, um sich satt zu essen, sich elegant einzurichten oder in Schweizer Sanatorien zu fahren!

Die Arbeiter, sofern sie denn deren Werke gelesen haben, werden sich gedacht haben, meinen hungrigen Magen und meine dunkle, feuchte Wohnung im dritten Hinterhaus würde ich gern mal gegen deren dekadenten Weltschmerzproblemen eintauschen. Aber die brennenden Themen der Zeit um 1900, wie Nationalismus, Antisemitismus, Sozialismus u. v. m., haben doch nur die wenigsten, zumindest nicht die bürgerlichen Schriftsteller dieser Zeit behandelt.

Je mehr ich darüber nachdenke und die Kulturgeschichte rekapituliere, sehe ich immer wieder den gleichen Prozess, fast wie ein Entwicklungsgesetz. Auch unsere Klassiker haben als junge Dichter viele positive Entwicklungen angestoßen und galten als modern, fortschrittlich. 30 Jahre später kamen die Romantiker, die die Gedanken und Themen der älteren Generation als überholt, nicht mehr zeitgemäß und konservativ einschätzten. Insgesamt halte ich mich mit den Fragen und Problemen, die mich beschäftigen für wesentlich fortschrittlicher, der Zukunft und aktuellen Themen zugewandter als die meisten 68er mit ihrem Psychogedöns und der Betrachtung des eigenen Bauchnabels. Dies war mein Wort zum Sonntag.

Dein Cavaliere

 

 

8. April – 00:19 Uhr

Meine Liebste,

obwohl ich weiß, dass Du noch nicht wieder zu Hause sein kannst, hänge ich süchtig und in der Hoffnung an der Mailbox, dass ich, wenn schon nicht körperlich, dann zumindest geistig der schrecklichen Bestimmung meiner uradligen Abstammung nachkommen kann.

Ich würde mich jetzt so gern diesem archaischen Familiengesetz unterwerfen, um über Dir, unter Dir und in Dir zu sein. Ich würde nicht atmen wollen oder Ruhe suchen, nur um mit Dir in Harmonie und Ekstase eins werden zu können. – Übermorgen werden wir uns wiedersehen! Was wird mir die Zeit bis dahin lang!

Dein Cavaliere

 

8. April – 00:32 Uhr

Lieber Max,

nachdem ich die letzten Mails nochmals gelesen habe, sehe ich, dass Heinrichs Verhalten Dir gegenüber doch mehr verletzende Spuren hinterlassen hat, als ich zunächst dachte, weil Du es mehrfach als bedeutungs- oder harmlos dargestellt hast. ›Es ist amüsant, sich die Bälle zuzuwerfen.‹ usw.

An Deiner Frage nach der Neugier meiner Freunde zu Deiner Person und meiner Antwort darauf, die Dir missfiel, sehe ich, dass Du verunsichert und skeptisch bist. Max, es tut mir sehr, sehr leid, dass das passiert ist. Ich ließ Dich nicht ins offene Messer laufen, warum sollte ich das tun? Ich habe auch sofort für Dich Stellung bezogen: das Mindeste aus meiner Sicht. Und Heide hat ja nur das Foto von Dir kommentiert, und da sahst Du wahrlich nicht wie ein Hippie aus!

Die anderen haben nur von mir gehört, dass ich mich verliebt habe. Das löst eben Neugier aus. Es hat überhaupt keinen anderen Grund. Meine Freunde freuen sich mit mir, vielleicht ist auch ein klein wenig Neid dabei, denn ich strahle immer, wenn ich von Dir erzähle.

Du erwartest, forderst fast, dass ich auf den Stil Deiner Mail eingehe, aber ich reagiere so, wie ich fühle oder denke. Einerseits sagst Du mir immer, ich solle Deine Ergüsse nicht ernst nehmen. Andererseits berufst Du Dich ernsthaft auf sie. Molto complicato. Deine Ausführungen über die Alt-68er sind mir zu undifferenziert.

Die 68er sprachen zwar von der Gleichberechtigung, dachten aber nicht daran, sie öffentlich oder gar privat zu praktizieren. Und genau deshalb ist die Frauenbewegung überhaupt entstanden! Oder findest Du den Slogan ›Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment‹ besonders frauenfreundlich?

Hast Du wirklich noch Lust auf ein neues Treffen morgen mit Heinrich? Ich ehrlich gesagt nicht.

Was sollen wir also tun?

Deine Eva

 

 

8. April – 03:28 Uhr

Mein Herz,

es ist Nacht, und ich sterbe fast vor Sehnsucht nach Dir. Da kann ich auch gar nichts dagegen machen. Mich interessierst nur Du, nicht Dein Adel. Du bist nebenbei nicht der erste Adlige in meinem Leben. Davon gibt’s doch einige.

Deine Augen, Deine Echtheit, Dein Humor, Deine Fürsorglichkeit, Dein Esprit, Dein Lächeln, Deine Hände und Deine erotische Kraft … das alles verzaubert mich. Sicher ist der Adel durch die konservative Erziehung, den unberechtigten Stolz, der einem schon als Kind eingebläut wird (Vorfahren! Du redest ja im Wir, wenn Du von einem Ereignis in Deiner Familie sprichst, das 300 Jahre zurückliegt!!), ein größeres Lastpaket als man gemeinhin denkt.

Ich musste nur begabt sein, sonst hätte mich mein Vater wahrscheinlich noch mehr als ›Mädchen‹ erzogen. Gott sei Dank war ich begabt. Glück gehabt.

Sage bitte nicht immer, nur weil ich um 3.30 Uhr nachts Mails beantworte, dass ich eine Nachteule, eine besondere Erscheinung usw. bin. Ich schreibe Dir ja auch nicht immer, dass Du eine Schlafmütze bist, nur weil Du schon um 22 Uhr im Bett liegst!

Bei solchen Äußerungen reagiere ich etwas allergisch, weil ich von vielen anständigen Bürgern oft hören musste: ›Die schläft bis mittags!‹ Ich musste mich dann jedes Mal rechtfertigen, dass ich schließlich bis nachts um 3 Uhr arbeite! Schrecklich! Ich habe viele Jahre um 7 Uhr morgens im Internat Orgel bei den Klostergottesdiensten gespielt und könnte auch morgen Postbotin sein – macht mir nichts aus. Sehr viele kreative Künstler beginnen ihr Leben eben erst am Abend. Selbst bürgerlich lebende Orchestermusiker!

Bonne nuit

Eva

 

 

9. April – 18:04 Uhr

Amore,

Du fehlst mir, ich staune selbst darüber, obwohl ich den Grund natürlich kenne: Du bist hinreißend.

Habe endlich Natalias Geld von der Philharmonie abgeholt, einen schneeweißen Bademantel gekauft und andere Dinge erledigt. Jetzt freue ich mich aufs Klavierspiel und umarme Dich innig.

Deine Eva

 

 

9. April – 19:45 Uhr

Mein liebes Evachen,

es ist ein Traum, wenn so’n alter Kerl von einer Maestra hört, er fehle ihr und sei auch noch hinreißend. Im Prinzip bin ich, wie schon gesagt, ne fiese Möpp, und wenn ich plötzlich diesem Charakterbild nicht mehr entspreche, dann liegt das eben an Dir. Du ziehst mich eben (ewig) hinan! Ich vermisse Dich auch! Jede Minute!

Den schneeweißen Bademantel muss ich mir ganz bald ansehen!

Mal eine Frage (ist mir ganz peinlich!): Hast Du ein Abendkleid? Wenn noch nicht, dann suchen wir eins aus. Besser spät als nie!

Dein Teufelchen

 

 

9. April – 21:30 Uhr

Cavaliere,

nein, ich habe kein Abendkleid. Ich habe im vergangenen Oktober eines im Kreuzworträtsel gewonnen und es einer Freundin geschenkt. Ich möchte keins. – Ich kann dafür mit einem weißen Smoking aufwarten oder einem marokkanischen Hochzeitsgewand oder einem langen Rock und schwarzer Samtkreppjacke mit Volantstehkragen, der so hoch ist, dass mich niemand erkennen kann.

Deine Animod

 

 

9. April – 21:54 Uhr

Geliebte!

Soeben telefonierte ich mit einem Corpsbruder. Während ich kurz über Deine Karriere berichtete, gab seine Frau schon Deinen Namen bei Google ein. Meine Reputation stieg enorm. Du bist süß! Ich liebe Dich! Alles ist so aufregend, seit ich Dich kenne. So viel Leben und Licht beherrscht nun jeden Tag! Ich komme jetzt, denn ich halte es nicht mehr aus ohne Dich!

Dein Max

 

 

10. April – 11:22 Uhr

Liebling,

auf dem Nachhauseweg heute Morgen habe ich um 5.00 Uhr den Tagesspiegel am U-Bahnhof Sophie-Charlottenplatz gekauft und bis 6.00 Uhr gelesen. Dann erst ging ich ins Bett. Ich bin so unproduktiv, wenn ich wie eine Nachteule lebe. Lebe doch ein bisschen gesünder! Du musst mir, Deinen Freunden und Deinen Verehrern eine vitale, gesunde Eva erhalten. Lust und Sucht sind schön! Aber es gibt mindestens genauso schöne Dinge wie diese!

Ich liebe Dich.

Max

 

 

10. April – 13:34 Uhr

Amore,

Mein Gott, unsere Nächte!!!!! Der viele Wein!!!! Der maßlose Nikotingenuss!!!! Die hässlichen Kippen!!!! Ich bin danach auch immer total geschwächt und schaffe nur ganz wenig von dem, was sein sollte. Das ist frustrierend. Ich habe den ganzen Tag geschlafen!

Ich wechsle wahrscheinlich wieder ins Nonnenfach. Aber das geht nur mit Deiner Unterstützung. Ach, Herzlein, diese blöde Gesundheit.

Trois bises de moi

Eva

 

 

10. April – 21:52 Uhr

Mein Liebling,

Intelligenz säuft, Dummheit frisst! Habe keine Angst vor dem bisschen Alkohol. Zudem trinkst Du ja, anders als ich, nur gelegentlich und nur in Gesellschaft. Alkohol erweitert die Gefäße und verhindert Durchblutungsstörungen. Hast Du jemals gehört, dass ein Alkoholiker friert? Dein Problem ist die mangelnde Durchblutung der Haut, der Peripherie. Alleinige Ursache: Bewegungsmangel und Nikotin. Das kriegen wir alles in den Griff. Ich trimm Dich für die nächste Olympiade.

Schlaf schön und dusche so, wie ich Dir gesagt habe. Dann frierst Du auch nicht. Ich überlege gerade, sollte ich Dich zur Langstreckenschwimmerin, Marathonläuferin oder zur Kick-Boxerin ausbilden? Ich brauche noch Zeit zur Entscheidung und gehe mit schweren Gedanken ins Bett.

Dein Max

 

 

10. April – 23:58 Uhr

Kick-Boxerin, bitte. Schlaf gut. Ich versetze Dir einen Haken und flüstere Dir eine Berceuse ins Ohr.

Umarmung – Deine Eva

 

 

11. April – 00:25 Uhr

Verehrter Herr Doktor,

ich habe eine Frage. Seit Tagen tun mir die dritte und vierte Zehe am rechten Fuß weh. Heute musste ich wieder hinken. Könnte das Raucherbein sein? Mein Vater hatte Raucherbein, Schwerhörigkeit und Sehstörungen vom Rauchen. Er sagte immer zu mir, ich sei seine Wiedergeburt im Guten wie im Schlechten.

Die Heizung steht auf 28 Grad und ich friere schrecklich. Eiskalte Hände u. s. w. Ich glaube, mein Ende naht. Hilfe!

Deine fast schon erfrorene Freundin

 

 

 

 

11. April – 09:05 Uhr

Verehrte gnädige Frau,

vorab die höfliche Bitte, meine ärztliche Kunst und meine engagierte Beratung angemessen zu honorieren:

 

Ausführliche Untersuchung (mehr als 2 Körperorgane) GOÄ Ziff. 65 (Multiplikator 2,5) 96,00

Erarbeitung eines schriftlichen, individuellen und ganzkörperlichen Therapievorschlags Ziff. 9 (Multiplikator 5,0) 85,40

Tatkräftige manuelle Mitwirkung und Hilfe bei der Umsetzung der Therapie Ziff. 16 (Multiplikator 3,5) 148,40

Kontrolle des Therapieerfolges Ziff. 21

(Multiplikator 1,5) 26,50

Gesamtbetrag des Honorars: 356.60

 

Mit der Bitte um baldigen Zahlungsausgleich verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr Hausarzt!

 

Mein liebes Evachen,

wenn nur ein einziges Symptom, das Du geschildert hast, stimmt, dann ist es eine Katastrophe. Wenn dann noch die Genetik eine Disposition zu belegen scheint, dann bete nur, dass unsere Entwöhnungszeit Dich von der Nikotinsucht endgültig und für immer befreit. Ich werde Dir helfen und Dich unterstützen. Aber Du wirst Dich viel bewegen müssen, um den Kreislauf und die Durchblutung wieder in Schwung zu bringen. Heiß-kalte Bäder zur Verbesserung der Fußdurchblutung werden auch jetzt und auf lange Zeit wichtig sein. Nimm diese Dinge bitte nicht auf die leichte Schulter! Wenn Du frierst, wechsle zwischen heißem und kaltem Duschen. Es gibt keine Medikamente! Du musst es selber machen.

Du hast ganz andere Tiefen erlebt und durchgekämpft! Das schaffst Du locker, wenn Du willst. Aber Du musst wollen. Sonst drohen wenig erfreuliche Aspekte der Individualität!

Nimm’s ernst! Du hast ja mich, Carissima!

Dein Max

 

 

11. April – 10:55 Uhr

Habe im Internet einen Test gemacht, der mein Todesjahr ausrechnen kann. Ich werde mit 64 sterben. – Steht da. Willst Du Dich immer noch auf mich einlassen?

Eva

 

 

11. April – 13:24 Uhr

Wenn ik roche, sterb ik. Wenn ik nich roche, sterb ik ooch. Nu, wat solln ma tun? Ik mach mia ma so meene Jedanken. Ik denke, de Liebe is et. De Liebe macht jesund, hilft mia von de Sucht wech und macht ma dünna. Det ist et! In diesem Sinne, die Weisheiten von Zille sind hilfreicher als eine IN-Diagnose! Gute Nacht.

Ich bin süchtig nach Deinen Mails!

Max

 

 

11. April – 13:40 Uhr

Also isch für mein Teil seh des anners.

Dess is alles genedisch bedingt. Un in meiner Familie hadde se all Schmerze am ganze Körbber. Un mei Oba hot immer alles unner sisch gehe lasse. Gugge se mo do: Alles psyschosomadisch! Des sacht e jedes, des krank is. Abber warum? Mer muss alles so hinnemme, wie’s kimmt un debei de Kopp hochstrecke. Ei isch könnt Se abkisse von morschens bis obends.

Noch Lust, mein Süßer? Angenehme Träume.

Evasche

 

 

11. April – 14:37 Uhr

Sag mal, trinkst Du eigentlich jeden Abend Alk?

Eva

 

 

11. April – 15:04 Uhr

Alk, milk oder Saft rühre ich nicht an!

Max

 

 

11. April – 21:22 Uhr

Meine hochverehrte Animod,

heute habe ich mit dem Gastgeber des Balles am 28.4. gesprochen. 350 Leute werden in der Spandauer Zitadelle sein. Es wird für uns beide, nach erst fünftägigem Nichtrauchertraining, der erste Test sein. Das stehen wir ja locker durch, und wenn Du mal ein Problem hast, schleife ich Dich auf die Tanzfläche, drücke Dich fest, poussiere heftig und so lange, bis der Japp vorbei ist, und wenn ich ein Problem habe, dann vice versa oder noch was Tolleres. D’accord?

Ich habe meinen Freunden gesagt, dass ich was vortragen werde. Sie freuen sich, weil bei einem privaten Fest das Persönliche so wichtig ist. Die meisten Menschen sind so passiv, konsumieren nur und sind selten originell. Die Gastgeber haben viel Arbeit, scheuen keine Kosten und die Gäste fressen sich meist nur satt.

Ich würde Dich auch so gern mit einem kleinen Gag einführen und vorstellen. Es bedeutet mir schon sehr viel, dass Du gleich als etwas ganz Besonderes erkannt und akzeptiert wirst.

Ich nehme Dich jetzt so fest in die Arme, dass Du nicht mehr genug Luft für eine Ablehnung hast, sondern nur zart hauchen kannst: ›Ja, meen Jeliebta!‹

Küsschen, überallhin!

Dein Max

 

 

11. April – 21:56 Uhr

Jeliebta,

ik bin sehr irritieat! »Die Gäste fressen sich meist nur satt.« Wohin willst Du mich eigentlich mitnehmen? Was soll ich denn auf einem Ball mit edlen und anständigen Bürgern? Eine Attraktion sein? Mich in ein Abendkleid quetschen? Ich kenne solche Feste und war da nie sehr glücklich. Meinst Du, Du kannst mich aufgrund unserer Verliebtheit zu einer freundlichen, charmanten Abenddame machen? Bin ich nie gewesen. Ich liebe die Künstleratmosphäre in Ateliers oder im Prenzlauer PianoSalon!!!

In diesem Sinne

Deine Eva

 

 

11. April – 22:41 Uhr

Meine geliebte Eva,

wenn ich darf, werde ich Dich mit großer Freude in den PianoSalon begleiten, und ich werde auch die Gespräche mit Deinen Künstlerkollegen genießen. Und selbst wenn diese nicht charmant, witzig, unterhaltend sein sollten, dann werde ich mich mit Freude einbringen, einfach weil es Deine Freunde sind. Ich werde also nicht meine Maßstäbe auf Deinen Freundeskreis übertragen.

Aber ich denke mir, dass Du, wenn Du mich wirklich liebst, mit meinen Freunden, die, wie die meisten Menschen einfach nur das Leben genießen, genauso locker und entspannt umgehen solltest wie ich mit Deinen. Und glaube mir, unter meinen Freunden wird sich keiner so daneben benehmen wie Dein Philosophieprofessor Heinrich, und keiner wird so ratschen und tratschen, wie es einige Deiner lieben Freude über uns, vor allem aber über mich tun.

Lass uns das Leben mit unseren Freunden genießen!

Außerdem eins: Genauso, wie ich mich gern über mich selbst lustigmache, mache ich mich über meine Freunde lustig. Du musst nicht alles wörtlich nehmen, wenn ich mich über die Unfähigkeit und Insuffizienz meiner Freunde äußere. Hast Du auch diese kritische Distanz zu Deinen Künstlerkreisen?

Mein Schatz, komm raus, öffne Dich und genieße es, anderen Menschen eine Freude zu machen, selbst wenn diese nicht Deinem Gesellschaftsideal entsprechen. Evachen, sei großzügig im Herzen und so genial, wie es Dir zusteht. Ich liebe Dich!

 

Dein – ich weiß nicht mehr was, erst verführst Du mich und dann verwirrst Du auch noch mein Spatzenhirn!

 

 

11. April – 23:10 Uhr

»Mein Schatz, komm raus, öffne Dich und genieße es, anderen Menschen eine Freude zu machen, selbst wenn diese nicht Deinem Gesellschaftsideal entsprechen.«

Amore, was denkst Du denn, was ich 40 Jahre lang gemacht habe? Meinst Du, Du musst mir solche Aufforderungen geben?

Ich habe Konzerte gegeben und missioniert über die Tiefe der Musik, von der ich glaube, dass sie jeden erfassen kann.

Da hatte ich nie eine Barriere. Ich wusste immer, dass Beethoven oder Bach ihre Musik nicht nur für Profis geschrieben haben, sondern für jeden Menschen. Ich glaube, dass Du wenig Ahnung von dieser Lebensform hast, Hingabe an eine Sache ohne gesellschaftlichen Hintergrund, ohne Familienbackground usw.

Ich habe ein inneres Gerüst, kein äußeres. Aber ich habe nicht Dein ›Wir‹. Weil ich z. B. sehr früh erkannte, dass meine geliebte Mutter ein völlig anderer Mensch war als ich, genauso wie mein Vater und mein Bruder. Ich lasse sie sein wie sie sind, lasse sie in Ruhe. Ich lasse auch Deine Ballfreunde in Ruhe. Aber mich selbst, mich lasse ich nicht in Ruhe.

Deine Eva

 

 

11. April – 23:17 Uhr

Amore!

Evachen, wir müssen aufeinander zugehen und voneinander lernen (nicht nur im Bett). Ich bin voller Respekt vor Deinen Leistungen und Deinen Freunden. Wenn du mir nur einen Bruchteil dieser Achtung meinem Leben und meinem Freundeskreis entgegenbringst, ist alles in Ordnung. Wir sind so unterschiedlich sozialisiert und haben noch unterschiedlicher gelebt. Ich denke, dass es entscheidend ist, diese Unterschiedlichkeit zu akzeptieren, vielleicht auch zu lieben. Lass uns nie Vorwürfe machen und einzelne Sätze analysieren. Diese Rumpickerei ist Uni-Stil oder typisch für einen Hühnerhof. Das sollte unser so wunderschönes Gefühl und so traumhafte Erlebnisse nicht beeinträchtigen.

Mein Evachen, mach’s mir etwas leichter!

Max

11. April – 23:31 Uhr

Wieso denn? Ich bin doch nicht deine Therapeutin. Du bist ein starker Partner, weshalb sollte ich es Dir leichtmachen?

Ich versuche, meine Einsichten über unsere Verschiedenheiten und unsere Erwartungen an den anderen auszudrücken und hoffe, dass Du erkennst und ebenso wie ich siehst, dass ich Deine Vorstellungen nicht alle erfüllen kann.

Wenn ich Dich zitiere, was Dir wenig gefällt, ist das keine Rumpickerei, sondern ein erneuter Hinweis auf Deine Denkweise. Ich nehme ernst, was Du schreibst. Deshalb zitiere ich einen Satz von Dir. Nicht als Vorwurf. Wir sagen doch das, was wir denken. Oder?

Eva

 

 

11. April – 23:49 Uhr

Evachen,

ich bin ganz verzweifelt! Was willst Du mir mit diesen Sätzen sagen? Ich verstehe nicht, worüber wir nun reden!

›Ich habe mein Leben ohne gesellschaftlichen Hintergrund und Familienbackground geführt.‹

Diese Aussage lese ich aus deinen Worten heraus. Du hast mir aber mehrfach mit Liebe und Dankbarkeit erzählt, wie Deine Mutter Dich im Klavierspiel gefördert, Dein Vater Dir den Zugang zur Poesie vermittelt hat. Und das nennst Du keinen Familienbackground? Kannst Du Dir etwa vorstellen, dass mein konservativer Vater einem ewigen Studenten, der dauernd Kinder kriegt, beim zweiten Studium noch Geld zukommen ließ? Habe ich mich der Idee ›Familie‹ nicht auch hingegeben? War mir denn als Student diese Idee nicht wichtiger als alles materielle Äußere?

Kannst Du Dir denn nicht vorstellen, dass ich einen – bürgerlich betrachtet – wesentlich erfolgreicheren Weg gegangen wäre, wenn ich auf Kinder und Familie verzichtet hätte? Die Zeit, die ich in Windelwickeln etc. investiert habe, hätte locker für eine Habilitation gereicht!

Also, ich habe mich genauso wie Du einer Idee hingegeben, diese umgesetzt und durchgezogen. Lass uns diese Lebensleistungen wechselseitig achten und nicht Rosinen picken. Evachen, Du bist eine und meine Traumfrau! Lass uns das heute genießen und uns auf die gemeinsame Zukunft freuen! Ich tu’s! Ich werde immer mehr

Dein Diener

 

 

11. April – 23:58 Uhr

Rosinen picken.

Amore, das ist es doch nicht. Es sind doch Weintrauben, in Form ihrer Verwandlung. Wollen wir denn den Prozess unserer Annäherung nicht auch mit kritischem Blick tun? Wie lernt man sich eigentlich kennen? Und wie ernst meint man es dabei? Oder sucht man nur die ›Dame seines Herzens?‹ So ein traumhaftes Klischee? Ich werde mit Dir kämpfen, mich auf Dich einlassen, solange das gut ist für beide. Aber man muss genau hinsehen, wer der andere ist. Sonst geht wieder alles schief.

 

Weißt Du, Amore, der Bundespresseball, den ich dreimal erleben durfte, ist der Jahreshöhepunkt in einem Journalistenleben, denn da begegnen sich alle VIPs, und an einer Einladung erkennt man, dass man bedeutend ist. Beim letzten Mal war ich als Pianistin zur sog. Mitternachtsspitze engagiert. Und als ich genug hatte von Helmut Kohl und den feinen Herren und Damen im Abendkleid, habe ich mir eine wunderschöne Frau geschnappt, so um die 40 und mit ihr einen traumhaften, erotischen Tango auf die Tanzfläche gelegt.

Man kann so leicht zur Betriebsbedienerin werden, deshalb muss man sich immer kleine Störfaktoren ausdenken, besser etwas provocare, also hervorrufen. Und so bin ich aus Überzeugung eine Provokateurin.

