Ephraim Kishon
Ein satirischer Roman
ein Ullstein Buch
Ullstein Buch Nr. 3431 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Ins Deutsche übertragen von Emi Ehm Ungekürzte Ausgabe
Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann unter Verwendung einer Zeichnung von Rudolf Angerer Alle Rechte Vorbehalten Mit Genehmigung der Albert Langen-Georg Müller Verlags GmbH, München/Wien © 1965 by Ephraim Kishon © der deutschen Ausgabe 1969 Albert Langen-Georg Müller Verlags GmbH, München/Wien Printed in Germany 1978 Gesamtherstellung:
Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03431 4
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kishon, Ephraim
Der Fuchs im Hühnerstall: e. satir. Roman. - Ungekürzte Ausg. - Frankfurt/M, Berlin, Wien: Ullstein, 1978. ([Ullstein-Bücher] Ullstein-Buch; Nr. 3431)
ISBN 3-548-03431-4
Der Besuch eines prominenten Politikers stürzt Kimmelquell, angeblich Israels letztes Dorf, in den Strudel einer aufgeblähten Bürokratie. Dieses Nest, das seine Post noch mit Brieftauben befördert, erfährt unversehens die ganze Absurdität moderner Überorganisation. Wie aufgeregte Hühner flattern die Bewohner durcheinander, aus Mistbeeten und Waschzubern sprießt plötzlich der neue Geist, und bald haben Barbier und Schuhflicker, ihre staatstragende Rolle erkennend, das Unterste zuoberst gekehrt.
Kimmelquells unaufhaltsamer Weg zur Demokratie birgt so viel Komik, daß der Leser in diesem Roman sofort den internationalen Meister der Kurzsatire erkennt: Ephraim Kishon, dem Aachen als erstem Schriftsteller den weltberühmten >Orden wider den tierischen Ernst< verlieh - mit der Begründung, sein Humor trage dazu bei, den Umgang von Politikern und Behörden mit den Bürgern zu humanisieren. Dieses Buch ist der beste Beweis dafür.
Amitz Dulnikker zugeeignet. Trotz allem.
E. K.
»... Ich komme nun zum Ende meiner Ausführungen, da meine Zeit abgelaufen ist, aber bevor ich zusammenfasse, möchte ich noch einige allgemeine Bemerkungen zum Thema selbst machen.« Hier hob Amitz Dulnikker die Stimme und hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser hüpften. »Unser Kampf um die politische Unabhängigkeit geht weiter! Unser Kampf um die nationale Disziplin geht weiter! Unser Kampf zur Stärkung unserer Sicherheit, zur Stärkung unserer Kraft, zur Stärkung unserer Macht, zur Stärkung unserer Stärke ...«
An diesem Punkt, der eigentlich erst der Beginn seiner Rede war, erlitt Amitz Dulnikker den ersten Herzanfall. Der kleine dynamische Staatsmann, schlampig wie gewöhnlich, hatte seine Zuhörer mit seinen gewohnten rhetorischen Fähigkeiten über zwei volle Stunden lang fasziniert. Plötzlich durchlief ihn ein Schauer, er beugte sich vor und griff sich an die Brust. Sein Gesicht lief rot an, und die Stirnadern quollen vor wie Würmer im Regen. Das Publikum hielt das plötzliche Schweigen des Redners für eine Kunstpause zur Erhöhung der Spannung und merkte daher nicht, was passiert war. Als jedoch Dulnikker vornüber auf dem Tisch zusammensackte, durchlief das Auditorium eine zitternde Bewegung. Aus den ersten Reihen ertönte der Ruf: »Ein Arzt! Ein Arzt!«, und einige Leute starteten zur Rednertribüne. Als erster war ein schlacksiger junger Mann zur Stelle, der aus den Kulissen zu Dulnikker hinstürzte und ihn in einen Nebenraum schleifte. Er setzte den Staatsmann hin, lockerte den Kragen und riß die Fenster auf. »Ein unerwarteter Anfall«, keuchte der Staatsmann und holte mit zitternden Fingern zwei Pillen aus einer Kapsel. »Genau wie letzte Woche bei der Planungssitzung .«
Sein Privatsekretär schaute ihn durch seine randlose Brille mit schlecht verhehlter Ungeduld an.
»Bitt’ Sie, Dulnikker, rühren Sie sich nicht, und hören Sie zu reden auf«, sagte er. »Ich hol’ sofort den Chauffeur.«
»Nein Zev, nur ja nicht«, stöhnte Dulnikker und versuchte aufzustehen. »Ich muß in den Vortragssaal zurück.«
»Ich flehe Sie an, Dulnikker, seien Sie jetzt nicht dickköpfig!« zischte der Sekretär und drückte den Staatsmann sanft auf den Stuhl zurück. Als er das Zimmer verließ, sperrte er vorsichtshalber die Tür von außen zu und bahnte sich mit Hilfe seiner besonders spitzen Ellbogen einen Weg durch die Menschenmenge im Gang.
»Bring den Wagen zum Tor«, befahl er dem Chauffeur. »Der Alte hat schon wieder einen Herzanfall gehabt.«
»Verrückt!« versicherte der Chauffeur. »Ich möchte schwören, der fällt demnächst in einer Rede um und ist tot.«
Dulnikker lehnte sich in den gepolsterten Wagensitz zurück und massierte sich genüßlich mit dem Handrücken die Nasenspitze, wie immer, wenn er in Spannung war.
»Bitte, mein Freund«, sagte er mit schwacher Stimme zum Chauffeur, »bring mich schnell heim. Um 8 Uhr 20 kommt meine Rede im Rundfunk.«
Der Chauffeur trat auf das Gaspedal.
»Schön, Dulnikker«, sagte der Sekretär zornig. »Machen Sie, was Sie wollen, Dulnikker.«
Der Staatsmann schien etwas zusammenzuschrumpfen.
»Also gut, vielleicht widme ich den morgigen Tag meiner Erholung«, sagte er. »Aber bevor ich mich endgültig entscheide, möchte ich, daß du mir mein Programm vorliest.«
Der Sekretär zog einen dicken Vormerkkalender aus der gelbledernen Aktentasche neben sich und reichte ihn Dulnikker.
»Also Dienstag«, las der Staatsmann. »Diese Besprechung um 9 Uhr 30 im Büro des Premierministers kann abgesagt werden, da ich den Geheimbericht ohnehin noch nicht lesen konnte, weil ich ihn irgendwo verloren habe. Übrigens, mein Freund, hast du dich schon mit dem Stenogramm meiner Rede in der Sitzung des Hilfskomitees beschäftigen können?«
»Ja. Ich hab’ den Schluß ein kleines bißchen gekürzt. Sie haben die Rede geistesabwesend mittendrin wieder von vorn begonnen.«
»Die Eröffnung der Keramikausstellung der AntituberkuloseLiga um 11 Uhr 45 unter meiner Schirmherrschaft«, las Dulnikker. Mit gefurchter Stirn fügte er hinzu: »Was mach’ ich dort eigentlich?«
»Das Übliche: Sie begrüßen die Gäste, sagen ein paar Worte über das Keramikhandwerk und verleihen dem Stück, das Ihnen am besten gefällt, den ersten Preis.«
»Schön«, sagte Dulnikker. »Was ist denn eigentlich Keramik?«
»Diese kleinen Tondinger.«
»Ah, ja. Ich habe sogar einige hübsche Stücke daheim, gleich neben den Kristallsachen. Schön, also verständige sie, daß ich verhindert bin, der Eröffnung beizuwohnen, aber ich schicke ihnen eine Grußbotschaft. Ich bitte dich, mein Freund, zuck nicht so! Vor ungefähr zwei Jahren haben wir eine ähnliche Glückwunschnote zur Einweihung des Blumenmuseums geschickt, also brauchst du den Text nur ein bißchen abzuändern. Natürlich wirst du sehr achtgeben müssen, daß alle >Blumen< ...«
»Ich weiß, Dulnikker«, unterbrach ihn der Sekretär, »redigier’ ich so was vielleicht zum erstenmal?« »Zev, mein Freund, ich sage dir, der Grund, warum man mir zu viele Funktionen aufbürdet, ist einzig der, mich ins Grab zu hetzen. Demnächst wirst du es erleben, daß ich tot umgefallen bin.«
»Herr Dulnikker«, sagte der Chauffeur über die Schulter nach hinten, »dann vergessen Sie bitte nicht, mir dieses Empfehlungsschreiben für eine Wohnung gleich jetzt zu geben.«
»Zev wird es schreiben, und ich unterzeichne es.«
»Entschuldigen Sie schon, Herr Dulnikker, aber es macht einen ganz anderen Eindruck, wenn der ganze Brief in Ihrer Handschrift ist.«
»Das ist ja die Tragödie, meine Herren«, sagte der Staatsmann verbittert. »Immer muß ich alles selber machen!«
Der elegante Wagen hielt am Stadtrand vor einem schäbigen Haus mit abblätterndem Verputz. Dulnikker kletterte langsam, jedoch ohne Hilfe in den zweiten Stock hinauf. Kaum war er in der Wohnung, stellte er zuerst den Rundfunkapparat an, ließ sich dann in einen samtbezogenen Lehnstuhl fallen und bat mit schwacher Stimme um >Post und Presse<.
»Was gibt es Neues im Spitalwesen?« ertönte die schmelzende Stimme des Ansagers. »Ein Interview mit Amitz Dulnikker über den Stand unseres Gesundheitswesens.«
Der Staatsmann bedeutete Zev, den Apparat lauter einzustellen, und rieb sich höchst behaglich die Nase. Ja, er erinnerte sich, das war’s, worum er damals den Ansager gebeten hatte. Nicht »Amitz Dulnikker, Exmitglied der Knesset« oder »Amitz Dulnikker, ehemaliger Parteisekretär«, sondern schlicht: »Meine Herren, am Mikrofon Amitz Dulnikker.«
Das Telefon läutete:
»Ja«, sagte Dulnikker. »Dulnikker!«
Dabei sah er wieder seine Post durch, ohne Brille, zu seinem großen Stolz: »An Herrn Dulnikker«, murmelte er immer wieder, »A. Dulnikker« . »Genosse Dulnikker« . »Amitz Dulnikker« .
»Herr Dulnikker«, stellte der Ansager seine Frage, »wie steht es heute, nach zwanzigjährigem Bestand unseres Staates, um die staatlichen Spitäler?«
»Die Lage ist äußerst ernst«, erwiderte Dulnikkers Stimme. »Trotz der Schritte, die unsere Regierung unternommen hat, entspricht die Lage den Bedürfnissen einer wachsenden Bevölkerung in keiner Weise .«
Dulnikker verstand nicht genau, um was sich das Interview eigentlich drehte. Schon als es seinerzeit auf Band aufgenommen wurde, hatte er sich nicht besonders in das Thema vertieft. Nach der letzten Koalitionskrise war er irrtümlich zum Stellvertretenden Generaldirektor des Gesundheitsministeriums ernannt worden. Dulnikker hatte das Amt genau eine Woche bekleidet, das jedoch war für die >Stimme Israels< Zeit genug gewesen, ihn zu interviewen.
»Trotzdem hole ich lieber einen Arzt«, bemerkte der Sekretär.
