|23|Unverhofftes Wiedersehen

Probleme löse ich am liebsten im Schaukelstuhl. Ich saß da, die Katz auf dem Schoß, und überließ mich dem ruhigen Rhythmus: vor – und zurück – und vor – und wieder zurück –

»Wir brauchen dringend einen Namen. Wer einen Namen hat, der kann nämlich nicht mehr geschlachtet werden.«

Und schon war mein Schoß leer, sie saß mit gesträubtem Fell auf dem Fensterbrett.

»Keine Angst«, beruhigte ich sie, »du bist ja kein Schaf, keine Ziege und kein Huhn. Das mit dem Schlachten hab ich bei Alice Zuckmayer gelesen. Sie hatte mal eine Farm in den grünen Bergen in Amerika und viele Tiere, die wurden gezüchtet und sollten verkauft werden und – na ja –, aber die Tiere von Frau Zuckmayer waren schlau, sie guckten immer sehr lieb und schmusten sich ein, dann kriegten sie einen Namen, und wer einen Namen hatte, der war raus aus dem Schneider. So kamen die Zuckmayers nie auf einen grünen Zweig in ihren grünen Bergen und hängten schließlich |24|die Züchterei an den Nagel. Kannst wieder herkommen.«

Und schon war sie auf meinem Schoß. »Im lieb Gucken bin ich auch gut.« Sie guckte lieb. Sehr lieb. Sehr, sehr lieb. Ich schmolz dahin.

»Wie haben sie denn zu dir gesagt, außer Schmuddelkatz?«

»Kleine Hex – der Pfarrer. Oder Miez. Oder Muzz. Oder Mauz – die Milchfrau. Mach mal schneller mit Schaukeln.«

Ich schaukelte schneller und betrachtete sie. Das orangerot getigerte Fell, die grünen Augen, den runden Kopf, die weißen verrutschten Socken an den Hinterpfoten. Und wurde das Gefühl nicht los, als hätte ich sie schon mal gesehen, vor langer, sehr langer Zeit, was natürlich unmöglich war, und ich glaube nicht an déjà-vu und ähnlich esoterisches Zeug. »Einen Namen«, sagte ich, »muß man sich gut überlegen.«

»Ich mag keinen überlegten Namen.« Ihre Schwanzspitze bewegte sich hin und her.

»Ich wollte sagen, jeder hat einen Namen, der zu ihm gehört, und der ist nicht immer der Name, den man ihm gegeben hat. Den richtigen Namen finden ist Glückssache. Auf einmal ist er da, ist vom Himmel gefallen, ein Vogel hat ihn gepfiffen, ein Wind ihn hergeweht –«

»Ich will aber selber heißen«, sagte sie selbstbewußt. |25|»Einen eigenen Namen will ich. Ich will nicht heißen wie so ein Mensch.«

Das »wie so ein Mensch« klang nicht gerade hochachtungsvoll. Es war der gleiche Ton, den ich von meinem seligen Stoffele her gewohnt war, und der Gedanke drängt sich auf, Bewunderung oder Ehrfurcht oder Respekt seien Fremdwörter für eine Katze, wenn es um ihr Verhältnis zu uns Menschen geht. Der Gedanke ist richtig. Die Bewunderung ist ganz auf unserer Seite.

»Menschen«, sagte sie, »ziehen uns immer ihre Namen an. Aber die passen nicht. Hängen an einem rum. Muffeln nach Mensch. Die sollen sie gefälligst selber behalten.«

»Keine Angst, du kriegst einen eigenen, nicht nach Mensch muffelnden Namen.«

»Wenn du noch wilder schaukelst, fällt er dir bestimmt ein«, sagte sie hoffnungsvoll. »Einen Namen will ich, so wild wie ich jetzt guck.« Sie guckte sehr wild.

