18

 

 

 

 

 

  

Ivy schlug den Weg zu den Doppelbrücken ein, vornübergebeugt umklammerte sie das Lenkrad und versuchte, etwas zu erkennen. Sie schaltete die Scheinwerfer an, doch der Nebel verschluckte das Licht. Der Wagen schlidderte auf die Gegenspur. Ohne mit der Wimper zu zucken, steuerte Ivy zurück.

Der Fluss, Wälder, die Straße zogen sich Kilometer um Kilometer dahin. Ivy hoffte dass Gregory und Phillip wirklich bei den Brücken waren, denn allein würde sie sie sonst niemals finden. Sie hätte Tristan gern zurückgerufen, aber er würde nicht kommen. Verzweifelt durchsuchte sie ein ums andere Mal ihre Handtasche, während sie sich durch den Nebel tastete. Vergeblich - ihr Handy hatte sie offensichtlich in der Hektik zu Huase liegen lassen. Jetzt konnte sie noch nicht einmal die Polizei alamieren. Und das Wetter wurde auch immer schlechter.

Tristan hatte natürlich recht. Sie hatte keine Waffe, es sei denn, sie zählte den rostigen Nagel mit, der in ihrem Getränkehalter klapperte. Aber sie hatte etwas, womit sie drohen konnte: Siehatte Beweisstücke bei der Polizei hinterlassen. Wenn Gregory Phillip etwas antat, müsste er sich ein paar zusätzliche Erklärungen einfallen lassen. 

Plötzlich bremste Ivy und  riss das Steuer herum, um ein Haar hätte sie die Abfahrt zur Lichtung verpasst. Ihr Herz fing wie wild zu schlagen an. Da stand Gregorys Wagen. Zu Fuß konnten sie nicht weit gekommen sein. Ivy parkte ihren Wagen rückwärts ein, so brauchte sie nicht zu wenden, um wieder auf die Straße zu fahren. Die Vordertüre ließ sie offen stehen. Falls Phillip und sie verfolgt wurden, würde sie ihren Bruder durch die offene Tür ins Wageninnere stoßen und hinterher springen. Sie suchte eilig nach einen Steinbrocken. Als sie einen fand, bückte sie sich zu Gregorys Hinterrad hinunter und schlug den rostigen Nagel mit dem Stein in den Reifen. Ivy rannte zwischen den Bäumen hindurch und kletterte auf den Bahndamm. Ein dichter tropfender Tunnel aus Bäumen schloss sie von beiden Seiten ein. Sie rannte die Schienen entlang, bis sich der grüne Tunnel plötzlich öffnete und die beiden nebeneinanderliegenden Brücken aussahen, als hingen sie vor ihr in der Luft.

Der Nebel, der vom Fluss aufstieg,verdeckte ihre hohen Stützpfeiler, das Geräusch des rauschenden Wassers war der einzige Beweis, dass der Fluß unter ihnen hindurchfloss.

Imme wieder verschwanden Brückenteile hinter Wolkenbändern, die die Stahlkonstruktion wie durchsichtige Schals verhüllten und dann weitertrieben. Im Regen und Nebel konnte man nicht erkennen, wo die alte Brücke mitten über dem Fluss aufhörte.

Bei diesem Wetter würde Gregory leichtes Spiel haben, wusste Ivy. Er brauchte Philip nur auf die Gleise zu locken und ihm einen unerwarteten Stoß zu versetzen. Was machte in Gregorys krankem Hirn schon ein weiterer »Unfall«?

Ivy konzentrierte sich auf die alten Gleise, wo Gregory angeblich Nägel für Philip gesammelt hatte. Sie suchte, bis alles vor ihren Augen verschwamm, dann sah sie zur neuen Brücke hinüber. Der Nebel lichtete sich kurz, da leuchtete etwas Rotes auf. Doch genauso schnell verdeckten es die Wolken wieder. Kurz darauf winkte ihr das Rot noch einmal von der neuen Brücke zu - es war Philips leuchtend rote Jacke.