Ich bin grundsätzlich höflich. Aber wenn ich Toten begegne, werde ich zur Totentänzerin. Ich kann nichts dafür. Du weißt, le stelle …

 

 

12. April – 09:08 Uhr

Guten Morgen, meine liebe Fee!

Die Sonne scheint! Es ist frühlingshaft mild. Heute konnte ich zum ersten Mal wieder joggen, ohne mir die Lunge aus dem Halse zu husten.

Ich habe mir vorgenommen, nie wieder in dem Ton von gestern zu schreiben. Man kann aneinandergeraten oder sich auch streiten. Aber man muss sich dabei in die Augen sehen. Mit Schreibautomaten läuft alles aus dem Ruder, weil man nur einen Text hat, den man kommentiert, zerpflückt, zerhackt und darin herumpickt, aber nicht in das geliebte Gesicht sieht.

Wann gehst Du heute mit Claudio spazieren? Ich möchte Dich begleiten.

Der Brief, den ich Dir gestern sandte, sprüht doch vor Freude und Liebe zu Dir. Und etwas zum Lachen war doch hoffentlich auch dabei. Ich denke, wir genießen erst mal den Ball in meinem Freundeskreis und auf dem Heimweg zerreißen wir alle Gäste, oder wenigstens einige, in der Luft. Wow! Das wird ein Fest! Wir müssen uns heute wiedersehen!

Dein Max

12. April – 09:47 Uhr

Hallo Evachen,

wir haben jetzt Sommerzeit und Du musst Deine Uhr umstellen. Mein Süßes, Du kannst so schön poltern! Ich muss Dich heute sehen!

Dein Animodanbeter

 

 

12. April – 11:21 Uhr

Eine Stunde vor oder zurück?

 

 

12. April – 11:33 Uhr

Egal, mit Dir wird mir die Zeit nie lang!

Küsschen

 

 

12. April – 14:15 Uhr

Was ist mit Dir, mein Liebling? Seit zwei Stunden keine Mail?

Bist Du krank oder gehst Du fremd?

Max

 

 

12. April – 14:24 Uhr

Beides, Amore.

Ich kann fast gar nicht gehen. Habe schreckliche Schmerzen im Bein. So hat Claudio leider sein Geschäft auf meine Holzdielen machen müssen. Ich gehe jetzt schlafen.

Eva

 

 

12. April –14:38 Uhr

Evachen, mein Liebes,

ruf mich doch an! Mit dem Fahrrad bin ich in fünf Minuten da und kann mit Claudio Gassi gehen, oder er geht mit mir!

Was sind das für Schmerzen? Soll ich mal kommen?

Starke Schmerzen im Bein darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen! Was ist mit Dir, mein Evachen? Brauchst Du mich? Dann ruf mich bitte an! Ich versuche seit Stunden, Dich auch per Telefon zu erreichen! Bist Du nicht zu Hause? Oder in einen Tiefschlaf verfallen?

Nachher, gegen 16 Uhr, muss ich für zwei Stunden weg. Ich hoffe sehr, noch vorher eine beruhigende Nachricht von Dir zu erhalten.

Sorgenvoll Dein Barone

 

 

12. April – 16:41 Uhr

Ja, ich habe tief geschlafen. Die Schmerzen sind seit gestern ziemlich heftig, werden sicher aber auch wieder vorbeigehen. Das hoffe ich jedenfalls stark. Wenn Du morgen von Deiner Arbeit weg kannst, und wenn es mein Bein erlaubt, können wir am Nachmittag im Schlosspark herumspazieren.

Deine lahme Ente

 

 

12. April – 19:19 Uhr

Sei bitte so lieb und hole mir meine Hormontabletten in der Apotheke.

Mein Liebster, ich fühle mich wie eine Oma, und damit bin ich natürlich nicht glücklich. Glücklich bin ich aber darüber, dass Du nicht böse auf mich, sondern ein fröhliches Kerlchen mit unbeirrbarem Optimismus bist!

Habe schön mit dem Professore musiziert. Meiner Seele ging es direkt besser. So schönes Wetter! Und ich muss humpeln!

Ich lege mich in Deine Arme.

Deine Eva

 

 

12. April – 20:41 Uhr

Mein liebes Evachen,

wenn Du Dich in Zukunft anständig bewegen solltest (nicht nur im Bett) und täglich einen Liter fettarme Milch trinkst, wird es keine Osteoporose geben, weil die Knochen ausreichend belastet werden, und Du hast genug Calcium zu Dir genommen, um den Knochenabbau zu stoppen. Mit fünf Kilogramm Gewichtsreduktion brauchen die Schenkelhälse nicht mehr so viel zu tragen und auch Deine Bandscheiben würden das mit größter Freude zur Kenntnis nehmen.

Du siehst, schon Schiller hatte recht: ›Ein Arzt im Haus erspart den Medikamentenschrank!‹ Jetzt mache ich Pause und werde mir Deine Beethoven-CD anhören.

Dein herzallerliebster Dottore

 

 

12. April – 21:19 Uhr

Mein herzallerliebster, caro dottore grande,

Gerade habe ich das Gedicht von Pasternak gefunden, das ich Dir schon öfter aufgesagt habe. Jetzt hast Du es endlich schriftlich:

 

 

 

Berühmt zu sein ist nicht das Wahre.

Das ist es nicht, was uns erhebt.

Es lohnt nicht, dass man bange Jahre

An alten Manuskripten klebt.

 

Des Schaffens Ziel ist Selbsthingabe,

Und nicht Erfolg und lautes Schrei’n.

Und Schmach ist’s, ohne Wert zu haben,

Ein Spruch in aller Mund zu sein.

 

Nein – leben, nicht vom Stolz getrieben,

So leben, dass zu guter letzt

Man auf sich zieht des Raumes Liebe,

Der Zukunft Ruf vernimmt im Jetzt.

Und stehen lassen, was vergebens,

im Schicksal, aber nicht im Werk;

Ganze Kapitel seines Lebens

Abtun mit einem Randvermerk;

 

In Unbekanntheit untertauchen

Und drin verbergen seinen Schritt,

Wie sich verbirgt in Nebelhauchen

Die Landschaft bis man nichts mehr sieht.

 

Dein Weg wird auf lebendigen Fährten

Einst Anderen Stuf’ um Stufe klar,

Doch selber darfst du nie bewerten,

was Sieg, was Niederlage war.

Und keinen Deut von dem aufgeben,

Was der Person gehören muss –

 

Lebendig bleiben, nichts als leben,

Nichts als lebendig, bis zum Schluss.

(aus: Wenn es aufklart – Gedichte 1956-1959)

 

 

12. April – 22:18 Uhr

Liebste Eva,

Beethovens III. Klavierkonzert ist ein Traum. Ich bin Dir unendlich dankbar, dass Du mich in eine andere Welt, die mir bisher noch weitgehend verschlossen ist, mitnehmen willst. Ich schmelze dahin, wenn ich den zweiten Satz höre. Das hat für mich eine fast überirdische Schönheit und Klarheit. Und Du am Flügel! Wunderbar.

Zurück zu den Niederungen des menschlichen Stoffwechsels. Ich besorge Dir eine Monatspackung. Ich denke aber nach wie vor, dass Du keine mehr nehmen solltest.

Vergiss auch eines nicht: Die Harmonie der Seele ist wichtiger als ein paar Moleküle, die Du Dir vor oder nach dem Frühstück reinfutterst. Wenn du in Dir ruhst und glücklich bist, dann brauchst Du keine Medikamente als Dauertherapie – eventuell nur in der Akuttherapie. Für die Ruhe bist Du selbst zuständig, fürs Glück werde ich die Zuständigkeit übernehmen. D’accord? Ich wäre jetzt so gern bei Dir und wüsste dabei so genau, wie ich Dir die Medikamentenfutterei abgewöhne. Warum sollen wir nicht einfach in Mecklenburg den Test machen?

Sollte es Dir wirklich mal nicht gut gehen, dann fällt mir schon was ein, um Dich aufzumuntern. Ich habe Dir mehrfach gesagt: Ich habe Geduld und bin immer gelassen. Also frisch gewagt ist halb gewonnen.

Du sagst, ohne Hormone ginge es nicht. Also nimm doch einfach meine. Du brauchst kein Rezept, es kostet Dich nichts, und Du kannst Sie unabhängig von der Tageszeit einnehmen. Habe Mut und Vertrauen zu Dir und mir. Dann packen wir alles!

Ich liebe Dich!

Das Pasternak-Gedicht ist sehr schön, das Ende traumhaft:

›Lebendig bleiben, nichts als leben,

Nichts als lebendig, bis zum Schluss.‹

Lebendig ist man aber nur, wenn man nicht von Gebrechen geplagt wird. Man sollte also schon etwas auf die Gesundheit achten! Das gilt für uns beide! Meine kreativste Zeit ist von 9 Uhr bis 13 Uhr. Wenn dann nichts läuft, kann ich den Rest des Tages vergessen. Also gute Nacht und schlaf schön. Vor allem gute Besserung.

Dein, heute Nacht sehr einsamer

Cavaliere

 

 

12. April – 23:24 Uhr

Mon chèr chou-chou,

ich freue mich, dass Dir Beethoven und Pasternak so gut gefallen. Mir tut es immer sehr weh, wenn ich meine alten Aufnahmen auf CD anhöre oder mich über Video auftreten sehe. Wie gerne würde ich wieder öffentlich spielen! Das weißt Du ja.

Aber trotz vieler Therapien ist meine rechte Hand seit dem Unfall nicht mehr so beweglich, dass ich das könnte. Es reicht, wenn auch nicht zu meiner Zufriedenheit, nur noch für leichte Klavier- und Kammermusik. Ich will aber nicht klagen. Wir haben ja schon so oft über den Verlust meines Berufes geredet, und Dein Trost hat mir immer sehr gutgetan. Tausend Dank.

Neulich habe ich die Hormontabletten mal einfach abgesetzt, und es war unerträglich. Alle bekannten Symptome ließen sich auf mir nieder, und ich war glücklich, als die Tabletten dann wieder in meinen Body kamen. Also ohne Hormone geht es nicht – und schon gar nicht 14 Tage lang in Mecklenburg.

So kann ich mich leider nicht ausschließlich von Deinen ernähren lassen. Die Vorstellung unseres Medikamentenaustauschs ist zwar hinreißend, aber ganz vertraue ich dieser Wirkung nicht.

Ich finde, Nikotinentzug reicht erst mal. Du fehlst mir, Deine Arme, Deine Haut, Deine Worte an meinem Ohr. Schlaf gut.

Deine Eva

 

 

13. April – 09:29 Uhr

Ma petite chatte,

komponiere doch mal was Schönes, etwas, was Deiner jetzigen Stimmungslage entspricht. Für jeden Urlaubstag acht Takte und Du hast am Ende unseres Urlaubs ein ganzes Werk. Wie nennen wir’s? Mecklenburgische Elegie?

Mache Pläne und setze Dir viele neue Ziele! Du wirst sehen, die ganzen Süchte und Abhängigkeiten sind bald Schnee von gestern! Und wenn mal ein Tag nicht so toll ist, überleben wir es auch! Habe in Dich und mich Vertrauen. Es spielt sich doch alles im Kopf und in der Einbildung ab. Angst, Sucht, Freude, Glück und Vertrauen. Jeder Mediziner weiß, dass ein glücklicher Mensch die Hormone, die er braucht im Kopf produziert. Ist ein Mensch unglücklich und unzufrieden, muss er sich die Hormone von der Apotheke holen.

Bis nachher!

Dein Seelendottore

 

 

13. April – 11:14 Uhr

Guten Morgen, Du Quirlgeist!

Das Bein scheint sich wieder zu erholen. Diesmal waren die Schmerzen besonders unangenehm. Ich habe vor vier Monaten das Hüftgelenk röntgen lassen, weil ich dachte: Muss vielleicht ein neues rein? Aber es war alles bestens. Die Apothekerin hat das auch und meint, es sei psychisch bedingt, sie hinke immer, wenn es ihr schlecht gehe.

Du sagst oft zu mir: »So, mein Liebling, jetzt kennst Du den exakten Fahrplan.«

Das heißt also, mein Liebling, Du entscheidest, und ich habe Dir zu folgen. In wenigen Tagen soll ich Deine dekadente Familie mit meiner hinkenden Präsenz beglücken, dann soll ich den Urlaub unterbrechen und auf einen Ball mitkommen, auch wenn ich nicht tanzen kann, egal. – Dann willst Du Dich auch noch an mir austoben!

Entscheidungsfreiheit stehen Sie mir wohl nur im Bett zu?

Lieber Barone, haben Sie eigentlich schon mal darüber nachgedacht, ob ich diesen ganzen Fahrplan auch befolgen möchte? Vielleicht sogar auch noch pünktlich? Sie alter Preuße! So viele Vorgaben einzuhalten, bin ich nicht gewöhnt.

»Komponiere doch mal was Schönes …«

Ich bin keine Komponistin, sondern nur Pianistin. Schön wäre es, wenn ich das alles könnte, aber leider hat meine Begabung Grenzen. Ich habe das schon immer bedauert. Neue Ziele kann ich jetzt auch nicht gebrauchen, denn ich will mein altes verfolgen und erreichen. Mein Buch ruht nun seit Vladimirs Tod, und der ist schon ein Jahr her.

Ich wollte eigentlich nur Berlin kennenlernen, und nun muss ich schon 14 Tage darauf warten, bis eine alte Schublade sich bequemt, ihre Truhe zu verlassen. Ich suche mir nun einen neuen stadtkundigen Herrn.

Eva

 

 

13. April – 11:59 Uhr

Quirlgeistverursacherin!

Kein Widerspruch zum Fahrplan! Deine Apothekerin hat recht: Schmerzen sind meist pschüschisch! Die Pschüsche trainierst Du jetzt weg, und dann werden gnädige Frau erstaunt sein, dass auch die Schmerzen weg sind.

Da nicht jeder bei allem mitreden sollte, treffen wir als moderne Menschen und von den Errungenschaften der 68er-Revolution erleuchtet eine Vereinbarung, die alle neueren Erkenntnisse zur Gleichberechtigung berücksichtigt: Du hast im Bett das Sagen, meine geliebte Animod – Ich in der Küche! Der Rest ist uninteressant und wird mit links, viel Liebe, Güte und Verständnis von Fall zu Fall gelöst, wobei ich immer das letzte Wort habe.

Am 5. Mai sind wir bei Freunden zu dem alljährlichen Frühlingsfest in eine der schönsten und größten Wohnungen Berlins (Ku-Damm) eingeladen. Keine Geschenke werden erwartet, sondern nur Spenden für eine Stiftung zugunsten kranker Kinder, die aus zerrütteten Familien kommen, und in dem von seiner Frau (auch Prof. für Medizin) und ihm geleiteten Heim betreut werden. Auch ein, aus Deiner Sicht, typischer Schlägerbruder!

 

14 Tage allein mit einer Frau (von Kopf bis Fuß nur Frau) im tiefen, dunklen Wald! Sie kann nicht weg, weil sie nicht Auto fährt. Mit dem Fahrrad hat sie es auch nicht so, und zu Fuß traut sie sich in den Wald nicht hinein! Mamma mia, womit habe ich dieses Glück verdient? Meine Standesgenossen de Sade und Dracula drehen sich vor Neid bestimmt im Grabe um!

Schlürf! Schmatz!

 

 

13. April – 12:31 Uhr

Liebling, amico mio,

es würde mich ja sehr interessieren, inwieweit Du Dich da selbst wiederfindest. Voilà, Dein Liebeshoroskop:

 

MAXIMILIAN:

Sie lassen sich vermutlich nicht sehr schnell auf eine intime Beziehung ein. Sind Sie allerdings an einer Affäre interessiert, sind Sie ausgesprochen hartnäckig und geben selbst bei Schwierigkeiten nicht leicht auf. Sie sind der ruhende Pol in jeder Beziehung. Eine Partnerin, die Ihre Stimmung mit zärtlichen Späßen und Zuneigung aufhellt, würde Ihnen sehr guttun und wäre der beste Spiegel Ihrer selbst.

Sie brauchen ein weibliches Wesen, das ebenso leichtherzig Sexualität genießt, sich aber auch intellektuell mit Ihnen einlässt. In der Liebe wissen Sie eine erfahrene Liebhaberin sehr zu schätzen. Ihr größtes Vergnügen liegt in zärtlichem, sinnlichen Streicheln. Wortreiche Liebeserklärungen schätzen Sie sehr. Die Grundlage einer guten Beziehung basiert für Sie auf Treue und Gutwilligkeit. Sie genießen die Liebe gern als fröhliches Spiel.

Für Sie könnte es ein wenig schwierig sein, Ihre Gefühle und Absichten in Worte zu fassen. Sie kommunizieren lieber mit Berührungen, mit Gesichtsausdrücken, Geschenken, und bedienen sich der Körpersprache. Sie sprechen äußerst ungern darüber, was in Ihren Beziehungen geschieht, und empfinden Fragen bezüglich Ihres Liebeslebens als Eingriff in Ihre Intimsphäre.

Ihr auffälligster Wesenszug ist Ihr Sinn für Humor. Sogar in Situationen, die für andere Menschen entmutigend sind, zeigen Sie noch Heiterkeit. Das kann nur zu einem Problem werden, wenn Sie diese Haltung übertreiben. Vermutlich sind Sie gefühlsmäßig sehr stark auf Ihre Partnerin fixiert. Grundsätzlich kann sich diese in schwierigen Zeiten auf Ihre Stärke verlassen.

Ihre sexuelle Vorstellungskraft kann man als überaus kraftvoll bezeichnen. Sie verfügen über genügend Sprachtalent, um eine Fülle von Abwechslung in Ihr Liebesleben zu bringen.

Die Liebe ist für Sie aber auch eine Sache der Gemütlichkeit. Das soll nicht heißen, dass Sie ungesellig sind, sondern dass ein ruhiges und intimes Zusammensein Ihre Vorstellungskraft wesentlich mehr aktiviert als irgendwelche Festivitäten.

 

 

13. April – 12:49 Uhr

Mein Liebling,

das Horoskop ist nicht zu fassen! Ich glaube fast, Du Schlitzohr hast es selbst verfasst! Mein Beziehungsverhalten, meine Unarten, all meine Vorlieben und Neurosen können doch nicht an einer Sternenkonstellation liegen!! Ein bisschen möchte ich doch auch für mich verantwortlich sein! Dies Horoskop passt von vorn bis hinten. Ich fühle mich erkannt, fast nackt.

Es ist richtig, dass ich mich nicht sehr schnell auf intime Beziehungen einlasse. Und wenn es (aus Versehen und alkoholisiert) geschah, schämte ich mich und fühlte mich beschissen – so auf dem Level der hirnlosen Pop- und Sportgrößen, die ihr Selbstbewusstsein aus der Anzahl ihrer One-Night-Stands herleiten.

Ja, der ruhende Pol bin ich wohl schon.

Der zweite Absatz stimmt doch auch! Die Leichtigkeit, intellektuelle Begleitung, genieße ich doch mit Dir, einer erfahrenen Partnerin, wogegen Du dich immer heftig wehrst!

Witzig ist auch, dass gerade der Hautkontakt, das Streicheln hervorgehoben werden. Du hast mir ja gerade vorgestern beim Einkaufen bei Aldi gesagt, dass Du meinen dauernden Wunsch nach Körper-/Hautkontakt genießen würdest. Es sei für Dich ungewohnt, aber so ehrlich, archaisch im Gegensatz zu den Liebhabern, die nur im Bett die körperliche Nähe suchen.

 

Dann heißt es: ›Es kann schwierig für Sie sein, Ihre Gefühle und Absichten in Worte zu fassen.‹ Mein Dauerproblem! Was ich sage und schreibe, bekommst Du ja meist in den falschen Hals!

Der Rest stimmt doch auch, ich schenke gern und finde zu viel Reden über Eros, Liebe etc. als Zerstörung großartiger Gefühle. Mit der verbalen und körperlichen Stimulation fühle ich mich auch angesprochen und erleide bei Dir Schiffbruch, zumindest was die verbale Stimulation per Mail betrifft.

Gemütlichkeit? Finde ich ambivalent! Klingt so hausbacken mit Kamin und Frank Sinatra im Hintergrund. Aber der Rest trifft auch zu: Ich brauche keine große Bühne, keinen Kick für Erotik. Es reicht, mit Dir allein zu sein, mich mit Dir zu unterhalten und Dir in die Augen zu schauen.

Wenn Du das Horoskop geschrieben hast, dann ziehe ich meinen Hut. Wenn nicht, und es von Profi-Astrologen stammt, dann bin ich platt! Hast Du auch eins für Dich in Auftrag gegeben? Dann sende es mir bitte, denn ich muss unbedingt mein geistiges Gleichgewicht wiederfinden.

Dein geliebter, aber sehr verunsicherter Max

 

PS: Noch schlimmer geht’s dem Mäxchen

 

 

13. April – 13:01 Uhr

Lieber Max,

am 5. Mai um 15.30 Uhr spielt Iveta Apkalna ein Orgelkonzert im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Da muss und will ich hin. Morgen um 17 Uhr gehe ich zu einem Konzert eines Vokalquartetts, eine der vier Sängerinnen ist eine Freundin, die auch auf meinem Fest war. Am Sonntag treffe ich einen Musikwissenschaftler, er war ebenfalls auf meinem Fest, wohnt auch in Charlottenburg, sodass ich da hinhumpeln kann.

Hier nun mein Liebeshoroskop:

 

EVA-MARIA

Mit dieser Position von Venus geht ein beträchtliches Maß an Charme, Anmut und körperlicher Attraktivität einher. Sie haben es leicht, auf schöpferische Weise ein lebendiges Sexualleben zu führen. Sie sind offen für die Bedürfnisse anderer Menschen. Mit dieser natürlichen Begabung sollten Sie vorsichtig umgehen, damit sich nicht alle möglichen Leute an Ihrer Schulter ausweinen. Aufgrund Ihres Einfühlungsvermögens könnte man versuchen, Sie zu manipulieren und auszunutzen. In der Liebe legen Sie einen sehr tiefgründigen und hartnäckigen Stil an den Tag und ziehen das Extrem dem Normalen vor. Sie lieben den intensiven Liebesakt, wie immer der auch aussehen mag. Sie genießen Sexualität kraftvoll, zügellos und intensiv. Spontan ausgelebte Sexualität ist einfach ideal für Sie. Sie strahlen eine magnetische Anziehungskraft aus. Ihr Erscheinungsbild ist von einem natürlichen Glanz umgeben. Im Umgang sind Sie weich und zärtlich. Das schließt nicht aus, dass Sie innerlich eine rigidere Persönlichkeitsstruktur besitzen. Sie neigen zur Manipulation und Dominanz, um Ihre Wünsche zu verwirklichen. Der tiefere Grund für Ihren Dominanzanspruch könnte in einer gewissen Unsicherheit oder Angst begründet sein, nicht das zu bekommen, was Sie sich wünschen.

Was Ihre Fortschritte in der Liebe angeht, unterliegen Sie vermutlich starken Gefühlsschwankungen. Manchmal sind Sie sehr zuversichtlich, und dann sind Sie wieder übermäßig selbstkritisch. Ein verständnisvoller und unterstützender Partner könnte Ihnen helfen, Ihre Stimmungen auszugleichen und Ihr Selbstbild zu stabilisieren. Sprechen Sie Ihre Meinungen und Zweifel offen aus und analysieren Sie sie gemeinsam mit ihm. Vermeiden Sie es, die Qualität Ihrer Beziehung vorschnell negativ zu kritisieren. Ihnen sind geistige und körperliche Intimität gleich wichtig. Ihr Spaß am Reden kann so weit gehen, dass Sie mit herrlich humorvollen Reden Schwung ins sexuelle Liebestreiben bringen. Ihre Kreativität in der Liebe ist sehr ausgeprägt. Dabei verlieren Sie aber nie den Blick für den wahren Wesenskern der Liebe.

Vermutlich verfügen Sie über einen mystischen oder übersinnlichen Zugang zum Sexuellen. Ein experimentierfreudiger Partner wäre für Sie das Beste.

Sie nehmen die Bemerkungen Ihres Geliebten vielleicht viel zu ernst und geben ihnen dasselbe Gewicht, das auch Sie in Ihre eigenen Bemerkungen legen. In Gesellschaft blühen Sie auf. Sie werden unzufrieden, wenn Sie zu lange allein sind. Sie brauchen Anregungen und die Aufmerksamkeit von anderen Menschen, damit Sie lebendig und kreativ bleiben können. Sie sind grundsätzlich optimistisch. Oft reagieren Sie übermäßig stark auf emotionale Situationen. Sie verwenden zu viel psychische Energie auf eventuelle Störungen in einer Beziehung. Das ist nicht unbedingt negativ oder kontraproduktiv. Der Nachteil ist, dass Sie Ihre gesamte Energie in Kleinigkeiten investieren. Sie verhalten sich gegenüber den Menschen, die Sie lieben, ausgesprochen großzügig. Sie begleichen jede Rechnung.

