|174|Alles für die Katz
Geburtstagskinder, die eine Katze haben, wissen, was ihnen blüht. Die kriegen nicht irgendwas geschenkt. Was immer sie geschenkt kriegen, katzelt. Weil der Schenker sich ganz sicher ist, daß kein anderer auf die Idee käme, dem Geburtstagskind etwas zu schenken, das auch nur entfernt an eine Katze erinnert.
Morgens früh um sechs weckte mich das Telefon, und durch den Hörer drang in mein schlaftrunkenes Ohr ein herzliches »Miau!« Dann Geräusper, dann zählte eine Stimme – es war die meines sechsjährigen Neffen Simon – bis drei, und dann ging’s los, dann wurde gemaunzt, was das Zeug hielt. Nur der vierjährige Lukas trompetete dazwischen, der ist versessen auf Elefanten. Schlumpel, die am Fußende ruhte, kauerte sich zusammen und setzte zum Sprung auf den Hörer an. »Das ist doch nur ein Geburtstagsständchen«, rief ich ihr zu, sie hielt inne, erkannte das Gemaunze als nicht aus einer Katzenkehle stammend |175|und daher nicht als konkurrenzfähig, und schlief beruhigt wieder ein.
Ich aber war und blieb wach und fühlte mich alt. Weshalb ich, als ich die Schritte der Zeitungsfrau hörte, hinunterschlurfte, um ihr die Zeitung aus der Hand zu reißen und mich abzulenken. Ein Blick in den Garderobenspiegel, der neben der Haustür hängt, überzeugte mich davon, daß ich in dieser Nacht tatsächlich um ein ganzes Jahr gealtert war, was mir die Zeitungsfrau, ohne zu zögern, bestätigte. Ich müsse mehr an die frische Luft, meinte sie, seit sie morgens Zeitungen austrage, komme sie in den Genuß der frischen Luft, des Sonnenaufgangs und des morgendlichen Gesangs der Vögel und sehe aus wie das blühende Leben, was nun ich ihr sogleich bestätigte. Und ich nahm mir vor, mich im neuen Lebensjahr frischluftiger zu betätigen, es muß ja nicht die Zeitungsaustragerei sein, um auch wie das blühende Leben auszusehen.
Dann fiel mein Auge auf die Todesanzeigen, und ich erfuhr, daß Agnes Tröndle, in meinem Alter, das Zeitliche gesegnet hatte und aus diesem Grund bat, von Beileidsbezeugungen abzusehen. Das beflügelte mich in dem Entschluß, noch mehr an die frische Luft zu gehen, am besten gleich nach dem Frühstück. Den Frühstückstisch hatte Konrad am Abend zuvor schon gedeckt, bevor er wegfahren |176|mußte, zu einem Wochenendschachturnier, wo er aber nur als Ersatzspieler eingeteilt worden war, weil er, trotz ständigen Übens mit Bobby, dem Schachcomputer, die Eröffnungen immer noch verpatzt.
Der Tisch war wirklich sehr schön gedeckt, mit der Geburtstagsdecke, auf die meine Mutter vor vierzig Jahren Alles Gute dem Geburtstagskind! kreuzgestickt hatte, und mit einem Müslischüsselchen – Geschenk von Konrad –, auf dessen Grund eine dämlich aussehende Katze hockte und um dessen Rand lauter Miaus liefen: Miau! Miau! Miau! Sehr originell. Im Müslischüsselchen lag ein kleines Bilderbuch ›Sempés Katzen‹, die so rätselhaft, würdevoll, erst auf den fünften Blick erkennbar und trotzdem dominierend in einer chaotischen Umgebung hocken, und wie’s drinnen aussieht – im Katzeninnern – weiß nicht mal der Zeichner. Mitten auf dem Tisch stand ein Blumentopf mit blühender Katzenminze.
Katzenminze, das weiß jeder Katzenfreund, bringt fast jede Katz um den Verstand. Sieht sie diese Pflanze, gerät sie ganz aus dem Häuschen, wälzt sich so lange darin, bis sie platt ist – die Katzenminze – dann erhebt sich die Katze und schreitet würdevoll zurück in ihr Häuschen.
»Bestimmt hat er gedacht, ich wälz mich drin«, sagte ich zu Schlumpel, die gerade in die Küche |177|spaziert kam und auch frühstücken wollte, »aber ich denk nicht dran, mich zu wälzen.«
»Aber ich«, sagte Schlumpel, »wo ich doch Geburtstag hab«, sprang auf den Tisch, steckte die Nase in die Katzenminze, bekam einen irren Blick, schubste den Topf auf den Boden, so daß er in Scherben ging, warf sich auf die Minze und rollte sie platt. Nach drei Minuten, als von der Minze nur noch Minzentrümmer herumlagen, erhob sie sich und schritt würdevoll davon.