»Philip!«, schrie sie. »Philip!«

Sie rannte die Gleise der neuen Brücke hinunter. »Bleib, wo du bist«, rief sie ihm zu, sie hatte Angst, er würde ihr entgegenlaufen und dabei stolpern und hinunterstürzen. Doch als sie näher kam, erkannte sie, dass es nur seine Jacke war, die auf den Gleisen lag. Ivy verlor den Mut, aber sie lief weiter, auch wenn sie das Schlimmste befürchtete, wollte sie nichts übersehen, was auf ihren Bruder hindeuten könnte.

Die Jacke war vom Regen durchnässt, aber sie war nicht zerrissen, lediglich an den Bündchen waren ein paar Schlammspuren - nichts deutete auf einen Kampf hin. Einen Moment lang schöpfte sie Hoffnung. Allerdings musste das nicht unbedingt auf einen Kampf hin-weisen. Vielleicht hatte Gregory Philip vorgemacht, es gehöre zum Spiel, die Jacke auszuziehen, und hatte ihn dann schnell hinuntergestoßen. Sie hob die Jacke auf und drückte sie an sich, so wie sie Ella gehalten hatte.

»Was gefunden?«

Sie wirbelte herum und hätte fast das Gleichgewicht verloren.

»Hallo, Ivy«, begrüßte Gregory sie. Im Nebel sah er wie ein grauer Schatten aus, ein dunkler Engel, der ein paar Meter von ihr entfernt auf der Brücke thronte. »Suchst du Nägel?«

»Ich suche meinen Bruder.«

»Er ist nicht hier«, erwiderte er.

»Was hast du mit ihm gemacht?«, wollte Ivy wissen.

Er grinste und ging auf sie zu. Ivy wich einige Schritte zurück, sie drückte noch immer die Jacke an sich.

»Wer ist cool genug, cool genug ...«, sang Gregory leise vor sich hin. »Cool, cool, cool?«

Ivy sah zum weit entfernten Ufer und erwartete, dass dort - wie in Philips Traum - ein Zug auftauchen würde, der sie verschlingen wollte. Sie drehte sich wieder zu Gregory. »Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte sie noch einmal, sie redete leise und versuchte, die panische Angst zu unterdrücken, die in ihr aufstieg.

Gregory lachte leise. »Wer ist cool genug, cool genug, cool genug ...?«, lockte er, dann machte er ein paar Schritte rückwärts.

Ivy folgte ihm, ihre Wut übermannte ihre Angst. »Du hast Eric umgebracht, oder?«, fragte sie. »Du hattest Angst vor dem, was er mir erzählen wollte. Es war keine zufällige Überdosis.«

Gregory wich noch einen weiteren Schritt zurück. Sie folgte ihm Schritt für Schritt.

»Du hast deinen besten Freund umgebracht«, stellte sie fest. »Und das Mädchen in Ridgefield - nachdem du mich zu Hause überfallen hast, wolltest du die Fährte verwischen. Und Caroline. So fing alles an. Du hast deine eigene Mutter umgebracht.«

Sie folgte ihm Schritt für Schritt und überlegte, was für ein Spiel er spielte. Kam ein Zug? War das das Geräusch, das sie in der Entfernung gehört hatte?

Plötzlich änderte Gregory die Richtung und ging auf sie zu. Ivy wich zurück. Sie glichen zwei Tänzern auf einem Drahtseil.

»Und Tristan auch«, schrie Ivy ihm entgegen. »Du hast Tristan umgebracht!«

»Und alles deinetwegen«, entgegnete er. Seine Stimme war ebenso weich und unheimlich wie die vorbeitreibenden Nebelschwaden. »Du solltest sterben und nicht Tristan. Du solltest sterben und nicht das Mädchen in Ridgefield -«.

Das Pfeifen eines Zugs war zu hören, Ivy drehte sich schnell um.

Gregory fing laut zu lachen an. »Sprich lieber dein Gebet, Ivy. Ich habe zwar Geschichten darüber gehört, dass Tristan ein Engel geworden sein soll, aber bisher hat niemand einen schimmernden Eric gesehen. Hoffentlich warst du ein artiges Mädchen.«

Noch einmal erklang das laute Pfeifen des Zuges, schriller, näher. Ob sie es rechtzeitig ans andere Ufer schaffen würde? Sie konnte den Zug hören, der nun zwischen den Bäumen hindurchratterte, ganz in der Nähe, schon fast am Fluss.