»Bin gleich wieder da, Dulnikker.«
»Dulnikker . «, murmelte der schläfrige Staatsmann. »Spitalwesen ...«
»Frau Dulnikker«, erklärte Professor Tannenbaum, »nach dem Blutdruck Ihres Mannes zu schließen, kann es jeden Augenblick zu einer Katastrophe kommen.«
»Mir egal«, erwiderte Frau Dulnikker. »Der Idiot hört doch eh nie auf mich.«
Professor Tannenbaum entfernte das Gummiband des Blutdruckmeßgeräts von Dulnikkers Arm und legte es neben die klebrigen Kaffeetassen, die noch vom Morgen her auf dem krümelübersäten Tischtuch standen. Professor Tannenbaum war seit Jahrzehnten der Leibarzt der Parteihierarchie und an die Situation gewöhnt: Die Schöpfer des Staates lebten in erschreckend bescheidenen Verhältnissen. Dulnikkers Wohnung bestand bloß aus zwei kleinen Zimmern, und da Gula Dulnikker aktives Parteimitglied war, hatte sie nie Zeit, gründlich zu fegen. Die abgenutzten Möbel standen, mit Staub und Zigarettenasche bedeckt, in einer Ecke, und an den Wänden hingen zwei Landschaften in Goldrahmen, von der Art, wie sie auf den Straßen verhökert werden. Zwischen ihnen hing ein prachtvolles Original van Goghs, ein Geschenk der jüdischen Gemeinde von Kopenhagen.
Gula Dulnikker, eine dicke, häßliche Person, stand wütend am Bett. Sie war nach einem schweren Arbeitstag, an dem sie apathische Frauenzimmer organisiert hatte, spät heimgekommen und hatte ihren Gatten am Fuß seines Lehnstuhls unter einem Haufen Papier auf dem Boden ausgestreckt vorgefunden. Trotz der Volksmusik aus dem plärrenden Radio stöhnte und schnarchte er vor sich hin, den Telefonhörer noch immer in der verkrampften Hand. Das einzige, was der benommene Dulnikker hörte, als Gula ihn ins Bett verfrachtete, waren ihre äußerst bissigen Bemerkungen. Das Auftauchen Zevs mit Professor Tannenbaum einige Minuten später hatte ihn gerettet.
»Herr Dulnikker«, erwiderte Professor Tannenbaum energisch, »ich will offen zu Ihnen sein. Die geringste Aufregung kann eine Katastrophe herbeiführen!«
Dulnikkers Gesicht lief wieder rot an, und die Stirnadern schwollen erschreckend.
»Was«, stöhnte er, »was könnte denn geschehen?«
»Herzinfarkt.« »Hörst du es, Dulnikker?« sagte Gula. »Hörst du? Wenn du nicht aufpaßt, krepierst du wie ein Hund.«
»Nur eine radikale Änderung der Gewohnheiten des Herrn Dulnikker kann ihn retten. Wenn er weiterhin die Rolle eines wichtigen Politikers spielt .«
»Ich bin kein Politiker. Ich bin Staatsmann!«
»Vom medizinischen Standpunkt aus ist das ein und dasselbe. Mein Herr, Sie müssen sich für lange Zeit aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Sie werden auf alles verzichten müssen, was Sie aufregen könnte. Und dazu gehören auch sämtliche Formen des Vergnügens.«
»Hörst du, Dulnikker?« keifte Frau Dulnikker. »Also keine Reden mehr!«
»Die sind im ersten Monat Ihrer Erholung auf jeden Fall absolut verboten«, versicherte der Parteiarzt. »Nachher, wenn wir Anzeichen einer Besserung sehen, werden wir ihm erlauben, einmal in der Woche einen Vortrag zu halten, aber nicht länger als zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten, und vor einem so freundlich wie möglich gesinnten Publikum.«
»Doktor«, kam Dulnikkers heisere Frage, »wie lange muß ich ausfallen?« - »Mindestens drei Monate.«
Da geschah etwas Erschütterndes: Amitz Dulnikker, das Symbol einer Generation der Eroberung und des Aufbaus, brach in Tränen aus.
»Schauen Sie, Dulnikker«, beruhigte ihn Zev, und seine Stimme war voll menschlichen Verständnisses, »wir zwei machen auf zwei Monate eine Reise in die Schweiz und bleiben mit dem Parteihauptquartier in ständiger telefonischer Verbindung.«
»Tut mir leid, aber auch das ist keine Lösung«, lautete die Reaktion des Arztes. »Herr Dulnikker muß alle Brücken hinter sich abbrechen. Er muß sich in irgendeinen einsamen Winkel zurückziehen.« »Aber meine Herren«, sagte Dulnikker mit ausgebreiteten Händen vorwurfsvoll, »denken Sie doch einen Augenblick an unser Land!«
»Der größte Nutzen für unseren Staat ist Amitz Dulnikkers schnelle Genesung.«
Dieses Argument berührte eine empfängliche Saite in der Seele des erschöpften Staatsmannes. Dulnikker beherrschte sich, setzte sich steil im Bett auf und sagte:
»Genossen, ich bin bereit!«
»Bravo!« rief Professor Tannenbaum und klatschte Beifall. Aber Gula brachte ihn sofort zum Schweigen.
»Hören Sie auf damit, Professor, hören Sie auf! Nichts als Gerede. Dulnikker kann ohne Konferenzen und Presseleute und Radio nicht leben.«
»Nun, Sie sollen wissen, Madame«, brüllte Dulnikker, »daß ich inkognito in ein so winziges Dorf reisen werde, daß dort überhaupt keiner weiß, wer ich bin! Falls es einen so rückständigen Ort in unserem Land überhaupt gibt«, fügte er hinzu.
»Gibt’s keinen«, meinte der Sekretär. »Daher ist es besser, wir fahren auf zwei Monate in die Schweiz.«
»Geht nicht. Aus Prinzip nicht«, versicherte ihm Dulnikker. »Ich habe den Schwur getan, daß ich das Heilige Land niemals verlassen werde. Außer in einer Mission.«
»Das ließe sich richten«, murmelte der Sekretär sehr enttäuscht.
Es läutete an der Tür, und Frau Dulnikker meldete: »Der Schultheiß von der Tnuva-Kooperative! Um die Zeit! Elf Uhr nachts! .«
Dulnikkers Arbeitszimmer paßte gut zu der übrigen Wohnung: Ein breiter, schwerer Schreibtisch in Barock nahm die Mitte des Zimmers ein, beladen mit Wochenzeitschriften, Broschüren, Jahrbüchern, Flugblättern und Parteiliteratur. Eine Büste Dulnikkers, das Werk eines italienischen zionistischen Bildhauers der frühen dreißiger Jahre, beherrschte die eine Ecke des Zimmers. Über dem Schreibtisch hing ein achtflammiger Stillüster, dessen einzige Glühbirne den Raum nur trüb erhellte.
»Guten Abend, Schultheiß, setz dich«, begrüßte der Staatsmann im verdrückten Pyjama seinen Besucher. »Kommt zur Sache, Genossen. Worum geht’s?«
Das war wieder der alte, zähe Dulnikker, >das alte Pulverfaß<, wie ihn seine engsten Freunde jahrelang genannt hatten. Selbst der Leiter der Tnuva, der riesigen Marktgenossenschaft mit Zweigstellen im ganzen Land, neigte respektvoll den Kopf, bevor er 300000 Pfund aus dem Entwicklungsanleihefonds verlangte.
»Schön«, erwiderte Dulnikker. »Du hast Glück, Schultheiß, daß du nicht einen Tag später gekommen bist. Zev! Setz dich mit der Kreditkommission in Verbindung. Ich bin dafür.«
»Danke, Dulnikker«, sagte der Manager mit einem breiten Grinsen. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir für deine Hilfe danken soll.«
Nachdenklich saß Dulnikker hinter seinem Barockschreibtisch. »Ich nehme an, Schultheiß, daß du mit den entferntesten Landgemeinden in Fühlung bist.«
Zev begann sich zu räuspern, drang jedoch damit nicht bis zu Dulnikker durch, der sich plötzlich erstaunlich verjüngte.
»Schultheiß, nenne mir das fernste und einsamste Dorf.«
Schultheiß warf dem Staatsmann einen erstaunten Blick zu und brauchte eine Weile, bis er antwortete:
»Im obersten Ostgaliläa, praktisch an der libanesischen Grenze, liegt ein winziges Dorf, von dem noch kaum ein Mensch gehört hat. Der einzige Grund, warum ich mich an den
Flecken erinnere, ist der, weil er das ganze Land mit Karawija-Samen versorgt.«
»Karawija«, erkundigte sich der junge Sekretär grollend. »Was ist denn das?«
»In der alten Heimat war es als Kimmel oder Kümmel bekannt«, sagte Dulnikker in Entfaltung seiner berühmten weitreichenden Sprachkenntnisse. Der Manager nickte achtungsvoll zustimmend und erklärte dem Sekretär, daß die Karawijastaude wenig Bewässerung brauche und daher dem dürren, felsigen Bergboden entspreche.
»Zev«, wandte sich Dulnikker mit einem verschmitzten Lächeln an seinen Sekretär, »was sagst du dazu?«
»Ich sage, Dulnikker, daß die Regenperiode bevorsteht.«
»Nun wennschon? Ich nehme den Regenschirm mit.«
»Verzeihung«, stammelte Schultheiß, und sein verblüffter Blick schoß vom Staatsmann zum Sekretär und wieder zurück. »Was hast du vor, Dulnikker? Dort ist nichts Besonderes los. Im Gegenteil, es ist ein völlig abgelegenes Dorf, ein wahres Drecknest. Ich verstehe wirklich nicht ...«
»Wie heißt der Ort?«
Schultheiß starrte Dulnikker an.
»Kimmelquell«, flüsterte er.
Unermüdlich fraß sich der große Tnuva-Lastwagen über die gewundenen Landstraßen von Obergaliläa vor, Dulnikker und Zev hatten jedoch die Fahrt schon satt. Chef und Sekretär saßen eng aneinandergequetscht in der Fahrerkabine und streckten ihre starren Glieder von Zeit zu Zeit so gut wie möglich, aber sie erstarrten ja doch wieder.
Als, die Berge erreicht waren, wurde die Landschaft etwas eintönig, und die Mittagssonne machte die Fahrerkabine unerträglich heiß.
»Wie lange dauert es noch bis Kimmelquell, mein Freund?« fragte Dulnikker.
»Mindestens noch zwei Stunden«, erwiderte der Fahrer mit verschlossener Miene. »Nach der Kreuzung biegen wir auf eine ungepflasterte Straße ab.«
»Warum pflastert man keine Straße zu dem Dorf?« erkundigte sich der Sekretär. Der Fahrer erklärte, das Pflastern stünde kaum dafür, weil er der einzige Mensch sei, der je in das Dorf fuhr.
»Hören Sie, Dulnikker?« sagte Zev. »Ich habe Ihnen ja gesagt, wir hätten Ihren Wagen nehmen sollen.«
»Gott behüte«, meinte Dulnikker, »wie hätte ich mein Inkognito wahren können, wenn ich in einem Parteiwagen daherkomme? Ich hoffe«, wandte er sich an den Fahrer, »daß auch Sie, mein Freund, absolut verschwiegen sind!«
Der Ausdruck des Fahrers wurde etwas feierlich, und er nickte zustimmend. Der Staatsmann entnahm der gelben Aktenmappe einige Zeitungsausschnitte und sah sie flüchtig durch:
Amitz Dulnikker auf Urlaub Amitz Dulnikker reiste zu einem längeren Genesungsurlaub irgendwo auf dem Land ab. Unser Berichterstatter sprach im Heim Herrn Dulnikkers vor, aber Frau Gula Dulnikker lehnte es ab, den Aufenthaltsort Herrn Dulnikkers bekanntzugeben, und behauptete, sie habe selbst keine Ahnung, wo er eigentlich stecke. Gewisse Quellen verbinden das plötzliche Verschwinden Amitz Dulnikkers mit weitverbreiteten Gerüchten über gewisse internationale Verhandlungen.
Der Staatsmann freute sich über den Unsinn, den er in den Zeitungen las. Also wußte wirklich niemand, wo er war. Das war genau jene Sorte Rätselhaftigkeit, die das öffentliche Interesse zu wecken pflegt.
»Mein Freund«, fragte Dulnikker den Fahrer, »wann erreichen die Morgenblätter das Dorf?«
»Tun sie nicht.«
»Nein? Ja, wie halten sich denn dann die Dorfbewohner über die Weltereignisse auf dem laufenden?«
»Halten sich nicht.«
Schweigen senkte sich über die Reisenden. Der Sekretär starrte den Staatsmann in stummer Anklage an.