13. April – 14:12 Uhr

Eins vorweg als Zusammenfassung: Wenn mein Schwanz nicht mehr steif wird, dann ist es sehr schade, aber eine Welt bricht nicht über mir zusammen. Mein Selbstbewusstsein und meine Lebensfreude sind in anderen Körperteilen lokalisiert. Ich denke, heute Abend sollte ich kommen und mit Dir das Horoskop analysieren!

In Deinem Horoskop heißt es: »Sie genießen Sexualität kraftvoll, zügellos und intensiv. Spontan ausgelebte Sexualität ist einfach ideal für Sie.«

Wäre ich nie von allein drauf gekommen! Könnten die gnädige Frau und ihre Gaia mir vielleicht heute Abend zeigen, wie kraftvoll, zügellos und spontan sie sein kann? Ich muss doch eine ungefähre Vorstellung haben, was in Kleesten auf mich zukommt! Mit einem gehorsamen Handkuss

Ihr Cavaliere

 

 

13. April – 14:31 Uhr

Ja, heute Abend ist okay, Du Teufel.

Du musst Dir einen neuen Namen für mein Schatzkästlein ausdenken. Gaia gefällt mir nicht mehr, es erinnert mich an gaiazentrierte Kulturnudel, was ich sehr ekelhaft von Dir fand.

Eva

 

 

13. April – 14:41 Uhr

Evachen,

ich war doch so stolz auf meine Wortschöpfung! Aber kommen wird der Teufel trotzdem! Ist 19 Uhr okay? Käse hast Du noch. Ich mache einen Salat! Wie sieht es mit dem Wein aus?

13. April – 15:04 Uhr

Mein Wein ist alle, und ich kann mit meiner Humpelei jetzt auch keinen kaufen gehen. Wir werden uns völlig nüchternen Auges begegnen. Darauf warte ich übrigens schon lange. Immer diese Trinkerei! Dann weiß ich am nächsten Morgen wieder nicht, was ich Dir alles gesagt habe – und was kommt dann? Man wiederholt sich und der andere sagt: Das hast Du mir doch alles schon erzählt.

Ich hab keine Lust auf Salat. Auf Dich schon.

Eva

 

 

13. April – 15:39 Uhr

Es wird gegessen und getrunken, was auf den Tisch kommt! So wurde ich erzogen. Es gibt Salat in Honigsoße mit Mais und Hühnerbrust, dazu Rosé, und dann getoastete Ciabatta mit Käse und Rotwein. Damit ich nicht austrockne, bringe ich auch noch meinen Whisky mit.

Wenn man gut und viel trinkt, kann man sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern und kann deshalb auch nicht sagen: ›Das hast Du schon mal gesagt!‹ Im Suff ist jeder Satz neu und schön. Nur Nüchterne wiederholen sich!

Begegnen kann man sich ja ruhig nüchternen Auges, dagegen habe ich nichts. Wenn also das Auge (welches denn?) nüchtern bleibt, ist Deine Lebensphilosophie doch eingehalten? Beim Rest des Körpers sehe ich das nicht so verkniffen. Während ich das Essen anrichte, bereitest Du ein Referat über unsere Liebeshoroskope vor, und ich erwarte nach dem Dessert einen Vortrag von Dir. Kleine Exkurse nach links und rechts mit praktischen Hinweisen und apercus aus Deinem breiten Erfahrungsschatz sind ausdrücklich erwünscht. Ich freue mich schon sehr.

Dein Koch

13. April – 15:55 Uhr

Also so kann das nicht weitergehen! Ich will nicht immer wieder von Dir auf die Liebesaufgaben reduziert werden! Und schon gar nicht auf meinen breiten Erfahrungsschatz. Das setzt mich unter Druck. Sonst lege ich mich in Zukunft auf den Rücken und Du kannst alles allein machen! Ich werde höchstens minimal seufzen. Erziehung ist alles.

Deine Novizin

 

 

13. April – 16:49 Uhr

Mein süßes Evachen,

natürlich werden die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten nicht dauerhaft und endgültig festgelegt. Wir beide sind doch fair, flexibel und jeder darf mal!

Ich werde Dir nun etwas vom Kochen beibringen, und Du machst vorläufig in Deinem Ressort genau so weiter wie bisher. Wir lernen voneinander! Und wenn Du dann ein viergängiges Menü mit assiette nicoise, mousse aux truites, gigot d’àgneau und eine schöne mousse au chocolât servieren kannst, dann wechseln wir die Zuständigkeiten, und ich freue mich jetzt schon auf meine kleine Novizin!

Außerdem steht in Deinem Horoskop etwas von Dominanzstreben. Wusste ich doch und hab’s verschlüsselt mehrfach geschrieben. Auf dem Gebiet lasse ich mich mit Begeisterung dominieren! – Bis nachher!

 

Wie steht es ums Referat, meine dominante Liebesgöttin?

 

 

 

14. April – 09:12 Uhr

Mein liebes Evachen,

ich wünsche Dir einen schönen, guten Morgen. Was geht Dir alten Schlafmütze doch ab: Ganz früh, wenn noch keine Autos fahren und Menschen die Umwelt verschmutzen im Glanz der strahlenden Morgensonne mit dem Fahrrad durch Berlin fahren! Das ist ein wirklich wunderbares Erlebnis.

Danke für alles! Gestern Nacht habe ich wieder viel gelernt und erkennen müssen, dass ich mich die nächsten Jahre wohl auf die Herrschaft in der Küche beschränken muss. Es ist aber sehr angenehm, wenn man als Mann im Bett nicht den großen Zampano spielen muss. Ich glaube, passiv sein zu können/dürfen, ist eminent potenzfördernd!

Na ja, jedenfalls hoffe ich, die gestrige, doch recht lange Nacht hat Dir so viel Spaß und Befriedigung gebracht, dass Du die nächsten zwei bis drei Tage keine Lust auf Männer hast. Wenn sich bei Dir die Lust wieder zurückmeldet, dann ruf mich an.

Heute und Dienstag noch etwas Korrekturlesen, und dann geht es ab in den Wald! Da kannst Du Dich nicht mehr tagelang vom Ficken erholen. Also genieße lieber die Zeit, solange Du noch kannst.

Dein Cavaliere

 

 

14. April – 11:11 Uhr

Ja, Amore das war eine Traumnacht mit Dir.

Ich bin ganz glücklich und gelöst aufgewacht, glücklich, dass ich Dich gefunden habe. Ich liebe Dich.

Deine und nur Deine

Eva

 

 

14. April – 12:32 Uhr

Geliebte,

es ist nicht zu glauben, aber wenn ich Deine süße Mail lese, tut sich mein Freund wieder wichtig. Ich denke mir, er wird uns in Kleesten nicht enttäuschen. Hast Du das schon mal erlebt, dass sich so ein Bruder plötzlich dermaßen aufmüpfig und selbstständig zeigt, sich auch dann meldet, wenn er nicht gefragt wurde? Oder hast Du ihm heimlich diese Unart beigebracht?

Ich fürchte, man muss bei Dir wahnsinnig aufpassen. Kaum ist man mit den Gedanken woanders und unkonzentriert, schon bringst Du dem Burschen schlechte Gewohnheiten bei, die ich ihm in vielen Jahren mühsam abtrainiert habe. Nicht nur mein bester Freund ist leer, sondern auch mein Kopf.

Dein Teufelchen

 

 

14. April – 18:01 Uhr

Carissima,

wie süß, dass Du auf dem Rückweg vom Markt am Karl-August-Platz vorhin bei mir vorbeikamst. Die ersten Blumen meines Lebens! Und dann noch von Dir! So stellte ich fest, dass ich mit Vasen doch nicht so viele Alternativen habe wie mit Ahnen- und Familienbildern. Ich habe den Strauß auf zwei Vasen verteilt und in meinen ›Blauen Salon‹ gestellt. Dort passen die Hyazinthen sehr gut hinein, und das Gelb der Tulpen ist ja auch eine schöne Komplementärfarbe zu blau. Das erste Würstchen habe ich schon mit viel Appetit gegessen. Es ist ein französisches, nicht wahr?

Ich hoffe, dass der Schreck Deines ersten Besuches in meinem Wohnloch nicht zu groß war. Ich verspreche Dir aber, dass es in einigen Monaten eine sehr süße kleine Wohnung sein wird. Wenn alle Zimmer schöne Farben haben, die Bordüren dran sind und ich mir die Empirerahmen, Spiegel und Leuchter bei E-bay gekauft habe, wird meine Wohnung Stil und Atmosphäre ausstrahlen.

Leider erlaubt mein Geldbeutel keine zügige Renovierung. Da ich nicht an einer Sofortbefriedigungstendenz leide, kann ich mir nach dem Motto Zeit lassen: ›Lieber später und schön, als sofort – und ungemütlich.‹

Die letzte Nacht war traumhaft, mein Liebling. Der Tag aber nicht sehr zufriedenstellend. Man kann eben nicht alles haben!

Bei den beiden Festen ist schon die Creme (nicht gleich ausflippen!) von Berlin anwesend. Nicht die lauten Show-Leute, Immobilienspekulanten und Börsenjobber, sondern Menschen aus Wirtschaft und Wissenschaft. Du wirst einen Schreck kriegen, wenn Du die üppigen Büffets ›Deiner‹ Veranstaltungen wie dem Bundespresseball mit dem Angebot meiner Freunde vergleichst. Bei uns gilt eben: Besser altarm als neureich!

 

Wollen wir nicht im Herbst ein kleines (oder auch etwas größeres) Fest für Deine und meine Freunde geben und uns vorstellen? Eventuell am Geburtstag von Clara Haskil? Es könnte mit einem Konzert in der Kirche am Lietzensee beginnen, und danach gehen wir über die Straße ins sehr nette Charlottenburger Nachbarschaftshaus. Dort haben problemlos 150 Leute Platz. Es wird auch gar nicht so viel kosten. Was halten Gnädigste denn von der Idee?

Zudem hätten wir in einem Aufwasch viele Leute eingeladen und könnten den Rest des Jahres von Retoureinladungen zehren! Du siehst, ich liebe Pläne schmieden und Projekte anschieben. Machen wir am besten in Zukunft alles zusammen!

Dein Cavaliere

 

 

14. April – 21:18 Uhr

Meine Geliebte,

soeben habe ich die Lektüre der Einleitung Deines Buches über Clara Haskil beendet. Diese Seiten haben mir sehr, sehr gut gefallen.

Unterhaltend, sprachlich klar und elegant, der Leser wird mit vielen Zitaten an das Thema herangeführt und sehr sublim sensibilisiert.

Mein aufrichtiges Kompliment für dieses Werk! Den Rest werde ich wohl erst in Kleesten lesen, sofern Du mich lässt!

Ich habe aber auch mal ein Buch geschrieben: ›Qualitätssicherung in der Radiologie‹! Viele haben mir später gesagt, es sei nützlich gewesen und habe im praktischen Alltag geholfen. Aber wenn ich Dein Werk mit meinen Handlungsanweisungen zur Minimierung der Strahlenbelastung und Verbesserung der Filmentwicklung mit Deinem Buch vergleiche! Welten unterscheiden uns in der Schönheit des Themas und der Eleganz der Sprache. Damals gehörte ich eben noch eher der Gruppe Stotterer und Legastheniker an!

Ich bin begeistert von Dir!

Dass eine Dame, die solch ein Buch schreiben kann, mich in ihr Bett einlädt und mich mit den Feinheiten einer erotischen Poesie oder eines poetischen Eros vertraut macht, ist schon erstaunlich. Ich frage mich, womit habe ich dies verdient? Egal ob verdient oder nicht: Ein Gentleman fragt und redet nicht, er genießt!

Ich liebe Dich mein Evachen

 

 

14. April – 22:27 Uhr

Bonsoir, mon chou chou,

welch ein herrliches Schloss! Friedrichsfelde. Warst Du schon mal dort? Eingeschlossen in das große Gartenkanalgelände ist ein Tierpark. Herrliches Wetter war heute, und ich bedauerte, dass Du nicht dabei warst. Das Konzert war ganz schön, die Leistungen gut, aber nicht sehr gut. Der Flügel war schlecht, und die Pianistin brauchte viel Einsatz, um ihn wenigstens einigermaßen zum Klingen zu bringen. Der Dirigent war auch nicht umwerfend, aber die Werke waren wunderbar.

Leider ist es mit meinem Bein ganz schlimm geworden, sodass ich kaum gehen konnte und ziemliche Schmerzen hatte, selbst beim Sitzen. Mist! Ich glaube, das kommt von unsrer Sauferei!

Ich muss nicht täglich Vino trinken, so wie Du Deinen Whisky haben musst. Meine Schwäche ist aber, dass, wenn ich anfange, ich kein Ende finde. Wie soll das nur in Mecklenburg werden?

Dann hinke ich, und wir können gar nicht herumspazieren. Dann musst Du mich ins Boot tragen und unentwegt rudern. Und meine Laune wird nicht die beste sein.

Ich würde natürlich auch Dein Buch gerne lesen, käme aber sicher nicht über Seite drei hinaus, weil ich eben von diesen Dingen nichts verstehe. Ich freue mich aber, wenn Dir mein Buch gefällt.

»Wollen wir nicht im Herbst ein kleines (oder auch etwas größeres) Fest für Deine und meine Freunde geben und uns vorstellen?«

Wie vorstellen? Offiziell als Paar? Als Verlobte? Als Ehepaar? Als Sexbeziehung? Als Wahlverwandtschaft? Wie meinst Du das?

Deine Wohnung kam mir ganz verwunschen, eigentlich skurril vor, wie aus einer anderen Welt. Überall die vielen Aquarien mit Messgeräten und Thermometern, die Strohplatten, die an die Wände gelehnt herumstehen! Und Dein Stapelbett hinter dem Vorhang! Eine richtige Dunkelkammer. Beeindruckend. Du bist irgendwie doch auch ein poetisches Wesen! Und bestimmt wird Deine Wohnung sehr schön sein, wenn sie erst fertig ist. Aber aufräumen und vor allem putzen könntest Du sie trotzdem jetzt schon einmal!

Sei umarmt von mir.

Eva

 

 

14. April – 23:57 Uhr

Ma petite chatte,

»Wie vorstellen? Offiziell als Paar? Als Verlobte? Als Ehepaar? Als Sexbeziehung? Als Wahlverwandtschaft? Wie meinst Du das?«

Ich denke: Sexbeziehung sollte es sein, denn det is et ja. Aber mein liebes Evachen, wir sollten nicht so direkt sein und Rücksicht auf Deinen Herrn Bruder nehmen. Ich wiederhole noch einmal:

Du sollst meine Endlösung sein! Du wirst zuständig sein für die Gebrechlichkeitspflegschaft, Du wirst mein Vormund, per Vollmacht oder notariellem Vertrag ausgewiesener Vertreter und Zuwendungs- und Empfangsberechtigte sein, wie das Gesetz es verlangt. Du wirst und sollst alles sein! Wir können auch sagen: ›Ich bin Dein und Du bist mein.‹ So einfach! Wir werden schon eine zufriedenstellende Definition unserer Beziehung finden.

Ich denke, wir fahren sofort nach dem Familientag nach Kleesten. Von dort nach Berlin sind es nur zweieinhalb Stunden. Lass uns jede Minute dort verbringen und genießen.

Auf meinem Laptop werde ich ein Schach- und ein Bridgeprogramm mitnehmen. Also, wenn Du dich von mir abwenden solltest, werde ich versuchen, mein Leid mit einem eleganten Gambit oder mit einer waghalsigen Petite Schlemm Reizung zu unterdrücken. Du siehst, ich plane!

Jetzt ist es wieder sehr spät geworden. Träume süß, solange Du noch kannst. Wenn Du öfter mit mir zusammen sein solltest, kommst Du nicht mehr zum Träumen, sondern schläfst nur noch ermüdet ein!

Dein Max

 

 

15. April – 10:09 Uhr

Guten Morgen, mein Liebster,

wahrscheinlich bist Du zufrieden aus Deiner Dunkelkammer herausgeschlüpft und schon fleißig, mein Preuße.

Ich weiß, dass Du ein Fabulant und freudiger Wortverdreher bist, Dir das einen teuflischen Spaß macht, aber manchmal liegst Du damit auch schwer daneben. (Mehrere Beispiele erwünscht?)

Bitte bringe unsere schöne Zweisamkeit nicht mehr mit dem schrecklichen Wort ›Endlösung‹ zusammen.

Deine Eva

 

 

15. April – 10:37 Uhr

Wer viel schreibt und viel sagt, wird immer mal Worte finden, die nicht gefallen. Sag mir irgendwann mal im Bett, welche ich nicht mehr gebrauchen sollte. Ich werde mich daran halten! Aber wenn etwas geschrieben wird, klingt alles so hart und unversöhnlich. Klar?

Ich fürchte, die Arbeit des gestrigen Tages habe ich nicht gespeichert! Une grande catastrophe!

Das Zimmer duftet so schön!

Küsschen

Dein Geliebter

15. April – 10:58 Uhr

Oh Hilfe!! Hoffentlich ist dem nicht so, und Du findest die Seiten wieder! Mir ist auch schon mal etwas abgestürzt, ich fühle mit Dir.

Natürlich sagt ein Mensch, der gerne und viel redet, wie auch ich, auch mal etwas Unpassendes. Aber ich frage mich dann immer, was steckt dahinter, warum benutzt er dieses Wort?

Und da ich mir nicht vorstellen kann, dass Du nicht weißt, was Du sagst, verunsichert mich Deine Wortwahl des Öfteren.

Du – mit Deinem Geschichtsbewusstsein weißt doch genau, wozu das Wort ›Endlösung‹ benutzt wurde. Dann ist es doch nicht mehr lustig, es in irgendeinem anderen Zusammenhang als Pointe zu benutzen, oder?

Kuss

Eva

 

 

15. April – 11:41 Uhr

Du hast ja recht, meine Geliebte.

Manchmal bin ich vielleicht etwas frivol. Im Kern steckt aber dahinter, gegen den Stachel zu löcken. So drückte es meine Mutter immer aus.

Anachronistisches liebe ich deswegen besonders. Zeitgeist und political correctness kommen immer dogmatisch und doktrinär daher. Jeder, der sich diesen Strömungen nicht anpasst, wird von den vielen kleinen Schreiberlingen und Medienfritzen in der Luft zerrissen. Das sind alles Leute, die ein geistiges Korsett mit definierten Begriffen brauchen und nur normativ, in Schubladenkategorien denken. Rechts wie links. Warum benötigen viele Menschen Strukturen und Normen? Weil sie im tiefsten Inneren nicht humanitär denken und fühlen, weil sie nicht sich selbst, ihre Mitmenschen und die Natur lieben können. Sie betrachten das Leben, und alles was sich ihnen bietet, eben nicht als Geschenk und Chance, sich zu entwickeln und zu leben (siehe Pasternak).

Also mache ich mich über Zeitgeist und von der political correctness besetzte Begriffe lustig oder kämpfe dagegen an (selten, aber manchmal kämpfe auch ich). Ich lasse mir eben von niemandem vorgeben, wie ich zu denken und wie ich ein Wort zu verstehen habe.

Ich war mit meinen Kindern in Maidanek. Ich habe alle Bücher von Fest gelesen, Goldhagen, vieles von Lea Rosh und arbeite mich zum zweiten Mal durch die vierbändige deutsch-jüdische Geschichte der Neuzeit durch. Ich weiß also, dass im Januar 1942 in der Wannseekonferenz die ›Endlösung‹ beschlossen wurde.

Wenn ich dieses Wort auch in einem anderen Zusammenhang benutze, heißt dies nicht, dass ich mich über diesen entsetzlichen Beschluss und dessen Auswirkungen lustigmache, sondern nur, dass ich nicht akzeptiere, wenn andere mir für ein Wort einen bestimmten Inhalt vorgeben wollen. Deine PDS Freunde, nein, deren Vorgänger haben ja selbst den Begriff ›Führerschein‹ abgelehnt und nur ›Fahrerlaubnis‹ zugelassen! Also interpretiere bitte jedes Wort, das Dir missfällt, wie folgt.

 

1. Ich liebe Dich.

2. Ich habe ein großes, nicht versteinertes Herz.

3. Ich würde mich unbändig freuen, wenn alle Menschen glücklich wären.

Dein Schnuckelpuzzel

 

 

15. April – 12:33 Uhr

Caro mio,

reduzieren wir den Gebrauch der Endlösung – in oberflächlich benutztem Zusammenhang – auf die Frage des guten oder schlechten Geschmacks.

Worte haben eben auch eine Geschichte, die sie besetzt, und die man durch Eigenwillen und Vorschriftsablehnung nicht eliminieren kann. Es zeugt übrigens von einem guten Sprachgefühl, das Wort ›Führerschein‹ abzulehnen. Wäre ich gar nicht drauf gekommen!

 

In meiner Jugend war z. B. überall noch im Gebrauch: ›ich habe gelernt, geübt, Sport gemacht, bis zur Vergasung.‹ Als ich kapierte, wovon man da sprach, habe ich diese Wendung nie mehr benutzt. Wir sind ein belastetes Land und unsere Sprache ist es auch, noch immer nach 60 Jahren.

Nun gut. Ich verzeihe Dir, denn Du hast ja für unsere Liebeszukunft schon viel, viel, viel schönere Worte gefunden.

Hast Du die gestrigen Seiten wiederentdeckt?

Eva

 

 

15. April – 13:25 Uhr

Meine Geliebte,

soeben hatte ich wieder ein sehr unerfreuliches Gespräch mit meiner Tochter. Sie will mich aber nicht ›fertigmachen‹, sondern ist nur unglücklich, dass unser einstmals so herzliches Verhältnis im Moment zerrüttet ist. In ihrer Hilflosigkeit greift sie dauernd nur an. Du siehst, Deine familientherapeutischen Gaben werden demnächst benötigt. Inzwischen weiß jedes meiner Kinder, dass es Dich gibt, und wie es um mich steht.

Dein Quirlgeist

15. April – 14:34 Uhr

Wie hast Du das gemacht? Ein Rundschreiben? Gibt es bei dem Familientreffen auch einen Ball? Klamottenvorführung? Elegantissimo? – Oder Wanderschuhe und Strickjacke, bzw. Trachtenlook?

Ich packe schon im Geiste.

con amore la tua

 

 

15. April – 14:39 Uhr

Du weißt doch mein Liebling, dass wir eine alte, hochdekadente Familie sind und nicht mehr wissen, was sich gehört. Mit Wanderschuhen gehen wir auf einen Ball und mit Pumps spazieren. Kein Ball, aber am Sonnabend gibt es das sog. festliche Abendessen. Viel Glitzer und Glammer und Flitter!

Dein Max

 

 

15. April – 15:08 Uhr

Probleme mit meiner Tochter! Ein anatolischer Bergesel ist nicht so störrisch wie sie. Ich denke, ich brauche jetzt Deine Hilfe! Werde mich heute Abend wieder bei Dir melden.

Dein Cavaliere

 

 

15. April – 19:13 Uhr

Amore,

komme gerade von einem langen Spaziergang mit meiner geliebten Sybille zurück. Herrliches Wetter, wunderbar, auch den Flohmarkt – Unter den Linden – haben wir gestreift und einige kleine Schätze erworben. Wenn ich familiär beratend tätig werden soll, solltest Du mir mehr erzählen, damit ich besser raten kann.

Ich hinke heute wieder überhaupt nicht! Komisch.

Gleich beantworte ich die anderen Mails.

Kuss

Eva

 

 

16. April – 00:55 Uhr

Amore,

eigentlich sollte ich Dir das ins Ohr flüstern und nicht über den Äther zuschicken. Aber der Geist Gottes weht ja überall und wo er will. Meine gewählten Namen:

Du bist Maximilian, mein Geliebter

Dein Schwanz ist mein Max

und wenn wir uns lieben, dann maxen wir.

Wie gefällt Dir meine Wahl? Ich finde sie in ihrer absoluten Schlichtheit geradezu genial.

Deine Eva

 

 

16. April – 12:26 Uhr

Fünf Stunden habe ich geschlafen, mein Liebling!

Seit ich Dich kenne, ist das Zentrum meines Verstandes langsam von oben nach unten gewandert und befindet sich nunmehr im Max.

On y soit …

 

 

16. April – 13:43 Uhr

Könntest Du mir vor unserer Abreise helfen, Claudio zu baden? Man muss ihn in die Wanne heben etc. Das wäre sehr nett von Ihnen, Cavaliere. Mindestens drei Küsse von mir. Hast Du nicht Lust, mit mir nach Ischia zu reisen? Dort gibt es wunderbare Thermen, die heißen Quellen wirken so belebend, dass ich sie mir ohne Dich kaum vorstellen kann.

Eva

 

 

16. April – 14:31 Uhr

Mein Liebling,

tolle Idee, das mit dem Ischias! Mein Kollege, der eine Wohnung am Gardasee geerbt hat, und ein Klassenkamerad, der ein Haus in Umbrien besitzt, laden mich auch immer ein. Das Kleingeld dafür fehlt mir leider zurzeit noch, selbst für einen Billigflug! Im nächsten Jahr wird es wohl besser aussehen. In diesem muss ich nach meinem Flop vor zwei Jahren durchstarten, bei Dir und beruflich! Aber ich habe nie einen Bezug zu Geld gehabt. Familie, Bücher, Musik reichen mir.