Gregory ging Schritt für Schritt rückwärts, und Ivy ahnte, was er im Sinn hatte. Er würde sie auf der Brücke halten - zwischen sich und dem Zug. Alle würden denken, dass das Mädchen, das schon einmal verrückt genug gewesen war, sich vor den Zug zu werfen, es noch einmal versucht hätte.

Ivy folgte Gregory, während er langsam rückwärtslief. »Du bringst da was durcheinander«, sagte sie. »Es war alles wegen dir, Gregory. Du hattest Schiss, dass man dir auf die Spur kommen würde. Du hattest Angst, übergangen zu werden. Dein wirklicher Vater könnte dir nie so viel Geld geben wie Andrew.«

Gregorys Mund öffnete sich leicht, er starrte sie an. Sie hatte ihn überrumpelt. Nun war es nicht mehr weit zum Ufer, er lief unsicher rückwärts. Ivy kam ihm immer näher. Wenn er stolpern würde, hätte sie eine Chance.

»Du hast nicht gedacht, dass ich Bescheid weiß, oder, Gregory? Das Lustige ist, ich hab dich an dem Tag, als du deine Mutter umgebracht hast, überhaupt nicht gesehen. Ich konnte durch die Spiegelbilder auf der Scheibe nichts erkennen. Hättest du mich in Frieden gelassen, wäre ich nie darauf gekommen, dass du es warst.«

Sie sah, wie sich sein Gesicht verdüsterte. Er ballte die Fäuste.

»Nur zu«, forderte Ivy ihn auf. »Pack mich doch. Stoß mich von den Gleisen, aber dann hast du noch einen Mord auf dem Gewissen.«

Sie sah nach unten. Noch vier Meter - vier Meter und sie hätte eine Chance, selbst wenn sie fiel.

»Caroline hat Eric einen Schlüssel gegeben«, fuhr Ivy fort, »und Eric hat ihn mir hinterlassen. Ich hab ein paar Unterlagen in Andrews Uhr gefunden.«

Drei Meter.

»Ein paar ziemlich interessante Briefe von deiner Mutter«, erklärte sie ihm.

Zweieinhalb Meter.

»Und einen Laborbefund.«

Zwei.

»Ich hab sie vor einer Stunde bei der Polizei abgegeben«, sagte Ivy.

Anderthalb Meter. Gregory blieb stehen. Vollkommen reglos. Auch Ivy rührte sich nicht. Plötzlich stürzte er sich ohne Vorwarnung auf sie.


Als Tristan bei Will ankam, fuhr gerade ein dunkler Wagen davon. Dank seines geschärften Sehvermögens erkannte Tristan den Mann im Wageninneren: Warum suchte der Kriminalbeamte, der den Überfall auf Ivy ermittelt hatte, jetzt Will auf?

Will stand allein auf der vorderen Veranda und war so in Gedanken versunken, dass Tristan Probleme hatte, in ihn zu schlüpfen. In Wills Brusttasche steckte ein Stift, er zog ihn heraus, aber Will bemerkte es nicht. Tristan ließ seine Finger Gestalt annehmen und klopfte mit dem Stift gegen den Holzpfosten. Anschließend schrieb er seinen Namen, unterstrich ihn zweimal und staunte selbst über die neue Kraft in seinen Händen.

»Tristan!«, rief Will und Tristan schlüpfte in ihn.

Er vergeudete keine Zeit. »Ivy braucht Hilfe. Sie ist zu den Brücken gefahren, weil sie glaubt, dass Gregory Philip dorthin verschleppt hat. Es ist eine Falle.«

»Muss meine Schlüssel holen«, erwiderte Will in Gedanken und eilte ins Haus.

»Nein!«

Will blieb stehen und sah sich verwirrt um.

»Renn einfach los. Renn!«, drängte ihn Tristan.

»Die ganze Strecke bis zu den Brücken?«, hakte Will nach. »Dann schaffen wir es nie rechtzeitig.«

»Ich bring dich hin«, erwiderte Tristan. »Wir schaffen es schneller abseits der Straße, ohne Verkehr.« Er wusste, wie wahnsinnig das klang, doch ohne sagen zu können, warum, wusste er, dass es stimmte. Die letzte Dunkelheit hatte ihm mehr Kraft verliehen als je zuvor - Kraft, die er bisher noch nicht ausgetestet hatte.

