|122|In Morpheus’ Pfoten
Quitten sind bockelhart. Ich hatte einen Korb voll geschält, geviertelt (mit dem großen Sägemesser), entkerngehäust, entsaftet, den Saft zu Gelee gekocht, Schildchen auf die Gläser geklebt – Quittengelee, sehr fein! –, die Gläser in den Keller getragen und ins Regal gestellt. Alles klebte, die Herdplatte, die Töpfe, der Fußboden, am meisten ich. Ich nahm ein Bad, ging todmüde ins Bett, zog mir die Decke über die Ohren und gedachte einen schönen, langen, quittenlosen Schlaf zu tun.
Aber die Gedanken gaben keine Ruh, sie tanzten mir auf der Nase herum, wirbelten durcheinander, ich fand keinen schönen langen Schlaf, fand nicht mal einen kurzen. Immer, wenn ich glaubte, ihn gefunden zu haben, drehte er mir eine lange Nase und floh mich wieder.
Ich stand auf und wanderte durchs Haus. So ein nächtliches Haus wirkt nicht beruhigend; erst knarren die Deckenbalken, knacken die Treppenstufen, |123|dann knacken die Balken, knarren die Stufen. Es fallen einem Sachen ein, etwa der Krimi von neulich, wo eine Frau nachts allein im Haus – dumme Gans, dachte ich, wer guckt auch so was an, wenn er allein im Haus –
Ich kochte mir eine heiße Schokolade. Nachdem ich sie getrunken hatte, erinnerte ich mich daran, daß Schokolade Coffein enthält, das fördert gewiß keinen Schlaf. Vor meinem geistigen Auge erschien der gütig blickende Pfarrer Sebastian Kneipp, der riet mir, die Badewanne wadenhoch mit kaltem Wasser zu füllen und im Storchenschritt ein paar Minuten drin herumzustolzieren, dann würde ich nicht anders können, als in tiefen, erholsamen Schlaf zu fallen. Ich stolzierte, das Wasser war sehr kalt, die Füße auch, sie weigerten sich, gut durchblutet zu werden, auch der Schlaf mußte kalte Füße bekommen haben, er dachte nicht daran, mich in sich fallen zu lassen, und machte sich aus dem Staub. Schäfchen zu zählen weigerte ich mich, weil ich es langweilig finde und in der Schule in Mathe immer zu wünschen übrig ließ, was noch vornehm ausgedrückt ist. Aber ich hab da mal eine CD geschenkt bekommen, mit sehr sanften, beruhigenden und innere Wogen glättenden Naturgeräuschen: einschläfernden Regentropfen, Wellen, die an irgendeinen Strand schlagen, ein Wind rauscht melodisch in Bäumen. Die |124|spielte ich mir vor, fünfmal hintereinander, je mehr ich sie anhörte, desto aufgekratzter wurde ich, desto später wurde es. Am nächsten Morgen mußte ich fit sein, da hatte ich eine Menge vor, mußte lauter wichtige Sachen erledigen, ich würde meinen ausgeschlafenen Kopf brauchen, vielleicht sollte ich doch eine Tablette – obwohl mir Tabletten gegen das Prinzip gehen, ich bin fürs Natürliche, aber in diesem Fall – allerdings kriege ich nach jeder Tablette, egal gegen was, immer irgendeine Nebenwirkung. Also laß es, dachte ich, versuch’s mit was anderem, versuch’s mit einem Bier. Bier macht schläfrig, wie jeder weiß, aber nur, wenn eins im Haus ist, und es war keins im Haus, weil Konrad die letzte Flasche geleert und nicht für Nachschub gesorgt hatte, was auch nicht die wahre Liebe ist, wie ich erbittert dachte. Säuft mir einfach mein Bier weg, obwohl ich eigentlich Bier nicht mag und den Bierkasten nur für ihn in den Keller stelle. Dann fielen mir Baldriantropfen ein. Die hatte ich, zwar datumsverfallen, aber immerhin. Ich tropfte dreißig Tropfen auf ein Stück Zucker, das ließ ich auf der Zunge vergehen, doch der Baldrian erwies sich als ausgesprochener Muntermacher, ach Gott, war ich munter, so munter war ich, daß ich mein Bett um einen Meter verschob, vielleicht lag ich, ohne darum zu wissen, auf einer schlafverhütenden Wasserader, so was soll’s doch |125|geben, oder auf bösartigen, unruhestiftenden Erdstrahlen, aber auch das verschobene Bett half nichts, der Schlaf hockte draußen auf der Birke, winkte mir zu, streckte mir die Zunge raus. Ich versuchte mich in autogenem Training. Aber je mehr ich meinem linken Arm sagte, er werde immer schwerer, meinem rechten Bein ebenso und allem, was man sonst noch beschwören kann, desto aufgedrehter wurden Arm und Bein, die zappelten richtig herum. Mir fielen all diese Geschichten ein von Leuten, die zwanzig Jahre lang nicht mehr geschlafen hatten, die nur im Sessel hockten und verfielen, körperlich und geistig. Dann drückte jemand die Nase platt am Fenster, ich ließ den Jemand herein, und Schlumpel trottete, nach einem kleinen mitternächtlichen Imbiß, zu ihrem Sessel, den Konrad rührenderweise immer noch für den seinigen hält, sprang hinauf, machte eine schnelle Katzenwäsche, ruckelte sich zurecht und ging unter.
Ich wickelte meine Beine in die alte Decke, die gewöhnlich auf der Heizung liegt und auf der Schlumpel zuweilen ein Nickerchen macht, legte mich aufs Sofa, das, wahrlich nicht schlaffördernd, unten durchhängt, und sah ihr zu. Meine kleine Katze lag in dem großen Sessel, den Schwanz schön um sich herumdrapiert, die Pfote bedeckte die Nase; eine vollkommene Kugel, nichts stand |126|ab, alle ihre Sachen hatte sie beisammen, Michelangelo hätte seine Freude an ihr gehabt, erklärte er doch einmal einem Schüler, eine Plastik sei dann gelungen, wenn man sie den Berg hinunterrollen könne, ohne daß etwas Wichtiges dabei abbreche. Ja, meine Katze war zweifellos gelungen, war rund und schön, das sah ich, war weich und warm, das wußte ich. Sie schnaufte leise, ich sah sie atmen, etwas schneller als Menschen atmen, aber in schönem, gleichmäßigem Rhythmus. Und als ich ihr so beim Schlafen zusah, geschah es, daß ich auf einmal erleuchtet wurde und wußte, sie hatten nicht recht, die alten Griechen, wenn sie den Schlaf als einen Gott in Menschengestalt – wie alle ihre Götter – darstellten. Morpheus ist kein menschengestaltiger Gott, so ging mir auf, Morpheus ist ein großes, sanftes, göttliches Katzentier. Wer nicht schlafen kann, der richte einfach ein kurzes Gebet an Morpheus. Dann kommt der Katzengott angeschlichen auf leisen Pfoten, man hört sein freundliches Schnurren und muß nur die Augen zumachen und in diesen weichen, warmen Morpheuspfoten untergehen.