Ich habe zwar auch den Materialismus der Wirtschaftswunderzeit erlebt, aber statt von großen politischen und radikalen Ideen fühlte ich mich mehr von den Gedanken des Musicals ›Hair‹ angesprochen. Dort heißt es:

›Ich bin so reich, Mutter, weil ich das Leben liebe, Schwester, und das Leben, Bruder, meint es gut mit mir.

Ich habe zwar kein Geld, Onkel, aber unverschämt viel Charme, Tante, und verrückte Ideen habe ich auch.

Ich bin so arm, und doch so reich!

Ich hab’ mein Haar auf einer Stirn und Ohren dran,

Ich hab’ ein Kinn mit Zähnen drin, und alles, was ein Mann so braucht …‹

 

Die Blumen, die Du mir geschenkt hast, strahlen und duften noch so wie am Samstag.

Dein Cameriere

 

 

16. April – 21:10 Uhr

Amore,

die Worte aus ›Hair‹ kenne ich und finde sie wunderschön und goldrichtig. Haar auf der Stirn und Charme reichen aber leider nicht, um viele schöne Dinge des Lebens gestalten zu können.

Manchmal bin ich traurig darüber, dass ich, obwohl ich nun einen Freund habe, trotzdem alleine reisen und Konzerte besuchen muss und fast nie mit Dir ausgehen kann. Du lässt Dich ja nicht gerne von mir einladen. So bin ich zusätzlich auch noch Opfer von ›Männerstolz‹!

Ganz im Gegenteil zu dem, was Du postulierst:»Geld interessiert mich nicht«, musste ich des Öfteren erleben, dass Du, wenn Du eine Möglichkeit sahst, an Geld zu kommen, sehr massiv auf dieses Ziel losgingst. Wie glücklich wärst Du, wenn Du Geld hättest! So wie wir alle. Wie viel Geschenke könntest Du machen, etwas, was Du so gerne tust. Also lassen wir das mal mit ›Hair‹.

Heute sah ich mich im Scheunenviertel um, und war von den Hackeschen Höfen ganz begeistert. Dein Versprechen, mir Berlin zu zeigen, hast Du bis heute nicht in die Tat umgesetzt! Ich muss aber schließlich und endlich mal wissen, wo ich wohne und kann nicht immer nur maxen. Mein Bein ist nach Deiner medizinischen Behandlung wesentlich besser geworden. Also, Du bist ein guter Arzt. Ich musste nicht hinken.

Gruß und Kuss

EvaNuss

 

 

17. April – 00:49 Uhr

Meine Geliebte,

wollen wir nicht nach unserer Rückkehr aus Mecklenburg einen netten Abend bei Dir arrangieren mit Sybille und Heinrich? Ich möchte doch gern ein zivilisiertes Verhältnis mit Deinem Freund Heinrich erreichen. Dafür, dass er alt, unbeherrscht und dann noch 68er ist, kann er doch nichts! Ich übernehme die Arbeit, no problem! Denke darüber nach!

Wenn an diesem Abend der schlecht erzogene und immer aufmüpfige Max zu heftig wird, müssen wir die Gäste eben rausschmeißen und uns devot den Wünschen und der geilen Gier dieses Kerls beugen. Ich habe schon öfter im Leben zurückgesteckt! Mein Schatz, träume und schlaf schön!

 

Ich wünsche Dir von Herzen gute Besserung!

 

 

17. April – 01:12 Uhr

Lieber Max,

es ist wirklich nicht unterhaltsam, Deine platten Sexbeschreibungen lesen zu müssen. »… geile Gier dieses Kerls« – findest Du, dass Du mir so einen Primitivkram schreiben musst?

Ich sagte Dir doch, dass ich das abstoßend finde. Gute Nacht.

Eva

 

 

17. April – 10:00 Uhr

Meine Geliebte,

Du weißt doch, dass ich Dich liebe und anbete. Warum nimmst Du denn meine Sätze, in denen ich humorvoll sein will, so wichtig und tragisch? Vergiss bitte nicht eins: Fast 20 Jahre (zwei kleine Zwischenepisoden ausgenommen) hatte ich keinen Kontakt mit Frauen! 20 Jahre! Mein bester Freund war in dieser Zeit gut erzogen oder bedeutungslos! So – und jetzt bist Du da! Jetzt geht alles drunter und drüber! Kannst Du dies nicht verstehen und alles ein bisschen leichter sehen und nehmen?

Dein Liebster! – Immer noch?

 

 

17. April – 12:21 Uhr

Evachen,

was ist mit Dir, mein Liebes? Ich vermisse den Morgengruß, der immer eine Aufmunterung für den ganzen Tag war! Geht es Dir schlecht? Hast Du Schmerzen? Oder liegt Dir die gestrige Mail noch schwer im Magen? Ein kleines Lebenszeichen würde mich sehr erfreuen!

Dein Cavaliere

 

 

17. April – 12:56 Uhr

Lieber Max,

»Fast zwanzig Jahre (Zwei kleine Zwischenepisoden ausgenommen) hatte ich keinen Kontakt mit Frauen! Zwanzig Jahre!« – Das tut mir leid für Dich. Verbalerotiker entstehen meistens durch asketische Lebensweise. Es gibt ja durchaus Frauen, die auf Pornobriefe stehen. Eine solche würde vielleicht besser zu Dir passen. Deine gestrige Mail liegt mir in der Tat noch schwer im Magen.

Eva

 

 

17. April – 13:52 Uhr

Mein liebes Evachen?

»Eine solche würde vielleicht besser zu Dir passen«. – Was ist los?

Da ich ja etwas dumm und naiv bin, habe ich mich mal zum Thema Verbalerotiker belesen:

 

Wikipedia

Diese ›Lust am Wort‹ setzt ein vertrauensvolles Verhältnis beider Partner voraus, die idealerweise ›dieselbe‹ Sprache sprechen, um sich nicht gegenseitig mit Worten zu verletzen. Zärtliche und intime Gespräche leiten oft eine sexuelle Handlung ein und sind in einer Beziehung von großer Bedeutung. Dirty Talk bezieht das Reden selbst ins Liebesspiel mit ein. Ziel des Dirty Talk ist es, den Sex zu bereichern und hemmungsloser zu gestalten. Damit beide Partner Dirty Talk genießen können, erkunden sie zuerst langsam die Reaktionen des Partners.

Ein derbes Wort im falschen Augenblick kann schnell die intime Atmosphäre beenden; ein richtiges Wort zum richtigen Zeitpunkt aber wahre Wunder bewirken. Um den Partner durch anfeuernde Ausdrücke zu Höchstgenüssen zu stimulieren, betonen erfahrene Verbalerotiker gerne die individuellen Vorzüge der Frau, wohingegen im Dirty Talk erfahrene Frauen gerne klare Anweisungen geben, in Superlativen staunen und Verkleinerungsformen vermeiden. Vokabular aus Hardcore-Pornos oder Sexmagazinen kann inspirierend sein, aber auch abtörnen.

 

Ist diese Definition falsch? Ich denke, nach dieser Definition bin ich kein Verbalerotiker, was nichts daran ändert, dass meine dauernden Anspielungen Dir missfallen. Wir sollten aufeinander zugehen und spontan bleiben. Du erzählst, was Dich berührt und was Dich geprägt hat.

Deine Sozialisation ist für mich spannend! Und wenn ein Thema mir nicht so gefallen sollte, dann werde ich es kommentarlos hinnehmen, denn dieses Thema scheint ja eine gewisse Bedeutung für Dich zu haben. Wenn wir zusammenbleiben und glücklich sein wollen, dann ist es wichtig, dass Du nicht dauernd nachdenken musst, ob mir dies oder jenes gefällt oder missfällt. Ich denke, dass Spontaneität und Vertrauen enorm wichtig sind, vielleicht sogar das Wichtigste. Und das, was für Dich gilt, sollte doch auch für mich gelten. Oder?

Max

 

 

17. April – 15:42 Uhr

»Zwanzig Jahre! Das tut mir leid für Dich«. – Warum bist Du so bissig?

Viermal hast Du gestern recht heftig und in einer Form Deinen Unwillen ausgedrückt, der verletzend war. Wolltest Du dies wirklich oder waren die Zahnschmerzen daran schuld? Mein liebes Evachen: Wollen wir weiter alles zerreden, uns wechselseitig verletzen und uns über diese und jene Formulierung ereifern? Oder sind diese Dinge marginal im Verhältnis zu dem, was wir zusammen erlebt haben? Bitte sage etwas Nettes!

Dein … ich weiß gar nicht mehr, was!

 

 

17. April – 16:19 Uhr

Mein liebes Evachen,

langsam wird mir klar, dass es gar nicht um Verbalerotik geht, denn eine Frau, die nicht nur verliebt ist, sondern sagt: ›Ich liebe Dich‹, reagiert nicht explosiv und verletzend wegen ein paar Anspielungen, vor allem dann nicht, wenn sie selber ähnliche macht. Das ist alles nicht logisch.

Du bist schon zwei- oder dreimal in Deinen Mails sehr heftig gewesen. Zumindest waren Gnädigste sprachlich weit über das Ziel hinausgeschossen. Ich habe nicht in dem gleichen Tonfall geantwortet, da so etwas zu nichts führt. Also, Evachen, was steckt wirklich hinter Deinem Ausbruch? Ich bin neugierig!

Dein Max

 

 

17. April – 17:05 Uhr

Lieber Max,

wenn Du noch einmal nachliest, wirst Du sehen, dass in Wikipedia ausschließlich von der Situation im Bett die Rede ist, nicht von Korrespondenz. Was Du oder ich im Bett sagen, entsteht, weil wir dann ›in einer anderen Welt‹ sind. Und in der ist alles möglich. Aber vom Schreibtisch aus aufs Papier?

»Mein Schwanz, mein bester Freund macht das und das, ich will Dich ficken, streichle Dich, wo ich Dich gerne streichle (x-mal), die Nippelchen« usw. … Es nervt mich, das zu lesen, und das weißt Du doch!

Tust es aber trotzdem! Das törnt mich total ab, wie es nun der Fall ist.

 

»Wenn wir zusammenbleiben und glücklich sein wollen, dann ist es wichtig, dass ich und Du nicht dauernd nachdenken müssen, ob dies oder jenes gefällt oder missfällt. Ich denke, dass Spontaneität und Vertrauen enorm wichtig sind, vielleicht sogar das Wichtigste.«

Okay. Dann musst auch Du meine ›Spontanität‹ hinnehmen, wenn ich mich massiv gegen Deine Pornomails wehre und sage, was mir nicht gefällt. Auf leise Andeutungen, die Dir nicht behagen, reagierst Du ja nicht. Siehe Verbalerotik, Berlinführer, Dein Hörgerät, Deine schmutzige Wohnung oder Dein Dauerwhisky. Da lächelst Du und sagst: »Evachen, das kriegen wir schon alles hin.«

 

Wenn Du mir immer wieder das ›Ressort Schlafzimmer‹ zusprichst, mich durch viele Liebhaber erfahrene Frau beschreibst, fühle ich mich nicht wohl und irgendwie reduziert. Auch das stört mich. Wie oft soll ich das denn noch sagen?

Wir sind so unterschiedlich! Ob unser Leben zusammenpasst oder nicht, wird sich zeigen. Wenn ich verliebt bin, kann ich sehr schnell auf den Partner zugehen. Vertrauen kommt aber erst viel später, weil man nur von Tag zu Tag den anderen kennenlernen und frühestens dann sehen kann, ob man wirklich zusammenpasst. Entschuldige, ich bin 64!!!

Ich habe Dir erzählt, dass ich schon mehrfach geliebt habe, dass diese Beziehungen zerbrachen. Es war immer schmerzhaft. Aber es kann mich nicht abhalten, trotzdem wieder mit Freude auf einen neuen Menschen zuzugehen. Spuren haben diese Irrungen und Wirrungen dennoch hinterlassen. Ich bin ja nicht aus Stein. Vieles in einer neuen Liebe sind auch erst einmal nur Worte. Es kann ja gar nicht anders sein.

Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass wir etwas zerreden, wenn es nötig ist, über Missverständnisse oder Ärgernisse zu sprechen. Da Du ja immer von Deiner Gelassenheit und Souveränität sprichst, denke ich, wird Dir der kleine Diskurs keinen Schaden zufügen können. Da sehe ich eine neue Mail von Dir. Bis gleich.

Eva

 

 

17. April – 17:24 Uhr

»Eine Frau, die nicht nur verliebt ist, sondern sagt: ›Ich liebe Dich‹, reagiert nicht explosiv und verletzend wegen ein paar Anspielungen.«

Wer sagt das? Wieso denn nicht?

 

»Das ist alles nicht logisch.«

Meinst Du wirklich, dass Liebe und Logik etwas miteinander zu tun haben?

 

»Also, Evachen, was steckt wirklich hinter Deinem Ausbruch?«

Eine Allergie auf diese ständigen Wiederholungen, auf diese primitive Sprache. Auf mein Frausein reduziert zu werden, das ist mir nämlich nicht neu, weshalb ich sehr gerne platonische Beziehungen pflegte. Bei mir zählt letztlich im Gegensatz zu Dir nicht nur das, was im Bett passiert.

Bleib gelassen und sei herzlich gegrüßt

Eva

 

 

17. April – 19:44 Uhr

Mein liebes Evachen,

was soll das alles? Mir wird zunehmend klarer, dass wir sehr unterschiedlich sind, vor allem bei dem, was man so als Humor bezeichnet.

Du schriebst heute, viele würden ja bei langer Abstinenz Verbalerotiker. Ich kenne Dich ein bisschen und weiß, dass dies nicht als Neckerei gemeint war. Ich frage mich also, warum Du das sagst, obwohl Du doch von mir erfahren hast, dass ich bis vor Kurzem körperliche Liebe abgeschrieben hatte. Ich bin nicht in den Puff gegangen, Sex hatte keine Bedeutung mehr in meinem Leben. Ich erzähle nie Altherrenwitze. Wenn einer nicht durch lange Abstinenz zum Verbalerotiker wurde, dann bin ich es.

Also warum mache ich denn diese ›erotischen‹ Anspielungen (ich spreche jetzt von denen, die keine Neckerei sind)?

Weil ich diese scharfe Trennung zwischen dem Bett einerseits, wo man erotisierende Bemerkungen bis hin zu ›dirty talk‹ anscheinend machen darf, und dem Schreiben andererseits, wo Prüderie herrschen muss, nicht nachvollziehen kann. In meiner jugendlichen Unerfahrenheit dachte ich, eine Beziehung müsse beides vereinen. Sie umfasse Gespräche, das Teilen gemeinsamer Interessen etc., aber auch wunderbare Stunden im Bett. Dann dürfte es doch keine Tabus, wo auch immer, geben!

Du schreibst: »… eine Allergie, auf mein Frausein reduziert zu werden, das ist mir nämlich nicht neu …«

Du packst mich mit irgendwelchen Kerlen in eine Schublade! Habe ich mich nicht stundenlang gern mit Dir unterhalten? Habe ich ein einziges Mal gesagt, jetzt reicht es aber, wir gehen nun ins Bett?

Oder hast Du mich nicht immer eingeladen oder aufgefordert, mit Dir ins Bett zu gehen? Habe ich Dir irgendwann einmal das Gefühl vermittelt, ich würde in Dir nur die Frau als und Lustobjekt sehen? Ich hoffe, Du erkennst, dass Du Dir viel einredest und in den meisten Fällen mein wirkliches Verhalten gar nicht wahrgenommen hast. Die einen Schubladen scheinen ja geschlossen zu sein (hoffentlich endgültig), andere hast Du nun aufgemacht. Ich wünsche mir, dass Du frei wirst und mich unvoreingenommen, ohne Vorurteile und ohne Obsessionen, die Du vielleicht zu Recht aus vergangenen Beziehungen entwickelt hast, sehen kannst.

So, mein liebes Evachen: Mach’s uns einfach und gib zu, dass Du Dich vergaloppiert hast, übers Ziel hinausgeschossen bist und diese Schublade für immer geschlossen bleiben muss.

Dein Max

 

 

17. April – 21:09 Uhr

Lieber Max,

ich komme zu anderen Ergebnissen, ich glaube, dass Du solche Mails schreibst, um Dich selbst erotisch zu stimulieren. Du stehst Dir dabei näher als mir. Sehr schade. – Mit Liebe zu mir hat das nichts zu tun, denn Du gehst auf meinen Wunsch, das zu unterlassen, nicht ein, obwohl ich bereits mehrfach massiv interveniert hatte.

Im Gegenteil, Du insistierst, theoretisierst, ja, belehrst mich sogar noch, wie ich darauf zu reagieren habe, statt es einfach, um unseres Friedens und um meinetwillen zu lassen.

Ich bin beim Schreiben auch nicht prüde, wie Du ja belegen kannst. Über viele erotische Liebeserklärungen von Dir habe ich mich sehr gefreut und war stolz darauf. Für mich sind aber gewisse Ausdrücke geschmack- oder stillos. Und nicht nur die Ausdrücke, sondern auch Deine Denkweise. Mit Humor hat das – für mich – nichts zu tun.

Ich bin müde und habe den ganzen Tag schreckliche Schmerzen im Bein. Ich habe keine Lust mehr zu weiteren Erklärungen.

Erhole Dich ein bisschen von mir, so wie ich mich von Dir.

Eva

17. April – 22:27 Uhr

Evachen, es ist ein Trauerspiel mit uns!

Meine Kinder und Freunde kommen mit meiner Art, alles, außer die religiöse Einstellung, Krankheiten und das Leid anderer, leger, locker und im Idealfall auch humorvoll zu kommentieren, sehr gut klar.

Geht mein Humor immer nur in eine Richtung? Habe ich in den ersten Mails an Dich einen Beweis für meine Zwanghaftigkeit geliefert? Oder gingen etwa alle Mails in eine Richtung? Ich glaube, dass ich dann die Chance, Dich zu treffen, nicht erhalten hätte! Wenn Du ruhig und entspannt alles noch mal lesen solltest, dann wirst Du schon erkennen, dass ich etwas vielschichtiger bin, als Du jetzt unterstellst.

Aber ich will nicht recht haben oder erhalten. Es ist auch für mich sehr lästig, mich erklären zu müssen. Entweder man wird verstanden und akzeptiert oder eben nicht!

Den Familientag habe ich abgesagt, denn ich habe keine Lust, mich auf ausufernde Gespräche, die weder zielführend noch hilfreich sind, einzulassen. Ich bin eben genauso abgetörnt wie Du.

Teile mir bitte mit, ob wir nach Kleesten fahren wollen. Ich denke, wir sollten nur fahren, wenn die Harmonie wieder hergestellt ist und unsere absolut überflüssigen Diskussionen beendet wurden. Ich würde dann die nächste Woche anders verplanen.

Ich wünsche Dir von ganzem Herzen gute Besserung!

Max

PS: Wenn irgendwer die letzten Mails durchlesen würde, könnte er sich fragen, wie eine so lebendige, geistig wie körperlich aufregende Beziehung mit Diskussionen über solche Marginalien zerredet werden kann!

 

 

17. April – 22.44 Uhr

Liebste Regina!

Max schlug vor, Gäste einzuladen und schreibt: »Ich übernehme die Arbeit, no problem! Wenn an diesem Abend der schlecht erzogene und immer aufmüpfige Max (damit meint er seinen Schwanz) zu heftig wird, müssen wir die Gäste eben rausschmeißen und uns devot den Wünschen und der geilen Gier dieses Kerls beugen.«

Ich weiß nicht, warum er nicht aufhört, mir diesen Kram zu schreiben. Ich finde es so abstoßend und habe ihm das schon so oft gesagt. Aber es scheint ihm egal zu sein, er nimmt keine Rücksicht auf mich, meint sogar, das sei witzig!

Ich bin diesbezüglich sehr empfindlich, denn ich hatte mal einen Freund, der mir ständig solche Briefe schrieb (das weiß Max!). Ich konnte das nicht mehr ertragen, und natürlich ging die Beziehung auseinander. Wenn Max das nicht lässt, sehe ich, trotz allem Verliebtsein, schwarz für unsere Zukunft, d. h. dann wird es keine geben. Aber ich werde leiden, das weiß ich schon jetzt. Bin ich zu streng? Was sagst Du?

Umarmung

Deine Eva

 

 

17. April – 23:01 Uhr

Meine Geliebte,

um ehrlich zu sein: Ich teile Deine Gefühle, und mir verginge völlig die Lust auf ihn. Aber Du bist eben sehr verliebt und ich nicht. Er ist irgendwie trivial, banal, hat Freude an dieser primitiven Sexsprache. Er ist so ›gestrickt‹ und wer weiß? – Vielleicht hat er zu viele Pornos gelesen? Könnte doch sein. Entweder Du gewöhnst Dich daran, gibst dem keine Bedeutung mehr, oder Du sagst ihm, wenn er Dir noch einmal in diesem Stil schreibt, ist die Beziehung beendet.

Seine sexuelle Bezogenheit auf Dich ist eminent, aber seine Wahrnehmung Deiner Differenziertheit, Deiner Sensibilität quasi nicht vorhanden. Und das sicherlich nicht nur in der Sexualität. Es tut mir so leid für Dich! Ich sah Dich schon als glückliche Baronin!!! In den Armen eines Mannes, der Dich liebt! Ich verstehe ihn nicht. Warum gefährdet er sein eigenes Glück?

Männer sind so anders, wir haben ja schon oft darüber geredet. Ich würde aber noch nicht aufgeben. Ihr versteht Euch doch in vielen Bereichen so gut! Unser Lieblingsspruch! Immer dran denken: ›Nobody is perfect!‹ Und ein Mann sowieso nicht. Du weißt ja, dass ihm eine Rippe fehlt. Aber sage Max unbedingt, was Du denkst!

 

Küsse von Deiner ewigen Freundin Regina

 

 

18. April – 09:55 Uhr

Liebes Evachen,

da ich ja weiß, dass man Dich nur nach Einholung einer Erlaubnis besuchen darf, traue ich mich nicht, unangemeldet bei Dir zu erscheinen, um Dir – schüchtern wie ich nun mal bin – ein paar verwelkte Stiefmütterchen in die Hand zu drücken. Was mache ich denn nun? Entschuldige bitte, ich meinte nicht Stiefmütterchen, sondern natürlich gelbe Tulpen und blaue Hyazinthen, die ich liebevoll gepflegt habe. Keine dieser Blumen lässt das Köpfchen so hängen wie ich.

Max

 

18. April – 10:49 Uhr

Zuerst lädst Du mich zu Deinem Familienfest ein. Dann lädst Du mich ohne Rücksprache oder Erklärung einfach wieder aus. Entscheidungen werden von Dir im Alleingang getroffen. Tut man das bei einer Dame?

Dann willst Du mir meinen Blumenstrauß, den ich sorgfältig und mit viel Gefühl für Dich ausgesucht habe, zurückgeben. Amore, es reicht mir, wenn Du mir Deine Liebe wieder zurückgibst.

Eva

 

 

18. April – 11:23 Uhr

Was ich nicht genommen habe, kann ich auch nicht zurückgeben. Aber ich habe noch so viel, was ich Dir geben könnte. Wart’s nur ab! Also Augen zu, Zähne zusammenbeißen und durch!

Du wirfst mir häufig vor, ich würde nur ans Ficken denken. Seit ich Dich kenne, denke ich zum ersten Mal, dafür aber dauernd daran. Was gibt es denn schöneres, als eine Frau, die man liebt, so oft es nur geht im Bett zu verwöhnen? Das ist doch das intensivste, das archaischste und elementarste Zeichen der Liebe, der Verbundenheit und Zuneigung. Eine Frau, nur immer diese eine, diese aber immer wieder und mit großer Freude und Begeisterung zu allen passenden und unpassenden Tageszeiten und in allen Stellungen ficken zu wollen, ist doch der tiefste Beweis für eine Zusammengehörigkeit, die weitergeht als nur gemeinsame Interessen und Erfolge!

Nimm also meine Begeisterung, Dich überall, Deine Brüste, Deinen Rücken, den Hals, Dein Bäuchlein und Dein Perlchen immer und überall streicheln und küssen zu wollen, als tief empfundene Freude, Dich kennengelernt zu haben, aber auch als Zeichen, dass ich Dich an allen genannten Körperteilen auch gern die nächsten 30 Jahre streicheln möchte!

 

Während ich dies schreibe, wuselt es schon wieder in meiner Hose.

Dein Liebling

 

 

18. April – 11:29 Uhr

Verehrter, vornehmer Herr Baron,

eine Frau schreibt an die Frauenzeitung ›Brigitte‹. Unter der Rubrik ›Fragen Sie Frau Irene‹ bittet sie um Rat:

 

Sehr geehrte Frau Irene,

ich bin seit acht Jahren verheiratet. Im ersten Ehejahr fand ich das Verhalten meines Mannes noch verständlich. Im zweiten Jahr dachte ich, dass sich dieses nun sicher bald ändern und beruhigen würde. Aber das ganze Gegenteil ist der Fall:

Wo immer ich mich befinde und ganz gleich was ich tue, sei es putzen, Wäsche waschen, Kohlen nachlegen oder fernsehen, er ist immer auf und in mir. Wenn ich ihn wegstoße, ist er beleidigt und der Haussegen hängt so lange schief, bis ich wieder bügeln oder putzen muss. Ich bin mit meinen Nerven am Ende. Ich habe in den letzten zwei Jahren 12 kg verloren!