»Wunderbar«, bemerkte Dulnikker schwach. »Das wird eine völlig gesunde Ruhepause; keine Presse, kein Lärm .«
»Und kein Strom«, fügte der Sekretär hinzu, worauf beide in Schweigen versanken.
»Das Dorf wird Ihnen gefallen«, tröstete sie der Fahrer. »Sie werden dort anständige, friedliche Juden treffen, die ihr eigenes Leben leben und sich um diese verrückte Welt überhaupt nicht scheren. Weiß Gott, die haben recht! Wer braucht schon den ganzen Wirbel. Ich versorge sie mit allem, was sie brauchen, von Kerosin bis zu Modewaren - wofür sie mit Karawija bezahlen. Sie verlassen ihr Dorf nie. Ihre Ahnen waren arme Holzfäller in den Urwäldern von Rosinesco in Nordungarn, und als die Katastrophe zuschlug, bezahlten sie mit allem, was sie besaßen, einen Agenten, der sie nach Amerika bringen sollte; aber der Agent war aktiver Zionist und brachte sie nach Palästina. Man behauptet, sie hätten jahrelang geglaubt, sie seien in Amerika. Wenn man es sich überlegt, ist es in einem so abgelegenen Dorf wirklich egal, was einer glaubt.«
Der Fahrer brach in überschäumendes, ohrenbetäubendes Gelächter aus, das Dulnikker sehr bald auf die Nerven ging. Er zog eine Straßenkarte aus der geräumigen Aktenmappe, breitete sie auf den Knien aus und begann, auf ihr begierig ihren Bestimmungsort zu suchen.
»Meine Herren«, erklärte er nach einer Weile leicht verblüfft, »ich kann hier kein Kimmelquell finden.«
»Vielleicht hat man es für die Landkarte noch nicht entdeckt«, bemerkte der Fahrer, »weil das Dorf völlig in den Bergen versteckt liegt.«
»Wie die weißen Flecken auf der Landkarte von Zentralafrika«, sagte der Sekretär und nickte. In diesem Augenblick machte der Lastwagen eine plötzliche Kurve und bog mitten auf die Mauer von Felsblöcken längs der Straßenseite ein.
»Was ist los?« kreischte Zev verwirrt. »Ich kann nichts sehen!«
»Ruhe«, sagte der Fahrer und schaltete die Scheinwerfer ein. Der große Lastwagen kroch im Schneckentempo durch einen finsteren Tunnel über einen mit urzeitlichen Felserhebungen versetzten Boden. Von Zeit zu Zeit schaukelte das Fahrerhaus wie ein Ruderboot auf hoher See, so daß die Passagiere mehr als einmal mit den Köpfen heftig zusammenstießen. Dennoch wagten sie kein Wort zu äußern, solange sie nicht das am Tunnelende winkende Tageslicht erreicht hatten.
»Na?« fragte der Fahrer mit triumphierender Miene. »Verstehen Sie jetzt, meine Herren?«
»Erholung!« knurrte Zev und klopfte sich den Staub von der Hose. »Erholung!«
»Jedenfalls ist die Landschaft herrlich«, sagte Dulnikker entschuldigend. »Zu schade, daß ich meine Kamera nicht mitgenommen habe.«
Die Landschaft war wirklich faszinierend. Die schmale Landstraße wand sich spiralenförmig sanft aufwärts über Schichten von glattem Fels, der da und dort mit vereinzelten Gruppen von Pinien gesprenkelt war. Die Luft war plötzlich frisch und scharf geworden, und von Norden her wehte stetig ein starker Wind.
»Das ist der berühmte Flußberg.« Der Fahrer wies auf einen kahlen, schwarzen Berg, der streng und stolz die Landschaft überragte. »In der Regenperiode stürzt das Wasser herunter wie die Sintflut. Wenn es nicht die großen Erddämme gäbe, hätte der Wildbach das ganze Dorf bestimmt schon weggeschwemmt.«
»Herrlich, nicht, Zev?« Dulnikker war hingerissen. »Von Zeit zu Zeit muß der Mensch an den Busen der Natur zurückkehren.«
»Verzeihung«, flüsterte der Sekretär, »ich muß aussteigen ... schnell .«
Das Fahrzeug hielt, der seekranke junge Mann taumelte hinaus und an den Straßenrand. Auch Dulnikker stieg aus und streckte sich genüßlich.
»Mein Freund«, wandte er sich an den Fahrer und wies auf den leidenden Zev, »das erinnert mich an die Geschichte von dem Schächter, der zu Rosh Hashanah nicht Schofar blasen durfte. Der arme Kerl ging zum Rebbe und weinte. >Rebbe, Rebbec, jammerte er, >warum läßt man mich am Rosh Hashanah nicht blasen?< Und was erwiderte der Rebbe, meine Herren? Der Rebbe sagte: >Ich habe gehört - ä-hm -, daß du nicht in die reinigenden Gewässer der Mikve untergetaucht bist.< Der Schächter begann sich zu entschuldigen. >Rebbe, das Wasser war kalt, oj, war das kalt, Rebbe! < Und der Rebbe erwiderte: >Oif Kalts blust men nischt!< Auf Kaltes bläst man nicht! Ha, ha, ha!«
Dulnikker brach in ein so dröhnendes Gelächter aus, daß seine Augen ganz schmal wurden und in den umgebenden Falten verschwanden. Der Fahrer lächelte gezwungen, er verstand kein Wort. Inzwischen hatte der Sekretär verrichtet, was zu verrichten war, und kam schwankend zu ihnen zurück.
»Mein Freund«, begrüßte ihn Dulnikker, »wenn du so schwach bist, wird es dir sicher nicht schaden, eine Weile auszuruhen.«
Der Sekretär schwieg, und der Lastwagen fuhr weiter. Die Landschaft wurde zivilisierter.
»Das sind die Karawijafelder«, erklärte der Fahrer und wies auf die niedrigen, saftigen Büsche, von denen sämtliche winzigen Parzellen überquollen.
»Jetzt aber Vorsicht, meine Herren, die Straße wird sehr steil.«
Der Lastwagen überquerte den Bergrücken und fuhr unter ohrenzerreißendem Kreischen der Bremsen hinunter. Tief im Tal konnten die Männer zwei Reihen kleiner Häuser aus roh behauenem Gestein sehen.
»Hier also«, behauptete Dulnikker, »beginnt das Dorf.«
»Nein«, antwortete der Fahrer. »Das ist das ganze Dorf.«
Plötzlich hörte das schrille Pfeifen des starken Windes auf, denn die Berge hielten alle Winde ab. Kurz darauf hörten die Passagiere Hundegebell, und dann tauchten einige einzelne Bauern auf, die gemessenen Schrittes heimwärts gingen. Sie waren fest gebaut, bedächtig in ihren Bewegungen und von der Sonne tief gebräunt. Ihr Anzug - schwarze Hose, weißes, am Hals zugeknöpftes Hemd und Schaftstiefel - erinnerte an die ukrainische Bauerntracht. Die Frauen trugen weite Röcke, die fast bis zum Boden reichten und im Rhythmus ihrer Schritte schwangen. Die Dörfler begrüßten den Tnuva-Lastwagen mit einem Nicken, ohne in ihrem friedlichen Tempo innezuhalten.
Dulnikker zupfte am Schirm seiner Mütze, zog sie tief in die Stirn und setzte auch eine schwarze Sonnenbrille auf. Sein Sekretär spähte mit einer Ängstlichkeit, die an Panik grenzte, aus dem Fenster.
»Hören Sie, Mister«, wandte er sich an den Fahrer, »wann kommen Sie das nächste Mal her?«
»Je nachdem. Gewöhnlich komme ich zweimal in zwei Monaten, aber manchmal - wenn sie die Taube früher schicken ...«
»Was für eine Taube?«
Der Fahrer langte unter seinen Sitz und zog einen kleinen Käfig hervor, der zwei weiße, schläfrige Tauben enthielt.
»Sie fliegen geradewegs zur Tnuva-Zentrale«, erklärte er, »und das ist für mich das Zeichen, zu kommen. Eine andere Möglichkeit, in Kontakt zu treten, gibt es nicht.«
»Wie lange dauert es zu Fuß?«
»Mindestens eine Woche bis zur nächsten Siedlung.«
Der Lastwagen blieb vor einem niedrigen, schachtelförmigen Gebäude stehen, das mehrere hundert Schritte vor den Dorfhäusern stand. Aus den Tiefen dieses Lagerhauses tauchte ein Mann auf, der den Fahrer mit einem Nicken begrüßte, die beiden Vögel entgegennahm und sie in einen Taubenschlag steckte. Beide Männer - der Fahrer und der stimmlose Dörfler - begannen dann, den Lastwagen abzuladen, während Dulnikker und seine rechte Hand den beiden Männern bei ihren Rundreisen mit Kisten und Paketen zusahen. Nach einer Weile verlor jedoch der Staatsmann die Geduld und rief dem Fahrer zu:
»Mein Freund, wo ist hier der Gasthof?«
»Gasthof? Hier war noch nie ein Gast.«
»Wo also könnten wir denn wohnen?«
»Keine Ahnung. Manager Schultheiß sagte mir, ich solle Sie herbringen, und das ist alles. Aber es wäre besser, meine Herren, Sie gehen los, weil es nach der Uhr schon zwei ist.«
Der Fahrer wies auf eine schief an die Straßenseite gestellte Steintafel, in deren Mitte ein Stab gesteckt war.
»Was soll das sein?« erkundigte sich Dulnikker beunruhigt.
»Die Sonnenuhr des Dorfes.«
Plötzlich fragte Zev: »Wann fahren wir zurück?« Eben in diesem Augenblick kam ein primitiver Bauernkarren vorbei, mit einer ältlichen Kuh bespannt und mit einer Menge grüner Stengel beladen. Der Fahrer hielt den Karren an.
»Diese Herren möchten ein paar angenehme Tage im Dorf verbringen«, sagte er zu dem Mann, der auf den Stengeln thronte und eine lange Pfeife rauchte. »Könntest du sie irgendwohin fahren?«
Einen Augenblick war der Kärrer unangenehm überrascht, dann nickte er zustimmend.
»Sind die hier alle so gesprächig?« fragte Dulnikker, während der Fahrer ihre Koffer auf den Karren lud.
»Nein«, erwiderte der, »es gibt einige, die noch weniger reden. Aber Sie haben Glück, meine Herren, weil das der einzige Karren im Dorf ist. Setzen Sie sich auf diese Karawijastengel. Sie sind Kuhfutter.« Der Karren bewegte sich über die Haupt- und einzige Dorfstraße und blieb auf halbem
Weg vor einem kleinen weißen, zweistöckigen Haus stehen. Der Mann deutete mit der Pfeife auf das Haus, und die beiden Fremden glitten von den Stengeln hinunter.
»Wieviel schulden wir Ihnen, mein Herr?« fragte der Sekretär.
Der Kärrner zog eine Augenbraue hoch: »Mir schulden? Ich kenne Sie nicht.«
Weg war er. Dulnikker trat verwirrt auf dem tiefen Sand herum. Ein Gefühl, das er fast nie gekannt hatte -Vereinsamung -, überfiel ihn. Er schlug den Mantelkragen hoch und zog die Mütze noch tiefer in die Stirn.
»Zev«, sagte er zu seinem Sekretär, »geh hinein, mein Freund, und verlange zwei Einzelzimmer.«
Zev ging achselzuckend auf die Tür zu.