Ich fegte Minze und Scherben zusammen und trank erst mal Tee aus der Miauschüssel. Da es anfing zu regnen, mußte ich nicht an die lebensverlängernde und zu blühendem Aussehen verhelfende frische Luft gehen und konnte in Ruhe zuerst die Erdbeer-Rhabarber-Marmelade einkochen, die ich am Abend schon vorbereitet hatte, dann, weil Marmeladekochen eine sehr klebrige und sehr spritzige Angelegenheit ist, die Küche mal wieder gründlich saubermachen, was eine Weile dauerte, und schließlich die Geburtstagspost lesen.
Die Briefe ähnelten sich auffallend. Ein jeder wies dezent auf meine Katzennärrischkeit hin. Mit bunten, glänzenden Katzenabziehbildchen. Mit schwarzen Katzensilhouetten (Katze auf dem Fensterbrett, daneben ein Blumentopf – vermutlich keine Katzenminze, sonst stünde er nicht mehr da). Über einen Brief war eine Katze gelaufen, was |178|man an den Pfotenabdrücken sehen konnte. Eine Postkarte mit der Zähne fletschenden ›Katze auf dem Dach‹ von Picasso. Eine andere Karte mit einer unterernährten, aber heiligen Bastet-Katze, der Gratulant machte gerade eine Nilkreuzfahrt.
Auch der Inhalt der Geburtstagspäckchen bot Passendes: Ein Küchenhandtuch, halb Baumwolle, halb Leinen, auf dem sich zehn schwarze und eine rote Katze tummelten. Eine Wärmflasche in Gestalt einer Katze, die die bisherige leckende Wärmkatze ablösen konnte, und also ein sinnvolles Geschenk. Visitenkarten mit ganzen Katzenfamilien, die erhobenen Schwanzes um meinen Namen herummarschierten. Eine winzige Katzenbrosche aus Silber, die ich gleich ansteckte. Ein Buch mit Gedichten von Reiner Kunze, dem unter anderem der unsterbliche und unwiderlegbare Vers eingefallen war: Der Mensch kann auf dem Mond erwachen, aber keine Katze machen. Ich beschloß, mir daraufhin das Kunzesche Gesamtwerk zuzulegen. Dann gab’s einen Katzenkopf mit Funkelaugen, der sollte die Vögel vom Kirschenklau abhalten, wenn er im Baum hing. Was er keineswegs tut, wie ich aus Erfahrung weiß, den letzten Katzenkopf haben sie vollgeschissen, woraus ich schließe, daß Vögel Sinn für Humor haben.
Ich legte all die Katzen und Kater und Briefe und Karten auf den Geburtstagstisch und war |179|gerührt. Mitten in die Rührung hinein platzte Schlumpel und guckte sich meine Geschenke an. »Alles für mich!« sagte sie und machte einen Hupfer. »Heut ist mein allerschönster Lebenstag!«
»Ja«, sagte ich, »das ist alles für die Katz.« Die Wärmflasche gefiel ihr am besten, ich mußte sie gleich in ihr Körbchen legen, aber ohne heißes Wasser drin.
Dann kam Konrad zurück, was mich überraschte, dachte ich doch, er brüte gerade über einer spanischen Eröffnung. Er war sehr übel gelaunt, weil er alle Partien verloren hatte. Um seine Laune zu verbessern und weil der Regen aufgehört hatte, schlug ich ihm vor, ein bißchen an die frische Luft zu gehen, um unser Leben zu verlängern, unsere Backen blühender zu machen und unsere Falten zu glätten.
»Ich geh mit«, sagte Schlumpel und begleitete uns, das heißt, sie erlaubte uns, sie zu begleiten, und so spazierten wir zu dritt an unserem Geburtstag durch das Dorf. Aber an den Kühen mußte Konrad sie vorbeitragen, bei Kühen weiß man nie so recht, was in ihren Köpfen vorgeht. Und außerdem sind sie ziemlich groß im Verhältnis zu einer Katze, auch wenn die Geburtstag hat und findet, daß heut –
»Ich sag’s selber.« Schlumpel beknabberte Konrads Ohr. »Heut ist mein allerallerallerschönster Lebenstag.«