Wie soll das nur weitergehen? Bitte geben Sie mir einen Rat.

Ihre völlig verzweifelte

Trude

 

PS: Bitte entschuldigen Sie die verwackelte Schrift.

18. April – 11:35 Uhr

Meine geliebte Trude,

ein anderer Vorschlag: Wollen wir einen Spaziergang machen, meine Liebste? Mein Sohn hat mir zwar verboten, die Wohnung zu verlassen, da er einen Fensterflügel zum Glaser gebracht hat, aber wenn ich mich mucksmäuschenstill und heimlich davonschleiche, merkt er nicht, dass ich mit fliegenden Fahnen zu meiner Adorata geeilt bin.

Dein Liebling

 

 

18. April – 12:07 Uhr

Da müssten Sie aber mit mir spazieren humpeln.

Eva

 

 

19. April – 14:52 Uhr

Mein Liebling,

ich humple immer wieder von Neuem gern mit Dir spazieren. Bis vor Kurzem war mir diese Form der Fortbewegung unbekannt. Der Second-hand-Laden ist in der Ahornstraße (U-Bahnhof Nollendorfplatz). Suche Dir bitte was Luftiges, nichts Enges aus. Eng anliegende Klamotten, wie z. B. Hosen, kannst Du Dir nach Kleesten leisten. Das Fenster ist eingehängt. Mein Sohn hat nichts gemerkt.

Dein Cavaliere

 

 

18. April – 16:02 Uhr

Mein Geliebter,

lies noch mal, was in meinem Horoskop steht:

 

Mond Quadrat Aszendent

Oft reagieren Sie übermäßig stark auf emotionale Situationen. Sie verwenden zu viel psychische Energie auf eventuelle Störungen in einer Beziehung. Das ist nicht unbedingt negativ oder kontraproduktiv. Der Nachteil ist, dass Sie Ihre gesamte Energie in Kleinigkeiten investieren. Verlassen Sie sich einfach darauf, dass Ihr Partner Ihnen sagt, wann Sie zu weit gehen.

 

Siehst Du, mein Cavaliere, ich kann gar nichts dafür! Le stelle sono più forte di me.

Deine meckrige Ziege

 

 

18. April – 17:24 Uhr

Mein Liebling,

das Horoskop ist ja irre! Am besten, Du lässt Dir in Zukunft morgens eins ausstellen und gibst es mir, damit ich nicht wieder unvorbereitet ins offene Messer renne.

Dein Max

 

 

18. April – 22:03 Uhr

Carissimo Barone mio,

das ist kein Tageshoroskop, sondern eine allgemeine Charakterdeutung.

Du weißt aber: Auch Horoskope können irren. In Wirklichkeit bin ich ja ein ganz sanftes Wesen. Ti amo! Ti amo molto! Habe heute eine wunderbare Lektüre für uns beide für Kleesten gekauft! ›Der perfekte Liebhaber‹ und ›Die perfekte Liebhaberin‹. Ich kann ja auch an nichts anderes denken, als in Deinen Armen zu liegen, von Dir gestreichelt zu werden, Dich zu küssen und zu maxen. Du wirst staunen, zwei sehr informative Bücher.

Deine Rosen sind wunderschön!

Deine Eva

 

 

18. April 07 – 23:48 Uhr

Scusa signora,

zwei wichtige Dinge für Kleesten: Hat Dein Laptop einen Stix-Anschluss? Ich muss dort auch mal arbeiten: Einen Businessplan fertigstellen!

Von unserem Liebesnest bis zum nächsten Geschäft sind es ca. vier bis fünf Kilometer. Je mehr Du hier in Berlin einkaufst, desto weniger musst Du in Kleesten radeln oder humpeln. Ich bin für die Küche zuständig und bereite aus dem, was Du einkaufst, göttergleiche Gerichte zu. Aber Einkaufen musst Du! 14 Tage lang!

Ich hoffe, Du hast nunmehr für alle Zeiten und endgültig akzeptiert, verstanden und verinnerlicht, dass Du alles vorgibst, entscheidest und bestimmst und Dein Knecht nur versucht, die Wünsche seiner Animod, so gut es geht, zu erfüllen. Endlich bringe ich Ordnung in diesen Geschlechterwirrwarr!

Ti amo

Max

 

 

18. April – 23:55 Uhr

Ach, Amore, ich werde nur noch tun, was Du willst! Du bist grauenhaft!!! Womit habe ich das verdient?

Eva, Deine Blockführerin

 

 

19. April – 00:22 Uhr

›Grauenhaft‹ ist höflich untertrieben. Du bist noch etwas naiv! Aber ich will Dich nicht, bevor ich Dich in Kleesten eingesperrt habe, mit dem wirklichen, dem archaischen Grauen konfrontieren. Das Grauen wird kommen, immer dann, wenn Du es nicht erwartest, tags und nachts, heimlich, ungebeten, drohend, immer wieder, alles lähmend (Na ja, ich will nicht zu viel erzählen, sonst kommst Du ja nicht mit).

Schlaf schön, Du hast ja einen Cavaliere, der Dich beschützt! ›Blockwärterin‹ wolltest Du doch wohl sagen! Die brauche ich dringend, wenn Sie mir die Fenster putzt.

Dein Mäuserich

 

 

19. April – 00:41 Uhr

Nein, ich wollte ›Blockführerin sagen, weil ich mich eher zur Führung als zur Wartung berufen fühle. Und wenn Du meinst, dass Du mir das ›reine Grauen‹ in Kleesten beibringen könntest, so hast Du Dich getäuscht.

 

Ich werde Dich aller Kräfte berauben, Dir zusätzlich den Whisky entziehen, Dich nicht mehr anlächeln, jedes Deiner Worte kritisch überprüfen, sodass Du alle Familienfeste, Bälle und Frühlingsfeste absagen wirst und endlich Zeit findest, Deine Wohnung zu reinigen und fertig zu renovieren. Während dieser Tätigkeit wirst Du Dich unentwegt bekreuzigen vor lauter Glück, endlich wieder alleine einkaufen, putzen und kochen zu können. Aber dieses Glück wird nicht lange andauern.

Nach spätestens zwei Tagen wirst Du ganz krank vor Sehnsucht nach mir werden, nach mir schreien, und wenn ich der Ansicht bin, dass Deine Rufe wirklich von Herzen kommen, und Du mir versprichst, nie mehr grausam zu mir zu sein, werde ich mich Dir wahrscheinlich wieder zuwenden, mich mit Dir in mein Bettchen legen und sehr, sehr lieb zu Dir sein.

Übrigens, wir sollten mal die Seiten wechseln. Ich gehe davon aus, dass Du kein Linkshänder bist.

Wie schön, dass es Dich gibt, mein Teufelchen.

Deine Teufelin

 

 

19. April – 08:28 Uhr

Guten Morgen, meine kleine Kuschelmaus,

wie konnte ich Dir das alles von Kleesten erzählen? Hatte wohl schon zu viel Whisky intus. Jetzt muss ich wieder alles auslöffeln, was ich mir eingebrockt habe. Mami, Mami, wie komme ich da nur wieder raus?

Einen männlich sozialisierten Schlägerbruder aller Kräfte berauben!!! So etwas Fieses kann auch nur ’ner Emanze einfallen!

Das mit der Hand stimmt. Die linke Hand trage ich eigentlich nur wegen des Gleichgewichts mit mir herum. Du merkst auch alles! Ich kann, wie schon oft bemerkt, noch sehr viel von Dir lernen! Aber es ist ja noch nie ein Meister vom Himmel gefallen.

 

Ich bin heute leer im Kopf und nicht mal als Teufelchen zu gebrauchen!

Dein Max

 

 

19. April – 13:45 Uhr

Ich bin nach einer fast dreistündigen Odyssee durch drei Ämter in zwei Stadtteilen zurück. Zumindest habe ich jetzt einen vorläufigen Führerschein. Hatte diesen vor 1,5 Jahren verloren.

Ruf mich doch bitte mal an! Ich wollte Dich bitten, die Autoanmietung zu übernehmen, da ich ja keinen Kredit habe. Die preiswerteste Firma wäre ›Interrent‹. Station Bahnhof Zoo. Ein kleiner Kia kostet uns für die Zeit vom 22.4.bis zum 5.5. nur 336 €. Die Miete in Kleesten kostet 30 € / Tag, also vom 23.4. bis 5.5. nur 390 €.

Insgesamt wird uns die Sache wohl gegen 740 € kosten plus Sprit und futtern. Mit ca. 900 € kriegen wir alles hin. 450 € ist im Moment zwar eine Menge Holz für mich, aber der jugendliche Held freut sich auf seine großartige Zukunft! Morgen geht es los! Maximilian und Max sind schon ganz hibbelig!

Dein Schuckelputzel

 

 

26. April – 13:38 Uhr

Amore,

welch ein Duft steigt denn da aus der Küche zu mir herauf? Bereitest Du Fisch zu? Einen Braten, grüne Heringe?

Vergessen Sie mich ja nicht dabei, Amore! Ich liebe Sie nämlich sehr. Deshalb sollten Sie Aufbaunahrung zu sich nehmen. Auch heute Abend erwarte ich Ihre totale Zuwendung, und viele Küsse, und viele, viele Streicheleien und ebenso viele kräftige Bewegungen.

Ihre Maestra

 

 

26. April – 14:33 Uhr

Meine kleine Genießerin,

selbst hier schreibst Du mir! Wir sind doch nur acht Stufen voneinander getrennt! Du bist eben eine echte Dichterin und kannst wohl ohne Schreiben gar nicht leben!

Ich brate keine Heringe, sondern Forellen, mein Liebling! Aber keine Sorge, Dich vergessen, geliebte Eva? Im Gegenteil: Ich kann mich beim Zubereiten kaum konzentrieren, weil ich nur Deine Augen – blaue Seen, in denen Forellen schwimmen – vor mir sehe. Am liebsten wäre ich jetzt auch eine Forelle und könnte in diesem endlosen See mit ihnen baden. Dabei muss ich sehr aufpassen, dass mein Kopf bei diesen Träumen nicht in die Pfanne fällt.

Ich werde alles tun, um Deine Wünsche erfüllen zu können, meine Adorata und mit einem Nickerchen neue Kräfte für den heutigen Abend, am liebsten für eine ganz lange Nacht, sammeln.

Dein Koch

 

 

26. April – 14:39 Uhr

Geliebte Forelle,

ich bin so glücklich mit Dir! Wie schön unser Leben hier ist, wie ein Traum. Ich will mich nie mehr von Dir trennen, immer bei Dir sein. Jedenfalls ist es jetzt und heute so! Hic et nunc, wie Du Lateiner sagen würdest. Könntest Du nicht mal kurz den Herd abstellen und mich ein wenig streicheln kommen? Hic et nunc?

Dein Fischlein

 

 

26. April – 14:45 Uhr

Amore, jetzt lass mich in Ruhe am Herd arbeiten! Nix hic et nunc! In fünf Minuten können wir essen.

Dein Amore

 

 

26. April – 16:34 Uhr

Das war ja ein ganz köstliches Mahl! Ich habe aus Dankbarkeit nun alles abgewaschen und aufgeräumt. Es ist so wunderschön draußen. Du machst nun Dein Altmänner-Mittagsschläfchen und ich gehe mit Claudio etwas spazieren.

Übrigens: Gestern auf dem Ball sahst Du wunderschön aus, Geliebter, und Deine Augen strahlten, und Du warst so fröhlich und sooo süß!!!

Deine Eva

 

 

26. April – 16:19 Uhr

Principessa,

und du warst umwerfend, fremd, nicht richtig einschätzbar. So verfolgten Dich alle Augen, und ich war stolz! Deine Jacke mit dem Stehkragen hat einen wahnsinnigen Eindruck gemacht! Und niemand wusste, dass Du diese nur trugst, um die Bisswunden an Deinem schönen Hals zu verbergen.

 

 

3. Mai – 14:34 Uhr

Geliebte Regina!

Es ist paradiesisch hier in Kleesten! Ein ganz, ganz kleines Dörfchen an einem romantischen See. Alles ist viel schöner und verwunschener, als ich es mir vorstellen konnte! Dazu nur Sonnenschein! Und stelle Dir vor: Es geht mir bestens ohne das verhasste Rauchen!

Auch Claudio ist glücklich, Wald und Wiesen hat er reichlich überall! Und: Ich fahre wieder Rad! Nach vierzehn Jahren Pause! Max ermutigte mich, denn ich war etwas ängstlich. Du weißt ja, dass ich mir beim letzten Radeln in Holland ein Bein gebrochen hatte. Aber heute schaffte ich die fünf Kilometer zum nahe gelegenen Klosteramt Dobbertin mit links! Und zurück!

Mit dem Auto besichtigen wir die Sehenswürdigkeiten, das wunderschöne Renaissanceschloss in Güstrow, aber das ist nichts gegen das Schloss in Schwerin, das auf einer Insel in einem See liegt. Auch der Dom ist zutiefst beeindruckend. Die norddeutsche Backsteingotik war mir bisher fremd, sie wirkt von außen recht karg, aber im Kirchenschiff wird man überwältigt! Herrliche Altäre und Grabstätten und eine viermanualige (!!!) Orgel, von Ladegast gebaut, mit 5200 Pfeifen. Irre!

Max ist ganz liebevoll, rudert mich tapfer auf dem See herum. Wir sind beide total verliebt und glücklich!

Vor einer Woche fuhren wir zu Maximilians Verbindungsball. Aber ich trug kein Ballkleid, irgendwo sind einfach Grenzen! Die Anwesenden waren alle Ehepaare! Für deren erwachsene Kinder dient der Ball zur ebenbürtigen Partnersuche. Kenne ich alles aus meiner Jugend, wo ich öfter zu solchen Bällen eingeladen war. Damals – ich war so 16, 17 – fand ich das sehr spannend. Heute war ich mehr beobachtend als aktiv beteiligt und froh, als wir am nächsten Tag wieder in unser Liebesnest zurückkehrten, auch wenn ich mich letztlich gut amüsiert habe und stolz auf meinen süßen Maximilian war!

Wie war die Premiere? Wurdest Du gebührend gefeiert?

Küsse von Deiner Eva

 

 

4. Mai – 9:23 Uhr

Meine Liebste,

ja! Ich hatte den ersten Szenenapplaus gleich nach dem ersten Auftritt! Und über die Presse kann ich mich nicht beklagen! Ich war auch deshalb besonders gut, weil ich mich in meinen Partner verliebt habe! Ein super begabter Schauspieler, nur für diesen Beruf auf die Welt gekommen! Aber Mist! Er ist verheiratet! So wird es bei einer Affäre bleiben, denn wenn das Stück abgespielt ist, muss er nach Wien zu seiner Familie zurück. Du musst unbedingt zu einer Vorstellung kommen und Robert erleben! Auch hier ist herrliches Wetter. Ich freue mich, dass Du glücklich bist! Ich muss gleich zur Probe. Flitz!

Sei umarmt

Deine Regina

 

 

6. Mai – 11:51 Uhr

Ach, Regina mia,

da bin ich schon wieder! Ich habe mich gestern wie die allerblödeste Zicke benommen!

Wir fuhren nach Berlin zurück, zogen uns um und gingen gleich zum nächsten Event in einen Palazzo am Ku-Damm. Die Eleganz der Beletage war beeindruckend, aber ich sah natürlich gleich, dass fast alle Gäste sehr konventionelle Wesen waren, was (natürlich) nichts über ihre menschlichen Werte oder beruflichen Verdienste aussagen soll. Es waren fast alle sehr reiche Leute, aber es war trotzdem auch irgendwie spießig!

Wieder nur Smalltalk mit Ehepaaren, die ich nicht kannte. Gattinnen mit Perlenketten befragten mich nach meinen Kindern (als gäbe es keine anderen Themen), und nachdem ich diese nicht vorweisen konnte, nach meiner Tätigkeit. Oh, eine Pianistin! Das ist natürlich etwas anderes! Einer Künstlerin muss man schon einiges nachsehen! Ich fühlte mich nicht wohl, stand alleine herum, da Max immer zu irgendwelchen Begrüßungen unterwegs war. Dann sah ich ihn an einem Stehtisch mit einer ›Dame‹ flirten. Zu lange – empfand ich – sodass ich immer wieder in seine Richtung sah, und so den unreflektierten Ratschlägen zur Führung einer guten Partnerschaft einer Professorengattin, die neben mir an einem Tisch stand, nicht mehr richtig folgen konnte.

 

›Man muss eine Beziehung aber auch wollen!‹ Dieser, von Weisheit strotzende Satz blieb gerade noch bei mir hängen, als ich sah, dass Max seine Nachbarin strahlend umarmte, und seinen Arm dann nicht mehr von ihrer Hüfte nahm. Champagner und Wein tobten in mir. Ich konnte es nicht ertragen, wie locker und engagiert er sich nach der vergangenen Liebesnacht einer anderen Frau zuwandte.

Schnurstracks ging ich auf ihn zu, würdigte die Dame keines Blickes und forderte in schärfstem Ton, er solle mich nach Hause bringen, ich wolle sofort gehen! Max sah mich entgeistert an und erkannte, dass er keine andere Wahl hatte. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Im Taxi sprachen wir kein Wort miteinander.

Du siehst, Verliebtsein treibt nicht nur schöne Blüten! Ich muss mich schnell bei ihm entschuldigen, denn heute Morgen rief er nicht an.

 

Hoffentlich kannst Du die Zeit mit Robert trotz seiner Ehelast genießen!

Kuss

Deine Eva

 

 

 

6. Mai – 12:32 Uhr

Lieber Max,

mein gestriges Verhalten tut mir schrecklich leid, ich möchte mich von Herzen dafür entschuldigen. Du hattest Dich so auf den Abend gefreut!

Auch wenn es für Dich keinen Anlass dafür gab, alles was wir tun, hat immer einen Grund. Schon im Orgelkonzert am Nachmittag fühlte ich eine große Fremdheit zwischen uns, denn ich spürte, dass Dich diese Musik, die mich ganz und gar erfüllte, kaum berührte.

Am Abend hat sich dieses Gefühl der Entfernung zu Dir noch verstärkt. Der viele Wein spielte natürlich die entscheidende Rolle bei meinem abrupten Coup! Er wirkte schnell, denn wir hatten eine lange Liebesnacht hinter uns und nur wenig geschlafen. Es kam plötzlich eine rasende Eifersucht über mich, und dann war es einfach stärker als ich (più forte di me – wie die Italiener sagen)!

 

Wir leben in so verschiedenen Welten! Manchmal, wie gestern, scheinen sie mir unvereinbar zu sein. Wenn ich das bisher benannte, mit Dir darüber reden wollte, gingst Du nie darauf ein, machtest Späße, und da die meistens gut waren, lachten wir gemeinsam alles weg. Aber der Konflikt blieb natürlich latent da.

Vielleicht sind wir uns auch viel zu schnell viel zu nahegekommen. Dein totales Auf-mich-Zugehen war ja von Anfang an verwirrend und nicht wirklich glaubwürdig für mich. (›Det isse‹!) Und dann standen die Rollen fest: Ich, die Skeptikerin, Du der nicht Zweifelnde. – Ich weiß es auch nicht.

Ich wollte nicht so abfahren, ohne wenigstens ein bisschen etwas zu sagen. Wenn Du möchtest, könntest Du nach der Abgabe des Autos vorbeikommen. Dann könnte ich Dich wenigstens noch einmal umarmen.

Deine traurige Eva

 

 

6. Mai – 13:12 Uhr

Mein liebes Evachen,

der gestrige Abend endete recht irritierend, Dein provokatives Wesen ist mir doch ziemlich fremd. Aber warum sollen wir ›Konflikte‹ nicht weglachen? Die großen, wie Hungersnöte und Krieg, können wir nicht per Diskussion beeinflussen. Die kleinen Konflikte erschaffen wir uns mit Vorurteilen, Egozentrik und fehlendem Einfühlungsvermögen; unsere ›Konflikte‹ sind nicht per se da.

Gut, wir sind verschieden. Ein Glück, denn sonst wäre alles doch recht langweilig. Mir sind aber die Bereiche, in denen wir uns ergänzen und befruchten wichtiger, ich denke eben positiv!

Du hast mir auf der Fahrt nach Schwerin doch den interessanten Artikel über die Tagung der Neurobiologen vorgelesen. Sind wir also bestimmt von der Biologie oder können wir frei entscheiden? Wenn man daran glaubt, dass Körper, Wille und Gefühl nur von chemischen und physikalischen Prozessen der Hirnzellen abhängig sind, dann kann man sich sehr schön mit ›più forte di me‹ herausreden. Is halt nun mal so! Kann man nichts machen. Wenn dann noch einige Planeten im falschen Haus dazukommen, ist alles zu spät.

Wenn wir aber in unseren Entscheidungen frei sein sollten, dann darf es eigentlich keine bewusste Verletzung des geliebten Partners geben.

Das Auto kann ich nur zwischen 17 und 19 Uhr abgeben. Da wirst Du schon auf dem Weg nach Frankfurt sein. Sag mir, ob ich schon vorher kommen kann (darf). Du brauchst auch nichts vorzubereiten und zu kochen!

Dein Dich liebender Max

 

 

6. Mai – 13:18 Uhr

Ach, Amore, Du bist einfach himmlisch!

Sie könnten eigentlich gleich vorbeikommen, geliebter Barone!

Ihr Aetna

 

 

6. Mai – 13:31 Uhr

Bin jetzt mit meinem Sohn kurz verabredet. Um 14 Uhr wird der Aetna mich und den kleinen Stromboli empfangen können.

Dein Amore, Amooore, Amooooooore!

 

 

7. Mai – 09:42 Uhr

Mein Liebling,

ich hoffe, Du bist gut in Frankfurt angekommen und kannst jetzt alle Termine wahrnehmen. Ich drücke Dir die Daumen, dass Dir Dein Orthopäde helfen kann.

Claudio, mir und dem Stromboli geht es gut. Allerdings scheint Claudio sehr bedrückt zu sein, denn er bellt nicht und springt nicht an mir hoch. Vielleicht braucht Dein Sensibelchen noch etwas Eingewöhnungszeit. Beeindruckend sind für ihn die vielen neuen Gerüche. Alle Bäume und Hausecken riechen anders als in seiner Gegend. Ich muss beim Joggen dauernd haltmachen, da er sich von den hinreißenden Duftmarken nicht trennen kann!

Beim Joggen dachte ich wieder einmal daran, wie dick und bewegungsreduziert ich noch vor zwei Jahren war!!! Es war schrecklich! Ich fühlte mich so alt!

Meine koronare Herzkrankheit beschränkte mich auf eine Gehstrecke von 50 Metern! Die Operation mit dem Herzkatheter war erfolgreich, denn die drei fast verschlossenen Arterien konnten wieder geöffnet werden. Danach fühlte ich mich wie neu geboren, joggte täglich, begann mit dem Radfahren und nahm innerhalb eines Jahres fast zehn Kilo ab. Und jetzt jogge ich wie ein Weltmeister!

Dein Max

 

 

8. Mai – 22:48 Uhr

Meine Amora – vielleicht amaretta?,

ich habe mich nach einem mehr eleganten als effektivem tête à tête mit meinem Staubsauger endlich an das Programmheft Deines Klavier-Festivals in Stuttgart gemacht. Wirklich sehr interessant. War ja eine riesige Veranstaltung! Chapeau!

Dein Max

 

 

9. Mai – 01:57 Uhr

Amore,

heute denke ich nicht an Klaviere, sondern nur mit ganz viel Sehnsucht an Dich. Es geht mir einfach wunderbar, wenn ich in Deinen Armen liege, wenn ich Deine männliche Kraft spüre. Das ist ein Riesengeschenk und gar nicht selbstverständlich. Und doch ganz natürlich und leicht. Alles wie vom Himmel.

 

Deshalb schenke ich Dir heute Nacht dieses wunderbare, göttliche Gedicht von Francois Villon:

 

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,

ich schrie mir schon die Lungen wund

nach deinem weißen Leib, du Weib.

Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,

da blüht ein schöner Zeitvertreib

mit deinem Leib die lange Nacht.

Da will ich sein im tiefen Tal.

Dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

 

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,

da schlief ich manches Sommerjahr

bei dir und schlief doch nie zu viel.

Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,

das macht mir wieder frohen Mut.

Komm her, ich weiß ein schönes Spiel

im dunklen Tal, im Muschelgrund …

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

 

Die graue Welt macht keine Freude mehr,

ich gab den schönsten Sommer her,

und dir hat’s auch kein Glück gebracht;

hast nur den roten Mund noch aufgespart,

für mich so tief im Haar verwahrt …

Ich such ihn schon die lange Nacht

im Wintertal, im Aschengrund …

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,

da hat der Schnee sein Nest gebaut

und fragt nicht, wo die Liebe sei.