»Ich bitte dich noch einmal, mein Inkognito zu wahren«, rief ihm Dulnikker nach. »Du darfst auf keinen Fall meinen Namen verraten! Verstanden?«
»Verstanden, Dulnikker«, sagte Zev und betrat das Wirtshaus. Er befand sich in einer sehr langen Halle, deren Decke von dicken Holzbalken getragen wurde. Der Raum enthielt einige leichte Stühle, rohe Holzbänke und Katzen, die zwischen den Tischbeinen aus Ästen herum strichen. Aus der Küche nebenan wehte dichter, mit Ruß gemischter Dampf, der sich in dieser Halle zu einem wohlduftenden Nebel verdichtete. Ein beleibter Mann stand in der Küchentür und sah Zev aus zusammengekniffenen Augen an.
»Hallo«, sagte Zev. »Ich bin der Sekretär von Amitz Dulnikker. Wir sind soeben angekommen, und Amitz Dulnikker wartet draußen. Wir hätten gern zwei Zimmer, eines für mich und eines für Amitz Dulnikker.«
Der Wirt blinzelte verdutzt und sagte nichts. Der Sekretär war es seit langem gewöhnt, daß die Leute verwirrt wurden, wenn man sie davon unterrichtete, daß der große Mann persönlich erschienen war.
»Wir, Amitz Dulnikker und ich, bleiben ziemlich lange in eurem Dorf«, fügte er herrisch hinzu. »Bitte stellen Sie keine Fragen, und nehmen Sie die Dinge hin, wie sie sind.«
»Malka«, schrie der Mann, »komm her, Liebe! Ich verstehe kein Wort.«
Aus der Küche trat eine mollige Frau, die sich die Hände an der Schürze ab trocknete. Zwei Fratzen mit dicken Köpfen, eineiige Zwillinge, die sich an den Rock der Mutter klammerten, folgten ihr auf dem Fuß. Auch sie betrachteten offenen Mundes den Sekretär von allen Seiten.
»Was gibt’s da schon zu verstehen?« fragte Zev ärgerlich. »Amitz Dulnikker will sich in Ihrem Dorf ausruhen.«
»Ausruhen?« fragte der Wirt verblüfft. »Wenn man sich ausruhen will, geht man ins Bett, aber nicht nach Kimmelquell.«
»Das geht Sie nichts an. Ich brauche ein Zimmer sowie ein zweites für Amitz Dulnikker.«
»Der Teufel soll ihn holen!« explodierte der Schankwirt. »Wer ist das?«
»Meine Herren!« Der Sekretär wand sich. »Herr Dulnikker ist stellvertretender Generaldirektor des Ministeriums für Entwicklung .«
»Was für ein Direktor?«
»Stellvertretender General . direktor .«
»So einen Direktor kennen wir nicht«, informierte ihn der Wirt. »Wir kennen nur den Herrn Schultheiß, den Direktor der Tnuva. Und der ist ein so großer Herr, daß es im ganzen Land keinen größeren gibt, außer vielleicht den Mann von der Wassergesellschaft, der uns das Wasser gebracht hat. Aber der«, fügte er ehrfurchtsvoll hinzu, »war auch ein Ingenieur!«
Der Sekretär stolperte zu dem Staatsmann hinaus, der auf den Koffern saß. »Na«, fragte Dulnikker eifrig, »haben sie noch nicht erraten, wer ich bin?«
»Nein. Nichts haben sie erraten.«
Beide saßen in der >Dorfrunde<, wie die Dorfbewohner ihre Zusammenkünfte am Samstagabend im Wirtshaus nannten. Die Tische waren aneinandergestellt und mit blütenweißen Tischtüchern bedeckt. Gläser, Weinflaschen und Sträuße roter Nelken - die in den winzigen Gärten blühten - waren schön ordentlich langhin aufgestellt. Nachher - so informierte der Wirt seine geheimnisvollen Gäste - blieben die Dörfler bis zum Morgengrauen beisammen und sangen zur Begleitung der Leier des Vaters vom Schuhflicker melancholische Lieder, wie das die Bauern in Rosinesco, ihrer alten Heimat, getan hatten.
Dulnikker und Sekretär waren von ihrem verzweifelten Kampf mit dem Wirt und seiner Ehefrau vollkommen erschöpft. Elifas Hermanowitsch konnte nämlich einfach nicht verstehen, warum ausgerechnet er sie mit zwei Zimmern versorgen sollte. Erst nach einer halben Stunde Verhandlungen, Flehen und verhüllten Drohungen willigte er ein, ihnen ein einziges Zimmer neben seinem eigenen Schlafzimmer im zweiten Stock zur Verfügung zu stellen. Dulnikker bedeutete jedoch seinem Sekretär sofort mit einem kräftigen Wink der Hand, daß er aus offenkundigen Gründen nicht gewillt war, ein Zimmer mit ihm zu teilen, woraufhin der Sekretär Maßnahmen zur Unterbringung in dem großen Haus des Dorfschusters gegenüber dem Wirtshaus traf.
Dulnikkers Zimmer enthielt zwei wacklige Schränke, zwei eiserne Bettgestelle mit rostigen Federn und einen Küchenschemel. Malka hatte Dulnikkers Habe bei dem zweifelhaften Licht einer zerbrochenen Kerosinlampe aus den
Koffern in einen der Schränke geräumt. Der Staatsmann selbst war schweigend auf dem engen Balkon gestanden und hatte sich hinter dem Standessymbol der Sonnenbrille die Augen angestrengt, um den großen gepflegten Garten zu seinen Füßen zu betrachten. Die Zwillinge waren heimlich auf den Balkon zu ihm hinausgeschlichen und hatten ihn weiter von Kopf bis Fuß gemessen. Einer von ihnen - wer konnte schon sagen, welcher - hatte an den Jackenschößen des Staatsmannes gezupft und gefragt:
»Onkel, bist du blind?«
»Nein«, erwiderte Dulnikker. Damit war das Gespräch beendet.
Jetzt, in der Dorfrunde, saßen auch die Dörfler unnatürlich stumm da. Sie aßen und tranken mit der Hingabe arbeitender Menschen, welche die Wichtigkeit der Nahrung im göttlichen Schöpfungsplan zu schätzen wissen. Außer dem Kratzen der Messer war im Speisesaal kein Laut zu hören - mit einer weiteren Ausnahme: dem eintönigen, ärgerlichen Schmatzen, das Amitz Dulnikkers gierige und genüßliche Vernichtung von Kalbfleisch mit Essigfrüchten begleitete. Der Sekretär sah sich hie und da in wachsender Besorgnis um, trotz seines Gefühls, daß es eine hoffnungslose Lage sei. Das war etwas, dessen sich die gesamte Parteihierarchie durchaus bewußt war: Wenn Amitz Dulnikker aß, klang es wie eine zerbrochene Wassermühle. Bei diplomatischen Empfängen und anderen großen Anlässen vermochte der Sekretär gewöhnlich für Deckung zu sorgen: Während Dulnikker entweder aß oder in den Zähnen stocherte, pflegte die Kapelle - auf Anordnung des Sekretärs - lebhafte Musik zu spielen. Hier allerdings konnte Zev nur hoffen, daß sich die Tischgenossen als geduldig erweisen würden. Und tatsächlich machten sie keine Bemerkung über das lärmende Malmen des Staatsmannes.
Genauso wie sie auch sonst keine Notiz von seiner Existenz nahmen.
Auch Dulnikker war das nicht entgangen.
»Ich wußte von vornherein, daß ich mein Inkognito nicht würde wahren können«, flüsterte er mitten im Essen seinem Sekretär zu. »Sie haben entdeckt, wer ich bin!«
»Wieso wissen Sie das, Dulnikker?«
»Ich habe Augen im Kopf, mein Freund, Sie respektieren mich so sehr, daß sie mich nicht einmal anzuschauen wagen«, erklärte der Staatsmann. »Das ist die höchste - und ich kann wohl sagen, übelste - Ebene des Respekts. Glaube mir, mein Freund, ich finde diesen Personenkult ekelerregend. Ich habe es gern, wenn sich die Leute in meiner Gegenwart frei und gleichberechtigt fühlen. Ich glaube daher, daß ich viel dazu beitragen könnte, die Atmosphäre aufzulockern, wenn ich ein paar Worte an die Leute richtete.«
Zev fiel die Gabel aus der Hand. »Nein!« sagte er in panischer Angst. »Sagen Sie nur ja kein Wort, Dulnikker!«
»Warum den nicht?« erwiderte der Staatsmann und erhob sich. Es war schon vier Tage her, seit er seine letzte Rede gehalten hatte, und jetzt strömten ihm plötzlich alle seine berühmten Energien wieder zu. Ein milder Schimmer leuchtete in Dulnikkers Augen, als er Glas und Stimme erhob:
»Bürger von Kimmelquell! Meine Damen und Herren! Altansässige und Neueinwanderer! Zu Beginn möchte ich Ihnen meine tiefe Genugtuung über diesen rührenden Empfang zum Ausdruck bringen. Ich genieße die Hochachtung, die Sie mir bezeigt haben, aber ich suche sie nicht. Ich bin hergekommen, um mich auszuruhen, zu erholen - nicht, um an Festlichkeiten teilzunehmen. So fahrt denn fort, Genossen, in euren friedlichen täglichen Pflichten« (»Laß mich los«, flüsterte er seinem Sekretär zu, der ihn immer heftiger an der Jacke zupfte), »behandelt mich informell ...«
Und da geschah es.
Der Schuhflicker, ein ältlicher, verschlampter Witwer mit derben Kinnbacken, zerschmetterte das allgemeine überraschte Schweigen, indem er dem Redner mit tiefer Stimme zubrüllte: »Ruhe! Wir essen!«
In Dulnikkers Brust erwachte der schlummernde Löwe der Knesset, und die Erwiderung des großen Redegewaltigen ließ nicht auf sich warten.
»Ja, meine Freunde«, rief er mit erhobener Stimme, »Friede euren Herzen und Brot auf den Tisch! Das sind die Säulen der Welt des Werktätigen! ...«
Hier aber fielen sämtliche Zuhörer zornig ein:
»Hol dich der Teufel, halt endlich den Mund«, brüllte es aus allen vier Ecken des Saals. »Wer ist denn der? Wer hat denn den eingeladen?«
Der Sekretär zerrte einen erschreckend blassen und nach Luft ringenden Dulnikker an die frische Luft.
»Leider, Dulnikker«, keuchte er, »ob es Ihnen paßt oder nicht, aber in diesem Dorf bleiben Sie inkognito.«
Nach dem Vorfall in der >Dorfrunde< ließ sich zwischen den Dorfbewohnern und den beiden Männern fast keine Bande anknüpfen. Sie waren gezwungen, ihre Freizeit trotz ihrer Unerfahrenheit in Tatenlosigkeit in Zweisamkeit zu verbringen.
»Mein Freund«, platzte Dulnikker heraus, als er mit seinem Sekretär die Dorfstraße auf und ab schlenderte, »das ist ja nicht einmal ein Dorf; es ist ein übelriechendes Loch! Nicht nur, daß diese Leute Hunderte von Jahren hinter der Zivilisation zurückgeblieben sind, sondern schlimmer: Sie sind auch geistig schrecklich unterentwickelt.«
Der Sekretär bohrte mit den Schuhen im Kies der Straße.