»Vertrau mir«, sagte Tristan. »Um Ivys willen, vertrau mir«, bat er, auch wenn er Will nie hundertprozentig vertraut hatte.

Will lief los und sie rannten mit vereinten Kräften. Tristan konnte Wills Verblüffung und Angst fühlen. Was passierte mit Ivy? Was passierte mit seinem eigenen Körper, über den Tristan die Kontrolle übernommen hatte? Was sahen die Menschen, an denen sie vorbeirannten?

»Ich glaube, sie sehen uns überhaupt nicht«, erwiderte Tristan. »Aber ich weiß auch nicht viel mehr als du.«

Nun waren sie auf der kurvenreichen Straße. Unterwegs hörten sie von allen Seiten fremde Stimmen. Waren die Stimmen in seinem Kopf?, fragte sich Tristan. Oder waren es Wills Gedanken, die sich gegen ihn auflehnten? Vielleicht waren es menschliche Stimmen, die ihm zusammengepresst vorkamen, so wie der Raum, den sie eilig durchquerten. Zuerst murmelten die Stimmen nur und waren nicht zu unterscheiden, doch dann wurden sie lauter und deutlicher - lautes Geplapper und deutliches Singen, dunkle Stimmen, die drohten, und helle Stimmen, die alles andere übertönten.

»Was ist das?«, rief Will und hielt sich die Hände auf die Ohren. »Was höre ich die ganze Zeit?«

Tristan nahm mehr als Stimmen wahr. Er sah Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hatte - verängstigte Tiere, die sich hinter Bäumen versteckten; zerklüftete Felsen, auch wenn sie vollständig mit Blättern bedeckt waren; Wurzeln, die tief in die Erde reichten.

Sie waren nun auf der Lichtung und er erkannte hinter der feuchten Wand von Bäumen die Gleise. Als sie auf die Brücken zurannten, wurden die hohen Stimmen immer schriller und lauter, die leisen tief und erbost.

»Dämonen«, sagte Will zitternd, als sie die Brücke erreichten. »Wir hören Dämonen.«

 

Als sich Gregory auf sie stürzte, machte Ivy kehrt und rannte los. Auf der schmalen Brücke kam sie nicht an ihm vorbei. Sie sah die Scheinwerfer des Zugs auf sich zukommen, wie kleine Sonnen, die den Nebel aufhellten, raste er zwischen den Bäumen nahe der Brücke hindurch. Sie schaffte es nicht rechtzeitig auf die andere Seite - sie war nicht schneller als der Zug. Doch sie konnte nicht umdrehen. Sie hatte Philips rote Jacke. Wenn sie sie schwenkte, sah der Lokführer sie vielleicht.

Gregory kam näher. Wieder ertönte das Pfeifen und Gregory lachte. Er war nur knapp hinter ihr, lachte und lachte, als würden sie im Park Fangen spielen. Er war wahnsinnig! Ihm war alles egal; er würde mit ihr sterben, Hauptsache, es gelang ihm, sie umzubringen. Er kam mit jedem Schritt näher - sie konnte ihn aus dem Augenwinkel sehen. In ihrer Verzweiflung warf Ivy Philips Jacke hinter sich auf die Gleise. Sie flatterte durch die Luft und wickelte sich um Gregorys Beine. Gregory stolperte. Sie drehte sich um und sah ihn fallen.

Ivy rannte weiter. Sie hörte das lange Rattern des Zuges und rannte so schnell sie konnte darauf zu. Wenn sie genug Abstand zu Gregory gewann, könnte sie sich irgendwo festklammern und von der Brücke herunterbaumeln lassen.

»Engel, helft mir!«, betete sie. »Ach, Engel, helft ihr mir? Tristan? Wo bist du?«

»Hier, Ivy! Ivy, hier!«

Stimmen umkreisten sie und riefen nach ihr. Sie lief langsamer. Hörte sie bloß Echos in ihrem Kopf, hielt ihr verschreckter Geist das Geräusch des Windes für Stimmen? Mit einem schnellen Blick stellte sie fest, dass auch Gregory, der sich aufgerappelt hatte, stehen geblieben war und einen Moment lauschte, sein Gesicht glänzte vor Schweiß, seine Augen waren weit aufgerissen, man sah das Weiße um die grauen Pupillen.