Und habe doch das rote Tier so tief

erfahren, als ich bei dir schlief.

Wär nur der Winter erst vorbei

und wieder grün der Wiesengrund!

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

 

Und dabei dachte ich an Dich, nur an Dich, Amore.

Schlafe weiter, ich freue mich, dass es Dich gibt.

 

Deine Eva

 

 

Aber das ist auch schön:

 

Ein Weib (Heinrich Heine)

 

Sie hatten sich beide so herzlich lieb,

Spitzbübin war sie, er war ein Dieb.

Wenn er Schelmenstreiche machte,

Sie warf sich aufs Bett und lachte.

 

Der Tag verging in Freud und Lust,

Des Nachts lag sie an seiner Brust.

Als man ins Gefängnis ihn brachte,

Sie stand am Fenster und lachte.

 

Er ließ ihr sagen: O komm zu mir,

Ich sehne mich so sehr nach dir,

Ich rufe nach dir, ich schmachte –

Sie schüttelt’ das Haupt und lachte.

Um sechse des Morgens ward er gehenkt,

Um sieben ward er ins Grab gesenkt;

Sie aber schon um achte

Trank roten Wein und lachte.

9. Mai – 10:18 Uhr

Mein Liebling,

die Gedichte sind sehr schön! Endlich habe ich sie schriftlich.

 

Ich bin im Moment sehr unzufrieden mit mir. Ich bin so müde und träge. Körperlich wie geistig. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich jogge kaum, jedenfalls sind die Strecken deutlich kürzer als vor unserer Reise und in Rauchzeiten. Ich muss mich fast mit Gewalt zwingen, mich an den Computer zu setzen. Mediziner nennen das: antriebsarm! Ich sage nur: Scheiße! Kein Feuer, kein Dampf, keine Energie!

Bis gleich!

 

 

9. Mai – 10:30 Uhr

Amore, man hat manchmal solche Tage. Ich werde Dir nachher etwas Feuer schenken. Ich verspreche es.

Deine Eva

 

 

9. Mai – 12:06 Uhr

Mon dieu, mon dieu!!!

Ich habe fast 20 Jahre mit keiner Frau geschlafen, und mir hat in all der Zeit nichts gefehlt! Seit ich Dich kenne, denke ich nur noch daran. Es ist doch verrückt. Hast Du eine Erklärung? Ging es einem Deiner ehemaligen Liebhaber ähnlich?

Ich möchte gern heute Abend etwas früher kommen. Darf ich? Ich explodiere sonst, denn das letzte Mal am Sonntag ist schon so lange her. Heute Nacht möchte ich aber auch gern bei Dir bleiben. Ich denke mit Grauen an die vier Wochen ohne Dich! Von wegen Verbalerotiker. Nix verbal, aber viel Erotiker!

Ich freue mich, Dich heute Abend wieder in den Arm nehmen zu können. Ich bin also doch wieder der Alte. Diese zwei antriebsarmen Tage hatten mich sehr erschreckt!

Dein Max

 

 

10. Mai – 13:48 Uhr

Guten Morgen, Cavaliere,

habe bis 12 Uhr geschlafen – alles tat mir weh!

Ich würde gerne vor meiner Italienreise ein Abschiedsessen für meine Freunde machen. Morgen Abend ist PianoSalon. Da muss ich hin! Und wenn Du möchtest, kannst Du gerne mitgehen.

Küsschen

Eva

 

 

10. Mai – 15:09 Uhr

Mein liebes Evachen,

am Wochenende bekommst Du Besuch, wenn ich also morgen nicht zum PianoSalon mitkommen sollte, sehe ich Dich ja eine Ewigkeit nicht mehr. Da ich das nicht aushalte, komme ich mit. Aber wo bleibt Claudio während des Konzertes? Wieso tat Dir denn alles weh? Verstehe ich nicht!

Dein etwas irritierter Liebling

 

 

10. Mai – 16:41 Uhr

Mein Perlenfischer (Oper von Bizet)

je t’aime.!!

Gibt es eigentlich Fotos vom Ball? Frag doch mal nach.

 

Wäre Dir Mittwoch für ein Abschiedsessen recht? Wie viele Gäste kannst Du kochtechnisch verkraften?

Deine Eva

 

 

10. Mai – 17:25 Uhr

Was planst Du denn? Ein gesetztes Essen für vier oder sechs Personen oder soll die Bude voll werden? Ich glaube, die Zahl der Gäste ist weniger problematisch als Deine etwas dürftige Ausstattung mit Töpfen etc. Also überlege erst mal, was Du willst.

1512 Küsschen an meine Animod

Max

 

 

10. Mai – 21:02 Uhr

Mein geliebtes Evachen,

eine kleine Hausaufgabe möchte ich Dir doch für diese abartige Zeit aufs Auge drücken. Dein Abgang bei dem Fest am Samstag hat wohl doch mehr Spuren hinterlassen, als ich anfangs annahm. Wir sollten etwas gegen die Spuren tun! Bitte denke darüber nach. Aktionismus ist sicher nicht die beste Therapie. Schlaf nun gut und träume noch viel schöner!

Dein Cavaliere

 

 

10. Mai – 23:13 Uhr

Mon chevalier,

ich habe mich auch gewundert, dass Du so über meinen Abgang an diesem Abend hinweggegangen warst. Einerseits fand ich es wunderbar, dass Du es nicht so tragisch nahmst und mir eine so liebe Mail geschickt hast. Andererseits blieb mir unverständlich, dass Du weiter nichts mehr dazu sagtest.

Ja, wir sollten darüber reden. Möchtest Du vorbeikommen?

Ta chou chou

 

 

11. Mai – 15:41 Uhr

Ich freue mich tierisch auf alles, was wir heute machen und erleben werden!

 

Du warst die Blume Makellos

und ich war wild und wach.

Als Deine Iris überfloß,

da gabst du gebend nach.

Ich war die Blume Schmerzenlos

in Deinem lichten Duft.

Wir schenkten uns aus Grenzenlos

aus Erde, Leid und Gruft.

 

Da wuchs die Blume Morgenrot

an unserer Nächte Saum.

Wir litten eine süße Not

um einen süßen Traum

 

Wolfgang Borchert

 

 

12. Mai – 13:56 Uhr

Liebster,

auch wenn ich mich nicht an alle Deine Liebkosungen erinnern kann, die, an die ich mich erinnere, waren wunderbar und haben nicht nur meinen Körper, sondern viel, viel mehr in mir berührt. Du bist ein Traummann! Mein Max.

Deine Animod

 

 

12. Mai – 16:14 Uhr

Mein Geliebter,

eben rief Beatrice aus Ischia an und berichtete mir, dass mein Haus voll Wasser war und meine wunderschöne Vitrine (1860) aufgequollen und somit ruiniert sei. So schade! Ich liebte sie. Aber alles Irdische ist vergänglich … Vielleicht kann man sie noch restaurieren, mal sehen. Man muss das Dach nun neu asphaltieren. O Gott, diese Häuser!

Am nächsten Freitag komme ich um 9.10 Uhr in Napoli an, und dann geht’s aufs Schiff nach Ischia. Sybille kommt mit mir. Wir werden eine schöne Zeit haben, denn wir verstehen uns sehr gut. Ich bin so froh, dass Claudio bei Dir bleiben darf!

Dank und 1.000 Küsse.

Deine Eva

 

 

12. Mai – 23:35 Uhr

Mein Liebling,

ich hoffe, der heutige Abend war unterhaltsam. Claudio geht es gut. Er ist anständig gelaufen, und wir sind beide richtig nass geworden. Eben der typische Status von Knechten, während die Herrschaft in der verhängten Kalesche, im Fiaker oder im Taxi sich trocken, Frisur und Make-up nicht gefährdend, sich zum nächsten rendez-vous d’amour bewegt.

Schlaf gut und träume schön.

Dein Knecht

13. Mai – 14:56 Uhr

Mein Liebling,

könntest Du mit Sybille mit dem Auto vorbeikommen und einiges bei mir abholen, was Du für Deine Gäste am Mittwoch benötigst?

 

2 Klappstühle,

große Pfanne für Hähnchenbrustfilet

großen, breiten Topf für Spargel

(größerer, tiefer Topf mit 2, besser 3 Liter für Kartoffeln wird noch benötigt)

8 kleinere Teller für Vorspeise Salat vorhanden?

Wenn nicht, kann von mir geliefert werden, allerdings nur mit Wappen von meiner lieben Mami und vom lieben Papi (sehr dezent und ohne Kronen!)

8 kleinere Teller für Nachspeise (Eis mit Himbeeren),Teller wie oben

Genug Messer? Gabeln, Löffel? Vorlegeteile?

Schüsseln?

 

Einkaufen Essen:

Vorspeise:

Lammfilet 800 g, gibt es gefroren preiswert bei Aldi

Salat (welchen Du willst, Ruccola und/oder Feldsalat finde ich aber besser als Kopfsalat)

Austernpilze 600 – 800 g

Gewürze etc. hast Du schon oder bringe ich mit

Hauptgericht:

2–3 kg Spargel

Kartoffeln

1kg Hähnchenbrust (8 Teile)

Süße Sahne

Hollandaise (wird mit Orangensaft und Estragon verfeinert)

(Rezept Witzigmann)

3 (Blut-) Orangen (haben Gnädigste eine Presse?)

1 Bund frischer Estragon

Eis?

Himbeeren, keine gefrorenen!

Eis mit heißer Schokolade ist auch schön

Oder Walnusseis mit Eierlikör

 

Bei Wein bist Du ja fitter als ich. Ich habe natürlich noch viel vergessen. Aber Sie wissen ja besser als ich, was noch alles benötigt wird! Ich verbleibe mit größter Hochachtung, unendlicher Dankbarkeit und einem gehorsamen Handkuss

Ihr Koch

 

 

17. Mai – 14:12 Uhr

Amore,

alle Gäste haben inzwischen angerufen und Dein Diner nochmals gelobt.

Cara Madonna, welch ein Glück, dass ich einen so guten Koch habe.

Kuss

Deine Eva

 

 

18. Mai – 20:27 Uhr

Meine amore,

ich hoffe, Ihr seid wohlbehalten angekommen. Claudio geht es gut, er hat hervorragenden Appetit. Ich werde aber aus Trauer in den nächsten vier Wochen die Nahrung verweigern.

Wir haben gerade einen langen Spaziergang um den Lietzensee gemacht.

Ich durfte an den wichtigen Stellen mein Häufchen und an Pfosten oder Bäumen immer mein pinky loswerden. Ich brauchte auch nicht an der Leine zu gehen, denn er war ganz geduldig und gut gelaunt, vielleicht, weil er so viele neue Kumpel getroffen hat. Du siehst, ich bin bei ihm in besten Händen.

Deine Wohnung habe ich auch sauber gemacht, weil ich gerade in Schwung war, habe den Fußboden gewischt, alle CDs ausgeräumt, abgestaubt und die Regale feucht abgerieben.

Deine preußische Ordnung bei den CDs finde ich fürchterlich: wie beim Finanzamt, Abteilung Schankerlaubnis! Es ging mir auf den Geist.

Ich habe nun eine kreative, sehr menschliche Note hineingebracht und immer neben einen Komponisten eine Komponistin gestellt. Bach macht sich sehr gut neben Fanny Mendelssohn. Der alte Herr schaut jetzt viel zufriedener von der Hülle, und Fanny hat nun einen ganz schelmischen Gesichtsausdruck! Clara Schumann erzählt dem alten Schlingel Telemann was vom roten Tier im Blut und Eva-Marias DVDs habe ich neben das Schlitzohr Richard Wagner platziert, damit er nicht immer nur vom Liebestod rumfaselt. Maestra werden erfreut sein, wenn Sie wieder zurückkommen.

Die komischen Konzertplakate an den Wänden werde ich in den nächsten Tagen entsorgen. Sie sind mir nicht farbenfroh genug. Bei den Reisebüros hole ich mir einige Poster mit Sonnenuntergang in Florida, dem Mond über den Malediven oder vom Disneyland. Auch das Grand Canyon ist viel attraktiver als der blöde Konzertsaal in Litauen! Ich bin freudig erregt, wenn ich darüber nachdenke, wie man in Deine Wohnung eine schöne, bunte, Geist und Sinne anregende Stimmung bringen kann. Du siehst, ich langweile mich nicht!

Wie viele Kilos hast Du schon abgenommen?

1.000 Küsse!

Dein Max

18. Mai – 22:23 Uhr

18 Stunden bist Du nun schon weg und immer noch keine Nachricht! Schluchz!

Dein Max

 

 

19. Mai – 00:12 Uhr

Ich gehe jetzt traurig und allein ins Bett. Mir fehlt Dein warmer Körper. Ich habe mich in der kurzen Zeit so an Dich gewöhnt! Ich bin süchtig nach Dir.

Dies war ja erst der erste Tag! Wie soll denn das nun weitergehen?

Mein geliebtes Evachen, kauf Dir doch ein (billiges) Rückflugticket! Ich finde, die 18 Stunden, die Du in Italien genossen hast, reichen nun aus! Man muss nichts übertreiben! Wenn Du willst, verzichte ich auch bis zum Lebensende auf Knoblauch! Hauptsache, ich kann Dich wieder in den Arm nehmen.

Dein Max

 

 

20. Mai – 01:05 Uhr

Meine Geliebte,

was ist mit Dir? Geht es Dir nicht gut? Melde Dich doch kurz und sag mir nur, dass Du gut angekommen bist und Du wegen der Bäder und Massagen abends todmüde ins Bett fällst. Dann bin ich beruhigt!

Küsschen

Dein Max

 

 

 

 

20. Mai – 01:21 Uhr

Meine geliebte Animod,

 

ich gehe jetzt noch trauriger ins Bett als gestern!

 

Und bist Du erst mein ehelich Weib

Dann bist Du zu beneiden,

denn ich schenk Dir als Zeitvertreib

lauter Pläsier und Freuden.

 

Und wenn du schiltst und wenn Du tobst,

ich werd auch dies erleiden;

Doch wenn Du meinen Reim nicht lobst,

dann lasse ich mich scheiden!

 

(Frei nach dem Schelm Heinrich Heine!)

 

 

21. Mai – 12:55 Uhr

Meine geliebte Eva,

langsam kommt mir Dein Schweigen (fast vier Tage) spanisch vor! Das Handy hast Du sicher an dem hektischen Morgen vergessen. Aber gibt es denn auf Ischia kein Internet, um mir zu antworten, oder kein Telefon, um mich anzurufen und meine erregten Nerven zu beruhigen? Ich habe gestern Abend aus lauter Nervosität wieder zu rauchen begonnen. Du bist daran schuld!

Hast Du etwa im Flugzeug den Mann Deiner Träume kennengelernt? Dann muss ich mich – äußerst widerwillig – ja an die nächste Sonntagsausgabe des Tagesspiegels machen, um eine Gebrechlichkeitspflegschaft mit Endlösungspotenzial zu finden!

Ich werde mal einen anderen Weg versuchen und Deinen Ex-Mann anrufen. Der könnte die Telefonnummer von Beatrice haben. Jedenfalls hoffe ich sehr, dass kein Mann und vor allem auch keine Bauchspeicheldrüsenentzündung Dich vom Schreiben abhält.

Dein deutlich verunsicherter Max

 

 

21. Mai – 22:57 Uhr

Meine geliebte Eva,

wie schön war es, Deine Stimme wieder zu hören! Ich habe mich sehr gefreut, dass es Dir gut geht und Du – zumindest bis heute – keinen neuen Liebhaber zu favorisieren scheinst.

Mir macht es sehr viel Spaß mit Claudio zu laufen, denn das blöde Joggen geht mir auf den Geist. Mittlerweile kann ich genauso schnell rennen wie er. Wenn ich weiter trainiere, werde ich schneller sein als Dein Hund. Ich werde es Dir zeigen, wenn Du wieder zurück bist. Jedenfalls kommen wir gut – auch ohne zu bellen – miteinander aus, und er scheint es zu schätzen, dass er nicht nur gemächlich und gemessenen Schrittes Gassi geführt wird.

Ich werde morgen die Stiefmütterchen auf Deinem Balkon begießen. Ich hoffe, dass Du bald mal ein Internetcafé findest, denn ich bin so süchtig nach Deinen Mails.

Dein Geliebter

 

 

22. Mai 07 – 12:38 Uhr

Mein allerliebster Schatz,

nun habe ich alle Deine vielen Mails gelesen und mich an ihnen erfreut. Das Internetcafé hat heute endlich auf. Hier gibt es keine so verlaesslichen Oeffnungszeiten wie bei uns in Deutschland.

Herrliches Wetter, herrliche Thermen, alles wunderbar, Italien ist einfach mein Land. Schade, dass ich fast immer Schmerzen im Bein habe, das reduziert natuerlich meine Bewegungsfreude. Wenn ich nur wuesste, was der Grund der Schmerzen ist!

Ich freue mich, dass Du so gut mit Claudio klarkommst, und es ihm gut geht. Wenn auch ich nur so schnell rennen koennte wie Du!!!

 

Ich denke oft an Dich und in meinen Traeumen bist Du auch. Sybille sagte mir gestern, dass ich im Schlaf laut mit Dir geredet haette, auf eine etwas unanstaendige Weise …

Ich hoffe, dass wir bald gemeinsam hier sein koennen.

Sei umarmt und gekuesst

Deine Eva

 

PS: Schande auf mein Haupt: Ich rauche auch wieder!

 

 

22. Mai – 23:04 Uhr

Mein allerliebster Schatz?

Über das ›allerliebst‹ freue ich mich sehr, aber wer sind denn Deine liebsten Schätze? Ich bin sozusagen nur primus inter pares? Du sollst etwas Unanständiges im Traum gesäuselt haben? Das kann aber nicht mit mir zusammenhängen. Mit mir hast Du so was Schönes ja nie gemacht!

Hier ist es wieder sehr heiß, über 30 Grad. Bei diesen Temperaturen genieße ich besonders meine kühle Wohnung!

Mein Sohn hat heute sein Examen bestanden. Morgen werde ich mit ihm feiern und ein paar Bierchen trinken.

Heute habe ich mir zum Mittagessen eine ordinäre Sauce Bolognese gemacht. Da ich wie üblich zu viel kochte, lud ich Claudio zum Essen ein. So haben wir zu zweit diese Sauce mit Basilikumnudeln gegessen. Mit der Gabel kam er gut klar, aber mit dem Messer noch nicht. Der Wein hat ihm ausgezeichnet geschmeckt. Und ich dachte, Hunde mögen nur Eierlikör. Wie man sich irren kann! Immer diese Vorurteile und das Schubladendenken! Anschließend haben wir unseren Rausch ausgeschlafen. So, nun weißt Du, wie wir hier so leben. Eins hat mir Claudio nach dem Essen gesagt (na ja, eher zugelallt): ›Ik fresse nie wieda Jrass, wenn et so’n juten vin de table mit pasta jibt.‹ Du bemerkst, er hat sich auch sprachlich in Berlin gut eingelebt.

Mehr ist eigentlich nicht zu sagen. Heute Abend konnte Claudio wieder schneller laufen als ich. Das wurmt mich natürlich. Ich glaube, das Essen war zu gut, und ich sollte ihn wieder mit dem miesen Büchsenfertigfraß beglücken.

1.001 Küsse. Wohin der eine geht, weißt Du sicher.

Dein Allerliebster

 

 

25. Mai – 22:13 Uhr

Mein geliebtes Samtkissen,

heute habe ich an meiner Empirelampe rumgebastelt. Ende nächster Woche habe ich alles zusammen und werde sie mir in den Flur hängen können. Es wird wohl die schönste Lampe sein, die ich je gesehen habe! Bis zu Deiner Rückkehr werde ich den Flur fast fertig haben. Nächstes Jahr kommt das Durchgangszimmer dran. Im übernächsten die Küche und in drei Jahren, als Krönung, das Wohnzimmer. Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Und wenn das stimmt, dann sollte man den Vorzeitraum möglichst lang halten und sich nicht jeden Wunsch ›sofort‹ befriedigen.

Vorhin hatten wir ein kräftiges Gewitter. Claudio war ganz verstört und ist immer noch sehr ängstlich. Er kroch noch nicht mal in seine geliebte Höhle, sondern liegt nur auf meinen Füßen. War er immer schon so ängstlich bei Gewittern?

Ich würde jetzt gern mit Dir etwas (oder auch etwas mehr) schmusen! Also doch Sofortbefriedigungstendenz! Deine beiden (traurigen) Lieblinge wünschen Dir gute Besserung und können das Wiedersehen nicht erwarten.

i. A. Claudio und Dein Cavaliere

 

 

28. Mai – 18:39 Uhr

Liebster Max,

ich bin froh, dass sich Claudio bei Dir wohlfuehlt, wenngleich ich etwas Sorge habe, dass er wieder krank wird wie beim Professore, als ich einen Monat auf Bali war. Er wird so oft von mir zu anderen Menschen gegeben, dass ich ein ganz schlechtes Gewissen habe, denn er leidet unter Heimweh. Aber vielleicht geht diesmal ja alles gut.

Herrliches, mildes Fruehlingswetter hier, leichte Luft und Sonnenschein. Umgeben bin ich von vielen Blumen, Olivenbaeumen, Pinien, Palmen und Weinbergen, es ist ideal zum Ferienmachen wie zum Arbeiten. Ich hoffe sehr, dass Du das naechste Mal mitkommst. Es ist ja auch viel preiswerter als Mecklenburg-Vorpommern und natuerlich tausendmal schoener!!! Ich bin immer etwas ratlos, wenn ich Deine Zurueckhaltung spuere. Warum sagst Du nicht einfach: ›Ja, ich freue mich und werde mit Dir reisen?‹

 

Heute ist Vladimirs Todestag. Natuerlich ist er mir hier sehr nahe. 17 Jahre gemeinsames Italien! Ich hatte Angst, wieder hierherzukommen, immer wieder tauchen Erinnerungen auf! Ach, Liebster, das Leben ist eben auch Last und Trauer.

 

Heute erster Diaet-Tag. Klappt gut. Gestern bis 3 Uhr nachts an meinem neuen Buch geschrieben. Die Zeit vergeht so schnell, und ich moechte mit einigen Seiten nach Berlin zurueckkommen.

Gratulation fuer die schoenste Lampe der Welt! Was macht Deine Arbeit? Gibt es da Sonne am Horizont? Ich wuensche es Dir. Ich denke oft an Dich, an uns beide und ueber uns beide nach.

Sei umarmt und gekuesst

Deine Eva

 

 

28. Mai – 22:22 Uhr

Mein Liebling,

ich genieße unsere Telefongespräche, aber Deine Mails d’amour erfreuen mich ebenfalls, wenn nicht sogar mehr, denn mit Mails fingen ja Dein Unglück und mein Glück an.

Heute war Claudio wieder bester Laune, wohl weil es zum ersten Mal seit vielen Tagen kein Gewitter gab. Im Moment kann ich nicht so schnell laufen, da ich mir bei der letzten Rennerei eine Muskelzerrung einfing, aber dennoch trödele ich nicht so rum wie meine Joggerkollegen im Lietzenseepark. Na ja, das Alter, es naht oder ist schon da! Es ist eben alles nicht mehr das, was es mal war. Nur im Bett mit Dir fühle ich mich jünger als vor vierzig Jahren!

Mein ganzer Ehrgeiz ist darauf gerichtet, dass Claudio nicht zum Arzt muss! Wenn schon das Frauchen von mir nicht gepflegt, deren Perlchen gestreichelt und Knospen beschmust werden können, dann soll sich zumindest ihr Hündchen bei mir wohlfühlen!

Bella Italia! Auch ich liebe das Land! Aber mit Meer, Strand und Blumen kann man mich nicht aus der Reserve locken. Mit Natur hatte ich noch nie was am Hütchen. Ich stamme aus einer Bauernfamilie. Mich interessieren an der Natur mehr die Fruchtfolge, die Anbaumethoden und die Bodenpunkte. Meine Vorfahren verstanden so viel von Landwirtschaft, und ich bin so unwissend! Dabei ist dies doch eines der wichtigsten Dinge, die es gibt.

Mit Museen, Kirchen und Antikmärkten aber kann man mich locken! Wenn ich alt bin, Ruhe brauche und die Neugier nachgelassen hat, werde ich bestimmt und mit großer Begeisterung an jeden Strand der Erde fahren, an den Du mich führst. Im Moment bin ich aber noch zu neugierig und unruhig, um auch nur einige wenige Tage in Kontemplation zu verbringen. Außerdem möchte ich gern Deutschland etwas besser kennenlernen. Es gibt so wahnsinnig viele Gegenden, die ich noch nie gesehen habe.

Mein Liebling: Nimm meine Antwort bitte nicht tragisch. Wahrscheinlich wirst Du glücklich sein, mich ab und zu nicht sehen zu müssen!

Es ist sehr liebenswert von Dir, dass Dich die Erinnerungen an Vladimir so tief berühren. Ich hatte, mit Ausnahme von Francois und meinen Eltern, mit keinem Menschen ein vergleichbar enges emotionales Verhältnis.

Du denkst über uns beide nach!