»Ich spreche zu dir, Freund Zev! Warum bist du geistesabwesend?«
»Ich hab’ letzte Nacht kein Auge zugemacht, Dulnikker. Die ganze Nacht haben die Hunde gebellt und die Grillen gezirpt, und selbst die Hähne fangen in diesem Dorf schon um Mitternacht zu krähen an.«
»Das ist doch nichts im Vergleich zu dem, was ich gelitten habe, mein Freund. Mein Zimmer wimmelt von Mäusen, während die Katzen auf dem Dach im Chor jaulen. Als ich endlich einschlief, nachdem ich zwei Schlaftabletten genommen hatte, wachte ich plötzlich auf und entdeckte, daß mich jemand rüttelte, weil ich - sagte er - laut schnarche. Da entdeckte ich, daß in meinem Zimmer noch jemand wohnt und in dem anderen Bett schläft. Dieser Zimmergenosse ist niemand anderer als der Dorfhirte und schwachsinnige
Verwandte meines Hauswirtes. Genossen, habt ihr schon je von einer solchen Frechheit gehört?«
»Hören Sie, Dulnikker, ich habe Sie rechtzeitig gewarnt, Sie sollten lieber auf zwei Monate in die Schweiz fahren. Aber Sie wollten ja unbedingt hierher kommen.«
»Wer wollte unbedingt?« fuhr der Politiker auf. »Ich?«
»Ja, Sie, Dulnikker!«
»Nu - und wennschon?« brüllte Dulnikker, und sein Gesicht lief wieder rot an. »Habe ich mir nicht etwas Ruhe verdient?«
»Etwas Ruhe?« höhnte Zev. »Stellen Sie sich vor, Dulnikker, was geschehen würde, wenn Sie, Gott behüte, in diesem grandiosen Kurort Zahnweh bekommen.«
Sie waren kaum zwanzig Schritt weitergegangen, als Dulnikker einen immer stärkeren Schmerz in einem unteren Backenzahn verspürte, und sein Zorn auf seinen Sekretär war nun doppelt gerechtfertigt. Er hätte den Burschen schon längst im Stich gelassen, wenn er nur von irgendeinem anderen Menschen in der Gegend gewußt hätte, imstande und bereit, sich mit ihm zu unterhalten. Der Staatsmann hatte keine große Lust, in seinem Zimmer zu bleiben, schon deshalb nicht, weil ihm die Kinder mit den Wasserköpfen auf die Nerven gingen. Dulnikkers Verhältnis zu Kindern war immer schon sehr kühl gewesen. Seine Frau war nicht mit Nachkommen gesegnet worden, und der Politiker hatte sich seinerzeit fast mit einem Gefühl der Erleichterung dringenderen Angelegenheiten zugewandt. Die Zwillinge schienen ihn jedoch für einen Gegenstand immerwährenden Interesses zu halten, und vom ersten Augenblick an ließen sie ihn nicht aus den Augen. Dulnikker merkte deutlich, daß er früher oder später mit ihnen ins Gespräch würde kommen müssen.
»Wie heißt ihr denn, meine Jungen?« fragte er sie am zweiten Tag seiner Wanderung durch das Dorf.
»Majdud!« erwiderte der eine.
»Hajdud!« erwiderte der andere.
Dulnikker hatte keine Ahnung, wie das Gespräch fortsetzen. Er war imstande, Jugendlichen aller Arten und politischer Bewegungen stundenlang Vorträge zu halten, aber die Kunst, mit Kindern zu reden, hatte er noch nicht gemeistert.
»Ihr seid einander ähnlich«, stellte er schließlich mit äußerst begrenzter Einfallskraft fest. Die kleinen Lümmel brachen in Gelächter aus.
»Blödsinn. Hajdud ist ähnlicher«, erklärte Majdud. Sie kicherten wieder und rannten davon. Dulnikker schloß, daß sich die Unverschämtheit der Kinder auf die Meinung der älteren Generation gründete, obwohl die Dörfler keinerlei Interesse an ihm zeigten. Wenn die Leute auf der Straße an dem Staatsmann vorbeigingen, taten sie es, ohne mit der Wimper zu zucken. Der Staatsmann hatte in jenen mißlichen Tagen das Gefühl, als sei ihm die Kehle zugestöpselt worden.
In der zweiten Nacht konnte er sich nicht länger zurückhalten. Nachdem sich der riesige Kuhhirte geräuschvoll auf sein Bett hatte fallen lassen, raffte Dulnikker seinen Mut zusammen und sprach seinen Zimmergenossen an:
»Entschuldige, Mischa, daß ich dich zu so später Stunde störe, da du bestimmt erschöpft bist, aber vielleicht könntest du mir sagen, ob ihr die Kühe kollektiv melkt oder jeder Farmer seine Kühe persönlich melkt?«
»Wer?« fragte Mischa. Diese prompte, wenn auch etwas unklare Antwort ermutigte den Staatsmann, weiterzureden, um an den Kern der Sache heranzukommen. Das laute Schnarchen des Kuhhirten setzte jedoch seinen Hoffnungen ein Ende. »Primitiver Esel«, zischte Dulnikker in die bedrückende Dunkelheit und versuchte, ein bißchen zu sich selbst zu sprechen. Aber bald war er gezwungen aufzuhören, weil er entdeckte, daß er es nicht aushielt, sich zuzuhören.
Dulnikker und sein Sekretär saßen bei einem nahrhaften Frühstück im Eßzimmer des Wirtshauses. Die Qualität der Nahrung befriedigte beide; sie beanstandeten einzig, daß Malka mit zuviel Kümmel kochte. Auch waren sie durch das an sie gerichtete Ersuchen leicht verstört, mit dem Wasser zu sparen, da dieser Gebrauchsartikel wegen der großen Höhenlage nur in beschränkter Menge in das Dorf gepumpt wurde.
Ein junger, ausgemergelter Bursche in Schwarz mit einem schütteren Bart tauchte oft in der Küche auf und spähte in die Töpfe und Pfannen. Dulnikker fragte den dicken Elifas, was da vor sich gehe, und erhielt hierauf die Auskunft, daß der Ausgemergelte der Dorfschächter sei, der die Küche persönlich überwache.
»Heißt das, daß Sie koscher kochen?« fragte Dulnikker.
»Nein«, erwiderte der Wirt, »warum sollte es koscher sein?«
»Aber warum«, fragte Dulnikker hartnäckig, »warum muß dann die Küche vom Schächter überwacht werden?«
»Weil kein Rabbi in ein so kleines Dorf käme.«
»Ich werde noch verrückt in diesem Loch«, sagte Dulnikker zu seinem Sekretär. »Kannst du das verstehen?«
»Natürlich«, sagte Zev. »Sie halten das als ein Symbol dessen aufrecht, was ihre frommen Vorfahren in Rosinesco zu tun pflegten. Übrigens überwacht der Schächter nicht nur die Küche, er ist auch der Dorfschulmeister.«
»Wieso weißt du das?«
»Ich habe es mit der Tochter des Schuhflickers erörtert.«
>Ich habe es erörtert? Er unterhält sich mit jemandem!< grübelte Dulnikker und hörte zu kauen auf, weil sein Mund voll des bitteren Speichels der Eifersucht war.
»Zev!« sagte er heiser. »Diese lächerliche Situation kann so nicht weitergehen! Bitte setz dich sofort mit dem Ortsrat in Verbindung und finde heraus, wie die Situation eigentlich steht. Ich verlange ja keinen offiziellen Empfang für mich, aber es gibt Grenzen!«
Zev rief den Wirt auf den Plan.
»Herr Elifas, ich möchte mit den Leitern des Ortsrates sprechen.«
»Was?« sagte Elifas erstaunt und blinzelte heftig. »So was gibt’s hier nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil einfach keiner da ist.«
»Meine Herren«, sagte Dulnikker tadelnd zu ihm, »wir fragen Sie, wer die Angelegenheiten dieses Dorfes leitet!«
»Malka!« rief Elifas. »Komm her, meine Liebe; sie reden schon wieder unverständlich.«
Dulnikker führte das Gespräch mit bemerkenswerter Selbstbeherrschung, wiederholte seine Frage in Gegenwart der Frau und betonte deutlich jede Silbe.
»Also, Madame, wer kümmert sich um die Dorfaffären?«
»Wir haben keine solchen Affären.«
»Heiliger Himmel!« brüllte Dulnikker. »Gibt es denn niemanden hier, der alles richtet, der zum Beispiel die Dorfbewohner informiert, wann, sagen wir, der Tnuva-Lastwagen fällig ist?«
»Das richtet niemand im besonderen«, erwiderte Malka. »Der Barbier sagt es den Bauern beim Rasieren.«
Noch am selben Abend ging Dulnikker zum Barbier. Um die Wahrheit zu sagen, angesichts der Tatsache, daß sein elektrischer Rasierapparat zuunterst im Schrank lag, rechtfertigte sein zwei Tage alter Bart seinen Entschluß. Der Barbierladen befand sich neben dem Wirtshaus, im Vorderteil des Hauses von Barbier Salman Hassidoff. Dulnikker war deprimiert, als er den Barbierladen betrat, obwohl sein
Zahnweh wunderbarerweise in der Nacht vorher verschwunden war, als er entdeckt hatte, daß seine unteren Backenzähne links ja alle falsch waren.
In dem kleinen Barbierladen drängten sich ungefähr ein Dutzend Bauern auf einigen Bänken zusammen und warteten in einem Schweigen, das üblicherweise nicht zu Barbierläden gehört. Der magere Schächter stand in einer Ecke des Ladens und betete in einem flüsternden Singsang, während sein hagerer Körper vor und zurück schwankte: Die wartenden Kunden bildeten sein Quorum. Der Staatsmann setzte sich ans Ende der letzten Bank, ohne auch nur irgendeine menschliche Reaktion hervorzurufen. Kurz darauf kam der breitschultrige Schuhflicker herein - Dulnikker bemerkte zum erstenmal, daß er hinkte - und sagte zum Barbier:
»Zwei Schachteln Holznägel Nr. 3.«
Der Barbier, klein, untersetzt und völlig kahl, gab mit einem Nicken zu verstehen, daß er gehört hatte, und schrieb etwas in ein dickes Notizbuch. Der Schuhflicker nickte und setzte sich wortlos neben Dulnikker. >Und wenn du dich auf den Kopf stellst, ich sag kein Wort zu dir!< sprach der Staatsmann stumm seine Verurteilung aus, weil er dem Kerl sein aufrührerisches Benehmen nicht vergessen konnte.
»Mein Freund«, wandte er sich an den Schuhflicker, »sind Sie der Dorfschuster?«
»Ja.«
»Warum haben Sie dann, wenn ich fragen darf, ausgerechnet den Barbier um Holznägel gebeten?«
»Für Reparaturen.«
Wieder senkte sich das drückende Schweigen über die gewandten Sprecher, und Dulnikker konnte in jedem Glied spüren, wie sein Blutdruck hemmungslos stieg und stieg. Plötzlich stand der Staatsmann auf und überraschte die Bauern mit der Bitte, ihn vorzulassen, weil ihm schwindlig sei. Sie waren alle, etwas verblüfft, einverstanden, und der Staatsmann setzte sich vor den erblindeten und verzerrenden Spiegel über dem schaumgefüllten Becken.
»Rasieren? Haarschneiden?« fragte der Barbier.
»Natürlich nur rasieren, mein Freund«, erwiderte Dulnikker und fuhr sich mit der Hand über die vereinzelten grauen Haarsträhnen auf dem Kopf. »Aber bitte, schleifen Sie Ihr Rasiermesser, weil ich einen harten Bart habe. Ehrlich gesagt, bin ich es gewöhnt, mich mit einem elektrischen Rasierapparat zu rasieren, daher könnte meine Gesichtshaut empfindlich auf ein Rasiermesser reagieren. Aber das ist unwichtig. Mit der Zeit werden wir das schon überwinden. Warum verlangt ihr keinen Strom, mein Freund?«
»Wir verlangen«, erwiderte der Barbier und seifte den Staatsmann mit schnellen Pinselstrichen ein.
»Wann habt ihr verlangt, wenn ich fragen darf?«
»Jedes Jahr, seit den letzten fünfundzwanzig Jahren.«
»Und?«
»Es wird erwogen.«
»Jetzt geht nicht herum und verurteilt die Regierung, Genossen!«
Hier erhob Dulnikker die Stimme und ignorierte den Schaum, der ihm in den Mund geriet. »Die Regierung unternimmt die höchsten Anstrengungen in allem, was die Entwicklung der unterentwickelten Gebiete betrifft. Natürlich ist hier weder die Zeit noch der Ort, die Frage zu prüfen, aber ich werde versuchen, euch die wahre Situation sehr kurzgefaßt zu erklären. Nun, die Frage ist die: Was hat Vorrang, die Entwicklung des Industriepotentials oder die Bedürfnisse der Bevölkerung? Mich dünkt - beides!«
»Fertig«, sagte der Barbier und wischte dem Staatsmann das Gesicht ab.