Plötzlich hörte Ivy deutlich eine Stimme. »Ivy.«

Sie erkannte sie. »Will!«, rief sie.

Er rannte auf dem Gleis der alten Brücke parallel zu ihr und rief nach ihr. Die anderen Stimmen wurden lauter und eine dunkle Angst überkam sie. Es ist dein Trick, dachte Ivy. Es gehört alles zu Gregorys Plan.

Inzwischen rannte Gregory wieder hinter ihr her und Ivy hetzte weiter.

Will raste mit unglaublicher Geschwindigkeit über die zweite Brücke. Er hatte sie eingeholt und war ihr drei Schritte voraus, als er das Ende der alten Brücke erreichte.

»Ivy!«, schrie er. »Ivy, hierher! Spring!«

Sie starrte über den zweieinhalb Meter breiten Spalt zu ihm hinüber. Um sie herum riefen und plauderten Stimmen, die hohen hallten in ihrem Kopf wider und machten sie froh, die tiefen stürzten sie in Verzweiflung.

»Spring!«, brüllte er und streckte ihr beide Hände entgegen.

Selbst wenn er sie auffing, könnte er immer noch über den Rand stürzen. Sie würde sie beide umbringen.

»Ivy, spring!« Es klang wie Tristans Stimme.

»Ivy, spring. Ivy, spring«, höhnte Gregory. Er war stehen geblieben. Er lief nun auf den Gleisen rückwärts, taxierte sie, drehte sich zu der Lichtung, wo der Zug jede Sekunde auftauchen würde, sein Gesicht war gerötet und aus seiner Nase rann Blut.

Seine Augen leuchteten - strahlend, triumphierend, wahnsinnig.

»Tristan!«, rief Ivy.

»Er ist hier«, erwiderte Will. »Er wird uns helfen.«

Doch sie fühlte ihn nicht in ihren Gedanken und sie sah ihn nicht in Will leuchten. »Wo?«, schrie sie. »Wo?«

»Wo, wo?«, höhnten die tiefen Stimmen. Der Zug donnerte auf die Brücke.

»Tristan, wo bist du?«, schrie Ivy.

»Reich ihr die Hand, Will. Reich ihr die Hand!«

Will streckte ihr die Hand entgegen und Ivy sprang.

Für einen Moment schimmerte ein goldener Bogen zwischen den beiden Brücken und stützte Ivy und Will. Dann fielen sie auf die alten Gleise und klammerten sich verzweifelt fest, um nicht herunterzufallen.

Der Zug raste auf die neue Brücke und Gregory rannte auf das Ufer zu. Ivy und Will richteten sich auf und brüllten sich die Seele aus dem Leib, um den Zug zum Halten zu bringen. Ihre Stimmen wurden jedoch von einer immer größer werdenden Welle dunklen Geplappers ertränktes war ein geheimnisvolles Grollen von Stimmen, die so tief waren, dass sie von einem Ort zu kommen schienen, an dem nichts mehr lebte.

Ivy und Will sahen hilflos zu, wie der Zug auf Gregory zuraste. Er würde es niemals schaffen. Er müsste den Sprung auf die alte Brücke wagen. Die Stimmen fingen zu kreischen an. Ivy hielt sich die Ohren zu und Will presste sie an sich. Er versuchte, ihren Kopf wegzudrehen, doch sie wandte den Blick nicht ab.

Gregory setzte zum Sprung an, die Arme ausgestreckt, seine Finger suchten nach Halt. Einen Augenblick lang glich er mit den ausgebreiteten Armen einem Engel, dann stürzte er in den Nebel unter der Brücke.

Der Zug raste vorbei, ohne langsamer zu werden. Ivy drückte ihr Gesicht an Will. Sie klammerten sich aneinander und atmeten kaum. Der Tumult der Stimmen wurde zu einem Murmeln und verstummte schließlich.

»Cool, cool, cool...«, sang eine traurige Stimme.

Dann war alles still.