Was kommt denn dabei raus? Ich bin neugierig und würde gern das Ergebnis wissen. Ich denke nicht nach, aber ich bin ja auch nur ein kleiner, unwissender Baustoffproduzent. Außerdem: Wenn ich mal denke, dann denke ich nur an Dich! Wozu soll ich denn noch über mich nachdenken?

Mein Liebling, wegen der Abmagerungskur ist Dir mein Mitgefühl gewiss! Ich hoffe, Dich am Flughafen wiederzuerkennen und nicht sagen zu müssen, dass diese dünne Vogelscheuche mir unbekannt ist!

 

Ich wäre jetzt so gern mit Dir im Bett!

Dein Dich liebender Cavaliere

 

 

30. Mai – 18:51 Uhr

Carissimo mio,

Amore, was fuer Vorstellungen hast Du eigentlich von einer Stadt oder einem Dorf am Meer in Italia? Hier wimmelt es von Kirchen, Palaesten! – Ich habe doch auch keine große Lust, immer am Strand herumzuliegen. Bis jetzt war ich ueberhaupt noch nicht da, bin viel zu gut im Schreiben drin. Mit dem Auto kann man alles erreichen, Tag und Nacht Besichtigungen machen.

Deutschland kannst Du in Deinem Leben sowieso nicht mehr ganz kennenlernen. Aber wenn Du nicht mit mir kommen willst, kann ich ja nichts machen. Fuer mich ist Mecklenburg-Vorpommern nun weiss Gott nicht die Offenbarung! Ich fuhr eigentlich nur deshalb mit Dir, um in Deiner Naehe zu sein und Dich besser kennenzulernen.

Sybille versteht es großartig, die spartanischen Rezepte geschmackvoll zu veredeln. Pass auf beim Joggen und umarme meinen Claudio!

Dir 1.000 Kuesse

Deine Eva

 

 

30. Mai – 18:51 Uhr

Meine geliebte Eva,

heute kam Deine Karte aus Napoli an. Vielen Dank! Italien ist also Dein Mutterland! Wenn Du mich regelmäßig mit Spaghetti (evtl. sogar aglio con olio?) bekochst, dann folge ich Dir natürlich in jedes Land dieser Erde.

Ich selektiere dauernd die Bücher, die ich erwarb. Manches sortiere ich für Dich aus, wie Biografien über Musiker, Kochbücher etc. Du wirst noch eine große und weithin berühmte Köchin! Ich weiß das, denn Du hast in den Händen sehr viel Gefühl, nicht nur beim Klavierspielen.

Ich hoffe, Du hast meine letzte, etwas zurückhaltende Mail zu gemeinsamen Italienaufenthalten nicht tragisch genommen! Es wird schon alles werden!

Mit den Geschäften geht es so lala. Der eine Auftraggeber zahlt nur sehr zögerlich. Wenn es nicht bald besser wird, muss ich mir was anderes ausdenken. Am liebsten würde ich mir im Keller ein richtiges Labor einrichten und dort galvanisieren (ich belese mich schon kräftig über Versilbern) oder mache irgendwas in dieser Richtung. Ich arbeite, wie in der Küche, ja auch sehr gern mit den Händen, dann sieht man, was man geschafft hat, kann zufrieden sein oder sich drüber ärgern!

Deine Abwesenheit kommt mir schon so lang vor! Tausend Küsschen überallhin (Verdammt noch mal: Der Kerl kann’s einfach nicht lassen!)!

Dein Signore

 

 

30. Mai – 19:16 Uhr

Mein Liebling,

unsere Mails haben sich gekreuzt! Das ist ein gutes Omen!

Nimm doch nicht alles so ernst und sei nicht so ungeduldig! Mecklenburg soll keine Offenbahrung für Dich gewesen sein? Wieso nicht? Was ist ein italienischer popliger Palazzo im Vergleich zu der Grablege der Mecklenburgischen Herzöge? Und ein Konzert auf Ischia im Vergleich zum Bach-Festival in Leipzig? Rudern kann man auch besser in MeckPom! Meine liebste Animod: Ich hoffe, ich habe Dich mit diesen Argumenten überzeugen können!

Wie heißt Dein Dorf? Ich finde den Zettel nicht mehr!

Ansonsten bin ich

Dein enttäuschter Untertan

 

 

30. Mai – 19:33 Uhr

Mein lieber Geliebter,

S. Antonio del Monte heißt mein Dorf. Die naechst groessere Stadt heißt Laco Ameno. Kochen moechte ich in der Tat lernen. Und zwar von Dir !!!

 

Du fragtest mich gestern am Telefon, warum ich mein schönes Haus in Apulien verkauft, und mir dann eines auf Ischia gekauft hätte. Diesen Artikel schrieb ich damals für italienische Zeitungen. Lies mal, dann wirst Du mich verstehen:

 

Ausgestoßene Hunde in Apulien.

Im Februar 2003 kaufte ich ein wunderschönes Haus in einem kleinen Dorf am Golf von Taranto, 300 Meter vom Meer entfernt. Hier konnte ich in Ruhe musizieren und schreiben. Ich war glücklich, begann mit der Einrichtung und der Renovierung des Hauses und erkundete in Spaziergängen die nahe Umgebung.

In einem noch nicht fertiggestellten Neubau lag eine Hündin mit ihren acht!!! Welpen. Sie war ein Skelett, die acht Welpen, die sie noch säugte, waren kugelrund. Irgendjemand hatte Brotreste in einer Plastikschüssel hingestellt und ein paar Holzlatten am Ausgang errichtet, damit die Kleinen nicht weglaufen konnten. Es war alles voller Kot. Ich brachte der Mutter täglich gutes Fressen. Nach 14 Tagen musste ich wieder abreisen.

 

Im Mai kam ich wieder. Es war beeindruckend, mit welcher Innigkeit und Freude mich die Mutter begrüßte. Sie sah wieder kräftiger aus, die Welpen tranken ja nicht mehr an ihr. Von den acht waren aber nur noch fünf da. Man sagte mir, dass drei verkauft worden seien. Einen sah ich aber tot auf der Hauptverkehrsstrasse liegen.

Nun hatte ich fünf Hunde zu füttern. Sie lagen vor meiner Haustür und warteten nicht nur auf das Fressen. Sie suchten Liebe und Nähe, ein paar gute Worte, ein Streicheln, einen Bezug zu einem freundlichen Menschen.

Nicht immer nur dieses schreckliche »vai via!«, was sie sonst zu hören bekamen. Ich blieb zwei Monate, machte ein schönes Einweihungsfest, zu dem viele meiner Freunde angereist kamen.

 

Im September kam ich wieder. Die Hunde waren nicht mehr da, und ich dachte, dass sie wohl überfahren oder auf andere Weise gestorben wären. Bei einem Spaziergang durch die, von Plastiktüten, leeren Flaschen und Dosen verunstaltete Macchia konnte ich kaum glauben, was ich sah.

Ganz versteckt zwischen Dreck und Unrat lebten nun diese fünf Tiere, fraßen Müll und waren sehr krank. Ausgestoßen von diesem ewigen und gnadenlosen »vai via!« und dem Steinewerfen der Menschen dort.

Die vier kleinen Hunde waren rappeldürr, voller eitriger Wunden am ganzen Körper, die immer wieder aufrissen, wenn sie sich leckten oder kratzten. Die Mutter war überraschenderweise in ganz guter Verfassung. Natürlich erkannten mich nun auch die Kleinen wieder, und von der wilden Begrüßungsfreude der fünf Hunde wäre ich fast umgefallen.

 

O Gott, welch ein Elend, welche Augen blickten mich an! Eines der vier Kleinen war ganz entsetzlich verunstaltet. Die Ekzeme in seinem Gesicht hatten bereits ein Auge ganz geschlossen, das andere war nur noch halb geöffnet und voller Eiter. Mit einer Heilsalbe, die ich zufällig dabei hatte, cremte ich das Tier nun täglich ein. Selbst wenn es ihm Schmerzen bereitete, hielt es mir sein Köpfchen tapfer entgegen!

Am Tag vor meiner Abreise waren seine Augen wieder offen! Welche Freude empfand ich und dachte, welch wunderbaren Beruf doch ein Arzt ausübt, wenn er sich an seinem Erfolg freuen kann.

Natürlich hatte ich die ganze Zeit wieder allen zu fressen gegeben. Dieser kleine Hund verließ sogar das Rudel, um vor meiner Tür auf mich zu warten oder wenigstens meine Stimme zu hören. Er ließ sogar sein Fressen stehen, um von mir gestreichelt zu werden. Das hat mich so berührt, dass mir oft die Tränen über die Wangen liefen.

Tiere sind Geschöpfe Gottes. Sie fühlen wie der Mensch Trauer und Lebensfreude, Angst und Verlassenheit. Die Kleinen hatten längst ihren Spieltrieb verloren. Sie schlichen nur noch geduckt umher.

Nach einigen Tagen beschimpften mich die Nachbarn. Sie wollten mir verbieten, die Hunde weiter zu füttern, da sie Bakterien und Kot in die Straße bringen würden. Ich wies sie darauf hin, dass es Schippe und Besen, Sagrotan und bakterientötende Putzmittel gäbe. Sie reagierten nicht freundlich. Ich fragte sie, ob sie nichts gelernt hätten von dem Respekt, der Güte und Liebe ihres Landespatrons Francesco d’ Assisi? Es nützte nichts.

Unter dem Geschrei meiner Nachbarn ging ich traurig in mein schönes Haus zurück, das immer mehr von dem Zauber und der Freude, das es mir anfänglich vermittelt hatte, verlor. Ich dachte zum ersten Mal daran, das Haus wieder zu verkaufen.

Ich ließ die Hundemutter von einem Arzt sterilisieren und die Kleinen mit einer Antibiotikakur behandeln. Dott. Neri berichtete mir nun von der traurigen Situation, in der sich so viele ausgestoßene Hunde hier befinden. Immer wieder gibt es Menschen, die ihn auffordern den Hunden die Stimmbänder durchzuschneiden, damit das lästige Bellen der Verlassenen aufhört. Das verweigert er natürlich stets.

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser! Es wäre kein allzu großer Aufwand, hier ein Gehege zu bauen, in dem man diesen Hunden helfen könnte! Ich weiß, dass es in anderen südeuropäischen Ländern ebenso schlecht um die Hunde bestellt ist.

Ich weiß aber auch, dass es überall Menschen gibt, die darunter leiden und deshalb helfen. Das möchte ich auch tun: Ein Asyl für verlassene und kranke Hunde gründen, die dann dort geheilt und gepflegt werden können.

Italia ist so reich an Kultur! Aber Kultur, das ist nicht nur Architektur, Musik, Literatur und Malerei. Kultur beinhaltet ebenso einen würdevollen Umgang mit der Kreatur. Der italienische Dichter Dante schrieb: »Den moralischen Fortschritt eines Landes erkennt man daran, wie es mit seinen Tieren umgeht.«

 

Lieber Max, ich erhielt keine einzige Reaktion auf diesen Artikel. Ich stand wirklich alleine da, die Mehrzahl der Nachbarn grüßte mich nicht mehr. Und dann verkaufte ich das Haus.

Auf Ischia gibt es auch herrenlose Hunde, aber wenige. Man sieht sie manchmal in den Straßen, aber sie verhungern nicht, irgend jemand gibt ihnen immer wieder mal was zu fressen.

Ich umarme Dich

Deine Italienerin

 

 

1. Juni –19:11 Uhr

Evachen,

ja, ich weiß, wie man Tiere in den meisten Ländern unserer Welt behandelt. Und es wundert mich nicht, dass Du keine Reaktionen erhalten hast. Tiere werden generell fast überall nur als Nahrungsbeschaffung, Nutz- oder Arbeitsvieh angesehen. Ich hatte selbst viele Jahre Hunde, liebe sie und weiß, wie viel Gefühle sie zeigen können.

Meine heutige Gemütslage ist nicht die beste. Ich vermisse Dich so. Deshalb, frei nach Julie Schrader aus:

 

›Wenn ich liebe, seh ich Sterne‹

 

Mein Feuer wird verderben,

wenn Du es nicht mehr speist

Ich glaub’ ich werde sterben

mein Körper bald vereist.

 

Wann willst Du neu mich wecken

zum heit’ren Liebestanz

und meine Einfalt necken

von mir aus auch den …

Wann willst Du still mich kosen

wann herzen mich mit Lust?

Bedenke: selbst die Rosen

verblühn bei langem Frust.

Ich glaube, Dein Hund Claudio hat Dich abgeschrieben. Heute gab’s einen dicken Knochen und zur Belohnung ein Würstchen. Er weiß, dass er es bei mir wesentlich besser hat als Gott in Frankreich.

Lass doch regelmäßig was von Dir hören, mein Liebling!

Dein vereinsamter Max

 

 

2. Juni – 17:56 Uhr

Meine Geliebte,

heute erhielt ich vom Ministerium die Absage meines beantragten Forschungsprojektes. Zur Beruhigung teilte man mir mit, ich sei auf der Warteliste, wenn also andere zurückziehen oder Probleme hätten oder der Etat nicht ausgeschöpft wird, würde es doch noch gefördert. Ich weiß nicht, wie realistisch das Versprechen ist.

Da ich wen kenne, der einen kennt, der mit dem Schwager des zuständigen Abteilungsleiters entfernt bekannt ist, muss ich jetzt über diesen Weg rauskriegen, ob noch Chancen bestehen oder nicht. Wenn ja, werde ich weitermachen und versuchen, eine private Startfinanzierung auf die Beine zu stellen, wenn nein, werde ich wohl alles abblasen. Na ja, schade, denn alle fanden meinen theoretischen Ansatz überzeugend und die Umsetzung der Idee erfolgversprechend.

Es ist jetzt wieder kalt geworden. Der schöne Frühling ist wohl vorbei, hat aber vergessen, den Sommer einzuleiten. Die Absage, Deine Abwesenheit und das Wetter machen mich traurig.

Dein Max

 

 

4. Juni – 16:35 Uhr

Mein suesser Cavaliere und Maeuserich!

Ich kann nur zeitbegrenzt an den PC und mich deshalb nicht so lange austoben.

Sei bitte nicht traurig wegen des Forschungsauftrags! Du hast doch mich. Es wird vielleicht wirklich noch klappen! Wenn Du nur hier waerst! Ich wuerde Dich troesten.

 

So lange werden wir uns aber nicht mehr trennen, Geliebter, nicht wahr? Ich sehe oft Dein Gesicht, Dein Lachen vor mir, und immer wieder bin ich beeindruckt, dass Du eine so winzig kleine Zecke mit einem Ruck und mit allen Beinen aus Claudios Fell herausziehen konntest!

Aber da gibt es noch viel mehr zu bewundern: Deine schoenen, klugen Augen, Deinen festen Po, Deine Venushaende, die so wunderbar streicheln koennen. Aber daran darf ich jetzt nicht denken, sonst geht es mit meiner Arbeit nicht weiter.

Ich bin nun bei 63 kg angekommen.

Ich kuesse Dich so circa zehn Minuten ohne eine Pause.

Deine Geliebte

 

 

5. Juni – 00:07 Uhr

Mein Schnuckelchen,

Deinen atemberaubenden Kuss habe ich gerade noch so überlebt.

Claudio sei Dank, denn er bellte kurz vor meinem Dahinscheiden herzzerreißend und ermöglichte mir im letzten Moment noch ein kräftiges Luftholen. Was hat mir Deine Mail gutgetan!

Allerdings bist Du nicht mehr auf dem Laufenden, was die Verhältnisse in Nordostmitteleuropa betrifft. Meine Augen sind nicht mehr schön und klug, auch nicht mehr blau, sondern vom dauernden, Nächte währenden Heulen geschwollen und rot. Mein Po ist nicht mehr fest, sondern ganz faltig und schwabbelig, da ich aus Trauer und Verzweiflung kein Essen anrühre, und meine Hände sind entwöhnt, wissen nicht mehr, wo die Venus ist, und sind von den vielen Baustoffversuchen ganz schwielig. Schluchz!

Ich werde täglich immer sexbesessener, so wie die Seeleute, wenn sie lange nicht an Land waren. Abba, ik trau mir nich! Ik würd ja jern, abba dürfen lässt mich meene Mieze nich! Se hat wat jejen de Verbalerotika oder wie sich det schimpft. Na, denn bleeben die scheenen Bilda von det dufte Jebumse bei mich inne Kopp, janz alleen! Da biste selba dran Schuld. Oda darf ik nach det lange Jewarte mal wat von’n Leda ziehn?

 

Ich werde unruhig, also doch nicht so verknittert und verwittert, wie ich mich noch gestern fühlte. Haben wir genug Zeit füreinander in Frankfurt? Auch nach dem Mittagessen?

Mein Lob! 63 kg! Und das nach nur einer Woche! Das war doch genau Dein Kampfgewicht, als ich – noch vor der Kleestener Mast – zum ersten Mal ins Bett abkommandiert wurde und Du danach empört sagtest: ›Was war das denn, Dottore?‹

Nicht nur Küsschen!

Dein Sklave

 

 

5. Juni 07 – 22:40 Uhr

Mein Ein und Alles,

keine Nachricht ging heute ein! Hast Du mich etwa schon vergessen? Und ich denke doch dauernd an Dich. Ich wollte Dir mal zeigen, dass ich nicht nur reimen kann, sondern auch ein Dramatiker in mir schlummert. So sende ich Dir meinen ersten Dreiakter, den ich Dir zugleich widme. Die Autorenrechte übertrage ich Dir gleich mit. Ich glaube, es ist ein sehr zeitgemäßes Stück!

 

Dein, bald an und in Sehnsucht vergehender Max

Was war das denn, Dottore?

Eine Tragödie in drei Akten (mit hoffnungsvollem Ende)

Darsteller: eine Frau, ein Mann

 

Kulisse:

Gepflegte Wohnung, schwarzer Flügel im Wohnzimmer, an den Wänden Konzertplakate, sie sitzt am Flügel und spielt, ein großer Hund liegt unter dem Sofa und ratzt. Es klingelt. Unerträgliches Gebell. Sie steht auf und betätigt den Summer. Gebell hält an, bis ein älterer Mann an der Wohnungstür steht. Er ist kurzatmig. Trägt Schlips und Werkzeugkoffer

 

1. Akt

 

Sie: »Hallo und guten Tag! Was wünschen Sie?«

Er: »Guten Tag, gnädige Frau. Meine Firma hat mich geschickt. Sie haben doch eine Anzeige aufgegeben.«

Sie: »Anzeige ja, aber ich suche keine Firma.«

Er: »Doch, mein Chef hat gesagt, ich soll zu Ihnen kommen.«

Sie: »Von welcher Firma sind Sie denn?«

Er: »Black & Decker!«

Sie: »Ach so, dann kommen Sie mal schnell rein.«

 

Etwas linkisch geht der Mann in die Wohnung und wird aufgefordert, sich an den Tisch zu setzen. Sie setzt sich ihm gegenüber und schenkt Rotwein ein. Er trinkt schnell, hastig und viel. Man merkt, er ist nervös. Er weicht dem Blick ihrer strahlenden Augen aus. Belangloses Gespräch. Er sagt immer wieder, er sei Arzt, habe bis vor Kurzem Hartz IV erhalten und habe endlich wieder einen Job. Er sei eigentlich kein Außendienstler. Das Gespräch langweilt sie maßlos. Inzwischen ist auch die zweite Flasche leer.

Sie: »Jetzt haben Sie aber genug getrunken. Gehen Sie sofort ins Schlafzimmer! Ich komm gleich nach.«

Er: »Wie befehlen! Mein Chef hat mir gesagt, ich soll tun, was die Kundin sagt.«

Sie: »Der Chef hat immer recht! Na, dann mal schnell. Der gute Name Ihrer Firma steht doch auf dem Spiel!«

 

Er geht ins Schlafzimmer, zieht sich langsam aus und legt sich gottergeben ins Bett.

 

2. Akt

 

Sie kommt ins Schlafzimmer und trägt einen aufregenden Pelz.

 

Sie: »Ich sagte Schlafzimmer! Wieso liegen Sie denn schon im Bett? Sie müssen mir aus dem Mantel helfen!«

Er: »Bitte um Entschuldigung. Ich bin neu in der Firma.«

 

Er steht langsam auf, seine Gelenke knacken, er verzieht schmerzvoll sein Gesicht. Er hilft ihr aus dem Mantel. Sie steht nackt vor ihm. Seine Augen flackern wirr. Er wird hektisch und pusselt ungeschickt an ihren Röschen herum.

 

Sie: »Nun legen Sie sich doch hin.«

Er: »Rechts oder links?«

Sie: »Sind sie Rechts- oder Linkshänder?«

Er: »In der Nase bohre ich mit links, aber alles andere mache ich mit rechts.«

Sie: »Mich interessiert Ihre Nase nicht. Also legen Sie sich rechts hin.«

 

Als beide im Bett liegen, streichelt er ungeschickt an ihr herum, weiß aber nicht wirklich, wo. Man merkt, er ist Neuling. Schon nach wenigen Minuten will er den Bohrer einführen, findet aber den Zugang nicht. Sie hilft ihm. Er stellt den Motor an, hektische, schlagende Bewegungen, eben die typische Black&Decker-Rhythmik. Nach wenigen Sekunden schreit er, legt sich auf die Seite und atmet heftig.

 

3. Akt:

 

Sie schaut den Halbtoten ironisch und fragend an.

 

Sie: »Was war das denn, Dottore?«

Er: »So habe ich das in der Firma gelernt, gnädige Frau. Nun habe ich vier Kinder!«

Sie: »Bei der Geschwindigkeit hätten es doch mehr sein müssen! Und was hat Ihre Frau dazu gesagt?«

Er: »Gar nichts. Hat sich erst scheiden lassen, und dann ist sie zur Konkurrenz gegangen!«

Sie: »Kann ich mir gut vorstellen! Schnell genug waren Sie ja! Sie haben Ihrer Firma damit wahrlich Ehre gemacht. Aber sonst war es ne Katastrophe! Korrektes Zentrieren, sachtes manuelles Vorbohren, Druckkontrolle, alles ist ungenügend: Haben Sie noch nie was von Materialeigenschaften gehört und die Gebrauchsanleitungen nicht gelesen? Jedes Material muss individuell bearbeitet werden!

Er: »Bitte, bitte, sagen Sie es nicht meinem Chef. Ich verliere sonst meinen Job!«

Sie: »Nun, was mache ich denn jetzt mit Ihnen? Solchen Bohrer habe ich nicht gesucht!«

Er: »Bitte, bitte geben Sie mir eine zweite Chance!«

 

Sie überlegt, runzelt die Stirn, schaut sich den armen Kerl an, der sich immer noch nicht richtig erholt hat.

 

Sie: »Na gut, noch eine Chance. Vor dem nächsten Mal erkläre ich Ihnen alles. Wenn das dann aber wieder nicht klappt, gehe ich zur Konkurrenz. Bosch und AEG sollen sehr gut sein, sind ja ›Made in Germany‹. Übermorgen um 20 Uhr, aber bitte pünktlich.«

Er: »Vielen Dank, gnädige Frau! Ich werde immer Ihr gelehrsamer Diener sein.«

 

Der Kerl strahlt, zieht sich an und trollt sich. Beim Verlassen der Wohnung will ihn der Hund noch in die Wade beißen.

 

 

6. Juni – 19:24 Uhr

Amore,

ich musste beim Lesen Deines Dreiakters so lachen, dass die ganze Bibliothek in Aufruhr geriet. Suess!!!

 

Welche Hosengroesse, Pulligroesse, Hemd (41, stimmt’s?) hast Du, falls ich etwas Schoenes fuer Dich sehe? Schuhgroesse?

Ich kuesse Dich.

Deine fliegende Untertasse

 

 

Brief aus Ischia, am 1. Juni

Mein Liebster,

Ischia, das heißt für mich Wolken, Wolkentürme, Wolkenfederchen, diese entfernten, beglückenden, sich ständig wandelnden Gebilde, die Zauberreisen unternehmen und mich mit liebendem Locken zur Unendlichkeit entführen wollen. Hinter ihnen strahlt lächelnd das endlich erlöste Gesicht von Vladimir – lächelnd. Vladimirs Wesen hat mich so tief berührt! Wir waren Seelengeschwister. Liebe hat so viele Facetten! Sex verband mich nicht mit ihm, aber wenn wir zusammen Musik hörten, vor allem Monteverdis Marienvesper, dann umarmten wir uns und die Tränen liefen. Es war eine platonische Beziehung und trotzdem war Eros immer zwischen uns anwesend.

 

In Fleischhauers Buch ›Schule der Lügen‹, das Du unbedingt lesen musst, steht: ›Wir haben fünf Sinne, sehen, hören, tasten, riechen, schmecken. Aber der sechste Sinn ist stärker als alle fünf zusammen. Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Herz ist der einzig richtige Kompass für unseren Lebensweg.‹

 

Hier, so ganz von der Stärke der Natur umgeben, bin ich dem Fühlen und Denken über Werden und Vergehen so viel mehr ausgeliefert als in den Städten. Aber auch in den Kathedralen, Basiliken – da ist es dann von Menschenhand dargestellt – in den Altären und den ergreifenden Gemälden, die von der Sehnsucht der Selbstbefreiung erzählen, begegnet es mir auch.