»Schön«, sagte Dulnikker, »dann Haarschneiden auch. Also, wie ich gesagt habe ...«
»Tut mir leid, mein Herr, dazu habe ich keine Zeit.«
Als der Staatsmann den Barbierladen verlassen hatte - ohne Haarschnitt -, verfiel der Laden wieder in seine vorherige Stille. Die Bauern saßen auf den Bänken und rauchten friedlich ihre Pfeife.
»Wer ist das?« fragte ein neugieriger Bursche nach einer Weile, und man sagte ihm: »Er wohnt im Wirtshaus, kein Mensch weiß, warum.«
»Ist mit Koffern gekommen«, unterbrach der Schächter eine Sekunde lang sein Beten.
»Es heißt, er ist irgendein Schauspieler«, bemerkte jemand. »Er deklamiert Gedichte.«
»Er ist krank«, meinte der Schächter, »und der Junge pflegt ihn.«
In dem Punkt waren sie alle einer Meinung.
»Sein Krankenwärter schläft in meinem Haus«, informierte sie der Schuhflicker. »Er erzählte meiner Tochter, daß der Alte ein großer Politiker oder so ist.«
»Politiker-oder-so?« staunten sie. »Warum?«
Etwas Grundlegendes war da nicht klar.
»Was ist eigentlich«, fragte endlich jemand, »ein Politikeroder-so?«
»Ein Mensch«, meinte der Barbier, »der Befehle gibt. Fast wie ein Ingenieur.«
»Bestimmt besitzt er Grund und Boden.«
»Ich kenne die Art«, sagte der Schuhflicker. »Sie verpachten ihren Boden, dann gehen sie hin und lassen sich’s gut gehen.«
»Jedenfalls«, bemerkte der Schächter, »hoffe ich, er fährt bald heim. Er ist lästig.«
»Stimmt«, versicherten die Versammelten, »er ist lästig.«
Dulnikker überquerte die Straße mit jener eisernen Entschlossenheit, die alle seine schicksalhaften Entschlüsse begleitete, und platzte ohne anzuklopfen in das Haus des Schuhflickers. Bei seinem Eintritt traf er den Sekretär in einer Ecke des Wohnzimmers mitten in einem höchst persönlichen Zwiegespräch mit einer jungen Blonden an. Das Auftauchen des Staatsmannes ließ zwischen den beiden jungen Leuten eine kleine Lücke entstehen. Der Sekretär setzte hastig wieder seine Brille auf, aber die Blonde mit dem Babygesicht starrte Zev weiter an, als sei er ein junger Gott in Person. Das befriedigte Lächeln auf ihren Lippen erregte aus irgendeinem Grund die Wut des Staatsmannes. Mit einer energischen Geste winkte er seinen Sekretär heran.
»Zev«, flüsterte er ihm zu, »ich bin nicht bereit, auch nur einen Tag länger in diesem Sauloch zu verbringen, wo selbst die Friseure taubstumm sind! Von mir aus kannst du ja dableiben, wenn du willst. Falls du aber Lust hast mitzukommen, pack sofort deine Sachen, mein Freund. Morgen früh fahren wir!«
»Meine Sachen sind bereits gepackt!« Zev lachte herzlich, und ohne die düster dreinblickende junge Dame zu beachten, eilte er mit Dulnikker zum Wirtshaus.
»Das Dorf hat ein entsetzlich niedriges politisches Niveau«, erklärte der Staatsmann die Faktoren seines Entschlusses. »Mit vierzig Jahren Intellektualität, Programmerstellung und Funktionärsleben hinter mir kann man mich nicht zwingen, meine unschätzbare Zeit mitten in einem Haufen ungebildeter Nullen zu verbringen! In diesem Loch gibt’s ja nicht einmal Strom, geschweige denn eine einzige Zeitung!«
»Endlich!« Zev seufzte erleichtert auf. »Morgen nachmittag werde ich für uns Zimmer in irgendeinem schicken Schweizer Hotel reservieren.«
»Einverstanden«, erklärte Dulnikker, »aber sei nicht überrascht, mein Freund, wenn ich in Zukunft in Sachen Ferien und Genesungsurlaub deinen Rat nicht mehr beachte.«
Der Sekretär schwieg, wohl wissend, daß zu solchen Zeiten auch nur ein einziges übereiltes Wort alles verderben konnte. In bester Laune - am Horizont winkte die Freiheit - packten sie miteinander Dulnikkers Habe zusammen. Dann hüpfte Zev eilig die Treppe hinunter, um mit Elifas abzurechnen. Ehrlich gesagt, verriet der Wirt unverkennbare Zeichen der Erleichterung, als er den Sekretär ihre Abreise verkünden hörte.
»Großartig«, sagte er. »Alles Gute Ihnen, Herr Krankenwärter.«
Der Sekretär hielt sich nicht lange mit Verabschiedungen auf, sondern erkundigte sich ungeduldig, wo man im Dorf telefonieren könne.
»Telefonieren?« Elifas begann wieder zu blinzeln. »Was meinen Sie damit?«
Zev erbleichte auf der Stelle. In ihrer großen Freude, trunken vor Abschiedswonne, hatten sie offensichtlich ein paar Kleinigkeiten übersehen.
»Wie kann ich einen Brief von hier absenden?« fragte Zev zögernd. Elifas klärte die Sache auf, daß sie seit nunmehr fast zwanzig Jahren keine postalische Verbindung mehr mit der Außenwelt hatten. Vorher war immer zweimal im Jahr jemand nach Safad gefahren, um die Post von draußen abzuholen, aber schließlich hatten sie diese überflüssige Dienstleistung aufgelassen.
»Danke«, flüsterte der Sekretär und schleppte sich schwer die Treppe hinauf.
In der folgenden Nacht schlüpfte Dulnikker um halb zwei aus dem Bett, in das er sich angezogen gelegt hatte, und ging auf Fußspitzen auf die Straße hinunter. Sein Sekretär erwartete ihn bereits hinter einer Linde versteckt. Beide waren - unter emotionalem Druck - so gespannt und aufgeregt, daß sie einander feierlich die Hand drückten, etwas, das sie noch nie getan hatten.
»Gehen Sie zurück, Dulnikker«, flüsterte Zev, »ich kümmere mich selbst darum.«
»Nicht daran zu denken«, erwiderte der Staatsmann. »Ich will sichergehen, daß alles laut Plan klappt.«
Beim Vollmondschein - wie das bei solchen Vorgängen üblich ist - huschten sie von Baum zu Baum bis zum Rand des Dorfes. Bevor sie jedoch die letzten Häuser hinter sich gelassen hatten, brach zorniges Gebell los, und zwei Dorfhunde schlossen sich ihnen an. Dulnikker konnte Hunde nie ausstehen, besonders seit dem Vorjahr, als ihn der Terrier des persischen Delegierten bei der Asiatischen Landwirtschaftskonferenz gebissen hatte. Jetzt, mitten in der Nacht, war er einfach wütend. Er begann die bellenden Kreaturen mit Rasenstücken zu bewerfen und verfluchte sie in den abscheulichsten Ausdrücken, bis die lärmenden Tiere am Ende des Dorfes umkehrten und mit eingezogenem Schwanz zu ihren Häusern zurückzogen.
»Immer muß ich alles selber machen!« sagte Dulnikker vorwurfsvoll zu seinem Sekretär. Als sie zum Lagerhaus kamen, atmeten sie freier. Die Tauben schliefen friedlich in ihrem Taubenschlag und plusterten sich im Schlaf gelegentlich mit einem freundlichen Gurren auf. Dulnikker zog den Zettel aus der Tasche und las ihn noch einmal durch:
Hilfe! Sendet sofort Wagen. Es geht auf Tod und Leben!
Amitz Dulnikker
»Soll ich hinzufügen, daß auch Reporter mitkommen sollen?« fragte er Zev, der bereits langsam die Leiter emporkletterte.
Zev brachte ihn nervös zum Schweigen, indem er sagte, Reporter würden ohnehin kommen. Dulnikker starrte liebevoll die hübschen Tauben an, in denen er die Boten der Erlösung aus der Falle namens >Kimmelquell< erblickte. Inzwischen öffnete sein Sekretär das Türchen des Taubenschlags, fing mit zitternder Hand eine der Tauben und zog sie heraus. Der überraschte Vogel begann mit den Flügeln zu schlagen, und der Sekretär purzelte fast von der Leiter. Er brachte die Taube dem Staatsmann hinunter, sie banden ihr den Zettel ans Bein und ließen sie los.
»Kleines Vögelchen, Vögelchen!« flüsterte der Sekretär und warf den Vogel in die Luft. Aber die treue Taube kehrte auf seine Schulter zurück. Dulnikker, der vor Aufregung fast platzte, brach einen dünnen Zweig von einer Hecke und versuchte mit ihm, den goldigen Vogel wegzuscheuchen.
»Flieg, Vögelchen, flieg! Wenn nicht, bring’ ich dich um!« drohte er der Taube und fuchtelte ihr mit seinem Zweig vor dem Schnabel herum, bis schließlich der Lagerhauswächter durch die seltsamen Geräusche geweckt wurde und aus seiner Wohnung im Hinterhaus herauskam.
»Was geht hier vor?« schrie er, während er seine Hose festband.
Sein plötzliches Auftauchen änderte das Gleichgewicht der Kräfte völlig. Die erschrockene Taube stieg auf und verschwand in der Finsternis, während sich die beiden Verbrecher so tief wie möglich duckten und ins Dorf zurück entwichen. Das Geschrei des Wächters beschleunigte ihren Lauf, so daß sie sich ihren eigenen Pfad durch die stacheligen Heckenzäune bahnten. Nach einer Viertelstunde stummen Kampfes gegen die zerstörenden Kräfte der Natur blieben die beiden Flüchtenden stehen und blickten zurück, nur um zu entdecken, daß sie, statt gegen Dornen anzukämpfen, die Straße hätten hinunterlaufen können, die parallel und nur wenige Schritte entfernt von ihrem Weg verlief.
»Ich kann einfach nicht verstehen, warum du das nicht selber hättest tun können!« beklagte sich Dulnikker bei seinem Sekretär. »Muß ein alter Mann von fast siebzig Jahren wirklich solche Aufregungen mitmachen?«
Der Sekretär reinigte keuchend seine Brille vom Schlamm und sagte nichts. Sie trennten sich in einer Atmosphäre stummer Feindseligkeit. Dulnikker kroch fast die Holztreppe hinauf. Er öffnete die Tür, hinkte zum Bett, und ohne die Schuhe auszuziehen, ließ er sich total erschöpft mit dem Gesicht nach unten darauffallen. Unverzüglich umfingen ihn zwei warme Arme, und eine erschrockene Stimme flüsterte ihm ins Ohr: »Mein Mann ist da!«
Wenige Sekunden später wurde neben dem Bett ein Streichholz angezündet, eine Männerhand packte Dulnikker und zog ihn unwiderstehlich geradewegs zur Tür. Dann versetzte Elifas Hermanowitsch dem Staatsmann einen Fußtritt in den Hintern und warf ihn wirbelnd die Treppe hinunter.
Dulnikker fiel vor der Küchentür flach auf den Boden und schlief auf der Stelle ein.
Es war die erste Nacht, in der Dulnikker geschlafen hatte. Der Staatsmann lag als ein Haufen am Fuß der Treppe und schlief ohne eine einzige Pille tief und gesund, bis er ungefähr bei Sonnenaufgang durch das sanfte Streicheln seines zerzausten Haares geweckt wurde. Malka, die früh aufgestanden war, um die Kühe zu melken, war in der Finsternis über Dulnikker gestolpert.