Ich schaukelte gehorsam wilder – und noch wilder – dann stieß ich mit der Rückenlehne des Schaukelstuhls an die Wand hinter mir, es schepperte, und als ich mich umdrehte, lag das Bild auf dem Boden und war aus dem Rahmen gefallen: eine Fotografie, uralt, von anno dazumal, aus dem Foto grinsten meine Geschwister und ich, ziemlich dümmlich grinsten wir, sechs, vier, zwei Jahre |26|alt, alle mit eindrucksvollen Zahnlücken, und jeder hatte etwas Geliebtes im Arm, einen Bär mein Bruder, einen Has meine Schwester, und ich, ich drückte Schlumpel an mich.

Schlumpel: aus alten Stoffetzen zusammengenäht, weich und warm, verschmuddelte, ehemals weiße, verrutschte Socken, rotes Haar, im runden Gesichtchen funkelten gläserne grüne Knopfaugen. Pfiffig war sie, und ich hatte oft das Gefühl, sie mache sich über jemand oder etwas lustig, ihre Mundwinkel zeigten immer nach oben. Neugierig war sie, sagte gern freche, nein, rotzfreche Sachen, genau die, die zu sagen ich mich nicht traute, und sie war geradezu vorbildlich schlampig. Nichts haßte sie mehr als ein aufgeräumtes Kinderzimmer, am liebsten schlief sie im Katzenkörbchen und bekam Flöhe, was unsere Katze keineswegs störte, die hatte auch welche. Ich liebte Schlumpel über alles, viel mehr als den lieben Gott, was ich Schwester Gertrud, der Religionslehrerin, anvertraute, die sagte, das sei eine sehr schwere Sünde und gegen das erste Gebot, das müsse ich unbedingt beichten, und Schlumpel müsse aus dem Haus. Aber ich hab es nicht gebeichtet, hab die Sünde behalten und beschlossen, mit Schlumpel aus der Religion und dem lieben Gott auszuziehen. Doch eines Tages war sie weg, spurlos verschwunden, vielleicht hatte sie der Teufel geholt, |27|zur Strafe, weil ich sie ja mehr liebte als den lieben Gott. Sie kam nie mehr wieder. Ich war allein. Schlumpelseelenallein. Wurde krank, wollte sterben, konnte kein »sch« mehr aussprechen, starb aber nicht und lebe heute noch. Auch habe ich inzwischen keine Schwierigkeiten mehr mit Wörtern mit einem »sch« vorne, hinten oder in der Mitte.

»Heureka!« sagte ich, und noch mal: »Heureka!«

Sie schlenkerte die Pfote, wie Katzen es tun, wenn sie unbegeistert von irgendwas sind.

»Das ist kein Name«, beruhigte ich sie, »›heureka‹ bedeutet ›ich hab’s!‹ Der es gerufen hat, heißt Archimedes und war ein alter schlauer Grieche.«

Auch dieser Name wurde kräftig pfotenbeschlenkert.

»Keine Angst, den kriegst du nicht. Er hat das spezifische Gewicht gemeint, von Gold, glaub ich. Aber ich hab deinen Namen gefunden: Schlumpel.«

»Rumpel, Pumpel, Humpel«, sagte sie und klappte bei jedem Wort die Augen auf und zu. »Lumpel, Bumpel, Wumpel, Mumpel, Zumpel –« Sie kratzte sich mit Inbrunst.

»Nein«, sagte ich, »Schlumpel.«

»Schlumpel«, wiederholte sie und schnüffelte. »Riecht wild.«

|28|»Das ist dein wahrer, dein richtiger, dein hergeschaukelter Name, gerade eben ist was runtergefallen, und dann ist er mir eingefallen.«

Schlumpel zog sich den Namen über die Ohren, sagte »paßt«, und »nix mit Schlachten!« Dann sprang sie von meinem Schoß, trottete zu ihrem Körbchen, bestieg es und rollte sich darin zurecht. »Schlumpel geht ein bißchen unter.«

»Wie bitte?«

»Wie die Sonne. Das macht die jeden Abend. Und morgen geh ich wieder auf.« Dann war sie weg.

»Schlumpel«, sagte ich glücklich, »du bist wieder da. Nach so vielen Jahren! Und du liegst wieder im Katzenkörbchen.« Ich kratzte mich am Bein. »Flöhe hast du auch. Bist halt eine Schmuddelkatz.«

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