Ist es nicht auch eine Selbstbefreiung, wenn wir uns so verschmolzen und leidenschaftlich lieben? Wenn Eros unsere Haut, unsere Augen, unseren Leib mit allen Knochen und mit allem Fleisch erfasst und in ein Zwischenreich trägt?

»Il Dio adorato«, wie er in den Gedichten der Renaissance genannt wird.

Und da er ein Gott ist, ist das, was er uns in diesen Augenblicken und ebenso in dieser Unendlichkeit schenkt, heilig.

Mit Sex hat das nichts zu tun, was ich jetzt meine. Sex kann so leer sein wie die Leere, die er hinterlässt, und die man nur wieder aufsucht, um sie mit neuer Leere auszutauschen.

Eros verwandelt uns in einen einzigen Pulsschlag, und da er seine Gunst nicht oft verschenkt, lernt man erst spät zu verstehen, dass nur die Sprache des Körpers ehrlich ist, nicht die der Worte und Gesten, die überdacht und gesteuert sind.

Ich bin ganz sicher, dass er, ›il Dio adorato‹ in Deinen und meinen Pulsschlag eingezogen ist, und dies uns Rausch, Sehnsucht und Sucht, Hingabe und Lust und Bezogenheit aufeinander gibt.

 

Wahrscheinlich sollen wir beide Ehrlichkeit über diesen Weg lernen und erfahren. Ehrlichkeit, den Wünschen und Träumen gegenüber, die wir bisher nie geäußert haben, nicht den Mut hatten, sie in Sprache, in Worte zu fassen. Sehnsucht nach der Hingabe, die archaisch unter unserer Haut wohnt, die kraftvoll und maßlos ist, und die in unserer Begegnung endlich den Mut findet, zu sprechen, in der ehrlichen Sprache, die der Körper spricht. Ja, je mehr ich über uns nachdenke, umso mehr empfinde ich, dass dies der Sinn unserer Begegnung sein muss, denn Lebensführung, Interessen und Vorlieben binden uns nicht so stark aneinander, verbinden uns nicht.

 

Seit drei Tagen ist ein Nachbarhaus bewohnt. Jeden Tag, pünktlich um 13 Uhr essen diese jungen Menschen zu Mittag, danach spielen sie Karten, stundenlang auf der Veranda. Sie lachen nicht, reden nicht miteinander, agieren stumm. Punkt 21 Uhr brennt das Licht im Haus nicht mehr. Ein Ehepaar vielleicht, oder ganz sicher? Wie schafft man es, bereits in der Jugend so anspruchslos zu sein?

Zwei wunderschöne Bäume stehen vor meinem Haus, noch innerhalb des Zaunes. Nadelbäume, die ihre Zweige mit grünen Tänzerinnenfingern in die Luft tasten lassen. Ganz wunderbar leicht und anmutig.

Gegenüber ein mit Früchten überladener Feigenbaum, die vor Süße zu platzen drohen. Jeden Morgen begrüße ich ihn und klaue ihm mindestens fünf Feigen. Und links und rechts schütten große Oleanderbäume ihre roten und rosanen Blüten aus. Hier will ich mit Dir sein. Im September.

Wenn Du nicht mitkommst, könnte es sein, dass Eros sich von Dir abwendet. Willst Du das wirklich riskieren? Man darf sich nicht gegen ihn wenden. So sind Götter nun mal. Streng und fordernd und gnädig.

In vier Tagen liege ich wieder nackt in Deinen Armen!!! In meiner Vorfreude lege ich Dir nun 1.000 Oleanderblüten ins Kuvert.

Deine Eva

 

 

6. Juni – 20:29 Uhr

Meine Perle,

vielen, vielen Dank für Deinen lieben Brief mit den Blütenblättern. Die Blumenrasse konnte ich zwar nicht mehr ausfindig machen, aber zart geduftet haben die Blätter immer noch.

Ich habe immer noch nicht in dem Buch ›Wie werde ich ein perfekter Liebhaber‹ gelesen. Ich möchte am liebsten alles von Dir in vivo und nicht aus einem Buch lernen. Du bist eine so wunderbare Lehrerin, nein mehr, eine professoressa, ich möchte zeitlebens Dein getreuer Schüler sein!

Für mich ist die Liebe zu Dir auch ein schönes und großes Erlebnis. Ich kann es noch gar nicht richtig fassen und bemühe mich auch nicht, durch Nachdenken irgendetwas zu verstehen. Sie ist einfach über mich gekommen, das reicht, und ich bin glücklich.

Nun schlaf schön und träume davon, dass ich Dein Perlchen mit der Zunge streichle. Dieser Gedanke macht mich und meinen Max ganz unruhig. Was ist Dir denn lieber: Morgens zum Aufwachen, abends vor dem Einschlafen oder sowohl als auch? Mein Liebling: Ich bin so glücklich! Werde es aber noch mehr sein, wenn ich Dich wieder in den Armen halten kann. Es ist ja nicht mehr lange.

Dein gelehriger Berufsschüler (2. Lehrjahr)

 

 

7. Juni – 19:04 Uhr

Mein Liebster,

Sybille fotografiert mich und morgen schicke ich Dir ein Bild, ja? Ich freue mich, wenn Du gluecklich bist mit mir! Ich bin auch gluecklich, dass ich Dich habe. Aber ich moechte nicht Deine Lehrerin werden, bitte nicht! Du kannst Dir doch selbst was überlegen, ich denke, Du bist ein Erfinder! Und dann geschehen Schoenheiten, die ich noch gar nicht kenne. Das waere traumhaft!

Seit zwei Tagen bewoelkt! Aber es ist warm und zarter Wind umschmeichelt den Koerper.

Kuesse ohne Ende und Liebe auch!

Deine Animod

9. Juni – 20:00 Uhr

Mein geliebtes Evachen,

obwohl Du nun zwei Tage nicht ans Internet kommst, will ich meinen Pflichten als ehrenwerter Liebhaber nachkommen und Dir viel Belangloses auf Vorrat schreiben.

Zuerst: Vielen Dank für das Foto. Ich habe mich gefreut, denn ich habe Dich nach drei Wochen der Einsamkeit wieder leiben und leben gesehen. Da ich beim letzten Mal ja Fotos mitgenommen habe, bin ich nun in zwei Zimmern sehr gut mit Dir versorgt.

Heute habe ich mich wieder einmal ausgetobt, dieses Mal mit Bohren (nicht was Du denkst), Hämmern, Sägen. Einen kleinen Schlüsselschrank habe ich mühsam umgebaut, eigentlich nur die Scharniere und Beschläge verändert, aber wenn man nur im Bücken arbeiten und nichts einspannen kann, auch kein professionelles Werkzeug hat, sind selbst kleine Tätigkeiten lang dauernd und anstrengend. Morgen müsste ich endlich meine Traumlampe fertig haben. Ich freue mich schon sehr auf den Moment, in dem ich sie zum ersten Mal anmache. Du siehst, dass auch ich nicht faul bin.

Ab und zu muss ich mal mit dem Kopf arbeiten, was mir sehr schwerfällt, aber es ist nun mal die einzige Möglichkeit, an das notwendige Kleingeld zu kommen, um meiner Geliebten gelegentlich Blumen schenken zu können.

Nach Kleesten war ich ziemlich pleite, sodass ich mich selbst mit kleinen Aufmerksamkeiten sehr zurückhalten musste. Genau so, wie ich Dein Buch las, könntest Du ja mal meinen Sermon lesen, den ich Dir als Anhang mitsende.

Global gesehen, sind meine geistigen Leistungen wichtiger als Deine, denn ich tue was für den Klimaschutz. Klar? Ob allerdings ein Nichtfachmann versteht, was ich geschrieben und vorgeschlagen habe, weiß ich nicht.

Dein liebes Angebot, mir Schuhe, Hosen etc. aus Italien mitzubringen, habe ich ambivalent registriert. Hast Du den Eindruck, dass ich dies alles brauche? Schuhe habe ich mindestens zwölf Paare, alles Budapester Stil. Andere trage ich nicht.

Hemden habe ich 200.000, allerdings alle nicht gewaschen. Hosen, na ja. Da benötige ich dringend welche. Aber ich muss noch ein bis zwei Monate warten, und dann schlage ich zu. Was mir wirklich Freude machen würde, wären Joggingschuhe, aber mit Klettverschluss. Ich bin zu faul, schon am frühen Morgen Schnürsenkel zu binden.

Tausend Küsse

Dein Geliebter

 

 

10. Juni – 12:57 Uhr

Mein Liebling!

Immer wenn ich an Dich denke, dann denke ich nur an das Eine! Überall, wo ich bei Dir eindringen kann, möchte ich jetzt, sofort und mit allem, was ich habe, hinein! Du hast mir ja was vom Rausch erzählt, und dass dieser nach kürzerer oder längerer Zeit erlöscht. Du bist erfahren, es wird also stimmen. Aber solange dieser noch anhält, möchte ich auch nur an das Eine denken. Nimm es mir bitte nicht übel, die Zeit, in der wir nicht mehr – nur – Mann oder Frau, sondern auch Menschen sind, wird schon kommen! Hauptsache nicht so bald, denn ich möchte noch viele rauschhafte Stunden mit Dir verbringen, werde auch dafür Literatur wälzen und versuchen, Dich mit lustbringenden Neuigkeiten zu überraschen! Ich kann’s bald nicht mehr aushalten! Was hast Du nur aus mir gemacht?

Ich liebe Dich!

Dein Knecht

 

 

11. Juni – 18:44 Uhr

Mein lieber Schatz,

habe mir gerade Deinen Aufsatz ausgedruckt und werde ihn zu Hause lesen, denn ich sitze heute in einem Internatcafé in Otranto, einer beeindruckenden Stadt mit einem Castello Aragonese, so schoen, dass man in Ohnmacht fallen koennte: Basilika aus dem 8. Jh., Kathedrale aus dem 11. Jh. usw. Dazu das Meer, die Sonne, die Pinien, Palmen, es ist zu schoen!

Wie schade, dass ich das alles nicht mit Dir teilen kann. Wie soll das nur in Zukunft werden, wenn Du nie mitkommst? Eigentlich suchte ich doch jemanden, der mein Leben teilt, sodass ich nicht mehr alleine verreisen muss.

Ich moechte gerne wieder in Italia leben, halb Berlin, halb hier. Es ist mein Land. Und in der Waerme bluehe ich einfach auf.

Caro, bald sehen wir uns wieder. Sybille draengelt.

Kuesse von Deiner Eva

 

 

12. Juni – 18:59 Uhr

Guten Abend, lieber Cavaliere!

Ich schicke Dir viele weiche Kuesse in den strengen Norden!

Heute Abend ist ein Fest fuer den Hl. Antonio, auf dem es aber sehr weltlich zugeht.

Wolfgang Fleischhauers Roman ›Die Schule der Lügen‹ spielt in der Welt des Adels, musst Du unbedingt lesen. Der Autor ist hochbegabt und gluecklicherweise erfolgreich. Das hat er verdient.

Sei umarmt, liebes Herz, gib Claudio einen Kuss von mir. Ob er mich wohl noch wiedererkennt? Bald koennen wir uns in die Arme schließen!

Sei gekuesst

Dein Evachen

 

 

12. Juni – 19:41 Uhr

Ich komme soeben von einem geschäftlichen Termin zurück und konnte Dir deshalb nicht früher schreiben. Den Kuss an Claudio reiche ich weiter.

Die Lampe hängt! Wann kommt ihr wo an?

Dein Allerliebster

 

 

13. Juni – 18:39 Uhr

Mein allerallerallerliebster Liebling,

wie befohlen werde ich am Flughafen sein und alles mitbringen, es sei denn, der Himmel stürzt herunter, es wird ein allgemeines Fahrverbot verhängt, oder ich habe was Besseres vor.

Wie lautet eigentlich das Programm für Frankfurt? Ich meine natürlich das offizielle, Reginas 50. Geburtstag. Welche Garderobe ist angemessen in Deinen Kreisen? Soll ich Dir etwas zum Anziehen oder Schmuck mitbringen? Mal sehen, wie Claudio reagiert, wenn er Dich wiedersieht. Ich muss jetzt noch ein bisschen in meinem Flur rumwerkeln. Wenn Du das nächste Mal herkommst, will ich doch wenigstens einen fertigen Flur präsentieren können. Ich zähle schon die Tage bis zu unserem Wiedersehen. Jetzt sind es 4,789. Ich drücke Dich in Gedanken ganz fest an meine flache Brust und küsse Dich zärtlich hinters Ohr.

Dein Max

 

 

14. Juni – 19:41 Uhr

Nur noch drei Tage! Ich bin ganz unruhig. Ich freue mich schon so. Träumst Du denn noch aufregende Sachen von mir oder hat es sich ausgeträumt? Herzlichen Glückwunsch zu den 61,5 kg! So dünn habe ich Dich ja noch nie gesehen! Dein Ziel, 55–57kg, ist ja sehr ehrgeizig! Falten über Falten wird es dann geben, überall! Aber kein Problem, ich werde sie Dir wegmassieren!

 

Hier ein Ständchen zum besseren Ein- und Durchschlafen:

 

Dein ist mein ganzes Herz!

Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.

So, wie die Blume welkt,

wenn sie nicht küsst der Sonnenschein!

Dein ist mein schönstes Lied,

weil es allein aus der Liebe erblüht.

Sag mir noch einmal, mein einzig Lieb,

oh sag noch einmal mir:

Ich hab dich lieb!

 

Wohin ich immer gehe,

ich fühle deine Nähe.

Ich möchte deinen Atem trinken

und betend dir zu Füssen sinken …

(L. Herzer, F. Löhner-Beda)

 

Dein Cavaliere

 

 

15. Juni – 19:45 Uhr

Liebling,

bringe bitte Femilind mit, die Salbe liegt neben dem Bett. Da gehoert sie ja auch hin. Ich liebe sie: geruchs- und geschmacksneutral. So steht es drauf. Findest Du sie nicht, kaufe bitte eine neue. Wir werden am Montag um 5 Uhr hier abgeholt und dann kommt Frankfurt – und dann Du!

Kuss Deine Eva

 

 

21. Juni – 00:44Uhr

Geliebter,

das war doch ein wunderbares Gespräch! Haben wir denn wirklich etwas zerredet? Ich denke – nein. Ich bin sicher, wir haben ein großes Stück mehr voneinander verstehen können als zuvor. Ich freue mich auf unsere nächste Liebesnacht, auf Deine Lust an mir, Deinen von mir geliebten dunklen Schwanz, auf Dein Stöhnen, das ich jetzt schon kenne, und mich deshalb daran erinnern kann. Es ist bereits in meiner Haut, in meinen Ohren, in meinem Herzen, und ich sehne es herbei, weil ich weiß, dass wir glücklich sein werden.

 

Schlafe gut und liebe mich, mein Liebling, wie ich Dich!

 

 

21. Juni – 18:42 Uhr

Mein Liebling,

wie soll ich’s nun nett und freundlich, aber auch humorvoll meinem Kinde sagen? Sicher sind unsere neuen Gespräche über uns und unsere Liebe wichtig, vielleicht auch wunderbar. Im Moment zerreden wir wohl noch nichts, aber die Leichtigkeit und Gelassenheit, die natürliche und entspannte Freude am Sex und das Lachen in allen Lagen werden wir langsam wegdiskutieren, wenn wir so weitermachen.

Liebe ist ein Mysterium. So wie ein Glaube. Zigmal haben halb kluge Philosophen den Gottesbeweis erbringen wollen und konnten dies genau so wenig wie andere, die Gottes Nichtexistenz herbeireden wollten. Nur Assimoff hat eine wunderschöne, poetische Science-Fiction-Parabel über Gott geschrieben. Diese solltest Du unbedingt lesen. Und ich bin überzeugt, dass mit vielem Diskutieren über Liebe alles genau so enterotisiert wird, wie das Philosophieren über Gott dem Glauben die Totalität nimmt.

Gestern habe ich eine Modenschau ganz privatissimo gemacht. Nochmals ganz herzlichen Dank für Deine Geschenke. Die lange Hose gefällt mir besonders, sie passt hervorragend und trägt sich auf der Haut so angenehm. Der Stoff wirkt fast (aber nur fast!) so erregend, wie Deine Hand, wenn Sie meinen Schwanz streichelt. (Übrigens ein kleiner Tipp: Hände unter kaltes Wasser, kurz den Schwanz vereisen und die Eier abschrecken. Das wirkt Wunder! Steht das auch im Buch?)

Schwarze Unterhosen habe ich noch nie getragen. Ich werde zum nächsten Besuch eine anziehen. Dann musst Du mir sagen, ob Dich Schwarz antörnt. Wenn ja, leihe ich mir auch ein passendes Unterhemd, ziehe mir die andere über den Kopf oder springe in ein Tintenbad, bevor ich mich in Dein heiliges Bett begebe. Du siehst, ich bin bereit, alles zu tun, was meiner Perle und ihrem Perlchen gefällt.

Nun, mein Liebling. Sag mir, wann ich wieder kommen darf.

Lass uns die schöne Sitte, erst gepflegt zu essen und uns zu unterhalten, um dann … (ich denke, Du weißt schon was), fortführen.

Dein Geliebter

 

 

21. Juni – 21:11 Uhr

Mein Süßer,

die Kreuzworträtselei brachte folgende Gewinne: ein Superfahrrad oder 2.000 in bar, was ich natürlich vorziehe und mir eins für 300 oder 500 kaufe, denn ich radle ja nicht professionell. Gut, ne?

Eva

 

 

21. Juni -21:50 Uhr

Mein Liebling,

herzlichen Glückwunsch! Kasse machen! Ein Fahrrad kriegst Du auch für 50 € über e-bay. Mit dem kannst Du erst mal testen, ob Dir das Radeln überhaupt gefällt.

Ich träume gelegentlich von einer kleinen Radtour mit Dir: S-Bahnhof Endstation, dann radeln wir durch Felder, Wiesen und Auen; nun kommt ein uralter, seit 300 Jahren nicht mehr gepflegter Mischwald; in einer sonnendurchfluteten Lichtung breite ich eine Decke aus chinesischer Seide aus und helfe Dir, Dich weich zu betten. Du trägst ein hinreißendes, dunkelgrünes Kleid mit goldenen Lilien und einem Ausschnitt, bei dessen Anblick mir die Augäpfel rausfallen, die Du dann generös und mit Grazie aufhebst und mir überreichst.

Ich serviere Schweinelendchen in Estragonsauce und stoße mit einem Pomerol grand cru an, wobei mein verklärter, verliebter Blick Dich und alle Rundungen Deines Körpers zärtlich und sehnsuchtsvoll streichelt. Und dann …

Dein Geliebter

 

 

21. Juni – 22:29 Uhr

Was brachte der Postberg noch? Ein Engagement als Jurymitglied für einen Klavierwettbewerb in Amsterdam. Wunderbar. Mache ich gerne.

Kuss

Eva

21. Juni – 22:58 Uhr

Herzlichen Glückwunsch. Nun hast Du ja das Kleingeld, um mir die passenden schwarzen Unterhemden oder das Tintenfass zu schenken! Ich liebe Dich!

Dein Max

 

 

21. Juni – 23:27 Uhr

Mein Lieber,

ich möchte noch mal was zum Thema ›Fühlen – Sprechen‹ sagen, was wir so unterschiedlich erleben.

Für Dich bin ich sicher ein kompliziertes Wesen, und ganz sicher wird Dich meine Art der Suche und Auseinandersetzung mit der Gefühlswelt, meine Reflektionen über Verhalten, Gedanken und Sprache irgendwann schrecklich nerven. Du wirst mir immer wieder sagen: ›Lass es sein, wir zerreden nur die Schönheit.‹

Aber ich empfinde das anders.

Ich habe viele Menschen, mit denen ich in die Welt der Gefühle und Reflektionen eintauchen kann. Bei meinen Freunden ist das gar nichts Besonderes. Bei Dir wird es wahrscheinlich so sein, dass Du mit Deinen Corpsbrüdern und anderen Menschen solche Gespräche gar nicht führst – auch nicht bei meinen Vorgängerinnen? -, sondern sie eher meidest.

Man muss natürlich eine Auseinandersetzung über Gefühle und Gedanken, über Ängste und Trauer, Verzweiflung und Hoffnung ebenso üben wie das Klavierspielen oder einen Laborversuch. Und man muss auch Interesse daran haben, denn sonst tut man das erst gar nicht. Und von Menschen, die offenen Austausch meiden, ist die Welt voll. Ich passe da nicht hinein, und deshalb habe ich auch nie den Versuch gemacht, zu ihnen zu gehören.

Liebster, ich weiß es selbst, dass ich ganz schön heftig aus der Norm falle, aber ich muss natürlich einen Menschen haben, der mein Wesen erträgt und nicht davon verunsichert oder gar belästigt wird. Das wirst Du doch verstehen können. Ich umarme Dich!

Traurig, Deine Eva

 

 

22. Juni – 00:27 Uhr

Mein geliebtes Evachen,

natürlich darfst Du über alles sprechen, in welcher Form auch immer. Aber denke dabei auch an meine Devise: »Reden ist Silber – Ficken ist Gold.« Du hast mir ein neues und aufregendes Lebensgefühl gegeben. Dieses möchte ich jetzt einfach genießen und keinen Schatten darauf fallen lassen. Wenn dieser irgendwann mal kommen sollte, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit wieder Licht auf Dich, mich und uns fällt. Aber jetzt ist es – zumindest für mich – noch nicht so weit!

Vielleicht musst Du lernen, dass nicht alle Menschen so offen wie Du mit der Darstellung ihrer Gefühle umgehen können oder wollen. Für mich selbst sehe ich gar keinen Anlass, meine Gefühle vor anderen Menschen auszubreiten und sie verständlich zu machen. Ich bin froh, wenn ich sie selbst verstehe.

Dein ›Was war das denn?‹ Dottore

 

 

23. Juni – 08:14 Uhr

Mein vergessliches Mäuschen,

da ich für zwei Tage in Hannover sein werde und Deinen Hungertod nicht überleben würde, habe ich Dir zwei Aufläufe vorbereitet. Hier die Herstellungsanleitung (ausdrucken und in der Küche aufhängen). Da alles sehr kompliziert ist, beschreibe ich Dir die diversen Schritte sehr präzis:

1. Tür des Tiefkühlfaches aufmachen.

2. gewünschte Tupperware mit linker Hand herausnehmen und mit rechter Hand Tür des Tiefkühlfaches wieder fest andrücken.

3. Tupperware ca. 1 Stunde auf ebene Fläche hinstellen (nicht zu viel schütteln).

4. Inhalt der Tupperware auf Porzellanteller stürzen.

5. Teller in Mikrowelle stellen und abdecken.

6. Mikrowelle auf größte Hitze stellen.

7. Zeituhr auf 5 Minuten stellen.

8. Backofen auf 250 Grad mit Unter- und Oberhitze einstellen.

9. Mikrowelle auf ›Start‹ drücken.

10. Wenn sich Mikrowelle ausschaltet, Tür mit rechter Hand öffnen und mit linker Hand (Topflappen!) Teller herausnehmen.

11. Gericht auf feuerfeste Form legen.

12. Gericht mit Käsescheiben oder mit Käseschnitzel vollflächig überdecken. (Mitte stärker als auf den Seiten).

13. Form in den Ofen stellen.

14. Wenn Käse zerlaufen ist, Herd auf Grillfunktion umschalten.

15. Nicht an den Laptop gehen!

16. Nicht staubsaugen!

17. Nicht telefonieren!

18. Wenn Käse hellbraun ist, Herd abschalten.

19. Herdklappe aufmachen und Form mit Topflappen herausnehmen.

20. Essen mit Heber von Form auf Teller umbetten.

21. Glas mit Rotwein einfüllen.

22. Glas und Teller auf den Tisch stellen.

Guten Appetit!

Dein Amore

 

 

25. Juni – 23:54 Uhr

Du alte Rumtreiberin!

Gerade nach Hause gekommen, wollte ich Dir mit einem Telefonständchen eine schöne Nacht wünschen. Aber anstatt die ganze Zeit ungeduldig auf meinen Anruf zu warten, treibst Du Dich in Berliner Spelunken herum! Pfui! Ich glaube, ich werde mir eine liebe häusliche Dauerwellentussi besorgen müssen, die immer dann, wenn Du Dich rumtreibst, unendlich dankbar und glücklich meinen nächtlichen Liebesergüssen lauscht. Ich brauche mehr Zuwendung! Basta!

Ich hoffe, Du hast es ausnahmsweise nicht zu wild getrieben. Ich hatte ja inständig gehofft, dass ich Dich mit meiner glutvollen und heißblütigen Anwesenheit vor meiner Abreise so müde gemacht hatte, dass Du Dich erstmal erholen müsstest. Ich denke, ich muss am nächsten Wochenende einen Zahn zulegen! Schlaf trotzdem gut und träume was Schönes von mir!

Mit einem gehorsamen Handkuss

Ihr Barone Massimiliano