»Herr Dulnikker, Herr Dulnikker«, hauchte sie ihm warm ins Ohr, »ich hoffe, Sie haben sich nicht schlimm wehgetan.«
Der Staatsmann öffnete die Augen, konnte sich aber nicht zusammenreimen, was los war. Er warf der Frau einen äußerst törichten Blick zu und versuchte aufzustehen; aber wenn er auch nur eines seiner angeschlagenen Glieder rührte, gab es ihm einen schmerzhaften Stich.
»Heiliger Himmel!« staunte Malka, als sie den zerrissenen und zerlumpten Anzug des Staatsmannes bemerkte. »Sie schauen ja gräßlich aus, Herr Dulnikker! Ich habe nicht gewußt, daß ihr so wild gerauft habt! Oj, ihr Männer, ihr Männer!« Sie seufzte befriedigt. »Ihr seid doch alle gleich.«
»Madame«, stammelte Dulnikker, »erlauben Sie mir, diesen verhängnisvollen Irrtum aufzuklären ...«
»Da gibt’s nichts aufzuklären, Herr Dulnikker«, sagte Malka lächelnd. »Das nächste Mal werden Sie vorsichtiger sein und es mir vorher sagen. Wie kann ein Mann in Ihrem Alter so verrückt sein?«
Ein seltsames Zittern durchlief den Staatsmann, ein undeutliches, perlendes Gefühl, anders als alles, was er seit mehr als dreißig Jahren erlebt hatte; das heißt, seit jenem
Augenblick, als er zum regionalen Parteisekretär ernannt worden war. Vorher war sein jugendlicher Geist intakt und er imstande gewesen, den jungen Damen Zeit zuzuteilen. Seit jener Ernennung hatte jedoch der Gegenstand für ihn zu existieren aufgehört. Dulnikker pflegte bei jedem gewagten Witz, der in der Parteihierarchie erzählt wurde, herzlich zu lachen, aber dieser ganze Sektor des Lebens hatte in seinem Gemüt eine absolut abstrakte Eigenschaft angenommen. >Und jetzt glaubt dieses große, dicke Frauenzimmer - schlimmer, ist überzeugt -, daß ich ...< Dulnikker betrachtete Malka von einem funkelnagelneuen Gesichtspunkt aus: Nein, man hätte nicht geglaubt, daß sie Zwillinge geboren hatte. Plötzlich wurde der Staatsmann von dem Wunsch gepackt, der Frau etwas Süßes und dennoch sehr Geistreiches zu sagen.
»Es hat nichts zu bedeuten«, murmelte er schließlich. »Was war, das war.«
Malka begrüßte diese einfallslose Bemerkung mit einem verständnisvollen Lächeln, legte ihre vollen, runden Arme um Dulnikker und zog ihn hoch. Unter stechenden Schmerzen kletterte der Staatsmann, an die schwingenden Hüften der Frau gelehnt, die Treppe hoch. Mischa, der Kuhhirte, schlief noch immer. Malka ging zum Bett des Staatsmannes und schlug es auf. Plötzlich dämmerte es Dulnikker, daß noch nie eine Frau in seiner Gegenwart ein Bett gemacht hatte. Dann fiel ihm freilich ein, daß Gula genau das Abend für Abend seit Dutzenden von Jahren machte. Schließlich fuhr ihm die idiotische Vorstellung durch den Kopf, daß seine Frau ein Mann sei. Aus irgendeinem Grund versuchte er ein Bild heraufzubeschwören, wie Gula vor ihrer Ehe ausgesehen hatte, und entdeckte, daß er sich eine völlig Fremde vorstellte.
»Ich danke Ihnen aus Herzensgrund, Madame.«
»Nennen Sie mich Malka.«
Wieder erschien das gleiche alberne Lächeln in Dulnikkers Gesicht. Er bedeckte das Knie mit der rechten Hand, weil dort ein ziemlich großes Stück Stoff fehlte.
»Elifas ist ein reißendes Tier«, versicherte ihm die Frau. »Ich schlage vor, Sie lügen ihn an und sagen, Sie seien irrtümlich in mein Zimmer gekommen.«
Nachdem die Frau gegangen war, ging der Staatsmann wieder schlafen, und als ihn die Sonne weckte, war er allein im Zimmer. Trotz seiner immer schlimmer werdenden Schmerzen stand Dulnikker auf und wusch sich hastig in der Tonschüssel, die der Wirt für ihn besorgt hatte. Dann ging er wieder ins Bett, um stumm zu leiden. Das Auftauchen von Elifas unterbrach seine seltsamen Gedanken.
»Ich wollte Ihnen wirklich nicht weh tun, mein Herr«, entschuldigte sich der dicke Mann, als er ängstlich das zerschundene, bös zugerichtete Gesicht seines Opfers betrachtete. »Ich bin vielleicht ein bißchen hitzig, wo es um meine Frau geht.«
»Meine Herren«, erwiderte Dulnikker, »seien Sie versichert, daß ich Ihr Zimmer irrtümlich betrat, weil ich es irrtümlich für das meine hielt.«
Nein, das war nicht überzeugend! Der Staatsmann spürte, daß das alles schrecklich falsch klang. >Was kann ich tun?< sagte er sich. >Ich kann eben nicht lügen! Ich bin zu ehrlich.< Also beeilte er sich, den Wirt zu fragen, wie es seinem Sekretär gehe.
»He, Kinder«, rief Elifas aus dem Fenster, »ist der Krankenwärter des Herrn schon da?«
»Er ist nicht mein Krankenwärter«, verbesserte ihn Dulnikker. »Er ist mein Privatsekretär.«
»Ihr Sekretär?« fragte Elifas verständnislos. »Was meinen Sie mit >Sekretär<?« »Wollen Sie jetzt bitte einen Arzt rufen.« Dulnikker schloß müde die Augen. Elifas richtete ihm emsig die Kopfkissen und ging auf Fußspitzen hinaus. Sofort schlichen die Zwillinge herein und begannen ihr Ritual des Anstarrens. Dulnikker beschloß, die Provokation zu ignorieren und so zu tun, als schliefe er. Bald hörte er zwei Kinderstimmen:
»Er heißt Dulnikker.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Der Papa sagt, er ist fast ein Ingenieur.«
»Wann ingenieurt er?«
»Wenn er redet.«
Das Gehirn des Staatsmannes arbeitete auf vollen Touren, aber er war nicht imstande, sich aus dem Gespräch etwas zusammenzureimen. Zu seiner großen Erleichterung verscheuchte Zev die Kleinen, als er eintrat. Er trug ein mit Leckerbissen beladenes Tablett, das er vor Dulnikker hinsetzte.
»Empfehlungen von Frau Malka«, berichtete er. »Aber Sie sehen ja wie ein Wrack aus, Dulnikker! Sind Sie wirklich die Treppe heruntergefallen?«
Der Staatsmann empfand einen seltsamen flüchtigen Wunsch, seinen Sekretär zu empören und zu verblüffen. Er zog Zev dicht an sich heran:
»Ich kehrte etwas deprimiert heim, als ich heute nacht zurückkam«, flüsterte er schalkhaft. »Kurz gesagt, ich ging in Malkas Zimmer.«
»Ich verstehe«, reagierte der Sekretär sofort. »Sie haben sich im Zimmer geirrt, Dulnikker.«
»Der Schmerz ist unerträglich«, stöhnte der leidende Staatsmann. »Ich wußte ja gleich, daß das so enden würde. Ich hoffe nur, daß uns der Wächter nicht erkannt hat.«
»Ich glaube, schon.«
»Guter Gott!« sagte Dulnikker aufs äußerste beunruhigt. »Wir müssen sofort ein Dementi veröffentlichen. Wieso glaubst du das?«
»Nun ja, er brachte heute morgen drei Tauben in die Küche, Dulnikker, damit Sie nicht gehen und sie bei Nacht stehlen müssen .«
Im Zimmer herrschte Stille, nur durch das Schmatzen von Dulnikkers Lippen und das Malmen seiner Backenzähne unterbrochen.
»Seien wir objektiv«, meinte der Staatsmann nach einer nachdenklichen Weile. »So wie die Dinge stehen, war es sehr nett vom Wächter, mir ein so hübsches Geschenk zu bringen. Außerdem mußt du zugeben, daß die Dorfbewohner größtenteils wohlmeinende Juden sind, die - herrschte nicht die Finsternis des Mittelalters in ihnen -, glaube ich, eine solide, ordentliche Gesellschaft in diesem Waldwinkel schaffen könnten .«
»Hauptsache«, bemerkte Zev, Gefahr witternd, »Hauptsache, unsere Taube kommt bald in der Tnuva-Zentrale an.«
»Ich glaube, daß eine bloße Diagnose des Leidens nicht genügt«, fuhr Dulnikker unbeirrt fort. »Ich sage euch, Genossen, ein Minimum an elementaren politischen Begriffen in diese Unglückseligen einzuimpfen - das ist eine Aufgabe, ein wirklicher Schöpfungsakt. Unterbrich mich bitte nicht, mein guter Freund, ich weiß genau, was du sagen willst. Natürlich habe ich nicht vor, diesen primitiven Juden ein Parteiprogramm zu schenken. Aber ich wünsche wirklich, diesen Genossen eine Anzahl soziologischer und staatspolitischer Begriffe beizubringen. Ich denke dabei an ein Seminar in kleinem Maßstab, Zev, mein Freund, nichts sonst. Und jetzt möchte ich gern deine Meinung hören.«
Amitz Dulnikker richtete sich mit dem gewissen >tatkräftigen Funkeln< in den Augen - wie das seine Kollegen nannten - im Bett auf.
»Hören Sie, Dulnikker«, sagte Zev. »Die Idee hat was für sich, aber traurigerweise fahren wir demnächst fort.«
»Und inzwischen soll ich nichts tun?« fragte der Staatsmann anmaßend. »Nein, mein Freund. Eine vollständige politische Erziehung kann ich ihnen nicht angedeihen lassen, aber wenn es mir gelänge, das Dorf seiner ideologischen Genesung auch nur einen Schritt näherzubringen, war meine Mühe nicht umsonst.«
»Bravo!« rief der Sekretär und packte die schwitzige Hand des Staatsmannes mit einem männlichen harten Griff. Dulnikker errötete leicht, wie immer, wenn er das Gefühl hatte, daß er seinem Ruf gerecht geworden war.
Als der Arzt kam, hatte Dulnikker schon das Bett verlassen und bemühte sich, im Zimmer auf und ab zu gehen. Der Arzt, ein glattrasierter Mann mittleren Alters, begrüßte ihn freundlich.
»Hermann Spiegel«, stellte er sich vor. »Ich bin wirklich froh, den Ingenieur persönlich kennenzulernen.«
»Ich bin kein Ingenieur«, erwiderte der Staatsmann. »Ich heiße Amitz Dulnikker!«
Der Name sagte dem Arzt nichts. Er bat Dulnikker, sich flach auf dem Rücken auszustrecken, betrachtete dann lange seine Fingernägel, spähte in seine Ohren und öffnete schließlich Dulnikkers Mund zu einer schnellen Besichtigung seiner faulenden Zähne.
»Sie sind sechzig, äh?«
Dulnikker war sprachlos. Als man vor kurzem seinen 58. Geburtstag zum zweitenmal gefeiert hatte, war er 61 gewesen.
Er hielt sich jedoch nur für 55, obwohl er in Wirklichkeit über 67 war. Insgeheim hatte er beschlossen, Anfang des nächsten Jahres seinen 65. Geburtstag zu feiern.
»Ich habe unmenschliche Schmerzen, Doktor Spiegel«, klagte er. Der Arzt legte ihm die Hand auf den Nacken.
»Sie sind Internist?« fragte Dulnikker.
»Nein, Tierarzt.«
»Was haben Sie gesagt?« donnerte der Staatsmann. »Hat denn dieser Ort keinen Menschendoktor?«
»Natürlich nicht!« donnerte Hermann Spiegel zurück. »Wer wäre schon so verrückt, in dieses erbärmliche Dorf zu kommen?«
Der Tierarzt nahm sofort die Gelegenheit wahr und erzählte Dulnikker die betrübliche Geschichte seines Pechs. Man hatte ihn nach Ausbruch einer Maul- und Klauenseuche nach Kimmelquell gehetzt. Hier verliebte er sich auf den ersten Blick in eine der Dorfwitwen, und der Schächter hatte sie unverzüglich getraut. Inzwischen war jedoch der Tnuva-Lastwagen abgefahren.
»Und so bin ich in diesem verdammten Nest hängengeblieben«, goß Hermann Spiegel sein Herz aus. »Dabei bin ich ein echter westeuropäischer Intellektueller, und die Leute hier sind die reinsten Tiere. Ich mache keine Besuche, ich habe keine Freunde; ich kann mich nicht an die Verhältnisse in diesem Dorf gewöhnen.«
»Wie lange sind Sie schon hier?«
»Dreißig Jahre. Und woher sind Sie, Herr Ingenieur?«
»Ich bin kein Ingenieur«, sagte Dulnikker. »Ich heiße Amitz Dulnikker!« Die deutliche Aussprache seines Namens trug gesegnete Früchte.
»Guter Himmel!« rief der Tierarzt aufgeregt aus. »Sind Sie wirklich Dulnikker?«
Ja - das war dasselbe süß-schwindlige Gefühl, das ihm so lange versagt geblieben war: Jemanden atemlos zu sehen und sich seiner schmeichelhaften Verwirrung zu erfreuen.
»Also, das ist unglaublich!« Hermann Spiegel war begeistert. »Da sind Sie also ein Verwandter des Optikers Dulnikker aus Frankfurt am Main?«
»Nein!« Der Staatsmann machte sich aus der Umarmung Spiegels frei. »Ich bin mit keinem Optiker verwandt! Ich habe nur Verwandte!«
Der Tierarzt wies den Staatsmann an, eine Woche im Bett zu bleiben und seine heilenden Glieder mit kalten Umschlägen zu behandeln. Er verbot ihm, zuviel Wasser zu trinken, weil das seinen Magen aufschwellen lassen könnte. In den folgenden Tagen genoß Dulnikker Malkas hingebungsvolle Pflege. Sie strahlte vor schmeichelnder Bewunderung für den Mann, der um ihretwillen ein solches Risiko auf sich genommen hatte. Jedesmal, wenn sie mit dem Staatsmann sprach, enthielt ihr Lächeln etwas wie eine geheimnisvolle Ermutigung, und ihre flinken Finger ließen Dulnikkers Blut jedesmal prickeln, wenn sie seine Verbände wechselte.
Abgesehen davon fühlte sich der Staatsmann nicht wohl, an seine harte Matratze gefesselt zu sein. Jedermann kannte seine legendäre, angestrengte, überströmende Energie - die angeborene Fähigkeit >Dulnikkers, der Maschine< für die er sich selbst gern hielt. Und mit Ausnahme seiner häufigen Herzanfälle lag Dulnikker nie krank im Bett. Nur einmal, vor langer, langer Zeit, als er noch der junge Leiter einer neuen Zementfabrik war, war er gezwungen gewesen, seine Tätigkeit einige Tage wegen eines Magengeschwürs zu unterbrechen. An sein Bett gefesselt, hatte sich Dulnikker fast verzehrt vor Sorge, daß das Produktionsniveau unter seiner Abwesenheit leiden könnte. Er flehte seine Mitdirektoren an, es ihn unverzüglich und sofort wissen zu lassen, sollte die
Produktionskurve - Gott behüte - einen Trend nach unten zeigen, in welchem Fall er selbst noch aus dem Grab in die Fabrik zurückkehren würde, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Dulnikker blieb einen Monat im Krankenhaus, während die Produktion um acht Prozent anstieg. Seither war er nie wieder krank geworden.
Es war daher nicht überraschend, daß der Staatsmann nicht durchhalten konnte. Sein erhabenes Ziel - die Erziehung des Dorfes - brachte ihn schnell auf die Beine. Am dritten Tag war Dulnikker aus dem Bett und begab sich auf die Straße, wo ihn Zev mit einem wartenden Pferd und einem zweirädrigen Wagen überraschte. Es war derselbe Karren, der dem stummen Pfeifenraucher gehörte. Der Sekretär hatte das Gefährt für zwei Wochen von ihm gemietet. Es wurde bald klar, daß das Holpern des bäuerlichen Fahrzeugs dem Staatsmann große Schmerzen verursachte, und daher zog es Dulnikker vor, zu Fuß dahinzuhinken, während ihm der Karren langsam folgte.
Der Staatsmann zog bald einige Aufmerksamkeit auf sich, weil er - wie das Gerücht verlautete - mit seinem Krankenwärter zusammen versucht hatte, für die Frau von Elifas Hermanowitsch eine Taube zu stehlen. Die Bauern drückten ihre Hochachtung dadurch aus, daß sie Dulnikker zunickten, wenn sie auf der Straße an ihm vorbeikamen. Darüber hinaus aber blieben sie dieselben friedlichen Leute, deren gemessener Schritt ihn so sehr erbitterte.
»Selbstgefälligkeit«, versicherte Dulnikker seinem Sekretär auf einem ihrer Spaziergänge. »Es ist klar, daß sie in dem Sumpf der kollektiven Apathie versinken. Einer einzigen starken Persönlichkeit, in der der gewisse Funke der Führernatur lebt, könnte es gelingen, ein bißchen Gärung in dem Dorf zu erzeugen. Aber wer sollte das sein? Vielleicht der Schuhflicker?«
»Wie soll ich das wissen?« erwiderte der Sekretär gleichgültig. »Jedenfalls ist seine Tochter recht lebhaft.«
»Dir, mein fauler Freund, geht es nur um dein Vergnügen«, sagte Dulnikker wütend. »Immer muß ich alles selber machen!«
An diesem Punkt kehrte der Staatsmann seinem Sekretär den Rücken und betrat gleich darauf den Schusterladen. Zev setzte sich unter eine große Linde, riß einen Grashalm ab, legte ihn quer über seine gespitzten Lippen und begann auf ihm zu blasen. Er hatte sich noch nie so gelangweilt wie in den letzten paar Tagen.
Der Laden Zemach Gurewitschs war nichts als ein kleiner Raum an der Seite seines Hauses und enthielt einen Tisch, zwei Schemel, einen Hammer, ein Stemmeisen, etwas Pech und eine Menge über den ganzen Fußboden verstreute Schuhleisten. Auf dem einen Schemel saß ein alter Mann mit einem fahlen Gesicht, der Holznägel in eine Schuhsohle trieb. Zemach Gurewitsch war soeben von seinem Feld zurückgekehrt und hatte seinen Lederschurz angelegt. Er begrüßte den Staatsmann mit einem leichten Nicken, aber der alte Mann hob kein Auge, um ihn auch nur anzusehen.
»Meine Herren«, sagte der Staatsmann zum Schuhflicker, »ich habe ein Paar gute Schuhe, aber ich möchte, daß Sie Gummiabsätze darauf geben, damit mein Schritt elastischer wird. Wenn Sie nichts dagegen haben, schicke ich Ihnen morgen meinen Sekretär mit den Schuhen herüber.«
»Habe nichts dagegen«, erwiderte der Schuhflicker, »aber nicht morgen, Herr Ingenieur.«
»Ich bin kein Ingenieur.«
»Trotzdem nicht morgen, weil ich die Absätze erst durch den Barbier bei der Tnuva bestellen muß.«
Der im taktischen Manöver so erfahrene Staatsmann ergriff sofort die sich ihm bietende Gelegenheit.
»Ich möchte wissen«, sagte er, während er Gurewitsch und seinem Gehilfen Zigaretten anbot, »warum es der Barbier sein muß, der die Warenliste aufstellt?«
Der Schuhflicker und der Alte tauschten verblüffte Blicke.
»Er stellt nichts auf«, versicherte der Schuhflicker. »Er schreibt nieder, was ihm die Leute sagen.«
»Selbst das ist eine achtbare Funktion im Dorfleben«, meinte Dulnikker. »Es liegt mir fern, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, meine Herren, aber es scheint, daß Sie, Herr Gurewitsch, die Aufgabe genauso getreu erfüllen könnten. Die Dorfbewohner besuchen nicht nur den Friseurladen. Ihre Institution, als Grundlage aller Schusterarbeit, kommt in häufigen, direkten Kontakt mit ihnen. Ist Ihnen nie eingefallen zu fragen, warum der Barbier ernannt wurde, um die Liste zu führen, und nicht Sie?«
»Ich hab’ mir darüber Gedanken gemacht, Herr Ingenieur«, gab Gurewitsch zu, »und recht ist es nicht!«
»Also dann«, begann Dulnikker seine Schnellfeuerrede, »treten Sie an das Tor des Dorfes hinaus und sagen Sie den Mitbürgern: >Auch ich bin ein Handwerker, nicht weniger als der Barbier, und auch ich will Anteil haben an der Aufstellung der Liste!< Würden Sie das tun, Genosse?«
»Nur wenn ich verrückt wäre, Herr Ingenieur«, erwiderte Gurewitsch gelassen. »Es war wirklich nicht recht von uns, dem Barbier das ganze Zeug aufzuladen. Aber von mir verlangen, mir freiwillig noch eine Arbeit auszusuchen, der jeder sonst versucht, aus dem Weg zu gehen - Sie werden schon entschuldigen, Herr Ingenieur, aber ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen.«
Woraufhin sich der Schuhflicker an seinen Tisch setzte, seinen Hammer hob und zum Staatsmann sagte:
»Sie schicken also Ihren Krankenwärter nächste Woche her, Herr Ingenieur.«
»Er ist mein Sekretär«, murmelte Dulnikker, als er den Laden verließ. Er fand seinen Krankenwärter unter der Linde ausgestreckt, auf seinem Grashalm hohe Töne blasend. Die Wut des Staatsmannes erreichte einen bisher ungeahnten Gipfel. Mit einer schnellen, wütenden Gebärde entriß er Zev den Grashalm, und während er den Sekretär die Straße mit entlang zog, erzählte er ihm die ganze schändliche Angelegenheit. Er beschloß sein Klagelied:
»Dieses Dorf verkommt hoffnungslos.«
Der Sekretär warf einen besorgten Blick auf die vorquellenden Adern des Staatsmannes.
»Nur einem zurückgebliebenen Geistesschwachen könnte es entgehen, was sich hier abspielt!« brüllte Dulnikker. »Wo ist das Dorfratsgebäude, frage ich! Wo ist die öffentliche Parkanlage, frage ich! Wo ist das Industrieviertel, frage ich! Ist es nicht abnormal, daß ein Dorf dieser Größe nicht einmal -einen Bürgermeister hat?«
»Wozu brauchen diese guten Leute einen Bürgermeister?« plädierte Zev. »Ich sehe nicht ein, warum Sie es nötig finden, sich so über sie aufzuregen.«
»Der Mensch hat ein Gewissen«, erwiderte der Staatsmann. »Was mich wirklich wurmt, ist, daß ich keine Möglichkeit finde, sie aus ihrer chronischen Dumpfheit zu ziehen - und niemand will mir dabei helfen! Ich glaube«, Dulnikker warf einen zornigen Blick auf den Karren zurück, der sie mit ohrenzerreißendem Kreischen begleitete, »ich glaube, es ist an der Zeit, daß wir dieses Transportmittel loswerden.«
»Wie Sie wünschen«, sagte der Sekretär nachdenklich, »obwohl gerade das die Lösung sein könnte.«